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Ausgabe 248 am 9. Juni 2018
Internetsucht Interview Kurosch Yazdi, Psychiater und Suchtmediziner, spricht über Internetsucht und hat ein ungewöhnliches Buch dazu veröffentlicht. Seite 2
Schwere Mission WM-Spezial
Der wahre Mensch Leben
Auf sieben Seiten „Spezial- WM in Russland“ geht es um Petersens Aus, Löws Risiko, deutsche Chancen und die stärksten Gegner. ab Seite 9
Jugend pro Arte probt derzeit für die Aufführungen des Tanzprojekts „Suche Mensch“ mit 100 jungen Tänzerinnen und Tänzern. Seite 17
Dümmste Deutschtümelei Man kann den türkischen Staatspräsidenten Erdogan als Autokrat kritisch beurteilen, ohne die Fußballspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan in die Ecke der Büßer zu stellen. Denn das ist nur populistisches Gift. Von Michael Zäh
U
m was es geht, zeigt ein Satz von Alice Weidel von der AfD, der Gift verspritzt. Die Integration von Mesut Özil und Ilkay Gündogan in Deutschland sei gescheitert, sagte Weidel, und die beiden sollten gefälligst für die Türkei spielen. Dieser Satz ist wie ein Offenbarungseid für Deutschland. Es scheint offenbar niemanden mehr zu stören, dass mit solch dümmster Deutschtümelei die Wähler, sprich: die Fußball-Fans im Lande geködert werden sollen. Das Schlimme ist nämlich, dass von Bundespräsident Steinmeier („Bin da ein bisschen ratlos), über Kanzlerin Merkel („Die Bilder werfen Fragen auf und können zu Missverständnissen einladen, weil Nationalspieler ja Vorbildfunktion haben“), dem Grünen Cem Özdemir („Der Bundespräsident eines deutschen Fußballnationalspielers heißt Frank-Walter Steinmeier und nicht Erdogan“) bis hin zu jeder Menge Journalisten („Özils Verhalten ist ein Skandal“) alle ins gleiche Horn stoßen. Und dieses Horn ist das eines Ochsen, in das man zwicken kann so oft man will. Also gut, Özil und Gündogan haben sich in London mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan getroffen und ihm ein Trikot überreicht, jeweils von ihren englischen Vereinen Arsenal London (Özil) und Manchester City (Gündogan), natürlich mit ihren Namen drauf. Und weil Gündogan sprachlich etwas pfiffiger ist als Özil hat er handschriftlich auch noch eine Art Widmung drauf gepinselt: „An meinen verehrten Präsidenten hochachtungsvoll.“ Davon wurde ein Foto gemacht.
HALLO ZUSAMMEN
Für die Deppen der Nation
Die beiden deutschen Kicker wirken stolz und gut gelaunt und sind sich keines Vergehens bewusst. Warum auch? Wenn ihnen ihr Verhalten danach als eine Art Hochverrat ausgelegt worden ist, sich quasi gegen Deutschland gestellt zu haben, dann ist das tatsächlich hochbrisant. Aber nicht wegen dem Fotoshooting mit Erdogan. Sondern wegen der Reaktionen darauf. Darin zeigt sich Deutschland nämlich als ein Land, für das man lieber nicht kicken will. Weltoffen? Na Pustekuchen! Persönliche Meinungsfreiheit? Nur wenns politisch korrekt ins Schema passt! Integration? Nur solange sich die Türken so benehmen, wie die Deutschen (auch der DFB) das wollen! Multikulti? Nur solange es bunte deutsche Fahnen sind! Eigentlich ist ja beispielsweise beim Recht auf Meinungsfreiheit
das Schöne, dass dieses Recht nicht damit verknüpft ist, was ein Mensch studiert hat oder welche Ausbildung er hatte. Deshalb ist die oberschullehrerhafte Haltung gegenüber Özil und Gündogan völlig fehl am Platz. Sie fanden es einfach innerhalb ihres Horizontes okay, Erdogan zu treffen und ihm zu huldigen. Und das dürfen sie, völlig unabhängig von ihrem Beruf als Ballkünstler! Es ist ja klar, dass wir Erdogan in seinem despotischen Wesen und auf seinem Weg, der Türkei ein eher autokratisches System zu verpassen, wahrlich nicht gut finden können. Aber eine eher emotional angelegte Aktion der beiden Fußballer (die halt offenbar so empfinden) ist ja nun nicht verboten. Wenn man deshalb medial und in den „sozialen Netzwerken“ verdammt wird, dann wirft das ein ganz schlechtes Licht auf unsere eigene Demokratie.
Man kann Erdogan als Autokrat kritisch beurteilen und dennoch davon absehen, Özil und Gündogan in die Ecke der Büßer zu stellen. Als Angela Merkel 2010 einfach in die Mannschaftskabine ging und dem jungen, halbnackten Mann namens Özil die Hand schüttelte, entstand ja auch ein Foto von politischem Wert. Denn zuvor war Özil im Berliner Olympiastadion von 40.000 Fans der Türkei ausgepfiffen worden, weil er sich kurz zuvor entschieden hatte, nicht für die Türkei sondern für Deutschland zu spielen. Merkel war übrigens während des Spieles (3:0 für Deutschland) neben Erdogan auf der Tribüne gesessen. Populistisches Gift oder Luft zum Atmen, darum geht es im Falle Özil und Gündogan.
Nach einer Umfrage geben deutsche Fußball-Fans dieses Jahr fast doppelt so viel Geld für Fan-Utensilien aus als vor vier Jahren. Na ja, man könnte sagen: Damals in Brasilien hat keiner an den Titel geglaubt und heuer in Russland geht man immerhin als Weltmeister in das Turnier. Und wer weiß wie lange Deutschland noch Weltmeister ist. Passend zur Umfrage gibt es auch jede Menge Ratschläge im Netz, woran man denn Fälschungen erkennen kann. Am Preis, heißt es! Na sowas. Und auch daran, dass echte Trikots eher „beim gut sortierten Einzelhändler in der Haupteinkaufsstraße und seltener bei Strandoder Straßenverkäufern“ zu finden sind, klärt uns t-online auf, als wären wir die Deppen der Nation (hat die Telekom eigentlich eine Verbindung zu Adidas?) Na gut, ganz blöd wäre aber, den vollen Preis zu zahlen (Männer 89,95 Euro, Frauen 79,95 Euro, Kinder 69,95 Euro) und dann doch die Fälschung zu kriegen. Das wäre ja, als wenn man heute das Trikot kauft und Deutschland scheidet schon in der Vorrunde aus. Michael Zäh