262. Ausgabe, ET 02.02.2019

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Meinung, Tipps & mehr für volle 14 Tage

Ausgabe 262 am 2. Februar 2019

Irrsinn und Wortwitz Tipps Der bayerische, fröhliche Querulant und Singer/Songwriter Weiher kommt mit seiner Gitarre ins Kulturaggregat Hilda5. Seite 2

High-End-Geräte

Offensivfanatiker

HiFi-Convention

Bundesliga

Am 16. und 17. Februar findet die HiFi-Messe im Dorint-Hotel an den Thermen statt. Hersteller und Händler werden beraten, alles ausprobieren ist möglich. Seite 4

Das Kopf-an-Kopf- Rennen zwischen Tabellenführer Dortmund und Verfolger Bayern München geht in die nächste Runde, gegen offensivstarke Gegner. Seite 7

Mit Scheuer am Steuer Der „Menschenverstand“, den Verkehrsminister Andreas Scheuer aufruft, will eine „intelligente Lösung“ für Grenzwerte in Luft und Lunge. Nämlich, dass man diese am besten ganz abschafft, um wieder frei durchatmen zu können. Von Michael Zäh

W

enn Andreas Scheuer sich hinter das Steuer setzt, muss er ziemlich weit fahren, bis er den Menschenverstand findet. Da geht es quer durch die Schweiz, mal rüber nach Österreich und nach Italien, und weil da überall weit und breit kein Mensch Verstand hat, fährt Scheuer auch noch weiter nach Frankreich und Spanien. Aber selbst wenn sein Auto fliegen könnte, in die USA zum Beispiel, der deutsche Verkehrsminister wird sich alsbald fragen, ob ihn denn alle in den Wahnsinn treiben wollen. Ein Tempolimit, so hat Scheuer kürzlich gesagt, sei gegen jeden Menschenverstand. Seltsam bloß, dass es eben dieses Limit längst in allen Nachbarländern gibt, nur in Deutschland nicht. Wir wollen aber auch betonen, dass Scheuer nicht vom „gesunden“ Menschenverstand gesprochen hat. Da sich dann ja auch die Bundesregierung gegen ein generelles Tempolimit auf den deutschen Autobahnen ausgesprochen hat, weil es „intelligentere Lösungen“ für die Einhaltung der internationalen Grenzwerte in der Luft gäbe, hat quasi der deutsche Verstand gesiegt. Ein menschliches Dasein unterhalb von Tempo 200 ist nämlich gar keines. Deshalb kommen die Menschen, die endlich Mensch sein wollen, auch aus der Schweiz, Italien, Frankreich, aber auch aus Japan und Mauritius, um auf deutschen Autobahnen mal so richtig Gas geben zu können. Ein deutscher Verkehrsminister wäre eine glatte Fehlbesetzung, wenn er nicht das Alleinstellungsmerkmal, das früher „Freie Fahrt für freie Bürger“ hieß, nun erweitern

HALLO ZUSAMMEN

Die Gemeinheit bleibt familiär!

würde in „Rasantes Deutschland für alle Nationalitäten.“ Mit Scheuer am Steuer bleibt kein Potenzial ungenutzt. Ach so, ja, diese Sachen wegen der Grenzwerte könnte man doch ganz intelligent dadurch aus der Welt schaffen, dass man einfach die Grenzwerte abschafft. Wenn man diese einfach in Luft auflöst, wird das für die Lunge gut sein. Denn nix schadet so einer menschlichen Lunge mehr‚ als ständig frische Luft einatmen zu müssen. Deshalb hat ja auch der Marlboro-Cowboy, der früher durch die Kinos ritt, am Ende Lungenkrebs bekommen. Er war halt zuviel an der frischen Luft. Verkehrsminister Scheuer hat es jedenfalls begrüßt, dass sich nun auch in der Lungenheilkunde der gesunde Menschenverstand zu Wort gemeldet hat. Rund 100 Ärzte sind dem Aufruf des ehemaligen Präsi-

denten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, Professor Dieter Köhler, Initiator des Schreibens, gefolgt, in dem behauptet wird, dass Lungenärzte im Alltag täglich Todesfälle an COPD und Lungenkrebs sähen, „jedoch Tote durch Feinstaub und NOx keine“. Stickoxide und Feinstaub sind in Deutschland also laut dem zweiseitigen Schreiben für keinen Todesfall verantwortlich. Nun ja, es waren aber nur 100 von 3.800 Lungenärzten, die Köhler mit ihrer Unterschrift folgten. Wie es ja auch nur ein knappes, zweiseitiges Papier war, das einige Behauptungen ohne jeden Beleg aufstellte, während es jahrzehntelange Studien zum Thema gibt, mit unzähligen Zitaten und Quellenangaben, denen etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wie auch die EU-Kommission folgt. Wenn also der Scheuer lieber mehr Tempo und weniger Grenzwerte will,

dann liegt er auf einer Linie mit dem „Kaiser“ Franz Beckenbauer, der ja einst ebenfalls den gesunden Menschenverstand sprechen ließ, als er sagte, er habe „keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen.“ Und Andreas Scheuer (CSU) steht ja auch nicht allein mit seiner Lobbyarbeit für die deutschen Autokonzerne. Da wäre auch eine gewisse AKK, neuerdings CDU-Chefin, die sagte: „Wir sollten keine Phantomdebatten führen, die den Anschein erwecken, dass man (...) Autofahrer quälen und bestrafen will.“ Wenn ein Scheuer am Steuer auf der A5 kurz nach der Grenze einen Schweizer im Rückspiegel sieht, der sich mit seinem Ferrari und knapp 300 Sachen nähert, dann wird er jubilieren, dass sich da endlich der gesunde Menschenverstand zeigt, über alle Grenzen hinweg.

Tja, die böse Schwiegermutter wird halt auch immer modern bleiben. Heutzutage macht sie ihren Schwiegersohn gerne auch mal in Chaträumen, in Whatsapp-Familiengruppen, zur Sau. Dies wollte ein Mann aus Hessen nicht hinnehmen, klagte auf Unterlassung – und verlor. „Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts eigentlich nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen privaten Vertraulichkeitsbeziehungen verfassungsrechtlichen Schutz, welcher dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht“, resümiert das Oberlandesgericht Frankfurt. Kurzum: Ein Wutausbruch in der Öffentlichkeit, sagen wir: hinterm Steuer, gegenüber einem Verkehrsteilnehmer („Fahr jetzt mal schneller, du Depp du blöder!“) ist strafbar. Sagt aber die Schwiegermutter selbiges zu ihrem Schwiegersohn, dann ist das rechtens. Es bleibt ja buchstäblich in der Familie. Und diese darf wohl ein Hort von Beleidigungen sein. Ein interessantes Urteil. Die Gemeinheit ist familiär. Dort kommt sie her. Michael Zäh


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