292. Ausgabe, ET 12.09.2020

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Meinung, Tipps & mehr für volle 14 Tage Samstag, 12. September 2020

Samstag, 12. September 2020

Samstag, 12. September 2020

Ausgabe 292 am 12. September 2020 Samstag, 12. September 2020

Vergiftete Pipeline

Samstag, 12. September 2020

Vergiftete Wahl

Schwieriger Start

Nord Stream 2

US-Präsidentschaftswahl

SC Freiburg

Nach dem Giftanschlag auf den Putin-Kritiker Nawalny will Merkel „nichts ausschließen“. Das klingt aber nicht wirklich entschieden. Seite 3

Weil sowohl die Demokraten wie auch der Republikaner Trump die Wahl am 3. November zu einer über Leben und Tod erklären, könnte es Tumulte geben. Seite 8

Vor dem Start der Bundesliga und der europäischen Ligen wird über Messi, Havertz und viel Geld berichtet. Der SC hat Transfererlöse in Rekordhöhe erzielt. Seite 16

Laute(r) Irre sind unter uns Der „Querdenker“-Initiator Michael Ballweg hat auf der Demonstration in Berlin, die er juristisch durchsetzte, davon geflötet, dass Bundesregierung und Grundgesetz seiner „verfassungsgebenden Versammlung“ weichen müssen . Von Michael Zäh

E

s möge in einer freiheitlichen Gesellschaft doch gerne jeder glauben, was er eben glauben will. Was genau das dann ist, hängt ja von persönlichem und familiärem Hintergund ab, von Bildung und Einbildung, natürlich auch von den Informationsquellen – und am Ende ist es doch so, dass Glaube immer eine Entscheidung des Einzelnen ist. Wenn in Berlin Zehntausende die selbstverständliche Gelegenheit bekamen, gegen die Corona-Beschränkungen der Regierung zu demonstrieren, durften sie ihren Glauben ausleben. Und wegen der medialen Aufmerksamkeit durften auch Greti und Pleti in die Kameras sprechen. Ach, wie schön. Um nicht zu sagen: „So eine Tag, so schön wie heute, der dürfte nie ...“ Und wenn dann Orgsanisator Michael Ballweg von „Querdenken 711“ (na ja, ein Stuttgarter, wie die Vorwahl 0711 zeigt), der die Demo juristisch durchgesetzt hatte, dann an der Siegessäule in Berlin dies und das flötete, unter Applaus der Leute, dann wird ihm wohl warm ums Herz geworden sein. Ist ja geil, was? Er hat dann ja auch seine Zuhörer aufgefordert, eine Hand aufs Herz zu legen, wegen der Liebe und Dings. Das haben viele auch gemacht, wie Jünger des Auserwählten es halt so tun. Also hat Ballweg phantasiert, dass die Bundesregierung mal eben abdanken solle, das Grundgesetz quasi abgeschafft und durch die Jünger zu seinen Füßen ein neues verlautbart werden solle. Ballweg hat die Demo, die ihm so am Herzen lag, also zur „verfassunggebenden Versammlung“ ausgerufen. Wollen wir raten, wer wohl an der Spitze der neuen Verfassung das Land

HALLO ZUSAMMEN

Bob Woodward zum Zweiten

dann führen soll? Ja so ein Tag, so wunderschön ... Blöd natürlich, dass selbst ein paar Zehntausend Demonstranten in Deutschland nicht die Mehrheit bilden. 60 Prozent der rund 80 Millionen Deutschen finden laut Politbarometer die Corona-Politik von Bund und Ländern richtig. 28 Prozent ist sie sogar zu lasch, und nur zehn Prozent zu hart. Ballweg hat zwar vor seiner Bühne in Berlin eine nette Anzahl an Anhängern versammelt, aber 90 Prozent der Leute im Land gegen sich. Na, da wäre eine neue Verfassung natürlich nicht schlecht, am besten mit einem Messias-Status für Ballweg, der dann tun dürfte, was er will. Das ist ja genau die Grenze. Es darf jeder glauben, was er will. Aber es darf nicht jeder tun, was er will. Wer wie Ballweg glaubt, dass er die gewählte Regierung und das

Grundgesetz mal eben im Rausch seiner Demos abservieren könne, ist mit Verlaub: ganz einfach irre. In einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft zählt halt nunmal der Wille der Mehrheit, auf welchen Wegen auch immer dies dann ermittelt wird. Logisch, dass die Minderheit danach strebt, die Demokratie auszuhebeln. Nur so kann es ja gehen, dass ihr Wille an die Macht kommt. Daher ist es auch kein Wunder, dass auf der Demo in Berlin sich all jene zu den Verkündern der Wahrheit empor schwangen, die Feinde der Demokratie sind. Quasi aus Eigennutz. Wer keine Mehrheiten kriegt, der macht eben gerne einen auf „auserwählt“. Das ist global gesehen gar kein kleines Problem, wenn man mal an die Präsidentschaftswahl in den USA (siehe Seite 8) und die Rolle

von „QAnon“ denkt, einer neuen, alten Verschwörungstheorie, die behauptet, dass Kinder unterirdisch gefoltert werden, um einer Elite mit frischem Blut zu längerem Leben zu verhelfen. Pikant an der Sache ist, dass Donald Trump in dieser Theorie als Kämpfer gegen die Bösen gilt, also ein Auserwählter ist (für den er sich ja sowieso hält). Zwischen all den Gruppen, die in Berlin demonstrierten, fanden sich viele Bürger, die besorgt sind, die Corona-Auflagen für falsch und überzogen halten. Oft auch solche, die persönlich große Nachteile erlitten. Eine solche Kritik ist absolut berechtigt, denn es gab und gibt Fehler in der Politik. Aber so richtig laut waren die Irren, die unter uns sind. Wenn Veranstalter Ballweg tönt, macht das vernünftige Kritik zunichte. Schade drum.

1972 gab es den Einbruch, der 1974 zum Rücktritt von Richard Nixon führte, sprich: Watergate-Affaire. Maßgeblich an der Aufdeckung beteiligt war damals Bob Woodward, der zusammen mit Carl Bernstein als junge Reporter die Hintergründe des Einbruchs aufdeckten und so zu Nixons Sturz beitrugen. Natürlich werden wir uns immer Robert Redford als Bob Woodward vorstellen, der mit Dustin Hoffman (als Bernstein) in „Die Unbestechlichen“ von 1976 lauter so Sachen macht, wie etwa mit dem unterm Kinn eingeklemmten Festnetztelefon zu recherchieren (der Film bekam 1977 vier Oscars), die wir uns heute in Twitter-Zeiten kaum noch vorstellen können. Aber guck, den Bob Woddward gibt es noch heute. Und weil er ein Starreporter ist, hat er im letzten halben Jahr 18 Interviews mit Trump geführt, alle auf Band aufgenommen. Und jetzt, knapp vor der Wahl um das Amt des Präsidenten hat Woodward ein Buch darüber verfasst. Brisant: Trump verriet Woodward schon im Februar, dass Corona „tödliches Zeug“ ist, „das man einatmet.“ Michael Zäh


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