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Ausgabe 218 am 18. März 2017
Alles klar machen
Die Verlierer Und die Welt
SC Freiburg
Der deutsch-syrische Schriftsteller Rafik Schami kommt nach Freiburg und erzählt. So sammelt er Geld für Kinder in Flüchtlingslagern. Seite 2
Nach vier Punkten gegen die weiter oben stehenden Teams aus Frankfurt und Hoffenheim geht es in Augsburg und gegen Bremen nun zur Sache. Seite 9
Das Leiden der Familien Leben Maike Herrmann erforscht die psychischen Folgen der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte in Indien in einem Projekt der Deutsche Cleft Kinderhilfe. Seite13
Projektion mit Gruselfaktor Der Typ nervt einfach gewaltig: Nur weil der türkische Präsident Erdogan seine Macht im Lande ausbauen und zementieren will, meint er, lauthals in jede üble Schublade greifen zu müssen. Deutschland und die EU sollten konsequent sein. Von Michael Zäh
M
an stelle sich mal vor, ein Niederländer hätte dem türkischen Präsidenten Erdogan den Nazi-Vorwurf an den Kopf geworfen. Das wäre aus der Geschichte heraus von Gewicht, da ja die Niederländer unter der Besetzung durch Nazi-Deutschland schwer gelitten haben. Und wenn da ein Ministerpräsident Mark Rutte die ganz schlimme verbale Peitsche heraus geholt hätte, weil er etwa im Machtstreben Erdogans und dessen Einschnitten in die Demokratie in der Türkei eine Wiederkehr der finsteren Zeiten gesehen hätte, dann wäre das womöglich falsch, aber es hätte doch noch eine gewisse Logik. So war es aber nicht. Weder der niederländische Ministerpräsident noch sonst ein führender Politiker in der EU hat solche Nazi-Vergleiche bemüht. Nein, es ist Erdogan selbst, der damit nur so um sich schmeißt. Und das heißt auch, dass man sich ernsthaft Sorgen machen muss, ob dieser Mann nicht tatsächlich auf dem Weg zu einer Diktatur ist. Denn genau so spricht er: Wie einer, der aller Welt das unterstellt, was er selbst ist. Wenn Erdogan laut raushaut, dass in Deutschland, ja der ganzen EU, die Demokratie nur selektiv ausgeübt würde, dann beschreibt er punktgenau das, was in der Türkei ganz offensichtlich passiert. Wer dort gegen Erdogan ist, wird weggesperrt. Man muss sich nur mal vorstellen, Jan Böhmermann wäre nach seinem Schmähgedicht (das wir nicht wirklich gut fanden) auf türkischem Boden gewesen. Dann wäre er jetzt im Knast. Erdogan hätte ihn ja am liebsten durch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel
HALLO ZUSAMMEN
Männer halt, die Merkel trifft
perönlich verhaften lassen. Erdogan spricht vom deutschen „Staatsfernsehen.“ Er, der selbst unliebsame Medien schließen und Journalisten reihenweise verhaften lässt, will also die Sender ARD und ZDF ernsthaft anprangern, dass sie nur Erfüllungsgehilfen einer Merkel-Regierung seien, die also ihrerseits Terroristen versteckt und sich sowieso in Nazi-Methoden übt. Es ist tatsächlich oft ein äußerst signifikantes Phänomen geistiger Eintrübung, wenn Leute genau das von anderen Menschen behaupten, was diese eher nicht sind, man selbst aber sehr wohl. Es ist wie ein Zerrspiegel, in dem sich Typen wie Erdogan quasi ums Eck herum selbst erblicken und sich dabei für aus Versehen für Merkel halten. Also allen anderen werden haargenau die Vorwürfe gemacht, die man selbst befürchtet. Innerlich quasi
weiß einer wie Erdogan genau, dass er völlig schief gewickelt ist. Aber er will seine Anhänger dadurch für sich gewinnen, dass er alles, was er ist, seinen „Gegnern“ vorwirft. Eine Projektion mit Gruselfaktor. Was aber soll man jetzt damit anfangen? Erstens ist ja klar, dass die Türken es selbst in der Hand haben, wie sie bei dem Referendum (das ja jedenfalls ein demokratischer Prozess ist) am 16. April abstimmen. Ob Erdogan mit seiner Strategie dann durchkommt und seine Macht sowie seinen Unrechtsstaat weiter zementiert, ist Sache der Türkei, oder vielmehr seiner Bürger. Da ist jede versuchte Einflußnahme der EU oder Deutschlands überflüssig bis kontraproduktiv. Zweitens sollte auch klar sein, dass Erdogan zwar innerhalb der Türkei (leider) seine Phantasien ausleben kann und seine Gegner
verfolgt, die allesamt hinter Gitter landen, aber dies keinesfalls in der EU oder Deutschland gestattet sein darf. Drittens muss die EU zeitnah (aus taktischen Gründen eher nach dem Referendum) die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beenden. So wie die drauf sind, also Erdogan und seine Gehilfen, geht das ja gar nicht. Viertens sollte jede finanzielle Hilfe der EU oder Deutschlands für die Türkei nun mal ganz tief aufs Eis gelegt werden, also schockgefrostet, nach allem, was die Unterstützten so von sich geben. Wenn sich einer wie Erdogan mit all jenen anlegt, und zwar aus rein machtorientierten Gründen, die ihn faktisch mit Finanzhilfen über Wasser hielten, dann darf man auch mal: Stop! sagen. Der Typ nervt einfach gewaltig.
Was ist schon ein Schneesturm für Angela Merkel? Den nimmt sie so gelassen hin wie die Männer, mit denen sie es oft zu tun hat. Jetzt also wird es auch Donald Trump sein, nachdem sich die Schneeflocken lichten. Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin hat Merkel ja schon öfter in teils endlosen Gesprächsrunden zu Gesicht bekommen. Natürlich kann sie auch nicht ändern, wie solche Männer sind, die Autokraten dieser Welt, die sich mehr (wie Putin) oder weniger schlau (Trump und Erdogan) darin anstellen, Politik in Kategorien von Sieg und Niederlage zu denken und dies vor allem ihren Anhängern auch so zu präsentieren. Angie Merkel muss auch wirklich keinen Hahnenkampf veranstalten, schon aus dem Grund, weil sie kein Hahn ist. Erdogan hat sie mitteilen lassen, dass sie nicht gedenkt, sich am Wettlauf der Provokationen zu beteiligen. Putin kann sie russisch sagen, was sie denkt. Und bei Trump hat sie nur vor, dass man sich erst einmal persönlich kennen lernt. Alles andere kommt, wie es kommt. Schneeflocken halt. Michael Zäh