ZAS MAGAZIN, 308. Ausgabe, November 2021

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Privat wird Spinat: Popeye Kimmich ist priviligiert Der Impfstatus von Fußballspieler Joshua Kimmich wurde von der „Bild“-Zeitung ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Danach hätte Kimmich besser sagen sollen: „Meine Gründe sind privat.“ Von Michael Zäh

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rivat ist privat ist privat. Außer, wenn es ist öffentlich ist. Befremdlich an der ganzen Diskussion um den Impfstatus von Fußballer Joshua Kimmich ist mal in allererster Linie, wie es überhaupt zu dieser Diskussion kam. Denn es war ja nicht Kimmich selbst, der damit an die Öffentlichkeit ging, dass er noch nicht geimpft ist. Sondern es war die „Bild“-Zeitung, die die private Entscheidung von Kimmich ins Licht der Öffentlichkeit zerrte. Nach dieser Veröffentlichung des Privaten nahm Kimmich dazu Stellung und hagelte es Statements von allen möglichen Leuten. Und jetzt, Achtung Gretchenfrage: Wenn also ein Politiker vor den Mikrofonen des Landes sagt, dass es Kimmichs Privatsache sei, ob er sich impfen lässt oder nicht – ist das dann nicht öffentlich? Würde man die Privatsphäre von Kimmich respektieren, dann würde man jede öffentliche Äußerung darüber vermeiden. Indem aber Politiker und andere Prominente ihre eigene Meinung zur Sache öffentlich vortragen, wird „privat“ zu Spinat. Und Kimmich ist Popeye. Alles nur noch ein Comic. Diesbezüglich hat sich Uli Hoeneß mal wieder instinktsicher gezeigt. Hoeneß mochte die private Entscheidung von Kimmich nicht kommentieren. „Der einzige, mit dem ich in diesem Zusammenhang rede, ist der Joshua selbst“, sagte der ehemalige Vereinspräsident. Damit machte er das Gegenteil dessen, was etliche Politiker aller Couleurs, Virologen, Ärzte

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und die Prominenz aus der Bayern-Chefetage machten. Private Sachen bespricht man privat und lässt keine öffentliche Meinung raus. Kimmich äußerte sich also notgedrungen öffentlich zu seiner Privatsache. Er habe für sich persönlich Bedenken wegen fehlender Langzeitstudien, er verhalte sich aber nicht unsolidarisch, weil er sich alle zwei bis drei Tage testen lasse und er halte sich außerdem an die Hygienemaßnahmen. Schließlich gebe es ja auch Impfdurchbrüche. Als Kimmich dies in die Fernsehkameras sagte, weilte sein Trainer Julian Nagelsmann gerade in Quarantäne, weil er sich trotz vollständiger Impfung mit Corona angesteckt hatte. Er sei weder Corona-Leugner noch Impf-Gegner, sagte Kimmich dann noch. Joshua Kimmich ist kein Döskopf in Fußballstiefeln. Er hat ein Einser-Abitur hingelegt und würde nie: „Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien“ sagen. Aber genau weil das so ist, hat Kimmich mit seiner öffentlichen Begründung für seine private Entscheidung ein Fass aufgemacht. Er hätte lieber einfach nur sagen sollen: „Meine Gründe sind privat!“ Denn mit dem von ihm vorgetragenen Begriff

„Langzeitstudien“ spielte er selbst öffentlich im Feld der Medizin. Und hat sich dabei vertan. Generell ist es bei Impfstoffen so, antworteten die Experten, dass Nebenwirkungen innerhalb weniger Stunden oder Tage auftreten, in seltenen Fällen auch mal nach Wochen. Langzeit-Nebenwirkungen, die erst nach Jahren auftreten, sind bei Impfstoffen generell nicht bekannt. Klar ist jedoch, dass Kimmichs Einlassungen prompt politisch instrumentalisiert wurden, zuerst von Alice Weidel für die AfD. Das Raunen von den „Langzeitstudien“ schürt Ängste. „Querdenker“ freuen sich. Kurios ist natürlich, dass in vielen Bundesliga-Stadien für die Zuschauer die 2G-Regel gilt, während unten dann einer kickt, der oben gar nicht rein dürfte. Da wird es knifflig. Kimmich wartet priviligiert ab. Sollen erstmal die anderen machen. Würden alle so denken und handeln wie Kimmich, käme die Gesellschaft nie aus der Pandemie heraus. Das ist dann nicht mehr privat, weil Kimmich von der Öffentlichkeit lebt, in vollen Stadien kickt, die es nur geben kann, weil Leute geimpft sind. Politik und Gesellschaft

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