271. Ausgabe, ET 08.06.2019

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Meinung, Tipps & mehr für volle 14 Tage

Ausgabe 271 am 8. Juni 2019

Fürsorge wagen

Den Chef im Ohr

Vater-Sohn-Projekt

Interview

EM-Qualifikation

Tipps

Kinderarzt und Autor Herbert Renz-Polster sieht einen Zusammenhang zwischen Erziehung und Gesinnung, auch dem Populismus. Seite 2

Die beiden EM-Quali-Spiele in Weißrussland und gegen Estland finden physisch ohne Joachim Löw statt. Marcus Sorg übernimmt für den Chef, den er aber im Ohr hat. Seite 7

Junger Jazz voller Elan kombiniert mit der Souveränität erfahrener Musiker, das macht Kilchling & Kilchling aus, die beim Jazzkongress im Schützen auftreten. Seite 13

Spiegelei, staatsfrauisch Einerseits wird Angela Merkel von der Harvard-Universität in Amerika eingeladen und hält dort eine gefeierte Rede über die Politik als solche. Andererseits poltert Donald Trump in London weiter durch die Weltgeschichte. Von Michael Zäh

E

s ist ein(e) Spiegelei, das glaubst du nicht. Da reist Kanzlerin Angela Merkel in die USA, um dort eine Rede zu halten, für die sie sehr viel Applaus von rund 30.000 Harvard-Absolventen bekommt. Kurz darauf reist Donald Trump nach Großbritannien, auch zur Queen, um dort keinerlei Beifall dafür zu erhalten, dass er mit seinen Tweets gleich mal wieder ein paar Leute beleidigt, etwa den Londoner Bürgermeister Sadiq Khan, „der nach allem, was man hört, als Bürgermeister von London eine schreckliche Arbeit geleistet hat“, und der „fies“ zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewesen sei, „dem wichtigsten Verbündeten des Vereinigten Königreichs“. Auch die Herzogin Meghan sei „fies“, sagte Trump in einem Interview, um kurz darauf zu behaupten, dass er eben dies nicht gesagt habe, was die „Sun“ aber auf Band hatte. Demgegenüber also Merkel, die an der US-Eliteuniversität Harvard in Cambridge, einem Vorort von Boston, „Wahrhaftigkeit gegenüber anderen und uns selbst“ beschwor. „Dazu gehört, dass wir Lügen nicht Wahrheit nennen und nicht Wahrheit Lügen.“ Für diese Aussage bekam sie Beifall wie ein Rockstar, made in Germany, aufgewachsen auf der „anderen Seite“ der Mauer. Man müsse fest zu den unveräußerlichen Werten stehen und danach handeln. Man dürfe nicht immer den ersten Impulsen folgen, müsse „zwischendurch einen Moment innehalten, schweigen, nachdenken, Pause machen.“ Na, wem könnte Angela Merkel da wohl den Spiegel vorgehalten haben? Standing Ovations von den

HALLO ZUSAMMEN

Das Klima ist in USA so sauber

Elitestudenten (die aus aller Welt stammen), mitten in Amerika! Als könne der amerikanische Albtraum Trump dadurch verschwinden. Doch der mischt sich kurze Zeit später dreist und durchsichtig in die Politik Großbritanniens ein. Im Gespräch mit der „Sun“ erklärte er seine Sympathie für Boris Johnson als Nachfolger von Theresa May als Premierminister. „Ich denke, Boris würde einen sehr guten Job machen. Ich glaube, er würde ausgezeichnet sein. Ich habe ihn immer gemocht. Er ist ein sehr guter Kerl, ein sehr begabter Mensch.“ Na klar, es sind vielleicht doch die Aliens auf der Erde gelandet und man kann sie ganz leicht erkennen: An blonden Haartollen. Deshalb empfahl Trump den Briten nun auch den harten Brexit. „Wenn Du nicht den Deal kriegst, den Du möchtest, wenn Du keinen fairen Deal

kriegst, dann gehst Du raus.“ Weil dann könne nämlich ein hübsches (also blondes?) Handelsabkommen zwischen den Briten und der USA geschlossen werden. Haartolle, ich hör dir tapsen. Demgegenüber Merkel in ihrer Harvard-Rede: „Protektionismus und Handelskonflikte gefährden den freien Welthandel und damit die Grundlage unseres Wohlstandes.“ Obwohl sie Trump nicht ein einziges Mal beim Namen nannte,war ihre Botschaft klar: „Mehr denn je müssen wir multilateral statt unilateral denken und handeln, global statt national, weltoffen statt isolationistisch. Kurzum: gemeinsam statt allein.“ Na ja, das entspricht auf jeden Fall Merkels Profil als die langjährige CDU-Chefin, die sie war. (Es gäbe noch andere Ideen, jenseits von Merkel und von Trump. Weil das Hohelied auf globale Gesetze

des Marktes ist ja nur so halb gut.) Auch in der Frage des Klimaschutzes brachte sich Merkel gegen Trump in Stellung (der ja schlicht das Problem quasi als „Fake News“ leugnet): „Der Klimawandel bedroht die natürlichen Lebensgrundlagen. Wir müssen also alles Menschenmögliche unternehmen, um diese Menschheitsherausforderung in den Griff zu bekommen“, sagte also Merkel. Na ja, klingt toll. Als Auto-Kanzlerin in Deutschland hat Merkel über Jahrzehnte eher nach dem Motto regiert, dass ja das schönste Klima nichts nutzt, wenn dafür die Wirtschaft nicht brummt. Aber es war ja nun eine Art politisches Vermächtnis, staatsfrauisch und für die Geschichtsbücher. Subtext hier: „In die kommst du gar nicht erst rein, mein lieber Donald. Du wirst vergehen.“

Das muss ja ein interessantes Gespräch gewesen sein, das Prinz Charles und Donald Trump zum Thema „Klima“ geführt haben. Es sollte ja nur ein Plausch von 15 Minuten werden, ließ Trump danach verlauten, wuchs aber dann auf über eineinhalb Stunden an. „Klimaschutz liegt ihm wirklich am Herzen und ich denke, das ist großartig, ich meine, ich will das, ich mag das“, fügte der US-Präsident hinzu. Aber auch er selbst habe etwas beizutragen gehabt: „Ich habe eine Reihe Dinge erwähnt. Ich sagte: ‚Also, die Vereinigten Staaten haben nach allen Statistiken eines der saubersten Klimas und es wird sogar besser‘.“ Trump hat da den uralten Lügentrick ausgepackt, der so geht: 1. Es gibt ja den Klimawandel gar nicht. 2. Wenn es ihn doch gibt, dann sind die Vereinigten Staaten mit ihrem sauberen Klima daran nicht schuld. 3. Prinz Charles ist niedlich, weil ihm dieser recht komische Klimaschutz am Herzen liegt. Übrigens: Der CO2-Ausstoß der USA ist im vergangenen Jahr um 3,4 Prozent angestiegen – der stärkste Anstieg seit acht Jahren. Michael Zäh


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