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Ausgabe 287 am AprilApril 2020 2020 Online-Ausgabe am4. 25. Samstag, 25. April 2020
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Wenn die Zeit drängt
Systemrelevante Spiele
Merkels Erklärung
Bundesliga und ihre Geister
Seit den ersten Lockerungen knirscht es immer mehr. Denn plötzlich sind Vergleiche da: Wieso dürfen die das, was wir nicht dürfen? Und Kanzlerin Merkel sprach von „Öffnungsdiskussionsorgien.“ Seite 2
Die Ministerpräsidenten Laschet und Söder haben sich beide dafür ausgesprochen, dass die Bundesliga ihre Geisterspiele machen könnte. Dafür bräuchte die Liga 20.000 Corona-Tests, was umstritten ist. Die Liga bringt ans Licht, dass Kapazitäten da sind. Seite 4
Quasi tröpfchenweise Anhand der Mundschutzpflicht wird deutlich, dass die Politiker viel Vertrauen verlieren. Sie spielen sich auf wie autoritäre Eltern von dazumal, halten aber keine klare Linie ein. Das machen wir Kinderlein nicht lange mit. Von Michael Zäh
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etzt aber. Es gibt ja das gute alte „Wer nicht hören kann, muss fühlen.“ Das war so gemeint: Erst sage ich dem Kind, was es zu tun hat, und wenn es darauf nicht hört, dann gibt es Schläge. Sprich: autoritäres Erziehungsprinzip. Und natürlich sagen uns Eltern oder Großeltern von früher: „Hat doch wohl keinem geschadet!“ Winfried Kretschmann ist ja auch schon etwas älter, aber bisher wussten wir nicht, dass er deshalb Anhänger autoritärer Pädagogik von früher ist. Nun ja, außer dass die Grünen immer ein bisschen dazu neigen, das Volk erziehen zu wollen, siehe Veggi Day und so, und es zum grünen Aberglauben zu gehören scheint, dass Deutschland mit Schärfe erzogen werden müsse. Nur zum Besten aller natürlich. Nun hat Kretschmann also auch für Baden-Württemberg die Pflicht zum Tragen einer ordinären Mund-Nasen-Maske ab Montag, 27. April in bestimmten Situationen eingeführt. Okay, das machen viele Länder, wahrscheinlich am Ende alle. Aber Kretschmann hat dafür als Begründung gesagt: Man habe festgestellt, dass sich zu wenige Menschen an die an die bislang geltende „dringende Empfehlung“ zum Tragen von Masken halten. Genausogut hätte er sagen können: Das dusselige Volk hat nicht gehört, und nun muss es halt den harten Stoff der staatlichen Verpflichtung fühlen. Ja, sind wir denn wieder in den Kinderstuben gelandet? Das Thema der Masken ist auch ganz generell dazu geeignet, sehr viel Vertrauen in die handelnden Personen der Politik zu verlieren. Denn dieses Thema führt vor, dass den Bürgern die Wahrheit nur in
HALLO ZUSAMMEN
Sagen Sie es gerne weiter!
Häppchen, quasi tröpfchenweise präsentiert wird. Zuerst hieß es, dass das Tragen der einfachen Masken nix bringt, sondern kontraproduktiv sein könnte, wahrscheinlich weil es einen riesigen Maskenmangel gab und die Regierung dies „heimlich“ höher bewertete als den sachlichen Nutzen, den Masken durchaus doch bringen könnten. Also: Die Bürger nicht völlig transparent informiert, sondern für Dummerchen verkauft. Na ja, immerhin sah das im Gesicht noch nicht so blöd aus. Inzwischen ist klar, dass die einfachen Masken zwar keinesfalls vor einer Ansteckung schützen, aber umgekehrt die Infizierten (die das ja oft nicht wissen) ihre Mitmenschen vor einer Übertragung des Virus durch die Tröpfchenübertragung bewahren. Sprich: Niesen, Husten, aber auch Sprechen verbreitet durch die Masken nicht so schnell jedwede
Tröpfchen in der Luft. Und das ist immerhin nicht nichts. Wie immer macht es am Ende die Summe: Wenn nahezu alle Leute ihre (meist selbstgenähten) Masken tragen, dann hat dies statistisch durchaus eine Relevanz, weil jede dadurch verhinderte Ansteckung natürlich wieder weitere Ansteckungen verhindert. Damit aus Tröpfchen kein Tröpfchensturm wird. Warum aber wurde das nicht von Anfang an klar kommuniziert? Gibt es vielleicht doch neue wissenschaftliche Erkenntnisse, dass das Corona-Virus nicht nur bei Husten und Schniefen in groben Tropfen, sondern auch beim ganz normalen Sprechen, sozusagen wie Feinstaub (ja, das war vor Corona auch mal ein Thema, sprich: Lungenschutz) das jeweilige Gegenüber befallen kann? Keiner der Politiker sagt dies klar. Dabei wäre doch jede
Form der Aufklärung besser als die besserwisserische „Wer nicht hören kann“-Variante. Auffällig und somit auch sehr unglaubwürdig wird gerade beim Thema Masken, dass heute nicht mehr gilt, was gestern Sachstand war. Da dürfen sich Kretschmann und Co. nicht wundern, wenn ihnen Aktionismus vorgeworfen wird, der anstelle einer langfristigen Strategie gerückt ist. Angeblich soll ja die Maskenpficht laut Kretschmann so lange bestehen bleiben, bis ein Impfstoff gegen das Corona-Virus zur Verfügung steht. Okay, nur mal so gefragt: Heißt das, dass die Gastronomie nur mit Mundschutz öffnen kann, was ein bisschen hinderlich beim Essen und Trinken sein könnte? Man ahnt da doch schon, dass vieles nicht mit Bedacht geschieht.
Liebe Leserinnen und Leser, wer Lust und Zeit hat, findet auf unserer Homepage unter www.zas-freiburg.de nun JEDEN SAMSTAG ein paar aktuelle Essays und News wie heute die folgenden Seiten. Diese Texte sind für Sie also immer am Samstag nur einen Klick weit entfernt, und zwar ebenso frisch geschrieben und meinungsstark wie sonst auch immer, selbstverständlich ohne Bezahlschranke und so, also gratis. Sagen Sie das gerne weiter, denn je mehr Leser in unseren Online-Ausgaben schmökern, desto mehr Seiten wollen wir online anbieten. Am 9. Mai werden wir Ihnen dann auch wieder die gedruckte ZaS anbieten, möglicherweise also an jenem Samstag, an dem es auch wieder Spiele in der Fußball-Bundesliga geben soll, vor einer Geisterkulisse. Es sieht so aus, als ob wir alle noch weit von dem entfernt sind, was wir noch vor wenigen Wochen für selbstverständlich hielten. Nix da mit Fußball-Taumel unter Freunden, nix da mit freudigen Umarmungen. Aber gut, es kann auch eine Chance darin sein, dass alles neu und anders sein wird. Michael Zäh
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Ausgabe 287 am 4. Samstag, 25. April 2020
Wenn die Zeit reif ist, drängt die Zeit Öffnungsdiskussionsorgien. Nach den ersten zaghaften Lockerungen von Bund und Ländern knirscht es immer lauter. Denn seither sind plötzlich die Vergleiche da: Warum dürfen wir nicht, was andere dürfen? Angela Merkel will „Kritik und Widerspruch“. Von Michael Zäh
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er Faktor Zeit ist in vielerlei Hinsicht ungleich. Es kann um die Zeit gehen, die Geld sei, oder um die Zeit, die verschwendet wird. Es kann um Lebenszeit gehen. Und „mit der Zeit“ zeigt sich manches, das anfangs noch verborgen blieb. Manche meinen ja, dass die Zeit alle Wunden heile. Das könnte man auch zynisch verstehen. Andere sagen, dass sich der Mensch an alles gewöhnt, also wenn es nur lang genug so ist, wie es ist. Und es kann ja stimmen, dass es eine Zeit vor Corona sowie eine Zeit nach Corona gegeben haben wird. Im Hier und heute geht es aber um die Zeit mit Corona. Hier heilen die Wunden nicht, sondern werden Tag für Tag größer: In der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Kultur, im Sport, ja überhaupt in allem, was Menschen in dieser Corona-Zeit durchmachen. Der Schaden, der momentan für viele Menschen angerichtet wird, häuft sich ins Unermessliche. Und das wird mit der Zeit nicht besser werden, sondern immer schwerer zu ertragen.
Die Zeit drängt. Das tut sie ja immer, aber derzeit umso mehr. Denn die Menschen in Deutschland (auch in Europa und der Welt) werden sich nicht daran gewöhnen können, dass sie eingesperrt werden. Nicht auf unbestimmte Zeit. Und wenn alles von der Verbreitung des Corona-Virus abhängt, ist die Zeit eben unbestimmt. Die Menschen werden es mit jedem Tag, den es länger andauert, umso weniger akzeptieren können, dass sie sich nicht mit Verwandten, Freunden, auch in größeren Gruppen treffen dürfen. Denn zum Menschsein gehört es dazu, unter Menschen zu sein. Ja sogar, auch wenn dies heute wie ein aussätziger Satz klingt, gehört zum Menschsein dazu, dass sich Menschen umarmen, zusammen tanzen und schunkeln. Körperliche Kontakte, um es krass zu sagen, fördern ja nunmal den Fortbestand der Menschheit. Es mag sein, dass es derzeit nicht die Zeit ist, dies zu erwähnen. So hat Angela Merkel am 23. April in ihrer Regierungserklärung zwar erneut um größtmögliche Geduld gebeten, aber
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wieder öffnen durfte? Es heißt ja, dass es kreative Bemühungen in Kneipen und Restaurants gibt, um dann alle Leute hinter Plexiglas-Scheiben quasi in durchsichtige Separees zu schicken. (Man wäre ja neugierig, welche Orgien sich dahinter abhalten ließen, also das, was man früher Unterhaltung nannte.) Es gibt noch viele Bereiche, die man sozusagen „umgedeutet“ hat: Kontaktsperren für Jugendliche sind
eigentlich eine Zumutung, aber wegen Corona sind es nun die Jugendlichen, die angeblich die Zumutung für die Gesellschaft darstellen, weil sie sich gerne treffen wollen. Vereinsamte Menschen sind derzeit völlig isoliert, viele sehr alte Menschen sterben in Pflegeheimen ohne den Beistand und die Anwesenheit ihrer Nächsten. Ja und Millionen Menschen fürchten um ihren Job und ihre Existenzgrundlage.
Das alles geht nicht lange gut. Selbst wenn das Miteinander und auch die Einsicht in der Gesellschaft noch groß sind – wer bestimmt nach welchen Kriterien, was wo erlaubt ist? Und wie lange soll das noch dauern? Diese Fragen werden drängender, weil sie nicht dadurch schon beantwortet sind, dass die Corona-Pandemie es bestimme. Kanzlerin Merkel fand die Lockerungen in manchen Bundesländern „zu forsch“. Sie befürchtet, dass dadurch die bisherigen Erfolge im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus in Deutschland schnell zunichte gemacht werden könnten. Das kauft man ihr auch ab. Doch ihr Credo, dass „Kritik und Widerspruch nicht nur erlaubt“ seien, „sondern eingefordert und angehört werden“ sollen, umfasst eben auch andere Fragen als jene der Verbreitung des Virus. Es ist somit höchste Zeit, dass eine grundsätzliche Entscheidung kommt. Und diese Entscheidung betrifft die Zeit und was man daraus machen will. Denn es zeichnen sich zwei Varianten ab, im Kampf gegen Corona. Entweder jetzt, noch am Anfang der Pandemie länger strikte Regeln einhalten, um danach wieder voll öffnen zu können (was dann aber zeitlich klar benannt werden müsste, um es gesellschaftlich möglich zu machen), oder in ständigen Wellen zwischen Lockerungen und Lockdowns zu leben, die sich nach der jeweiligen Corona-Verbreitung richten würden. Die Zeit ist vielleicht reif für eine breite Diskussion darüber. Denn es hat sich ja schon oft gezeigt, dass eine unter den Teppich gekehrte Realität, die nicht offen diskutiert wird, dann später unschöne Früchte trägt. Weder Merkel noch wir alle können die Zeit auf „vor Corona“ zurück drehen. Die Frage ist also, was wir „mit Corona“ beschließen.
Illustrationen: Viktor Lukanow
auch gesagt: „Diese Pandemie ist eine demokratische Zumutung.“ Und eine solche Situation sei „nur akzeptabel und erträglich, wenn die Gründe für die Einschränkungen transparent und nachvollziehbar sind, wenn Kritik und Widerspruch nicht nur erlaubt, sondern eingefordert und angehört werden, wechselseitig“. Okay, das war keine Botschaft an die Ministerpräsidenten des Landes, denen Kanzlerin Merkel tags zuvor ja noch „Öffnungsdiskussionsorgien“ vorgeworfen hat (wobei man gerne wüsste, ob für Merkel die Orgien schon dort beginnen, wo andere sich nur mal gerne die Speisekarte bringen lassen würden). Nein, Merkel meinte wohl das Volk, und zwar „im Großen und Ganzen.“ Tja, und tatsächlich knirscht es immer lauter, seit erste eher zaghafte Lockerungen von Bund und Ländern eingeführt wurden. Denn seither sind plötzlich Vergleiche da. Und die Frage: Warum dürfen wir nicht, was andere dürfen? Warum dürfen Gläubige wegen der Corona-Krise nicht in die Kirche, aber nebenan die Leute am Baumarkt anstehen? Ist nunmal keine unberechtigte Frage, da man bei einem durchschnittlichen Gottesdienst in einer gottgewollt groß gebauten Kirche das Abstandsgebot leichter umsetzen kann als dies beim Friseur um die Ecke möglich ist. Heißt dies dann, dass Frisur systemrelevant ist, der Gottesglaube aber nicht? Und wieso durfte der Laden mit bis zu 800-Quadratmeter wieder öffnen, aber der mit 801 Quadratmetern bleibt dicht? Ist es wirklich gerechtfertigt, dass Kitas noch Monate geschlossen bleiben sollen, während ältere Kinder in die Schule zurückkehren dürfen? Stimmt es wirklich, dass die Gastronomie potenziell ansteckender ist als der Blumenladen, der (zum Glück!)
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SPORT
FUSSBALL
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Fotos: Witters
Viel Abstand halten: Dortmunds Boss Watzke hat sich wie auch Bayerns Chef Rummenigge schon mal artig bei den Politikern Laschet und Söder bedankt
Systemrelevante Spiele? Fußball. Die DFL hat ein Konzept vorgelegt, wie die restlichen Spiele in den Profiligen durchgeführt werden könnten. Es bräuchte dafür unter anderm 20.000 Corona-Tests bis Saisonende. Die Ministerpräsidenten Laschet und Söder sind dafür. Von Michael Zäh
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s geht im Fußball ja oft und gerne um Spielsysteme. Wer ist hier der größte Trainerfuchs, der während des Spiels vom 4-4-2 auf ein 4-3-2-1 oder gar 3-5-2-Taktikdings umstellen kann? Nun ja, derzeit ist die Frage nach dem System etwas diffizil. Denn sie lautet nun eher, ob der Profifußball für die Gesellschaft insgesamt so relevant ist, dass für ihn 20.000 Tests zur Verfügung gestellt werden können, damit der Spielbetrieb wieder aufgenommen und vor allem auch zu Ende gebracht werden könnte. Sind die Fußballspiele also systemrelevant? Na ja, da wäre die erste Frage natürlich, um welches System es denn gehen soll. Wenn sich etwa die Ministerpräsidenten Laschet aus Nordrhein Westfalen und Söder aus Bayern „gemeinsam“ und exklusiv bei „Bild-TV“ dafür aussprachen, dass es Geisterspiele in der Bundesliga schon ab 9. Mai geben könne (und dafür zufällig im selben Bild-Medium dann auch Dank und Zustimmung von Bayerns Rummenigge sowie von Dortmunds Watzke erhalten), dann scheint der wahre Zweikampf in der Politik ausgetragen zu werden. Wobei das Kopf-an-Kopf-Rennen von Laschet und Söder (wo bleibt da eigentlich der gebotene Abstand?) noch von einem dritten Krösus gestört werden kann: Innenminister Seehofer hat
für eine solche Terminierung noch kein grünes Licht gegeben. Da sieht es sogar eher duster aus. Jenseits dieses politischen Spielfeldes dreht sich die eigentliche Frage aber darum, was die Gesellschaft und der Profifußball (denn von Spielen auf den tatsächlich eher systemrelevanten Amateurplätzen und vor allem dem Jugendfußball war ja bisher nicht die Rede) miteinander ausmachen können. Soll es in den Corona-Zeiten so sein, dass der Profifußball mit einem von ihm ausgearbeiteten Konzept
über die Runde kommen kann? Ja, ist es vielleicht sogar ein bisschen Zerstreuung fürs Fußballvolk, wenn man ab 9. Mai wenigstens vor der Glotze seinem Verein frönen darf? Der Hintergrund für die Vereine ist klar. Man hat errechnet, dass sich Einnahmeverluste auf bis zu 750 Millionen Euro belaufen könnten, wenn die ausstehenden Spieltage gar nicht mehr absolviert werden könnten. Heißt natürlich, dass einige Klubs dies gar nicht überleben würden. Es wird verlautbart, dass 13 von den 36 Vereinen
Krisen-Zeit: Die Bundesliga will am 9. Mai wieder starten
der Ersten und Zweiten Liga dann direkt vor der Insolvenz stünden. Etliche Vereine haben die TV-Gelder bereits verpfändet, um nicht sofort pleite zu sein. Also wehe, wenn diese bereits im Voraus verplanten Gelder gar nicht kommen, weil nicht mehr gespielt wird. Doch dieses rein wirtschaftliche Argument wird für die gesellschaftliche Akzeptanz nicht entscheidend sein. Denn erstens geht es in der Gesellschaft hundertausenden Betrieben und Millionen Menschen so, dass die Corona-Pandemie ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet. Und zweitens ist es die gravierende Einschränkung der Grundrechte, sprich: Kontakverbote, die da einem Stresstest unterzogen würden, wenn lustig Fußballprofis Kontaktsport inklusive tausender Tröpfchen im TV vorführen. Eine Abstandsregel wird es auf dem Platz nicht geben. Wenn Spieler sich nach einem Tor in großer Traube umarmen, könnte man das gesellschaftlich als eine Art Sehnsuchtsort verstehen („Oh ja, das will ich auch wieder!“) Wenn Spieler aber nach einem Tor demonstrativ auf Abstand zueinander jubeln, dann wäre dies angesichts zuvor geführter Zweikämpfe geradezu eine Veräppelung der Zuschauer. Es gibt konkrete Vorschläge der Task Force der DFL: Bei möglichen Geisterspielen sollen maximal ca. 300 Personen im Stadion anwesend sein. Das Papier enthält demnach
auch Informationen zur „häuslichen privaten Hygiene“ und weist auf die Vorbildfunktion der Spieler und Verantwortlichen bezüglich der Hygiene- und Isolationsmaßnahmen hin. Also privat mal keine Party. Geisterspiele in der Bundesliga können nur dann stattfinden, wenn die Spieler, Trainer und Mitglieder der Funktionsteams umfangreich auf Corona getestet werden. Hier plant die DFL, solche Tests alle drei Tage durchzuführen. Heißt: bis zum Saisonende würden rund 20.000 Tests fällig. Dabei weist die DFL darauf hin, dass es an den Fakten vorbei gehe, wenn behauptet würde, dass diese 20.000 Test der Bevölkerung entzogen würden. Und das stimmt derzeit auch. Der Verband der „Akkreditierten Labore in der Medizin“ (ALM) bestätigte, dass von den Kapazitäten zwischen 550.000 und 640.000 Tests pro Woche zuletzt nur 260.000 Tests abgerufen wurden. Sprich: Für die 20.000 Tests, die die DFL bis Saisonende ordern würde, wäre reichlich Kapazität vorhanden, ohne jemand etwas weg zu nehmen. Aber klar: Dies gilt nur, solande es so ist, wie es jetzt ist. Und wenn nun derzeit oft Pflegekräfte, Lehrer und etliche andere nun wirklich systemrelevante Personen keinen Test bekommen, obwohl doch die Kapazitäten offenbar da wären, stellt man sich die Frage, warum das so ist. Dafür kann der Fußball jedenfalls nix. Er deckt es nur auf!
Corona-Tagebuch | 18. April 2020
Krise, Krieg, Katastrophe Die Begriffe, die in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gerne verwendet werden, offenbaren schon die Unsicherheit. Da ist eine Unschärfe, die davon abhalten soll, das wahre Ausmaß der Katastrophe ins Auge zu fassen. Von Michael Zäh
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as Wort „Krise“ impliziert, dass es vorbei gehen könnte. Man spürt dem Wort an, dass eine Dringlichkeit darin liegt, und dass es Unsicherheit darüber gibt, wie der richtige Weg aus der Krise denn aussehen soll. Denn im Grunde ist die „Krise“ erst im Rückblick als eine solche zu bezeichnen, wenn es nämlich einen Ausweg gab. Wenn es keinen gab, wurde die Krise nicht überwunden sondern endete in einer „Katastrophe“. Insofern ist es interessant, dass man von der Corona-Pandemie als der „Corona-Krise“ spricht. Denn das Wort ist einerseits geeignet, Hoffnung zu machen, eben darauf, dass es vorbei gehen wird. Doch es offenbart sich darin auch jedwede Unsicherheit, weil „Corona-Krise“ sehr unbestimmt bleibt. Was meint der Begriff eigentlich? Meint er die gesundheitliche Krise der einzelnen Menschen, die von dem Virus schwer krank wurden? Meint er die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Folgen, die nicht direkt durch das Corona-Virus entstehen, sondern durch die Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden (müssen)? Oder meint er alles gleichermaßen? In seiner Unschärfe scheint der Begriff der „Corona-Krise“ alle zu vereinen. Quasi: Zusammenhalt zur Überwindung der Krise. Doch die Krux an der Geschichte ist, dass ein unscharfer Begriff keine scharfen Einblicke bringt. Da ist das Los desjenigen, der sich jahrzehntelang etwas aufgebaut hat (sei es eine Kneipe oder sonst was) und nun vielleicht alles verliert, weil der Staat ihm die Bude zuschließt. Und da ist derjenige, dessen Leben noch gerettet werden konnte, weil es noch ein Bett mit Beatmungsgerät für ihn gab, und zwar eben weil der Staat durch herbe Einschnitte in das Recht des Einzelnen dafür gesorgt hat, dass die Ausbreitung des Virus so verlangsamt wurde, dass das Gesundheitssystem in Deutschland (bisher) nicht zusammen brach. Dies alles und millionenfach noch weitere persönliche Umstände sind derzeit unter dem Begriff der „Corona-Krise“ miteinander verbunden. Wenn man denn „Krise“ als einen entscheidenden Wendepunkt versteht, der dann zum Besseren
führt, dann geht es eine Weile gut, möglichst viele in der Gesellschaft darunter zu versammeln, weil na klar: die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn aber später unzählige wirtschaftliche, existenzielle oder psychische Krisen nicht mehr überwunden werden konnten, sondern zu lauter persönlichen Katastrophen führten, wird der Sammelbegriff „Corona-Krise“ schlicht und einfach millionenfach auseinander fallen. Zwischenzeitlich wurde ja auch der Begriff „Krieg“ gebraucht, von Macron in Frankreich und Trump in den USA, in dem man sich gegen das Virus befinde. Was soll uns das sagen? Da man ein Virus nicht erschießen, nicht wegsprengen und auch nicht einschüchtern kann (von wegen psychologische Kriegsführung), bleibt eigentlich nur der dem Begriff „Krieg“ implizite Gedanke der „Mobilisierung“ übrig. Dies wiederum ist aber nur eine Steigerung der Unschärfe, die schon im Begriff „Krise“ steckt. Wenn im „Krieg“ gegen das Corona-Virus alle Kräfte (also Leute) mobilisiert werden sollen, dann soll das ebenfalls auf den Zusammenhalt abzielen. Da werden aber natürlich persönliche Unterschiede der jeweils Betroffenen weggewischt, in diesem Falle ist sogar der Begriff des „Opfers“ mit integriert, welche im Krieg ja Einzelne zu erbringen haben. Wenn Begriffe wie „Krise“ und „Krieg“ einen Zusammenhalt in der Gesellschaft herstellen sollen, der aber nur oberflächlich eine Weile lang funktionieren kann, dann sind es andere, negierende Begriffe, die noch deutlicher werden. So sagte etwa Markus Söder kürzlich, dass es sich beim Corona-Virus NICHT um ein Gewitter handele. Damit nahm er der „Krise“ das Optimistische, dass es bald vorbei sein könnte. Noch krasser war hier die Wortschöpfung von Österreichs Kurz, sowie Scholz und Spahn, die sagten, dass man sich an eine „neue Normalität“ gewöhnen müsse. Fast so, als sei der Begriff ansteckend. Sprich: Tschüss Freiheit. Das hört sich schwer nach Katastrophe an.
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POLITIK
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Ausgabe 287 am 4. Samstag, 25. April 2020
Donald Trump findet sich always great Amerika und die Corona-Katastrophe. Obwohl der US-Präsident nachweislich die Gefahr durch das Corona-Virus lange leugnete, wollte er sich mit „allumfassender Macht“ zum alleinigen Entscheider darüber machen, wann Lockerungen für die Wirtschaft kommen. Von Michael Zäh
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onald Trump zeigt ja eigentlich immer sein wahres Gesicht. Man kann ihm daher nicht anlasten, dass er ein echt raffinierter Lügner sei. Jede noch so bescheidene Dumpfbacke erkennt, dass es Trump stets um ihn selbst und seine von ihm postulierte Großartigkeit geht. Er ist also insofern ehrlich. Man weiß, was man an ihm hat. „Wir haben es völlig unter Kontrolle. Es ist nur eine Person, die aus China kommt, und wir haben es unter Kontrolle. Es wird alles gut werden“, sagte Trump am 22. Januar in einem CNBC-Interview, nachdem am Vortag der erste Fall einer Corona-Infektion in den USA bekannt geworden war. Am 30. Januar dann, als die WHO die Ausbreitung des Virus zur „gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite“ erklärte, sagte Trump: „Wir haben in diesem Land im Moment ein
sehr kleines Problem - fünf. Und alle diese Menschen erholen sich erfolgreich.“ Am 10. Februar sagte Trump: „Sie wissen, dass es im April angeblich mit dem heißeren Wetter stirbt. Und das ist ein wunderbares Datum, auf das man sich freuen kann.“ Am 26. Februar hieß es von Trump: „Bei uns geht es ganz erheblich nach unten, nicht nach oben. Es ist in etwa wie die normale Grippe, gegen die wir Impfungen haben. Und im Prinzip werden wir dafür ziemlich schnell eine Grippeimpfung bekommen.“ Am 9. März twitterte Trump: „Die Fake-News-Medien und ihre Partner, die Demokratische Partei, tun alles in ihrer halbwegs beachtlichen Macht (früher war sie größer!), um die Corona-Lage stärker anzuheizen, als die Fakten es hergeben.“
Stand 17. April gibt es in den USA knapp 672.000 Infizierte und 33.288 Tote, stündlich wachsend. Heutzutage sind ja all die früheren Sprüche des US-Präsidenten in Ton, Bild und Twitter gespeichert. Doch jetzt kommt das Erstaunliche: Trump schert es nicht, dass mit all diesen digital gespeicherten Aussagen von ihm selbst ja auch schon bewiesen ist, dass er das Corona-Virus lange Zeit verharmlost hat. Er setzt offenbar darauf, dass in der schnellebigen Welt der sozialen Netzwerke kein Mensch mehr die Aufnahmen von gestern (gefühlt: vor einer Ewigkeit) anschaut. Kürzlich hat nun die „New York Times“ detailliert nachgezeichnet, wie Trump es in den wohl entscheidenden Wochen zwischen Ende Januar und Mitte März versäumt hatte, die USA auf die Corona-Krise vorzubereiten.
Während einige seiner Berater und die Gesundheitsexperten in der Regierung schon früh vor einer Pandemie gewarnt hatten, hatte Trump es versäumt, Ausgangssperren, Schulschließungen und andere Maßnahmen abzusegnen, um die Ausbreitung des Virus möglichst zu verlangsamen. Trump sprach - wie immer - von „Fake News“ und sagte gleich dazu, dass auch die „New York Times“ selbst, quasi als ganze Zeitung eine einzige Fake-News sei. Dummerweise hat dann aber ein Mann dem Präsidenten indirekt widersprochen, den das Magazin „The New Yorker“ erst kürzlich zum „vertrauenswürdigsten Mann Amerikas“ gekürt hat: Der Immunologe Anthony Fauci, 79 Jahre alt, der bereits sechs US-Präsidenten als oberster Berater zur Seite stand. Bei Trump ist dies in letzter Zeit ziemlich buchstäblich zu verstehen
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nicht durch Studien belegt, die nämlich allenfalls eine „anekdotische Evidenz“ hätten (ein kleiner Seitenhieb nach Marseille, wo Frankreichs führender Seuchenbekämpfer eine Mini-Studie mit 26 (!) Teilnehmern machte). Die Belege, sagte Fauci nun dem Millionen-Publikum, reichten nicht für eine Empfehlung. So ging das schon seit einer Weile zwischen Trump und Fauci, der dabei stets betonte, dass er sich nicht gegen den Präsidenten aufspielen will. Nun aber hat Fauci in einem Interview mit CNN (auf den New-York-Times-Artikel angesprochen), bestätigt, dass wohl weniger Amerikaner gestorben wären, wenn man das Land früher dicht gemacht hätte. Prompt ließ Trump in einem Tweet durchblicken, dass er Fauci feuern will. Es ist so: Jeden Morgen steht Trump auf, schaut in den
Spiegel und sagt sich: „Make Trump great again!“ Und als er es gemerkt hat, dass seine Verharmlosung des Corona-Virus ihm noch schaden könnte, hat er schamlos die verbale Kehrtwende gemacht: „Ich habe immer gewusst, dass das eine Pandemie ist. Ich hatte das Gefühl, dass es eine Pandemie ist, lange bevor es als Pandemie bezeichnet wurde.“ Oder, na klar, einen Schuldigen benannt: „Die WHO hat es wirklich vermasselt.“ Der Organisation mit Sitz in Genf fror er die US-Zahlungen ein. Besonder dreist ist der Gegensatz späterer Äußerungen zu den früheren: „Wenn wir es so eindämmen können, dass wir zwischen 100.000 und 200.000 Tote haben, dann haben wir alle zusammen einen guten Job gemacht“, so Trump im April.
Es könnte sein, dass sich in den USA ein Drama abspielt, wie es bisher kaum vorstellbar war. Nämlich dass Trump trotz täglich steigender Todeszahlen (die ja längst die höchsten in der Welt sind) den Lockdown öffnen will, weil er um seine Wiederwahl fürchtet, wenn es der Wirtschaft schlecht geht. Trump meint, dass er allein über die Lockerung der Corona-Auflagen entscheiden kann. „Wenn jemand Präsident der Vereinigten Staaten ist, ist die Macht allumfassend“, so Trump in geradezu verräterischer Offenheit. Gouverneure aus den einzelnen US-Staaten wiesen das umgehend mit der Argumentation zurück, die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit liege gemäß dem föderalen System der USA bei ihnen. Das wiederum ist prima für Trump: Geht es schief, dann sind die Gouverneure schuld.
Layout: Viktor Lukanow
gewesen: In den täglichen Presseauftritten von Trump steht Fauci seitlich hinter Trump, während dieser von Dingen prahlt, die er nicht versteht. Wie etwa am 5. April, als er vor Millionen Zuschauern die Einnahme eines Malaria-Mittels anpries. „Take it“ und „Try it“ rief Trump der Nation zu. Er hatte davon schon am 6. März in einer Rede in Atlanta geschwärmt: „Ich mag dieses Zeug. Ich verstehe es wirklich. Die Leute sind überrascht, dass ich es verstehe. Jeder dieser Ärzte sagte: ‚Woher wissen Sie so viel darüber?‘ Vielleicht bin ich ein Naturtalent.“ Noch Fragen? Doch dann kommt Anthony Fauci als Fachmann zu Wort, der somit von seitlich hinter Trump ganz nach vorne gebeten wird. Und der sagte in diesem Fall: Die Wirksamkeit des soeben vom Präsidenten angepriesenen Mittels sei
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POLITIK
DEUTSCHLAND
Corona-Tagebuch | 18. April 2020
Knurrender Kretschmann und bremsender Söder Videoschalte der Ministerpräsidenten: Die ersten Schritte zur Lockerung der Einschränkungen im öffentlichen Leben sind eher zaghaft ausgefallen. Armin Laschet hatte sich da eher mehr vorgestellt, Markus Söder sogar noch weniger. Das ist ja auch okay. Von Michael Zäh
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enn Winfried Kretschmann eine blöde Frage gestellt bekommt, kann er ziemlich patzig sein. So war es bei der ARD-Sendung „Corona Extra“ zu sehen, als die Moderatorin beim Ministerpräsidenten Baden-Württembergs nachfragte: Wer der nun eigentlich alles eine Notbetreuung in Kitas und Schulen in Anspruch nehmen könne? Dabei verwies die Moderatorin auf ein zuvor gezeigtes Filmchen, wo ARD-like mal wieder tränenreich eine Familie gezeigt wurde, der Mann Schreiner, die Frau Designerin, alle zu Hause, weil die Kinder ja nirgends hin können. „Ich verstehe Ihre Frage nicht“, hat der Kretschmann der Moderaorin wohl noch eine Chance geben wollen. Als diese weiter so tat, als müsse der exemplarisch gezeigten jungen Familie nun doch wohl eine Notbetreuung zustehen, da hat es dem Kretschmann gereicht: „Die Notbetreuung ist für Kinder von Eltern vorgesehen, die das Land nun drigend braucht, wie Ärzte, Polizisten und Pfleger. Dass sich auch andere Menschen in Not wähnen, hat damit nichts zu tun. Natürlich ist diese Not auch da. Aber dafür haben wir die Notbetreuung nicht geschaffen. Wenn nämlich alle jetzt ihre Kinder in die Notbetreung schicken könnten, dann hätten wir die Kitas und die Schulen ja gar nicht erst schließen brauchen.“ Zuvor hatte es die Videoschalte der Bundeskanzlerin (plus ihrer Regierungsvertreter) mit den Ministerpräsidenten der Länder gegeben, bei der die nächsten Schritte bis 4. Mai beschlossen wurden. Es wurden kleine Schritte: Geschäfte bis 800 Quadratmeter Größe dürfen wieder öffnen, außerdem Buchläden, Fahrrad- und KfZ-Händler unabhängig von der Größe. Ab 4. Mai können auch Friseure wieder ran an die zwischenzeitlich wild wuchernden Haare. Auch Bibliotheken an Hochschulen dürfen wieder öffnen, alles natürlich unter Beachtung besonderer Abstandsvorschriften. Die Schulen sollen ebenfalls schrittweise wieder öffnen, aber erstmal nur für Schüler, die vor einer Prüfung stehen. Na ja, und dann sollen eben auch die Plätze für Notbetreuung in Kitas und Schulen ausgebaut werden. Schon im Vorfeld der Viedeoschalte der Regierung mit den 16 Minister-
präsidenten der Länder hat sich eine Art Zweikampf abgezeichnet, da Armin Laschet, dem Regierungschef Nordrhein-Westfalens in die Rolle des Lockerers geschlüpft ist, während Bayerns Markus Söder den Bremser gab. Wenn man sieht, was bis zum 4. Mai alles verboten bleibt, könnte man sagen, dass Söder sich durchgesetzt hat: Die bisherigen Kontaktbeschränkungen bleiben bestehen, Kneipen, Bars, Restaurants und Hotels müssen weiter geschlossen bleiben, Großveranstaltungen sind bis 31. August verboten. „Es freut mich, dass die vorsichtigere Linie – die auch die Bundeskanzlerin vertreten hat – sich durchsetzt“, sagte Söder. Als Ministerpräsident Bayerns wird er nicht stolz darauf sein, dass er weiterhin Biergärten verbietet und auch das Oktoberfest jetzt schon abgesagt hat. Sowas hat es in Bayern ja noch nie gegeben. Und Söder hat für seinen Kurs den sagenhaften Zustimmungswert von 94 Prozent aller Bayern. Es ist ja auch gut, dass es verschiedene Ansätze und Ansichten gibt. Der knurrende Kretschmann hat auch klar gemacht, dass diese CoronaSache zu ernst ist, um einen Kindergarten-Streit unter den Ministern vom Zaun zu brechen.
Corona-Tagebuch | 11. April 2020
Mal Zeit für ein Lob! Die Politik und vor allem die solidarische sowie disziplinierte Gesellschaft in Deutschland haben im internationalen Vergleich ziemlich gute Werte erreicht, vor allem was die Anzahl der Verstorbenen aufgrund des Corona-Virus angeht. Von Michael Zäh
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s ist mal Zeit für ein Lob. Jetzt natürlich die Frage: für wen und wofür? Sagen wir es umgekehrt: Nicht für Sebastian Kurz, den österreichischen Präsident, der sich permanent selber lobt, als sei er der Oberschlaui auf der Welt. Nein, kein Lob dafür, auch wenn Bayerns Markus Söder sich ständig auf Kurz bezieht (die Österreicher seien halt drei Wochen vor den Bayern), quasi Kniefall, weil über kurz oder lang in Bayern genau das gemacht würde, was zuvor im Versuchslabor nebenan erfolgreich probiert wurde. Doch die Bayern sind es nicht gewohnt, drei Wochen hinter dem Kurz und seinem Team Österreich hinterher zu hinken. Diesbezüglich bräuchte der Söder ja nur den Hoeneß fragen. Doch zurück zum Lob, für das auch mal Zeit sein muss. Der Kurz kriegt also keines und der Söder eher auch nicht. Der prescht ja schon wieder vor, von wegen der Mundschutzpflicht, die er kommen sieht (siehe Seite 6) und überhaupt, harter Hund und großer Macher, das gibt von uns Punktabzüge, keine Frage. Kanzlerin Merkel hat derweil eine ihrer Eigenschaften wieder neu entdeckt: das Pastorale in ihrer Ansprache. Ein Minuspünktchen in der Wertung, aber laut den üblichen Umfragen sind die Deutschen mit ihrer Dauer-Merkel schwer einverstanden. Einmal Raute, zweimal Raute in schwerer Zeit, und das ist besser als nix. Ja, gut ist es. Heute gibt es mal ein Lob. Allein schon für die faktischen Erfolge, die im internationalen Vergleich da sind. Zum Beispiel dass es in Deutschland und Frankreich jeweils ähnlich hohe Infektionszahlen gab, aber die Zahl der am Corona-Virus Verstorbenen in Deutschland bei 2.276 Menschen lag, in Frankreich jedoch bei 12.228 Menschen (Stand 9.April). Das ist ein gewaltiger Unterschied, der natürlich eine Vielzahl von Ursachen haben kann. Offensichtlich ist, dass die Sterberate in Deutschland eklatant niederiger ist als in den meisten anderen Ländern mit einer ähnlichen Anzahl von Infektionen. Dafür jetzt mal ein Lob! Dies geht zuallererst an die deutsche Gesellschaft und jeden einzelnen Menschen darin, der sich trotz massiver Einschränkungen hinter die Maßnahmen zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung des Virus gestellt hat. Ja, da könnte man von Vernunft und Disziplin sprechen, die offensichtlich von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung ausgeübt werden. Zweitens geht das Lob an das gute Gesundheitssystem hierzulande, die Ärzte und Kliniken, die es geschafft haben, dass bisher kein Notstand an Intensivbetten und Behandlungen aufgetreten ist. Es ist nur ein Zwischenwert und die Aussagekraft der Zahlen kann sich außerdem noch verschieben. Aber gerade im Vergleich mit dem Nachbarn aus Frankreich wird auch das Verdienst der Politik von Bund und Ländern deutlich (wenn denn nur der Söder sich zurückhalten kann): Die sogenannten Kontaktverbote in Deutschland
(nur zu Zweit sein, aber das auch jederzeit im Freien) sind ja deutlich maßvoller als die Ausgangssperren in Frankreich (siehe Seite 2). Also ein dickes Lob dafür, dass die Politik in Deutschland hier viel mehr Maß gehalten hat, um damit gleichzeit größere faktische Erfolge zu erzielen. Denn die Folgen jedes politischen Handelns kommen ja erst noch. Je restriktiver ein Staat seine Bürger behandelt hat, desto eher sind später soziale Unruhen zu erwarten. Einen Kessel in der Krise unter Druck zu setzen, kann zur Explosion führen. Das haben Merkel, Kretschmann und Co. bisher vermieden so gut es ging. Dafür heute: ein Lob! Trotz dem Aussetzen so ziemlich aller bürgerlichen Freiheiten neigen die deutschen Bürger noch dazu, der Kanzlerin zu glauben, wenn sie sagt, dass auch sie die Rückkehr zu einer Normalität anstrebe, da sie ja selbst ein freiheitsliebender Mensch sei. „Wir dürfen uns nicht in Sicherheit wiegen. Wir dürfen jetzt nicht leichtsinnig sein. Wir können sehr schnell wieder zerstören, was wir erreicht haben“, so Merkel vor Ostern. Es ist ein Appell, und das ist immerhin besser als großkotzige Befehle.
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Ausgabe 287 am 4. Samstag, 18. April 2020
Da ist der Mensch wie der Hund Verbote. Wenn es verboten ist, in München auf einer Parkbank ein Buch zu lesen, dann fragt sich der Mensch schon, was hier der Hintergedanke ist. Der Weiße Schäferhund oder der Tibet Terrier befolgen Befehle auch nur, wenn sie deren Sinn einsehen. Von Michael Zäh
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enn Sie einen Hund suchen, der ohne zu zucken auf Ihre Befehle hört, dann ist der Weiße Schäferhund nicht der richtige für sie. Denn er befolgt einen Befehl nur, wenn er auch den Sinn des Befehls einsieht. So steht es geschrieben in einem einschlägigen Ratgeber. Nun ist der Mensch natürlich nicht in jeder Hinsicht wie der Hund. Es könnte aber sein, dass auch der Mensch sich eher jenen Befehlen beugt, deren Sinn er einsehen kann. Und umgekehrt: Je strikter der Mensch die Befehle befolgen soll, die derzeit überall in der Welt sind, desto eher neigt er zum Ausbrechen. Und wenn der Weiße Schäferhund nicht will, dann will er nicht. Da kann Herrchen zehnmal „du sturer Hund“ rufen. Nutzt dann gar nix. Doch heute ist ja auch ein Mensch nicht nur „der Mensch“, sondern er ist womöglich ein Franzose anstatt ein Deutscher, ein Amerikaner gar, oder als Deutscher vielleicht ein Bayer. Die Unterschiede sind derzeit riesig, jetzt mal rein vom erzieherischen Ansatz her gesehen. Es ist insgesamt zu loben (siehe Titel), dass in Deutschland mit den deutlich sinnvolleren Kontakverboten anstatt den schwer nachvollziehbaren Ausgangssperren wie etwa in Frankreich und anderswo operiert wird. Wer dort nur eine Stunde am Tag aus der Wohnung darf und dies
dann auch nur im Umkreis von einem Kilometer um den Wohnsitz, selbst wenn er völlig allein spaziert und den Mindestabstand von zwei Metern zu anderen Personen einhält, dem kann als Mensch und Franzose schon die Sinnkrise kommen, weil hinter dem strikten Ausgehverbot einfach nur Drohung (und die Vollstreckung der Strafe) steckt und keine nachvollziehbare Erklärung. Hinzu kann dann noch kommen, je nach Lebenssituation, dass die so auferlegten Verbote aller Wahrscheinlichkeit nach mehr Schaden anrichten als Gutes zu bewirken. Etwa wenn der Mensch in einem Hochhaus in einem Vorort von Paris lebt, und dort auf 45 Quadratmetern mit weiteren acht Leuten in einem Haushalt. Jetzt, selbst wenn er da nicht wahnsinnig wird, weil er nur eine Stunde am Tag raus darf, ist es doch so, dass es für alle besser wäre, wenn er fünf Stunden an der frischen Luft spaziert wäre. Auch in Deutschland gibt es einige Beispiele, bei denen sich die Sinnfrage stellt. „Nein, ein Buch auf einer Bank lesen ist nicht erlaubt“, lautet etwa ein Tweet der Müncher Polizei. Es gab entsprechend auch Fernsehbilder von Park- bzw. Uferbänken am Bodensee, die allesamt mit rotweißem Plastikband umwickelt sind, damit sich da bloß keiner drauf setzt. Jetzt warum? Angenommen man würde sagen, dass halt derzeit immer
nur eine Person auf eine Bank sitzen darf, möglicherweise mit dem Appell verbunden, dass der lesend Sitzende auch an jene denken soll, denen er nicht zu lange den Platz wegnehmen soll, sprich: Kurzgedicht und dann im Gehen weiter denken. Dann wäre doch im Sinne der Gesundheit aller logisch, dass dies kaum gefährlich wäre, aber förderlich für Geist und Seele. Wenn ein Buch auf einer Bank zu lesen in München nicht erlaubt ist, dann kommt der Mensch ins Grübeln. Denn er fragt sich prompt nach dem Grund dafür. Da ist der Mensch ganz ähnlich wie der Tibet Terrier, der laut Ratgeber „über ein großes Maß an Unabhängigkeit und Sebstsicherheit verfügt.“ Ergo: „Unterwürfigkeit oder gar bedingungslose Unterwerfung können wir beim Tibet Terrier also niemals erwarten.“ Doch weil der Mensch sich etwas denken kann, kann er sich schon auch denken, dass hinter solchen Verboten wie dem von der Müncher Parkbank ein weiterer Gedanke der Behörden steckt. Nämlich derselbe, weshalb das Sonnenbaden (trotz allem Abstand zu anderen Leuten) in Parks und auf Wiesen nicht erlaubt sein soll. Achtung, die Beörden denken sich: Wenn einer auf die Parkbank darf, dann wollen das alle anderen auch. Und dann ist jeder Abstand schnell dahin und womöglich finden dann sogar Gespräche zwischen Leuten statt, die
sich erzählen, was sie jeweils lesen. Auch das Sonnenbaden hat ja quasi einen Sogeffekt, weil die Sonne ist ja für alle da. Warum aber Leute nicht aus Berlin raus in ihre Zweitwohnung aufs Land dürfen, kann dann doch wieder keiner erklären. Solche Hintergedanken, die nicht wirklich mitgeteilt oder gar diskutiert werden, haben einen groben Fehler. Und der besteht darin, dass sowieso alle Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus nur funktionieren können, wenn halt möglichst viele Menschen aus eigener Überzeugung auch mitmachen. Und dies scheint ja in Deutschland auch recht gut zu klappen. Deshalb sollte es nicht von dem Gedanken der Unmündigkeit der Bürger (schwer erziehbare Kinder) untergraben werden, wo es doch gerade die Mündigkeit ist, die derzeit alles trägt. Deshalb nochmal zurück: Weshalb soll es den Bürgern nicht zuzutrauen sein, sich an sonnigen Tagen an der frischen Luft, auf Parkbänken oder Wiesen so verantwortungsvoll zu verhalten wie sie es schon die ganze Zeit über tun? Ohne die Einsicht und Disziplin der Gesellschaft geht eh gar nix. Da ist der Mensch wie der Hund: „Naturgemäß verfügt der Tibet Terrier über eine gewisse Zielstrebigkeit, wenn es ihm darum geht, seinen Willen durchzusetzen. Anweisungen, die er nicht für geeignet hält, kann er auch einmal schlicht ignorieren.“
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Ausgabe 287 am 4.
„Jeder einzelne Mensch erlebt dies seelisch anders“
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Interview. Die Psychologin Dr. Andrea Zäh trägt einen anderen Blick zur aktuellen Pandemie bei. Was vorher schon war, wird durch die CoronaKrise nicht verschwinden, sondern nur anders sein. Interview von Michael Zäh
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r. Andrea Zäh erklärt im Interview mit ihrem Bruder, weshalb es auch noch einen anderen Blick auf das Geschehen rund um die Ausbreitung des Corona-Virus geben kann. Nämlich den der Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen und den Umstand, dass deshalb auch jeder einzelene Mensch die momentane Corona-Krise seelisch anders erlebt. ZaS: Was versteht man unter Gesundheit ? Andrea Zäh: In der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation heißt es: „Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. » ZaS: Was heißt dies bezüglich der psychischen Gesundheit? Andrea Zäh: Psychische Gesundheit ist
die Möglichkeit zum seelischem individuellem Wohlbefinden. Ein Mensch, der sich seiner selbst bewusst ist, der einerseits genug widersprüchliche Fixierungen in sich trägt, um so krank zu sein wie viele Patienten, der andererseits aber auf seinem Weg nicht auf zu viele oder zu große interne und externe Schwierigkeiten gestoßen ist, hinsichtlich seiner erblichen und seiner erworbenen affektiven Ausrüstung, hinsichtlich seiner defensiven und anpassungsfähigen persönlichen Fähigkeiten. Denn dieselben ermöglichen ihm seine Bedürfnisse und Triebe, seine irrationalen und rationalen seelischen Vorgänge weiterhin so zu steuern, in Schach zu halten, damit er auf persönlicher und sozialer Ebene, unter gebührender Berücksichtigung der Realität, flexibel bleibt. ZaS: Was bedeutet dies in Bezug auf die
derzeitige Krisen-Situation wegen des Corona-Virus, die ja nun tatsächlich eine Realität ist, die es gebührend zu berücksichtigen gilt? Es wurden inzwischen mehr als 3,5 Milliarden Menschen aufgefordert zu Hause zu bleiben, um die Ausbreitung der Pandemie einzugrenzen bzw. zu verzögern. Andrea Zäh: Ja genau, diese Schutzmaßnahmen betreffen unglaublich viele Menschen auf der Welt, in ganz verschiedenen Ländern, wo die medizinische Versorgung mehr oder weniger gelingt. Auch in Europa sind die sozialen, materiellen und finanziellen Unterschiede sehr groß, und damit auch konkret die persönlichen Bedingungen der Menschen, diese Kontaktsperre positiv oder negativ zu erleben. Solange man nicht ins Krankenhaus muss und da man nicht mehr an seinen Arbeitsplatz gehen kann, soll ja Jeder zu Hause
bleiben. Entscheidend ist hier aus meiner Sicht: Jeder einzelne Mensch erlebt dies seelisch anders! ZaS: Worauf wollen Sie hinaus? Haben Sie vielleicht ein paar Beispiele? Andrea Zäh: Ich will betonen dass jeder Mensch nicht nur unter ganz verschiedenen sozialen, beruflichen, materiellen, auch körperlichen Bedingungen diese noch nie dagewesene Situation mehr oder weniger bewältigt. Sondern dass auch jeder Mensch psychisch mehr oder weniger unter der Situation leidet. Ein paar Fallbeispiele sollen das verständlich machen. Also, es gibt Menschen welche die derzeitige Ausgangssperre eher nutzen, um weiterhin zu schaffen: Worte finden, Gestalt geben, kreativ sein in verschiedener Weise. Ich denke an eine 60 jährige Künstlerin, Madeleine (alle Namen wurden von der Redaktion geändert, sind also fiktiv),
ZUR SACHE
Die Methode der Psychoanalyse Die Methode der klinischen Psychologie ist die eingehende Untersuchung von normalen oder pathologischen Einzelfällen auf der Grundlage von Beobachtungen und Gesprächen, in denen persönliche lebensgeschichtliche, innere seelische psychodynamische, sowie familiäre und soziale Elemente gesammelt werden. Anders ausgedrückt: es geht um individuelles menschliches Verhalten und seine Bedingungen, also um die Untersuchung einer einzigartigen Persönlichkeit in der Gesamtheit ihrer momentanen Situation und ihrer Entwicklung. Klinische Tiefenpsychologie wurde von Sigmund Freud als Psychoanalyse bezeichnet in der man drei Ebenen unterscheidet: „Psychoanalyse ist der Name 1) eines Verfahrens zur Untersuchung seelischer Vorgänge, welche sonst kaum zugänglich sind; 2) einer Behandlungsmethode neurotischer Störungen, die sich auf diese Untersuchung gründet; 3) einer Reihe von psychologischen, auf solchem Wege gewonnen Einsichten, die allmählich zu einer neuen wissenschaftlichen Disziplin zusammenwachsen.“ (S.Freud, Gesammelte Werke XIII, Seite 211) Die psychoanalytische Methode besteht also in der Hervorhebung der unbewussten Bedeutung von Gesagtem, Handlungen, Träumen, Fantasien oder
Wahnvorstellungen von jedem einzelnen Menschen. Die Methode beruht auf den freien Assoziationen des sogenannten Patienten einerseits, und auf der Deutung derselben vom Psychoanalytiker anderseits, welcher seine ganze gleichschwebende Aufmerksamkeit diesem einen Patienten widmet. Es handelt sich um eine individuelle Psychotherapie. Diese psychoanalytische Kur besteht aus regelmäßigen Treffen, wobei der Patient folgende Grundregel einhalten sollte: „Sagen Sie, was Ihnen spontan einfällt, auch wenn es ihnen unwichtig, albern, peinlich, nicht dazugehörig oder unlogisch erscheint“. Es handelt sich also nicht um ein rationales vernünftiges Gespräch! Währenddessen kommt es zur einer sogenannten Übertragung , das heißt der Patient überträgt seine unbewussten Wünsche bzw. Ängste auf den Analytiker, und wiederholt dabei seine üblichen inneren seelischen Konflikte. Sie werden somit aktualisiert, dann werden ihre unbewussten Bedeutungen freigelegt. Diese Ursachenforschung ist gleichzeitig die Lösung der seelischen Konflikte wodurch neurotische Symptome verschwinden, sich geradezu auflösen. Andrea Zäh
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. April 2020 die weiterhin kreativ zuhause eine Schmuckkollektion entwirft. Sie Samstag,neue 18. April 2020 sagte mir sogar, dass sie sich während dieser Zeit intensiver auf ihr Schaffen konzentriert. Auch eine 67 jährige Schriftstellerin, Ariane, schreibt weiter an ihrem früher begonnenem Kriminalroman. Sie steht jeden Morgen auf und setzt sich gleich an ihren Schreibtisch, das gefällt ihr, ja das gelingt ihr eher gut. Auch kenne ich einige liebe Omas die weiterhin still stricken, zum Beispiel die 81jährige Clara, die momentan viele wunderbare tolle Pullis für sich und ihre Lieben strickt. Und auch die 88jährige Monique bestickt weiterhin wunderschöne Tischdecken. Samantha, 45 Jahre alt, hat inzwischen die tollsten Dekorationen in Macrame erfunden, in Vorbereitung auf ihre im Sommer bevorstehende Hochzeit. Das beruhige sie, selbst wenn die geplante Heirat wahrscheinlich auf später verschoben wird. Und es gibt Menschen, die neue Musik oder Lieder komponieren und diese Kreationen sogar veröffentlichen in den digitalen Medien. Darunter übrigens eine Menge Komiker, die mehr oder weniger Lustiges, manchmal Ironisches veröffentlichen. ZaS: Sie fangen mit denen an, die nicht so sehr unter der Situation leiden. Haben Sie auch Beispiele von Menschen, die jetzt größere Probleme haben? Andrea Zäh: Vielleicht riskiert derzeit so mancher Drogenabhängige, dass er derzeit zu noch mehr individuellem Konsum von Alkohol, Cannabis oder anderem neigt. Der 70jährige Christophe kümmert sich vor allem darum wo, er problemlos seine übliche tägliche Dosis Whisky kaufen wird. Der 50jährige Pierre, der sich schon jahrelang an Cannabis gewöhnt hat, weiß inzwischen, dass bald aus Marokko fast nichts mehr nach Europa rüberkommen wird, weil die Grenzen geschlossen sind. Simon und seine Freunde, Jugendliche jünger als 20 Jahre alt, zeigen weiterhin Risikoverhalten, wollen den erlassenen Verboten entgehen, treffen sich abends in Gruppen obwohl die Regierung das inzwischen verbietet! Alzheimerkranke verstehen durch ihre neurologische Krankheit vielleicht gar nicht, warum jeder Mensch sich unbedingt an die vernünftige Hygiene halten sollte. Und so stellen sich viele Fragen: Wie geht es den Zwangsneurotikern, zum Beispiel jenen, die sowieso andauernd ihre Wohnung putzten? Immer wieder putzen, heute mehr als jemals zuvor? Wie sieht es aus, wenn jemand schon etwas länger an einer Angstneurose leidet, sich lieber in großen Räumen, gar draußen aufhält als in einer vielleicht zu engen Wohnung? Hypochondrische Menschen oder sogenannte Hysteriker fühlen sich eventuell in ihren schon da gewesenen inneren
irrationalen Ängsten vor körperlichen Krankheiten bestätigt. Werden gewalttätige Männer gegenüber Frauen sanfter oder noch schlimmer? Wie begreifen besonders liebenswerte Autisten überhaupt, worum es eigentlich momentan geht in der allgemeinen Realität? Oder Schizophrene, Paranoiker, Melancholiker: sind sie gewappnet, unsere Psychotiker? Etwa eine 32jährige Schizophrene, die ihre Therapeutin wiederholt täglich anruft, um dieselbe zu bitten, ihr nochmal genau den Prozentsatz zu nennen zwischen Corona-Risikopatienten, den Kranken und den Toten. Mancher empfindet Trennungsangst, und solche wird je mehr aktiviert als er jetzt von seinem Partner oder Partnerin getrennt leben muss, da Reisen derzeit weitgehend verboten sind. Ein Anderer kann möglicherweise seine häufige sexuelle Lust momentan nicht mehr befriedigen und leidet besonders unter dieser aktuellen Frustration, seine Kastrationsangst überkommt ihn. Schon früher konkret traumatisierte Menschen durch Attentate – gerade hier in Nizza – werden an das schrecklich Erlebte erinnert: ihre Todesangst wird reaktiviert. ZaS: Sie wollen also verdeutlichen, dass die extreme Situation in der sogenannten Corona-Krise für jeden Menschen anders ist, je nachdem wie er disponiert ist? Andrea Zäh: Es gibt viele Beispiele dafür. Alberto, ein 40jähriger Mann, ein eher kontaktscheuer Mensch, fühlt sich erleichtert durch die offizielle Ausgangssperre: endlich braucht er nicht mehr dem sozialen Druck der üblich flüssigen zwischenmenschlichen Kommunikation zu entsprechen. Viele Sportler trainieren weiterhin bei guter Laune daheim: sie halten sich durchaus fit, in Form und bei weiterer körperlicher Gesundheit. Nur wie machen denn das die Surfer, Schwimmer, Segler: eine besonders große Anpassung ist also gefragt! ZaS: Klar, jeder Mensch empfindet sein Leben, seine eigene Seele, seine bisherigen oder momentanen Probleme und führt seine individuelle Lebensgeschichte weiter. Könnten Sie vielleicht etwas klarer ausführen inwieweit oder inwiefern Ihr psychoanalytischer individualpsychologischer Gesichtspunkt in dieser kollektiven Situation hilfreich sein könnte? Andrea Zäh: Individualpsychologisch ausgedrückt geht es um die Besonderheit jedes Menschen, um seine Einzigartigkeit. Um sein seelisches Gleichgewicht und um seine Anpassungsfähigkeit in jeglicher und momentan um die von außen angsterregen-
de Situation. Laut psychoanalytischem Ansatz hat sowieso jeder Mensch immerzu mit seinen inneren widersprüchlichen bewussten und unbewussten Konflikten zu kämpfen. Kommt eine tatsächliche äußere Gefahr hinzu, wird es noch komplizierter! Je nach Lebensalter – Kleinkinder, Kinder, Jugendliche, Erwachsene, alte Menschen – wirkt sich die äußere Gefahrensituation anders auf ihr seelisches Innenleben aus. ZaS: Wie lässt sich das näher erklären ? Andrea Zäh: Jeder Mensch, je nach Alter, Erfahrung und Lebensgeschichte empfindet zwar immer wieder seine eigenen inneren üblichen Ängste, jedoch wendet jeder Mensch dagegen individuelle psychische Abwehr mechanismen an. ZaS: Was sind Abwehrmechanismen ? Andrea Zäh: Abwehrmechanismen sind psychische Prozesse, die im Allgemeinen dem organisierten Selbst zugeschrieben werden. Ihre Aufgabe ist es, optimale psychische Bedingungen zu organisieren und aufrechtzuerhalten, die dem Selbst des Individuums helfen können, sich zu wappnen, zu stellen und Angstzustände und geistige Beschwerden zu vermeiden. Sie beteiligen sich somit an Versuchen, die psychischen Konflikte zu bewältigen, können aber durch ihre übermäßige oder unangemessene Verwendung das psychische Wachstum beeinträchtigen, und dann zu durchaus störenden und beeinträchtigenden Symptomen führen. Anders gesagt: Gegen innere sowie äußere Ängste – wie hier die Angst vor der Ansteckung mit dem Corona-Virus – wird einer versuchen sie zu vergessen, indem er sie möglicherweise verdrängt. Der nächste wird sie verneinen, sie vielleicht gar nicht wahrnehmen, indem er seine Angst von seinem Bewusstsein, seiner Wahrnehmung abspaltet. Wieder ein anderer
verschiebt oder verdichtet hingegen seine Ansteckungsangst auf eine bisher belanglose körperliche Schwäche, der er plötzlich viel mehr Aufmerksamkeit widmet. Kreative Menschen sublimieren. ZaS: Was können Sie den Menschen raten in diesen Zeiten der Bedrohung durch das Corona-Virus? Andrea Zäh: Es ist besonders wichtig den grundsätzlichen Unterschied zwischen Fantasie und Realität beizubehalten, d.h. jeden Tag so zu organisieren dass eigenes Gefühl von Raum und Zeit weiter gut strukturiert bleibt. Seine Affekte sollte man versuchen zu erkennen, wenn möglich in Worte fassen. Natürlich sollten ein paar persönliche Träumereien nicht fehlen, einen gewissen inneren Spielraum sollte man sich durchaus gewähren, sozusagen als Übergangsbereich: etwa vorübergehend Zuflucht in einen guten Film finden, oder einen schönen Roman lesen, ja mal öfters die eigene Lieblingsmusik anhören.
ZUR PERSON
Dr. Andrea Zäh Die Dipl.-Psych. Dr. Andrea Zäh arbeitete 40 Jahre im Gesundheits- und Bildungswesen, in der Forschung, in psychosozialen Helferinstitutionen sowie in eigener Praxis als Psychoanalytikerin. In Paris an der Universität Paris 10 als klinische Psychologin durch praxisbezogenes Hochschuldiplom zum Master ausgebildet, hat sie an der Universität Paris 7 als Freud-Expertin promoviert. Weitergebildet in Sciences-Po Paris durch ein Executive Master der gerontologischen Politikwissenschaften und an der Universitätsklinik Nizza in der psychiatrischen Phänomenologie. Sie war hauptsächlich in Einrichtungen der Behindertenhilfe, Kindertagesstätten, in der Jugendund Familienhilfe sowie Kinderheilkunde tätig. Als Dozentin wirkte sie an der Universität Paris 13, in École Centrale Paris der allgemeinen Ingenieurwissenschaften, als Erasmusgastdozentin an der Charité in Berlin und als leitende Pädagogin an der Psychopädagogischen Fachoberschule zur Erzieher-Ausbildung in Nizza. Sie lebt weiterhin in Frankreich, widmet sich heute persönlich in Nizza besonders der Philosophie, dem Yoga und der Meditation. Kontakt: andreazah@sfr.fr miz
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Was alles bald kommen könnte Coronavirus. Nach dem schrittweise Aufheben der derzeitigen Kontaktverbote wird es eine neue Strategie geben müssen, da das Coronavirus noch immer da sein wird. Vielleicht hilft da eine neue App, die sogar aus acht EU-Ländern kommt. Von Michael Zäh
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arum soll nicht jetzt schon über Exit-Strategien nachgedacht, geredet und vielleicht auch gestritten werden? Früh hat Armin Laschet (Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, CDU) eine Diskussion darüber bereits angeregt. Markus Söder (Ministerpräsident von Bayern, CSU) hat sich eine solche verbeten, da sie „zur Unzeit“ käme. Es gehört zu einer Demokratie dazu, sich rechtzeitig und gemeinsam über Dinge den Kopf zu zerbrechen, die da kommen sollen. Und in diesen Tagen umso mehr, weil ja so gut wie jeder Bürger von den immensen Einschränkungen betroffen ist, die gegen die ungehinderte Ausbreitung des Corona-Virus verfügt wurden. Es geht dabei ja nicht darum, dass jetzt sofort schon die Kontaktbeschränkungen aufgehoben werden sollen. Denn bis nach Ostern wird das öffentliche, wirtschaftliche wie gesellschaftliche Leben still stehen, haben Bund und Länder beschlossen und verkündet. Doch könnte man in der Zwischenzeit nicht darüber reden, was danach sein könnte? Nun ja, man könnte nicht nur, man müsste es tun. Es ist doch wohl jedem klar, dass der momentane Stillstand nur zeitlich sehr begrenzt durchzuhalten ist. Deshalb muss man ja genau die Zeit dieses – derzeit wohl noch nötigen – Stillstandes nutzen, um Strategien
für danach zu entwerfen. Wann soll man es denn sonst tun? Wann wäre es nicht zur „Unzeit“? (Was eh ein „Unwort“ ist). Das Ärgerliche an dem Wegwischen einer Debatte über Exit-Szenarien ist ja, dass dies wieder einmal den Eindruck erweckt, als seien die deutschen Bürger nicht mündig genug, obwohl diese ja im Moment mit ihrer überwältigenden Solidarität beweisen, dass sie es sind. Sollen die Bürger nicht so viel an das Danach denken, damit sie das Heute besser durchhalten? Denn es ist ja klar, dass in den Krisenstäben des Bundes und der Länder längst mit Hochdruck darüber gegrübelt wird, was alles bald kommen könnte. Warum also diese Diskussionen über mögliche Szenarien hinter verschlossenen Türen führen? Die Leute hätten heuer eine Menge Zeit, sich daran zu beteiligen. Man wird weiterhin alle brauchen, ganz egal, welchen Weg man wählt. Zum Beispiel, wenn eine neue App gegen das Corona-Virus eingesetzt werden würde. Dann käme es am Ende vor allem darauf an, dass möglichst alle Leute diese App auch auf ihr Handy laden. Und um dies zu erreichen, wäre es doch schön, schon jetzt mehr darüber zu diskutieren. Denn möglicherweise gibt es ja nicht nur bei den Viren eine Inkubationszeit, sondern auch beim
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weise mal alle zusammen. Epidemiologen, Psychologen und IT-Experten waren an der Entwicklung beteiligt. Bei der App sollen nur so viele Daten genutzt werden, wie unbedingt nötig ist. Man will die Bluetooth-Funktion von Handys nutzen, nicht die Standortdaten. Um sagen zu können, ob jemand gefährdet ist, muss eine App nicht wissen, wo genau er oder sie sich aufgehalten hat, und der Staat sollte das erst recht nicht wissen. Es reicht, dass die App weiß: Der und der war in der Nähe - das geht mit Bluetooth. Und wenn sich später herausstellt, dass jemand infiziert ist, schickt die App Kontaktpersonen eine Warnung, dass sie gefährdet sind. Diese Technik könnte helfen, viel schneller als bisher all jene zu testen, die potenziell infiziert wurden. Natürlich nur, wenn die Leute mitmachen, sprich: mündig, auch ohne Mundschutz. Und auch nur, wenn dann auch wirklich genügend Tests zur Verfügung stehen, um sofort alle zu testen,
die sich nach Benachrichtigung durch die App zum Test melden. Gleichzeitig ist dies aber nur eine Seite der Medaille. Denn wie schon zuletzt immer häufiger zu beobachten kann auch eine Hysterie (siehe Titel dieser ZaS) immer weiter gesteigert werden, die ebenfalls Schaden anrichtet. Denn natürlich ist die Angst mitten in der Gesellschaft angekommen. Die Angst, am Virus schwer zu erkranken. Die Angst, durch die verfügten Verbote seine wirtschaftliche Existenz zu verlieren. Die Angst, dass sogar die EU an dieser Krise zerbricht. Die Angst vor jedem, der an einem vorbei geht. Die Angst, dass es alles noch schlimmer kommen könne. Da es unabdingbar ist, dass die Wirtschaft irgendwann wieder Fahrt aufnehmen muss, die Kinder irgendwann wieder in die Schule gehen sollen, ja sogar irgendwann wieder Kultur, Sport und Events stattfinden müssen, gibt es noch ein Szenario, das auch Angst machen kann. Näm-
lich jenes, die „Alten“ zu isolieren, weil diese ja die „Risikogruppe“ sind. Stell dir vor: Das Leben tobt wieder in Deutschland, aber über 60 (wahlweise 70 oder 80) Jahren darfst du nur zu Hause bleiben. Und der Polizist auf der Straße erkennt es sofort, wenn du dagegen verstößt, weil: Du siehst ja auch so alt aus, wie du bist. Was könnte sonst noch alles bald kommen? Wenn die Kontaktverbote wieder gelockert werden, die Kinos, Fitnessclubs und sogar die Kneipen wieder öffnen dürfen, kann es zu Staus kommen, zum Beispiel beim Friseur/ in, beim Einkauf in zuvor so lange geschlossenen Fachgeschäften (hoffentlich in den Blumenläden), beim Ansturm in den Schwimmbädern. Die gute Nachricht ist, dass es irgendwann einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben wird, womöglich auch wirksame Medikamente. Die schlechte Nachricht ist, dass es später noch andere Viren geben kann, die heute noch keiner kennt.
Illustrationen: Viktor Lukanow
Anfreunden mit neuen Strategien. Und das zu Recht. Denn alles, was schnell-schnell gehen soll, ist eben auch verdächtig. Deshalb sagen wir hier schon Mal, wie eine Strategie gegen die weitere Verbreitung des Corona-Virus wohl aussehen könnte, nachdem der Stillstand des öffentlichen Lebens und der Wirtschgaft schrittweise wieder aufgehoben wird: Es wäre grob gesagt nach dem Vorbild Südkoreas, nämlich nach dem Prinzip, zielgenau die Infizierten zu finden und zu isolieren. Das ginge wohl nur über sehr viel mehr zur Verfügung stehende Schnelltests in Kombination mit einer App, die blitzschnelle Dienste leistet, um potenziell Infizierte zu informieren. Hier ist eine europäische Lösung in der Mache. Forscher/innen aus acht EU-Ländern haben eine Art Baukasten vorgestellt, um mit Handy-Apps das Virus einzudämmen. Unis, Startups, Forschungsinstitute sind beteiligt. Nicht jedes Land für sich, ausnahms-
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Rauchende Colts Marshall Matt Dillon hat früher die Banditen gejagt, die ein Halstuch vor Nase und Mund hatten. Wer damals im Röhren-TV zusah, ist heute in der Risikogruppe. Wie auch die Ärzte, denen millionenfach Schutzausrüstung fehlt. Von Michael Zäh
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enn es so käme, dass der deutsche Bürger nur noch mit Mundschutz durch die Gegend laufen darf, weckt dies bei manchem Zeitgenossen ganz klar Erinnerungen: Rauchende Colts, ein gewisser Marshall Matt Dillon, der all jene gejagt hat, die sich ein Halstuch vor Nase und Mund gebunden hatten, sprich: die Banditen. Damals im staubigen Wilden Westen, und sehr lange vor dem World-Wide-Web. Auch vom Virus keine Spur, damals. Die Vorstellung, dass wir alle vom „Gunsmoker“ durch die Prärie gejagt werden, weil wir schnell zu Pferde eine Postkutsche ausgeraubt haben, ist durchaus tröstlich. Weil das ist ja Kindheitserinnerung. Doch die Vorstellung, dass wir bald alle unser Gesicht banditengleich hinter einer Maske verstecken müssen, um außer Haus gehen zu dürfen, hat dafür eher den Hauch des Bösen. Da wüsste der Marshall Matt Dillon ja gar nicht mehr, welche Schurken er zur Strecke bringen soll. Man könnte auch sagen, dass es etwas irre wirkt, wenn heuer über solche Mundschutzmasken für die gesamte Bevölkerung gesprochen wird, während ja derzeit genau solche Masken dort millionenhaft fehlen, wo sie wirklich dringend gebraucht würden. Laut einer Liste der AOK fehlen schon allein bei den niedergelassenen Ärzten (also ohne die Kliniken, Krankenhäuser oder auch Pflegeheime etc.) rund 115 Millionen Mund-Nasen-Schutzmasken, außerdem 47 Millionen Masken der FFP2-Qualität sowie zusätzlich noch mal 7,5 Millionen FFP3-Masken der noch höheren Qualität. Was außerdem fehlt: 63 Millionen Schutzkittel, 55 Millionen Packungen Einmalhandschuhe, sowie 3,7 Millionen Schutzbrillen.
Diese Mängel sind nicht etwa durch das plötzliche Auftreten des Coronavirus entstanden, sondern werden dadurch nur sichtbar. Die bittere Wahrheit ist nämlich, dass es bereits 2005, also vor 15 Jahren (ist ja natürlich nix sind im Vergleich zu den Hochzeiten von „Rauchende Colts“) einen Pandemieplan gab, den damals schon das Robert-Koch-Institut (heute ja in aller Munde) im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellt hat. Dieser Plan sieht vor, dass benötigte Materialien „rechtzeitig vor Eintreten einer Pandemie“ von der Bundesregierung bevorratet werden müssen. Sprich: All das, was jetzt fehlt, hätte eigentlich nach dem Pandemieplan auf Vorrat sein müssen. Das hat der Bund aber nicht so ernst genommen. Man schlug solche ungeheuren Pläne in den Wind, weshalb man heute umso entschiedener darüber nachdenkt, wie eben dieses Ungeheuer mit dem Namen Coronavirus durch private Initiativen noch gebändigt werden könnte. Bayerns Ministerpräsident Söder hat doch prompt vorgeschlagen, dass Bayerns Bürger zehn Millionen Masken selbst nähen sollen. Wie im Krieg, sozusagen. Da wir hier schon mal in Bayern sind, hört man den Kaiser rufen: „Ja ist denn jetzt schon Weihnachten?“ Aber gut, das ist eine ganz andere tragische Geschichte. Heuer würde es heißen: „Ja ist denn jetzt schon Ostern?“ Denn bis dahin regiert ja Marshall Söder als Gunsmoker mit unbeirrter Hand. Diskussionen über eine „Exit-Strategie“ hat er sich verbeten. Erst muss der Bandit erlegt sein. Ein Schuss, ein Treffer, mitten ins Virus, und dann raucht der Colt. Und danach also soll es all die selbstgenähten Mundschutzmasken geben, quasi als Geste der Unterwerfung des Volkes, wenn es denn wieder raus darf. Lieber als Bandit auf der Arbeit als nur immer zu Hause im beengten Homeoffice. Der praktische Nutzen solcher Masken ist laut WHO äußerst umstritten. Könnte medizinisch sogar mehr Schaden anrichten als es Nutzen hätte. Aber darum geht es offenbar längst nicht mehr. Eher scheint es um den Gleichklang der Herde zu gehen (hier also: die deutschen Bürger in Panik), weil die Autorität derer zementiert werden soll, die zuvor fahrlässig versagt haben, als sie sich nicht an bestehende Pandemie-Vorsorge hielten. Na klar schauen jetzt diejenigen in die Röhre, die Matt Dillon im Röhren-TV sahen. Sprich: Risikogruppe!
Corona-Tagebuch | 28. März 2020
Das Ende der Freiheit So richtig es ist, dass das Corona-Virus durch den Zusammenhalt aller bekämpft werden soll, so wenig darf es sein, dass Politiker dies nutzen, um ihr Profil zu stärken. Das wäre nämlich die Blaupause zum totalitären Regime. Von Michael Zäh
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äre das, was wir alle derzeit erleben ein Film, würde dessen Titel wohl lauten: „Das Ende der Freiheit.“ Doch weil es kein Film ist, sondern die Realität, muss man sagen: Wir führen jetzt in echt mal ein Leben, das so gespenstisch ist, wie wir uns das in Deutschland zuvor nicht vorstellen konnten. Wir können jetzt fühlen, wie das ist, wenn alle Rechte blitzschnell kassiert werden, quasi hopplahopp. Wer hätte je gedacht, dass den Bürgern in Deutschland vom Staat vorgeschrieben wird, wen und wieviele Leute sie treffen dürfen? Wer hätte es für möglich gehalten, dass der Staat die Kirchen schließt, dass der Wirt oder seine Kneipe nicht mehr öffnen darf, dass überhaupt alle Dienstleister und Vereine in Gesellschaft, Sport und Kultur dazu gezwungen werden, ihren Betrieb einzustellen, dass öffentliche Plätze zugesperrt werden, dass sogar die Schulen, Kindergärten und Kitas zu sind, dass nix mehr erlaubt ist, was sonst die Vielfalt des Lebens und der Wirtschaft ausmacht? Okay, die Begründung dafür ist ja in ihrer Schrecklichkeit ebenfalls vom anderen Stern. Das sogenannte „Corona-Virus“ ist über die Welt hergefallen und wütet grausam, ja sogar heimtückisch unter den Menschen. Wenn in Italien dann an einem einzigen Tag 800 Menschen sterben und die Leichen in Lastern der Armee abtransportiert werden, ist die Notwendigkeit fast aller Maßnahmen einzusehen. Erst recht, wenn man die mathematischen Berechnungen kennt, dass es in sehr kurzer Zeit zu Millionen Toten allein in Deutschland kommen könnte, wenn man keine einschneidenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus einleitet. Und natürlich ist jeder Tote einer zuviel. Doch unabhängig davon stimmt es trotzdem, dass wir gerade eine Blaupause dessen durchleben, was es heißt, wenn der Staat totalitär wird. Na klar, wir vertrauen bisher den Visagen „da oben“, von Merkel bis Kretschmann, und können uns nicht wirklich vorstellen, dass die uns in eine Diktatur führen wollen. Würden wir aber auch einem Orban in Ungarn nichts unterstellen wollen,
oder Trump in den USA? Von jenen Regimes in China, Russland, Iran, Saudi-Arabien und anderen mal ganz abgesehen, die den Kampf gegen das Virus für andere Zwecke instrumentalisieren. Und schließlich können auch in Deutschland die Gesichter mal andere sein. Nein, wir nennen jetzt keine Namen, aber der Phantasie sind hier ja keine Grenzen gesetzt. Es ist in der Krise schon jetzt ärgerlich, wie manche Töne angeschlagen werden. Da gibt es Politiker, die stigmatisieren in unerträglicher Weise (ehemals) freie Bürger dieses Landes, wie dies etwa Thomas Strobl (Innenminister in Baden-Württemberg) mehrfach tat. Da ist dann von den „Unverbesserlichen“ die Rede, meist junge Leute, die sich noch in Gruppen trafen und den Ernst der Lage nicht erkannt hätten. Dieser Gruppe wurde von Strobl öffentlichkeitswirksam harte Strafen (25.000 Euro Bußgeld oder mehrjährige Haftstsrafen) quasi versprochen. Im Grunde haben jedoch diese „Unverbesserlichen“ nur das gemacht, was Menschen gerne miteinander machen. Mag sein, dass sie dabei etwas zu leichtsinnig waren. Aber die Drohgebärden von Strobl, Söder und Co. sind trotzdem bedenklich. Ja, es sind viele harte Hunde unterwegs, angeblich als Reaktion auf das gefährliche Virus. Der Ton macht die Musik! Und dies wird dann unerträglich, wenn der Staat und die Politiker argumentieren, dass wegen der Uneinsichtigkeit weniger Leute halt dann auch die größere Gruppe der Einsichtigen mit weiteren staatlichen Einschränkungen bestraft würden, quasi Herdenhaftung. Denn dieses Denken und eine solche „Argumentation“ ist ein ganz klares Kennzeichen autoritärer Regimes. Da wird die Herde blökender, unwissender Bürger mal so richtig rangenommen, gell? Dabei gerät ganz in Vergessenheit, dass die so streng drohenden Politiker von genau denen gewählt wurden, die nun als „Herde“ gelten. In einer Demokratie ist das Volk der oberste Souverän. So richtig es ist, dass der Zusammenhalt aller das Coronavirus bekämpft, so wenig darf es sein, dass dies Politiker für ihr Profil nutzen.
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Bis zum nächsten Friseurtermin Coronavirus. Das 750-Milliarden Hilfspaket des Staates gegen die Folgen des Coronavirus ist schon ein fettes Butterbrot, nachdem zuvor das Knallen der Peitsche dafür gesorgt hat, dass gesellschaftliche und wirtschaftliche Aktivitäten zum Stillstand kamen. Von Michael Zäh
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ie wird Deutschland in den kommenden Wochen (oder gar Monaten) frisiert sein? Das ist keine kleine Frage, da ja alle Friseur/innen-Betriebe schließen mussten. Wird unsere Mutti Merkel dann plötzlich graue Strähnen im Haaransatz aufweisen, werden Olaf Scholz die (bisher nicht vorhandenen) Haare zu Berge stehen? Und wie wirkt es sich aus, wenn bei über 80 Millionen deutschen Bürgern die Matte wächst, wo sie es gar nicht soll, das Grau und gar das Weiße sprießt, während das akkurate Kurzhaar wie auch der schön gestutzte Bart nur noch eine ferne Erinnerung sind. Vielmehr sogar eine Sehnsucht, die unerreichbar in den Weiten des Seins dahin schwebt. Nun ja, je länger das deutsche Haar wird, desto mehr Milliarden Steuergelder wird das kosten. Weil es ja so ist: Der Staat nimmt es, der Staat gibt es – das ist quasi
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Einschneidende Eingriffe, überall Die Bundesregierung und die Länder haben gemeinsam die Schließung einer Vielzahl von Geschäften und Institutionen beschlossen. So sollen „Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften“ verboten werden, auch Gottesdienste können nicht mehr stattfinden. Ebenso sind Zusammenkünfte in Vereinen und sonstigen Sport- und Freizeiteinrichtungen untersagt, Angebote in Volkshochschulen, Musikschulen und sonstigen öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen sowie Reisebusreisen sollen eingestellt, Spielplatzbesuche unterlassen werden. Bars, Clubs, Diskotheken sollen geschlossen bleiben, desgleichen Theater, Opern, Konzerthäuser, Museen, Messen, Ausstellungen, Freizeit- und Tierparks und Anbieter von Freizeitaktivitäten, Spezialmärkte, Spielhallen, Spielbanken, Wettannahmestellen. Auch der Betrieb öffentlicher und privater Sportanlagen, Schwimm- und Spaßbädern sowie Fitnessstudios muss eingestellt werden. miz
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steht (ein Arzt, der sie geimpft hat, hatte das Coronavirus intus), stellte der Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz die Pläne der Regierung vor. „Vor uns liegen harte Wochen und doch: Wir können sie bewältigen“, sagte Scholz. Quasi ein bisschen Zuversicht verbreiten. Um dann fortzufahren: „Wir erleben eine Krise, die in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Vorbild ist“, und für die Krisenbewältigung gebe es „kein Drehbuch“. Und erst recht nicht die passende Frisur, möchten wir an dieser Stelle hinzufügen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt (lange nix gehört von ihm) bezifferte das Volumen des Hilfspakets der Bundesregierung gar auf etwa 1400 Milliarden Euro. Das sei in etwa die Gesamtsumme an Krediten, Garantien und Hilfen. Je länger die Haare wachsen müssen, desto größer sind die Zahlen. Oh je, Schwindel, lass nach. Es lässt sich noch gar nicht bis in jede Haarspitze darstellen, wer denn nun welche Gelder erhalten soll. Klar ist aber schon mal der Löwenanteil (nein, bitte nicht mit der Löwenmähne verwechseln): Es wird einen 600 Milliarden Euro umfassenden Schutzschirm für größere Firmen geben. Der Staat will in großem Umfang Garantien geben und notfalls wichtige Unternehmen auch ganz oder zum Teil verstaatlichen. Wenn die Krise vorbei ist, sollen sie wieder privatisiert werden. Profitieren können nicht alle Unternehmen, sondern nur solche mit hohen Umsatzerlösen oder mehr als 250 Mitarbeitern. Unter diesen Schutzschirm können kleinere Firmen nur im Einzelfall schlüpfen - wenn sie für die Infrastruktur besonders wichtig sind. (Wie Friseure, möchte man rufen). Aber da wären dann noch die 50 Milliarden, die für kleine und kleinste Unternehmen ausgegeben werden sollen, inklusive den sogenannten Solo-Selbstständigen. So hat etwa das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit
und Wohnungsbau Baden-Württemberg ein Soforthilfeprogramm aufgelegt: „Gewerbliche Unternehmen, Sozialunternehmen und Angehörige der Freien Berufe, die sich unmittelbar infolge der Corona-Pandemie in einer existenzbedrohenden wirtschaftlichen Lage befinden und massive Liquiditätsengpässe erleiden, werden mit einem einmaligen, nicht rückzahlbaren Zuschuss unterstützt“, heißt es dort. Ausgezahlt über die Länder (wie hier BW) sollen kleine Firmen und Selbstständige, Musiker, Fotografen, Heilpraktiker oder Pfleger direkte Finanzspritzen erhalten. Je nach Unternehmensgröße sind das für drei Monate 9.000 bis 15.000 Euro. Dies wären keine Kredite, sondern Zuschüsse, die nicht zurück gezahlt werden müssen. Die Anträge hierfür können bereits digital gestellt werden. Ausgezahlt werden die Zuschüsse dann direkt über die Landesbank. Millionen Menschen in Deutschland, die sich durch die Maßnahmen des Staates gegen die Ausbreitung des Corona-Virus in existenzieller Not wiederfinden, werden sich über solche Programme freuen (falls diese dann auch wirklich so unbürokratisch funktionieren wie versprochen), und sich zumindest mal kurz entspannen. Aber Vorsicht: Experten warnen, dass diese „Soforthilfen“ hohe Hürden haben und es sich daher um Augenwischerei handeln könnte. Es wäre allerdings skandalös, so laut und unfrisiert die Hilfe ins Land zu posaunen, riesige Hoffnungen zu wecken und am Ende doch für die meisten Kleinen nicht infrage zu kommen! Es wäre ein staatlicher und politischer Schwindel, wenn das Soforthilfeprogramm quasi Hartz IV ist, nur nicht so heißt. Ist ja schon verwunderlich genug, wie schnell über Jahre tragende Grundsätze wie die „schwarze Null“ oder die im Grundgesetz veranker-
te „Schuldenbremse“ von einem Tag zum anderen plötzlich über Bord sind. Zack, zack, oder sagen wir: Schnipp Schnapp! Ewig kann trotz Milliardenschirm das komplette Runterfahren des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens nicht dauern. Höchstens bis zum nächsten Friseur-Termin.
ZUR SACHE
Der Streit um die Deutungshoheit In Berlin mahnte Gesundheitsminister Jens Spahn weiterhin die Einhaltung aller Regeln an. „Noch ist das die Ruhe vor dem Sturm“, sagte er. Natürlich werde es „eine Zeit nach Corona geben“. Das Leben werde sich aber erst schrittweise wieder normalisieren müssen. Unter Medizinern und Politikern gibt es aber auch welche, die sich öffentlich dahingehend äußern, dass das Corona-Virus in Wirklichkeit gar nicht so schlimm sei. Diesen Thesen gegenüber hat nun Innenminister Horst Seehofer Stellung bezogen: Er lehne die These der Herdenimmunisierung ab, nach der möglichst viele Menschen vom Corona-Virus befallen werden sollen, um zügig immun zu werden. Das halte die Kosten der Pandemie zwar vergleichsweise niedrig, sei aber nur um den Preis hoher Sterberaten zu erreichen. „Erstens hat mir noch kein Wissenschaftler in die Hand versprochen, dass man dann wirklich immun ist“, sagte Seehofer. „Und zweitens heißt das, dass man Opfer in Kauf nimmt. Das halte ich für eine unvertretbare Strategie.“ Es gibt Zyniker, die berechnen, was ein Menschenleben kostet. miz
Montagen: Viktor Lukanow
ein alter Zopf. Wenn nun also Scholz, Kretschmann, Söder, Laschet und Konsorten sich darin übertreffen, die aufgemotzte Bazooka in Anschlag zu bringen, dann vergessen staatliche Kurzhaardackel ja gerne, dass dieses Geld nicht wie ein Sternenregen vom Himmel fiel, sondern es sich um genau jene Kohle handelt, die zuvor der gut frisierte Steuerzahler (und danach wirds auch so sein) an den Staat bezahlt hat. Das ist also ungefähr so, als ob der Friseur das Trinkgeld spendiert, das er soeben vom Kunden für die tolle Tolle bekam. Mit dem kleinen Unterschied freilich, dass derzeit keine Frisuren welcher Art auch immer zu haben sind. Der Transfer von insgesamt rund 750 Milliarden Euro zurück an die Wirtschaft und die Steuerzahler ist ein bisschen ein Ablasshandel dafür, dass der Staat ja das wirtschaftliche Leben von oben herab eingestellt hat. Ja, es ist vielleicht sogar womöglich so, dass damit auch die Demokratie geschützt werden kann. Denn der Staat, der Verbote erlassen hat und die Freiheit seiner Bürger extrem einschränkt, gibt so auf der anderen Seite Millionen Menschen etwas Hoffnung, dass sie nicht völlig pleite gehen in den nächsten Wochen. Es ist schon ein fettes Butterbrot nach der knallenden Peitsche des Zusperrens allen gesellschaftlichen Lebens. Der Bundestag hat also ein großes Rettungspaket für die deutsche Wirtschaft beschlossen. Die Abgeordneten stimmten einem Nachtragshaushalt in Höhe von 156 Milliarden Euro und dem Rettungsschirm WSF im Volumen von 600 Milliarden Euro zu. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes soll vorübergehend ausgesetzt werden. Selten einhellig: Es gab gegen das gesamte Paket nur drei Gegenstimmen. Weil Bundeskanzlerin Angela Merkel unter häuslicher Quarantäne
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„Menschen ohne Kontakt werden krank oder aggressiv“ Gastbeitrag zum Coronavirus. Die Quarantäne ist keine Dauerlösung. Eine Bettenreserve für die Notzeiten einer Epidemie ist hingegen unverzichtbar. Die bisherigen Anstrengungen zum Ausbau der medizinischen Versorgung reichen nicht aus.Von Prof. Dr. Joachim Bauer
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erlin 25. März 2020 - Der Psychoneuroimmunologe und Psychosomatiker Joachim Bauer hält die bisher verordneten Maßnahmen gegen COVID-19 für richtig, warnt aber vor einer längerfristigen Aufrechterhaltung. „Mehr als vier Wochen halten die meisten Menschen das psychisch nicht durch“. Die Folgen einer längerfristigen Kontaktsperre wären nicht nur politisch, wirtschaftlich und kulturell, sondern auch sozialpsychologisch verheerend. „Zwischenmenschliche Nähe ist, wenn sie einem Menschen nicht aufgezwungen wird, eine der stärksten heilsamen Drogen“, so Bauer. Er fordert einen schnellen und massiven Ausbau medizinischer Einrichtungen. Ein längerfristiger Verzicht auf fundamentale Freiheitrechte, wie er von einigen Virologen und Epidemiologen avisiert werde, gleiche einem aus Angst vor dem Tode vorgenommenen präventiven Suizid. „Politik muss mehr sein als Virologie und Epidemiologie. Dass sich diejenigen, die sich dem angeblich alternativlosen Rational einiger Epidemiologen und Virologen nicht beugen, dem Verdacht aussetzen, mit den Erkrankten nicht solidarisch sein zu wollen, ist inakzeptabel“, so Bauer, der auch Facharzt für
Innere Medizin und Psychiatrie ist. Die bisherigen Anstrengungen zum Ausbau der medizinischen Versorgung der Gefährdeten reichten, so Bauer, bei Weitem nicht aus. Hier sein Gastbeitrag: An der vom SARS-CoV2 Virus ausgelösten Erkrankung COVID-19 gibt es nichts zu beschönigen. Zwar erleiden, wie bisher vorliegende Studien zeigen, über 80% der Infizierten nur leichte bis mittelschwere Symptome (in der Regel mit Husten und Fieber), ähnlich einer Grippe. Da aber bei bis zu 20% der Infizierten der Virus zu einer schweren Lungenentzündung führt, handelt es sich um eine überaus ernst zu nehmende Erkrankung. Etwa fünf Prozent der Infizierten brauchen intensivmedizinische Behandlung mit maschineller Beatmung. Die bisher gehandelten Prozentzahlen des Anteils schwer Erkrankter, ebenso wie die Angaben zum Anteil der an der Infektion Verstorbenen sind tatsächlich vermutlich deutlich niederer. Der Grund dafür ist, dass die bisher vorliegenden Studien sich nicht auf die Gesamtheit von Infizierten in der Bevölkerung bezogen, sondern auf Menschen, die sich in einer Kli-
nik vorgestellt hatten. Alle Experten gehen von einer nicht erfassten hohen Zahl unerkannt Infizierter aus, die nur geringe Symptome entwickeln. Aufgrund dieser „Dunkelziffer“ ist der tatsächliche prozentuale Anteil derer, die schwer erkranken oder der Infektion erliegen, als weit geringer anzunehmen als bisher vermutet. In Deutschland liegt der Anteil der Verstorbenen unter den SARS-CoV2-Infizierten nach neuesten Zahlen bei 0,4%. Virologisch und epidemiologisch unbestritten ist, dass wir alle der Infektion auf Dauer nicht entkommen können. Konsens der Fachleute ist, dass wir einer „Durchseuchung“ (etwas vornehmer ausgedrückt: Herdenimmunität) entgegengehen: An deren Ende werden bis zu 70% der Bevölkerung (das sind in unserem Land 50-60 Millionen Menschen) den Virus „durchgemacht“ und dann eine Immunität erworben haben. Diese bieten dann ihrerseits den restlichen 30% der Bevölkerung, sozusagen als Puffer, einen gewissen Schutz. Die bisherigen, der Reduktion von Kontakten zwischen den Menschen dienenden Maßnahmen haben – was
gerne verdrängt wird – nicht das Ziel, Menschen vor der Infektion zu schützen. Sie sollen lediglich verhindern, dass sozusagen „alle auf einmal“ krank werden und unsere medizinischen Einrichtungen überfordern. Daher sind die Maßnahmen jetzt erst einmal richtig. Auf längere Sicht schützen sie aber niemanden, auch die besonders Gefährdeten nicht vor einer Infektion! Unsere Gesellschaft steht vor einem Dilemma: Je konsequenter und länger wir die radikalen Maßnahmen der Kontaktsperre aufrechterhalten, desto weniger Menschen werden zu einem gegebenen Zeitpunkt krank, desto länger würde es aber auch dauern, bis die genannten 70% der Bevölkerung, also rund 50-60 Millionen Menschen „durchinfiziert“ wären. Virologen und Epidemiologen wie der Direktor des Robert-Koch-Instituts haben nur das eine Ziel vor Augen: der Kurvenverlauf müsse abgeflacht werden, um unsere medizinischen Einrichtungen, die als nur wenig veränderbare, konstante Größe kalkuliert werden, nicht zu überlasten. Diese Argumentation ist zunächst einmal richtig. Dass an
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Samstag, 18. April 2020 einer Lungenentzündung erkrankte Menschen, wenn sie stationäre Behandlung brauchen (nicht alle brauchen sie), eine Klinik finden, ist ein „Muss“. Menschen haben, damit ihre Gesundheit geschützt bleibt, aber nicht nur körperliche, sondern auch psychische, soziale und kulturelle Bedürfnisse, die ebenso zu beachten sind, in ihrer Bedeutung aber gerne unterschätzt oder gering gehandelt werden. Politik hat das gesamte Spektrum dieser Bedürfnisse im Auge zu behalten. Menschen können ohne sozialen Kontakt auf Dauer nicht auskommen. Menschen sind ausweislich ihrer neurobiologischen Konstruktionsmerkmale auf sozialen Kontakt angewiesene Wesen. Zwischenmenschliche Nähe ist, wenn sie einem Menschen nicht aufgezwungen wird, eine der stärksten heilsamen Drogen, die wir kennen. Psychisches Erleben hat tiefgreifende, wissenschaftlich nachweisbare – und tatsächlich unendlich oft nachgewiesene - Auswirkungen auf die biologischen Abläufe des menschlichen Körpers. Das menschliche Gehirn – US-Kollegen prägten den Begriff des „social brain“ – konvertiert psychische und soziale Erfahrungen in Biologie. Mit am stärksten davon betroffen ist das menschliche Immunsystem, dessen biologische Abwehrkräfte erlahmen, wenn Menschen Einsamkeit oder soziale Ausgrenzung erleben. Dass die moderne Medizin, auf die wir uneingeschränkt stolz sein können und selbstverständlich nicht verzichten wollen, diesen Aspekt unterbewertet, ist bedauerlich, macht ihn aber nicht weniger bedeutsam. Menschen ohne Kontakt werden krank und depressiv oder aggressiv. Gemeinschaft, soziale und kulturelle Verbundenheit sind unersetzliche, essentielle Lebensbedürfnisse. Die analoge, physische Gemeinschaft mit anderen Menschen lässt sich durch digitale Kommunikationsmedien für viele Menschen gar nicht, für die andere
nur eingeschränkt und jedenfalls nicht auf Dauer ersetzen. Vielen alten Menschen, vielen Blinden oder schwer Behinderten, aber auch vielen Kleinkindern stehen die digitalen Kommunikationsmittel gar nicht zur Verfügung. Aber auch diejenigen, die in der digitalen Welt zuhause sind, wissen, dass der physische Kontakt, der Blick in die Augen eines Anderen, der Austausch eines Lächelns von Angesicht zu Angesicht letztlich nicht zu ersetzen ist. Gemeinsam Ausflüge zu machen, gemeinsam Konzerte zu besuchen oder sich anlasslos treffen zu können sind menschliche Grundbedürfnisse. Weil sie genau das sind, haben wir die Grundrechte. Sie sind kein juristischer Selbstzweck. Sie sekundieren menschliche Grundbedürfnisse. Wichtig für künftige Notzeiten: eine Bettenreserve Aus diesen Gründen muss Politik mehr sein als Virologie und Epidemiologie. Politik muss mehrere Zielgrößen im Auge haben. Die körperliche Gesundheit des Menschen ist eine, ja eine besonders wichtige Ziel-
größe - aber nicht einzige. Ich sehe die Gefahr, dass wir als Gesellschaft dabei sind, unseren Blick unter der Drohung der uns bevorstehenden Epidemie auf die Virologie zu verengen. Die hier von mir nicht weiter thematisierten wirtschaftlichen Schäden, die der Shut-Down vieler gesellschaftlicher Bereiche anrichtet, sind derart gewaltig, dass jetzt hunderte von Milliarden aufgebracht werden sollen, um die Folgen von Maßnahmen wiedergutzumachen, die eigentlich eine Therapie sein sollten. Dies mag in Ordnung sein. Doch warum verwenden wir nicht einen guten Teil dieser „Bazooka“-Gelder dazu, unsere medizinischen Strukturen in kürzester Zeit baulich, apparativ und personell massiv aufzurüsten? Für eine solche notfallmäßige Hochgeschwindigkeits-Aufrüstung mit Schaffung von 50.000 zusätzlichen Betten nötig wäre ein Betrag in der Größenordnung von 25 bis 50 Mrd. €. Die aktuelle Covid-19-Pandemie ist nicht die erste, die unser Land heimsucht, und sie wird nicht die letzte gewesen sein. In Deutschland
liegt die Influenza-bedingte Übersterblichkeit seit vielen Jahren alljährlich bei über 20.000 Menschen. Neue unbekannte Erreger sind auch in der Zukunft zu erwarten. Daher ist für ein Land wie das unsere eine Bettenreserve für die Notzeiten einer Epidemie unverzichtbar. Sie kann in „Friedenszeiten“ ruhiggestellt werden. Zu einer solchen Reserve zählt auch ein Personalpool von Menschen, die in Friedenszeiten hinreichend trainiert wurden und in Notzeiten kurzfristig aktiviert werden können. Diese Bettenreserve vorzuhalten, wäre, wie wir jetzt sehen, eine weit billigere Angelegenheit als das, was wir jetzt zur Stützung der Wirtschaft und zur Abwendung eines Totalkollaps der Gesellschaft ausgeben müssen.
ZUM AUTOR
Professor Dr. Joachim Bauer Universitäts-Professor Dr. Joachim Bauer ist Professor für Psychoneuroimmunologe, Facharzt für Innere Medizin und für Psychiatrie und in beiden Fächern auch habilitiert. Von der Corona-Krise ist er persönlich wegen einer Bronchial-Allergie betroffen (was ihn zu einem Teil der Risikogruppe macht) sowie auch als Betreuer seiner 89-jährigen, in einem Berliner Pflegeheim lebenden erblindeten Mutter. Bauer forschte am Mount Sinai Medical Center in NYC über Immunbotenstoffe und war lange Jahre am Uniklinikum Freiburg tätig. Er lebt und arbeitet in Berlin, wo er eine Gastprofessur innehat. „Das Gedächtnis des Körpers – Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern“ (Piper Verlag, 11 Euro) und „ Wie wir werden wer wir sind – Die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz“ (Blessing Verlag, 22 Euro) heißen zwei seiner Bestseller.
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Eine Hand wäscht die andere, oder wie?
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Coronavirus. Die drastischen Maßnahmen der deutschen Behörden gegen die Verbreitung des Virus könnten am Ende zu einer paradoxen Reaktion führen: Gelingt die Eindämmung auf einige Zehntausend Fälle mit anschließend flacher Kurve, wird es heißen: Und deswegen all die Verbote? Gelingt dies trotz aller Maßnahmen nicht, heißt es: Wofür der ganze Zauber? Hat ja eh nichts genutzt! Von Michael Zäh
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s ist nicht so, wie man denkt, sondern so, wie es kommt. Das sagte Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse und einer der größten Denker der Menschheit. Dies ist keinesfalls zu verwechseln mit dem rheinischen Grundgesetz: „Et kütt wie et kütt.“ Denn dieses „Es kommt wie es kommt“ ist eher fatalistisch lässig gemeint, bis hin zum unvermeidlichen Untergang, während Freud sein Leben lang Wissenschaftler war, der sich Gedanken darüber machte, was den Menschen helfen könnte. Niemand von uns hat derzeit die Macht, auch nur zu wissen, was kommt und wie es kommt. Wohl auch unsere Wissenschaftler nicht, denen aber in der derzeitigen Situation zunächst einmal Glauben geschenkt werden sollte. Und diese haben denn auch eine recht klare Formel in Umlauf gebracht: Siebzig Prozent der deutschen Bevölkerung werden sich über kurz oder lang mit dem Corona-Virus anstecken. Dies wären rund 58 Millionen Menschen in Deutschland. Die Frage sei nur, in welchem Zeitraum dies geschehe. Und genau diese Frage sei entscheidend dafür, wie schlimm es kommt. Entweder zur Katastrophe und dem gesellschaftlichen Zusammenbruch, oder zu einer gewaltigen Aufgabe, die aber bewältigt werden könnte. Die Wissenschaftler gehen bei ihren Prognosen von zwei Prämissen aus: Erstens wird sich das Corona- Virus so lange von Mensch zu Mensch weiter verbreiten, in Deutschland wie in der Welt, bis es keine neuen Wirte mehr findet, die nicht schon immun sind. Und zweitens würde die Kurve der Ansteckungen in kurzer Zeit steil nach oben gehen, wenn keine einschneidenden Maßnahmen ergriffen würden. Wenn wie bisher knapp ein Sechstel der Infizierten einen schweren Verlauf der Lungenkrankheit bekämen und daher im Krankenhaus behandelt werden müssten, dann wären dies also knapp neun Millionen Menschen. Dieses Szenario ist so, wie Wissenschaftler es heute denken. Nein, keiner weiß, ob es so kommt. Weil aber allein die Möglichkeit besteht, dass es –
ohne all die Gegenmaßnahmen, die bereits ergriffen wurden – zu einem Kollaps in Kliniken führen könnte (weil natürlich nicht neun Millionen Menschen dort gleichzeitig behandelt werden könnten) alles rechtfertigt, was man dagegen tun kann, kommt es im Moment bei der Gesellschaft – uns allen – ganz gut an, wenn nun der Ausnahmezustand ausgerufen ist. Noch dazu, weil die Wissenschaftler ja darauf hinweisen, dass es hauptsächlich eine bestimmte Gruppe ist, die durch den Rest der Gesellschaft – uns alle – geschützt werden müsse: Ältere und bereits erkrankte Menschen, also unsere Eltern oder Großeltern (insofern wir das nicht selbst schon sind). Und wer möchte nicht seine eigenen Eltern schützen? Ohne die Bereitschaft aller käme es laut Hochrechnungen bis zu 1,8 Millionen Toten in kürzester Zeit durch das Corona-Virus. Hinzu kämen vermutlich noch viele weitere Tote, die an ganz anderen Krankheiten (wie etwa Herzinfarkte, Krebs und dergleichen) leiden, aber wegen des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems nicht mehr entsprechend versorgt werden könnten. Dass es nicht so kommen darf, wie sich das die Wissenschaftler vorsorglich denken, überzeugt auch jene von uns, die ungern auf all das verzichten, was unser Leben schon auch ein bisschen ausmacht: Soziale Kontakte, Kultur, Sport, Kneipen, die Freiheit, sich dort bewegen zu dürfen, wo man will. Man übt sich in Solidarität, es fühlt sich ja auch an wie zwischen den Zeiten (verwandt mit den wenigen Wochen zwischen den Jahren), ist mal etwas Neues und schweißt im Abstandhalten sogar zusammen. Eine Weile geht das gut. Es sind Coronaferien, die man gar nicht beantragen musste (ja, die man nicht mal auf die eigene Kappe nehmen muss), eine überraschend geschenkte Zeit im Kreise seiner Nächsten. Und es kann sogar sein, dass man dann in neun Monaten den „Corona-Baby-Boom“ feststellt. Ja, was soll man auch machen, wenn man mal nicht gestresst ist? Eine Weile lang ist es ein Test, der seinen Reiz entfaltet. Das sonstige gesellschaftliche Leben in Deutsch-
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Die „Bazooka“ soll nun also helfen Es ist eine seltsame Wortwahl, die Finanzminister Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in Anschlag bringen: Der Bund werde die „Bazooka“ gegen die Auswirkungen des Corona-Virus einsetzen. Nun ja, das ist wohl als Beruhigung gemeint, obwohl das „Ofenrohr“ im Zweiten Weltkrieg als eher grobschlächtige Waffe der US-Streitkräfte galt, die nicht selten die Schützen selbst zu Tode verbrannte. In Übersetzung heißt dies, dass der Bund in unbegrenzter Höhe Kredite für Firmen bereitstellen will, die durch das Corona-Virus in Not geraten sind. „Das ist ein Schritt, den es so in der Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben hat. An fehlendem Geld und fehlendem Willen soll es nicht scheitern“, so Altmaier. Man sitze auf gut gefüllten Kassen und habe deshalb auch großes Durchhaltevermögen, sagte Scholz. „Wir können alles stabilisieren, was stabilisiert werden muss“, so der Finanzminister weiter. Dies soll für kleine wie für große Unternehmen gelten, so heißt es. Wenn man dies aber die „Bazooka“ nennt, rennen viele Firmen gleich davon. Verbrennungsgefahr! miz
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land ist ausgeknipst – was können wir an dessen Stelle rücken? Manche machen vielleicht den Couch-Potato vor der Glotze, dem Computer oder dem Handy. Ist bequem und tut nicht weh. Wann hat man das schon, dass es auch noch ohne schlechtes Gewissen gemacht werden kann? Ist zum Schutz der Großeltern und ja auch staatlich verordnet. Andere nutzen die Auszeit dafür, mal das zu machen, an das sie sonst gar nicht denken dürfen. Nachdenken übers eigene Leben und das der Nächsten. Sogar über Politik und Ethik. Mal ein Buch lesen, das tausend Seiten hat. Mal raus aus der ewigen Beschleunigung des sonstigen Alltags, um zu sich selbst zu finden. Quasi eine Erfrischungskur für Geist und Seele. Und dann soll es auch jene geben, die ganz konkret helfen wollen. So gibt es bereits spontan gegründete Nachbarschaftshilfen für ältere Menschen, damit diese nicht selbst einkaufen gehen müssen. Oder es gibt Leute, die vorübergehend arbeitslos geworden sind und sich als Babysitter anbieten, um jene zur Arbeit gehen zu lassen, die dringend benötigt werden, vor allem im Gesundheitssystem. Wenn wir alle immer schön unsere Hände waschen und es dann auch noch stimmt, dass offiziell eine Hand die andere wäscht, weil die Regierung einfach allen Betroffenen finanziell unter die Arme greift, könnte am Ende etwas ganz Großartiges stehen. Das wäre fast wie das deutsche Wirtschaftswunder in der Folge des Zweiten Weltkriegs. Die Frage ist allerdings, wie lange diese Solidarität gutgehen kann. Denn angesichts existenzieller Nöte von all jenen, die freischaffend tätig sind oder auf öffentliches Publikum angewiesen sind, wird es wohl nicht allzu lange dauern, bis es sogar soziale Unruhen geben wird. Wenn in vier Wochen alles unter Kontrolle wäre und die rigorosen Beschränkungen mit Pauken und Trompeten alle wieder aufgehoben werden könnten, wäre dies noch machbar. Dann würde sich die Gesellschaft ob ihres Zusammenhalts vielleicht
sogar feiern. Wenn es nach acht Wochen immer noch heißt, dass kein Ende absehbar sei, sondern immer noch neue unzumutbare Restriktionen erlassen würden, rauscht die gesellschaftliche Depression heran. Wenn es ein halbes Jahr, gar ein Jahr oder länger dauern sollte, wäre die Gesellschaft und die Wirtschaft, wie wir sie heute kennen, nicht mehr wieder zu erkennen. Dann wäre es nicht so, wie es von heute aus gedacht war, sondern so, wie es dann gekommen ist. Es wäre der Absturz ins Bodenlose, mit allen politischen Verwerfungen, die das mit sich brächte. Kurzfristig könnte es zu einer paradoxen Reaktion kommen: Sollte es nämlich gelingen, dass durch die drastischen Maßnahmen des Staates die Zahl der Infektionen recht konstant auf einem niedrigen Niveau gehalten würde und dann flach verläuft, dann würden die Millionen Menschen, die ihre wirtschaftliche Existenz verloren haben, sagen: Wie bitte, wegen nur ein paar zehntausend Infektionen wurde vom Staat der Ausnahmezustand verfügt und habe ich alles verloren? Sollte aber umgekehrt eine gesundheitliche Katastrophe über das Land herein brechen, weil alle Maßnahmen es nicht verhindern konnten, dann werden Millionen Menschen sagen, dass man dann diese wirtschaftlich vernichtenden Verbote auch hätte sein lassen können, da sie ja nichts bewirkt haben. Man kann sich das ausdenken wie man will. Derzeit werden selbst frohgemute Geister verunsichert sein und daran zweifeln ob ein „Et hätt noch immer jot jejange“ zutrifft. Es stimmt ja außerdem auch nicht, dass es noch immer gut gegangen ist. Eher könnte sein, dass das Jahr 2020 ein einschneidendes in der Geschichte der Menschheit sein wird. Womöglich kommt es so, dass der Virus irgendwann kontrolliert wird, aber die Weltordnung und die globale Wirtschaft sich zwischenzeitlich stark verändert haben werden. Könnten wir uns denken, wenn wir nicht wüssten, was Freud gesagt hat.
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