Meinung, Tipps & mehr für volle 14 Tage Samstag, 15. Februar 2020
Samstag, 15. Februar 2020
Samstag, 15. Februar 2020
Ausgabe 285 am 15. Februar 2020 Samstag, 15. Februar 2020
Bonds Soundtrack Reportage In London entsteht gerade der Soundtrack für den neuen James Bond Film. Ein Besuch bei den Musikern im legendären Air Studio, einer umgebauten Kirche. Seite 2
Samstag, 15. Februar 2020
Von Liebe und Hass
Glatzen-Streich
Leben
MP-Wahl in Thüringen
Shakespeares „Romeo und Julia“ wird mit 100 Kindern, Jugendlichen sowie älteren Menschen von Jugend Pro Arte als Tanzaufführung auf die Bühne gebracht. Seite 7
Das abgesprochene Wahlverhalten von Kemmerichs FDP, Mohrings CDU und Höckes AfD zum Sturz von Bodo Ramelow lösten bundesweit Entsetzen, aber auch höhnische Genugtuung aus. Seite 10
Zeig her dein Gesicht! Winfried Kretschmann hat sich landesväterlich geäußert, als er sagte, dass in einer offenen Gesellschaft jeder sein Gesicht zeigen müsse. Das könnte man angesichts der Gesichtserkennung als angewandter Technik falsch verstehen. Von Michael Zäh
W
infried Kretschmann ist diversen Umfragen zufolge der beliebteste Politiker im Ländle. Dies mag an seinem oft sachlichen politischen Pragmatismus liegen. Nun hat der grüne Landesvater einen Satz gesagt, der bedenkenswert ist: „Ich finde, in einer offenen Gesellschaft muss jeder sein Gesicht zeigen!“ Schon gleich springt ins Auge, dass die Worte „offen“ und „muss“ sich nicht so recht vertragen wollen. Doch dazu später mehr. Zunächst zum Kontext: Es war „seine“ baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), die zuvor angekündigt hat, das Schulgesetz so zu ändern, dass eine Vollverschleierung an Schulen verboten ist. Nun ja, das könnte man noch von der lustigen Seite nehmen. Wenn es nämlich erlaubt wäre, das Gesicht völlig zu verschleiern, dann könnte ja auch kein Lehrer mehr kontrollieren, wer nun eigentlich die Klassenarbeit wirklich geschrieben hat. Denn hinter dem Vollschleier könnte das Kind ja ausgetauscht sein, quasi im Job-Sharing, weshalb dann vielleicht auch alle anderen Schüler aus der Klasse auf dieselbe Idee kämen und mit Masken jedweder Art dafür sorgen würden, dass die Eins in der Klassenarbeit steht. Weil da brauchst du gar nicht mehr abschreiben, wenn doch jeweils das passende Genie für Mathe, Deutsch oder Physik sich trickreich unter der Vollverschleierung verbirgt. Doch Spaß beiseite. Der eilige Vorstoß von Susanne Eisenmann (der übrigens zuvor nicht mit dem „Chef“ Kretschmann abgesprochen gewesen sein soll) war eine schnelle
HALLO ZUSAMMEN
Amerikanischer Klinsi-Abschied
Reaktion auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Hamburg, das einer 16jährigen Berufsschülerin darin Recht gab, dass sie auch im Unterricht ihr Gesicht verhüllen darf. Die Schülerin dürfe sich nämlich auf die „vorbehaltlos geschützte Glaubensfreiheit“ berufen - also solange das (hamburgische) Schulgesetz diese nicht explizit einschränkt. Das will die Stadt Hamburg nun nachholen. Schleswig-Holsteins Regierung hat ebenfalls vorsorglich ein Vollverschleierungsverbot beschlossen, wie es Eisenmann und Kretschmann in Baden-Württemberg nun auch tun wollen. Bayern und Niedersachsen verbieten den Schleier schon seit 2017. Nun ist es aber so, dass auch Kretschmann einräumte, dass ihm in ganz Baden-Württemberg kein einziger Fall bekannt sei, wo das künftige Gesetz nötig gewesen wäre.
Das nennt man dann mit Kanonen auf Spatzen schießen. Es ist der Donner selbst, der dabei angestrebt wird, zum Beispiel um politisches Kapital daraus zu schlagen. Man geht wohl nicht zu weit, wenn man sagt, dass Susanne Eisenmann als CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl sich Wählerstimmen davon verspricht, wenn sie sagt: „Auch die Religionsfreiheit hat ihre Grenzen.“ Na, das nennen wir mal energisch durchgegriffen, also in Anbetracht der Tatsache, dass der Fall im Ländle noch gar nie vorkam. Doch zurück zu Kretschmann und seiner Aussage, dass jeder sein Gesicht zeigen müsse. Dies könnte man angesichts Gesichtserkennung als angewandter Technik auch ganz anders verstehen. Denn die „offene“ Gesellschaft ist womöglich bald eine unfreie Gesellschaft, wenn das gezeigte Gesicht gescannt wird.
Dabei kommt der technische Vorgang als solcher oft auf dem Wege der „Nützlichkeit“ daher. Ist es nicht sogar toll, wenn du in den Supermarkt gehst, dein Gesicht gleich am Eingang gescannt wird und deine Lieblingsprodukte dir sofort angepriesen werden? Es soll bald auch Arztpraxen geben, wo du über Gesichtserkennung sofort erkannt und entsprechend schneller behandelt werden kannst. Und der Staat, na klar, scannt ja auch nur in deinem Sicherheitsinteresse, gell? Es ist naiv zu glauben, dass solche Techniken aufzuhalten sind. Die „offene Gesellschaft“ ist anfällig dafür. Und das betrifft so gut wie alle Bürger im Ländle (und anderswo), im Unterschied zum aufgeplusterten Einzelfall der Vollverschleierung in Hamburg. „Zeig her dein Gesicht“ birgt Gefahren.
Tja, diese Sache mit den überraschenden Rücktritten scheint in Mode zu kommen. Nach jenem von AKK in Sachen CDU gab es in Berlin gleich noch einen spektakulären weiteren Spontanrücktritt: Auch Jürgen „Klinsi“ Klinsmann wollte nicht mehr, nach viel Tamtam (von wegen „Big City Club“ und so) und rund 75 Millionen teuren Einkäufen der Hertha in der Winterpause. Der Mann aus Kalifornien hat gerade mal zehn Wochen als Trainer der Berliner absolviert, quasi als verlängerter Weltbürger-Arm von Investor Lars Windhorst, bevor er sich auf die ganz und gar amerikanische Art, also via Facebook, davon machte. Und noch mehr: Klinsmann schreibt darin von mangelndem Vertrauen und von fehlendem Zusammenhalt im Verein. Er erweckt somit den Anschein von tobenden Machtkämpfen im Hintergrund der Hertha, der er ja zunächst als Aufsichtsrat zur Seite gestellt worden war, bevor er auch das Traineramt übernahm. Totalschaden! Die Aufsicht über Berlin ist Klinsi auch los, ganz wie AKK jene über die CDU. Trotzige Zeiten! Michael Zäh