ZP 110 – Die letzte Instanz

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110 Nov./Dez. 2010 10.– CHF 6.50 €

Die Zukunft des Euro S 26  Visionäre von übermorgen S 30  Der Wirbelstrom S 34 Nachhaltigkeit gibt’s nicht als Stückwerk S 38     Neues vom Rütli der Bio-Bewegung S 40     Eine kurze Reise nach Masloc S 48     Buch mobil S 52     Sonne macht satt S 54     Wie Gott das Gehirn verändert S 60

Laser Proof

Für intelligente Optimistinnen und konstruk tive Skeptiker


Es liegt tief in unserer Seele ein angeborenes Prinzip der Gerechtigkeit und der Tugend, nach dem wir unsere Handlungen und die anderer beur­teilen, ob sie gut oder böse sind. Und diesem Prinzip gebe ich den Namen        Gewissen.

Jean Jaques Rousseau Impressum Zeitpunkt 110 NOVEMBER/DEZEMBER 2010 Erscheint zweimonatlich, 19. Jahrgang Verlag / Redaktion /  Aboverwaltung Zeitpunkt Werkhofstrasse 19 CH-4500 Solothurn Aboverwaltung: Hannah Willimann T 032 621 81 11, F 032 621 81 10 mail@zeitpunkt.ch, www.zeitpunkt.ch Postcheck-Konto: 45-1006-5 IBAN: 0900 0000 4500 1006 5 ISSN 1424-6171

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Vertrieb Deutschland Synergia Verlag und ­Mediengruppe Erbacher Strasse 107, 64287 Darmstadt T 06151 – 428910, info@synergia-verlag.de Redaktion Tom Hänsel (Gestaltung), Michael Huber MH, Christoph Pfluger CP (Leitung), Roland Rottenfußer RR, Mathias Stalder MS, Dr. Peter Bosetti Ständige MitarbeiterInnen: Maggie Haab (MAG), Geni Hackmann (GH), Sagita Lehner (SL), Heinzpeter Studer, Alex von Roll (AVR), Ernst Schmitter

Anzeigenberatung Mathias Stalder Zeitpunkt, Werkhofstrasse 19 CH-4500 Solothurn T 032 621 81 11, M 076 409 72 06 inserate@zeitpunkt.ch Abonnementspreise Der Abopreis wird von den Abonnentinnen und Abonnenten selbst bestimmt. Geschenkabos: Fr. 54.– (Schweiz), Fr. 68.– (Ausland), Einzelnummer: Fr. 10.–/Euro 6.50 Druck und Versand AVD Goldach, 9403 Goldach

Papier Rebello Recycling Herausgeber Christoph Pfluger Bildnachweis Titelbild: Tom Hänsel, sowie Fotos und Illustrationen auf den Seiten 6, 13, 17, 22, 23, 26,, 57. Beilagen Teilauflagen dieser Ausgabe liegen Prospekte bei des Versandhauses Waschbär, des Vereins Eins und Sein und des Visionsforums Schweiz.


Editorial

Das Gewissen Liebe Leserinnen und Leser Ich gebe es zu: Wir haben bei unseren Schwerpunktthemen einen Hang zu Superlativen. Die nächste Welt, die grosse Befreiung und jetzt die letzte Instanz. Das liegt nicht nur an uns, sondern auch an den Aufgaben, mit denen uns diese Zeit konfrontiert. Wir alle spüren: Irgendeinmal stellt sich die Frage, ob wir auf dem bisherigen Weg weitergehen wollen, oder nicht doch eine unange­ nehme Entscheidung treffen müssen. Und wie alle hinausgeschobe­ nen Entscheidungen wird auch diese früher oder später von der letzten Instanz behandelt werden. Wer könnte das sein? Kein Gericht dieser Welt hat umfassende Legitimität, keine Ideologie verfügt über einen universellen Wertekanon, und kein Gott wird von allen Menschen akzeptiert. Die einzige Instanz, die in allen Kult­uren und Religionen akzeptiert wird und die in allen Menschen lebt, ist das Gewissen. Der einzige Tyrann, den ich in dieser Welt anerkenne, ist die leise innere Stimme. Mahatma Gandhi

So einfach lässt sich die letzte Instanz allerdings nicht anrufen. Das Gewissen macht sich nicht nur als innere Stimme bemerkbar, sondern auch als verinnerlichte Normen der Gruppe, der wir für unser Überleben angehören: der Familie, der Gesinnungsgenos­ sen, der Gesellschaft oder des Staates. Und diese Normen sind wohl letztlich für das grosse Dilemma dieser Zeit verantwortlich. Als letzte Instanz taugen sie nicht. Mit den Feinheiten dieser Unterscheidung möchten wir uns in dieser Nummer befassen. Und dann möchten wir uns und Ihnen Mut machen, dem Gewissen zu folgen. Denn damit geht es uns doch wie mit vielem andern auch: Wenn wir uns allein fühlen, braucht es mehr Mut, als uns in der Regel zur Verfügung steht. Wenn wir da­ gegen wissen, dass viele andere Menschen auch diesem Weg folgen, kann sich eine kollektive Gewissenskraft entwickeln. Und die kann mehr bewirken, als wir uns in den kühnsten Träumen vorzustellen wagen. Die Superlativen haben also eine gewisse Berechtigung. Ich wünsche Ihnen einen besinnlichen November und eine geruhsame Weihnachtszeit. Herzlich Christoph Pfluger, Herausgeber

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Inhalt

Schwerpunkt: die letzte instanz

5 Das Gesetz der Gesetze Christoph Pfluger 6 Die höchste Instanz Die letzte Entscheidung können nur wir selber tragen. Roland Rottenfußer 12 Im Namen der Wahrheit Whistleblowers sind Menschen, die, ungeachtet aller Konsequenzen für sich selber, für ihre Wahrheit einstehen. Antje Bultmann

14 Ein gutes Gewissen trotz schwieriger Herkunft Antje Bultmann 15 Der Peis des Gewissens Ich zahle, also bin ich. Maggie Haab 16 Gewissens- oder Ermessensfrage? Niemand kann mit Berufung auf sein Gewissen anderen Nachteile aufbürden oder die Verfassung brechen. Richard Schröder 20 In Therapie statt an die Macht Wären Konzerne Menschen und nicht einfach «juristische Personen», müsste man sie als geisteskrank bezeichnen. Maggie Haab 22 Gewissensheldinnen trotz oft widriger Umstände 24 Gewissenhafte Lektüre

26 Entscheiden & arbeiten

26 Die Zukunft des Euro Wie kann eine so simple Wahrheit so lange verborgen bleiben? 30 Visionäre von übermorgen Auf der Suche nach Lösungen

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Geni Hackmann Leila Dregger

34 Vollwertig Leben

34 Der Wirbelstrom Im Kanton Aargau ist das grösste Wasserwirbelkraftwerk der Welt in Betrieb genommen worden. Michael Huber 38 Nachhaltigkeit gibt’s nicht als Stückwerk «Neustart Schweiz» – jetzt will ein Verein konkret werden. Christoph Pfluger 39 Wahre Werte 40 Neues vom Rütli der Bio-Bewegung Die Industrialisierung hat auch den Bio-Markt erreicht. Michael Huber

48 Horizonte erweitern

48 Eine kurze Reise nach Masloc Christoph Pfluger 52 Buch mobil … als Störbuchhändler unterwegs: Urs Heinz Aerni 54 Sonne macht satt Kann ein Mensch ausschliesslich von Licht leben? Maggie Haab 55 Agenda 57 Das Seidenhemd 58 Frankoskop Zeitreisen ­ Ernst Schmitter 60 Wie Gott das Gehirn verändert Wer glaubt, befreit sich … Roland Rottenfußer 62 Kleinanzeigen 64 Leserbriefe 66 Brennende Bärte Geni Hackmann


Die letzte Instanz von Christoph Pfluger

Das Gesetz der Gesetze

E Das Gewissen ist die Wunde, die nie heilt. Friedrich Hebbel

s gibt kein Element des menschlichen Lebens mit mehr Reichweite und grösserer Tiefe – die Liebe vielleicht ausge­ nommen. Es gibt keine universellere Quelle von Ethik und Wert, stärker als jeder Gott der Religionen dieser Welt, als jede Idee oder jeder Verein – die Staaten damit eingeschlossen –, als das Gewissen. Es ist «das Gesetz der Gesetze», wie der französische Schriftsteller und Politiker Alphonse de Lamartine (1790–1869) schrieb. Wenn alle Werte wanken, ist das Gewissen die letzte Zuflucht, der Ort der sicheren Unterscheidung zwischen Ja und Nein. Die Sprache des Gewissens ist universell. Es verstehen sie alle Herzen, stecken sie nun in der Brust eines Wall-Street-Mannes, einer Buschfrau oder eines Waisenkindes. Aber das Gewissen wird bedroht, das spüren wir alle. Es wird bedroht durch die verinnerlichten Normen von Familie und Gesellschaft, von Ideologien und Religionen. Unglücklicherweise bezeichnen wir dieses aufgepfropfte «Wissen» um richtig und falsch ebenfalls als «Gewissen». Die Unterscheidung ist nicht einfach, besonders dann nicht, wenn uns angepasstes Verhalten lange genug grosse Vorteile bescherte. Aber wir erkennen es daran, dass sich dieses «Gewissen» mit Geld oder Wohlverhalten beruhigen lässt, früher vor allem in der Kirche, heute überall – denken Sie nur an den grünen Konsum. Wohlgemerkt: Man soll alles tun, was zur Beruhi­ gung des Gewissens angeboten wird, ausser Öko-Autos, ethische Kapitalanlagen und ähnliche Illusionen kaufen, aber man soll damit nicht sein Gewissen beruhigen wollen. Denn das wahre Gewissen ruht nie – von verdienten Ruhezeiten abgesehen –, bis die Welt ein Ort des Frie­ dens und der Gerechtigkeit ist. Das wahre Gewissen kann auch niemals «schlecht» sein. Wir machen es bloss schlecht, weil uns seine Stimme stört. Und es kann auch nicht gut sein. Deshalb können wir nichts für ein «gutes Gewissen» tun. Entwe­ der wir hören es oder wir hören es nicht. Indem wir es vernehmen, überschreiten wir aber

gleichzeitig und unbemerkt die Grenze des verlustfreien Rückzugs. Wir haben, ohne wirklich wählen zu können, die Wahlfreiheit verloren. Denn wer in diesem Stadium gegen sein Gewissen handelt, muss mit ernsthaften und höchst unangenehmen Langzeitfolgen rechnen: Depres­ sion, Sucht, Liebesunfähigkeit, Hoffnungslosigkeit und schliesslich ein verzweifelter Abschied aus einem ver­ passten Leben. Der Preis, sich gegen sein Gewissen zu wenden, ist hoch. (Wohl deshalb müssen die Manager so gut bezahlt werden.) «Das strengste Gericht ist das eige­ ne Gewissen», hat schon der Römer Juvenal geschrieben, «hier wird kein Schuldiger freigesprochen.» Aber wir wollen hier nicht über die Gefahren der Unterdrückung des Gewissens nachdenken, sondern über seine unversiegbaren Kräfte. Das Gewissen ist so unendlich privat, dass wir dabei gerne übersehen, dass auch alle anderen Menschen ein Gewissen haben, das letztlich für dieselben Werte steht: für Humanität in umfassendem Sinn. Man stelle sich vor – und ich kann nicht anders, als diesen starken Traum zu träumen – die Gewissen aller Menschen würden sich zu einer grossen kollektiven Macht verbinden! Kein Tyrann, keine Ideo­ logie, keine Angst wäre vor dieser Kraft der Erneuerung sicher. Das Paradies würde ausbrechen. Wie können diese Gewissenskräfte entfesselt werden? Appelle und Normen fruchten nichts oder können sich sogar ins Gegenteil verkehren, das zeigt die Geschichte. Sie zeigt aber auch, dass einfache Men­ schen, die ihrem Gewissen gefolgt sind, den Lauf der Dinge nachhaltig verändert haben: Martin Luther, Henri Dunant, Mahatma Gandhi und viele andere. Ich glaube, dass es heute auf der einen Seite schwie­ riger ist, auf sein Gewissen zu hören. Die Ablenkungen sind omnipräsent, und die Möglichkeiten der Gewis­ sensberuhigung sind attraktiv und mehrheitsfähig. Andererseits ist es aber einfacher, seinem Gewissen zu folgen. Es ist leichter, sich mit Menschen zu verbinden, die diesen Weg gehen und sich gegenseitig unterstützen. Und irgendwie liegt die grosse geistige Veränderung in der Luft, der Durchbruch des kollektiven Gewissens. Hören wir auf, Widerstand zu leisten.

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Die letzte Instanz

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Die letzte Instanz von Roland Rottenfußer

Die höchste Instanz Die letzte Entscheidung können nur wir selber tragen, und das Organ dazu ist das Gewissen. In Zeiten, wo uns eine «alternativlose» Politik ohne Gewissen aufgezwungen wird, ist es die grosse Alternative – und Chance.

Ü Das Gewissen warnt uns als Freund, bevor es uns als Richter straft. Stanislas I. von Polen

ber das Gewissen gibt es viel zu lesen, aber ist es auch fühlbar? Ich erinnere mich an die «Stimme des Gewissens» wie an ein Fieber. Nach meinem Studi­ um hatte ich den dringenden Wunsch, ein Praktikum in einem Buchverlag zu absolvieren. Ich fand eine Stelle in einem bekannten Münchner Grossverlag. Wie sich nach wenigen Tagen herausstell­ te, war dessen politisches Programm rechtslastig. (Es war naiv von mir, dies nicht zum Voraus recherchiert zu haben.) Ein Bestseller war Franz Schönhubers «Ich war dabei», in dem er beschönigend über seine Zeit bei der Waffen-SS berichtete. Schönhuber war damals gerade dabei, eine rechtspopulistische Partei, die Republikaner, aufzubauen und galt als potenziell gefährlichster Mann Deutschlands. Ich «rang» ein Wochenende lang mit mir und fühlte mich von meinem Gewissen regelrecht belästigt. Ich glaubte, plötzlich nicht mehr die Wahl zu haben und fühlte mich wie «fremdbestimmt», obwohl ich eigent­ lich höchst selbstbestimmt handelte. Am nächsten Morgen sagte ich meiner Vorgesetzten rund heraus, dass ich den Verlag sofort verlassen würde – wegen Schönhuber. Alle im Verlag reagierten verständnisvoll, ich aber hatte mich damit einer beruflichen Chance beraubt. Ich erinnere mich an folgende Überlegung: Würde ich im Verlag bleiben und dort «Karriere» machen, wäre mein gesamtes künftiges Berufsleben mit einem Makel behaftet. Ein bisschen Eitelkeit und Eigennutz spielte wohl auch eine Rolle. Durch diesen Job fühlte ich mich in meiner Zugehörigkeit zur Grup­ pe der Antifaschisten in Frage gestellt. Ich hätte es nicht mit meinem Selbstbild vereinbaren können. Meine Geschichte ist recht harmlos verglichen mit anderen Gewissenstaten. In Deutschland verband

man den Begriff «Gewissen» lange Zeit vor allem mit Martin Luther. Der weigerte sich vor Gericht, seine Angriffe gegen den Papst zu widerrufen, «weil wider das Gewissen etwas zu tun, weder sicher noch heil­ sam ist.» Luther entging nur knapp seiner Verhaftung und war lange Zeit auf der Flucht. Der englische Dichter und Baptistenprediger John Bunyan weigerte sich, das Predigtverbot der anglikanischen Kirche zu befolgen. Er verbrachte zwölf Jahre seines Lebens in Kerkerhaft. «Ich werde lieber bis zum Ende meiner Tage im Kerker ausharren, als mein Gewissen aufop­ fern», sagte Bunyan. Als er entlassen wurde, predigte er wieder und wurde wieder eingesperrt. Erst 1687 wurde er mit der «Indulgenz-Akte» rehabilitiert – und starb kurz darauf.

Der historische Held dient der Erbauung; der gegenwärtige Held in der Nachbarschaft ist eine Provokation und daher unerwünscht. Er konfrontiert einen mit der eigenen Feigheit. Im Nachkriegsdeutschland ist Sophie Scholl zum Prototypen der Gewissensheldin geworden. Im vierten Flugblatt der Widerstandsbewegung «Die Weisse Rose» heisst es: «Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen.» Sophie und andere Mitglieder der Gruppe wurden 1943 von den Nazis hingerichtet. War mit dem Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland «alles gut»? Keineswegs, der Rassismus lebte in anderem Gewand weiter, und in den USA wurde Martin Luther King zum Kämpfer für die Rechte der Schwarzen. «Mein Verhalten wird bestimmt durch die zwingende Stimme des Gewissens und den Wunsch, der

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Die letzte Instanz

Wahrheit und dem Willen Gottes zu folgen, wo sie auch hinführen möge. (…) Etwas muss geschehen, um das schlummernde Gewissen Amerikas zu wecken, ehe es zu spät ist.» Auch Martin Luther King bezahlte seine Entscheidung mit dem Leben.

Sei deines Willens Herr und deines Gewissens Knecht. Marie von Ebner-Eschenbach

Menschen, die für ihr Gewissen Nachteile in Kauf nehmen, bewegen die Welt. Auch heute noch, denkt man etwa an Aung San Suu Kyi in Burma oder an Nelson Mandela in Südafrika. Der Gewis­ sensbegriff allerdings hat sich gewandelt: Wurde er bei Luther noch sehr stark mit «Gottes Stimme» identifiziert, empfinden es moderne Helden eher als autonome Instanz in ihrem Innersten. Noch älter als diese beiden Versionen ist aber wahrscheinlich das Bindungsgewissen. Bert Hellinger versteht darunter eine mahnende Stimme, die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sicherstellt. «Über­ all, wo es Bindungen gibt, gibt es automatisch eine spontane Wahrnehmung: ‹Was gilt hier, damit ich dazugehören darf, und was muss ich tun und lassen, damit ich meine Zugehörigkeit nicht verliere?› Das Wahrnehmungsorgan für diese Art der Wahrnehmung ist das Gewissen. Daher hat einer, der mehreren Gruppen angehört, auch verschiedene Gewissen.» Den Wahrheitsgehalt von Hellingers Aussage kann man leicht überprüfen. Jemand ist beruflich engagiert und Familienvater. Vernachlässigt er den Betrieb, hat er ein schlechtes Gewissen gegenüber seinem Chef; arbeitet er dagegen bis spät in die Nacht, hat er ein schlechtes Gewissen gegenüber seinen Kindern. Auch der Verrat an der «Volksgemeinschaft» konnte etwa im Dritten Reich eine Quelle von Gewissens­ bissen sein. Paradoxerweise konnte es jemanden in Gewissensnot bringen, einen Feind nicht zu töten, einen versteckten Juden nicht zu verraten usw. Das Bindungsgewissen erwies sich oft als stärker als jede Vorstellung von Humanität. Die Bindungen, die uns an die Wertvorstellungen unserer Eltern ketten, sind wohl die stärksten, die es gibt. Was wir als Kinder gehört haben, prägt sich so tief ein, dass wir das Ergebnis oft plumper Manipulation später als unser «Ureigenes» empfinden. Sigmund Freud machte das Gewissen am «Über-Ich» fest. Was wir an Normen und Regeln von unseren Eltern mitbekommen haben, verinnerlichen wir. Das im Unterbewusstsein gespeicherte Abbild des mahnenden Vaters wirkt dann selbst in Abwesenheit des realen Vaters als strenger Zuchtmeister. Omar Khadr, der aus einer Familie von Al-Kaida-Kämpfern stammt, trieb sein Bindungsgewissen dazu, schon mit fünfzehn Jahren in Afghanistan gegen die Amerikaner zu kämpfen. Seine Bewacher in Guantanamo Bay folterten ihn dann ebenso «gewissenhaft». Vielleicht

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entsprach dieses Verhalten den Vorstellungen deren Eltern von einem «guten Amerikaner». Ist das Gewissen also ein nebulöses, beliebig form­ bares Ding, das wir zu Unrecht mit «Standfestigkeit» gleichsetzen? Friedrich Nietzsche brandmarkte in sei­ ner Schrift «Zur Genealogie der Moral» das schlechte Gewissen als autoaggressiven Akt. Der Mensch, so Nietzsche, sei voll natürlicher, destruktiver Impulse: Feindschaft, Grausamkeit, Lust an der Zerstörung. Werden diese Impulse durch eine rigide Moral ge­ hemmt, wenden sie sich gegen ihren Urheber. Er quält sich dann dauernd mit Skrupeln und entwickelt ein schlechtes Gewissen. «Mit ihm aber war die grösste und unheimlichste Erkrankung eingeleitet, von wel­ cher die Menschheit bis heute nicht genesen ist, das Leiden des Menschen am Menschen, an sich: als die Folge einer gewaltsamen Abtrennung von der tierischen Vergangenheit.» Für mich ist das Gewissen keine «Krankheit», sondern das einzig Gesunde, wenn die Welt um uns herum verrückt spielt. Das «Bindungsgewissen» versucht persönliche Nachteile zu vermeiden (den Ausschluss aus der Gemeinschaft). Interessant wird es

In einer Zeit «alternativloser» Politik ist das Gewissen zwar nicht verboten, verkümmert aber wie ein zu wenig genutzter Muskel. aber, wenn jemand aus Gewissensgründen bewusst einen Nachteil in Kauf nimmt – im äussersten Fall sogar den Tod. Das Buch «Die Macht des Gewissens» von Siegfried Fischer-Fabian erzählt hierzu ein paar erschütternde Geschichten. Etwa die eines Bauern­ sohns aus dem Sudentenland, der sich weigerte, der SS beizutreten. Er schreibt im Februar 1944 an seine Eltern: «Ich muss Euch heute eine traurige Nachricht mitteilen, dass ich zum Tod verurteilt wurde, ich und Gustav G. Wir haben es nicht unterschrieben zur SS. (…) Wir beide wollen lieber sterben als unser Gewissen mit so Greueltaten beflecken.» In solchen Fällen hat man das Gefühl, dass «höhere menschliche Fähigkeiten» am Werk sind. Normaler­ weise erstrebt der Mensch Glück und will Leid ver­ meiden – eine Binsenweisheit, wie sie z.B. der Dalai Lama ständig wiederholt. Wie kommt es dann, dass Menschen so eklatant gegen ihre eigenen Interessen verstossen? Dass sie für eine Idee von «anständigem Handeln» sogar ihr Leben geben? «Ein Opfer zu bringen» ist heutzutage nicht oppor­ tun. Im Gegenteil: Viele versuchen, klaren Entschei­


Die höchste Instanz

dungen auszuweichen. Politiker wollen beweisen, dass «Ökonomie und Ökologie keine Gegensätze sind». Fir­ men versuchen, Gewinne mit einem ethischen Wer­ tekanon zu verbinden. Vegetarier legen Wert darauf, dass umweltfreundliche Ernährung auch fantastisch schmeckt. Es mag zwar meistens möglich sein, ein guter Mensch zu sein und zugleich ein angenehmes Leben zu führen, aber manchmal fordert das Gewis­ sen eine Entscheidung.

Gewissen ist das Bewusstsein eines inneren Gerichts­ hofes im Menschen. Immanuel Kant

Das Gewissen ist ein «Organ für die Ganzheit». Philosophen, Mystiker und Quantenphysiker sagen übereinstimmend, dass die Welt eine Einheit ist. Die Menschen, alle anderen Lebewesen und die unbelebte Materie gehören untrennbar zusammen. Erstaunlich ist nur, wie die Illusion von Trennung entstehen konn­ te. Das Wissen um die Ganzheit sagt uns, dass wir nicht andere Menschen, Tiere oder die Umwelt ver­ letzen können, ohne zugleich uns selbst zu verletzen. Dieses Wissen ist uns aufgrund kultureller Prägung nicht immer bewusst zugänglich; unbewusst lebt es aber durchaus in uns: als Ge-Wissen. Manchmal zeigt es sich in Form eines intuitiven Unbehagens, das auftritt, wenn wir die Ganzheit verletzt haben. Im Gegensatz zum Bindungsgewissen kann das Gewissen als «Organ der Ganzheit» durchaus gegen die Normen der eigenen sozialen Gruppe rebellie­ ren. Das Ganzheitsgewissen hat seinen Sitz in einem «innersten Bezirk» des Menschen. Es war da, bevor die Manipulationen von Eltern, Milieu und Zeitgeist greifen können und ist deshalb von diesen unab­ hängig. Wir müssen das Ganzheitsgewissen nicht erst erwerben, wir müssen nur die Ablagerungen entfernen, die es verdecken. Gewissen-haft zu sein, meint keine egozentrische Fundamentalopposition.

Es resultiert aus der Erkenntnis: «Es geht nicht nur um mich.» Diese Art von Ganzheitsgewissen braucht es heute dringender denn je.

Wir müssen nicht nur unsere Sensoren für die Verletzung der Ganzheit schärfen, sondern auch den Mut in uns stärken, destruktiven Kräften zu widerstehen. Ein Gewissen, das keine praktischen Folgen hat, bleibt in unfruchtbarer Grübelei stecken. Auch Demokratien brauchen Nachhilfeunterricht punkto Gewissen. Im deutschen Grundgesetz heisst es: «Abgeordnete sind «nur ihrem Gewissen unterworfen», andererseits sind sie «Vertreter des ganzen Volkes» – beides wären hehre Werte, wenn sie wirklich praktische Politik bestimmen würden. In Wahrheit überlagern meistens Fraktionszwänge die Verbindung zwischen dem Volk und «seinen» Abgeordneten. Eine kleine Führungsriege innerhalb der Parteien dominiert und manipuliert die Basis. Die Führung wiederum wird gesteuert durch «Sach­ zwänge», die von mächtigen globalen Konzernen und Banken geschaffen wurden. Da kommt es den Mächtigen zupass, dass der Begriff «Gewissen» einen etwas angestaubten Ruf hat. Er scheint nicht mehr so recht in eine Zeit globaler Verstrickungen und Polit-Macher zu passen. Gewis­ sensentscheidungen verlangen eine klare Trennung: Hier der böse Tyrann, dort der Held, der sich

Wo ist die letzte Instanz? Antworten von LeserInnen Die letzte Instanz ist für mich die höchste Autorität, nach der ich mich richte oder auch nicht. Und wenn ich mir das genau überlege, kann das nur ich selber sein mit der Summe aller Teile, die zu mir gehören: Körper, Seele, Geist. Je mehr ich diesen Instanzen gerecht werde und sie ihre jeweiligen Aufgaben und Bestimmungen erfüllen können, desto erfreulicher verläuft mein Leben. Therese Messmer, Kindhausen Für mich ist die letzte Instanz «das höhere Selbst». Wir sind mit einer Aufgabe (und ganz vielen Rechten) auf dieser Erde, nämlich unserer Bestimmung zu folgen, unsere Fähigkeiten voll auszuleben und damit das friedliche Zusammenleben und die Erhaltung unserer Umwelt zu fördern. Wir sind auch dazu

geboren, glücklich, frei und selbstverantwortlich zu sein. Diese Rechte dürfen, müssen wir einfordern … Den ganz eigenen Weg zu finden, uns von unseren Verstrickungen, Ängsten und Verurteilungen zu befreien, und damit uns und die Mitmenschen universell zu befreien, im karmischen Sinne, bedeutet manchmal sehr harte und schmerzhafte Arbeit. Die Intuition ist das Sprachrohr unseres Lebensplanes. In Stille und Offenheit können wir die Antworten finden auf unsere Fragen; die richtige, vielleicht unbequeme Lösung kommt immer zur rechten Zeit am rechten Ort. Diese Arbeit, die oft nicht ganz so hart ausfällt, wie befürchtet, ist unsere Aufgabe. Licht, Ruhe und Freude sind der Lohn dafür. Jeder hat seinen eigenen Weg, und den soll er gehen dürfen, bedingungslos. Dies ist die letzte Instanz. Martin Kamber, Biel

Meine letzte Instanz bin nur ich. Ich bin verant­ wortlich für alles, was ich tue und muss es mit meinem Gewissen vereinbaren. Egal, welches weltliche oder religiöse Gericht etwas über mich entscheidet, die letzte Instanz bleibt bei mir. Die Verantwortung kann ich nicht abgeben. Heini Baumgartner, Zürich Da es «die letzte Instanz» nicht mehr gibt, begnügen wir uns doch mit der Distanz. Das fordert alle Instanzen, auch die letzte, heraus: Aktiv zu werden und Distanz zu nehmen – auch zu sich selber. So ergibt sich auch eine Verbindung zum Thema Freiheit: Distanzen, das sind die Zwischenräume, die Spielräume, die Freiräume. Samuel Eugster, Rodersdorf

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Die letzte Instanz

ihm mit ganzer Kraft entgegenstemmt. Die Bürger moderner, gelenkter Demokratien aber sind selbst in tyrannische Systeme verstrickt: durch falsche Wahlund Konsumentscheidungen. In einer Zeit «alterna­ tivloser» Politik ist das Gewissen zwar nicht verboten, verkümmert aber wie ein zu wenig genutzter Muskel. Die beste Möglichkeit, das Gewissen einzuschläfern, besteht darin, eine anstehende Gewissensentschei­ dung zu leugnen.

Wenn man ein recht kräftiges, von Ge­ sundheit strotzen­des Gewissen hätte, dann getraute man sich zu tun, was man am liebsten möchte. Henrik Ibsen

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«Wer aufrecht geht, ist in jedem System nur historisch hoch angesehen», sang Konstantin We­ cker. Politiker rühmen die Widerstandskämpfer im Dritten Reich und jene, die sich der DDR-Diktatur entgegengestemmt haben. Wenig später gehen sie ungerührt daran, den Willen derer zu brechen, die gegen rigide Demonstrationsauflagen verstossen. Wer heute aufbegehrt, dem wird kein Denkmal gebaut. Er wird durch Geldstrafen und Prozesse zermürbt, isoliert und klein gemacht. Gewissenstaten gehen in der Flut oberflächlicher Medienberichte unter. Selbst Gesinnungsgenossen mögen einen Helden für seinen unvernünftigen Hang zur Selbstschädigung bespöt­ teln. Der historische Held dagegen dient der Erbau­ ung; der gegenwärtige Held in nächster Nähe ist eine Provokation und daher unerwünscht. Er konfrontiert einen mit der eigenen Feigheit und zeigt, dass es eine Alternative zur Untätigkeit gibt. Es gibt aber auch einen hoffnungsvollen Aspekt: Das Gewissen geniesst von allen Motiven zum Wider­ stand das höchste Ansehen. Ein Gewissen, das stär­ ker ist als der Wunsch, Leiden zu vermeiden, macht frei – auch heute noch. Ein grosser Gewissensheld lässt sich wegsperren und später in die Geschichte wegloben; viele kleine Gewissenshelden würden die Planbarkeit, die Kontrollierbarkeit politischer Pro­ zesse überhaupt in Frage stellen. Stellt euch vor: Ein Offizier würde befehlen, Zivilisten in Afghanistan zu bombardieren, und die Antwort des Piloten wäre «Nein». Sachbearbeiter auf den Sozialämtern würden sich weigern, Leistungsempfänger zu drangsalieren. Bankangestellte würden aufhören, ihre Kunden zu belügen und ihnen faule Papiere zu verkaufen. Po­ lizisten würden plötzlich entdecken, dass sie von der Politik missbraucht werden, um Entscheidungen gegen das eigene Volk durchzusetzen und würden sich weigern, gegen Demonstranten vorzugehen. Undenkbar?

Wie sähe eine Welt aus, in der das Gewissen den Gehorsam als Leitbild ablösen würde? Es wäre eine Welt, in der Befehlsketten reissen und Machtmit­ tel verpuffen. Sicher auch eine «chaotische» Welt, in der Fehler gemacht würden, aber eine sehr lebendige. In der Sachzwang-Realität kommt es immer wieder zu grotesken Situationen. Wenn etwa von Kassenpa­ tienten Zusatzbeiträge eingetrieben werden, obwohl

Ein grosser Gewissensheld lässt sich wegsperren und später in die Geschichte wegloben; Viele kleine Gewissenshelden würden die Kontrollierbarkeit politischer Prozesse in Frage stellen. allen klar ist, dass man die Macht der Pharmakon­ zerne brechen und die Preise auf Medikamente be­ grenzen müsste. Kaum einer will, was jetzt geschieht, aber jeder spielt mit: der Gesundheitsminister – mehr Getriebener als Handelnder –, die Kassenleitung, die der Politik gehorcht; die Sachbearbeiter, die der Kassenleitung gehorchen und die Beiträge eintreiben; die Patienten, die sich widerwillig in ihr Schicksal fügen. «Alternativlosigkeit», wohin man schaut. Was fehlt, ist eine Gegenmacht, die fähig wäre, den Druck von oben mit Gegendruck zu parieren. Diese Gegenmacht ist in jedem von uns vorhanden. Es ist unsere höchste Instanz, das vergessene Organ der Ganzheit: unser Gewissen. Mit dem Erwachen des Gewissens zeigen sich plötzlich Alternativen, ver­ schwindet der Automatismus des gehorsamen Funk­ tionierens. Um unser Gewissen heute anzuwenden, fehlt es uns weder an Gelegenheiten, noch an Dring­ lichkeit. Es fehlt am Bewusstsein, dass überhaupt eine Instanz jenseits von Sachzwang und Eigennutz existiert. Wo sie sich meldet, wird sie zum Schweigen gebracht oder bagatellisiert. Wir müssen nicht nur unsere Sensoren für die Verletzung der Ganzheit schärfen, sondern auch den Mut in uns stärken, de­ struktiven Kräften zu widerstehen. Ein Gewissen, das keine praktischen Folgen hat, bleibt in unfruchtbarer Grübelei stecken. Lasst es uns wieder entdecken, es pflegen und respektieren! Eine Welt, in der das Gewissen regiert, statt gewisse Interessengruppen, wäre eine bessere Welt.


E S OTE RI K

Natura MESSE VORTRÄGE AUSSTELLUNG Hellseher Heiler Kartenleger Jenseitskontakte

A-INNSBRUCK

4. Dezember 2010

3. Kritischer Impftag Solothurn mit Dr. med. Rolf Kron, Deutschland

19. – 21. Nov. 10, Messehalle 27. - 29. Mai 11, Messehalle

CH-BERN

03. – 05. Dez. 10, Bea Expo

A-Lauterach/Bregenz 01. – 03. Apr. 11, Hofsteigsaal

CH-OLTEN

15. – 17. Apr. 11, Stadttheater

D-Lindau

Informationen und Anmeldung unter Telefon 031 352 10 38 oder www.artis-seminare.ch

19. – 21. Aug. 11, Inselhalle Geöffnet: Fr 13.00 - 19.00 Sa 10.00 - 19.00 und So 10.00 - 18.00

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Am 28. November

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Die letzte Instanz von Antje Bultmann

Im Namen der Wahrheit Whistleblowers sind Menschen, die, ungeachtet aller Konsequenzen für sich selber, für ihre Wahrheit einstehen. Meistens werden sie dafür geächtet, abgeschoben und ausgestossen. Eines der eindrücklichsten Beispiele dafür ist Siegwart Horst Günther, der Arzt, der durch die Hölle ging.

J Whistleblower sind das wache Gewissen einer Gesellschaft. Friedrich Schorlemmer

anuar 1991: Im Golf tobt ein Blitzkrieg. Die NATO befreit den geografisch und ressour­ cenmässig wichtigen Zwergstaat Kuwait aus den Klauen des irakischen Diktators Saddam Hussein. An der irakischen Grenze zu Kuwait entdeckt ein deutscher Arzt namens Siegwart Horst Günther im Oktober 1991 Kinder, die herumliegende Projektile wie Puppen anmalen und damit spielen. Eines der Kinder stirbt kurz darauf an Leukämie. «Das machte mich misstrauisch», sagt Günther. Er war dann Kinderarzt in einem Krankenhaus in Basra (Irak) und behandelte dort Kinder mit ra­ dio- und chemotoxischen Vergiftungen. Es waren entsetzliche Krankheitsbilder, todgeweihte Kinder mit schwersten Organstörungen, Leukämie, bösartigen Hautgeschwüren oder einem zerstörten Immunsystem. Zu dieser Zeit wurden immer mehr missgebildete Säuglinge geboren. Seine Beobachtungen veröffentlichte der Profes­ sor im «Neuen Deutschland». Darin äusserte er die Vermutung, die NATO habe im Golfkrieg 1991 ABCWaffen eingesetzt. Es wird wohl ein Geheimnis bleiben, wer ihm Ende 1991 in einem Hotel in Amman, in dem er gewöhnlich abstieg, einen vergifteten «WillkommensTrunk» auf den Nachtisch stellte. Er wurde misstrau­ isch, als er herausbekam, dass es kein Präsent des Hauses war. Bei einer Untersuchung fand man Arsen in dem Getränk. Wollte man ihn ausschalten, weil es zu brisant war, den Zusammenhang zwischen Uran­ munition und den entsetzlichen Krankheitsbildern aufzudecken? Neben der Strasse zwischen Bagdad und Amman fand Günther eines Tages zufällig Urangeschosse. Er

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liess ein Uran-Projektil im Juli 1992 in Deutschland an der Humboldt- und der Technischen Universität in Berlin untersuchen. Dort stellte man fest, dass es radioaktiv und hoch toxisch war. Für eine genauere Analyse wandte er sich an die Freie Universität in Berlin, wo er unverzüglich «wegen Freisetzung ionisie­ render Strahlung» kurzzeitig festgenommen wurde. Im Januar 1993 habe man versucht, ihn an seinem Wohnort in St. Peter-Ording zu ermorden, berichtet Günther. Ein Jeep ohne Licht, der am Strassenrand wartete, überfuhr ihn, als er wie jeden Morgen jog­ gen wollte. Mit schweren Verletzungen lag er sie­ ben Wochen in der Klinik. Die Ermittlungen gegen Unbekannt wurden bald eingestellt. Kaum aus dem Krankenhaus entlassen, nahm er seinen Kampf wie­ der auf. Am 22. Juni 1995 wurde Günther wieder verhaftet. Er war in der Zwischenzeit tatsächlich «wegen der Freisetzung ionisierender Strahlen» zu einer Strafe von dreitausend Mark verurteilt worden. Weil er sich weigerte, die Busse zu bezahlen, wurde er festge­ nommen. Günther ging in den Hungerstreik. Vor dem Kieler Gefängnis demonstrierten seine Freunde und Anhänger gegen die Festnahme. Als eine Kaution für ihn hinterlegt wurde, entliess man ihn nach dreiein­

Whistleblowers werden fast immer verfolgt und meistens «bestraft», obwohl sie nichts weiter tun, als illegale Machenschaften aufzudecken. halb Wochen. Er musste sich ein Jahr lang zweimal wöchentlich bei der Polizei melden. Der Berliner Chemiker Professor Albrecht Schott stellt fest: «Gün­


Im Namen der Wahrheit

Man muss etwas tun, um selbst keine Schuld zu haben. Dazu brauchen wir einen harten Geist und ein weiches Herz. Wir haben alle Massstäbe in uns selbst, nur suchen wir sie zu wenig. Sophie Scholl

ther ist eine unerwünschte Person. Die NATO-Staa­ ten, insbesondere die USA, fürchten die Ergebnisse aus Günthers medizinischen Untersuchungen, weil dann hohe Schadensersatzforderungen der erkrank­ ten Golfkriegsveteranen und ihrer missgebildeten Kinder drohen.» Günther lässt sich nicht unterkriegen. Es gab Versuche, ihn in der Psychiatrie zu versenken. Der Psychiater, Abteilungsleiter in einer grossen Klinik in Berlin, diagnostizierte eine übersteigerte Emoti­ onalität, weil sich Günther so engagiert gegen die Uranwaffen eingesetzt habe. Trotz seines hohen Al­ ters gibt er nicht auf. Immer wieder besuchen ihn Journalisten und TV-Teams. In unzähligen Vorträgen in aller Welt macht er auf die Gefahren der chemound radiotoxischen Geschosse aufmerksam. Unter anderem sprach er in England vor Mitgliedern des Unterhauses, in Moskau vor Generälen, in Washington vor Mitgliedern des Pentagon, in Tschechien, in Sri Lanka und in vielen anderen Ländern. Günther erhielt zahlreiche Auszeichnungen, vor wenigen Jahren den Solbach-Freise-Zivilcourage-Preis und den Nuclear

Free Future Award. Der Film über seine Arbeit im Irak «Der Arzt und die verstrahlten Kinder in Basra» erhielt den Europäischen Fernsehpreis.

Mutig handeln bedeutet nicht, furchtlos zu sein. Nur wer seine Ängste zulässt, kann Mut entwickeln und für gesellschaft­ liche Veränderungen eintreten. Whistleblowers werden fast immer verfolgt und meistens «bestraft», obwohl sie nichts weiter tun, als illegale Machenschaften aufzudecken. Günthers Geschichte ist exemplarisch dafür.

Antje Bultmann ist Autorin mehrerer Bücher, darunter «Käufliche Wissenschaft – Experten im Dienst von Industrie und Politik» (1994) und

zuletzt «Zivilcourage und Whistleblowing» (2010). Antje Bultmann war mehrere Jahre Geschäftsführerin des Whistleblower-Netzwerkes. www.whistleblower-netzwerk.net

Das Gewissen der Hiroshima-Piloten In einem Vortrag «Zivilcourage wagen – eine demokratische Tugend entdecken» setzte sich der kürzlich verstorbene Münchner Professor Kurt Singer mit dem Gewissen zweier Hiroshima-Piloten auseinander: Der eine Hiroshima-Pilot, Major Claude Eatherly, hatte jahrelang quälende Träume von im Höllenfeuer verbrennenden Menschen und verkohlten Leichen. Er versuchte sich wiederholt das Leben zu nehmen, schickte Geld nach Hiroshima und beging seltsame

Straftaten, indem er unter anderem Schecks über minimale Summen fälschte, einen Überfall beging und nichts mitnahm, in Postämter einbrach, aber die Kasse stehen liess. Aus dem «Helden von Hiroshima» wurde der «verrückte Hiroshima-Pilot». Der Major erklärte sein Verhalten selbst: Er habe sich am Tag des Atombombenabwurfs entschlossen, sein Leben der Aufgabe zu weihen, für die Ächtung aller Atombomben zu kämpfen. «Die Schuld», erklärt er, «die mit einem

solchen Verbrechen verbunden ist, hat in meinem Geist und meinem Gemüt viel Verwirrung angerichtet. Beinahe acht Jahre verbrachte ich in Spitälern und eine kurze Zeit in Gefängnissen. Ich war in Gefängnissen stets glücklicher, weil ich dadurch, dass ich bestraft wurde, die Schuld loswerden konnte.» Ein anderer Pilot, der seine Schuld nicht offen eingestand, verübte am Jahrestag des Atombombenabwurfs Selbstmord. AB

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Die letzte Instanz von Antje Bultmann

Ein gutes Gewissen trotz schwieriger Herkunft Siegwart Horst Günther ist ein Mensch wie jeder andere, mit Vorzügen und Schwächen, und doch ist er ein wahrer Held. Er ist ein Whistleblower, ein Mensch, der seinem Gewissen folgt und – gegen den Widerstand der Allgemeinheit – mit brisanten Nachrichten an die Öffentlichkeit geht. Günthers Eltern waren Nazis, er wurde katholisch getauft. Trotz ihrer jüdischen Her­ kunft war die Mutter unter Hitler Kreisfrau­ enschaftsleiterin, der Vater stellvertretender

Ein Leben lang vom Gewissen geleitet: Siegwart Horst Günther in seinem Arbeitszimmer. (Bild: Antje Bultmann)

Gauleiter und mit Göring befreundet. Im Nebenzimmer konnte der kleine Siegwart mithören, wie sich der Vater mit dem Ober­ befehlshaber der Luftwaffe unterhielt. Der erklärte immer: «Wer Jude ist, das bestimme ich». Eines Tages wurde die Mutter nach Berlin zitiert und von ihrem Arbeitsplatz gefeuert. Ansonsten passierte ihr nichts. Der Vater war Lehrer in einer einklassigen Schule in einem Dorf in der Nähe von Leipzig. Weil er ein überzeugter Nazi war, sehr autori­ tär und seine Schüler immer wieder mit dem Stock verprügelte, hielt man zu der Familie Günther Abstand. Der kleine Siegwart hatte keine Spielkameraden. Auch er wurde immer wieder von seinem Vater geschlagen. «In meinem Elternhaus», berichtet Gün­ ther, «kam es immer wieder zu grossen

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Spannungen. Der Nationalsozialismus liess sich nun mal schwer damit vereinbaren, dass meine Mutter Jüdin war.» Unter welch extremen Verhältnissen der kleine Siegwart gross wurde, zeigt sich auch daran, dass ihn die Mutter eines Tages beauftragte, sie zu erschiessen. Zu seiner Entlastung erklär­ te sie in einem Schreiben, mit der Tötung ihren Sohn selbst beauftragt zu haben, der keine Verantwortung dafür trage. Auch der Vater wollte sich einmal an einem Baum im Garten aufhängen. Sein Sohn Siegwart, der zufällig dazu stiess, hielt ihn auf. Am Tag nach der Reichspogromnacht im November 1938 wurde der damals 13Jährige von der Gestapo verhört. Er musste die Schule wechseln, weil er dort entsetzt darüber berichtet hatte, wie zwei jüdische Geschäftsleute zusammengeschlagen wor­ den waren. Als 17-Jähriger wurde er als Fahnenjun­ ker nach Stalingrad eingezogen. Schon hier zeigte er Zivilcourage. In einem kleinen Ort in der Ukraine schoss er in die Luft, anstatt – wie ihm wiederholt befohlen wurde – auf Partisanen und Juden zu zielen. Er redete sich heraus, dass seine Brille kaputt sei und kam ungeschoren davon. In dieser Zeit lernte er einen Major kennen, der für die Gruppe Stauffenberg arbeitete und ihn ins Hauptquartier der Armee nach Berlin beorderte. Dort setzte man Günther als Ku­ rier ein. Ihm wurde nicht gesagt, worum es ging, er ahnte es aber. Nach dem missglückten Attentat auf Hit­ ler – Stauffenberg war bereits hingerichtet worden – wurde Günther am 23. Juli 1944 von der Gestapo verhaftet und kam in Berlin ins Gefängnis. Vermutlich rettete ihm sein

Cousin, der für die Waffen-SS im HitlerHauptquartier arbeitete, das Leben, indem er ihn im März 1945 in das KZ Buchenwald überführen liess. Die Alliierten standen dort quasi vor der Tür. Im April 1945 wurde das Lager befreit. Ab 1946 studierte Günther in Ostberlin Medizin und beendete sein Studium vier Jahre später mit Auszeichnung. 1953 wurde er ha­ bilitiert. 1956 wurde er nach Kairo berufen, 1960 nach Damaskus. 1963 ging er zu Albert Schweizer nach Lambarene. In der Folgezeit wechselte er häufig seinen Arbeitsplatz. Im­ mer wieder arbeitete er an Universitäten und in Krankenhäusern im Nahen Osten. Günther hat rund zwanzig Jahre mutig und seinem Gewissen folgend gegen die tödliche Vergiftung durch Depleted Uranium (DU) gekämpft. Er hat viel einstecken müs­ sen, bereut aber nichts. Damit ist er nicht allein. Eine US-Studie der Whistleblower-Ex­ perten Don und Karen Soeken besagt, dass zwei Drittel der mutigen Boten brisanter Nachrichten ihre Arbeit verlieren. Die Kolle­ gen sprechen nicht mehr mit ihnen. Achtzig Prozent fühlen sich isoliert und machtlos und werden sehr misstrauisch. Zwei Drittel haben finanzielle Schwierigkeiten, zwan­ zig Prozent Probleme mit der Familie. Und trotzdem bereuen neunzig Prozent nichts und würden das Gleiche wieder tun. Ob­ wohl sie gelitten haben, fühlen sie sich gut, weil sie sich selbst treu geblieben sind. Nur zehn Prozent der Whistleblower bedauern hinterher, was sie gemacht haben. Mutig handeln bedeutet nicht, furchtlos zu sein. Nur wer seine Ängste zulässt, kann Mut entwickeln und für gesellschaftliche Veränderungen eintreten.

Die NATO-Staaten, insbesondere die USA, fürchten die Ergebnisse aus Günthers medizinischen Untersuchungen, weil dann hohe Schadens­ersatz­ forderungen der erkrank­ten Golfkriegsvete­ranen und ihrer missgebildeten Kinder drohen.


Die letzte Instanz von Maggie Haab

Der Preis des Gewissens Ich zahle, also bin ich. Auch wenn der Mensch eigenständig über den Preis einer Ware entscheiden kann, will er gerecht handeln. Damit bleibt das Gleichgewicht, das universelle Prinzip des Gebens und Nehmens gewahrt. Die unternehmerischen Vorteile des freien Preises ‹Pay What You Want› (PWYW) haben wir im letzten Heft vorgestellt. Nun wechseln wir die Seite. Auch beim Zahlungsverhalten des Konsumenten ist das Gewissen die letzte Instanz. Würden wir den Predi­ gern der Marktwirtschaft glauben, wäre das System der freien Bezahlung bereits gescheitert, bevor es richtig begonnen hat. Denn einem rationalen und gewinnorientierten Homo Oeconomicus bietet sich hier die beste Gelegenheit, das System zu seinem persönlichen Vorteil auszunutzen. Aber diese Rech­ nung wurde ohne das Gewissen gemacht. Denn die Mehrheit der Menschen handelt nicht egoistisch. Der Sozialökonom und Leiter des ‹Insti­ tuts für Empirische Wirtschaftsforschung› der Univer­ sität Zürich, Prof. Dr. Ernst Fehr, untersuchte 2004 anhand von Spielsituationen die Zahlungsmoral: Etwa die Hälfte der Menschen verhält sich kooperativ und gibt bereitwillig Geld für einen gemeinschaftlichen Zweck – auch ohne beobachtet oder sanktioniert zu werden. Nur dreissig Prozent verhalten sich aus­ schliesslich egoistisch. Das ändert sich sofort, wenn sie beobachtet werden: Kaum etwas ist so schlimm wie soziale Missbilligung. Werden die Sanktionen noch konkreter, etwa mit Bussen, verhalten sich beinahe alle kooperativ. In der Praxis ist die Lage

noch erfreulicher: Forscher um Ju-Young Kim von der Goethe-Universität in Frankfurt erhoben 2009 in Deutschland die bezahlten Beträge, wenn die Kunden frei über den Preis des Essens oder des Haarschnitts entscheiden konnten. Kein einziger Konsument hat gar nichts bezahlt, obwohl dies möglich gewesen wäre. Warum bloss? Das Vertrauen des Verkäufers verwandelt die ursprünglich ökonomische Beziehung zwischen ihm und dem Kunden in eine soziale. Wer etwas bekommt, möchte auch etwas zurückgeben. Der Konsument ist gewissenhaft bestrebt, einen fairen Preis zu bezahlen und damit das Gleich­ gewicht zwischen Geben und Nehmen zu erhalten, in der Soziologie Reziprozität genannt. Die Studien von Fehr oder Kahneman et al. (1986) bestätigen, dass die Mehrheit der Menschen sogar lieber einen Ver­ lust auf sich nimmt, als eine ungleiche Verteilung zu akzeptieren. Ist der Wert eines Gutes nicht bekannt, braucht der Mensch Hilfe: «Ich habe beobachtet, was die anderen bezahlt haben.» Die Zirkusleute des Cir­ que de Loin (ehem. Zirkus Chnopf) erwähnen nach der Vorstellung, welcher Beitrag ihre Kosten decken würde. Eine Zuschauerin über die Hutkollekte: «Wenn ich genug Geld bei mir habe, gebe ich auch mehr und wenn ich mal weniger dabei habe, werde ich trotzdem nicht von der Show ausgeschlossen.»

Wie das Gewissen rechnet Der freie Preis ist komplexer, als nur eine Gewissensangelegenheit. Was bei freien Preisen bezahlt wird, setzt sich gemäss Ju-Young Kim von der Goethe-Universität Frankfurt aus folgenden Faktoren zusammen: 1. Fairness: Die Idee des Fairnessgleichgewichts geht davon aus, dass Menschen denjenigen helfen, die ihnen freundlich gesonnen sind und die Unfreundlichen bestrafen. 2. Altruismus: Die Erkenntnis, dass Menschen auch

ohne Gegenleistung geben, lässt darauf schliessen, dass reiner Altruismus tatsächlich existiert, aber individuell unterschiedlich ausgeprägt ist. 3. Loyalität: Die Beziehung zu einem Verkäufer wirkt sich meist auch auf den bezahlten Preis aus. Stammgäste gäben durchschnittlich 1,05 Prozent mehr Trinkgeld. 4. Preisbewusstsein: Konsumenten auf Schnäppchensuche geben bei PWYW tendenziell weniger aus.

5. Einkommen: Wer mehr hat kann auch mehr geben und umgekehrt. 6. Zufriedenheit: Gefällt dem Kunden das Produkt oder die Dienstleistung, so ist der Wille gross, dies auch finanziell zu vergüten. 7. Interner Referenzpreis: Wen Konsumenten unsicher über den Wert einer Ware sind, lassen sie sich von bereits gemachten Preiserfahrungen ähnlicher Produkte leiten.

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Die letzte Instanz von Richard Schröder

Gewissens- oder Ermessensfrage? Niemand kann mit Berufung auf sein Gewissen anderen Nachteile aufbürden oder die Verfassung brechen. Dies sind zwei der Einschränkungen, die der deutsche Theologe und Verfassungsrichter Richard Schröder nennt. Viele politische Streitfälle sind nur Ermessensfragen. Aber wie unterscheiden wir das eine vom anderen?

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Das Gewissen ist etwas, das weh tut, wenn sich alles andere wohl fühlt. Robert Lembke

nter den vielen Fragen, die wir täglich zu entscheiden haben, lassen sich zwei Sorten mindestens unterscheiden. Die einen nenne ich Ermessensfragen. Wir wägen das Für und Wider ab und ent­ scheiden dann. Nehme ich das Auto oder die Bahn? Wir mussten nicht unbedingt so entscheiden, wie wir entschieden haben. Wenn es um gewichtigere Fragen geht, etwa Investitionsentscheidungen mit viel Geld und grosser Wirkung, ist Gewissenhaftigkeit gefor­ dert, mehr aber haben sie mit Gewissen nicht zu tun. Die meisten politischen Fragen sind Ermessensfra­ gen. Ein oder zwei Prozent Mehrwertsteuererhöhung sind keine Gewissensfrage. Abgeordnete, die sich in solchen Fragen aufs Gewissen berufen, meinen wohl in Wahrheit den Wahlkreis, in dem ihnen eine Entscheidung übel genommen wird. Die andere Sorte nenne ich Gewissensfragen oder Bekenntnisfragen. Bei ihnen geht es um ein Entwe­ der-Oder, aber ausserdem entscheide ich zugleich mit, wer ich bin oder sein will. Sie kommen nicht alle Tage vor, und manchmal merken wir erst hinterher, dass wir mit einer solchen Frage zu tun hatten und falsch entschieden haben. Das sind die Situationen, an die wir uns hinterher nicht gern erinnern. Es fällt dann schwer, in den Spiegel zu schauen, d.h. mein eigener Mitwisser zu sein. Im forum internum haben Gewissensfragen die Form «Kann ich das verantworten?» Ich kann solche Fragen auch – hoffentlich – mit Vertrauten besprechen. Trotzdem bleibt die Frage dabei im forum internum, da über die Mitwisserschaft des Gesprächs­ partners hinaus andere (noch) nicht betroffen sind. Gewissensfragen können aber nicht aufs forum in­ ternum beschränkt werden, denn das würde heissen:

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Denken darfst du, was du willst, aber handeln musst du immer nach Vorschrift oder Befehl. Im forum externum lautet die Frage anders, weil da die anderen fragen: Müssen wir seine Entscheidung als Gewissensentscheidung hinnehmen? Die Frage wird nur gestellt, wenn eine Handlung als störend empfunden wird, auch auf der Ebene Bürger-Staat. Aber auch innerhalb einer Kirche oder Weltanschau­ ungsgemeinschaft kann die Frage auftreten, ob eine für die Institution lästige Berufung auf das Gewissen hingenommen werden soll. Im forum internum ist dem Betreffenden klar, dass er sich mit einer Gewissensfrage plagt. Von aussen ist nicht unmittelbar evident, ob die Behauptung, das sei für ihn eine Gewissensfrage, stimmt. Innerhalb einer Überzeugungsgemeinschaft ist das leicht zu entscheiden, weil hier der Konsens grösser ist. Unter

Gewissensentscheidungen sind nichts Alltägliches. Insofern ist die allzu häufige Berufung auf das Gewissen selbst schon ein Indiz für Missbrauch. den Bedingungen der Religions- und Weltanschau­ ungsfreiheit ist die Berufung auf die Gewissensfreiheit schwer oder gar nicht überprüfbar, weil wir nie­ mandem ins Herz sehen können. Die Berufung auf die Gewissensfreiheit erfolgt aber immer nur dann, wenn jemand für sich eine Ausnahme verlangt, also im Konfliktfall. Deshalb muss die Besorgnis ernst genommen werden, eine exzessive Berufung auf die Gewissensfreiheit könnte, wenn ihr regelmässig stattgegeben wird, das Rechtssystem selbst gefähr­ den, da es ja den Grundsatz der Gleichheit vor dem Recht aushebelt.


Gewissens- oder Ermessensfrage?

Es gibt nur einen Weg, auf dem Erdball glücklich zu werden: ein reines Gewissen zu haben – oder gar keines. Odgen Nash

Mit diesen Fragen sind die Gerichte befasst, wenn es zu Konflikten kommt, bei denen sich eine Seite auf die Gewissensfreiheit beruft. Unver­ meidlich muss die Rechtswissenschaft definieren, was in diesen Zusammenhängen unter Gewissen verstanden werden soll. Ich zitiere eine solche De­ finition: «Das Gewissen ist eine moralische Haltung oder innere Instanz, die die personale Identität eines Menschen mitkonstituiert und ihm subjektiv bindend vorschreibt, in einer bestimmten Situation Hand­ lungen als gut oder gerecht zu tun bzw. als böse oder ungerecht zu lassen» (Pieroth/Schlink). Ob eine Gewissensfrage vorliegt, ist von aussen zwar unergründlich, es gibt aber Indizien, wie den Ernst und die Tiefe der Überzeugung, was allerdings alles auch vorgespielt werden kann. Deshalb versu­ chen die Gerichte zunächst, eine «gewissensscho­ nende Alternative» zu finden und fordern auch den Kläger, der sich auf die Gewissensfreiheit beruft, auf, entsprechende Vorschläge zu machen. Wer aus Gewissensgründen jeden Eid ablehnt, kann auch ohne Eidesformel erklären, «ich sage im Folgenden die Wahrheit». Eine Biologiestudentin, die sich aus Gewissensgründen weigerte, tote Tiere zu präparie­ ren, wurde aufgefordert, zu erklären, wie sie eine analoge Studienleistung erbringen will. Gibt es Schranken der Gewissensfreiheit? Das muss bejaht werden, weil die Berufung aufs Gewissen sonst zum uneingeschränkten Verweigerungsrecht wer­ den könnte. Diese Schranken sind im Besonderen: • die Rechte dritter: Niemand kann für andere Ge­ wissen haben wollen oder mit Berufung auf sein Gewissen anderen Nachteile aufbürden; • das Gemeinwohl; • die verfassungsmässige Ordnung.

Ich nenne Beispiele für nicht anerkannte Berufungen aufs Gewissen: • mit Berufung aufs Gewissen einen Vertrag folgenlos kündigen (Abo einer nunmehr inhaltlich abge­ lehnten Zeitschrift: Er braucht sie nicht zu lesen und muss deshalb die Kündigungsfrist einhalten); • situationsbedingte Wehrdienstverweigerung (d.h. nur bei bestimmten Kriegen, gegen bestimmte Gegner: Dies widerspreche dem Begriff des Ge­ wissens); • Totalverweigerer, die auch den Zivildienst aus Ge­ wissensgründen ablehnen; • Militärsteuerverweigerung (das sei zwar eine Ge­ wissensentscheidung, aber die Steuererhebung als solche verletze sein Gewissen nicht und dem Bürger stehe nicht die Entscheidung über die Steuerver­ wendung zu, das sei das Recht des Parlaments); • Einbehalt eines Teils des Krankenkassenbeitrags, weil die Krankenkasse Abtreibungen finanziert; • Atomstromverweigerung (der Kläger könne den entsprechenden Anteil Strom sparen); • Verweigerung des Impfzwangs (die sei im Einzelfall hinnehmbar, nicht aber, wenn das viele fordern und dadurch die Gefahr der Ausbreitung dieser Krank­ heit besteht und nicht im Falle einer Epidemie); • Jemand verweigert Antibiotika für sein Kind. Der Arzt verschreibt sie, aber der Vater verabreicht sie nicht. Hier hätte der Vater dem Arzt anzeigen müssen, dass er dagegen ist, dann hätte jemand anderes dem Kind die Antibiotika verabreicht. Man sieht, dass sehr viele Berufungen auf das Grundrecht der Gewissensfreiheit windig sind und für den Betrachter wenig zu tun haben mit einem nachvollziehbaren Gewissenskonflikt. Gewissensent­ scheidungen, d.h. Entscheidungen, in denen ich

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Gewissens- oder Ermessensfrage

mit Berufung auf mein Gewissen gegen das Übliche entscheide, sind nichts Alltägliches. Insofern ist die allzu häufige Berufung auf das Gewissen selbst schon ein Indiz für Missbrauch. Nun soll das alles nicht heissen, dass die Justiz das letzte Wort darüber hat, was eine Gewissensfrage sein kann. Wir haben hier von Problemen einer Justiz gesprochen, die die Ge­ wissensfreiheit als Grundrecht anerkennt. Unter einer rechtsstaatswidrigen Diktatur sind Ge­ wissensfragen viel härter. Wer in der DDR aus Gewis­ sensgründen die Mitgliedschaft in den Organisationen der programmatisch atheistischen SED verweigerte, konnte sich an kein Verfassungsgericht wenden, son­ dern hatte die persönlichen Benachteiligungen zu tragen. Aber auch in einem Rechtsstaat kommt die Situation vor, dass jemand gegen die Rechtsordnung aus Gewissensgründen verstösst. Der Fall Daschner war von der Art, jenes Beamten, der einem Kindes­ entführer Folter angedroht hat, um das Leben des Kindes zu retten. Das Gericht hat ihn bestraft, aber milde. Und das war richtig so. Es gibt eben Fälle, in denen das moralische und das rechtliche Urteil nicht zur Deckung gebracht werden können. Wer in einem solchen Grenzfall aus Gewissensgründen die Rechtsordnung verletzt, kann nicht mit Straffreiheit rechnen, aber auf unser Verständnis. Prof. Dr. Richard Schröder (*1943 Frohburg/Sachsen)   weigerte sich, den Jugendorganisationen der SED beizutreten und erhielt nach Ablehnung der Zulassung zur Oberschule seine Ausbildung ausschliesslich an kirchlichen Institutionen. Er studierte Theologie und Philosophie, wirkte als Pfarrer und als Dozent für Philosophie an den kirchlichen Hochschulen in Naumburg und Berlin. 1990 war er Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer und danach des Deutschen Bundestages. Seit 2001 ist er Mitglied des Nationalen Ethikrates. Der vorliegende Text ist ein gekürzter Ausschnitt des Referates «Über das Gewissen», gehalten am 21. Februar 2007 an der Akademie der Konrad Adenauer Stiftung und erscheint mit freundlicher Genehmigung der Stiftung. Konrad Adenauer Stiftung, Rathausallee 12, 53757 Sankt Augustin, www.kas.de

Man kann nun die Strategie verfolgen, alle Bekenntnisfragen zu Ermessensfragen abzumildern, nach dem Muster «ist doch alles bloss Ansichts­ sache». Wer schliesslich gar keine Bekenntnisfragen mehr kennen will, wem gar nichts heilig ist, der wird für seine Mitmenschen unheimlich, weil niemand weiss, woran er mit ihm ist. Das ist die Weigerung, überhaupt ein Gewissen haben zu wollen. Es gibt aber auch die umgekehrte Strategie, Er­ messensfragen zu Bekenntnis- oder Gewissensfragen zu stilisieren. Das ist die Strategie des Fanatismus, der jeden Kompromiss verweigert, weil es angeblich immer ums Ganze geht. Das vereinfacht die Orien­ tierung, weil man bloss dafür oder dagegen sein muss, während es einige Mühe kostet, das Für und Wider gerecht abzuwägen. Auch wenn sich solcher Fanatismus aufs Gewissen beruft, bleibt er doch, was er ist: eine subtile Tyrannei. «Mein Wille geschehe – und deiner nicht und frag nicht, warum». Als letzten Punkt gehe ich noch einmal auf die Gewissensfreiheit des Abgeordneten ein. «Die Abge­

ordneten sind an Aufträge und Weisung nicht gebun­ den und nur ihrem Gewissen unterworfen» (Art. 38 GG). Sehr oft wird kritisiert, die Fraktionsdisziplin verstosse gegen diesen Satz. Was durch die Wendung «an Aufträge und Weisung nicht gebunden», ausge­ schlossen werden soll, ist das imperative Mandat. Die Wähler können nicht sagen: «Wenn du nicht unsere Aufträge durchführst, entziehen wir dir das Man­ dat.» Auch die Parteien nicht – und selbstverständlich auch nicht die Regierung. Denn der Abgeordnete ist zuerst Abgeordneter des ganzen Volkes, nicht eines Wahlkreises oder einer Partei. Zwar unterliegt der Abgeordnete für sein Abstimmungsverhalten keiner formellen Begründungspflicht. Das heisst aber nicht, dass er willkürlich entscheiden darf oder grundsätz­ lich geheim. Als Volksvertreter muss er seine Gründe und seine Entscheidung sichtbar machen. Nun ist das Parlament kein unverbindlicher Diskutierclub, sondern der Gesetzgeber. Es kann nur durch Mehrheitsentscheidung tätig werden. Ein Par­ lament, das permanent keine Mehrheitsentscheidung zustande bringt, muss aufgelöst werden. Denn es gibt auch ein Menschenrecht auf eine handlungsfähige Regierung und eine handlungsfähige Volksvertre­ tung. Deshalb ist es legitim, wenn in einer Fraktion

Allein gegen alle, das bringt Bewunderung ein. Diese Bewunderung übersieht leicht den Schaden, den solche Robin-HoodRomantik anrichten kann. sehr deutlich zurückgefragt wird, wenn jemand die Zustimmung zu einem gemeinsamen Vorhaben ver­ weigert und das Parlament in die Gefahr der Entschei­ dungsunfähigkeit bringt. Allein gegen alle, das bringt Bewunderung ein. Diese Bewunderung übersieht leicht den Schaden, den solche Robin-Hood-Romantik anrichten kann. Eher selten sind die anstehenden Fragen tatsächlich Gewissens- oder Bekenntnisfragen. Derart ist etwa die Frage des Schwangerschaftsabbruchs oder der Todesstrafe. Die meisten gesetzgeberischen Fragen sind aber Ermessensfragen.

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Die letzte Instanz von Christoph Pfluger

In Therapie statt an die Macht! Wären Konzerne Menschen und nicht einfach «juristische Personen», müsste man sie als geisteskrank bezeichnen. «The Corporation», der erfolgreichste kanadische Dokumentarfilm aller Zeiten, deckt schonungslos auf, dass die mächtigsten Körperschaften im Grunde nur gewissenlose Monster sind.

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er das Verhalten von grossen Fir­ men mit der «Personality Diagnostic Checklist» der Weltgesundheitsorga­ nisation vergleicht, kann, wie der FBI-Berater Robert Hare, nur zu einem Schluss kommen: «Konzerne sind psychopa­ thisch». Das Verdikt ist leider stichhaltig, wie eine kleine Auswahl von Merkmalen psychopathischer Personen zeigt: • Gleichgültigkeit gegenüber den Gefühlen anderer • Unfähigkeit, dauerhafte Beziehungen einzugehen • Skrupellose Gefährdung anderer • Rücksichtslosigkeit gegenüber   der Sicherheit anderer • Unfähigkeit, Schuld zu empfinden • Unfähigkeit, gesellschaftlichen Normen zu erfüllen.

The Corporation, von Mark Achbar, Jennifer Abbot u. J. Bakan. 147 Min. Engl. Mit dt. Untertiteln. Erhältlich für Fr. 27.- bei Filme für die Erde, Steinberggasse 54, 8400 Winterthur, Tel. 052 202 25 53, www.filmefuerdieerde.ch

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Unfähig, Verantwortung zu tragen Der grosse Ökonom Milton Friedman, einer der vierzig Interviewpartner, die in dem Film «The Corporation» zu Wort kommen, bestätigt: «Konzerne können genau­ sowenig soziale Verantwortung tragen, wie Gebäude.» Dafür sollten die Menschen in den Konzernen mora­ lische Verantwortung tragen. Aber können sie das? Für Sam Gibara, einem früheren CEO des Reifenkonzerns Goodyear, ist klar: «Kein Job in meiner Karriere war so frustrierend wie der als Konzernchef von Goodyear … Man kann nicht nach seinen persönlichen Über­ zeugungen handeln … Kein CEO macht gerne Entlas­ sungen, im Gegenteil.Aber sie sind die Konsequenz des modernen Kapitalismus.» Und Noam Chomsky: «Der anständigste Mensch wird in einer monströsen Organisation zum Monster, weil die Organisation eben ein Monster ist.» Diese Erfahrung bestätigt sich an ungezählten Beispielen von den Vernichtungslagern der Nazis bis zu Chefetagen von Konzernen mit um­ weltzerstörender Geschäftspolitik. Der Film zeigt einige entlarvende Beispiele, wie etwa den netten Mark Moody Stewart, den ehema­ ligen Verwaltungsratspräsidenten von Shell, der im

Garten seines Hauses mit Demonstranten beim Tee plaudert, während sein Konzern in Nigeria jahrelang eine verheerende Ölverseuchung anrichtet, indirekt mitverantwortlich ist für die Justizmorde an Ken Saro Wiwa und anderen Umweltaktivisten und sich gleich­ zeitig Umweltpreise verleihen lässt. Das wirkt nicht nur reichlich schizophren, es ist es auch. Ein krasser, wenn auch nicht aussergewöhnlicher Fall ist der von der Weltbank verordnete Verkauf der Wasserrechte in Bolivien an den amerikanischen Bechtel-Konzern, der dazu führte, dass die Bolivianer einen Viertel ihres Einkommens für Wasser hätten aufwenden müssen. Wie können mitfühlende Menschen in Konzernen, Regierungen und internationalen Institutionen nur eine solche Politik befürworten? Sie arbeiten in Organisati­ onen, die den Profit über jeglichen anderen Wert stellen und sie zur Ausschaltung ihres Gewissens zwingt. Ein erstklassiges Werkzeug der Bewusstseinsbildung Der Film hat bei seinem Erscheinen 2005 grosses Echo ausgelöst und in Kanada zur Bildung einer ei­ gentlichen Bürgerbewegung mit zahlreichen lokalen Gruppen geführt, die die Sonderrechte für juristische Persönlichkeiten grundsätzlich in Frage stellen. Zu­ fall oder nicht: Die kanadischen Banken haben die Finanzkrise am besten überstanden. Die Sonderstel­ lung von mächtigen Konzernen kann der Film (und das gute Begleitbuch dazu) natürlich nicht wirklich gefährden. Aber als Werkzeug der Bewusstseinsbil­ dung, das seine Aktualität leider nicht verloren hat, ist der mit 22 internationalen Preisen ausgezeichnete Film eine unbedingte Empfehlung. Das untrügliche Bauchgefühl sagt uns ja, dass es mit der Finanzkrise noch schwieriger geworden ist, als seriöses Unter­ nehmen Erfolg zu haben und fast nur noch Schlitz­ ohren, Falschspieler oder waschechte Bankster gute Geschäfte machen. So weit kommen wir, wenn wir dem Gewissenlosen mehr Rechte einräumen als dem Mitgefühl und der Verantwortung.


Die letzte Instanz

Blauäugig – Gewissensbildung hautnah

Gutes Gewissen, schlechtes Geschäft

Guido Palazzo, Assistenzprofessor für Unternehmensethik an der Universität Lausanne befasste sich vor kurzem in einem fürs breite Publikum geschrieben Aufsatz mit der Frage, ob sich Ethik denn auszahlt. Sein Befund: «Am ehesten beeindruckt man einen Manager, wenn man ihm zeigt, dass x % mehr Ethik gemäss der Studie y empirisch überprüft zu z % mehr Lei­ stung führt. Wie es scheint, lohnt sich Unternehmensethik. Wie es scheint, fei­ ern Gewissen und Geschäft eine Hochzeit im Himmel. Ethisch herausragende Unternehmen sind auch wirtschaftlich erfolgreich. … Die Schlussfolgerung scheint daher einleuchtend: «Ethik zahlt sich aus.» Um nicht missverstanden zu werden: Dieser Zusammenhang besteht selbstverständlich! Aber: Wenn die Realität so eindeutig für ein ethisches Engagement der Unternehmen spricht, warum behandeln so viele Unterneh­ men ihre Mitarbeiter mies, lassen ihre Ware in der Dritten Welt unter erbärm­ lichen Bedingungen herstellen oder pressen das Letzte aus ihren Lieferanten heraus? Wenn die Realität so eindeutig für Ethik spricht, warum gibt es davon RR/connection so wenig in der unternehmerischen Praxis? Die Antwort ist ganz einfach und Blue Eyed – Blauäugig, Dokumentarfilm von Bertram Verhaag. sie beinhaltet für Missionare der Unternehmensethik, da zähle ich mich auch 1996, Denkmalfilm. Euro 23.– dazu, eine schreckliche Erkenntnis: Es gibt eine Parallelwelt. Und in dieser Parallelwelt sind die Bösen erfolgreich und die Guten erfolglos. Ein Jahr lang ohne Erdöl leben Die Familie Schlecker baut beispielsweise ihr erfolgreiches Geschäftsmodell auf zwei simplen Beobachtungen auf. Erstens: Was bedeutet ein Leben ohne Erdöl? Dieser Frage ist der finnische Nicht nur loyale Mitarbeiter sind weniger krank. Auch Angst Dokumentarfilmer John Webster mit seiner Familie nachgegangen. Er treibt an den Arbeitsplatz und harte Kontrolle kann auch die überzeugte Frau und Kinder, während eines einjährigen Experiments Leistung steigern. Zweitens: Die Kunden kümmern diese Zu­ ganz auf Erdöl zu verzichten. Aus dem Enthaltsamkeitsbeschluss zum stände einen Dreck. Hauptsache billig. Kombiniert man beide Klimaschutz ist ein witziges, gesellschaftskritisches Protokoll entstan­ Beobachtungen, erzeugt man ein sehr erfolgreiches Geschäfts­ den. Der Verzicht auf das Auto, das später durch eines mit Bio-Diesel modell. In dieser Parallelwelt mag das Wissen um Sklavenarbeit ersetzt wurde, war noch relativ einfach. Grösste Knacknuss war, Pro­ in der eigenen Schokoladenproduktion, Kinderarbeit in den dukte ohne Plastikverpackung zu finden. So putzte sich die Familie eigenen Gold- und Diamantenminen oder das Schicksal der zum Beispiel ein Jahr lang die Zähne mit selbst gemachter Zahnpa­ verhungernden Kaffeebauern zwar zu NGO-Aktivismus führen. sta. Und Weihnachten, so die Mutter, fühlte sich an wie ein «Fest für Nur: Das berührt in der Regel weder die Verkaufszahlen noch Kriegswaisen». Zum Witz des Streifens tragen nicht zuletzt die beiden den Aktienkurs. Nike war länger als ein Jahrzehnt nicht bereit, Jungs bei, die ihrem Vater u.a. sagen, er dürfe den Film gar nicht die fragwürdigen Zustände in seinen Zulieferbetrieben zu drehen, da seine Kamera Plastikteile enthielte. Sie profitieren offenbar verändern. Den Aktienkurs hat das nicht tangiert. Die schmerz­ auch am meisten vom Experiment. «Das Beste ist, dass wir mehr Zeit hafte Erkenntnis lautet: Man kann auch eine Hochzeit in der mit den Kindern verbringen», resümiert die Mutter. CP Hölle feiern und den Profit erfolgreich mit dem Bösen vermäh­ John Webster: Recipes for Desaster – eine Familie ein Jahr lang ohne Öl. DVD, Finnland, 2008. 85 len. Alles eine Frage der Methoden, die man bevorzugt.» Männlich, weiss, einheimisch, mittleren Alters und leidlich gesund – wenn Sie so sind, haben Sie Glück. Diskriminierung kennen Sie dann wahrscheinlich nur vom Hörensagen. Hunderte «ganz normale» Amerikaner haben sie hautnah erlebt – in Seminaren von Jane Eliott. Begonnen hatte alles 1968, als Martin Luther King ermordet wurde. Die damals junge Lehrerin wagte ein Experiment, um ihren Schülern Diskriminierung nahe zu bringen. Sie teilte die Klasse in zwei Gruppen: Blauäugige und Braunäugige. Braunäugige wurden privilegiert behandelt, als klüger und wertvoller bezeichnet. Blauäugige mussten auf dem Boden sitzen und wurden herablassend behandelt. Diese spontane Idee hat Jane Eliott über die Jahre zu einem erfolgreichen Workshop entwickelt. Ehemalige Kursteilnehmer berichten, dass sie sich seitdem immun fühlen gegen jede Art von Pauschalurteil gegen Andersartige. Das Experiment hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck –, den man sich auch über einen spannenden Dokumentarfilm auf sich einwirken lassen kann.

Min. Eng/finn. Mit dt. Untertiteln. Fr. 28,–. Bezug: www.filmefuerdieerde.ch

sehen und staunen

BAL HoNig goldener Bär Berlinale 2010

«Ein Kinowunder: Bal – Honig.» Andreas Kilb, Frankfurter Allgemeine Zeitung

«Wunderschön, fast märchenhaftträumerisch entrückt.» Christoph Egger, Neue Zürcher Zeitung

«Ein Film, der die Wahrheit im Flüsterton sucht.» Florian Keller, Tages-Anzeiger

Ab 18. November im Kino Zeitpunkt 110 21


Die letzte Instanz

Rachel Carson

Victor Jara

Mutter der Umweltbewegung

Mit der Gitarre gegen Pinochet

Rachel Carson kämpfte gegen den Zeitgeist: Statt die Nützlichkeit der Pestizide zu be­ jubeln, benannte sie in den 1960ern de­ ren Schädlichkeit. Dazu musste sie erst die Sprache finden: 1907 im Staat Pennsylvania geboren, veröffentlichte sie bereits mit elf Jahren ihre erste Kurzgeschichte und stu­ dierte später Biologie. Während der grossen Depression starben ihre Schwester und ihr Vater, was sie nach dem Studium vor einen Gewissenskonflikt stellte, der sie ein Leben lang verfolgen sollte: die akademische Kar­ riere fortführen oder für die Familie Geld verdienen? Sie entschied sich für die Familie und arbeitete fortan bei der Fischereibehör­ de. «Könnte ich mir eine ideale Lebensweise aussuchen, würde ich nur vom Schreiben leben. Aber ich habe bis jetzt viel zu we­ nig getan, um das zu riskieren», verriet sie einer Freundin in einem Brief. Dank ihrem Bestseller «Wunder des Meeres» konnte sie sich schliesslich doch ganz dem Schreiben zuwenden. Als sie erkannte, dass das seit 1944 mit Flugzeugen versprühte Pestizid DDT Bo­ den und Vögel vergiftete, musste sie sich erneut entscheiden. Diesmal setzte sie das ökologische Engagement vor die Pflichten als Adoptivmutter und schrieb das Buch «Stummer Frühling» in Anlehnung an die verstummten Vögel. Trotz ihrer Krebser­ krankung arbeitete sie vier Jahre lang an dem Buch – manchmal bis zum Rande der Erschöpfung. Die Agrarindustrie bekämpfte sie daraufhin mit allen Mitteln: Bald wurde sie als hysterische Kommunistin verschrien, bald unter Verdacht gestellt, Teil einer aus­ ländischen Verschwörung zu sein. Ein Pes­ tizidhersteller gab 250 000 US-Dollar aus für Gegenpropaganda. Carson blieb unbeirrbar, erlag aber 1964 einem Herzinfarkt. Es war ihr vergönnt, den Erfolg zu erleben: 1972 wurde DDT in den USA weitgehend ver­ boten und Carsons Lebenswerk prägt die Umweltbewegung noch heute. MH

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Der Begriff «Liedermacher-Legende» wird oft zu leichtfertig verwendet – hier stimmt er. Victor Jara bezahlte in der Pinochet-Diktatur mit seinem Leben dafür, dass er Liederma­ cher war – links, kritisch, immer auf der Sei­ te der Armen und Unterdrückten. Jara war, wie viele engagierte Sänger, Kommunist und Anhänger von Salvador Allende. An jenem 11. September 1973, dem Tag des Putsches, liess Pinochet über viertausend Menschen verhaften. Jara traf es am Tag darauf, als er sich in der Universität, seinem Arbeitsplatz als Dozent, aufhielt. Er wurde mit vielen anderen ins Stadion von Chile gebracht und gefoltert. Unter solch bedrückenden Um­ ständen entstand sein letztes Gedicht: «Wir sind fünftausend». Jaras Peiniger brachen ihm die Hände, damit er nie mehr würde Gitarre spielen können. Hämisch riefen sie ihm zu, er solle doch singen, wenn er ein Sänger sei. Tatsächlich soll Victor Jara darauf hin die Hymne der chilenischen Linken an­ gestimmt haben: «Venceremos» (Wir werden siegen). Er wurde zusammengeschlagen und bald darauf mit einem Maschinengewehr getötet. In einem seiner bekanntesten Lieder sagt er: «Ich singe nicht, um zu singen oder um zu zeigen, dass ich eine schöne Stimme habe. Ich singe, weil die Gitarre über Verstand und Gefühl verfügt.» Und über ein Gewissen, muss man in diesem Fall ergänzen. RR

John Robbins

Vom EiscremeSaulus zum Vegi-Paulus

Es klingt wie die amerikanische Version der Geschichte vom «Jungen Buddha»: John Robbins war von seinem reichen Vater dazu ausersehen, das grösste Eiscreme-Firmen­ imperium der Welt zu erben. Doch es kam anders. Wie sich der verhätschelte Eiscreme«Saulus» zum «Paulus», zu einem der ein­ flussreichsten Ernährungsapostel der Ge­ genwart wandelte, das ist ein Stoff, aus dem Legenden gestrickt sind. Als die Zeit kam, zeigte der Eisprinz dem amerikanischen Traum vom unbegrenzten Profit die kalte Schulter. Er hatte begonnen, einen neuen Traum zu träumen: «Dieser Traum beruht auf der Ehrfurcht vor dem Leben, einem Leben im Einklang mit den Gesetzen der Schöpfung.» Als Robbins von der gesund­ heitsschädigenden Wirkung von gefrorenem Butterfett und Zucker, den Hauptbestand­ teilen von Eis, erfuhr, verliess er das elter­ liche Unternehmen. «Ich wollte einfach nicht später in den Spiegel schauen und wissen, dass mein Wohlstand darauf aufgebaut ist, die Menschen krank zu machen.» Ausgerechnet in der Hamburger-Hoch­ burg USA warb er nun für pflanzliche Fette, Gemüse, Obst und Getreide. Der erste «An­ hänger» von Robbins’ neuer Ernährungswei­ se wurde sein eigener Körper. Der Gesund­ heitszustand des damals an Kinderlähmung und schwerem Asthma leidenden jungen Mannes besserte sich rapide. Seine Bücher «Ernährung für ein neues Jahrtausend» und «Food Revolution» gelten heute als Klassiker und haben seit ihrem Erscheinen nichts an Aktualität verloren. Daneben gründete Rob­ bins die Umweltorganisation «Earth Save» mit dem Slogan: «Healthy People, healthy Planet». RR


Gewissensheldinnen

Bernard Glassman

Fritz Kolbe

Ursula Brunner

Zen mitten im Leben

Der verkannte Meisterspion

«Bananenfrau» im Namen der Gerechtigkeit

Spirituelle Menschen stehen im Ruf, ver­ huschte «Diesseits-Drückeberger» zu sein. Nicht so der jüdisch-amerikanische ZenMeister Bernard Glassman. «Sie waren der Meinung, als Zen-Lehrer sollte ich meine Zeit besser darauf verwenden, Menschen zur Erleuchtung zu geleiten. Ich bin jedoch der Meinung, dass man Menschen, die hun­ gern, zuerst einmal etwas zu essen geben sollte.» Gesagt, getan. Glassmann verzichtete auf seine zwei Karrieren als Doktor der Mathematik und als «Berufserleuchteter» sei­ ner Zen-Schule. Berührt vom Schicksal der vielen Obdachlosen in New York gründete er die Greyston Bakery. Die brachte den Wohnungslosen nicht nur Brot, sondern auch Jobs – und sozialen Projekten hohe Zuschüsse aus dem Verkauf der leckeren Backwaren. «Greyston» wurde in kurzer Zeit zu einem ebenso ethischen wie ökonomisch erfolgreichen Musterbetrieb. Bernie, wie er von seinen Anhängern genannt wird, grün­ dete ausserdem die Greystone Foundation, die Geld für Wohnungs-, Erziehungs- und Jobprogramme für «Prekäre» sammelt. Sein Zen Peacemaker Orden gilt heute als eine der wirkungsvollsten Vereinigungen des engagierten Buddhismus. Glassman: «Zen ist nicht nur der reine oder spirituelle Teil des Lebens, sondern das ganze Leben: die Blumen, die Berge, die Flüsse und Bäche, aber auch die Stadt und die obdachlosen Kinder auf der Strasse.» RR Buchtipp: Bernard Glassman: Anweisungen für den Koch – Lebensentwurf eines Zen-Meisters. Edition Steinrich, 124 S., Fr…37.90 / Euro 19,90

Während Sophie Scholl und Graf Stauffenberg schillernde Namen sind, kann bis heute fast niemand etwas mit dem Namen Fritz Kolbe anfangen. Das liegt auch daran, dass in der Nachkriegszeit Uneinigkeit darüber herrschte, ob es moralisch gerechtfertigt sei, Nazideutschland zu «verraten». Kolbe war ein bescheidener Mann mit beamtenhaftem Aus­ sehen, dem jeglicher «Glamour» fehlte. Dafür war er ein Überzeugungstäter, der Hitler hasste und sein Leben dafür riskierte, seinen Untergang mit herbeizuführen. «Ich bin ein deutscher Patriot mit einem menschlichen Gewissen. Mein Wunsch ist, den Krieg zu verkürzen», sagte er seinen alliierten Kon­ taktleuten, denen er anbot, deutsche Kriegs­ geheimnisse auszuspionieren. Fritz Kolbe war Beamter im Auswär­ tigen Dienst in Berlin. Nachdem ihm die moralische Niedertracht des Nazi-Regimes bewusst geworden war, versuchte er sich absichtlich hochzuarbeiten, um Zugang zu Geheimdokumenten zu erlangen. Einmal liess er in seinem Büro die Hosen herunter und band brisante Umschläge mit einem Bindfaden an seine Oberschenkel. So reis­ te er mit dem Zug nach Bern, wo er seine Verbindungsleute traf. Fritz Kolbe lehnte es stets ab, für seine Dienste Geld anzu­ nehmen. Seine Mitteilungen betrafen unter anderem das V-Waffen-Programm der Na­ zis, die deutschen Pläne zur Abwehr einer Invasion in der Normandie sowie Details des Holocaust. Manche halten den unspektakulären klei­ nen Mann für den «wichtigsten Spion des Zweiten Weltkriegs». Ein solch aufrechter Hitler-Gegner, sollte man meinen, hätte in Nachkriegsdeutschland angemessen geehrt werden müssen. Doch nichts dergleichen. Seine Wiedereinstellung beim Auswärtigen Amt 1951 wurde von einem ehemaligen NS­ DAP-Mitglied verhindert. Er erhielt von der Bundesrepublik kein Übergangsgeld und musste seinen Lebensunterhalt als Handels­ vertreter für Motorsägen verdienen. RR

Wissen ist Macht, sagt man, doch manchmal ist es besser, im Dunkeln zu tappen. «Wenn wir gewusst hätten, wie kom­ pliziert es wird, hätten wir nie angefangen», sagt Ursula Brunner. Sie ist eine der sieben Bananenfrauen, die für fairen Handel auf die Strasse gingen, als das Wort «Fairtrade» noch gar nicht existierte. Diese Aktion in Frau­ enfeld war 1973 so ungewöhnlich, dass das Schweizer Fernsehen darüber berichtete, die Frauen begeisterte Briefe erhielten und zu weiterem Engagement angetrieben wurden. Doch erst 1986, nach unzähligen Südameri­ ka-Reisen und jahrelanger Arbeit, schafften die Bananenfrauen den Durchbruch, als sie innert eineinhalb Tagen 40 Tonnen Ba­ nanen zugunsten von Plantagenarbeitern aus Nicaragua verkauften. Zwei Jahre später gründeten sie die Gebana, einen Verein für fairen Handel. Gerechtigkeit ist nicht jedermanns Sache – Brunner musste sich oft rechtfertigen in ihrem Leben. Das Frauenstimmrecht war erst 1972 eingeführt worden, der Kalte Krieg in vollem Gange. «Kümmert euch um Mann und Kinder!», habe es geheissen, oder: «Geht nach Moskau, ihr Kommunisten!» Sie bezeichnet sich selbst als bürgerliche Frau und war gar Kantonsrätin für die Freie Demokratische Partei (FDP). «Ich wollte aber mehr als mei­ nen eigenen Besitz wahren.» Das gefiel der Partei nicht: Nach ihrem Engagement für die Friedensbewegung wurde sie ausgeschlos­ sen. Trotz all der ungeahnten Hindernisse hat sie ihre Hingabe nie bereut. «Gott will Gerechtigkeit», ist die heute 85-jährige Ursula Brunner überzeugt und kämpft noch heute dafür: «Fairtrade läuft Gefahr, zum blossen Lifestyle zu verkommen!» Wir können froh sein, kannte sie 1973 die Fallstricke des Ba­ nanenhandels noch nicht, denn sonst hätte sie vielleicht auf die Stimmen der Zweifler gehört statt auf ihr Gewissen. MH

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Die letzte Instanz

gewissenhafte Lektüre Frei in Leib und Geist So stellt sich Mo­ hamed, ein musli­ mischer Frömmler in einem tristen Pariser Banlieue, die Europä­ erinnen vor, die ihn von seiner demüti­ genden Jungfräulich­ keit befreien sollen. Eines Tages geht ihm die Absurdität sei­ nes Gott und guten Werken geweihten Lebens auf und er beschliesst mit vier­ zig Jahren seine Mut­ ter zu verlassen und sich ein Luxusappar­ tement zu nehmen. Als Banker kann er sich das leisten und ändert seinen Namen. Doch sein ethnischer Magnet zieht immer nur Frauen aus dem Maghreb an, die sich ihm verweigern. Die einzige Frau, die sich für ihn interessiert, ist seine Mutter. Die tut alles dafür, ihren «Au­ genstern», ihren Erst­ geborenen, der Höhle des westlichen Löwen zu entreissen und ihn auf den rechten Weg des Islam zurückzu­ führen. Schonungslos und boshaft rechnet Marouane in ihrem vierten Roman mit der Doppelmoral frommer Männer, fürsorglicher Müt­ ter und republika­ nischer Freiheiten ab. Leïla Marouane: Das Sex­ leben eines Islamisten in Paris. Edition Nautilus, 2010, 224 S., Fr. 31.90 / Euro 18.90

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Anders wirtschaften ist möglich

Die langjährige Aktivistin Elisabth Voss legt mit ihrem Buch einen Wegweiser für eine soziale Ökonomie vor. Neben einer Einführung ins Thema und einer historischen Aufbereitung widmet sie einen Grossteil der Texte den zahlreichen praktischen Projekten in Deutschland: Arbeitskollektive, Frauenprojekte, Bildung, Tauschringe, Umsonstläden usw. Ein Leitfaden, der zum Handeln anregt. Elisabeth Voss: Wegweiser Solidarische Ökonomie – anders wirtschaften ist möglich, AG SPAK, 2010, 93 S., Fr. 13.50 / Euro 9.–

Gewissens- Alternativ und nobel Klassiker Der Alternative Nobelpreis, gestiftet von Jakob Die meisten kennen ihre Namen, die von Uexküll, lenkt seit wenigsten ihre Gemehr als fünfundzwanzig schichte: Sokra­tes, Jahren den Blick auf die Spartacus, Thomas Morus, Emile Zola, wahren Helden unserer Galileo Galilei, Hans Kohlhase, Friedrich von Zeit: Menschen, die sich für gerechte und nachhalSpee, Sophie Scholl – acht spannende tige Lösungen einsetzen. Porträts, ein Thema: In einer Welt des globaliDas Gewissen, sagte Shakespeare, ist «ein sierten Irrsinns sind Vergefährlich Ding». Für nunft und Hoffnung rare diese Helden brachte Güter. Hans Peter Dürr, es oft den Tod, aber auch Generationen von Vandana Shiva, Ibrahim Bewunderern. Abouleish u.a. verkörpern Siegfried Fischer-Fabian:   sie exemplarisch. Die Macht des Gewissens – von Sokrates bis Sophie Scholl. Bastei Lübbe, 381 S., Fr. 15.90

Geseko von Lüpke, Peter Erlenwein: Projekt der Hoffnung – Ausblicke auf eine andere Globalisierung. Oekom Verlag, 220 S., Fr. 33.50 / Euro 19.80

Eine menschliche Schule Das Schlachten In Hasliberg im Berner Oberland liegt eine beenden! der prominentesten Alternativschulen der Der Weltbestseller des Vegetariers Jonathan Schweiz: die Ecole d`Humanité. Das von Safran Foer «Tiere essen» hat aufgerüttelt. Etwas stiller, aber nicht weniger interessant, Paul und Edith Geheeb-Cassirer 1934 ge­ ist die Neuerscheinung aus dem Graswurgründete Internat verfolgt eine Erziehung zel Verlag «Das Schlachten beenden!» mit zur Eigenständigkeit, zu Selbstvertrauen, Texten aus der anarchistischen und pazifis­ Respekt und Gemeinschaft ohne Noten und tischen Tradition: Leo Tolstoi, Clara WichSelektionsdruck. Die rund 150 Jungen und mann, Elisée Reclus u..a. Die Herausgeber stellen damit einen Bezug zur in den 80er Mädchen im Alter von zehn bis zwanzig Jahren entstandenen und wachsenden TierJahren können den Schulalltag weitgehend rechtsbewegung her. Gleichzeitig ist es eine mitbestimmen. Der Herausgeber Hans Näf Spurensuche einer noch wenig erforschten Themas. gewährt in Episoden, Biografien und Hin­ tergründen eine Innenansicht über ein äus­ Das Schlachten beenden! serst spannendes und zukunftsweisendes – Zur Kritik der Gewalt an Tieren. Schulprojekt. Anarchistische, pazifistische, femi­ Hans Näf (Hrsg.): Eine menschliche Schule – die Ecole d’Humanité von Innen gesehen. Zytglogge, 2009, 210 S., Fr. 36.– / Euro 24.–

nistische und linkssozialistische Traditionen. Graswurzel Verlag, 2010, 192 Seiten, Fr. 20.80 / Euro 14.90


Gewissenhafte Lektüre

Katastrophenschutz Gewissen

Wir appellieren an das Gewissen der Mächtigen, der Entscheidungsträger. Doch wie steht es um unser Gewissen? Die Versuchungen sind gross: Beim Konsum, in der Arbeitswelt, Beziehung, Politik, überall sind wir mit unserem Gewissen konfrontiert. Lebensnah und mit vielen konkreten Beispielen aus dem Alltag entwirft Eberhard Schockenhoff, Mitglied des Deutschen Ethikrats, und Christiane Florin, renommierte Journalistin, eine Leitschnur des guten Handelns. Das eigene Gewissen ist der beste Ratgeber, der sicherste Katastrophenschutz.

Gerechtes Geld braucht Gewissen Unser Finanzsystem ist menschengemacht, und deshalb lässt es sich auch von einem Casino in ein nachhaltiges Geldwesen umbauen. Davon sind die beiden Autoren überzeugt. Das Buch zeigt aber auch: Eine demokratische Transformation ist nur mög­ lich, wenn sich die Menschen in ihren Geld­ anlagen nur von ihrem Gewissen leiten lassen, und zwar in grosser Zahl. Dazu macht das Buch eine Reihe von konkreten Vorschlägen. Wolfgang Kessler u. Antje Schneeweiß (Hg.): Geld und Gewissen – was wir gegen den Crash tun können. Publik-Forum, 2010. 184 S., Fr. 29.70 / Euro 16.90

Asiatisches Wohnen, europäisch umgesetzt.

Eberhard Schockenhoff / Christiane Florin: Gewissen – eine Gebrauchs­ anweisung. Herder, 2009, 200 S., Fr. 25.90 / Euro 16.95

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Die Zukunft des Euro Wie kann eine so simple Wahrheit wie die Fehlkonstruktion der europäischen Einheitswährung so lange verborgen bleiben? Die Kosten der Vernebelung durch Banken, Jubeleuropäer und Massenmedien werden enorm sein – und der Tag der Abrechnung rückt näher und näher.

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Die Zukunft des Euro

U

m die Mängel der zweitwichtigsten Währung der Welt verstehen zu kön­ nen, müssen wir einen kurzen Blick ins letzte Jahrhundert werfen, in die Zeit vor der Einführung des Euro. Damals verfügte Deutschland dank seiner Exportkraft und Sparsamkeit, aber auch dank der noch funktionie­ renden sozialen Marktwirtschaft neben dem Schwei­ zer Franken über die stabilste Währung Europas. Der Hauptvorteil der Stabilität liegt in niedrigen Zinsen. Diese bedeuten niedrige Kapitalkosten, hohes Inve­ stitionsvolumen und wenig Arbeitslosigkeit. Ganz anders die Situation in den Schuldenländern: Wegen der Inflation einerseits und des Abwertungs­ risikos andrerseits liegen die Zinskosten wesentlich höher. Investitionen sind vergleichsweise teuer, ten­ denziell kurzfristiger (Nachteil für die Nachhaltigkeit), die Arbeitslosigkeit ist hoch mit starker Neigung zu einer Schattenwirtschaft ohne Regeln und Sicherheit. Vor dem Euro hatte Deutschland das niedrigste Zins­ niveau (ausserhalb der Schweiz) und schwang sich zum Exportweltweister hoch, noch vor die USA. Die Länder des europäischen Südens mit ihrer Schul­ denwirtschaft hatten notorische Probleme mit der Zahlungsbilanz, latenter Korruption, instabilen Regie­ rungen und der Lebensqualität, die nur durch die kos­ tenlosen Segnungen der Sonne gemildert wurden.

Man sollte viel öfter nachdenken, und zwar vorher. Werner Mitsch

Das Euro-System hat die realen ökonomischen Verhältnisse auf den Kopf gestellt, indem es den Zugang zu Krediten europaweit vereinheitlicht hat. Deutschland musste plötzlich zwei bis drei Prozent mehr Zins für seine Kredite zahlen, die Schwachwäh­ rungsländer zwei bis drei Prozent weniger. Das tönt nach wenig, hat aber eine Umverteilung zur Folge, die die Transferzahlungen innerhalb der EU um ein Mehrfaches übertreffen. Allein der Staat Italien spart durch die Reduktion des Schuldendienstes rund 80 Milliarden Euro (ca. 1600 Euro pro Steuerpflichtigen), die von den ehemaligen Hartwährungsländern über höhere Zinsen bezahlt werden müssen. Diese gigan­ tische Umverteilung wäre noch zu akzeptieren, wenn sie denn von den betroffenen Ländern gewollt und demokratisch legitimiert wäre. Noch schlimmer sind die ökonomischen Signale an die Wirtschaft. Aufgrund der negativen Realzin­ sen (Zins minus Inflation) und weil sich dort rasche Inflationsgewinne realisieren lassen, fliesst das Ka­ pital bevorzugt in die Schuldenländer und bläst die Spekulationsblasen auf. So sind Spaniens Küsten mit hunderttausenden von leeren Wohnungen und Häu­ sern zugebaut, die alle in Erwartung eines raschen Inflationsgewinns gebaut wurden. 700 Golfplätze, jeder mit dem Wasserverbrauch einer Stadt von 20 000 Einwohnern, sollen die Immobilien wertvoll machen.

Aber niemand will sie. Das ungesunde «Wachstum» ist kurzfristig, kommt nur wenigen zugute und hat keine dauerhafte Wirkung auf die Arbeitslosigkeit. Das umgekehrte Bild in den ehemaligen Hart­ währungsländern: Aufgrund der hohen Realzinsen tendieren die Unternehmen dazu, Arbeitsplätze in Billiglohnländer auszulagern, was die Negativspirale nur noch verschärft. Um die Haushalte einigermas­ sen ausgeglichen zu halten, wird bei denen gespart, die sich nicht aus dem Staub machen können, also bei den Menschen. Das bewegliche Kapital kommt ungeschoren davon. Doch damit nicht genug: Wäh­ rend sich die börsenkotierten Konzerne am Kapital­ markt einigermassen günstig mit Kapital versorgen können, treffen die hohen Zinsen vor allem den Mittelstand, der seine Investitionen mit Bankkrediten finanziert. Und es sind gerade die mittelständischen Unternehmen, die den überwiegenden Teil der neu­ en Arbeitsplätze schaffen. Werden sie dann von den grossen Konzernen geschluckt, wird restrukturiert und abgebaut. Bei allem Verständnis für einen Ausgleich zwi­ schen wirtschaftlich starken und schwachen Regionen kann die schleichende Umverteilung, wie sie der Euro erzwingt, auf Dauer nicht funktionieren. Ein System, das Misswirtschaft begünstigt und echte Wertschöp­ fung bestraft, führt zunächst zu Missstimmung, dann zu Konflikten und schliesslich zum Zusammenbruch.

Ein System, dass Misswirtschaft begünstigt und echte Wert­ schöpfung bestraft, führt zunächst zu Missstimmung, dann zu Konflikten und schliesslich zum Zusammenbruch. Historisch gesehen, stehen wir heute vermutlich an dem Punkt, wo die seit Jahren bestehende Unzufrie­ denheit in offene Konflikte umschlägt und sich der Zusammenbruch am Horizont bereits abzeichnet, es sei denn, es findet sich doch noch ein Ausweg aus dem Dilemma. Vor diesem Hintergrund fand am 25. September in Berlin unter dem Titel «der Euro vor dem Zusammen­ bruch» eine «Aktionskonferenz» mit den massgeb­lichen Opponenten des Euro und der Bankenrettung statt. 670 Interessierte hörten Referate von Koryphäen wie dem Ökonomen Wilhelm Hankel oder dem Staats­ rechtler Karl-Albert Schachtschneider und verabschie­ deten einen Aufruf für eine demokratische Kontrolle der Finanzwirtschaft und falls nötig, die Rückkehr zur D-Mark. Mit Ausnahme des englischsprachigen Kanals «Russia Today» berichteten die Massenme­

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entscheiden & arbeiten

dien nicht über diesen bisher bedeutendsten Anlass der Euro-Opposition. Man befürchtete offenbar An­ steckungsgefahr.

Die Euroschulden­ krise hatte sich lange vor ihrem Ausbruch angekündigt. Deswegen drängt sich der Verdacht auf, dass man in Bankenkreisen von Beginn an darauf spekulierte: Wenn sie denn käme, würden die Staaten mit der «helfenden Hand» nicht lange auf sich warten lassen. Wilhelm Hankel

Buchtipp: Wilhelm Hankel: Die Euro-Lüge … und andere volkswirtschaftliche Märchen. Signum 2007, aktuali­ sierte 3. Auflage 2010. 275 S. Geb. Fr. 39.90 / Euro 19.90. Eine anschauliche und engagierte Darstellung der Systemfehler des Euro von dem Mann, der unter Wirtschaftsminister Karl Schiller für die Geldpolitik der Bundesrepublik zuständig war. Der Titel ist etwas irreführend. Das Buch ist weder polemisch, noch beschränkt es sich auf den Euro, sondern erklärt anschaulich die Zusammenhänge zwischen Finanz- und Realwirtschaft. Lesenswert!

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Die Kritiker des Euro und der EU haben es nicht leicht im Euroland. Sie werden marginalisiert, diffamiert und radikalisiert. So wird Prof. Hankel, unter Wirtschaftsminister Karl Schiller für Geldpolitik zuständig, gern als «D-Mark-Nationalist» verunglimpft. Zusammen mit drei professoralen Kollegen hatte er 1998 mit einer Verfassungsklage gegen die Einfüh­ rung des Euro die Absichten des Finanzestablishments empfindlich gestört. Einem solchen Radikalinski, so die Botschaft, hört man besser schon gar nicht zu. Dazu bot die Konferenz vom 25. September in Berlin reichlich Gelegenheit. Eingeladen hatte die vom lin­ ken deutschen Publizisten Jürgen Elsässer gegründete «Volksinitative», die seit rund einem Jahr die Reihen unter den vielfältigen Euro- und Geldsystemkritikern schliessen und mittelfristig einen Volksentscheid her­ beiführen will. Elsässer sprach denn auch von der Konferenz, die «die besten Experten» zusammen­ führte, als von einem «historischen Ereignis». «Mit dem Euro betrügt man uns, belügt man uns und beutet man uns aus», sagte Elsässer. Für ihn ist die Krise in Tat und Wahrheit ein «Wirtschaftskrieg, der von Wall Street aus gegen den Rest der Welt», insbesondere Kontinentaleuropa und damit vor allem Deutschland geführt wird. In diesem Krieg hätten wir nur eine Chance mit neuen politischen Bündnissen und einer offenen Diskussion zwischen demokratischen Linken und demokratischen Rechten. Wilhelm Hankel, sichtlich bewegt, zum ersten Mal zu den Leuten zu sprechen, für die er sich in der Öffentlichkeit stark macht, begann mit einem bezeichnenden Zitat von Lenin: «Wer die bürgerliche Gesellschaft zerstören will, muss mit dem Geldwesen beginnen.» Wie sehr diese Erkenntnis zutrifft, zeige das Euro-Experiment, mit dem Hartwährungsländer und Staaten mit inflationärer Schuldenpolitik unter eine gemeinsame Währungshaube mit einheitlichen Kreditbedingungen gesteckt wurden. Konsequenz: Die Defizitländer (v.a. des Südens) konnten sich «mit auf Pump gekauften Gütern vollsaugen und bis zur Halskrause verschulden», mit Geldern, die die ehema­ ligen Hartwährungsländer ihrer eigenen Wirtschaft abgespart hatten. Die Schuldenkatastrophe war nach Hankel absehbar, da nach gesicherter ökonomischer Erfahrung bei Staaten mit unterschiedlicher Bonität aber gleichen Kreditchancen das Geld automatisch zu den Schuldenstaaten fliesst. Die Katerstimmung bringt Hankel folgendermassen auf den Punkt: «Die Sieger an der Euro-Front, die mit Geld, Gütern und Kapi­ tal überfütterten Defizitländer, können sich als un­ glückliche Verlierer bemitleiden lassen. Die Ärmsten

müssen zurückzahlen, was sie ein Jahrzehnt lang auf Kredit genossen haben. Und der wahre Verlierer, Deutschland, der dafür das Geld aufgebracht hat, muss sich vorhalten lassen, nicht genügend Solidarität mit den armen Ländern Europas gezeigt und diese sogar geschädigt zu haben.» Hankel sieht für die Zu­ kunft drei Alternativen: Fortführung der Eurounion als Hartwährungsblock im Rahmen der früheren DMark-Zone mit Deutschland, Österreich, Dänemark und den Niederlanden, eine Weichwährungsunion der Südländer oder der geordnete Übergang zu den nationalen Währungen mit einer EU-Wechselkursuni­ on und dem Euro als Recheneinheit. Aber für Hankel ist klar: «Der Euro stirbt, sobald die Zahlungsfähigkeit Deutschlands aufhört.» Oder endet womöglich die Zahlungswilligkeit schon vorher? Dass darüber das deutsche Bundesverfassungsgericht entscheiden wird, ist das Verdienst des Staatsrechtlers Prof. Karl-Albrecht Schachtschneider, der nach den Klagen gegen die Einführung des Euro (1998) und gegen den Vertrag von Lissabon (2009) nun auch gegen die Griechenlandhilfe geklagt hat. Es geht darum, wie Schachtschneider scharf formuliert,

Aufgrund der negativen Realzinsen und weil sich dort rasche Inflationsgewinne realisieren lassen, fliesst das Kapital bevorzugt in die Schuldenländer und bläst die Spekulationsblasen auf. Das «Wachstum» ist ungesund, kurzfristig und kommt nur wenigen zugute. «den Grundsatz von Freiheit, Gleichheit und Brüder­ lichkeit gegen die Hochfinanz zu verteidigen.» Oder konkreter: Wenn die EU die gegenseitige finanzielle Haftung einführt, sich also vom Staatenbund zum Bundesstaat mutiert, mit Zugriff auf das Steuersubstrat des einen Landes zur Lösung der Kreditprobleme eines anderen Landes, dann braucht dies einen neuen Vertrag und somit das, wovor «die deutsche Regie­ rung am meisten Angst hat: eine Volksabstimmung.» Schachtschneider ist zuversichtlich, dass die neue Klage diesmal seriöser behandelt wird als die gegen den Euro 1998. Auf ihre 300-seitige Eingabe erhielten die Kläger vom Bundesverfassungsgericht damals ein Schreiben von gerade mal zwölf Seiten, in dem das Gericht die Einführung des Euro als politische Frage bezeichnete, für die es nicht zuständig sei. Als ob nicht alle Verfassungsfragen politische Fragen wären und der Schutz des Bürgers vor der Willkür


Die Zukunft des Euro

der Politik nicht exakt die Existenzberechtigung eines Verfassungsgerichts ausmachte! Dass das Bundes­ verfassungsgericht jetzt die massgeblichen Institu­ tionen Deutschlands um Stellungnahme zur Klage gebeten hat und sie möglicherweise sogar öffentlich verhandeln will, macht die Sache allerdings nicht einfacher. Die Klage zurückzuweisen, würde eine eklatante Rechtsverletzung bedeuten; dann dürfte auch dem vorletzten deutschen Bürger klar werden, dass es «kein Recht auf Recht» gibt. Ihr stattzugeben bedeutet das Ende des Euro. Um einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, wird man nach Ansicht von Schachtschneider «schlussendlich kurzen Prozess machen» und eine Währungsreform durchführen. In diesem Tonfall wird mittlerweile selbst in besseren Kreisen gesprochen!

Wenn Ihr Eure Augen nicht gebraucht, um zu sehen, werdet Ihr sie brauchen, um zu weinen. Jean-Paul Sartre

Den Wortlaut der Abschlusserklärung der Konferenz «Der Euro vor dem Zusammenbruch» finden Sie unter: http://eurokonferenz.wordpress.com Im Dezember erscheinen die Referate der Konferenz als Buch und als DVD im Kai Homilius-Verlag. http://www.kai-homilius-verlag.de/

Um den Euro-Kritikern Mut zu machen, reiste auch Nigel Farage, Gründer und Chef der EU-kri­ tischen «United Kingdom Independent Party» nach Berlin. Die Partei hatte 1993 ganz klein angefangen und wurde bei den letzten EU-Wahlen mit 16,5 Prozent Wähleranteil zweitstärkste Kraft in Grossbritannien. Für ihn sind der Euro und die von Deutschland gefor­ derten Garantieleistungen nichts weiter als eine Form von Reparationszahlungen. An dieser Stelle kann man an ein Wort von François Mitterand erinnern, der den Euro als «Versailles ohne Krieg» bezeichnete, den ver­ heerenden Friedensvertrag, der direkt zur Radikalisie­ rung Deutschlands und damit zum Zweiten Weltkrieg führte. Nigel Farage, selber Europaparlamentarier, hält die EU nicht nur für undemokratisch, sondern für geradezu antidemokratisch, indem sie die nationalen Demokratien zerstöre. Tatsächlich werden 84 Prozent der neuen, für Deutschland massgebenden Gesetze von Brüsseler Beamten geschrieben. Der Nationalökonom Prof. Max Otte, Börsianer des Jahres 2009 und Autor des Megasellers «Der Crash kommt» von 2006 stiess ins gleiche Horn: «Im Mo­ ment arbeiten wir nur noch für die Finanzbranche und für die Randzonen.» Viel Beifall erhielt er für die Bemerkung «Je schneller wir die EU abschaffen, desto schneller bekommen wir Europa.» Das war Balsam für die Seelen der Menschen, die in regionaler Au­ tonomie, Demokratie und Selbstverantwortung eine stabilere Basis für das Zusammenleben in Europa se­ hen und nicht im gigantischen finanziellen Ausgleich, der vor allem der Finanzwirtschaft und den grossen Konzernen nützt und der von den Bürgern weder gewollt noch demokratisch gutgeheissen wurde. Es waren aber auch zurückhaltendere Worte zu hören. Edgar Most, Vizepräsident der ehemaligen DDR-Zentralbank, warnte vor einer übereilten Aufgabe des Euro. Die globalisierte Wirtschaft brauche eine glo­

balisierte Währung. Eine solche sieht er am ehesten in Form einer neuen Verrechnungswährung, die im Rah­ men der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) geschaffen werden könnte. Aber: «Wenn wir den Euro behalten wollen, brauchen wir ein Insolvenzrecht für Staaten.» Dann hätten nämlich die Banken die von ihnen mitverursachten Verluste Griechenlands selber tragen müssen und nicht der europäische Steuerzah­ ler. Most plädierte im Übrigen für ein dreistufiges Währungsmodell, eine globalisierte Währung für die globalisierte Wirtschaft, eine nationale Währung für die Binnenwirtschaft und Komplementärwährungen für die Regionen. Solche zinsfreien Währungen er­ laubten eine Senkung der Preise um rund zwanzig Prozent. So viel betrage der durchschnittliche, durch den Zins verursachte Aufpreis. Zum Abschluss rief der Kongress in einer Erklä­ rung zum gewaltlosen Widerstand gegen das EuroSystem und zur Kündigung der Konten bei den «Zockerbanken» auf. Gefordert wurde im Weiteren ein Volksentscheid zum Euro, zum Beispiel durch Verkleinerung der Eurozone oder durch Rückkehr zu nationalen Währungen. Zur Beratung weiterer Schritte soll bis im Sommer ein «Volkskongress gegen Finanzdiktatur» durchgeführt werden. Was darf man von diesem Volkskongress erwarten? Es ist ein grosses Verdienst der Organisatoren rund um Jürgen Elsässer, dass es überhaupt gelungen ist, so kompetente Referenten (lauter Männer!) in einer Veranstaltung zusammenzuführen. Auch die Abschlusserklärung dürfte die knapp 700 Teilnehmer

Wenn die EU die gegenseitige finanzielle Haftung einführt, sich also vom Staatenbund zum Bundesstaat mutiert, dann braucht dies einen neuen Vertrag und somit das, wovor die deutsche Regierung am meisten Angst hat: eine Volksabstimmung. zuversichtlich stimmen, dass ihre Stimme vielleicht doch noch einmal gehört wird. Aber: Stuttgart21 zeigt, welch immense Mobilisierung nötig ist, um ein kleines Unsinnsprojekt von ein paar Milliarden ins Wanken zu bringen. Beim Euro und dem Ban­ kensystem geht es dagegen um Billionen. Und die Hochfinanz besteht nicht aus Sturköpfen wie dem Baden-württembergischen Ministerpräsidenten Map­ pus, sondern aus mit allen Wassern gewaschenen Geostrategen, die ihr Schlachtfeld bis in den letzten Winkel beherrschen. Um sie zu besiegen, muss man sie anderswo angreifen. Nur wo?

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entscheiden & arbeiten von Leila Dregger

Visionäre von übermorgen Wissenschaftler und Aktivisten aus vier Kontinenten trafen sich auf der Suche nach Lösungen für die leidende Erde auf der Schweibenalp bei Brienz. Ihre Antwort: Modelle mit Ausstrahlung schaffen. «Stellen wir uns vor, dieser Kongress fände in einem Flugzeug statt. All die Spezialisten und Experten sind unterwegs und werden irgendwann an einem unbekannten Ort landen. Wir haben die Aufgabe, eine neue Kultur aufzubauen, und können ganz neu anfangen. Wird es uns gelingen? Können wir uns so verständigen, dass wir uns ergänzen und un­ terstützen? Welche Wissensbereiche fehlen noch?» Mit diesem Gedankenspiel begann der «Ökokon­ gress Green Phoenix Rising» auf der Schweibenalp im Berner Oberland. Dreissig namhafte und einige angehende Wissenschaftler, Praktiker, Erfinder, Berater, Unternehmer aus vier Kontinenten sowie fast hundert Teilnehmer waren der Einladung von Robert Dreyfus und dem Zentrum der Einheit gefolgt. Vertreten waren die Bereiche Erde, Wasser und Klima, Energie, Gesund­ heit, Ökonomie und Bewusstsein. Auch Spezialisten aus dem spirituellen Bereich, Umweltaktivisten und Pioniere aus Gemeinschaften und sozialen Alternativen waren als Wissensträger vertreten. Dieser ganzheitliche Ansatz, die Verbindung von Wissenschaft, Spiritualität und Wille zur Veränderung entspricht dem Prinzip der Schweibenalp und macht die besondere Atmosphäre dieses vor dreissig Jahren gegründeten «Zentrums der Einheit» aus. Einige Referenten der Tagung verbinden auch in ih­ rer eigenen persönlichen Geschichte diese bisherigen Gegensätze. So war etwa Dr. J. J. Hurtak von der mitorganisierenden «Akademie für die Wissenschaft der Zukunft» bereits ein renommierter Wissenschaftler, als er durch eine Erfahrung der besonderen Art mit anderen Dimensionen des Bewusstseins in Kontakt kam. Seither verfassen er und seine Frau Desiree Hurtak viel beachtete spirituelle Literatur, setzen sich aber noch mehr als UNO-Berater für pragmatische Lösungen im Umwelt- und Energiebereich ein.

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In einer Zeit, in der Politiker und Wissenschaftler vergeblich versuchen, wirksame Lösungen für die Klimakatastrophe zu finden, in einer Welt, in der alle sechs Sekunden ein Kind an Hunger stirbt, müs­ sen neue Handlungsstrategien gefunden werden. Annette Kaiser, Sufi-Lehrerin: «Mich interessiert das Bewusstsein, ich möchte erfahren, warum der Mensch nicht angemessen auf die Not anderer Men­ schen reagiert.» Martin Vosseler, pilgernder Arzt und Umweltaktivist aus der Schweiz: «Wenn ein Patient eine arterielle Blu­ tung hat, behandelt man nicht die Rückenschmerzen oder das Fussleiden, sondern stoppt die Blutung. Die Erkrankung des Planeten ist entsprechend lebens­ bedrohlich.» Auch für Adam Trombly, Mitinitiant vom «Institute for advanced studies at Aspen» ist die Energiefrage das zentrale Thema für die Überwindung der globalen Krise. Der Physiker setzt sich seit vierzig Jahren für die Erforschung und Nutzung freier Energie ein. «Wir leben nicht im Mangel, sondern im Überfluss von Energie», betonte er. «Wenn es uns gelingt, die in der Quantentheorie beschriebene Nullpunktenergie, der Hintergrundenergie des Universums zu nutzen, ist alles möglich: die Begrünung der Wüste, die Ent­ salzung des Meerwassers im grossen Stil, um das Überleben von Mensch und Erde zu sichern.» Trombly arbeitet, wie viele andere Wissenschaftler und geistige Erben von Nikola Tesla, an der Ent­ wicklung entsprechender Technologien. «Freie En­ ergie ist keine esoterische Spinnerei, sondern eine wissenschaftlich fundierte Tatsache, die aber seit Jahrzehnten unterdrückt und verheimlicht wird. Dass die Maschinen noch nicht marktreif sind, hat nicht nur technische Gründe.» Wesentlich erdverbundener geht T.H. Culhane das Thema Energie an. Vor allem für die Ärmsten der


entscheiden & arbeiten

Green Phoenix Rising Haab Wollen freie Energie für alle nutzbar machen: Der Geophysiker Adam Trombly zwischen der Sozialwissenschaftlerin Desiree Hurtak und dem Astrophysiker J.J. Hurtak auf der Schweibenalp. (Bild: Maggie Haab)

Ein Modell für die Zukunft In ihrem neusten Buch beschreibt Leila Dregger das Modell einer Gemeinschaft, an dessen Aufbau sie selber beteiligt war. Das Buch gibt einen Einblick in den Stand des Projektes Tamera in Portugal anhand der drei zentralen Bereiche Permakultur, Solartechnologie und Friedensausbildung. Leila Dregger: Tamera – ein Modell für die Zukunft. Verlag Meiga 2010. 136 S., Hardcover, 206 farbige Fotos, Fr. 32.90 / 19,80 Euro

Armen, für die Millionen Slumbewohner der Erde, entwickelte der ägyptische Städteplaner einfachste Biogasanlagen, die mit Kompostklos und Küchenabfällen betrieben werden. «Die Technik ist äusserst simpel, das Wissen wird schon lange angewandt, wir haben verschiedene Ansätze zusammengefügt und effektiver gemacht. Die Geräte können mit Materialien vom Müll­ platz nachgebaut werden, auch von Laien. Die Endpro­ dukte unserer Verdauung, die wir am liebsten schnell los würden, könnten ein Teil der Lösung sein.». Einen zweiten grossen Schwerpunkt nahm das Thema Ökonomie ein. Catherine Austin Fitts, unter George Bush senior stellvertretende Ministerin für Wohnungsbau, bezeichnete das Wirtschaftssystem als kriminelles Kriegssystem, das wir beenden müssen. «Das bestehende weltweit organisierte Geld-KriegsSystem hat sich seit 500 Jahren entwickelt. Doch jetzt erleben wir seinen Zusammenbruch. Meine grösste Frage ist: Wer hat die Macht, dieses System zu been­ den? Was ist der rote Knopf, auf den wir alle drücken müssen?» Sie beschrieb die dramatischen Folgen, sollte die Agrarwirtschaft weiter industrialisiert werden: «Ein Massenexodus von 2 Milliarden Menschen steht uns bevor, Bauern und Landarbeiter sind gezwungen, in die Städte abzuwandern. Es ist schlimmer als alle Kriege. Die Konzerne arbeiten daran, die Lebensmit­ telversorgung komplett zu privatisieren und den Markt unter ganz wenigen aufzuteilen.» Dezentralisierung ist die wichtigste Antwort, die sie darauf sieht. Wie eine solche lokale Ökonomie im Inneren und auf menschlicher Ebene aussehen könnte, be­ schrieb Charly Rainer Ehrenpreis, der Mitgründer des Friedensforschungszentrums Tamera, auch eine der mitorganisierenden Organisationen: Er beschrieb die Ökonomie des Schenkens. «So wie die Pflanzen oder Tiere nicht fragen, was sie als Äquivalent für ihre Lei­

stung bekommen, so können auch Menschen lernen, alles zu verschenken, was sie nicht mehr brauchen. In einer Gemeinschaft, die auf Vertrauen beruht, ist dies möglich.» Die Gemeinschaft von Tamera lebt bereits teilweise nach diesem Prinzip. Dass die Katastrophen auch als Zeichen eines Neuanfangs gesehen werden können, führte Marko Pogacnik aus. Der Geomant aus Slowenien glaubt, dass die Erde sich in Transformation befindet und sich eine neue Erde vorbereitet – wenn der Mensch bereit ist, die Veränderung in seinem Bewusstsein mit zu vollziehen und sich entsprechend zu verändern. Wie aber entsteht aus all den Analysen und Vorschlägen eine gemeinsame Vision, ein Plan, ein gemeinsames Vorgehen? Wird es – um zum Anfangs­ bild zurückzukehren – der Besatzung des Flugzeuges gelingen, eine neue Kultur aufzubauen? Eine Teilnehmerin hatte im Abschlussforum dazu einen Vorschlag: «Wenn ich mir all diese Wissen­ schaftler und Pioniere anschaue, dann denke ich: Sie sollen sich doch eine der vertretenen Gemeinschaften schnappen und dort ihr Wissen praktisch erproben und anwenden.» Robert Dreyfus vom Zentrum der Einheit Schwei­ benalp könnte dieser Idee ebenso zustimmen wie Sabine Lichtenfels, Mitgründerin des Friedensfor­ schungszentrums Tamera. Beide Orte verstehen sich als Ausbildungsplätze für eine Friedenskultur, an der im Modell ökologische und soziale Lösungsansätze für eine andere Kultur erprobt werden. Sabine Lichtenfels: «Wenn wir an den ersten Orten der Welt die ökologischen und sozialen Bedingungen für eine Friedenskultur erarbeiten, dann kann sie an vielen Orten entstehen. In diesem Sinn lade ich alle Pioniere der Wissenschaft ein, mitzuhelfen, solche Modelle aufzubauen.»

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entscheiden & arbeiten

Soforthilfe für süchtige Banker Sind Sie drogensüchtig oder Mitglied einer Sekte? Für beides gibt es Experten, die Ihnen helfen, aus­ zusteigen und etwas Vernünftiges mit ihrem Leben anzufangen. Nur unzufriedene Banker standen bisher allein da. Obwohl viele von ihnen Grossverdiener, empfinden sie ihr Leben aber zunehmend als leer und sinnlos. Auch sie gehören einer geschlossenen Glaubensgemeinschaft an, die zunehmend von der Realität wegdriftet. Auch sie haben eine Droge: Geld. Etwa in der Londoner City, einem der wichtigsten Finanzzentren der Welt, das jährlich mehrere Tausend Uni-Absolventen «schluckt». Die Flucht aus dem Fi­ nanz-Tollhaus ist ein Trend und kreiert eine Marktlü­ cke. Robert Symington und Dominic Jackman haben sie erkannt und gründeten die Agentur «Escape The City». Beide sind selbst Aussteiger, denen eine lu­ krative Karriere im Finanzwesen offen stand. Beide beraten nun Ex-Banker und -Spekulanten, die gekün­ digt haben. Sie helfen beim Umstieg in einen interes­ santeren Job, bei Unternehmensgründungen oder bei der Organisation von Abenteuerreisen. «Es ist traurig, dass so viele dieser intelligenten Leute, die mit ihrer Arbeitskraft die Welt bereichern könnten, nur für Geld arbeiten», sagt Symington. Dies gilt allerdings nicht nur für Banker. RR

Der nächste Schritt der Gentechnologie: synthetisches Leben Eine neue Technologie macht Schlagzeilen: Mit der synthetische Biologie sollen lebendige Mikromaschinen geschaffen werden, die dort zum Einsatz kommen, wo Gentechnik und Nanotech­ nologie zu kurz greifen. Vor kurzem hat Craig Venter, der das menschliche Genom «entschlüsselte», den ersten lebensfähigen Mikroorganismus mit künstlichem Erbgut kreiert. Die synthe­ tische Biologie geht Hand in Hand mit der Gentechnik. Wo aller­ dings die Gentechnologie ‹nur› einzelne Gene manipuliert, will die synthetische Biologie ganze Organismen oder Lebensformen selber entwerfen. Diese Verschiebung von der Manipulation hin zur Kreation wirft völlig neue ethische Fragen auf: Was heisst es für den Umgang mit Leben, wenn dieses künstlich hergestellt werden kann? Der «Basler Appell» geht den wichtigsten Fragen und Risiken in einer neu veröffentlichten Broschüre nach. MAG Bezug: www.baslerappell.ch

Komplementärkredite: Schluss mit Zinsen

Obwohl wir wussten, dass Unmenschlichkeit auf der Welt vorkommt, gibt es immer noch Nachrichten, die uns schockieren. Die Buschleute im Central Kalahari Game Reserve in Botswana sind die ursprünglichen Bewohner des Landes. Präsident Ian Khama versucht nun mit allen Mitteln, den indigenen Stamm zu vertreiben. Wiederholt wurden Buschleute in Umsiedlungslager gesperrt. Nun wird ihnen der Zugang zu Wasser verwehrt – sie dürfen ihren bisherigen Brunnen nicht mehr nutzen. Auch die Jagd ist für sie verboten. Essen und Trinken sind eben keine Selbstverständlichkeit, wenn man der falschen Ethnie angehört. Peinlich: Der Präsident von Botswana ist Vorstandsmitglied der Naturschutzorganisation «Conservation International» und wirbt derzeit verstärkt um Touristen: «Kulturelle Vielfalt und freundliche Menschen» erwarten den Besucher laut einer Broschüre, und an Wasser dürfte es denen nicht fehlen – für ihre Swimmingpools. Die Menschenrechtsbewegung Survival International ruft Touristen nun zum Boykott gegen Botswana auf. RR

Unsere Gesellschaft muss die Kraft aufbringen, nicht nur über Zinsen zu klagen, sondern zinslose Kredite zu organisieren. Die Genossenschaft regios eG im Chiemgau, ein Projekt der grössten deutschen Regionalwährung «Der Chiemgauer», vergibt sowohl Kredite mit 7,5 Prozent Zinsen als auch zinslose Kredite. Letztere allerdings nur in Regionalgeld. Die Verwaltungs- und Personalkos­ ten der Genossenschaft werden über das MikroKredit-Programm der Regierung derzeit vom Steuerzahler getragen. «Wenn die Wirtschaft kaum mehr wächst und wir Ressourcen massvoller nutzen, müssen wir das Geldsystem entsprechend nachhaltig gestalten», sagt Organisator Christian Gelleri. «Vereinfacht gesagt, erfordert ein reales Wachstum von Null einen realen Zinssatz von Null.» Was wäre nun, wenn «jeder» plötzlich zinslose Kredite erhalten würde? Wir hätten ein starkes Gegenmodell zum herkömmlichen ausbeuterischen Kreditsystem. Würde sich neben dem zinsgestützten Kreditsystem ein komplementäres, zinsfreies System etablieren, so würden Kunden abwandern. Auf Kreditgeber, die «noch» Zinsen verlangen, entstünde ein Druck, diese drastisch zu senken. Wer Geld braucht, hätte erstmals wirklich die Wahl: zwischen einem erpressten Wucherzins und einer fairen Bearbeitungsgebühr für Kreditvermittler. RR

Quelle: Survival International

www.regios.eu – www.chiemgauer.info

Quelle: Wirtschaftsmagazin «enorm», weitere Infos: www.escapethecity.org Die Website enthält einige ansteckende Geschichten von ausgestiegenen Bankern, die als social entrepreneurs ein neues Leben gestartet haben.

Recht auf Wasser? – nicht für Indigene Botswanas

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vollwertig leben

Bild: zvg

von Michael Huber

Der Wirbelstrom Im Kanton Aargau ist das grösste Wasserwirbelkraftwerk der Welt in Betrieb genommen worden. Es kann eine kleinere Fallhöhe nutzen als konventionelle Kleinkraftwerke und lässt Fische praktisch ungehindert passieren. Mit solchen Kraftwerken liesse sich ein AKW ersetzen, sagen die Pioniere. Die grossen Umweltverbände bleiben erstaunlich zurückhaltend.

J

ede Erfindung hat ihren Mythos. Bei New­ tons Schwerkraft war es der fallende Apfel, bei Franz Zotlöterers Wasserwirbelkraft­ werk könnte es die Badewanne werden: tief in Gedanken versunken beobachtet er den Wirbel am Ablauf und ihm geht ein Licht auf – die Kraft des Wirbels muss sich in Strom umwandeln lassen. Klingt das zu romantisch? Vielleicht, aber allzu weit von der Realität entfernt ist das Bild nicht, denn

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der österreichische Erfinder Franz Zotlöterer hat vor acht Jahren tatsächlich nicht nach einem Kraftwerk gesucht, als ihm die Idee kam, sondern nach einer na­ türlichen Reinigung für seinen künstlichen Schwimm­ teich. An naturbelassenen Gewässern entdeckte er, dass Wirbel den Sauerstoff ins Wasser saugen. Seine Beobachtung kombinierte er mit dem Wissen seiner Wegbereiter: Leonardo Da Vinci, Nikola Tesla, Viktor Schauberger. Tesla verfügte in den USA bereits über


Der Wirbelstrom

Sie suchten ökologischen Strom für das renovierte Haus – und fanden die Wasserwirbelkraft: Heidi Zumstein und Andreas Steinmann vor ihrem Wirbel.

Es ist nicht schwierig, neue Ideen zu finden; viel schwieriger ist es, von alten Ideen loszukommen! John Maynard Keynes

ein Patent für einen mit Wirbelkraft angetriebenen Springbrunnen; Schauberger hatte herausgefunden, dass Fische eine Art Wirbelantrieb im Innern nutzen, um bewegungslos in einem fliessenden Bach stehen zu können. «Wirbel bringen Leben ins Wasser», sagt Zotlöterer. Stehende und regulierte Gewässer wirbeln aber weniger als mäandrierende, deswegen musste er ein künstliches Rotationsbecken in seinen Teich einbauen. «Als ich beobachtete, wie sich das Wasser drehte, dachte ich automatisch an einen Rotor mit Generator.» Aus dem Reinigungssystem wurde ein kleines Wasserkraftwerk. Besser als ein Stauwehr Die herkömmlichen kleinen Wasserkraftwerke mit Stauwehr sind zurzeit nicht gerade beliebt: Alte müs­ sen gemäss EU-Richtlinien teuer umgebaut werden, damit Fische passieren können; neue werden in der Schweiz und Österreich zugunsten des Landschafts­ bildes und der Artenvielfalt nur noch selten bewilligt – die eingebauten Turbinen töten das Wasser ab. An diesem Punkt setzen Wasserwirbelkraftwerke an: Sie produzieren ökologischen Strom, versprechen eine bessere Fischdurchgängigkeit und belüften den Fluss. Im Bau sind sie relativ einfach: Ein Teil des Flusses wird abgezweigt und in einen Rotationsbe­ hälter geleitet. Das Wasser dreht sich abwärts wie beim Badewannenausfluss und treibt den Rotor und damit den Generator an, die anstelle von teuren und komplizierten Turbinen die Kraft in Strom um­ wandeln. Erbringen die Wirbel aber tatsächlich die mögliche Leistung des gestauten Wassers? Gemessen am Endprodukt sind sie nicht sehr effizient, von den Kosten her gesehen hingegen schon: Wasserwirbel­ anlagen können nicht wie herkömmliche Anlagen achtzig Prozent der Wasserkraft umsetzen, sondern nur vierzig bis sechzig Prozent. Dafür kosten sie laut den Schweizer Betreibern drei- bis viermal weniger und haben eine reelle Chance, bewilligt zu werden. Die Anlagen benötigen keine grossen Schwellen – sie funktionieren bereits ab einer Fallhöhe von siebzig Zentimetern und einer Wassermenge von tausend Litern pro Sekunde. Die Suhre im Kanton Aargau als Beispiel zum Vergleich schafft es bei fünfzig Zentime­ ter tiefe und vier Meter breite im Jahresdurchschnitt auf 2200 Liter pro Sekunde. Schöftländer Pioniere An diesem Bach nämlich hat das Schweizer Kapitel der Wasserwirbelkraftwerke angefangen, als Andre­ as Steinmann und seine Partnerin Heidi Zumstein nach ökologischem Strom für ihr renoviertes Haus in Schöftland suchten. Im Internet fanden sie Zotlöterers Erfindung, besuchten ihn mehrmals und waren von dem Potenzial so beeindruckt, dass sie mehr als ein

eigenes Kraftwerk bauen wollten. Dazu gründeten sie die Genossenschaft Wasserwirbelkraftwerke Schweiz und eine GmbH, die WWK. Innerhalb von sieben Mo­ naten fand die Genossenschaft hundert private Geld­ geber und erteilt seither Aufträge an die Firma. Vom Erfinder erhielten sie eine Lizenz; die Baubehörden des Kantons Aargau bewilligten das Kraftwerk aus­ sergewöhnlich rasch. Im November 2009 drehte der Rotor des ersten Schweizer Wasserwirbelkraftwerks und versorgt heute zwanzig Familien mit Strom. Zum Bauprojekt gehörte eine Renaturierung des Bachs – das möchte die GWWK bei jedem neuen Kraftwerk

Das Wasser dreht sich abwärts wie beim Badewannenausfluss und treibt den Rotor und damit den Generator an, die anstelle von teuren und komplizierten Turbinen die Kraft in Strom umwandeln. anregen. Nach der Installation des Wirbels konnte etwas mehr Sauerstoff im Wasser und eine Abkühlung gemessen werden. Zur Forschung und Entwicklung betreibt die Genossenschaft eine Modellanlage im Technopark Windisch. Nun suchen die Pioniere nach weiteren Standorten in der ganzen Schweiz: Wer an seinem alten Kraft­ werk hängt, aber kein Geld für den erforderlichen Umbau hat, kann sich an die GWWK wenden. «In zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren wird unsere Anlage abbezahlt sein», rechnet Steinmann mit Ein­ bezug der staatlichen Einspeisevergütung (KEV) vor. Herkömmliche Anlagen sind in der Regel erst nach dreissig bis fünfzig Jahren oder mehr amortisiert. «Die Wasserwirbelkraftwerke sollen der Bevölkerung hel­ fen – zum Beispiel als private Altersvorsorge – nicht einem Grosskonzern.» Das Schweigen der NGOs Wo liegt der Haken im Wasserwirbel? «Manchmal ist es etwas unheimlich, wenn man lauter Vorteile ohne Nachteile entdeckt», sagt Steinmann. Deswegen hat die Genossenschaft die beste Flasche Wein des Präsidenten als Preis für denjenigen ausgeschrieben, der einen grundsätzlichen Mangel findet – bisher ohne Gewinner. Vielleicht gelingt es am ehesten den Umweltverbänden, die mit wenigen Ausnahmen skeptisch bleiben: Greenpeace habe keine Zeit für regionale Lösungen. Der WWF wartet die Forschungs­ ergebnisse ab und glaubt nicht an einen hohen Wir­ kungsgrad der Kleinwasserkraftwerke. «Der Eingriff ins Gewässer steht bei Kleinstanlagen oft in einem

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vollwertig leben

Hälfte der Standorte genutzt werden kann, bleibt ein gewaltiges Potenzial: «17 000 mal Schöftland und wir könnten Mühleberg ersetzen.» Bis dahin brauche es allerdings Zeit für ein Umdenken. «Wasserwirbelkraft­ werke werden meist in einen Topf geworfen mit den herkömmlichen, gegen die die Umweltorganisationen nun dreissig Jahre lang gekämpft haben.» Das BAFU habe zwar Freude an der innovativen Wasserkraft, aber immer weniger Geld für solche Projekte – an­ fangs September hat der Bundesrat eine Streichung der ohnehin dürftigen Mittel zur Förderung der Um­ welttechnologie beantragt. So bleibt die GWWK auf die Bürger und den ungebrochenen Forscherdrang ihrer Macher angewiesen.

schlechten Verhältnis zur gewonnen Energie», mel­ den die Umweltschützer und «im Zweifelsfall hat ein natürliches Flusssystem Vorrang», sagt Ruedi Bösiger, Geschäftsführer des WWF Aargau. «Dann sollen sie Atom- oder Kohlekraftwerke bau­ en», entgegnet Steinmann zynisch. Aus Statistiken des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) hat die WWK errechnet, dass es in der Schweiz 40 000 mögliche Standorte für Wasserwirbelkraftwerke gibt, sechstau­ send stillgelegte und tausend betriebene Kraftwerke chZgVi OZ^iejc`i 2 GZYV`i^dchhX]ajhh (%#.#&%! ) [VgW^\! 8BN@! :ghX]Z^cjc\hYVijb (%#&%#'%&% mit einbezogen. Selbst wenn in der Praxis nur die Man öffne die Klappe und schaue den Fischen zu: Wasserwirbelkraftwerke nutzen die Kraft der Natur, ohne sie zu zerstören. (Illustration: zvg)

Weitere Informationen: www.zotloeterer.com und www.gwwk.ch Die Genossenschaft Wasserwirbel Kraftwerke (GWWK) mit zur Zeit 200 Mitgliedern steht allen offen, die die nachhaltigen Stromgewinnung unterstützen wollen. Mitglieder dienen nicht nur der Umwelt, sondern auch sich selbst: Ein Anteilschein zu 3 000 Franken wird mit 3.33 Prozent verzinst und ein Darlehen zwischen 1 000 und 5 000 Franken mit 2.34 Prozent. Die Zinssätze bleiben stabil, die Aussichten der Wasserwirbelkraftwerke sind heiter, denn umweltverträglicher Strom hat Zukunft. Die Mitgliedschaft ist eine sichere und zugleich sinnvolle Altersvorsorge – eine Rarität in der heutigen Finanzwelt. Genossenschaft Wasserwirbelkraftwerke Schweiz GWWK, Sägeweg 2, 5040 Schöftland, Tel. 062 721 82 53. www.gwwk.ch

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vollwertig leben

«Stromlücke» ist frei erfunden Die behauptete Stromlücke ist durch Schweizer Beteiligungen an siebzig ausländischen Gas-, Kohle- und Atomkraftwerken längst geschlossen. Werden alle Projekte wie geplant umgesetzt, produziert die Schweizer Stromwirtschaft dreimal mehr Strom als sie selbst benötigt. «Die Zeiten der Strominsel Schweiz sind längst vorbei», schreibt die Schweizerische Energie-Stiftung (SES). Bereits heute wird Strom importiert – nicht zuletzt, um in Pumpspeicherkraftwerken schmutzigen Kohlenstrom in angeblich sauberen Wasserstrom zu ‹veredeln›. «Wenn die Stromwirtschaft angesichts dieser Tatsachen von Stromlücken spricht, dann führt sie die Bevölkerung ganz bewusst in die Irre.» MH Quelle: www.energiestiftung.ch

Projekt Wäscheleine: das Recht, Energie zu sparen Der Kampf um das Recht, Wäsche zum Trocknen aufzuhängen geht in die zweite Runde. Eigentlich eine absurde Nachricht, in den USA aber Realität. «Was ist daran auszusetzen, wenn jemand im Garten eine Leine spannt und dort Hemden und Hosen aufhängt?», dachte Susan Taylor. Sie hatte jedoch nicht mit ihren spiessigen Nachbarn gerechnet. Die fühlten sich ‹ästhetisch› beleidigt und fanden es gar obszön, Unterwäsche anschauen zu müssen. In 50 Millionen US-Haushalten ist es vom Vermieter verboten, Wäsche aufzuhängen. Drei von vier Wohneinheiten besitzen einen Energie fressenden Wäschetrockner. Taylor sieht das nicht mehr ein und kämpft nun vehement für das «Right 2 dry» (Recht zu trocknen). Die Sorge um das Klima gibt ihr nun Rückenwind. Sie gründete sogar eine Aktivistengruppe, das ‹Projekt Laundry List›, und initiierte einen ‹National Hanging Out Day›. Taylor beruft sich auf einen Satz der Atomkraftgegnerin Helen Caldicott: «Wenn wir alle unsere Wäsche zum Trocknen aufhängen würden, könnten wir die Atom-Industrie dicht machen.» RR

Laufzeitverlängerung: Kraftwerke profitieren am meisten

54 bis 94 Milliarden Euro verdienen die deutschen Kernkraftwerke durch die Laufzeitverlängerung, besagt eine Berechnung des Öko-Instituts in Berlin. Das ist wohl der wahre Grund, warum Deutschland seine Atomkraftwerke trotz des Ausstiegsentscheides von 2003 länger am Netz lassen will. Weder schütze die Verlängerung das Klima durch Emissionshandel noch senke sie den Strompreis spürbar, sagt Felix Matthes vom Institut. Somit sind die Hauptargumente der Befürworter vom Tisch und es bleibt einzig der Profit der Kernkraftwerke übrig. MH

«Solar-Schweizermeister» dank Kleinräumigkeit Hessigkofen zählt mehr als zwei Quadratmeter Solarzellen pro Einwohner, mehr als jede andere Schweizer Gemeinde. Dabei hat sich das 250 Einwohner kleine Dorf südwestlich von So­ lothurn erst vor zwei Jahren der Sonne zugewendet: Statt den Bürgern weiterhin einen tieferen Strompreis zu gewähren, hat die Gemeinde 100 000 Franken in Solaranlagen investiert. Bald wird die Sonne Hessigkofen auch in der Nacht beleuchten: Die Strassenlaternen erhalten Solarstrom. Wieso schafft Hessigkofen in nur zwei Jahren, womit andere Gemeinden jahrelang ringen? «Man müsste eher fragen, wieso es die andern nicht schaffen», entgegnet Patrik Lischer, der als Gemeinderat die Fäden des Solarprojekts in der Hand hält. Viele Gemeinden besitzen überschüssiges Vermögen für Energie. Vielleicht liegt der Teufel der Andern in der Grösse: «Wir sind ein kleines Dorf; bei unseren Gemeindeversammlungen können wir zusammen reden statt nur die Hände zu heben. Im Gemeinde­ rat wussten wir lange gar nicht, wer in welcher Partei sitzt.» Die meisten sind parteilos; da werden die Entscheidungen eher vom gesunden Menschenverstand als von Parteiengeplänkel geleitet. «In Uster, das einen Überschuss von einer Million besitzt, schei­ tert die Solarenergie an politischen Spielen. MH Weitere Informationen: www.hessigkofen.ch

Quelle: Wirtschaftsmagazin «Enorm»

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vollwertig leben von Christoph Pfluger

Nachhaltigkeit gibt’s nicht als StĂźckwerk ÂŤNeustart SchweizÂť – jetzt will ein Verein konkret werden. Nachbarschaften mit gemeinsamen Einrichtungen und beliefert von umliegenden BauernhĂśfen – mit diesem Konzept lässt sich ein nachhaltiger, genussvoller Lebensstil mit einem Energieverbrauch von weniger als 2000 Watt realisieren. Um dieser Idee zum Durchbruch zu verhelfen, hat sich Ende August in Olten ÂŤNeustart Schweiz – Verein fĂźr Ăśkologisch-soziale ErneuerungÂť gegrĂźndet.

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Das Buch, das alles ausgelÜst hat: P.M.: Neustart Schweiz – so geht es weiter. Edition Zeitpunkt, 2. erw. Auflage, 2010. 106 S. Fr. 18.70 / MItglieder: Fr. 15.– (Bestellkarte im Umschlag). 1 .

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ei allen Erfolgen der Umweltbewegung: Wir sind noch immer weit entfernt von einem nachhaltigen Lebensstil. Um nicht zu resignieren, sind wir schon mit einer Wachstumsverlangsamung des Ressour­ cenverbrauchs zufrieden. Eine Trendwende ist das noch nicht. Ohne lange Analyse dieser unbefriedi­ genden Situation kann man mit einiger Sicherheit feststellen: Sektorielle Massnahmen genĂźgen nicht. • Wir kĂśnnen nicht den Verkehr reduzieren, ohne gleichzeitig Arbeiten, Wohnen, Einkauf und Freizeit räumlich zusammenzufĂźhren. • Wir kĂśnnen nicht den Einkauf lokaler gestalten, ohne die Versorgungsstrukturen zu verändern. • Wir kĂśnnen nicht die Energieversorgung dezentrali­ sieren, ohne die Energieproduktion und -verteilung zu demokratisieren. • Wir kĂśnnen nicht das Wohnen lebensfreundlicher gestalten, ohne ein Minimum an Gemeinschafts­ fähigkeit zu lernen und ohne in die Stadtplanung einzugreifen. Diese paar Beispiele mĂźssen fĂźr die Erkenntnis ge­ nĂźgen: Alles hängt mit allem zusammen. Aber wo ist die Organisation, die all die Elemente einer nach­ haltigen Entwicklung in einer koordinierten Strategie zusammenfĂźhrt? Das Ziel ist weit‌ Diese riesige LĂźcke will der neugegrĂźndete Verein ÂŤNeustart SchweizÂť schliessen. Es ist ein sehr am­ bitioniertes Ziel, das sich die knapp fĂźnfzig GrĂźn­ dungsmitglieder, Akademiker, Umweltbesorgte und Aktivisten, vorgenommen haben. Sie rekrutieren sich aus der Leserschaft des gleichnamigen Buches des ZĂźrcher Autors und Urbanisten P.M., das soeben in zweiter Auflage erschienen ist. Beginnen wollen sie mit der ÂŤSchaffung von vielfäl­ tigen Nachbarschaften als selbständige wirtschaftliche

und soziale Organismen mit Nachbarschaftszentren, die die wichtigsten BedĂźrfnisse des Alltags abdecken (Begegnung, Versorgung, Dienstleistung, Freizeitgestal­ tung)Âť, wie die Zweckbestimmung des Vereins formu­ liert ist. Das Ăśkologische und soziale Potenzial solcher Nachbarschaften mit 500 bis 1000 BewohnerInnen ist erheblich. Untersuchungen deutscher Ă–kodĂśrfer zeigen: Mit 1500 Watt Energieverbrauch pro Person ist ein gutes Leben absolut mĂśglich. ÂŤSparen durch Berei­ cherungÂť, auf diesen Nenner kĂśnnte man das Leben in einer ÂŤNeustart-NachbarschaftÂť bringen. ‌ die ersten Schritte nah Der Verein will nun fĂźr die Umsetzung der Vision ÂŤNeustart SchweizÂť aus dem Buch eine Strategie entwi­ ckeln. Im Vordergrund steht die Ăœberzeugungsarbeit bei Umweltorganisationen und in der Politik, dass Nachhaltigkeit nur als integriertes Paket zu haben ist und Ăśkologisch-soziale Nachbarschaften ein loh­ nendes erstes Ziel darstellen. MĂśglichst schnell soll auch ein Pilotprojekt lanciert werden. Dazu braucht es zunächst eine Architekturstudie und eine wissen­ schaftliche Untersuchung Ăźber den Ăśkonomischen, Ăśkologischen und sozialen Nutzen. Und dann werden natĂźrlich Nachbarschaften mit einer aufgeschlossenen BevĂślkerung gesucht, in denen sich das Konzept ohne allzu grosse Investitionen umsetzen lässt. In der Verfolgung seiner Ziele hat der Verein bereits eine beachtliche Aktivität entwickelt. Rund die Hälfte der Mitglieder ist in verschiedenen Arbeitsgruppen ak­ tiv. Man darf gespannt sein, wie der Neustart startet. NatĂźrlich braucht eine solche Vision viele Mitglieder, die sie mit ideeller und finanzieller UnterstĂźtzung weiter­ bringen. Der Mitgliederbeitrag beträgt mindestens zwan­ zig Franken – ein kleiner Beitrag fĂźr die Genugtuung, am Anfang einer grossen Idee dabei zu sein. Weitere Infos: Konto: ABS, Konto-Nr. 310.745.100-07, IBAN: CH09 0839 0031 0745 1000 7


wahre Werte

Humbel brennt Bio-Rum aus kubanischer Melasse

Geschenkidee: Datteln aus Jericho

Klar, am allerbesten riecht es in der Humbel-Brennerei immer dann, wenn Kirsch gebrannt wird. Doch zugegeben: Auch die Zuckerrohrmelasse duftet verführerisch, wenn sie zu Rum destilliert wird. Davon können Sie sich an der kommenden Humbel-Messe vom 13. und 14. November am besten gleich selber überzeugen. An diesen beiden Tagen nämlich wird der Ron Guajira destilliert. Es ist ein klassischer, weisser Rum. Die kontrolliert biologisch hergestellte Melasse stammt vom Landwirtschaftsbetrieb CAI Baliño in Kuba. Da die Kubaner vorderhand noch nicht die Möglichkeit haben, diesen Bio-Rum selbst herzustellen, wird in Stetten destilliert. Auch neben dem Einmaischen der Melasse und dem Destillieren geht es bei Humbel während dieser Tage echt «kubanisch» zu und her: Es gibt «Pan con lechón» (Spanferkel), eine grosse karibische Rumauswahl, dazu kubanische Produkte wie Bier, Cola und Kaffee. Und natürlich werden auch Zigarren gerollt. Daneben kann die ganze Auswahl an feinen Humbel-Obstbränden verkostet werden.

1918 legte Max Humbel mit dem Bau des Hochkamins den Grundstein für die Brennerei in Stetten, einem Dorf im Kanton Aargau unweit Zürichs. Seit 1991 ist nun die dritte Generation am Werk: Lorenz Humbel, Inhaber, und Cousin Beat Humbel, Obstbauer und Brennmeis­ ter. In den vergangenen Jahren haben die beiden in Stetten verschiedene Fruchtplantagen angelegt, deren Ernte ausschliesslich für die eigene Produktion verwendet wird. 2004 wurde die alte Brennerei umgebaut, erweitert und auf den neusten technischen Stand gebracht. Tradition und Innovation gehen bei Humbel immer Hand in Hand: Klassische Schweizer Brände werden mit derselben Sorgfalt und Hingabe gepflegt wie sortenreine Kirsch- und Bio-Destillate. In beiden Bereichen hat die Stettener Brennerei Pionierarbeit geleistet.

bionline.ch frisch dihei vom Bolderhof

Bio-Licht: natürliches Tageslicht in Innenräume!

Wer im Online-Shop des Bolderhofs auf Einkaufstour geht, wähnt sich in einem Schlaraffenland – und alles stammt aus biologischer Produktion: Das Sortiment beschränkt sich nicht nur auf Gemüse, Früchte und Fleisch (KAG). Da gibt’s ausserdem alle vorstellbaren Lebensmittel, gesunde Snacks und Drinks, frische Backwaren, Antipasti, fertig gekochte Menüs vom Hof und vieles mehr. Die grosse Auswahl an Frischprodukten kann individuell bestellt werden oder es wird ein wöchentlicher saisonaler Vorschlag angeboten, der bis ein Tag vor der Lieferung beliebig angepasst werden kann. Lieferung schweizweit. Bio-Onlineshop: www.bionline.ch Erlebnishof: www.bolderhof.ch

«Adopt-a-palm» ist ein Projekt, das die Schweizerin Susanne Triner 2007 in Jericho lanciert hat, um die vernachlässigten Palmengärten zu revitalisieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Das notwendige Investitionskapital wird über Adoptionen von Palmen für 210 Franken bzw. 142 Euro gesammelt. Und dann werden die wunderbaren, unbehandelten Jumbo-Datteln natürlich auch verkauft. Im Oktober ist die neue Ernte eingetroffen. Dattel-Geschenke machen doppelte Freude, einerseits den Beschenkten, aber auch palästinensischen Familien in den besetzten Gebieten. Geschenkpackungen in verschiedenen Grössen, Rezeptvorschläge für Dattelgebäck und natürlich alles Wissenswerte über das Projekt finden Sie auf           www.adoptapalm.com

Humbel Spezialitätenbrennerei Baumgartenstrasse 12, 5608 Stetten, Tel. 056 496 50 60, Fax 056 496 50 62, info@humbel.ch Zusätzliche Infos: www.humbel.ch

Über 90 Prozent unseres Lebens spielt sich inzwischen in künstlich beleuchteten Räumen ab, und damit tritt die gesundheitliche Wirkung dieses Lichtes in den Vordergrund. Unser ganzes Hormonsystem wird durch Licht gesteuert. Vollspektrum Bio-Licht bringt zu 96 Prozent natürliches Tageslicht in unsere Arbeits- und Schulräume. Licht ist nicht nur zum Sehen da. Vollspektrum BioLicht reduziert die Infektionsgefahr und Bakterien in der Luft. Produziert Vitamin D, stärkt unter anderem Immunsystem und Zähne, beugt einer Winterdepression vor, fördert den Kalzium-Aufbau, erzeugt krebshemmende Stoffe und unterstützt die Heilung von Gelbsucht, Schuppenflechten, Allergien und weiteren Hautkrankheiten. Ein entscheidender Faktor bei der positiven gesundheitlichen Lichteinwirkung ist neben dem nachgeahmten sichtbaren Sonnen-Lichtspektrum der richtige, unsichtbare UV-Anteil. Licht-Photonen sind ein lebensnotwendiges, unsichtbares Element, das im Körper für eine Vielzahl von Funktionen benötigt wird. Ohne Licht können sich die Zellen nicht teilen und vermehren. Lichtphotonen haben auch eine ausgeprägte zellschützende Eigenschaft.

Bio-Licht Lampen sind also eine optimale Alternative zu herkömmlichen Sparlampen. Durch meine langjährige Tätigkeit habe ich zudem festgestellt, dass Bio-Licht Lampen für hochsensible Menschen deutlich verträglicher sind als unsere alte, jetzt verbotene Glühlampe. Im Weiteren haben Untersuchungen nachgewiesen, dass Leistungszuwachs, Ausschuss- und Unfallrückgang mit der Versorgung von Vollspektrumlicht in Verbindung gebracht werden kann und es erlaubt allgemein und am Bildschirm ein längeres und konzentrierteres Arbeiten.   Je nach bestehendem Lichtsystem können bis vierzig Prozent Energie eingespart werden! Informieren Sie sich bei: Jakob Villiger Audio- und Bio-El. Technik, 6333 Hünenberg See 041 780 69 67, www.villiton.ch Informationen unserer Inserenten

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vollwertig leben

Bild: zvg

von Michael Huber

Neues vom Rütli der Bio-Bewegung Die Industrialisierung hat auch den Bio-Markt erreicht: Massenproduktion, Sorten-Einfalt und lange Transportwege zerstören trotz Bio-Label Regionalität, Naturkreisläufe und Vielfalt der kleinen Betriebe. Diesem Trend will eine Bewegung Einhalt gebieten, die ihre Wurzeln an der Quelle der BioBewegung hat, auf dem Möschberg im Emmental.

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er Möschberg ist sozusagen das Rütli der Biobewegung. Hans Müller, Bio­ loge und Sekundarlehrer, vertagte auf Wunsch seiner Mutter die akademische Laufbahn, um die Kleinbauern poli­ tisch zu verteidigen. Allerdings wurde ihm schon bald klar, dass die Bauern nicht auf ein Wunder aus Bundesbern hoffen konnten und sich selber helfen mussten. Die von Müller gegründete «Bauernheimat­ bewegung» war vorerst ein Abstinenzverein, der sich bald für die Wirtschaftspolitik und schliesslich für eine naturnahe Lebensführung engagierte. Mit seiner Frau Maria übernahm Müller 1932 die Leitung der neu gegründeten Bauernschule auf dem Möschberg. Maria erzog ihre Schülerinnen mit mütterlicher Wärme und übersetzte die Schriften von Ernährungspionieren wie Bircher-Benner in die bäuerliche Sprache. Mithilfe des deutschen Arztes Hans-Peter Rusch wurden die Naturkreisläufe erforscht und der Industrialisierung die «lebensgesetzliche», biologische Landwirtschaft gegenübergestellt, die den Kleinbauern neben der Gesundheit auch die Unabhängigkeit von chemischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln erhalten sollte. Menge statt Vielfalt Die Pioniere hielten unermüdlich Vorträge und ver­ schafften sich internationale Bekanntheit. Nach der

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Gründung des Dachverbandes Bio-Suisse im Jahr 1981 verlor das Zentrum Möschberg an Bedeutung, nicht aber die Ideen der Biolandwirtschaft. Noch nicht. Walter Baumann, Biogemüsebauer und Markt­ fahrer aus dem Berner Mittelland, erinnert sich: «In den Achtzigerjahren konnten wir so viel Biogemüse produzieren wie nur möglich – wir hatten immer zu wenig.» Dann wurden Coop und Migros auf den neu­ en Trend aufmerksam. «Ich freute mich über die Po­ pularität des Biogemüses, war aber skeptisch, ob die Grossverteiler auch an den Grundsätzen der Bioland­ wirtschaft interessiert waren oder nur am Geschäft.» Heute weiss er: Es war das Geschäft. Baumann bot in den Achtzigerjahren nur saisonale Produkte an, aber vom Angebot im Supermarkt verführt, wünschten die Kunden nun vermehrt jahraus, jahrein Sommergemü­ se und exotische Früchte. Die Produzenten schlossen immer mehr Kom­ promisse mit den Grossverteilern: Diese brauchen vereinheitlichte Sorten in grossen Mengen und kaufen sie nicht bei vielen kleinen Höfen in der Region ein, sondern bei wenigen grossen und in der ganzen Welt. Die biologischen Kreisläufe werden dabei fast nach Belieben unterbrochen. Bio-Eier z.B. stammen zur Hauptsache von Hühnern, die mit Getreide aus dem Ausland gefüttert werden. Trotzdem gelten sie als Schweizer Bioprodukte.


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vollwertig leben

Die undurchsichtigen Strukturen im gros­ sen Geschäft erfordern eine kostspielige Kontrolle. Jede Aussaat, jeder Zukauf von Waren muss aufgezeichnet und jedes Pro­ dukt aufwändig zertifiziert werden. Und: Die Grossverteiler beschränken ihr Angebot auf gängige Sorten mit hoher Lager- und Trans­ portfähigkeit. Unter diesen ökonomischen Verhältnissen verblasst das Bild des male­ rischen Hofes mit glücklichen Kühen und einem bedächtigen Bauern zur Fiktion aus der Werbung. Lieber regional als Import-Bio Christine Zollinger von der biologischen Samengärtnerei Zollinger im Wallis hat die fehlende Vielfalt mehrfach kritisiert, versteht aber auch die grösseren Betriebe: «Wenn ich als Gemüsebäuerin an einen Grossverteiler liefern müsste, würde ich auch Sorten benut­ zen, die für die industrialisierte Produktion geeignet sind.» Wer Bio-Gemüse verkauft, muss auch Bio-Samen anpflanzen. «Diese Richtlinie ist gut gemeint und hätte eigent­

Die Grossverteiler beschränken ihr Angebot auf gängige Sorten mit hoher Lager- und Transportfähigkeit. Unter diesen ökonomischen Verhältnissen verblasst das Bild des malerischen Hofes mit glücklichen Kühen und einem bedächtigen Bauern zur Fiktion aus der Werbung. lich die biologische Saatzucht fördern sollen, verdrängt schlussendlich aber die Vielfalt.» Weil immer noch zu wenig biologisches Saatgut erhältlich ist, müssen Bauern auf we­ nige Sorten zurückgreifen. «Schade», findet Zollinger, denn ihr liegt die Vielfalt ebenso am Herzen wie das Bio-Zertifikat. Mehr noch als diese Richtlinie schränken aber die EU-Gesetze ein: Traditionelle Sorten, die nur für den kleinen Anbau interessant sind, werden zwar nicht verboten, aber von den kostspieligen Auflagen beinahe erstickt. «In den grossräumigen Strukturen wird es keine Lösung geben, die auf die Biodiversität Rücksicht nimmt. Es wird auf zwei Schienen

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Das moderne produziert: auf einer grossen, industrialisier­ ten und einer kleinen, spezialisierten», stellt Christine Zollinger fest. Auch Herbert Karch von der Kleinbauern-Vereinigung sieht die Zweigleisigkeit in der Biolandwirtschaft und hält sie für richtig: «Einerseits wird Bioqua­ lität populär, andererseits können Klein­ bauern in Nischen produzieren. Allerdings sollte Bio-Suisse die Kleinbauern bei der Zertifizierung besser unterstützen.» Sprich: Weniger Bürokratie. Zurück auf den Möschberg «Bio verkauft seinen Mehrwert», stellt Mar­ kus Lanfranchi, Präsident des Bioforums Schweiz, fest. Der Biolandwirtschaft werde ein Verlust an Marktanteilen drohen, wenn sie sich nicht auf ihre Wurzeln besinnt. Die Bedrohung ist dieselbe wie im letzten Jahrhundert, nämlich die Industrialisierung – diesmal der Biolandwirtschaft, die sich in ihren Anfängen gegen die kapitalistische Vereinnahmung der Lebensmittelprodukti­ on gewehrt hatte. Dem will das Bioforum, entstanden aus der Bauernheimatbewegung, jetzt Gegensteuer geben. Im Frühling disku­ tierten Bio-Bäuerinnen und -Bauern auf dem Möschberg eine mögliche Strategie. «Selbst der biologische Landbau erweist sich unter der herrschenden wachstumsorientierten Denkweise nicht als nachhaltig», heisst es in der Möschberg-Erklärung, die grössere Vielfalt, kleinere und mehr Betriebe und den nachbarschaftlichen Zusammenschluss fordert. «Zäme, lokal, fair» lautet der Slogan der Berner Vertragslandwirtschaft Soliterre, die zeitgleich zur Veröffentlichung der Mösch­ berg-Erklärung gestartet ist. Überall in der Schweiz entstehen kleine Verbünde: Kon­ sumenten kaufen direkt bei Hofläden ein, oder sie pflanzen ihr Gemüse in Garten­ kooperativen gleich selbst an. Sie durch­ brechen so den Teufelskreis der grossen Versorgungslogistik mit all ihren Nachteilen. Die Anonymität entfällt – die Bauern müssen eine vom Hagel geschädigte Ernte nicht vernichten, denn sie können den Konsu­ menten die Beulen an den Äpfeln erklären. Und: Diese echten Bio-Produkte sind in der Regel günstiger als die vom Grossverteiler. Das stimmt doch zuversichtlich. Weblinks: www.bioforum.ch, www.kleinbauern.ch, www.zollinger-samen.ch, www.soliterre.ch

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Immer mehr Cafés schalten WLAN-Zugang ab

Eine Stadt kämpft gegen Plastiktaschen

In den USA gibt es offenbar einen neuen Trend zu WLANfreien Cafés. Immer mehr Läden würden auf einen kosten­ losen und kabellosen Internetzugang für die Gäste verzichten, und zwar, um die Umsätze anzukurbeln, schreibt die «Los Angeles Times». Der Grund liegt also nicht in der Eindäm­ mung des Elektrosmogs. Viele Nutzer bestellen sich eine ein­ zige Tasse Kaffee und surfen dann den ganzen Tag auf ihrem Laptop. Andere Cafés wollten die typischen Computer-Nerds fernhalten, um eine angenehmere Atmosphäre zu schaffen, in der sich die Gäste unterhalten und nicht nur auf Tastaturen herumklimpern. In San Francisco, wo im Jahr 2 000 die ersten Cafés einen kabellosen Internetzugang als sensationelle In­ novation anboten, sind 2005 die ersten Cafés bewusst wieder offline gegangen. CP

Jeder Mensch verbraucht jährlich 288 Plastiktaschen. Das kommt der österreichischen Stadt Wiesel­ burg nicht mehr in die Tüte: Mit der Kampagne «My bag is not pla­ stic» feiert sie ihr zehnjähriges Ju­ biläum als Klimabündnisgemeinde und schreibt einen Weltrekord: Weil sie seit 3650 Tagen Mitglied des Bündnisses ist, hat sie ebenso viele Stofftaschen gesammelt. Die schönsten werden ausgestellt und verlost. Der Erlös geht an Klima­ projekte. Zudem erhalten enga­ gierte Handelsunternehmen ein Umweltlogo. Im Kampf gegen die Plastiktaschen hinkt Mitteleuropa hinterher: San Francisco, Los An­ geles und sogar China haben sie längst verboten. MH

Quelle: dts-Nachrichtenagentur

Ökolabels helfen nicht gegen zu hohen Fischkonsum Die Schweiz vertilgt pro Einwohner im Jahr über neun Kilo* Fisch und Meeresfrüchte. Trotz absehbarer Erschöpfung der Fischbestände nimmt der Fischkonsum Jahr für Jahr zu – auch in der Schweiz, die traditionell kein Land von Fisch­ essern ist und 95 Prozent der Fische importieren muss. Nach Schätzungen von fair-fish kann die Erde etwa an­ derthalb Fischmahlzeiten pro Mensch und Monat liefern, Fischzucht inbegriffen. Das entspricht ungefähr 2,7 Kilo Fisch pro Kopf und Jahr. Wir essen also mehr als dreimal soviel Fisch, wie uns eigentlich zusteht. Die Rechnung be­ zahlen die Umwelt, arme Völker im Süden – und die über­ nächste Generation. Denn wenn wir die Ozeane weiterhin leeressen, wird es in vierzig Jahren nichts mehr zu fischen geben. Neun Kilo Fisch pro Kopf und Jahr können auf nachhal­ tige Weise gar nicht beschafft werden. Das ist die unbe­ queme Wahrheit. Man kann ihr nicht dadurch entgehen, dass man einfach nur noch Fisch mit irgendeinem Öko-La­ bel kauft. Soviele Label-Fische wird es nie geben – es sei denn, die Label würden verwässert. Seriöse Fisch-Label machen durchaus Sinn: als zweiten Schritt. Der erste Schritt muss heissen: weniger Fisch essen. Sonst bleibt es beim «Krieg gegen die Tiere», wie es Jona­ than Foer in seinem aktuellen Buch «Tiere essen» treffend nennt – und er meint damit nicht nur den zu hohen Kon­ sum von Fleisch, sondern ausdrücklich auch von Fisch. Heinzpeter Studer, fair-fish *) Der Weltdurchschnitt liegt bei 16.7 kg Fisch pro Kopf und Jahr. Hierbei handelt es sich freilich um das Lebendgewicht der Tiere. Die 9.1 kg des Schweizer Konsums dagegen beziehen sich weitgehend auf das Gewicht in Filets. Umgerechnet auf Lebendgewicht vertilgt jede/r Schweizer/in grob geschätzt 25 kg Fisch.

Quelle: pressetext.schweiz

Saison-Gemüse: die grosse Unbekannte Schwätzer! Fast 90 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer geben an, saisonal einzukaufen, gleichzeitig wissen nur 28 Prozent, wann Tomaten Saison haben. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des WWF. Besonders unwissend waren junge Männer. Dabei wäre mit saisongerechten Einkäufen viel gespart: Ein Kilo Schweizer Freiland-Bohnen beispielsweise braucht rund 0.1 Liter Erdöl bis es im Regal liegt – in Bohnen aus Kenya stecken im Schnitt 4.8 Liter. Nun gibt der WWF mit einer Smartphone-App Auskunft, wann welche Gemüse- und Früchtesorten reif sind. Und wer gerade jetzt im Dunkeln tappt: Im November haben Spinat und Chinakohl Saison. MH

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Geldregen – Schneeballeffekt erwünscht

Tierlieb schlemmen …und dabei mit anderen über sein eigenes Konsumverhalten nachdenken. Dies bietet Nadja Kissner mit ihrem kleinen, feinen Non-Profit-Projekt: Vegan Buffet ‹Akut›. «Musik spielt in meinem Leben eine grössere Rolle als das Essen, aber als Veganerin kann ich nun mal nicht schnell was vom Take Away holen. Deshalb bereite ich es frisch zu.» Die tägliche Beschäf­ tigung mit Essen war also unausweichlich: Es soll nicht die Umwelt belasten, fair produziert, aber nicht mit Tierleid belastet sein. Aus der Auseinandersetzung mit der eigenen Ohnmacht gegenüber den Gräueltaten an Tieren entstand eine neue Idee: Ein leckeres veganes Buffet zuzubereiten und den daraus entstandenen Reingewinn zu spenden. Willkommen sind alle, die sich über das Leben und ihre Ernährung Gedanken machen und dabei auch geniessen möchten. Die ideale Gelegenheit also, zusammenzusitzen und über das eigene Konsumverhalten und dessen Wechselwirkung zu reflektieren. Ein erstes Buffet hat bereits stattgefunden, mit Unterstützung der vegetarischen Restaurant-Kette Tibits. Thema des Abends mit fünfzig Gästen, die je zwanzig Franken bezahlten, waren die Risiken der Palm­ ölproduktion. Der Reinerlös kommt bei jedem Buffet einem anderen Hilfsprojekt zugute, beim ersten Mal war es eine Orang-Utan-Hilfe in Borneo. Veganerin wurde Nadja vor neun Monaten – nach elf fleischlosen Jahren. Dann musste sie sich eingestehen, dass sie auch andere tierische Produkte nicht mehr verantworten konnte. MAG Das nächste Buffet wird voraussichtlich im Januar in Schlieren bei Zürich stattfinden. Mehr Infos auf: www.myspace.com/veganbuffetakut

Geldgeschenke sind langweilig. Es sei denn, sie liegen anonym im Briefkasten. Das könnte in Zukunft auch Ihnen passieren, denn am 12. Juli 2010 startete das Experiment «Geldregen». Das Prinzip ist einfach: Drei Unbekannte im Telefonbuch auswählen, Geldscheine zusammen mit einem kurzen Text von geldregen.li in adressierte Umschläge stecken und ohne Absender verschicken. «Der Film ‹Das Glücks­prinzip› hat mich auf die Idee gebracht», sagt der Erfinder des Geldregens, ein Schweizer Naturheilpraktiker, der uns namentlich bekannt ist, der aber anonym bleiben will. Allerdings warnt er auch vor zu viel Überschwänglichkeit, denn so schön das Projekt auch ist: «Sie können nur geben, was Sie haben!» Die Idee hinter dem Geldregen: Wer verschenkt, hievt sich geistig in das Bewusstsein des Überflusses. Die materielle Welt folgt nach.   Auf der Website geldregen.li wird u.a. gezeigt, welche konkreten Massnahmen zu mehr Überfluss verhelfen können. Selbst bereichern will sich der Geldregen-Urheber aber nicht, aber das Wachsen und die ungewöhnlichen Wirkungen seiner Idee verfolgen. Teilnehmer sind deshalb aufgefordert, ihre Erfahrungen (anonym) auf der Website zu veröffentlichen. Das ganze Angebot seiner Website, inklusive Geld-Workshop, kann gratis genutzt werden. SL www.geldregen.li

Mit energetischer Klärung innert Minuten vom Chaos zur Ordnung Anstrengungslos - mit einer einfachen täglichen Übung für mehr Balance in Deinem Leben Aarwangen, CH. Samstag 27. November

Heile Deine Vorfahren – Heile Dich selbst

Ein einzigartiger Weg, um sich aus der Konditionierung der Vergangenheit zu lösen.

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Heile Deine Vergangenheit – Verändere Deine Zukunft Vertiefe Deine Fähigkeit, Clearing anzuwenden.

Wochenend-Workshop mit Eric Dowsett Autor & internationaler Referent

Vorher

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Ernährung nach den Fünf Elementen 1-jährige, berufsbegleitende Ausbildung in Ernährungsberatung Basis-Seminare, Kochkurse, Infovorträge Weitere Informationen: www.tcm-seifert.ch Kontakt: Marlise Minder Hintergasse 163, CH-4938 Rohrbach Fon: 0848 000 880, buero@tcm-seifert.ch Empfohlen von Barbara Temelie, www.barbaratemelie.de


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«Musik übers Meer» – ein zweites Leben für Musikinstrumente

Es ist immer wieder erstaunlich, was alles möglich ist, wenn man die ersten Schritte unternimmt und nicht sofort aufgibt. Die Musikerin und Journalistin Cornelia Diethelm lebte seit 1990 insgesamt zwei Jahre in Río San Juan, einem Städtchen an der Nordküste der Dominikanischen Republik. Aus Dankbarkeit für die Gastfreundschaft wollte sie 2004 der Karibik­ insel etwas zurückschenken. Sie erinnerte sich an die frühere Blaskapelle, deren klapprige Instrumente längst nicht mehr spielbar waren und hatte eine Idee: In der Schweiz nicht mehr gebrauchte Musikinstrumente sammeln und sie in der Dominikanischen Republik zu neuem Leben erwecken. Aber sie stellte Bedingungen: Eine Musikschule (die erste des Landes) musste gegründet werden und die Lehrer mussten bezahlt werden. Im Kulturministerium fand sie schliesslich die zuverlässigen Partner – die Verträge unterschrieb der Kulturminister persönlich. 2008 wurde die Schule eröffnet und die Blaskapelle von Rio San Juan ist mittlerweile eine nationale Institution, die fast an jedem Wochenende aufspielt. Im Februar 2010 erhielt dann auch die Hauptstadt Santo Domingo eine Musikschule mit Instrumenten aus der Schweiz. Und weil Musik so ansteckend Kulturaustausch und Entwicklungshilfe selbst gemacht: Cornelia Diethelm übergibt dem Geigenlehrer «ihrer» Musikschuist, soll die le eine Violine aus der Schweiz. Blaskapelle von Rio San Juan zu einem regelrechten JugendsinfonieOrchester ausgebaut werden. Ende Januar geht der Transport für das Projekt «Musik übers Meer» los, finanziert vom Schweizer Blasmusikverband. Jetzt sucht Cornelia Diethelm noch spielbare (nicht reparaturbedürftige) Orchesterinstrumente aller Art. Wenn also auf Ihrem Estrich ein Instrument auf ein zweites Leben hofft, dann haben Sie jetzt eine gute Adresse. Cornelia Diethelm wird vielleicht einmal auf dem Dorfplatz von Rio San Juan ein Denkmal erhalten. Wir möchten ihr hier jetzt schon eines setzen, ein «denk mal!» für das, was ein einzelner Mensch bewirken kann. CP Kontakt: Cornelia Diethelm, Alte Kirchgasse 22, 7215 Fanas, Tel. 081 325 23 73 cornelia.diethelm@gmail.com

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An andere denken – wie die kleinste Schule überlebt Eine Lehrerin, elf Kinder und eine Klasse mit zehn Jahrgängen. Das jüngste Kind ist in der Vorstufe, die älteste Schülerin müsste bereits gesiezt werden. Dass es diese Schule – vermutlich die kleinste der Schweiz – überhaupt noch gibt, ist kein Wunder, sondern auf das entschiedene Engagement der Scheltener zu­ rückzuführen. Mehrmals schon mussten sie per Inserat junge Familien suchen, um die Schule über Wasser zu halten. «Unter zehn Kindern wird’s kritisch», weiss die Schulkommissionspräsi­ dentin Regula Imperatori. Als die neu gefundene Lehrerin auch noch zwei eigene Kinder mitbrachte, war das ein Glücksfall. Die Gemeinde Schelten liegt auf 746 Metern über Meer – eine kleine Berner Insel zwischen den Kantonen Jura und Solothurn. Die meisten der zweiundvierzig Einwohner leben auf abgelegenen Weilern, die nur durch Naturstrassen mit dem Strassennetz verbunden sind. «Herrlich!», mögen Städter jetzt innerlich jubeln. Scheltener denken eher an Schlamm im Herbst, Schneematsch im Frühling und die kaum passierbare Zufahrt in den langen Wintermonaten. Eine Beiz, in der sich die Schnee­ schaufler gelegentlich austauschen könnten, gibt es im Dorf nicht mehr. Vielleicht gerade deshalb gründeten die Scheltener den Verein «Kulturelle Gemeinschaft». Wie jedes Jahr findet auch 2010 der vom Verein organisierte Adventsmarkt wieder statt. Zu sehen gibt es dieses Jahr seltenes Handwerk aus der Region – surrende Webstühle, Töpferscheiben und allerlei Handge­ machtes. Der Erlös des Adventsmarktes fliesst in den gemein­ nützigen Fonds der Gemeinde. Doch alles nur für sich behalten, das wollen die Scheltener nicht. «Ein Drittel der Einnahmen geht an ein Projekt im Ausland», bestätigt Regula Imperatori. «Dieses Jahr unterstützen wir die Überschwemmungsopfer in Pakistan.» Auch die elf Scheltener Schulkinder werden am ersten Advents­ sonntag ihren Stand aufbauen. Was es heisst, nicht vergessen zu werden, wissen sie genau. Erst kürzlich wurde dank Spenden aus der «Schweizer Paten­ schaft für Berggemeinden» im Keller der Schule eine Pellethei­ zung eingebaut. SL Adventsmarkt in Schelten, 27. und 28. November 2010, 10 bis 18 Uhr, im und ums Schulhaus.

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Horizonte erweitern von Alex von Roll

Eine kurze Reise nach Masloc

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Eine kurze Reise nach Masloc

«Möchtest du nicht nächste Woche als Fahrer eines Hilfstransportes nach Rumänien fahren?» Der Aufforderung von Anselm konnte ich nicht wi­ derstehen und so tuckerte ich ein paar Tage später mit fünf Mitgliedern des lokalen Kiwanis-Clubs und drei bis an die Gewichtsgrenze beladenen Klein­ transportern ostwärts. In den Laderäumen befanden sich Spitalbetten, Sanitärmaterial und Kleinmöbel aus dem so genannten «Damenheim», einem nun stillgelegten Altersheim des Klosters Visitation. Der verzollte Wert der Ware betrug 2 000 Franken, der Wiederbeschaffungswert rund 70 000 – eine lohnende Reise mit einigem Unterhaltungswert. Über die 1500 Kilometer lange Autobahnfahrt gibt es nichts Nennenswertes zu berichten, umso mehr aber über unseren Bestimmungsort, ein kleines Spi­ tal in der westrumänischen Vielvölkerprovinz Banat. Dessen Geschichte lassen wir 1992 beginnen, als der rumänische Arzt Nellu Corneliu Babut 5 000 DM erhielt und dafür eine stillgelegte Kolchose kaufte. Zuvor hat­

jungen Arzt verbreitete sich in der anthroposophischen Welt und drang auch an die Rudolf Steiner-Schule in Solothurn, wo die resolute, aber von den Schülerinnen und Schülern (gelegentlich auch erst nach Ende der Schulzeit) heiss geliebte Kathrin Frank unverzüglich ein Rumänien-Projekt einrichtete, das seit Mitte der 90er Jahre jedes Jahr eine Oberstufenklasse für einen einmonatigen Baueinsatz nach Masloc bringt. Und weil es in Rumänien nicht nur Muskelkraft braucht, sondern auch Geld, übernimmt im Rahmen eines weiteren Projekts der Rudolf Steiner-Schule jeweils eine Klasse zehn Tage lang ein angesehenes Restau­ rant in Solothurn, kocht, serviert, putzt – und kassiert zugunsten des Spitals von Nellu Babut. Eines Tages verköstigte sich auch Anselm, seines Zeichens Präsi­ dent des Wohltätigkeitsausschusses des Kiwanis-Clubs im besagten Restaurant, und so kam es, dass nicht nur eine namhafte Spende in der Kasse landete, sondern auch eine Idee in Anselms Kopf: Ein zweites Leben in Rumänien für die Einrichtung des «Damenheims».

… und so kam es, dass nicht nur eine namhafte Spende in der Kasse landete, sondern auch eine Idee in Anselms Kopf: Ein zweites Leben in Rumänien für die Einrichtung des «Damenheims».

Nachdem nun die komplizierten Umstände dieser einfachen Geschichte erzählt sind, können wir uns dem Spital von Nellu zuwenden. Dieser ist zwar Internist, praktiziert aber anthroposophische Medizin, die Krankheit in erster Linie als Störung des Zusammenspiels von Körper, Geist und Seele betrachtet und auch behandelt. Anthroposophische Heilmittel, meist pflanzliche oder mineralische Präpa­ rate, werden oft in homöopathischer Form verabreicht und beeinflussen die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Wesensglieden des Menschen. Im Spital behandeln zwei Ärzte und rund zwanzig Pflegende vierzig Patienten, die mittlerweile aus ganz Rumänien herreisen, nach Masloc, gewissermassen dem Hort der letzten Hoffnung. Die Krankenkassen bezahlen den Spitalaufenthalt nicht. Inzwischen hat Nellu auf­ gehört mit ihnen zu streiten: «Die Beamten der Kassen kommen nur, um irgendwelche Gründe zu finden, um die Kostenübernahme abzulehnen.» 55 Prozent müssen die Patienten selber übernehmen, der Rest wird aus der gut gehenden Privatpraxis von Nellu quersubventioniert. Der Spardruck macht aber auch kreativ. So stellt das Spital die meisten Medikamente im eigenen Labor selber her, um sie nicht teuer im Westen einkaufen zu müssen. Die Kräuter werden auf dem Spitalgelände angepflanzt (bestäubt von den Bienen von Nellus Frau) oder von Kräuterbauern geliefert. Die sichtbaren Kreisläufe sind kein Zufall: Für Nellu bedeutet Heilung die Wiederherstellung der Kreisläufe, nicht nur im Körper, sondern auch im Leben und in der Gemeinschaft. Da passt die Pflanzenkläranlage, die die Steinerschüler vor kurzem gebaut haben, natürlich bestens ins Konzept. Zwanzig Schüler leisten etwa so viel wie sieben Arbeiter.

te er vor der schwierigen Entscheidung zwischen einer Karriere als Akademiker im Dienste von Forschung und Lehre oder als Landarzt in der rumänischen Pampa gestanden. Er entschied sich für die Pampa, musste aber bald einmal feststellen, dass die Kapa­ zität einer einfachen Landarztpraxis weit hinter den Bedürfnissen der Bevölkerung herhinkte, selbst wenn die von ihm praktizierte anthroposophische Medizin mit weniger Aufwand mehr Krankheit überwand als die Schulmedizin. Ein Spital musste her. Die Kolchose wurde also abgebrochen und aus dem Baumaterial mithilfe von sieben Bauarbeitern im Dorf Masloc (früher Blumenthal) ein vierstöckiger, zweiflügliger Spitalbau errichtet. Die Kunde von dem selbstlosen

Masloc im rumänischen Banat ist kein schmuckes Dorf, auch nachts nicht, wenn die Armut in der Dunkelheit verschwindet. Aber es hat ein kleines Spital, das mittlerweile in ganz Rumänien bekannt ist, das sogar seine eigenen Heilkräuter anpflanzt (rechts)

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Horizonte erweitern

Der Arzt Nellu Corneliu Babut mit seinen Arbeitern, die ihm aus dem Baumaterial einer alten Kolchose, die er mit geschenkten 5 000 Mark gekauft hatte, ein schmuckes kleines Spital bauten – ohne Architekt. Die beiden fleissigen Damen, die ohne Rücksicht auf ihre Ordenskleidung bei der Renovation der Dorfkirche mithalfen, ergaben nicht nur ein nettes Fotosujet, sondern eröffneten auch einen wertvollen Kontakt zum jungen Pfarrer Attila.

Der Prunk der Habsburger ist hier noch auf Schritt und Tritt sichtbar: der römisch-katholische Dom von Timisoara.

Das mag bescheiden erscheinen. Trotzdem ist Nellu sehr glücklich über die Zusammenarbeit. Die Schüler bringen auch Impulse, und schliesslich sei Medizin nicht nur Behandlung, sondern auch Erziehung. Als nächstes möchte Nellu das angrenzende Bau­ erngut erwerben, um den Selbstversorgungsgrad mit gesunden Lebensmitteln zu erhöhen und den Kreis zwischen Menschen, Pflanzen und Tieren zu schlies­ sen. Falls Sie einen sinnvollen Verwendungszweck für 25 000 Euro suchen, melden Sie sich doch direkt bei Nellu. Etwas weniger kostet die geplante Bäckerei für das eigene tägliche Brot: 8 000 Euro. Das Dorf verfügt nicht einmal über eine eigene Bäckerei. Es gibt ja immer wieder Menschen, die Papiervermögen in Werte umwandeln möchten. Nellu ist ein Parade­ beispiel, wie man mit Geisteskraft, Ausdauer und Uneigennützigkeit knappe Ressourcen in grossen Nutzen umwandeln kann – eine bessere Investition kann man sich kaum vorstellen. Mit ein oder zwei Flaschen Zuica, ein Zwetschgenwasser, dürften Sie auf jeden Fall entschädigt werden. Nellu hat mehrere hundert Flaschen im Keller, die ihm dankbare Men­ schen schenken. Er schenkt sie gerne weiter. Auch wenn der Reisezweck ein Transportauftrag ist, darf man nicht 3 000 Kilometer fahren, ohne etwas über Land und Leute zu erfahren. Ich habe Glück: Als ich zwei Klosterfrauen beim Abschmirgeln einer alten Türe fotografiere, lerne ich Attila, den jungen katholischen Pfarrer der Region kennen, Herr über neun Gemeinden und ebenso­ viele zerfallende Kirchen. Er erzählt mir, wie sich die deutschen Dörfer nach der Revolution von 1989 innerhalb weniger Monate geleert hätten, weil die Bundesrepublik allen Deutschstämmigen das auto­ matische Bürgerrecht versprach; wie sich die Dörfer langsam mit Neuzuzügern aus allen Teilen des viel­ sprachigen Rumäniens wieder bevölkert, aber noch nicht zueinander gefunden hätten. Er nimmt mich mit auf Visite ins Nachbardorf Remetea Micà, früher

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Königshof, das jetzt infolge der neuen Siedler aus dem Norden auch auf ukrainisch und in kyrillischer Schrift angeschrieben ist. Eine russisch-orthodoxe Kirche mit vergoldeten Kuppeln zeugt inmitten von ärmlichen Häusern vom Selbstbewusstsein der Zu­ wanderer. Acht «seiner» neun Dörfer werden von mehr oder weniger offenen Konflikten beherrscht: Die eine ethnische Gruppe dominiert die andere, oft aufgrund zufälliger Wahlresultate. In einem Dorf zum Beispiel gewann ein Wirt die Wahl zum Bür­ germeister mit knappem Vorsprung, nachdem er Freibier ausgeschenkt hatte. In der Folge floss das Geld der Gemeinde in die Renovation der Kirche seiner Glaubensgemeinschaft, die anderen gingen leer aus. Nur gerade an einem Ort in seinem Bezirk hat sich eine Dorfgemeinschaft entwickelt. Dort wird bezeichnenderweise viel gefeiert. Er erzählt mir von der westlich finanzierten Gross­ landwirtschaft, die die einfachen Bauern in die reine Selbstversorgung abdrängt, weil ihnen das Geld auch für einfachste Mechanisierung fehlt, um einigermas­ sen mithalten zu können. Wenn die Grossgrundbe­ triebe wenigstens so viele Leute beschäftigen würden wie früher die Kolchosen! Und wenn wir schon ein Klagelied singen, dann auch die nächste Strophe: Timisoara mit 330 000 Einwohnern der Hauptort des Banat wird von westlichen Einkaufstempeln förmlich umzingelt, darunter die grösste Shopping-Mall des Kontinents. Dank der EU wird hier kräftig Geld in den Westen abgesogen, das sich die Rumänen in Billiglohn-Fabriken sauer verdient haben. Aber noch immer ist in den Städten Timisoara und Arad die barocke Fülle des Habsburgerreichs zu bewundern. Die Atmosphäre ist trotz des Völkerge­ mischs aus Rumänen, Ungaren, Serben und ein paar Rest-Deutschen locker und weckt eindeutig Lust auf weitere solche Transportaufträge. Ab vier Spitalbetten stelle ich mich gerne zur Verfügung. Kontakt: Dr. Nellu Babut, Centrul de medicina integrala, strada principala 146, RO-307 270 Masloc, Tel. +40 256 231 201, dr_babut@yahoo.de


Horizonte erweitern Von Sagita Lehner

Erleichterung unterm Sonnenbaum Die rund zwanzig Prozent Hochsensiblen haben ein Problem: Sie nehmen zu viel auf, um alles verarbeiten zu können. Eine Flut von Geräuschen, fremden Gedanken und Energien unbekannter Herkunft macht ihnen das Leben zur Qual. Christina Wiesner oder Frau Sonnenbaum, wie sie sich als Erzählerin nennt, kennt diese Nöte – und kann vielleicht gerade deshalb helfen.

«Erweiterte Wahrnehmung ist eine ganz natürliche evolutio­ näre Entwicklung»: Christina Wiesner führt Gesprächsgruppen für Hochsensible. (Bild: Sagita Lehner)

«Jetzt gehen wir in die Kathedrale», sagt Christina Wies­ ner, während sie ihre umgebaute Glasziegel-Scheune im Baselbieter Ramlinsburg aufschliesst. «Das ist der ideale Raum für Gesprächsrunden mit Sensitiven», sagt sie und deutet auf die Wände – schall­isoliert. «Leute wie ich haben oft Mühe mit Lärm, aber auch mit Ge­ rüchen und anderen starken Sinneswahrnehmungen.» Nicht zuletzt aus diesem Grund bietet Christina auch Telefonseminare an. So können selbst extrem Sensible an den Gruppen­ gesprächen teilnehmen. «Oft verhindert schon ein Parfum, dass sich ein sensitiver Mensch auf ein Gespräch konzentrieren kann.» Dass ein Telefon­ teilnehmer nur die Hälf­ te mitbekomme, sei nicht zu befürchten. «Sensitive haben die Gabe, Schwin­ gungen über die Stimme aufzunehmen oder gar durch Ausdehnung ihres Energiefeldes anwesend zu sein.» Viele Sensitive haben gleichzeitig eine medi­ ale Begabung. Sie entdecken ihre Medialität erst im Laufe des Lebens, meist aber in der Pubertät oder in Todesnähe. Das kann bedeuten, dass der Betreffende beginnt, Verstorbene wahrzunehmen, Visionen hat oder Stimmen hört. Kinder, die schon medial zur Welt kommen, wissen oft lange nicht, dass sie anders sind, denn ihre Welt ist für sie ge­ nauso real wie unsere. Gemeinsam ist ihnen die fehlende Erdung. «Ich bin weder erleuchtet, noch bin ich ein Heilsbringer», sagt Christina. «Erweiterte

Wahrnehmung ist eine ganz natürliche evolutionäre Entwicklung.» Um sich zu erden, steigt Christina oft mehrmals täglich aufs Trampolin, hackt Holz für den Ofen oder kocht etwas Herzhaftes zu Mittag. Die vorgefasste Meinung, welche die Leute über Sensitive haben, stört sie: «Immer heisst es, man dürfe kein Fleisch essen, keinen Kaffee trinken und keinen guten Sex haben – so ein Blödsinn», ruft sie lachend über so viel Un­ verstand. Sie möchte sensitive Menschen vernetzen und ihnen eine Plattform bieten, «wo sie nicht mehr rausfiltern müssen». Sie selbst rede gern und viel, und sie brauche Austausch. So jemanden wie sich hätte Christina gut gebrauchen können, als sie vor sechs Jahren, während eines Burnouts ihren Beruf als Schauspielerin aufgeben musste und sich tagtäglich mehr mit ihrer Sensitivität konfrontiert sah. Da der Wunsch, normal zu sein, oft überwiegt, werden übersinnliche Fähigkeiten von den Betrof­ fenen einfach verdrängt. Die Konsequenz ist nicht selten eine spirituelle Krise, gefolgt von Depressionen. Wenn dann die verdrängte Lebensaufgabe mit unge­ ahnter Vehemenz plötzlich hervorbricht, bräuchten die Betroffenen Begleitung. «Jemanden, den man einfach mal anrufen kann», denn weniger Sensible brächten selten das nötige Verständnis auf: «Aha, du hörst Stim­ men», heisse es dann. «Dieser Ton...», sagt Christina – und man spürt noch heute die Verletzungen von damals. Genau in dieser schwierigen Übergangsphase möchte sie andere Betroffene begleiten und ihnen zeigen, wie man die neu gewonnenen Fähigkeiten in den Alltag integrieren kann. Nach dem Kontakt mit Christina kehrten viele mit dem guten Gefühl zurück, doch nicht alleine zu sein oder mit der heilsamen Erkenntnis: «So schlimm wie du, han ich s nit». Kontakt für Seminare: Christina Wiesner Sonnenbaum Weitere Infos unter www.sonnenbaum.ch

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Horizonte erweitern von Urs Heinz Aerni

Buch mobil Wie Urs Heinz Aerni als Störbuchhändler unterwegs ist, verborgene Schätze der Literatur Lesewilligen schmackhaft zu machen. Und warum dafür der richtige Zeitpunkt war: Auf Stör mit dem Buchhändler, der noch viel mehr ist als das.

D

ie Idee entstand spontan. Alles sprach von Leseunlust, Umsatzrückgang im Buchhandel, Sprachverdrossenheit und von allgemeiner Krise des Lesens und Schreibens. Auch meine Buchhandlung litt unter der Dominanz der Grossbuchhandlungen, der Bestsellerei und Sparmassnahmen der öffent­

Reisender in Sache Buch und Lesefreude: Urs Heinz Aerni, Störbuchhändler. (Bild: Art-TV)

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lichen Bibliotheken. Beim Abendessen mit einer Kol­ legin kamen wir darauf, dass Bücher «mobil» sind. Mit anderen Worten: Warum sollen Bücher in den Regalen lagernd auf lesende Menschen warten? So wie damals Schreiner, Näherinnen und Schlachter auf den Hof kamen, um ihr Werk zu verrichten, könnte doch der Buchhändler mit ausgewähltem Lesestoff

ebenso Heim und Hof heimsuchen. Kaum angedacht, begann das Handeln und seitdem tingle ich als Stör­ buchhändler unter dem Namen «Aernis Büchershow» durch die Landschaft. Das Angebot schlug wie eine Bombe ein. Kaum erfolgten die ersten Einladungen von Bibliotheken für öffentliche Anlässe oder für Geburtstagsfeste und Hochzeiten, interessierten sich auch die Medien für dieses Konzept. Unzählige von «Aernis Vorstellungen» in Villen, Studenten-WGs und auf Bühnen von Kellertheatern verdeutlichen, dass die Zeit dafür reif war: Es ist viel Neugier und Lust an neuer Lektüre vorhanden. Immer wieder ist zu hören, die vorgestellten Bücher seien noch gänzlich unbekannt und man würde am liebsten alle kaufen. Bei vielen Leserinnen und Lesern haben sich durch Mainstreamangebote und den Bestseller­ zirkus gewisse Ermüdungserscheinungen eingestellt. Während sich die Medien zunehmend den Massenti­ teln oder bereits berühmten Namen widmen, kommt Jahr für Jahr eine Vielzahl von Büchern auf den Markt, die schlicht genial, wunderbar, witzig, originell und absolut lesenswert sind. Diese will ich den Lesenden näher bringen. Vielleicht muss überhaupt so manches in der Kultur und in der Welt des Buches neu erfun­ den werden. Der Konsum, die digitalen Angebote, die Rhythmen des Alltags erfuhren Veränderungen, so sollte auch die Vermittlung von Literatur modifiziert werden. Und besonders die Leseförderung. Hirnwindungen auf Sprache eichen Soll die Lesekompetenz der Kinder und Jugendlichen trainiert werden, gelingt das bei bestem Willen nicht


Buch mobil

Urs Heinz Aerni ist Zeitpunkt-Botschafter, freischaffender Journalist, Kulturveranstalter und Kommunikationsberater. Zusammen mit dem Schriftsteller Lukas Hartmann gründete er die Leseförderung 4xL in Bern und ist Mitherausgeber des Buches «Liebe 160» (Nagel & Kimche). Soeben ist von ihm eine Sammlung von Aufsätzen, Glossen, Interviews und Gedankenspielen erschienen: Bivio – Leipzig. Knapp-Verlag, 2010. 128 S. Geb. Fr. 23.80 / Euro 13.70. www.stoerbuchhandlung.ch www.aerni.page.ms

mit Schiller und Goethe als Einstieg. Wenn die Synap­ sen durch Lesen auf Vordermann gebracht werden sollen, dann durch Lektüre, die fasziniert. Sind dann die Hirnwindungen auf Sprache geeicht, kann die Herausforderung mit komplexeren Texten angenom­ men werden. Ein Umstand, der oft übersehen wird. Im allgemeinen Wandel gestalten sich viele Berufs­ gattungen neu. Das haben wir wohl der Eintönigkeit des reinen Gelderwerbes zu verdanken, der alle Lust und Spass an der Tätigkeit vertreibt, das Engagement verblassen lässt und schliesslich die Arbeit selbst an Qualität verliert. Da ich nebenbei auch noch frei­ schaffender Journalist, Kommunikationsberater und Kulturveranstalter bin, behalte ich frische Synapsen und Freude am Beruf. Wie die geneigten Leser feststellen, war die Idee des «Störbuchhändlers» erfolgreich, weil neue Wege und Konzepte erfrischen und damit die Begeisterung für unsere Sprachkultur neu entfacht werden kann.

Für die Umpolung der Werte

In seinem neuen Buch stellt Christian Felber, Mitbegründer von Attac Österreich und Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien, eine Systemalternative zu Kapitalismus und Planwirtschaft zur Diskussion. Kern des Modells ist eine «Umpolung» der Werte: Statt in Konkurrenz zueinander um den grösstmöglichen Finanzgewinn zu wetteifern, kooperieren die Marktteilnehmer miteinander im Bestreben, das Gemeinwohl zu erhöhen. Wer sozial verantwortlich, ökologisch, demokratisch und solidarisch handelt, erhält rechtliche Vorteile. Bei der Ausarbeitung der Gemeinwohl-Ökonomie und deren Herzstück, der «Gemeinwohl-Bilanz», haben zahlreiche Unternehmerinnen und Unternehmer mitgearbeitet. Rund 70 Unternehmen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich sind im Anhang des Buches als Erstunterzeichner aufgeführt – vom Einpersonen-Unternehmen bis zur mittelgrossen Genossenschaftsbank. Christian Felber: Die Gemeinwohl-Ökonomie – das Wirtschaftsmodell der Zukunft. Deuticke, 2010. 160 S. Fr. 23.90/Euro 15.90 www.gemeinwohl-oekonomie.org

Auf Einladung präsentiere ich wie im Kabarett entde­ ckungswürdige Bücher aller Art, von Kinderbüchern und Reisebildbänden über Sachbücher und Krimis bis zur schönen Literatur. Obwohl der Auftritt des Stör­ buchhändlers in guter Stube eine gewisse Ähnlichkeit mit Tupperware-Partys hat, kommt bei den Gästen nie das Gefühl auf, Bücher kaufen zu müssen. Es ist eine Art Leseshow und das Honorar wird bereits im Vorfeld mit dem Veranstalter ausgehandelt. Die Formulierung «auf der Stör» sei gemäss Wör­ terbüchern allerdings nur im alemannischen Sprach­ raum bekannt, also in Süddeutschland und in der Deutschschweiz. Weiter weg in Österreichs Osten oder Deutschlands Norden erkläre ich, dass das Wort «Störbuchhändler» auf dem Fisch namens Stör basiere, so dass ich quasi den literarischen Kaviar serviere. Wenn Sie mehr wissen möchten über den Störbuch­ händler mit seinem Bücherkoffer, dann melden Sie sich. Also dann; man liest sich.

Die Bude zerschlagen Im Morgengrauen des 11. Novem­ bers 2008 stürmten 150 französische Polizisten einen Bauernhof im Wei­ ler Tarnac. Sie waren unter anderem auf der Suche nach den Autoren des Buches «Der kommende Aufstand». Die Verhaf­ teten kamen allesamt frei und das Buch erhielt weltweite Beachtung dank der Repression durch den französischen Staat. Nun liegt das Buch in deutscher Übersetzung vor. Es ist eine eloquente Abrechnung mit der Verwertung der Welt und ein leidenschaftliches Plädoyer für die Kommu­ ne, den Aufstand, das Leben. «Unsichtbares Komitee»: Der kommende Aufstand, Nautilus, 2010, 128 S., Fr. 17.50 / Euro 9.90

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Horizonte erweitern von Maggie Haab

Sonne macht satt Kann ein Mensch ausschliesslich von Licht leben? Seit jeher ranken sich Mythen um extreme Fastenphänomene. Ein neuer Film von P.A Straubinger bringt Licht ins Dunkel esoterischer Abgehobenheit und wissenschaftlicher Ignoranz.

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Unter genauster Beobachtung, aber ein medizinisches Rätsel: Der indische Yogi Prahlad ‹Mataji› Jani lebt seit über 60 Jahren ohne flüssige und feste Nahrung. (Bild: zvg)

Der Film «Am Anfang war das Licht» spielt zur Zeit in den Schweizer Kinos. Weitere Infos: www.amanfangwardaslicht.at www.xenixfilm.ch

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eit Jahrhunderten ist bekannt, wie Men­ schen aus allen Teilen der Welt lange Zeit komplett ohne Nahrung überlebten. Und seit jeher sind sie Obrigkeit und Wissen­ schaft ein Dorn im Auge, da sie das vor­ herrschende Weltbild auf den Kopf stellen. Heilfasten wird von Ernährungswissenschaftlern als Entschla­ ckungsmethode anerkannt. Aber Lichtnahrung geht weit darüber hinaus. Sie basiert auf der Überzeugung, der Mensch könne sich die nötige Lebensenergie auch ohne Essen und Trinken zuführen. Der durchaus kri­ tische Film «Am Anfang war das Licht» stellt etliche, gut dokumentierte Fälle solcher Hungerkünstler vor und konfrontiert damit die Schulmedizin. Diese lehnt die Möglichkeit der Lichtnahrung vehement ab. Auch hier geht es um die grundlegende Frage: ‹Kann der Geist die Materie beeinflussen?› Der Physiknobelpreisträger Brian Josephson, der im Film neben vielen anderen Fachleuten interviewt wird, gibt zu bedenken: «Die Physik befindet sich in einer Sackgasse, solange sie die geistigen Effekte ignoriert». Die schillerndste und gleichzeitig umstrittenste Person rund um das Thema Lichtnahrung ist die Buchautorin ‹Jasmuheen›. Viele Neugierige haben ihren 21-Tage-Lichtnahrungsprozess ausprobiert. Et­ liche haben abgebrochen, einige essen bis heute nichts mehr und ein paar wenige sind dabei sogar umgekommen. Offensichtlich gelingt die Lichtnah­ rung nicht jedem auf Anhieb. Wie wir wissen, löst unser Organismus bei der Verdauung Energie aus dem Essen. Nahrung ist also ein Energieträger. Die unverwertbaren Trägerstoffe werden wieder durch Stuhl und Urin ausgeschieden, als Masse etwa gleich viel wie zuvor eingenommen wurde. Wagt man das Gedankenexperiment, dem Körper den ganzen Um­ wandlungsakt zu sparen und sich die Lebensenergie direkt einzuverleiben, wird Lichtnahrung theoretisch möglich. Die Erkenntnis, dass es ohne Essen auch geht, hatten bereits viele:

Zum Film inspiriert wurde Straubinger vom Schweizer Nationalheiligen Niklaus von Flüe, der 1469 wegen seiner Nahrungslosigkeit einen Monat lang von Wachen begleitet wurde. Doch fand man nichts, was auf ‹religiöse Heuchelei› schliessen liess. In China durchdringt das ‹Chi› (Lebensenergie) die ganze Gesellschaft. Lichtfasten ist dort unter dem Namen ‹Bi Gu› bekannt. Es bedeutet ‹ohne Nahrung› und kann durch lange Praxis in Zen-Meditation oder ‹Chi Gong› erreicht werden. Die Kulturen des Ostens stehen der Lichtnahrung weitaus weniger ablehnend gegenüber als der Westen. Das eindrück­ lichste der vielen Beispiele aus dem Film stammt denn auch aus Indien, wo die Lebensenergie ‹Pra­ na› genannt wird: Der Yogi Prahlad ‹Mataji› Jani, der als Kind durch Göttinnen vom Essen befreit worden sein soll, wurde in den Jahren 2003 und 2010 isoliert, rund um die Uhr beobachtet und von einem 35-köpfigen Ärzteteam untersucht. Das Fa­ zit: normale Blutwerte, keine Nahrung, kein Urin gelassen. Der Studienleiter Dr. med. Sudhar Shah vom Sterling-Hospital in Gujarat ist von den Ergeb­ nissen überwältigt: «Es ist eine Bombe: Die ganze Wissenschaft muss neu geschrieben werden!» Der Schweizer Philosoph und Veden-Spezialist Armin Risi vermutet, bei ‹Mataji› könnte eine Drüse aktiviert sein, die bereits in altindischen Schriften erwähnt wird und ein nahrhaftes Sekret, eine Art Nektar, absondern könne. Tatsächlich ist das Hormon Oxi­ docin aus der Hypophyse oberhalb des Gaumens unter anderem für Stressminderung und positive Gefühle wie Liebe und Vertrauen verantwortlich. Das Phänomen Lichtnahrung ist mit den geltenden wissenschaftlichen Modelle nicht zu erklären. Laut dem Fastenarzt Dr. med. Ruediger Dahlke müssen grosse Durchbrüche immer warten, bis die Alten ausgestorben sind und eine neue Generation von Wissenschaftlern nachrückt. Die Frage ist nur, ob wir so lange warten wollen.


Horizonte erweitern

Agenda 13. – 14. November

Zuvielisation

wie viel weniger ist mehr? Kongress über Lebenskunst Congress Center Basel Ganzer Kongress Fr. 260.– / 2 Pers. Fr. 240.– Tageskarte Fr. 150.– Infos und Anmeldung: www.perspectiva.ch

24. November

Décroissance die Mutmacherin

Biel, étage / St. Gervais, Untergasse 21, 20.00 Uhr Eintritt: Fr. 15.– / ermässigt Fr. 10.– www.vision2035.ch www.decroissance-bern.ch

26. – 28. November

AURA 2010

Basler Bewusstseins-Tage 2010 im Congress Center Basel, Messe für BewusstSein, Gesundheit und Spiritualität Der Besuch der Veranstaltungen ist kostenlos. Tages-Eintritt zur Messe Fr. 20.-, Fr. 15.AHV/Stud. inkl. Programmheft. Öffnungszeiten jeweils ab 11 Uhr. Vorverkauf und weitere Infos unter www.aura-basel.ch

2. Dezember

Gemeingüter:

Jenseits von Markt und Staat. Jenseits des Wachstums Ringvorlesung an der FHNW, Klosterzelgstrasse 2 (Audimax), Windisch, 17.15 – 18.45, Eintritt frei www.fhnw.ch/ringvorlesung

4. Dezember

3. Kritischer Impftag Solothurn 9.00 – 12.00 Uhr und 13.30 – 17.00 Uhr Aula der Gewerbeschule, Kreuzackerstrasse 10, Solothurn Kosten: Fr. 120.– pro Person, Fr. 200.– für Paare www.artis-seminare.ch

Das Basler Ausbildungsinstitut per­ spectiva präsentiert seinen diesjährigen Kongress zum Thema «Zuvielisation – wie viel weniger ist mehr?» Innerhalb dieses 17. Kongresses von perspectiva werden sich namhafte Referentinnen und Referenten eingehend mit diesem brisanten und zeitgemässen Thema befassen.

Und wie jedes Jahr gilt auch für diesen Kongress: perspectiva möchte Anregungen und mutmachende Orientierungen für eine aktive und bewusste Lebensgestaltung geben. Dabei geht es weder um Ratschläge noch um Rezepte, sondern um nichts Geringeres als durch eigene Fragen die eigenen Antworten für das eigene Leben zu finden.

Hat Wachstum die Unterschiede zwi­ schen Arm und Reich schrumpfen lassen? Den Hunger auf der Welt eingedämmt? Nein! Deshalb fordert Ernst Schmitter, ZeitpunktAutor und Décroissance-Bern Mitbegründer, ein Ende der Diktatur der Wirtschaft. «Wenn wir den Ausweg aus unserer Zivilisationskrise finden wollen, müssen wir uns zuerst aus der Diktatur der Wirtschaft befreien. Der Weg zu einer gerechteren, menschlicheren, friedlicheren Gesellschaft ist der Weg aus

der Wirtschafts- und Wachstumsreligion in eine neue Freiheit des Denkens und des Handelns: weg von der Verschwendung, hin zur Genügsamkeit; weg vom Geschwindigkeitswahn, hin zu einer entschleunigten Lebensweise; weg vom Zwang zum Lifestyle, hin zu mehr Autonomie. Décroissance ist keine Ideologie, auch nicht ein wirtschaftliches oder ein politisches Programm. Es ist eine Einladung an alle, gemeinsam eine neue Gesellschaft zu erfinden und aufzubauen.»

Die AURA findet 2010 zum 13. Mal im Basler Congress Center statt. 40 Vorträge und Workshops werden abgehalten. Rund 100 Aussteller präsentieren Trendprodukte und geben Beratung für ein gesundes Leben.

Während drei Tagen treffen sich bewusste Menschen – anerkannte Heiler und Meister aus Indien, Kroatien, Deutschland und der Schweiz.

Der deutsche Biophysiker Dieter Broers zeigt anhand von Nasa-Auswertungen, wie sich die Sonnen-Aktivität bis 2012 verändern kann – dies hat Auswirkungen auf das Magnet-Feld der Erde und unsere Psyche.

Zu den Highlights der Bewusstseins-Tage 2010 in Basel zählt Braco, der mit seinem Blick den Menschen Heilungs-Energie überträgt. Guruji Sri Vast, ein erleuchteter Meister aus Indien, berührt in seinem Satsang die Besucher mit seiner Herzensenergie.

Gemeingüter sind allgegenwärtig und doch bleiben sie häufig unsichtbar. Ob Wasser oder Wald, Saatgut oder Software, Wissen oder Kultur – wir brauchen sie zum guten Leben. Neoliberalismus und der Glaube, dass jeder sein Leben selbst und vor allem mit Geld regeln kann, bedrohen sie. Doch seit einiger Zeit gewinnt die Idee der Gemeingüter wieder an Bedeutung – in der Wissenschaft, aber auch in sozialen Bewegungen vor allem des Globalen Südens.

Sprache, Gemeinschaft, Kultur und Natur sind aufs Engste miteinander verknüpft. Es gibt daher nicht hier die Allmende des Wissens und der Kultur und dort die Allmende an Wasser und Land. Wer das Wissen und die Kommunikation kontrolliert, kontrolliert die Art wie wir produzieren und damit unser Leben. Das zu verstehen, eröffnet sozialen Bewegungen neue bündnispolitische Horizonte. In anderen Worten: Wir brauchen eine große soziale Bewegung für alle Gemeingüter.

Impfen und nicht impfen sind ein viel diskutiertes Thema in den Medien. Oft sind die Informationen sehr einseitig und die Menschen verunsichert. Die bekannten Impfspezialisten Frau Anita Petek-Dimmer und Dr. med. Rolf Kron informieren über die Herstellung und Bestandteile von Impfstoffen und deren Nebenwirkungen. Wie gefährlich sind Krankheiten wie Masern, Mumps, Röteln und Co? Wie gross ist das Risiko einer Erkrankung an Tetanus und wie kann ich

mich davor schützen? FSME – Hat die Zahl der Zecken tatsächlich zugenommen? HPV – Die Gebärmutterhalskrebsimpfung; wie wirkt sie? Aktuelles wie Schweinegrippe­ impfung etc. Frau Anita Petek-Dimmer ist Mitbegründerin von AEGIS Schweiz (Aktives Eigenes Gesundes Immun-System) und Autorin der Bücher «Rund ums Impfen» sowie des Doppelbandes «Kritische Analyse der Impfproblematik». Herr Dr. med. Rolf Kron aus Deutschlnand studierte Medizin und ist klassischer Homöopath.

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Das Seidenhemd

E

s gibt Geschichten, die vor allem des­ halb schön sind, weil sie wahr sind. Erfinden kann man ja fast alles. Nicht erfunden ist allerdings das neue Handy, das ein reifer Mann seiner 76-jäh­ rigen Mutter schenkte. Als sie einige der neuen Funktionen nicht in der gebotenen Schnelligkeit begreifen wollte, meinte er resigniert: «Du bist wohl schon zu alt dafür.» Das sass und, ob zutreffend oder nicht, liess die Frau während einer schlaflosen Nacht über eine geeignete Lektion nachdenken, mit der sie ihrem Sohn zeigen konnte, dass es noch ganz andere Fertigkeiten gibt, als ein paar Tasten eines Geräts mit zweifel­ hafter Nützlichkeit in der richtigen Reihen­ folge zu drücken. «Ich schenke dir zum Geburtstag drei Me­ ter Seide und du kannst dir dann ein Hemd nähen», eröffnete sie ihm am nächsten Tag. Die Offensive war das Familienthema des Tages. Weil der Sohn die Lektion sofort be­ griff und sich interessierte, das Nähen eines Hemdes zu erlernen, konnte die Geschichte

die Schönheit entwickeln, die schliesslich dazu führte, dass sie hier erscheint und von Ihnen gelesen wird. Wenn schon Seide, dann aus bester Quelle: So reisten die beiden in den Iran an die Seidenstrasse, lernten eine uralte

Kultur – und sich selber – kennen, kehrten aber ohne den Stoff zurück. Den kauften sie schliesslich in Zürich und machten sich an die Arbeit. Drei Tage lang zeigte die ehemalige Werklehrerin ihrem Sohn, was es zu einem Hemd braucht: Mass nehmen, Muster zeichnen, zuschneiden, bügeln und schliesslich das Hemd nähen. Er begriff auch nicht alles im ersten Anlauf. Das zweite Hemd nähte ihm die Mutter dann in viel kürzerer Zeit. Glücklicherweise überschwemmt uns die Industrie mit so viel Nutzlosem und Unverständlichem, dass dem inneren Ruf nach Echtem und Handfestem nicht länger widerstanden werden kann. Die Geschichte hat noch eine Fortsetzung: Kurz darauf diskutierte die lebhafte Dame in ihrem fortgeschrittenen Deutschkurs für Ausländerinnen über Gott bzw. Allah und wo er sich denn befinde. Nachdenkliches Schweigen, und dann der plötzliche Ausruf einer jungen Muslimin: «Er ist hier!» Dem kann man doch nur beipflichten. AvR

Sloterdijk: Die Steuer muss frei sein

BAL – HONIG

Geben bereitet nur dann Freude, wenn es freiwillig geschieht. «Freiwillige Abgaben statt Zwangssteuern!» fordert der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk deshalb. Heute fehle es im Steuersystem an Demokratie und Gebergefühl, «weil den Menschen im Augenblick ihrer stärksten Anteilnahme am Gemeinwesen, nämlich beim Zahlen von Steuern, die vollkommene Fremdbestimmung widerfährt.» Unser Steuerwesen sei vor- und zugleich nachdemokratisch: «Wir gehen einerseits zurück, indem der Staat nimmt, ohne zu argumentieren, andererseits führen die wahnwitzigen Staatsschulden zur Enteignung der Ungeborenen.» Die Steuern seien im Grunde keine Schulden, sondern Gaben. Durch die Freiwilligkeit erwartet der Philosoph mehr gesellschaftlichen Wohlstand, nicht weniger. MH

Der Gewinner der diesjährigen Berli­ nale gehört zu jenen kostbaren Filmen, die den Kinobesuch zu einem stillen Ereignis machen. An der Hand des 7-jährigen Yusuf erleben wir in BAL – HONIG noch einmal den Zauber, der allem Anfang innewohnt. Der Junge lebt mit seinen Eltern in einer abgele­ genen Waldlandschaft in den Bergen der türkischen Schwarzmeerküste. In der Schule gibt er sich redlich Mühe, doch beim Vorlesen gerät er immer wieder ins Stottern. Lieber zieht er mit seinem Vater, einem Imker, durch den üppigen Wald, der für ihn ein ma­ gischer Ort voller Geheimnisse ist. Als die Bienen aus unerklärlichen Gründen aus der Gegend verschwinden, ist die Lebensgrundlage der Familie in Fra­ ge gestellt und der kleine Yusuf hat eine Reifeprüfung zu bestehen, die ihn nachhaltig prägen wird. Das Summen

Quelle: Wirtschaftsmagazin «Enorm»

der Bienen, das Gezwitscher der Vö­ gel, das Rauschen der Bäume: Semih Kaplanog˘lu verzichet in BAL – HONIG bewusst auf Musik und lässt uns die betörend schöne, aber von Zerstörung bedrohte Natur umso intensiver über die Sinne erfahren. Aus den Augen des Kindes gefilmt, nehmen Objekte und Menschen zuweilen übernatürliche Di­ men-sionen an, rücken den Film sanft ins Märchenhafte und vermitteln Ein­ drücke so tief, wie wir das aus unserer eigenen Kindheit kennen mögen. BAL – HONIG ist von einer Ursprünglichkeit geprägt, die aufs Wesentliche zurück­ führt und uns wieder sehen, hören und staunen lässt. Ein beglückend sinnliches Stück Kino zur Kindheit im Schoss der Natur. Regie: Semih Kaplanog˘lu Mit: Bora Atla¸s, Erdal Be¸sikçiog˘lu, Tülin Özen Verleih: trigon-film

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Horizonte erweitern von Ernst Schmitter

Frankoskop Macht, Gewissen und Widerstand in Frankreich

Wer in Frankreich eine erfolgreiche Wahlkampagne führen will, vergisst mit Vorteil sein Gewissen – wenn er oder sie denn eines hat – und besetzt nationale Symbole für seine eigenen Zwecke. Das weiss auch Nicolas Sarkozy. Am 4. Mai 2007, in der Endphase des Wahlkampfs, setzte ein Helikopter den Präsidentschaftskandidaten auf dem Hochplateau von Glières in Savoyen ab. Dort sind 1944 mehr als hundert Angehörige des französischen Widerstands im Kampf gegen die deutschen Besetzer gefallen. Sarkozy wurde von vierzig Journalisten begleitet. Aber keiner der noch lebenden Résistants war da­ bei, keiner war informiert worden. Sarkozy legte vor einer Grabstele Blumen nieder, blieb kurze Zeit vor einem Denkmal stehen und versprach, als Präsident jedes Jahr wieder zu kommen. Dann liess er sich in einem benachbarten Dorf mit Käse und einer Kuh­ glocke beschenken, sprach vom Balkon der Mairie aus über seine Wahlkampfthemen und verschwand Richtung Paris. Die Tagesschauen aller Fernsehstati­ onen brachten das «Ereignis» als ersten Beitrag. Seither kommt der Präsident Jahr für Jahr im Frühling nach Glières und versucht so, sein angeschlagenes Image aufzupolieren. Die noch lebenden Résistants und ihre Freunde erleben Sarkozys Auftritte als Provokation. So sind sie auch gemeint. Mit seiner Politik im Interesse der Reichen und der Fremdenhasser steht der Präsi­ dent ideologisch näher bei der Vichy-Diktatur als bei der Résistance. Er versucht deshalb mit allen Mitteln, die Politik der Résistance rückgängig zu machen, bedient sich aber gleichzeitig ihres guten Rufs für seine Zwecke. «Die Politik der Résistance?» Ja, die gibt es. Die Résistance war nicht einfach eine gut organisierte Partisanentruppe, die zusammen mit den Armeen der Alliierten die Deutschen aus Frankreich verjagte. Sie war auch eine politische Kraft, deren Programm Frankreich in den ersten Nachkriegsjah­ ren zu einem fortschrittlichen Sozialstaat machte. Eine staatliche Krankenversicherung, eine staatliche Altersvorsorge, ein Service public, der diesen Namen verdient, moderne Arbeitsgesetze, ein gesetzlicher Minimallohn, das Recht auf Bildung für alle – dies

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alles war im Programm von 1944 angelegt und wurde in den folgenden Jahrzehnten verwirklicht. Alle diese sozialen Errungenschaften werden seit den Achtzigerjahren, und seit Sarkozys Amtsantritt in beschleunigtem Tempo, wieder rückgängig gemacht und zerstört. Der Ökonom Denis Kessler hat Sarkozys Politik so beschrieben: «Wenn man es aus der Nähe be­ trachtet, stellt man in [Sarkozys] ehrgeizigem Programm eine tiefe Einheit fest. Die Liste der Reformen? Ganz einfach. Man nehme alles, was zwischen 1944 und 1952 aufgebaut wurde, ohne Ausnahme. Da ist die Liste. Wir müssen uns heute von 1945 lösen und systematisch das Programm [...] der Résistance abbauen.» Sarkozys Provokationen haben unerwartete Fol­ gen. Schon kurz nach seinem ersten Auftritt 2007 in Glières trafen sich dort 1500 Personen, einige ehemalige Résistants und viele Sympathisantinnen und Sympathisanten. Sie wollten mit ihrem Treffen Sarkozys Vereinnahmungsversuch etwas entgegen­ setzen. Die Inhalte des mehr als sechzigjährigen Programms der Résistance sind ihnen so wichtig, dass sie sich seither jährlich in Glières treffen, im­ mer kurz nach dem Besuch des Präsidenten. 2008 gründeten sie den Verein «Citoyens résistants d‘hier et d‘aujourd‘hui». Seither wächst der Widerstand ge­ gen Sarkozys Politik im ganzen Land. Bei uns wird dieser Widerstand vor allem in Form von Streiks und Demonstrationen wahrgenommen. Daneben gibt es aber in Frankreich viele Personen und Gruppen, die sich ihrem Gewissen zuliebe mit der Staatsmacht, manchmal sogar mit dem Präsidenten persönlich anlegen. Dazu einige Beispiele: Einige ehemalige Résistants, sehr alte, aber hellwache Männer, lehnten die Ehrendiplome ab, die ihnen für ihre Verdienste überreicht wer­ den sollten. Einer von ihnen hat Sarkozy persönlich geschrieben: «Sie wissen nicht, dass alles, was für die paar noch lebenden Kriegsveteranen zählt, der Frieden mit ihrem Gewissen ist. [...] Deshalb ist das Papierchen, das Sie verteilen lassen, für mich wert­ los. Ich will es nicht, weil es in der Hoffnung verteilt wird, dass damit eine Politik gestützt wird, die ich schädlich finde. […] Es ist die Politik des Starken gegen


Frankoskop

den Schwachen, der Banker gegen die Bürger. Es ist eine Politik des permanenten Argwohns. Sie gleicht immer mehr der Politik, die ich als Achtzehnjähriger in Uniform bekämpfte. Ich grüsse Sie so, wie Ihr Amt es mir zur Pflicht macht. René Heitz.» Jacques Bouveresse, Philosophieprofessor am Col­ lège de France im Ruhestand, sollte im vergangenen Sommer mit einem Abzeichen der Ehrenlegion ausge­ zeichnet werden. Er hatte sich nie darum beworben und hat die Auszeichnung umgehend abgelehnt. Der Internetzeitung Mediapart erklärte er, die Gelegen­ heiten, sich lächerlich zu machen, seien schon ohne Légion d‘honneur zahlreich genug. Er hätte diese «Ehre» auch von einer Linksregierung nicht angenom­ men; und von der Regierung, deren Politik Frankreich gegenwärtig erleiden müsse, akzeptiere er eine solche Auszeichnung erst recht nicht. Der Volksschullehrer Alain Refalo sollte 2008 die «Reformen» umsetzen, die das Erziehungsministerium allen Schulen verordnet hatte. Er setzt sich schon lan­ ge gegen das immer stärker wirkende Ranglisten- und Wettbewerbsdenken zur Wehr und fördert in seiner Klasse Zusammenarbeit und Solidarität. In einem Brief erklärte er seinem Inspektor, er werde die neuen Reformen nicht beachten. «Meinem Gewissen folgend, verweigere ich den Gehorsam.» Er muss mit harten Sanktionen rechnen. Aber er wird inzwischen von Tausenden von Kolleginnen und Kollegen unterstützt, den «Enseignants désobéisseurs».

Dominique Liot, ein Angestellter bei Electricité de France EDF, hat einer Familie, die ihre Stromrechnung nicht bezahlen konnte, die unterbrochene Stromzu­ fuhr wieder angestellt. Er wurde deshalb während 21 Tagen «freigestellt». Er gehört zur Gruppe «Robin Hood für Energie». Der Quartierarzt Didier Poupardin hat Medika­ mente für Krebs- und Aidskranke so verordnet, dass sie von der staatlichen Krankenversicherung zu 100 Prozent bezahlt werden mussten, was nicht erlaubt war. Er wollte damit gegen die Kasse protestieren, die immer weniger nach dem Grundsatz der Solidarität geführt wird, dafür immer mehr nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Sein «Fall» wurde am 7. September in einem voll besetzten Gerichtssaal behandelt. Im Augenblick, wo ich diesen Text schreibe, ist das Ge­ richtsurteil noch nicht bekannt. Es wird auf dem Inter­ net zu finden sein unter den Suchbegriffen «Docteur Didier Poupardin jugement». «Wir brauchen viele Undisziplinierte, um ein freies Volk zu bilden.» Dieser Satz von Georges Bernanos wirkt wie ein Motto für die gegenwärtige Situation in Frankreich. Wer die Zusammenhänge genauer kennen will, liest mit Gewinn das Buch «Les jours heureux», herausgegeben 2010 vom Verein Citoyens résistants d‘hier et d‘aujourd‘hui im Verlag La Découverte, Paris.

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Horizonte erweitern von Roland Rottenfußer

Wie «Gott» das Gehirn verändert Wer glaubt, befreit sich von Angst und Ärger. Zwei amerikanische Neurotheologen haben meditierende und religiöse Menschen über einen längeren Zeitraum untersucht und stellen fest: Spirituelle Praxis verändert die neuronalen Bahnen im Gehirn. «Existiert Gott?» Über diese Frage gehen die Meinungen weit auseinander. Aber unab­ hängig davon, ob es ihn gibt: Ist es für Geist und Seele wohltuend oder eher schädlich, an Gott zu glauben? Antireligiöse Bestseller­ autoren wie Richard Dawkins haben immer nur die schädlichen Aspekte von Spiritualität wie Fanatismus und Angstmache betont. Der Glaube an eine Religion wurde als gefährlich für die psychische Gesundheit und den Zu­ sammenhalt der Gesellschaft dargestellt. Aber stimmt das wirklich? Im 20. Jahrhun­ dert wurden Millionen von Menschen im Na­ men atheistischer und antireligiöser Regimes getötet. Auf der anderen Seite gibt es schöne Beispiele von spirituellen Persönlichkeiten, die äusserste Friedfertigkeit und Integrität bewiesen haben, z.B. Gandhi, Martin Luther King, Mutter Theresa oder der Dalai Lama. Das Problem, sagen die beiden amerikanischen Neurotheologen Andrew Newberg und Mark Robert Waldman, Autoren des Buches «Der Fingerabdruck Gottes» (Originaltitel «How God Changes your Brain»), ist nicht die Re­ ligion selbst, sondern Autoritätsgläubigkeit, gepaart mit dem Bedürfnis, anderen seine eigenen Überzeugungen aufzuzwingen. Um in einer pluralistischen globalen Gesellschaft zu überleben, müssen jedoch nicht nur die Konflikte zwischen verschiedenen Glaubens­ bekenntnissen, sondern auch die zwischen wissenschaftlichem Rationalismus und Got­ teserfahrung überwunden werden.

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Neue Synapsen machen empfänglicher Aber sind Gedankengebäude, die auf der unbewiesenen Gotteshypothese gründen, nicht auf Sand gebaut? Newberg und Wald­ mann vom Center for Spirituality and the Mind an der Universität Pennsylvania haben über lange Zeiträume neurologische Tests an Meditierenden und an Menschen durchge­ führt, die angaben, sich im Zustand religi­ öser Inspiration zu befinden. Die Ergebnisse sind eindeutig: Wenn man lange genug über Gott kontempliert, werden bestimmte neu­ ronale Bahnen im Gehirn aktiviert, andere werden deaktiviert. Neue Synapsen bilden sich, und das Gehirn wird insgesamt emp­ fänglicher für Erfahrungen der feineren Art. Glaubensvorstellungen verändern sich, der Mensch beginnt sich von Ärger und Ängsten zu befreien und ist eher in der Lage, Mitge­ fühl mit anderen zu empfinden. Wenn diese Tests Gott als äussere Realität auch nicht beweisen (wollen), so geben sie doch Aufschluss über eine innere Realität im Geist vieler Menschen. «Was macht Gott aus deinem Gehirn?» «Wie fühlt sich Gott an?» oder «Hat Gott ein Herz?» – Solche auf den ersten Blick ungewöhnlichen Fragen wer­ den von den Autoren auf schlüssige Weise beantwortet. Grossartig sind vor allem die praktischen spirituellen Übungen, die die Autoren aus Schulen des Ostens wie des Wes­ tens zusammengetragen und mit Ergebnis­ sen der Neurologie abgeglichen haben. Von «bewusstem Atmen» über das «zentrierende Gebet» bis hin zu «Anderen Vergebung und Freundlichkeit schicken» reicht die Liste der Übungen, die von den Autoren sehr präzise,

Schritt für Schritt, beschrieben werden. Es folgen (da spirituelles Üben ohne Kontakt zu anderen Menschen unfruchtbar ist) Anlei­ tungen für konstruktive Gesprächsführung. Man muss gar nicht glauben Es erscheint paradox, ist aber wissenschaft­ lich erwiesen, dass sogar Atheisten von Me­ ditation profitieren können. Niemand muss den Autoren «blind» vertrauen, es genügt, die beschriebenen Übungen probeweise für einige Zeit durchzuführen. Statt auf Glau­ bensdogmen zu bauen, verfahren die Auto­ ren also eher nach dem Motto «Wer heilt, hat Recht.» So enthält «How God changes your Brain» eigentlich drei Bücher in einem: Es ist ein tief spirituelles Buch, das uns Gott näher bringt, ohne den Verstand zu beleidigen. Es ist ein verständlich geschriebenes wissen­ schaftliches Werk über die Funktionsweise des Gehirns. Und es is ein Ratgeber für ein glückliches, ausgeglichenes Leben, ganz auf die tägliche Praxis abgestimmt. Newbergs und Waldmans Werk steht in der Tradition anderer grosser Versöhner zwischen Geist und Materie wie Peter Russel und Fritjof Capra. Es weist voraus in eine neue Zeit, in der Grabenkämpfe zwischen Ratio, Herz und Glauben endlich der Vergangenheit angehören dürften. Andrew Newberg und Mark Robert Waldman: Der Fingerabdruck Gottes – wie religiöse und spirituelle Erfahrungen unser Gehirn verändern. Kailash, 2010. 448 S. Geb. Fr. 33.90 / Euro 19.95


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Leserbriefe

Leserbriefe@zeitpunkt.ch Die Details der Einfachheit Die grosse Befreiung, Heft 109 An einem Samstag, auf der Suche nach ein paar Stunden Ruhe und Musse, finde ich mich bei einer Freundin wieder und lese die Ausgabe über das pralle Leben. Was könnte mir besseres passieren? Mich hat die klare, ehrliche Art berührt, wie das Heft gestaltet ist und der Ton in den Artikeln ist erholsam anders. Da wird nicht zerrissen und zynisch kommentiert, da wird einfach erzählt und geteilt. In unserem prallen Leben Wertschät­ zung haben für alles, was da ist und was gut (vielleicht auch schwierig) ist und die Musse haben für die Details der Einfachheit im Hier und Jetzt – was will man mehr? Kristin Glenewinkel, Basel Eine ‹Print-Kostbarkeit› Reise ins Leben und zurück, Heft 108 Wow – mal eine Zeitschrift, die ich gerne lese. Deren Artikel mir aus dem Herzen und aus dem Geist sprechen oder mir neue Denkanstösse geben. In der grossen Fülle der gähnenden Langeweile und geistigen Umweltverschmutzung ist Zeitpunkt eine in­ telligente und unaufdringliche Print-Kostbar­ keit. Roland Rottenfussers ‹Reise ins Leben und zurück› und die Quintessenz hat mir am meisten gefallen: «… sogar Lebendigkeit kann steril werden. Sie wird zum ewigen Kreisen um die eigene Befindlichkeit». Mir sträuben sich die Nackenhaare, wenn ein Mitmensch ansetzt, seine Befindlichkeit des Langen und Breiten vor mir auszubreiten. Rose Marie Gasser Rist, Altnau Oberflächlicher Abklatsch Anastasia-Ökodörfer, Heft 108 Der Bericht über die Anastasia-Ökodörfer in der letzten Ausgabe hat mich richtig geärgert – obschon mich die Bücher von Wladimir Megre sehr berührt haben. In vielen Aus­ sagen Anastasias stecken meiner Meinung nach tiefe Wahrheiten, andere scheinen sehr gewagt, aber ich denke, dass ihre Thesen es verdienen, genauer untersucht zu werden. Der Bericht von Leila Dregger ist nichts als ein oberflächlicher Abklatsch. Es wird weder erwähnt, warum die Bewohner enthaltsam

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leben, noch wird erklärt, was es genau mit den Familienlandsitzen auf sich hat. Und ich verstehe nicht, was genau die Aussagen von zwei Ökodorf-Bewohnerinnen im Zusam­ menhang mit Sexualität beweisen sollen, so dass die Verfasserin von «erstaunlich offenen Reaktionen» sprechen kann. Vielleicht ist die Verfasserin (als jemand, der öffentlich für die so genannte ‹freie Liebe› eintritt) nicht die richtige Person, um gerade über dieses Thema zu schreiben, denn sie scheint mir diesbezüglich sehr voreingenommen zu sein und sich selbst für allwissend zu halten. Priska Bucheli, Mönthal

Gesellschaft ohne Einschränkungen oder eine Gesellschaft der Freiheit. Gerade sol­ che Ansichten haben jedoch in den letzten Jahrzehnten die ahnungslosen ‹Unverant­ wortlichen› und die zynischen Strategen des Nihilismus verbreitet: Man müsse in der Gesellschaft nur alles abschaffen, was den Einzelnen stört, um zu einer Harmonie und zur Freiheit eines jeden zurückzukehren. Nun fällt aber eine Gesellschaft ohne Sitten nicht in den Garten Eden, sondern in den Urzustand zurück, in dem beim Aufeinan­ dertreffen der Bedürfnisse das Recht des Stärkeren gilt.» Irène Abbondio, Clarens

Volltreffer Ihre Zeitschrift lese ich mit grosser Begeiste­ rung – ein Volltreffer in der heutigen Zeit. Claudia Villinger, Heidelberg

Zen, Geld und Silvio Gesell Im Zeitpunkt lese ich immer zuerst den Arti­ kel von Geni Hackmann; er hat Biss. Zudem interessiert mich das Thema Geld und wie es damit weitergehen wird. Meine Gedanken dazu: Ich mache seit einigen Jahren ZenMeditation. Dazu gehört die Übung, alles zu akzeptieren, was in mir und um mich herum existiert, also auch die gegenwärtige Finanzlage und die Ängste, die sie in mir aus­ löst. Ich sage mir dann jeweils: Alles ändert sich; heute scheint die Sonne, morgen regnet es, heute haben wir eine überdimensionale Geld-(Luft-)Blase, morgen platzt sie. Am be­ sten verschwende ich keine Hoffnungen ans Geld, sondern besinne mich auf direktere, vitalere Werte wie: Nachbarschaftskontakte, Gärtnern und Schönes schaffen. Weiter regte mich die Idee des Inders Vinoba Bhave an: Mit Geld wirklich etwas Gutes bewegen kön­ nen nur reiche Leute, die sich ihrer ‹Schuld› bewusst sind (wer reich ist, profitierte bereits vom unfairen Finanzsystem) und die sich der fatalen Folgen dieses System bewusst wer­ den und wie man Abhilfe schaffen könnte (siehe Silvio Gesell). Man müsste die Reichen zu mehr Mitgefühl und zur Einsicht brin­ gen, das Geld, welches sie nicht zum Leben brauchen – und das kann unter Umständen sehr viel sein – für die Durchsetzung neuer Wirtschaftsmodelle einsetzen, die sich nicht gegen die Mehrheit der Menschen richten. Vielleicht hat ja jemand mehr Mut als ich. Peter Dries, Simorre (F)

(Rück-) Versicherung Was Sie leisten, wirkt stark auf die Gesell­ schaft zurück und vermittelt erstmals ein kritisches, doch realistisches Bild. Damit geben Sie reifen Menschen die Möglichkeit, die Freiheit und den Wohlstand langfristig zu sichern. Benjamin Ulrich, Basel Zeitpunkt:   › wunderbar, einfach klar   › vielfältig, nicht einfäl…   › lehrreich, einfach gut. Verena Gubser, Schöftland Unfrei: eine Gesellschaft ohne Sitten Die grosse Befreiung, Heft 109 Bravo für die Nummer über die grosse Befreiung. Über das Paradox mit der Frei­ heit als Beschränkung hat schon 1982 die Philosophin Jeanne Hersch in ihrem Werk ‹Antithesen zu den Jugendunruhen 1980› geschrieben. So nachzulesen in der JuliNummer der Wochenzeitung Zeit-Fragen. Ihre Schlussfolgerungen sind auch heute noch sehr aktuell. Aber unsere Generati­ on der Erwachsenen will doch eine solche Wahrheit gar hören, dass die Freiheit nur in der persönlichen Beschränkung zugunsten des Gesamtwohls besteht. Ich zitiere Hersch: «Eine Gesellschaft ohne Sitten ist nicht eine


Leserbriefe

Die Gesetze der Freiheit Die grosse Befreiung, Heft 109 Bei all den vielen Unfreiheiten, die uns von den Mächtigen der Welt aufgezwungen wer­ den, darf man nicht vergessen, dass dies nur möglich ist, weil sich die Mehrzahl unserer Gesellschaft nie ernsthaft über die wirk­ lichen Verhältnisse Gedanken macht. So wird auch an den Schulen nur das gelehrt, was den Herrschenden dient. Deshalb haben auch meine Enkel, wie ich zum Beispiel, keine Ahnung wie das mit dem Geldver­ mehren funktioniert und glauben wie der grösste Teil unserer Gesellschaft, dass dies alles von den Verantwortlichen mit bestem Wissen und Gewissen geregelt wird. Die Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit, oder Geistesträgheit der Wirklichkeit gegenüber, ist die Ursache der heutigen Verhältnisse. Viele Unfreiheiten zwingt sich der Mensch aber selber auf, indem er sich Verpflich­ tungen aufbürdet, die ihm die Zeit rauben, über wesentliche Dinge des Lebens nach­ zudenken. Wenn die äusseren Freiheiten unserer Grossväter beinahe diktatorisch eingeschränkt wurden, so ist es heutzutage doch wesentlich anders. Als Jungrentner, im Rückblick auf die vergangenen 65 Jahre glau­ be ich sagen zu dürfen, dass die Nachkriegs­

generation eine Zeit erleben durfte, die den Weg zur äusseren wie zur inneren Freiheit in einem noch nie da gewesenen Masse zu gehen erlaubte. Die technische Entwicklung der vergangenen 50 Jahre schaffte wirtschaft­ liche Voraussetzungen, die es selbst einem einfachen «Arbeiterkind» erlaubten, Karriere zu machen und sich so Freiräume für per­ sönliche Interessen zu schaffen. Durch die 68er-Bewegung wurden Dogmen aller Art, religiöse, gesellschaftliche und auch wis­ senschaftliche so stark erschüttert, dass der Weg zur «inneren Freiheit» jedem geöffnet wurde. Immer mehr «Querdenker» konnten ihre Meinung äussern und das Bewusstsein des Einzelnen mit Ideen befruchten. Jeder konnte sich eine persönliche Meinung bilden und auch aussprechen. Eine wunderbare Zeit für wache Geister, die sie zu nutzen wussten. Der Aufschwung verführte leider manche dazu, sich ausschliesslich in Richtung ma­ teriellen Reichtums zu orientieren. Andere wieder hatten Mühe, den Weg in ein ausge­ wogenes «Haben und Sein» zu finden und liessen sich von «Drogen aller Art» verführen. Die «äussere Freiheit», die Möglichkeit den ei­ genen Weg zu bestimmen, war jedoch jedem einzelnen optimal gegeben. Die «innere Frei­ heit» ist abhängig von einer überzeugenden

Antwort auf die Frage: Was ist der Sinn des Lebens? Der innere Drang nach dauerhaften Glück, dem eigentlich jeder hinterher rennt, ist vermutlich die treibende Kraft, die keine Ruhe lässt bis eine überzeugende Antwort gefunden wird. Im Wechselbad von Erfolg und Misserfolg erkennt man die Regeln, welche befolgt werden müssen, wenn man weiter kommen will. Die erste ist ein ‹Muss› und heisst; «Bewegung», nicht nur körper­ lich sondern vor allem geistig. Denn wer oberflächlich und gleichgültig durchs Leben taumelt, wird selten etwas finden, was das Leben wirklich attraktiv macht. Die zweite Regel ist analog des physika­ lischen Gesetzes: Aktion gleich Reaktion. Ein griesgrämiger unfreundlicher Typ wird seine Umwelt auch immer als griesgrämig und unfreundlich erleben und deshalb auch wenig Lebensfreude finden. Er wird von freundlichen Leuten auch eher gemieden. In der Natur kann man die Attribute Weisheit, Allmacht und Gerechtigkeit finden. Ich glau­ be, im Suchen, Erkennen und Befolgen aller Natur- oder Schöpfungsgesetze können wir den Frieden und die innere Freiheit finden, wenn wir uns genügend darum bemühen. Marcel Obrist, Turgi

Verlagsmitteilung Liebe Leserinnen und Leser «Befreiung kann man nicht verschenken, aber die Anregungen dazu.» Unter diesem Titel haben wir Sie in der letzten Nummer um Adressen von möglichen Interessenten gebeten, um ihnen den aktuellen Zeitpunkt als Probenummern zu schicken. Wir wurden mit Meldungen regelrecht überschwemmt – mehr als 2 000 –, sodass wir den grössten Teil erst mit diesem Heft über das Gewissen bedienen konnten. Ich bitte um Verständnis und danke Ihnen herzlich für die Unterstützung.

Wir sind, was die Zahl der Abonnenten betrifft, auf tiefem Niveau glücklich, sehen aber noch viel Potenzial. Auch inhaltlich sehen wir grosse Möglichkeiten, die vielen mutigen Menschen und vielversprechenden Projekte aus dem weiteren Umfeld dieses Magazins zu unterstützen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Gründung des Vereins «Neustart Schweiz» (siehe S. 38), der ohne den Zeitpunkt nicht entstanden wäre. Die Leserschaft ist vielleicht klein, aber sie kann etwas bewirken. Fortsetzung folgt. Christoph Pfluger

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Der punkt t i e Z e t ich äc h s

s rbinden chen ve omen, Zellen il e t r a t Elemen g ungen zu At ber ander ü hwin über Sc nizieren mitein r Menschen h u nt e kommu en die en. Auc g n u her rsch hör g n e in t w e h n c la S rP sikge a r u nt e Mit Mu g . o s ie n d o n u m tehen. der Har en besser vers ngen b G e se t ze e en hä h d as L u sa m m Z n nt e r e lässt sic r a pu n k t u nderb it u e w Z n n e e Dies n äc h s t L eben wir im – alles ik s u wollen M « el gehen, dem Tit g » n ac h n u g in ode r ist Schw uar am K iosk n a . J n anfangs em Brief kaste r h I in

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Brennende Bärte Die letzte Instanz von Geni Hackmann

Erpressung?

W Motto: Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahr­heit durch ein Gedränge zu tra­gen, ohne jemandem den Bart zu versengen. Lichtenberg

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enn sich irgendwo Zentralbanker treffen, muss man doppelt aufpas­ sen: Zum Einen, um den kleinen Bericht nicht zu übersehen, der, wenn überhaupt, irgendwo in der Zeitung versteckt erscheint. Und dann muss man acht geben, dass man den Text auch richtig versteht. Das war beim letzten Jahrestreffen der US-Zentral­ banker von Ende August im Ferienort Jackson Hole im amerikanischen Bundesstaat Wyoming genauso. Offiziell hiess es, die Angst vor Deflation habe das Treffen belastet, aber vermutlich war das Gegenteil der Fall. Man hat der grossen Inflation das Terrain geebnet. Wenn ein Insider etwas Wichtiges zu sagen hat, drückt er sich mit Vorliebe in kryptischen, lang­ weiligen Sätzen aus. An diese Regel hat sich auch Ben Bernanke in seiner Rede über die Politik seiner Zentralbank, des Federal Reserve Systems, gehalten. Wenn Sie sich dieses Referat antun wollen, was durch­ aus zu empfehlen ist, dann finden Sie den Wortlaut unter diesem Link: http://www.federalreserve.gov/ newsevents/speech/bernanke20100827a.htm In sogfältig gedrechselten Sätzen bereitet er die Finanzwelt auf die kommende Inflation vor. Ein Bei­ spiel: «Eine andere Sorge in Verbindung mit zusätz­ lichen Käufen von Wertpapieren [durch das Fed] ist, dass eine substantielle weitere Expansion der Bilanz das Vertrauen des Publikums in die Fähigkeit des Fed einschränken könnte, einen sanften Ausstieg aus sei­ ner Geldversorgungspolitik zum geeigneten Zeitpunkt zu bewerkstelligen. Auch wenn sie unberechtigt ist, könnte eine solche Einschränkung des Vertrauens zu einem unerwünschten Anstieg der Inflationser­ wartung führen.» Im Klartext: Er kündigt massives Gelddrucken an, prognostiziert abrupte Kehrtwen­ dungen beim Ausstieg aus dieser inflationären Politik und versteht, dass die Finanzmärkte die kommende Inflation schon jetzt vorwegnehmen. Die gesamte Rede von Bernanke fasst das «Laboratoire Européen d’Anticipation Politique» (LEAP), eine meiner bevor­ zugten Quellen, wie folgt zusammen: «Wir [d.h. das Fed] werden alles Denkbare versuchen, mag es noch so unsinnig erscheinen, um einen Zusammenbruch der Wirtschaft und der Finanzmärkte zu vermeiden. Und ihr werdet uns das alles finanzieren. Wenn nicht,

drucken wir so viel Geld, dass die Inflation durch die Decke geht, der Dollar zusammenbricht und eure An­ lage in Dollar und US-Staatsanleihen nicht mehr das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind.» «Wenn ein Zentralbanker sich anhört wie ein Erpresser«, so das LEAP weiter, «weiss man, dass Feuer unter dem Dach ist.» Dass die USA bis zum Hals im Schlamassel stecken, habe ich Ihnen schon im letzten Heft aus­ zugsweise dargelegt. Über deren Schuldenpyramide, die mit ständig neuem Geld unterfüttert werden muss, könnte man Bücher schreiben. Solange diese Geld­ produktion die anderen Dollarbesitzer, vor allem die Chinesen, nicht ernsthaft benachteiligte, ging dieses Spiel einigermassen auf. Aber das Ende rückt näher. Zur Entlastung ihrer eigenen Bilanz verlangen die USA nun von China eine Aufwertung seiner Währung. Der Eingriff in die Währungspolitik eines anderen Landes ist unstatthaft – die USA fragen den Rest der Welt ja auch nicht, ob sie mit der laufenden Entwertung der

Wenn ein Zentralbanker sich anhört wie ein Erpresser, weiss man, dass Feuer unter dem Dach ist. Weltwährung einverstanden sind. Um Verbündete für diese Forderung zu gewinnen, lancierte die USFinanzoligarchie über den Weltbank-Chef Robert Zoellick und Dominique Strauss-Kahn, Chef des Int. Währungsfonds (IWF), kurz vor dem Jahrestreffen ihrer Institutionen schon mal einen «Währungskrieg». Der vermutlich sorgfältig platzierte Begriff signali­ siert zweierlei: Erstens herrscht bereits Krieg, jetzt wird einfach noch erklärt. Und zweitens steckt der Bedrängte, in diesem Fall das Dollar-System, bereits so tief im Schlamassel, dass er zum offenen An­ griff übergehen muss und dazu Verbündete sucht. Feindbilder sind alte strategische Krücken, um von den eigenen Schwierigkeiten abzulenken. Aber sie können sich allzuleicht in Schlagstöcke verwandeln, die gegen einen selber gewendet werden. Mehr kann ich Ihnen leider im Moment nicht sagen. Es herrscht Währungskrieg und darum auch erhöhte Geheim­ haltung.


Die letzte Instanz

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