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Ausgabe 263 am 16. Februar 2019
Allesamt Verlierer
Pech und Schwefel
Kunst und Widerstand
Essay
SC Freiburg
Leben
Alptraum für Europa: Der Brexit naht scheinbar unaufhaltsam, die wirtschaftlichen Folgen werden auch in Deutschland spürbar sein. Seite 2
Mit zwölf Gegentoren in den vier Rückrundenspielen aber nur zwei Punkten durch späte Ausgleichstore ist das Streich-Team unter Druck. Seite 9
Zwei Ausstellungen sowie Vorträge im E-Werk widmen sich der Kolonialgeschichte und ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart aus Sicht Schwarzer Frauen. Seite 13
Die Flut der falschen Worte Wenn die neue CDU-Chefin Annegret Kramp Karrenbauer nach dem von ihr ins Leben gerufenen „Werkstattgespräch“ von einem „Frühwarnsystem Migration“ spricht, entgleitet ihr instinktlos jede Verhältnismäßigkeit. Von Michael Zäh
A
llein die Wortwahl ist schon das, wovon sie spricht: Eine Katastrophe. Nach dem von der neuen CDU-Chefin Annegret Kramp Karrenbauer ins Leben gerufenen „Werkstattgespräch“ sprach sich die CDU doch tatsächlich für ein „Frühwarnsystem Migration“ aus, damit nicht noch einmal passieren könne, was 2015 unter der Regie von Angela Merkel stattfand. 2015 sei eine „humanitäre Ausnahmesituation“ gewesen, sagte nun Kramp-Karrenbauer. Künftig solle ein „Frühwarnsystem“ dafür sorgen, dass sich so etwas nicht wiederhole. „Frühwarnsysteme“, die man sich wünscht, sind solche gegen Tsunamis, wie etwa jene am 26. Dezember 2004 in West-Indonesien und Thailand wo durch ein Beben und seine Folgen 230.000 Menschen starben, davon allein in Indonesien rund 165.000. Man erinnert sich an das Grauen der Flutwellen besonders gut, weil es viele Aufnahmen von Handys der Urlauber gibt, von denen viele dann ertranken. Migration auch nur in die Nähe solcher Katastrophen zu bringen, ist nicht nur instinktlos, sondern macht sogar den niedrigen Instinkt zum Programm. Denn mit der Wortwahl der „Frühwarnsysteme“ werden die Menschen und ihre individuellen Schicksale indirekt nivelliert. Alles mündet in einer Flut, die verhindert werden müsse. Alles wird nur noch aus der Perspektive der drohenden Gefahr betrachtet, aber nicht etwa jener Gefahr, in der womöglich die flüchtenden Menschen stecken, sondern der Gefahr für das Land, das sich überflutet wähnt. Insofern sich also Kramp-Karrenbauer dieser Rhetorik bedient, die flüchtende
HALLO ZUSAMMEN
Nackte Semmel ist zubereitet
Menschen einer gesichtslosen Flut gleichstellt, bedient die CDU-Chefin rechte Klischees. Natürlich meint sie das nicht so. Es passiert ihr nur. Die Werkstattgespräche der CDU legten denn auch den Schwerpunkt auf Maßnahmen, die Flucht nach Deutschland zu verhindern, die Grenzen möglichst dicht zu machen und die Ausweisung von Flüchtlingen aus Deutschland zu erleichtern. Also alles gegen die Flut in Stellung zu bringen, weil dies sonst ein „Spaltpilz in unserer Gesellschaft wird“, wie AKK sagte. Wieder so eine Redewendung, die ihr halt passiert, ohne dass sie es so recht merkt. Im Duden wird der „Spaltpilz“ bezeichnet als: „Bakterie; Krankheitserreger; (veraltet) Bakterium; (Biologie) Schizomyzet; (Biologie, Medizin) Bazillus“. Also die drohende Flut birgt das Risko der Erkrankung „unserer Gesell-
schaft.“ Das ist sehr schlicht gedacht von Annegret Kramp Karrenbauer. Könnte ja fast schon von der AfD stammen, so als Slogan der Angstmache. AKK will rechts Stimmen zurück holen. Auch in der CDU. Konkret waren die Gespräche in der Werkstatt der CDU ja in vier Kategorien eingeteilt. Die erste befasste sich mit dem europäischen Asylsystem. Egebnis: Man fordere eine Verstärkung der Grenzkontrollen an der EU-Außengrenze und die Grenzschutzagentur Frontex müsse zu einer Art Grenzpolizei werden. Die zweite Kategorie beschäftigte sich mit dem deutschen Asylrecht. Ergebnis: Man fordere, direkt an der EU-Außengrenze Asylverfahren durchzuführen und direkt von der Grenze aus zurückzuweisen. Dazu brauche es dann auch sogenannte Transitzentren. Die dritte Kategorie beschäftigte sich mit Abschiebung.
Ergebnis: Soll es alles schneller und einfacher gehen und juristisch soll es nur noch eine Instanz geben, die anhört und entscheidet. Die vierte Kategorie beschäftigte sich explizit mit Integration. Ergebnis: Nix genaues weiß man nicht! Im Groben (und es ist grob, was AKK anstieß) heißt das dann, auf die Frage in den ARD-„Tagesthemen“, ob sie sich eine Grenzschließung vorstellen könnte, „Wir haben gesagt, als Ultima Ratio wäre das durchaus auch denkbar.“ AKK will weg von Merkel. Manches passiert ihr nur. „Ich freue mich insbesondere, dass wir dies nicht nur als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten heute Abend ...“ Ups, so sagte sie zur Begrüßung in der CDU-Werkstatt. Na ja, es war die Flut der falschen Worte.
Deutscher gehts nimmer: Bald wird der Bundesgerichtshof wohl darüber entscheiden müssen, ob das jetzt vom OLG München gefällte Urteil so seine Richtigkeit hat. Dieses nimmt nämlich an, dass eine nackte Semmel eine zubereitete Speise sei. Nein, nein, es geht dabei nicht um gute Sitten oder darum, dass die Semmel sich nun schamhaft ein Mäntelchen überstreifen soll. Vielmehr geht es darum, dass sich bundesweit viele Bäckereien eben ein solches Mäntelchen des falschen Anscheins übergezogen haben, indem sie so tun als seien sie keine Bäckerei, sondern ein Gastronomiebetrieb, mit ein paar Tischen, mit Kaffee und Kuchen zum dortigen Verzehr im Angebot. Als Gastro dürfen sie nämlich auch am Sonntag die Semmel, aber auch Brezeln und Co. den lieben langen Tag verkaufen. Als reine Bäckerei dürften sie nach dem Ladenschlussgesetz nur drei Stunden am Sonntag offen haben. Die Richter mussten aber die nackte Semmel für zubereitet erklären, die wir alle gerne in größeren Mengen am Sonntag nach Hause tragen. Applaus! Michael Zäh