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Ausgabe 216 am 4. Februar 2017
Wahrheit als Akrobat
Einzelne Glanzlichter
International Orange
Interview
Champions-League
Leben
Der Kabarettist Werner Schneyder ist 80 geworden. In seiner Biografie führt er ein Zwiegespräch mit sich selbst. Seite 2
Bevor am 14. und 15. Februar die ersten Achtelfinalspiele in der Königsklasse stattfinden, müssen sich alle deutschen Teams steigern. Seite 11
Der Fotograf Daniel Schumann zeigt im Carl-Schurz-Haus Bilder von Paaren und Familien abseits von bürgerlichen Normvorstellungen. Seite 15
Ein Schulz macht Frühling Martin Schulz kommt ziemlich trumpig daher und bedient als Populist die Ressentiments gegen das sogenannte Establishment. Warum sollte er sich mit so Kleinigkeiten aufhalten wie etwa der Rolle der SPD in den letzten 20 Jahren? Von Michael Zäh
D
ie erste Rede von Martin Schulz als Kanzlerkandidat der SPD war mal ganz schön griffig: Nein, es sei nun gar nicht gerecht, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei den Lohnnebenkosten nicht die gleiche Last tragen. Und wenn „wir Millionen für marode Banken ausgeben, während in unseren Schulen der Putz von den Wänden bröckelt – dann ist das nicht GEEE-REE-CHT !!!“ Applaus, Verzückung und Aufbruch bei der SPD. Eine Schwalbe allein macht zwar noch keinen Sommer. Ein Schulz aber macht Frühling. Denn er allein ist es, der plötzlich die sozialdemokratische Hoffnung schürt, nicht in Einzelteile zu zerfallen. Natürlich hätte in seine doch so kämpferische Rede über die soziale Ungerechtigkeit im Land auch das Beispiel von VW gepasst: Wenn dort ein Vorstand (sagt man Vorständin?) nach einem Jahr eine fabelhafte Abfindung von zwölf Millionen Euro bekommt, wofür die normalen Werksangestellten grob umgerechnet 200 Jahr arbeiten müssten, dann ist das NICHT GE... - na ja, eben! Das hat Schulz aber nicht gesagt. Weil im Aufsichtsrat von VW halt auch ein gewisser Stephan Weil sitzt, seines Zeichens Niedersächsischer Ministerpräsident und dies für die SPD. Aber trotzdem. Martin Schulz sieht über so manche Kleinigkeit hinweg, wie etwa der Tatsache, dass die SPD nicht aus den Tiefen der jahrzehntelangen Opposition kommt, sondern im Gegenteil in den letzten 20 Jahren fast immer mit in der Regierungsverantwortung war. Aber na ja, vielleicht könnte er doch sagen, dass dies nicht die wahre
HALLO ZUSAMMEN
Ganz geheime Abgaswerte
SPD gewesen sein kann, weil er selbst davon nix mitbekommen hat. Darin liegt ja der Reiz des Neuen. Er ist echt unverbraucht. So sehr, dass er zwar mit einem Herrn namens Gabriel befreundet sei, aber sonst von dessen Politik nur ganz wenig mitbekommen habe. Jedenfalls sei es aber eine ganz große Leistung dieses Herrn Gabriel gewesen, dass dieser freiwillig seinen Platz als SPD-Chef geräumt habe, also für seinen Freund, den Schulz. (Also, wir wären jetzt beleidigt, wenn wir an Stelle des Herrn Gabriel wären und hören müssten, dass nach sieben Jahren an der SPD-Spitze nun der Rückzug die größte Leistung gewesen sein soll). Nun gut, der neue Schulz, der ja ziemlich nett daher kommen kann, war in dieser Zeit auch nicht auf der einsamen Insel völliger politischer Keuschheit. All die Ungerechtigkeit, die er ab sofort
so leidenschaftlich bekämpfen will, hätte er als EU-Präsident schon mal angehen können. Schulz kommt trumpig daher, mit seinen zur Schau getragenen Emotionen und dem angeblichen Kampf für den einfachen Mann, der „jeden Tag zur Arbeit geht und sich an die Regeln hält.“ Das nervt, weil es völlig populistisch ist, quasi jenseits von rechts oder links. Es mag ein Trost, wenigstens ein kleiner Hoffnungsschimmer sein, dass Schulz damit im gleichen Teich fischt wie die AfD oder die Linke. Wenn er da ein paar Prozentfischchen rausholt, muss man ja am Ende noch froh sein. Also gut jetzt! Wir wollen doch auch mal GEEE-REE-CHT sein. Der Mann setzt halt auf das Gefühl der Leute und nicht so sehr auf ihren Verstand. Das hat auch Trump in Amerika gemacht und wird hier
in Deutschland von Wagenknecht bis Petry geprobt. Martin Schulz macht also, was die Populisten in diesen Zeiten machen: Er bedient die anti-elitären Ressentiments, die im Volke schlummern, auch die latenten Aversionen gegen alles Gebildete und Intellektuelle. Damit will er punkten, der Mann , der ja in den letzten Jahren als EU-Politiker so gar nicht zu den schief gewickelten Führungsleuten gehört haben will. Im Fußball würde man das tatsächlich eine Schwalbe nennen, die aber echt noch keinen Sommer macht, sondern die Rote Karte nach sich zieht. Doch dies wiederum wäre schon der Farbe wegen ein Grund für kollektive Bewusstwerdung bei der SPD. Nach Frühling und Sommer kommt dann aber der Herbst!
Horst Seehofer will partout nicht verraten, wieviel Abgase sein Dienstwagen in die Luft bläst. Allerdings hat jetzt das Verwaltungsgericht München verfügt, dass der Freistaat der Deutschen Umwelthilfe (DUH) die in der Zulassungsbescheinigung des Fahrzeugs genannten CO2-Werte mitteilen müsse. Es geht hier wirklich um staatstragende Dinge im Wortsinn. Das Argument, warum Seehofer die Abgaswerte nicht mitteilen will, wird mit Terrorgefahr (wie derzeit alles und immer) begründet: „Bei Bekanntgabe der Daten würden wir Informationen preisgeben, die direkten Rückschluss auf Art und Umfang einer möglichen Sicherheitsausstattung des Fahrzeugs des Ministerpräsidenten zuließen“, sagte ein Sprecher. Aber warum sollen die Terroristen nicht wissen, dass Seehofers A8 vollumfänglich gepanzert ist? Desto höher also hier die CO2-Werte sind, die angegeben werden, desto weniger wird er angegriffen werden. Und da Audi außerdem zum Hause VW gehört, stimmen die Werte ja eh nicht. Michael Zäh