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Ausgabe 273 am 6. Juli 2019
Augen zu und zahlen
Sensibilisieren
Hoeneß stänkert
Essay
Bundesliga
Leben
Die Europäische Union macht sich nicht die Finger schmutzig und bezahlt Länder wie Libyen, um sich die Flüchtlinge vom Hals zu halten. Seite 2
Die angekündigte Transfer-Offensive der Bayern stottert vor sich hin. Derweil beklagt sich Dortmund über den Spielplan und ist beim SC alles ruhig. Seite 9
Sexualisierte Gewalt als Gesprächsthema an Schulen: Der Freiburger Verein Frauenhorizonte bietet kostenfreie Gewaltpräventionsprojekte an. Seite 13
Wenn Wellen hoch schlagen Dem rechten italienischen Innenminister Matteo Salvini kommt das Verhalten der deutschen Kapitänin Carola Rackete gar nicht so unrecht. So kann er wunderbar die Reihen hinter sich schließen, gegen Deutschland und die EU. Von Michael Zäh
D
er Vater hat es wirklich schön formuliert. Der ehemalige Bundeswehroffizier Ekkehard Rackete sagte über seine Tochter Carola: „Leider kann sie kein Italienisch. Sonst würde sie Innenminister Matteo Salvini einen Satz rote Ohren verpassen.“ Ja hoppla, ob er das etwa politisch gemeint hat? Sollte Carola Rackete etwa im Sinn gehabt haben, den italienischen Rechtsausleger Salvini auf links zu drehen? Na ja, dieser hat sich prompt dahingehend geäußert, dass die junge Frau seinem Land „gehörig auf die Eier“ gehe. Und ganz Deutschland und die EU noch dazu. Will heißen, dass er besonders dicke Dings hat, der Herr Salvini. Es ist brisant. Aber sicher nicht wegen 40 Flüchtlingen, die von der deutschen Kapitänin Carola Rackete in Seenot aufgegriffen und dann nach Lampedusa gebracht worden waren. Diese Anzahl ist so klein, dass es selbst dem rechten Salvini nicht viel Aufhebens wert gewesen wäre, wenn sich da nicht etwas ganz anderes angeboten hätte: Sich selbst durch das Prinzip zu definieren. Und dies heißt beim italienischen Innenminister, dass er sein Image als starker, durchsetzungsfähiger Mann auch für die kommenden Wahlen verteidigen muss. Quasi: An mir kommt keiner vorbei, schon gar nicht eine deutsche Frau. Natürlich geht es bei der Sache um die Migrationspolitik der EU insgesamt, die man derzeit wohl als mindestens bruchstückhaft, wenn nicht als gescheitert bezeichnen muss. Hier hat übrigens Deutschland unter Merkel viele Jahre lang bequem die Augen verschlossen und Italien als „erstem Ankunfts-
HALLO ZUSAMMEN
Doppelspitze mit Nasenring
land“ von Flüchtlingen die kaum zu bewältigende alleinige Verantwortung („Dublin-Abkommen“) aufgebürdet. Die italienische Insel Lampedusa war deshalb bereits vor vielen Jahren völlig überfordert, ohne dass Deutschland oder auch andere EU-Länder geholfen hätten. Der deutsche Protest nach der Verhaftung von Carola Rackete spielte dem rechten Wahlkämpfer sogar in die Karten. Man könnte glatt sagen: Damit schließen sich die Reihen hinter ihm, die bereits etwas brüchig geworden waren, weil eben Matteo Salvini seine zentralen Wahlversprechen nicht in die Tat umsetzen konnte, nämlich die Flüchtlinge von Italien fern zu halten und die EU mal eben in die Knie zu zwingen. Große Würfe waren ihm da nicht gelungen, deshalb jetzt das kleine Karo, schwer aufgeplustert.
Erst hat er die Seawatch-Kapitänin Carola Rackete in verschiedener Art als Kriminelle sowie als reiche und deutsche Göre (ein Synonym für ganz Deutschland) beschimpft. Prima für ihn, dass der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte: „Italien (...) ist Gründungsstaat der Europäischen Union. Und deshalb dürfen wir von einem Land wie Italien erwarten, dass man mit einem solchen Fall anders umgeht.“ Das konnte also Salvini wunderbar dahin drehen, dass sich die Deutschen mal wieder als Moralapostel aufspielen – von denen man sich aber rein gar nichts sagen lassen werde. Klar obliegt es der demokratisch gewählten Regierung in Italien allein, wie sie ihre Migrationspolitik und ebenso ihre Grenzsicherung betreiben will. Das steht ihr zu. Dies zu verletzen war deshalb kein leicht zu
nehmender Akt von Carola Rackete, die wohl auch Häfen in anderen EU-Staaten hätte anlaufen können. Deshalb kann es sein, dass es sich auch um eine politische Aktion handelte. Aber gut, wenn Wellen hoch schlagen, kommt oft auch etwas zutage, von ganz tief unten. Nachdem ein italienisches Gericht entschied, Rackete auf freien Fuß zu setzen, sagte Salvini verärgert in einem Live-Video auf Facebook: „Ich bin angewidert. Der Platz dieses Fräuleins wäre an diesem Abend das Gefängnis gewesen. Ein Richter hat entschieden, dass es nicht so ist. Wie dem auch sei, wir werden diese Justiz verändern. Denn das ist kein Urteil, das Italien gut tut.“ Der rechte Salvini will also die Justiz unterwerfen. Er tagträumt von einer Diktatur seines Ego. Ist ja auch schwer in Mode.
Seit dem 1. Juli läuft nun also die Bewerbungsfrist für all jene in der SPD, die gerne den Vor- (manche sagen auch:) den Schleudersitz der Partei übernehmen wollen. In ihrer Not hat die SPD sich ja ausgedacht, dass dies nach grünem Muster am besten eine Doppelspitze sein soll. Dabei soll das Duo sich gleich von vornherein als solches bewerben, also nicht etwa wie es Gesine Schwan tat, die öffentlich kund tat, dass sie für eine Doppelspitze mit Kevin Kühnert bereit wäre, ohne dass eben dieser Kühnert erklärt hätte, dass er für ein Duo mit Schwan schwärmt. Die erste Doppelspitzen-Bewerbung kam dann von Michael Roth (Europa-Staatsminister) mit Christina Kampmann (ehemalige nordrhein-westfälische Familienministerin). Deren Begründung war, dass sie als frühere Standesbeamtin wisse, „in den richtigen Situationen Ja zu sagen“. Wobei: Kampmann sagte früher mal: „Ich bin mit Bullen aufgewachsen, die sind pflegeleicht, die muss man nicht melken.“ Sie möchte Bulle Roth am Nasenring durch die Manege ziehen. Michael Zäh