260. Ausgabe, ET 15.12.2018

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Meinung, Tipps & mehr für volle 14 Tage

Ausgabe 260 am 15. Dezember 2018

Rückwärts XXYXXie durch heilt die Knie

Freude YXXXe Stabilider Fans

Portrait

SC Freiburg

Wolf Haas schreibt Bücher die glücklich machen. Eine Lesung mit ihm, wie jetzt in Freiburg, ist ein nicht weniger beglückendes Erlebnis. Seite 2

YXXXtic Bücher – die schenken Farbe Rot Leben

Den sensationellen 3:0-Sieg über Leipzig führte Trainer Streich aufs defensive Zentrum zurück. Der „gemeine“ Fan spürt aber, dass eine neue offensive Qualität sticht. Seite 7

Für alle, die noch nach Geschenkideen für Weihnachten suchen: Eine kleine aber feine Auswahl an Neuerscheinungen zum Verschenken oder sich selbst schenken. Seite 11

Der Pegel des Protestes Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat den protestierenden „Gelbwesten“ hundert Euro mehr Mindestlohn im Monat sowie steuerliche Erleichterungen angeboten, um etwas Fahrt aus dieser Bewegung zu nehmen. Von Michael Zäh

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ie kamen eigentlich die „gelben Westen“ in die Welt? Angesichts der Geschehnisse in Frankreich ist es vielleicht hilfreich, sich das noch einmal chronologisch vor Augen zu führen. Denn es zeigt eben, dass der Protestbewegung der „gelben Westen“ nicht etwa ein lange und gründlich ausgeheckter Plan einer Revolution zugrunde liegt, sondern eine Art von Verselbstständigung ganz profaner Art. Der Protest war zuerst eine typisch französischer mit allerdings eher noch begrenztem Anliegen. Weil Präsident Macron eine neue Steuer auf Benzin und Diesel ab 2019 erheben wollte, blockierten etliche Franzosen viele Autobahnen, Verkehrskreisel und andere Knotenpunkte des Verkehrs. Dabei streiften sie sich gelbe Westen über, wie es sich gehört, wenn man im Straßenverkehr auf Notlagen hinweisen will. So schlicht, so klar, zunächst ohne Hintergedanken. Dann aber geshah etwas, das nicht geplant war, aber spontan von genau dem lebte, was plötzlich ein Symbol wie „gelbe Westen“ sind: Nicht etwa das Programm einer Organisation (sagen wir: den Gewerkschaften, die von Macron mit Missachtung belegt worden waren), nicht die Verve einer politischen Opposition, sondern das Sichtbarwerden des Zorns vieler Leute, die aus verschiedenen Lagern stammen und aus unterschiedlichen Motiven handeln, aber mit dem Überziehen der billigen, leicht zu habenden Warnwesten aus Plastik perfekt illustriert sind. Sichtbar wurde dabei etwas, was es zuvor längst gab. Sehr viele unzufriedene Franzosen, die am Rande des Abgrundes wandeln

HALLO ZUSAMMEN

Die Luftballons sind auch nix!

und sich von der Regierung nicht repräsentiert, ja bis dato noch nicht einmal wahrgenommen sahen. Daraus wurde eine Bewegung, die das ganze Land erfasste, auch wenn viel Plastik in den Köpfen der Leute steckt, die teilweise dummes Zeug von sich gaben. Aber die gelben Westen stehen perfekt für einen Kampf von „Unten“ gegen „Oben.“ Das ist auch einer von „arm“ gegen „reich“, aber nicht nur. Es geht nämlich auch insgesamt um die Durchlässigkeit einer Gesellschaft. Die Reaktion von Macron, auf die Proteste nun mit guten Gaben zu reagieren, hat genau genommen eine spalterische Absicht. „Ihr seid arm - ich gebe euch Geld“, ist ja der Subtext, wenn Macron etwa sagt, dass er „alles veranlassen“ werde, damit der Mindestlohn um 100 Euro netto steigt, sofort und bezahlt vom Staat. Okay, dass ist ja schön, 100 Euro mehr im Monat zu haben. Aber natürlich spaltet es weiter auf: In diejenigen, die überhaupt Mindestlohn beziehen und diejenigen, die

knapp darüber sind. In diejenigen, die jetzt über das konkret Erreichte froh sind und diejenigen, die das nur als Almosen begfreifen und weiter auf die Straße gehen wollen. Sprachlich hat Macron auch versucht, die Gelbwesten-Menschen mit liebevollen Worten zu umarmen und sogar so zu tun, als verbinde die Protestierenden besonders viel mit ihm als Präsidenten. Etwa dass auch er außerhalb des Establishments stehe, da er ja tatsächlich nicht in der bestehenden Parteienlandschaft angesiedelt war, sondern mit „En marche“ ebenfalls eine neue Be-

17 UHR

31.12. | FREIBURG, KONZERTHAUS

MIT BILLY BOYD (“PIPPIN” IM FILM) ALS ERZÄHLER UND SÄNGER!

20:30 UHR

MIT DER OSCAR-PRÄMIERTEN MUSIK VON HOWARD SHORE, ENYA, ANNIE LENNOX UND ED SHEERAN SOWIE DEM TOLKIENENSEMBLE UND DER PHILHARMONIE UND DEM CHOR DES AUENLANDES

31.12. | FREIBURG, KONZERTHAUS

wegung gegründet hatte, die ihn schließlich bis zum Präsidentenamt führte. Hiermit will Macron dem schieren Hass derer begegnen, die auf der Straße lauthals seinen Rücktritt fordern. Wer hasst, will geliebt werden, denkt sich der Präsident. Doch das ist natürlich alles nur Befriedungstaktik. Denn die Gewalt auf den Straßen von Paris nahm zuletzt dramatische Züge an. Gelbe Westen können sich natürlich alle überziehen, auch Gruppen, die gerne Autos anzünden, Geschäfte plündern und überhaupt das System ganz abschaffen wollen. Gewalt und Chaos kann Emmanuel Macron nicht allein mit Polizei und Militär bekämpfen (die übrigens zuletzt auch kräftig zuschlugen). Also muss er versuchen, zumindest etwas Fahrt aus der Bewegung der Gelbwesten zu nehmen. Wenn der Pegel des Protestes um jene Leute fällt, die künftig lieber den Hunderter nehmen, lässt sich der Rest wohl besser kontrollieren.

Es waren 99 Luftballons, die in ihrer offensichtlichen Unschuld einen von Nena gesungenen Weltkrieg auslösten. „Hast du etwas Zeit für mich - Dann singe ich ein Lied für dich - Von 99 Luftballons - Auf ihrem Weg zum Horizont.“ Am Schluss des Songs liegt die Welt in Schutt und Asche: „99 Jahre Krieg Ließen keinen Platz für Sieger Kriegsminister gibt‘s nicht mehr - Und auch keine Düsenflieger Heute zieh‘ ich meine Runden Seh‘ die Welt in Trümmern liegen - Hab ‚n Luftballon gefunden -Denk‘ an dich und lass‘ ihn fliegen.“ Das war etwa so romantisch wie die Idee der Stadt Elmshorn (hat 50.000 Einwohner, etwa Michael Stich) in Nordrhein-Westfalen, die im Advent einen Lichtermarkt hat, von dem aus 500 bunte Luftballons mit Kinderwünschen in den Himmel steigen sollten. Doch nix da. Umweltverbände wiesen gleich shitstormmäßig darauf hin, dass die Luftballons heute schon Platz drei des tödlichsten Meeresmülls inne hätten. Tja, 500 Luftballons stiegen nicht gen Himmel. Die Wünsche der Kinder bleiben also irdisch. Michael Zäh


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