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Ausgabe 287 amam 4. April 2020 Online-Ausgabe 2. Mai 2020 Samstag, 4. April 2020
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Hygiene des Geistes
Demokratischer Diskurs
Live-Kultur
Über Populismus
Gerade weil es die Menschen so lieben, sich bei LiveActs zu treffen, Tausende oder Hunderttausende in der Gemeinsamkeit des Menschseins, ist die Live-Kultur plötzlich zum Seuchengebiet erklärt. Über eine Umdeutung. Seite 2
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und AfDMann Alexander Gauland scheinen ins gleiche Horn zu blasen. Bei genauerer Betrachtung gibt es aber mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Und zwar im Grundsatz. Seite 4
Das Biest kennt keine Seele Unter dem Druck, der derzeit in der Gesellschaft wegen der Einschränkungen herrscht, nimmt offenbar die Neigung zu, Spaltungen vorzunehmen: In Alte und Junge, Kranke und Gesunde, und solche mit Immunitätsausweis. Von Michael Zäh
E
s rumort. Je länger der Ausnahmezustand im Land anhält, desto mehr stehen auch die verantwortlichen Politiker unter Druck. Und so suchen manche nach einem Ventil, das teilweise den Druck vom Kessel Deutschland nimmt. Dabei gibt es Irrungen und Wirrungen zuhauf. Da wäre etwa der Plan von Jens Spahn und der Bundesregierung, einen Immunitätsausweis für die Bevölkerung einzuführen. Nein, kein Witz, das steht tatsächlich so in einem Gesetzesentwurf, der kürzlich vom Kabinett beschlossen wurde. Und das geht so: Wer von Corona geheilt ist, hat auf seinem Handy den Ausweis seiner Immunität gespeichert, quasi Freibrief! Der darf dann halt mehr machen als jene bedauernswerten Mitbürger, die Corona noch nicht hatten. Wir stellen uns die Weiterungen dieser Idee geradezu lässig vor: Die Profi-Fußballer aller Bundesligisten legen sich gemeinsam mit nachweislich infizierten Fans gemeinsam ins Entmüdungsbecken. Bald darauf sind alle Kicker der Liga immun (oder tot) und man kann auf den ganzen Quatsch mit den Tests und der Hygiene verzichten und die Spiele durchführen. Das spart Zeit und Geld. Und na ja, weil die Fans ja auch nicht blöd sind, bestellen jetzt alle garantiert infizierte Schals im Internet (die Nachfrage macht das Angebot möglich), um alsbald mit dem Immunitätsausweis an den Stadiontoren zu stehen. Es braucht dann keine Geisterspiele, sondern nur den guten Geist von Jens Spahn. Das Prinzip ließe sich auf so viele Bereiche ausweiten, die uns derzeit doch so viele Schmerzen bereiten: Reisen in die Sehnsuchts-
HALLO ZUSAMMEN
Am 9. Mai gibt es die neue ZaS
orte der Welt, kein Problem mit dem Immu-Pass. Auch Kulturevents locken gekonnt mit der Garantie der Ansteckung, denn nach dem Bad in der Menge steht endlich wieder die Freiheit, äh Immunität. Und was ist mit den Kneipen? Die müssen nicht mehr diese blöden Desinfizierdings bereit stellen, sondern können ein anderes Prinzip verfolgen: Steckt ihr euch heute an, dürft ihr morgen bei uns rein. Vielleicht hängen die ein altes, infiziertes Geschirrspültuch raus, an dem sich Willige den Virus abholen können. Prost auch! Leider ist die Sache zu ernst, um nur zu spotten. Denn unter dem riesigen Druck, der derzeit in der Gesellschaft entsteht, herrscht immer mehr die Neigung vor, eben diese Gesellschaft zu spalten. Etwa in jene, die es hinter sich haben mit dem Virus und jene, die sich und andere dadurch schützen sollen,
dass sie auf den größten Teil ihrer Freiheit verzichten. Immer öfter auch in: Junge und Alte, Gesunde und Kranke. Ein besonders unrühmliches Beispiel ist hier (einmal mehr) Boris Palmer, OB von Tübingen, Grüner und offenbar der deutschen Sprache nicht wirklich mächtig. Er sagte im Frühstücksfernsehen in Sat1: „Wir retten in Deutschland Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Nun ja, dass der Mann wohl selbst noch keinen Menschen gerettet hat (wie das „Wir“ suggeriert), wollen wir mal nicht zu eng sehen. Aber der Satzbau! Wieso „tot WÄREN“? Soll das heißen: Wenn wir sie nicht gerettet hätten, WÄREN sie dann tot? Dann ist ja alles gut, denn dann sind sie in einem halben Jahr ja nicht tot, weil „wir“ sie gerettet haben. Natürlich wollte Palmer eigentlich sagen: „ ... die
in einem halben Jahr sowieso tot SIND.“ Dann allerdings würde sich die Frage stellen, ob Palmer jetzt mehr als jeder Mediziner unter die Hellseher gegangen ist, der heute schon weiß, wann einer stirbt? Jenseits von Palmer (der mehr Aufmerksamkeit für seine Dummheit nicht verdient) zeichnet sich ab, dass der Zusammenhalt der Gesellschaft auf dem Spiel steht. Nicht nur die Ausgrenzung der „Alten“ (für die angeblich alle anderen mit dem Lockdown büßen müssen) zeigt das, sondern auch umgekehrt der Vorwurf an die „Jungen“, dass diese ja so leichtsinnig seien, weil sie nicht zur Risikogruppe gehören. Eine Spaltung in jene, die immun sind, jung oder alt, hilft nicht. Das Coronabiest kennt keine Seele. Wäre gut, wenn wir uns vom Seelenlosen nicht anstecken ließen.
Liebe Leserinnen und Leser, am 9. Mai werden wir Ihnen (nach einem Monat Corona-Pause) auch wieder die gedruckte ZaS anbieten, wie seit nun schon 13 Jahren zuvor. Wer Lust und Zeit hat, findet (und fand bereits in den letzten Wochen) auf unserer Homepage unter www.zas-freiburg.de JEDEN SAMSTAG unsere Online-Ausgabe der ZaS, also ein paar aktuelle Essays und News wie heute die folgenden Seiten, was insgesamt ein ganz spezielles Corona-Tagebuch der ZaS ergibt. Diese Texte sind für Sie immer am Samstag nur einen Klick weit entfernt, und zwar ebenso frisch geschrieben und meinungsstark wie sonst auch immer, selbstverständlich ohne Bezahlschranke und so, also gratis. Sagen Sie das auch gerne weiter, denn wir freuen uns über jeden Besucher, der uns online liest. Natürlich sind auch wir sehr gespannt, wie das richtige Maß zwischen der Bekämpfung des Corona-Virus und dem Ende des Ausnahmezustands in den nächsten Wochen und Monaten gefunden werden soll. Wir werden darüber kritisch berichten. Michael Zäh
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