Meinung, Tipps & mehr für volle 14 Tage
Ausgabe 238 am 20. Januar 2018
Missbraucht, zerstört Freiburg
Drei Hammerspiele
Fiktion & Wahrheit
SC Freiburg
Jahrelang wurde ein Neunjähriger sexuell missbraucht und vergewaltigt. Seine Mutter und ihr Lebensgefährte boten ihn im Internet an. Seite 2
Gegen RB Leibzig, dann in Dortmund und gegen Leverkusen hängen die Trauben hoch. Doch der Lustgewinn könnte ebenfalls hoch sein. Seite 7
Leben Die Tanzperformance „(This is) Cliff“ von und mit Marion Dieterle im E-Werk Kammertheater spielt mit Fiktion, Wahrheit und Manipulation. Seite 11
Politischer Masochismus Wer zuerst eine Kampfkandidatur gegen Merkel hochkant verliert, dann kategorisch eine erneute Groko ablehnt, um seine SPD stolz in der Opposition erneuern zu wollen, kann jetzt nicht kommen und das genaue Gegenteil verkaufen wollen. Von Michael Zäh
M
HALLO ZUSAMMEN
Kommt also ein Schnösel daher
Montage: S. Schampera
anchmal möchte man Martin Schulz auch mal in Schutz nehmen. Denn so ganz gerecht ist es nicht, wie der SPD-Chef gerade nach allen Regeln der Kunst zerlegt wird. Dabei hat er sich doch ausgerechnet mit dem Thema der „Gerechtigkeit“ in den Bundestagswahlkampf gegen eine unmotivierte Merkel gestürzt, nur um damit krachend zu scheitern. Und nun wird er selbst auch noch ungerecht behandelt! Ungerecht ist nämlich erstens, dass Martin Schulz ziemlich kurzfristig als Heilsbringer für die SPD inszeniert wurde, weil da jemand zum Verheizen gesucht wurde. „Sankt Martin“ ließ die Umfragewerte nach oben schnellen und schien die Basis zu begeistern. Aber in Wahrheit hätte es schon ein Welt-Wunder gebraucht, damit ein SPD-Politiker aus dem Stand, ohne lange Vorgereitungszeit und ohne nennenswerte Organisation dann tatsächlich Erfolg gehabt hätte. Das wussten gewiefte Leute wie Sigmar Gabriel und hoben Schulz aufs Schild der Eitelkeiten. Der glaubte daran, rieb sich im Wahlkampf auf und fuhr schließlich mit nur noch 20 Prozent plus Äpfelbutzke das historich schlechteste Wahlergebnis für die SPD ever ein. Danach war Martin Schulz sehr zornig und giftete gegen Angela Merkel (weil diese angeblich tolle Ideen von Schulz mit dem Staubsauger zu den ihren gemacht habe), aber eben auch gegen Leute aus den eigenen Reihen, weil er es endlich bemerkt hatte, dass die ihn ja im Grunde reingelegt hatten. Dann trat Martin Schulz in seinem Zorn direkt nach der Wahl
vor die Mikrofone (ohne dass ihn jemand dazu gezwungen hätte) und sagte am 24. September 2017: „Ich bin angetreten, um die bisherige Bundesregierung und die Kanzlerin abzulösen. Ich habe der SPD-Parteiführung deshalb heute Abend empfohlen, dass die SPD in die Opposition geht.“ Für eine Verlängerung der Groko nicht zur Verfügung zu stehen, löste an der SPD-Basis erneut eine Welle der Begeisterung aus. Endlich raus aus dem Joch, das Merkel und Co. der SPD seit Jahren auferlegt hatte. Am tiefsten Punkt wenigstens die Fesseln sprengen und endlich wieder linke Politik vertreten zu dürfen. Und ja, man kann auch ein bisschen erhobenen Hauptes die stärkste Oppositionspartei sein, was immerhin nicht nix ist. So hatte Schulz seine Partei für eine große Erneuerung (auch personell) hinter
sich versammelt, um sich in der Opposition mit einer langfristigen Agenda zu erholen. Quasi Sankt Martin, Handaufleger nach innen. Das haben sie ihm abgenommen bei der SPD. Das hätte ein Aufbruch sein können, wenn auch ein erst mal sehr bescheidener. Doch dann kam ja das von der FDP und Christian Lindner inszenierte Scheitern der Jamaika-Vorverhandlungen und das Einschreiten des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, selbst mal ein bedeutender SPDler, der jetzt aber das Wohl des Landes im Blick haben soll und deshalb von Schulz eine Umkehr verlangte, die nun wirklich gar nicht mehr vermittelbar ist. Zumindest nicht für die Basis einer gebeutelten SPD. Schulz machte mit. Das hat ihn in Augen der Öffentlichkeit und noch mehr bei seinen Genossen
zu einem Mann ohne Rückgrat gemacht. Wer zuerst ein Kampfkandidatur gegen Merkel verliert, dann kategorisch eine erneute Groko ablehnt (so weit, so logisch), kann jetzt nicht kommen und das genaue Gegenteil verkaufen wollen. Das ist ja schon vom Ansatz her nahe am politischen Masochismus. Um jetzt aber noch einmal den Mann in Schutz zu nehmen: Schulz hat nur widerwillig in die Gespräche eingewilligt, deren Ergebnisse er jetzt als „viel rote Politik“ für die Leute im Land verkaufen will. Vor allem hat er selbst es eingefädelt, dass ein SPD-Sonderparteitag und später auch noch eine Abstimmung der Basis am Ende bestimmen soll, ob es eine neue Groko gibt. Er hat sich selbst dem unterworfen, was ihn nun politisch vernichten kann.
Der junge Kurz ist uns doch schnurz ...nee, halt, stop, das wäre ja fast schon, wie soll man sagen, etwas zuviel des Bösen. Nun gut, der junge Mann ist mit 31 Jahren also der jüngste Kanzler Europas und baut seine Macht völlig ungeniert auf den Koalitionspartner FPÖ in Wien, eine rechte Partei, die der deutschen AfD nicht unähnlich ist. Aber Kanzlerin Angela Merkel hat auch den Antrittsbesuch von Sebastian Kurz, neuer Kanzler aus Österreich, mit Respekt (vor Andersdenkenden?) und sogar mit Anstand bewältigt. Dafür gibt es ja immer ein paar Formeln, auf die sich dann die Parteien einigen. In diesem Falle lautete sie, dass beide Seiten ein „gemeinsames Europa der Sicherheit“ wollen. Wäre ja auch seltsam gewesen, wenn da jemand ein Europa der Unsicherheit gewollt hätte. Aber dennoch wird klar, dass der junge Kurz der erfahrenen deutschen Kanzlerin da eine Formulierung aufgedrückt hat, die ihr noch als Eingeständnis eigener Fehler interpretiert werden könnte. So einfach kommt also ein Schnösel daher. Michael Zäh