Ausgabe 194 am 23. Januar 2016
Das Versprechen
Glück im Unglück
Leidenschaft
Abschied
SC Freiburg
Leben
Zum Tod von David Bowie. Seine inspirierende Kreativität und ungeheure wandelbare Schaffenslust wird fehlen. Seite 2
Nils Petersen wird dem SC nach einer Knöchelverletzung rund vier Wochen fehlen. Da kann sich Harvard Nielsen gleich beweisen. Seite 11
Der Freiburger Filmemacher Werner Schuessler hat einen Doku-Film über Tierfilmer gedreht. In Freiburg läuft die Premiere. Seite 17
Einsam standhaft Bundeskanzlerin Angela Merkel wird von allen Seiten unter Druck gesetzt, in der Flüchtlingspolitik eine Kehrtwende zu vollziehen. Den moralischen Überbau für eine „Begrenzung“ hat nun auch Bundespräsident Joachim Gauck geliefert. Von Michael Zäh
A
lle scheinen sich berufen zu fühlen, gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel in Stellung zu gehen. Es scheint fast so, als müsse die Kanzlerin entweder grandios scheitern, oder aber durch einsame Standhaftigkeit triumphieren. Seltsam ist dabei, wie die Gemüter sich in kurzer Zeit offenbar um 180 Grad drehen können, selbstkreiselnd um die Flüchtlingsfrage, und viele dabei eine 90-Grad-Kehrtwende hinlegen. Gestern Lob für Merkel, heute raus zur Hintertür. Da ist auch ein Staatsmann wie Bundespräsident Joachim Gauck bereit, die ganz großen Fragen aufzuwerfen: „Begrenzung ist nicht per se unethisch“, sagte Gauck in einer Rede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos, vor Entscheidungsträgern aus aller Welt. Das ist einerseits eine Art moralischer Überbau für die laufende Debatte über eine „Obergrenze“ für Flüchtlinge. Und Gauck drehte die Schraube noch weiter: „Eine Begrenzungsstrategie kann moralisch und politisch sogar geboten sein, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten. Sie kann auch geboten sein, um die Unterstützung für eine menschenfreundliche Aufnahme der Flüchtlinge zu sichern.“ Na ja, wir wollen nun nicht hoffen, das Angela Merkel auch noch für unmoralisch gehalten werden muss, weil sie standhaft eine fixe Obergrenze für Flüchtlinge ablehnt. Joachim Gauck hat am Ende eine einfache Formel in die Welt gesetzt: „Begrenzung hilft, Akzeptanz zu erhalten.“ Aber war dies nun ein Fingerzeig in Richtung Kanzlerin? Oder war es vielmehr eine Botschaft
HALLO ZUSAMMEN
Vertrauen geht Kompetenz vor
an jene Ländern in Europa, die sich bisher einfach weigern, praktische Solidarität mit Deutschland zu üben? Wohl beides. Denn Gauck apellierte in seiner Rede ja auch an die EU-Partner, das große europäische Einigungswerk zu bewahren. Insofern legte der Bundespräsident den Finger in die Wunde: Wenn die EU an der Flüchtlingsfrage sozusagen in lauter Einzelstaaten mit geschlossenen Grenzen zerbröselt, sind die Folgen katastrophal. Damit unterstützt Joachim Gauck indirekt sogar den Kurs der Kanzlerin, die natürlich auch weiß, dass eine Begrenzung des Zuzugs von Flüchtlingen unbedingt nötig ist. Im Unterschied zu ihren vielen Kritikern in den eigenen Reihen glaubt sie aber, dass es nicht ausreicht, einfach eine Obergrenze zu bestimmen und die deutschen Grenzen dicht zu machen, sondern
dass eine internationale Lösung her muss, um diese gewaltige globale Herausforderung wirklich zu bewältigen. Da hat sie völlig recht. Es ist zu kurz gedacht, einfach den Rolladen runter zu lassen. Denn das würde alles nur verschlimmern. Die Freizügigkeit innerhalb der EU wäre zerstört, mit unabsehbaren Folgen für den Euro und die Wirtschaft. Und die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten der Welt wären ja trotzdem in Bewegung, irgendwo zwischen bewachten Grenzen. Angela Merkels Mut und ihre Beharrlichkeit, eine internationale Lösung zu suchen, nimmt derzeit fast schon heroische Züge an. Wenn sie etwa in Kreuth erneut auf einer CSU-Klausur mehrheitlich wüst angefeindet wird und sie dort weder nachgibt noch von ihrem Credo abrückt, dass man trotz oder wegen unterschiedlicher Po-
sitionen miteinander reden müsse. Wenn dort Alexander Dobrindt (immerhin als Verkehrsminister in Merkels Kabinett) den ebenso leichten wie giftigen Satz sagt, dass es nicht mehr ausreiche, „der Welt ein freundliches Gesicht zu zeigen“ - Merkel erträgt es mit Fassung. Dasselbe gilt auch für den Brief, den Unionspolitiker ihr schrieben und den Druck, den SPD-Chef Gabriel neuerdings aufbaut. Merkels Versuch einer Lösung in der EU, die diese nicht zerstört, ist der richtige Ansatz. Sie hat es allerdings nicht allein in der Hand, ob ihr das gelingt. Sie riskiert also ihr eigenes politisches Scheitern, falls Europa sie im Stich lässt. Wenn das so kommt, kann sich niemand freuen. Dann zerfließt Europa in nationalen Strömungen.
Jetzt hat eine Psychologin endlich mal herausgefunden, was eigentlich innerhalb einer Zehntelsekunde beim ersten Treffen darüber entscheidet, ob einem ein fremder Mensch gefällt oder nicht. Und zwar hat die Harvard-Professorin Amy Cuddy heraus gefunden, dass es nur zwei Fragen seien, die sich das Gehirn stelle, wenn man einen fremden Menschen treffe. Das ist ja klar, weil in Zehntelsekunden keinesfalls mehr Fragen drin wären, selbst für uns Schnelldenker nicht. Die erste Frage lautet also: „Wie vertrauenswürdig wirkt mein Gegenüber?“ Und die zweite dann: „Wie kompetent schätze ich den anderen ein?“ Und dann geht es gehirnmäßig um die Wurst, nämlich darum, was nun wichtiger ist, die Antwort auf Frage eins oder auf Frage zwei? Vertrauen geht vor Kompetenz. Denn schon für die Höhlenmenschen sei es wichtiger gewesen, zu erkennen, ob ihr Gegenüber sie ausrauben oder töten wolle, anstatt ob derjenige ein gutes Feuer errichten könne. Wobei natürlich auch keiner wegen Inkompetenz des Partners frieren will. Michael Zäh