Credo Nr. 3, Oktober 2024

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Pfadi und JuBla

Zürich in Zahlen

Seite 4

Erfahrungen in der weiten Welt

Seite 12

Bitte antworten: «Wie sehe ich die Kirche?»

Seite 11

«Ist der Ruf erst ruiniert …»

Reputationsexperte David Schärer über den Ruf der Kirche und wie er ihn verbessern will.

Ab Seite 6

Über den Tellerrand

Raphael Meyer, Präsident Synodalrat

Erinnern Sie sich noch an die Kirchensteuer-wirkt-Kampagne im vergangenen Winter? Mit dem Slogan «Unser Image? Im Allzeittief. Unser Engagement? Konstant hoch» sollten die zahlreichen Leistungen und guten Dienste der Kirche ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt werden, ohne dabei die Negativbotschaften um die Missbrauchsstudie auszublenden. Zu jenem Zeitpunkt wäre es auch schlicht unglaubwürdig gewesen, den schlechten Ruf der katholischen Kirche in Abrede zu stellen.

Langfristig können wir das «Image im Allzeittief» aber nicht hinnehmen. Eine Kirche, die nur auf Negativmeldungen reagiert und sich mit einem «Trotz-Allem-Mantra» rechtfertigt, kann niemandem Halt und Heimat bieten. Es ist Zeit, das Ruder herumzureissen und zu zeigen, weshalb wir unsere Kirche lieben und stolz sind, Teil von ihr zu sein. Es geht mir dabei nicht darum, etwas zur Schau zu stellen, sondern ein sichtbares Zeugnis abzulegen; schliesslich sind wir als Christinnen und Christen berufen, für alle Menschen Zeugen der Hoffnung auf das Gute zu sein.

Wenn ich an die bisherigen Anstrengungen denke, um unsere Botschaft und unser Tun ausserhalb unserer «Bubble» zu verbreiten, scheint mir ein Über-den-Tellerrand-Schauen angezeigt. Anstatt das Rad ständig neu zu erfinden, wäre es eine Idee, sich Unterstützung von externen – vielleicht auch kirchenfernen –Kreisen zu holen. Am Ende ist es aber gleich wie mit einem Bergführer auf der Gebirgstour: Er kann mich begleiten und mir mögliche Wege zeigen. Aber am Ende bin ich es, der die nötigen Schritte gehen und den Weg zum Ziel beschreiten muss.

4 Aktuell Jugend im Kanton

5 Aktuell Es ist Zeit für andere Formen von Liturgie

6-11 Fokus

Die Kirche will ihr Bild in der Öffentlichkeit verbessern

12 Engagiert In fremde Kulturen eintauchen

14 Perspektiven Würdevoller Umgang mit Demenz

15 Seelen-Nahrung Alles einfacher, als man denkt

16 Ausläuten Den Menschen etwas Gutes tun

Impressum credo credo erscheint vierteljährlich und Behördenmitglieder und Freiwillige der Katholischen Kirche im Kanton Zürich.

www.zhkath.ch/credo credo@zhkath.ch

Layout

Herausgeberin und Redaktion

Katholische Kirche im Kanton Zürich

Kommunikationsstelle

Hirschengraben 66 8001 Zürich

Druck und Papier Zürich aus 100% Recyclingfasern und mit dem Umweltlabel «Blauer

«Die

Katharina von Zimmern, letzte Äbtistin des Fraumünsters

Mit diesen Worten soll Katharina von Zimmern am die Fraumünsterabtei der Stadt übergeben haben. Das Fraumünster hatte ursprünglich gegenüberliegende Grossmünster. Im 18. Jahrhundert wurde der Südturm abgebrochen. In Erinnerung an prägende Frauen der Zürcher Reformations- und Stadtgeschichte wird der fehlende Turm 2024 wieder sichtbar gemacht.

www.katharinenturm.ch

Zahlen & Fakten von Pfadi und Jubla-Blauring

112

Abteilungen der Pfadi und Scharen der Jubla sind im Kanton aktiv

11’869

Pfadis und Jublas erleben Woche für Woche neue Abenteuer

2’776

Leitende kreieren Aktivitäten und ermöglichen weit über 100 Lager als Höhepunkte des Jahres

5

«Pfadis trotz allem» (PTA) ermöglichen Kindern mit Beeinträchtigungen Pfadiaktivitäten und (Zelt-)Lager

299’460

Stunden Freiwilligenarbeit investieren im Schnitt monatlich die Leitenden in die Pfadi und Jubla (3’593’520 Stunden pro Jahr)

100 Jahre

Pfadidistrikt St. Georg

Pfadi und Jungwacht-Blauring sind die beiden grossen Organisationen, die sich in der kirchlichen Jugendarbeit engagieren. Der Zürcher Pfadi-Distrikt St. Georg tut dies schon seit 100 Jahren.

Text: Thomas Boutellier/Barny, ehemaliger Verbandspräses VKP

In der Pfadi und bei Jungwacht-Blauring erleben Kinder und Jugendliche Gemeinschaft.

Im Gegensatz zu den Pfadfinderorganisationen in anderen Ländern haben die Schweizer Pfadis vor langer Zeit den Grundsatzentscheid getroffen, eine einzige Dachorganisation zu schaffen und nicht, wie z.B. in Deutschland, konfessionelle und nicht konfessionelle Verbände zu gründen. So gibt es in der Schweiz die Pfadibewegung Schweiz (PBS) als Dachorganisation. Die rund 100 Abteilungen, die in einer katholischen Pfarrei aktiv sind und von ihr unterstützt werden, sind neben der Zugehörigkeit zur PBS auch Mitglied im Verband katholischer Pfadis (VKP).

Im Kanton Zürich sind es 17 Abteilungen mit insgesamt 2’639 Pfadis in allen Altersstufen, von denen 510 Leitende jede Woche neue Abenteuer schaffen. Diese 17 Abteilungen sind im Distrikt St. Georg organisiert, der in diesem Jahr 100 Jahre feiert. Über das ganze Jahr verteilt gab es verschiedene Aktivitäten. Ende August wurde als Höhepunkt am Distriktstag das Jubiläum dann gemeinsam gefeiert. Die Pfadis aus allen Stufen massen sich in Regensdorf und auch der Austausch unter den Ehemaligen kam nicht zu kurz.

Auch nach 100 Jahren werden die Kinder und Jugendlichen nicht müde, wie der Schutzpatron der Pfadfinder St. Georg, neue Abenteuer zu suchen, miteinander die Natur zu erleben und Schwierigkeiten mit Zuversicht zu begegnen.

Auch wenn wir Pfadis ein wenig älter und mehr sind; Wir haben doch die gleiche Passion und den gleichen Auftrag, den der Gründer der Pfadfinder Lord Baden-Powell in seinem Abschiedsbrief so beschrieben hat: «Ich glaube, Gott hat uns in diese Welt gestellt, um darin glücklich zu sein und uns des Lebens zu freuen. Das eigentliche Glück aber findet ihr darin, dass ihr andere glücklich macht. Versucht, die Welt ein bisschen besser zurückzulassen, als ihr sie vorgefunden habt.»

In anderen Worten, aber nicht viel anders, würden Jubla und Cevi den Sinn hinter ihren Aktivitäten auch benennen.

Weitere Informationen: distrikt-jubilaeum.ch

Personelles St. Peter und Paul Winterthur

Es ist Zeit

Seit September findet immer am letzten Sonntag im Monat um 19 Uhr im Pfarreisaal der Kirche St. Peter und Paul in Winterthur eine von Frauen für Männer und Frauen gestaltete freie Liturgie statt. Dieses neue spirituelle Angebot will auf eine weitere und andere Art Gemeinschaft und Gottesverbundenheit feiern.

Die Mitfeiernden lassen sich herausfordern und wandeln durch (biblische) Texte, Lieder und durch andere Formen, die den Glauben und die Spiritualität ausdrücken. Was innerlich beglückt, stärkt und nährt, auch in Trauer oder in den Herausforderungen des Lebens soll seinen Raum haben. Es ist Zeit …!

Die nächsten beiden Anlässe sind am Sonntag, 27. Oktober, und Sonntag, 24. November, geplant. Dieses neue Angebot sucht weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die sich an der Vorbereitung beteiligen oder eigene Vorbereitungsgruppen bilden. Wer sich angesprochen fühlt, darf sich gerne unter ularfi@gmx.ch melden.

Weitere Informationen von St. Peter und Paul in Winterthur: www.peterundpaul.ch

Wir begrüssen

Ignace Bisewo Pesa als Pfarrer in der Pfarrei St. Burkard in Mettmenstetten; Katharina Kleiser ist seit Juli neue Mitarbeiterin für Relationship und Marketing bei der Behindertenseelsorge. Jonathan Schnyder startete Anfang August als Fachmitarbeiter i. A. bei kabel. Karsten Riedl hat Anfang August ein Teilpensum als Spitalseelsorger an der psychiatrischen Klinik Winterthur übernommen. Elena Furrer ist seit September neue Präventionsbeauftragte für das Bistum Chur. Sie teilt die Stelle mit Dolores Waser Balmer, die seit Oktober für die Präventionsstelle tätig ist.

Andrea Müller, bisher Sach-

wechselte Ende September als Sachbearbeiterin

Stefan Gottfried, bisher

seit Oktober als Sachbearbeiter der Synode. und Christoph Staub leiten seit September die ökumenische -

Benedikt Stillhard, nach 26 Jahren im Dienst der Schülerinnen und Schüler der Zürcher Mittelschulen in den Ruhestand getreten ist. Für eine Übergangszeit bleibt Benedikt Stillhart noch in einem Teilpensum für die Mittelschularbeit tätig. Martin Schacher übernimmt ab 1. Oktober bis -

tretung für Miriam Pacucci, die während dieser Zeit im Mutterschaftsurlaub weilt.

als Pfarrer in Rüti-DürntenBubikon; Joseph Naduvilaparambil als Pfarrer in Urdorf; Oliver Quilab als Pfarrer in Schlieren; Benjamin Schmid als Pfarrer in solidum im Seelsorgeraum DübendorfFällanden-Schwerzenbach; Sunny Thomas MSFS als Pfarrer in Winterthur St. Josef; Mathias Zihlmann als Pfarrer in Meilen.

Wir

gratulieren

Christiane Burrichter-Tarter in der Spitalseelsorge.

Alberto Dietrich, SpitalseelAndrea Thali, Flughafenkirche und Ziegler, Mittelschulseelsor-

Wir verabschieden

Susanne Altoè hat die Spitalseelsorge Ende Juni verlassen.

José Paulo Almeida da Costa, Seelsorger bei der portugiesischsprachigen

neue Aufgabe übernommen.

Jugendarbeiterin i.A. Melissa Hof hat ihr Engagement für das AKJ Zürich-Stadt per Ende Juli abgeschlossen.

Stefan Loppacher, Präven-

neuen nationalen Dienststelle «Missbrauch im kirchli-men.

Jürgen Kaesler, Spitalseel-

Ende September in die Pfarreiseelsorge Elgg.

Marthe Erni Doh, Hilfssa-

Ende Juli in den Ruhestand getreten.

Der aus Basel stammende David Schärer hat als Werber etliche erhalten. 2021/22 «Werber des Jahres» erkoren.

«Die Kirche hats erfunden»

Die Zürcher Kirche will mit einer breiten Kampagne ihre Reputation in der Bevölkerung verbessern und damit etwas gegen die hohen Austrittszahlen tun. Dafür konnte sie den bekanntesten Werber der Schweiz engagieren: David Schärer über Kommunikation als Raison d’être der Kirche und warum er selbst auch künftig Kirchensteuern zahlt.

Simon Spengler: Der Ruf der katholischen Kirche ist durch die Missbrauchsskandale gehörig ramponiert. Sie wollen nun ihre Reputation verbessern. Sind Sie ein Don Quijote der Werbebranche?

David Schärer: Ich hoffe nicht, denn ich halte nichts von Kämpfen gegen Windmühlen.

Also glauben Sie daran, dass sich durch eine Kampagne die Reputation der Kirche verbessern lässt?

Davon bin ich tatsächlich überzeugt. Natürlich, Missbräuche und ihre Vertuschung trüben das Bild der Kirche gewaltig. Aber erstens ist die Kirche ja nun endlich daran, dieses dunkle Kapitel aufzuarbeiten und Massnahmen zur Prävention umzusetzen. Und zweitens versperrt das mediale Getöse rund um die Missbräuche den Blick auf all das Wertvolle, das im Rahmen der Kirche geleistet wird. Und vergessen Sie nicht, dass Ihre interne Wahrnehmung der Kirche nicht zwingend deckungsgleich sein muss wie die externe. Ich bringe die externe Sicht ein.

Wie ist denn Ihr persönliches Verhältnis zur katholischen Kirche?

Ich wurde reformiert getauft, verstehe mich aber nicht als religiösen Menschen. Ich bin aber immer Mit-

glied geblieben und verstehe meine Kirchensteuer als Spende an eine sinnvolle Sache, auch wenn ich selbst keine Dienstleistungen der Kirche beanspruche.

Sie haben nie überlegt, auszutreten?

Nein, nie. Ich habe zufälligerweise auch immer in räumlicher Nähe zu Kirchen gelebt. Das hat irgendwie abgefärbt. Ich konnte so im Alltag miterleben, was da alles läuft.

Gibt es ein spezielles positives Erlebnis, dass Sie mit Kirche verbinden?

Ich lebte längere Zeit in Kilchberg. Dort kam ich über meine Kinder in Kontakt mit einer tschetschenischen Familie, die von der Abschiebung bedroht war. Mit anderen Eltern versuchte ich, dieser Familie zu helfen. Als alle Mittel ausgeschöpft waren, gewährte die reformierte Pfarrerin der Familie Kirchenasyl. Diese Zivilcourage hat mich beeindruckt. Das war natürlich keine Lösung auf Dauer und die Familie musste dann doch ausreisen, aber wenigstens hatte sie Zeit gewonnen.

Geben Sie dieses positive Bild von Kirche auch Ihren Kindern weiter?

Obwohl auch ihre Mutter nach wie vor Mitglied der Kirche ist, haben wir unsere Kinder nicht taufen lassen. Wir haben uns nicht bewusst dagegen entschieden, aber auch nicht dafür. Die Kinder haben also kaum einen Bezug zur Kirche. Meine Tochter studiert aber heute Ethnologie…

… das ist ja die Vorstufe zur Theologie…

… ja, das hat was und sie empfindet es deshalb skandalös, wie wenig religiös-kulturelle Bildung sie mitbekommen hat. Das gibt mir zu denken.

«Ich bringe die externe Sicht ein.»
David Schärer

Zurück zu unserem Thema: Wie wollen Sie denn das oben erwähnte «mediale Getöse» übertönen?

In einem ersten Schritt müssen wir die sogenannten Reputationstreiber identifizieren, die bei den Menschen anklingen. Welche Faktoren bestimmen die Reputation der Kirche? Welche dieser Reputationstreiber können wir beeinflussen und kommunikativ stärken?

«Vermutlich

die Befragung und meine Konzeptarbeit beauftragt. Die nächsten Schritte müssen dann wieder neu beschlossen werden. Mit meinem Konzept wird eine Empfehlung einhergehen, wo investiert werden sollte.

Nur mit Kleingeld kommt man aber nicht weit, oder?

Das stimmt. Wenn man mit Kommunikation etwas bewegen möchte,

hat die Kirche erfunden, was Kampagnenführung heisst.»

Wie gehen sie konkret vor?

Zunächst machen wir mit dem führenden Schweizer Meinungsforschungsinstitut Sotomo von Michael Hermann eine repräsentative Umfrage. Damit erhalten wir eine Null-Messung, wo wir heute wirklich stehen.

Aber eigentlich wissen wir doch schon, dass unsere Reputation ramponiert ist.

Die Wahrnehmung ist weitgehend von Vermutungen, vom eigenen Bauchgefühl und von Medien geprägt, aber so richtig wissen wir es eben nicht. Und wir wollen ja am Schluss auch messen können, ob sich die Investitionen gelohnt haben beziehungsweise welche ja, welche nicht. Solch eine Befragung steht immer am Anfang einer wirkungsvollen Kampagne. Wir wollen nicht im Blindflug planen, sondern auf solider, messbarer Basis.

Wie gehts dann weiter?

Auf Basis der Umfrage erarbeite ich für den Synodalrat ein umfassendes Konzept. Die weiteren Schritte müssen dann vom Rat entschieden werden, denn hier geht es ja auch um Geld.

Zum Thema Geld: Was kostet denn die ganze Übung?

Aufmerksamkeit kostet, das ist so. Bis jetzt hat der Synodalrat erst mal

kommt man schnell in einen sechsstelligen Bereich. Wir werden sicher nicht klotzen, aber es macht auch keinen Sinn, zu wenig auszugeben, weil dann die Wirkung verpufft. Und Wirkung ist – auch – eine Frage des Geldes. Natürlich steht die gute Idee zuoberst.

aber in jedem Fall wichtig. Hier stelle ich auch eine gewisse Gegenbewegung zur digitalen Social-Media-Welt fest, die natürlich auch wichtig ist, aber halt sehr fragmentiert.

In welchen Zeiträumen denken Sie?

Kurz- und mittelfristig. Die Zeit läuft uns etwas davon. Schon in wenigen Wochen sind wir wieder mit der Situation konfrontiert, in der sich Menschen entscheiden müssen, ob sie weiter Kirchensteuer zahlen sollen oder nicht. Im besten Fall können wir dann schon Sofortmassnahmen umsetzen. Sonst sind wir auf jeden Fall 2025 bereit mit einem Kommunikationsprogramm.

Also feiern wir Weihnachten 2025 die Good News, dass Kirche im Kanton Zürich wieder eine bessere Reputation hat.

Dann werden wir also irgendwann im ganzen Kanton Plakate zur Kirche sehen?

Plakate sind eine Möglichkeit, vielleicht arbeiten wir auch mit Video oder wir investieren vor allem in Medienarbeit – oder einem Mix aus allem. Präsenz im öffentlichen Raum wird

Das muss das Ziel sein. Aus politischen Kampagnen weiss ich, dass es sich auszahlt, ehrgeizige Ziele anzustreben. Mit einer klugen Kampagnen-Dramaturgie kann man erstaunlich weit kommen. Wir müssen ein Grundrauschen erzeugen und dann mit akzentuierten Ausschlägen auf definierte Kommunikationsmomente hinarbeiten.

Simon Spengler, Leiter Kommunikation, im Gespräch mit David Schärer.

Können Sie uns das an einem Beispiel verdeutlichen?

Bei der «Slow down, take it easy»-Kampagne zur Unfallverhütung, die in der Schweiz ja Kultwert erlangte, haben wir mit meiner ehemaligen Agentur ein Paket rund um den Schutzengel Franky Slow down erarbeitet. Wir suchten ein Label für einen entschleunigten Lebensstil. Das war der Kleber, der noch heute auf etlichen Autos klebt. Und wir wollten unbedingt in die Autoradios kommen. Wir liessen den Song «Slow down, take it easy» komponieren und einspielen, der es in die Hitparade schaffte. Damit war die Kampagne bei den Leuten angekommen. Auf der Wirkungsebene hatten wir schliesslich gesehen, dass der Schritt von der veränderten Einstellung zur Verhaltensänderung greifbar war.

«Natürlich steht die gute Idee zuoberst.»

Wir brauchen also einen neuen katholischen Halleluja-Song?

So was in der Art. Bei der katholischen Kirche ist ja alles da, was in meinem Beruf zur Methode und zur Technik gehört. Die Kirche hat auch das älteste Logo der Welt. Vermutlich hat die Kirche erfunden, was Kampagnenführung heisst. In der Bibel steht auch die beste Definition für Reputation, die ich kenne: «Wer hat, dem wird gegeben. Wer nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.» Genau das ist Reputation.

Die Zürcher Kirche ist ja von grosser sprachlicher und kultureller Vielfalt geprägt. Wie weit spielt das für die Kampagne eine Rolle?

Die Vielfalt in der Einheit kann eine grosse Rolle spielen, weil das vielen Menschen vermutlich gar nicht bekannt ist. Wir wollen übrigens auch eine eigene Umfrage unter den diversen Migranten-Gemeinden durchführen. Ich bin sehr gespannt auf diese Ergebnisse.

Wenn die Kampagne 2027 abgeschlossen sein wird, was ist dann für Sie die Messlatte für Erfolg oder Misserfolg?

Wir müssen die Befragung dann in einer sehr abgespeckten Form und fokussiert auf für uns gezielt ausgewählte Themen wiederholen und sehen, ob eine Veränderung messbar ist. Doch letztlich muss das Ziel sein, die Zahl der Austritte zu reduzieren. Ein noch ambitionierteres Ziel ist, ausgetretene Menschen zum Wiedereintritt zu motivieren.

«Die Kirche hat auch das älteste Logo der Welt.»

Drei

bekannte Kampagnen aus der Feder von David Schärer

Die Kampagne «unterwegs zuhause» für die SBB hatte zum -

heit. Ein Element war der eigens für die Kampagne kompo-samkeit und eine Top 5-Platzierung in der Hitparade erzielte.

Die Bevölkerungsinformationskampagne zu Covid-19 verzu kommunizieren. Das von Beginn weg eingeführte Farb-ten verstanden wurden. Die Piktogrammkampagne etablierte sich als internationales Vorbild und fand viele Nachahmer.

Beratungsstelle für Unfallverhütung BfU: «Slow down. Take it easy»

Die Kampagne zur Förderung des angepassten Fahrens im Strassenverkehr erlangte Kultwert in der Schweiz. Sie lösteten aus.

«Kommunikation

ist die Raison d’être der Kirche, es geht

immer

um Botschaften.»

Haben Sie schon mal ein ähnlich schwieriges Mandat betreut, wie die Reputation der katholischen Kirche zu verbessern?

Das ist schon eine ziemliche Herausforderung und eine selten komplexe Aufgabe. Aber jeder Auftrag ist wieder anders. Das ist der Fluch meines Berufs, es fängt immer wieder neu mit einem weissen Blatt Papier an. Die bisher schwierigste Aufgabe meines Lebens war aber die Covid-Kommunikation des Bundesamts für Gesundheit. Es war ein kompletter Flug auf Sicht. In der Anfangsphase wussten wir schlicht nicht, was am nächsten Tag passieren wird. Die Situation konnte sich innert Stunden komplett verändern. Wir mussten uns weitgehend auf Intuition verlassen.

Diese Aufgabe haben Sie mit Bravour gelöst.

Das liegt immer im Auge des Betrachters. Covid-Skeptiker würden das anders sehen. Aber das Beispiel zeigt deutlich, wie wichtig die Kommunikation in der Krise ist.

Da müssten wir als Kirche ja doch eine Chance haben, denn das ganze kirchliche Leben ist schliesslich auf Kommunikation ausgerichtet.

Ja, Kommunikation ist die Raison d’être der Kirche, es geht immer um Botschaften.

Das hat kürzlich auch Bischof Bonnemain eindrücklich gezeigt mit seiner erstaunlich schnellen Reaktion auf die dummen Schüsse von Sanija Ameti auf ein Madonnenbild. In dieser medialen Kakophonie in einem Shitstorm hat der Bischof die zentrale Botschaft der Kirche platziert, den Aufruf zur Vergebung. Und diese Botschaft wurde gehört.

David Schärer ist einer der führenden Kommunikationsexperten der Schweiz. 2007 gründete er zusammen mit zwei Partner/-innen die Agentur Rod Kommunikation, die sich mit Arbeiten u.a. für die Beratungsstelle für Unfallverhütung BfU, die SBB oder das Bundesamt für Gesundheit BAG einen Namen machte und 2008 als «Newcomeragentur des Jahres» in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgezeichnet wurde. 2019 verkaufte er die Agentur an die grösste Agenturgruppe der Schweiz. Schärer wurde mit zahlreichen Branchenpreisen ausgezeichnet, u.a. zum «Werber des Jahres 2021/22». Zwischenzeitlich als globaler Marketingchef einer Uhrenmarke tätig, gründete er im September 2024 die Agentur «David Schaerer Studio».

«Reputation» bezeichnet das Ansehen oder den Ruf einer Person, Organisation oder Sache in der Öffentlichkeit oder bei einer bestimmten Gruppe. Sie basiert auf den Meinungen oder Erfahrungen Dritter und kann sowohl positiv als auch negativ sein. Oftmals wird Reputation erst spürbar, wenn sie abhandenkommt.

Deshalb ist es erkenntnisreich, die Reputation zu messen. Denn nur, wer Reputation misst, kann sie auch steuern. In den Unternehmen hat es sich durchgesetzt, dass das Vertrauen, die Wertschätzung oder die Sympathie gemessen wird, oftmals im Vergleich zu konkurrierenden Organisationen. In den meisten Fällen wird die Wahrnehmung der Leistung innerhalb der Schlüsselbereiche der Organisation abgefragt.

Was denken die Menschen über unsere Kirche?

Das, was wir denken, dass sie denken?
Oder doch ein wenig anders? Wir wollen es genauer wissen und fragen die Menschen selbst. Und auch alle Leserinnen und Leser von Credo.

Will man mit einer Kampagne die Reputation der Kirche in der breiten Bevölkerung verbessern, besonders aber der Kirchenmitglieder selbst, muss man zuerst wissen, was die Zielgruppe über eben diese Kirche denkt, was sie stört, was sie gut findet, was sie überhaupt von Kirche wahrnimmt und was nicht. Bis jetzt stochern wir im Nebel beziehungsweise verlassen uns auf Meinungen von Medien, aufs Hörensagen oder das eigene Bauchgefühl.

Der Synodalrat hat nun das bekannte Meinungsforschungsinstitut Sotomo mit Michael Hermann beauftragt, der Sache auf den Grund zu gehen.

Die repräsentative Befragung ist bereits abgeschlossen, die Auswertung dauert aber noch an. Was sich schon heute positiv vermelden lässt ist die Tatsache, dass erstaunlich viele Menschen aus allen Altersgruppen die Fragen von Sotomo beantworten. Folgende Trends zeichnen sich bereits ab:

Nichts ist für den Ruf der Kirche wichtiger als ihr soziales Engagement.

Das bekannteste Angebot der katholischen Kirche ist die Jugendarbeit von JuBla und Pfadi. Trauerbegleitung und Trauerfeiern sind für die Bevölkerung die wichtigsten seelsorgerischen Handlungsfelder.

Dies sind nur erste Trends. Wir werden weiter informieren, sobald die Ergebnisse der Befragung ausgewertet sind.

Was denken die MigrantenCommunities?

Neben der breiten Bevölkerung befragen wir noch zwei spezielle Gruppen. Einmal stellen wir die gleichen Fragen auch den verschiedensten Migrantengemeinden im Kanton. Wie ist die Wahrnehmung der Zürcher Kirche in den Augen der fremdsprachigen Katholikinnen und Katholiken? Gibt es markante Unterschiede? Welche? Wir danken den Verantwortlichen der Sprachmissionen für ihre Unterstützung.

Und was denken Mitarbeitende und kirchlich Engagierte?

Als dritte Gruppe möchten wir alle Mitarbeitenden speziell nach ihrer Sicht auf die Kirche befragen. Auch Mitglieder von Behörden, Gremien, Räten und generell alle in Pfarreien, Kirchgemeinden oder kirchlichen Institutionen hauptamtlich, ehrenamtlich oder freiwillig Engagierten laden wir ein, die Fragen zu beantworten. Für die spätere Ausgestaltung der Reputationskampagne ist es ausgesprochen wichtig, auch die Haltung der «Insider» zu kennen, denn sie sind ja die wichtigsten Multiplikatoren der Kirche.

Auch Ihre

Bitte beantworten Sie deshalb bis spätestens 15. November möglichst zahlreich die Fragen von Sotomo.

Sie finden die Befragung unter: https://s.sotomo.ch/ religion-intern

Oder einfach auch über diesen QR-Code:

Ermuntern Sie auch Mitglieder Ihres Teams, die allenfalls Credo nicht erhalten, oder Freiwillige Ihrer Organisation, an der internen Befragung teilzunehmen.

Eine möglichst hohe Zahl von Teilnehmenden ist wichtig, um statistisch verwertbare Daten zu erhalten. Selbstverständlich sind alle Antworten anonym.

Hoffnung inmitten von Ruinen: Ein Volontariat in Syrien

«Von Oktober 2022 bis Februar 2023 hatte ich die einzigartige Gelegenheit, als Volontärin mit VoyagePartage im Jugendzentrum der Salesianer in Damaskus, Syrien, tätig zu sein. Das Land, geprägt von einer tiefen Geschichte und schmerzlichen Konflikten, stellte mich vor Herausforderungen, die ich so nie erwartet hatte. Syrien litt unter dem Bürgerkrieg, der Millionen zur Flucht gezwungen hatte. Die Zerstörung ist allgegenwärtig und die Inflation ist erschreckend: Wo früher 1 Dollar 50 Lira kostete, waren es bei meiner Ankunft bereits 5’000. Diese Realität erlebte ich hautnah, während ich mit den Jugendlichen im Zentrum arbeitete. Ihre Geschichten über den Alltag und die Suche nach einem besseren Leben, oft weit weg von Syrien, berührten mich tief.

Das Jugendzentrum bot den Jugendlichen einen Ort der Gemeinschaft. Hier fanden täglich rund 180 junge Menschen Zuflucht, um an Aktivitäten teilzunehmen und ihre Sorgen für einen Moment zu vergessen. Mein

Tagesablauf begann früh mit Gebet und Meditation. Ich unterstützte beim Nachhilfeprojekt und führte Evaluierungen durch, was mir Einblicke in die Bildungsarbeit in Syrien gab. Eine prägende Begegnung hatte ich mit Hala, einer 15-jährigen Schülerin, die trotz schwieriger Lebensbedingungen von einer Zukunft in der Informatik träumt. Ihre Hoffnung spiegelte die Sehnsucht vieler Jugendlicher wider, die ein Leben ohne Krieg und Armut suchen.

«Zurück in der Schweiz ist mein Blick auf die Welt geprägt von einem unerschütterlichen Respekt für die Resilienz der Menschen, die ich kennenlernen durfte.»

Die Zusammenarbeit mit den Salesianern war inspirierend. Trotz ihrer Belastungen waren sie stets hilfsbereit. Ich lernte viel über die syrische Kultur und die Herausforderungen in der Kommunikation. Mein Aufenthalt in Damaskus war nicht nur eine berufliche Erfahrung, sondern auch eine persönliche Reise. Ich kam als Fremde und verliess das Land mit einem tieferen Verständ-

nis für die Hoffnung und den Glauben der Menschen. Diese Eindrücke werden mich für immer begleiten. Zurück in der Schweiz ist mein Blick auf die Welt geprägt von einem unerschütterlichen Respekt für die Resilienz der Menschen, die ich kennenlernen durfte.»

eine andere Kultur kennenlernen?

Du möchtest aus deinem Alltag ausbrechen und in eine fremde Kultur eintauchen? Du bist bereit, dich mit deiner eigenen kulturellen und religiösen Identität auseinanderzusetzen? Du suchst Begegnungen auf Augenhöhe? Dann engagiere dich während 4 bis 12 Monaten in einem Projekt einer Ordensgemeinschaft in Osteuropa, Afrika, Asien oder Südamerika. Eine umfassende Vor- und Nachbereitung sind garantiert. Ab 18 Jahren.

Infos: www.voyage-partage.ch

Kontakt: info@voyage-partage.ch oder Telefon: 077 431 05 22

Naemi Zürcher mit Kindern und Jugendlichen in Damaskus.
Naemi Zürcher studiert Teilzeit Interreligiöse Studien an der Uni Bern und arbeitet bei der Asylorganisation Zürich AOZ

Lehrgang-Tipp

Das Lassalle-Haus führt in Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg Schweiz den ökumenischen Lehrgang «Ignatianische Exerzitien und Geistliche Begleitung» 2025-2028 zum vierten Mal durch. Grundlage der Ausbildung bilden die Exerzitien (lat. Exercitia Spiritualia = Geistliche Übungen) des Ignatius von Loyola (1491-1556). Zeitgemäss interpretiert, haben die Exerzitien nichts an Aktualität verloren. Sie sind ein klassischer, ausgereifter, spiritueller Übungsweg mit konsequenter Rückbindung an die Heilige Schrift. Dabei werden Erkenntnisse aus Mystik und Spiritualität, Anthropologie und Philosophie, Psychologie und Therapie, Theologie und interreligiösem Gespräch integriert. Die Exerzitien werden in ökumenischer Offenheit weitergegeben und bilden eine wichtige geistliche Brücke zwischen den Konfessionen. Der Lernprozess geschieht unter intensiver, professioneller Begleitung und Supervision.

Informationsveranstaltung: Donnerstag, 14. November 2024, 18.30 – 20.30 Uhr, im aki, Hirschengraben 86, Zürich, Teilnahme auch online möglich. Detail-Infos: https://www.lassalle-haus.

Kontakt: lehrgaenge@lassalle-haus.org

Telefon: +41 (0)41 757 14 43

Christoph Zintel liebt es, an Mittelaltermärkten in eineRolle

Mein Hobby

Mittelaltermärkte

«Jeder darf so sein, wie er ist»: Diese Worte hallen in mir nach, wenn ich durch die bunten Zelte und Stände eines Mittelaltermarktes streife. Es ist ein Ort, an dem die Zeit stillsteht und die Seele atmen kann. «Obwohl man verkleidet ist, legt man gerade hier seine Maske ab!» Der Satyr geht neben dem Hexer, der Mönch leert verzückt seinen Humpen, und der Folterknecht hält schmunzelnd einen Vortrag, warum sein Handwerk den Chiropraktiker ersetzt.

Die Leichtigkeit, mit der man mit anderen Menschen ins Gespräch kommt, ist beeindruckend. Es ist, als ob den Märkten eine Art Zauber innewohnt, der dazu bewegt, Schutzschilde fallen zu lassen und das Burgtor des Herzens zu öffnen. Ich habe auf diesen Märkten viele interessante Menschen kennengelernt und sogar in der Taverne mitgeholfen, getreu dem Motto: «Met und Bier, das rate ich dir.»

Aber es ist nicht nur die Oberfläche, es ist die Tiefe, die Spiritualität, die in diesen Märkten steckt. Menschen, die hier zusammenkommen, sind oft nicht nur auf der Suche nach Unterhaltung, sondern nach Gemeinschaft und Sinn. Ich kann mir vorstellen, künftig auch einmal als Festivalseelsorger aufzutreten. Wenn Sie mich an einem Mittelaltermarkt einmal treffen sollten, zögern Sie nicht, mir einen Met auszugeben!

Unbedingte Würde trotz Demenz

ist verantwortlich für das neue Buch der Reihe «

Der zweite Band der Buchreihe «Zürcher Zeitzeichen» widmet sich der Volkskrankheit Demenz. Herausgeberin Veronika Bachmann erklärt das Anliegen dieses Buches. Es gibt kaum jemanden ohne direkte oder indirekte Berührung mit der Krankheit Demenz. Mindestens die Angst davor, selber einmal dement zu werden und – dem Wortsinn nach – den «Geist» (mens) und damit sich selbst zu verlieren, geht bei vielen um. Bin ich dann noch mich? Bin ich dann überhaupt noch Mensch? Wie könnte ich so noch ein würdiges Leben führen? Wie sehr würde ich damit meinen Nächsten zur Last werden?

«Ich bin doch da» lautet der Titel eines neuen Buches, herausgegeben im Auftrag der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Das Buch gibt den Stimmen von Fachleuten aus den Bereichen Altersmedizin, Spiritual Care, Theologie, Ethik und Seelsorge Raum: Sie legen hier ihre Sicht auf Demenz dar, geben ihr Wissen und ihre Erfahrung im Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen, ihren An- und Zugehörigen weiter.

Das Buch versteht sich als Praxishilfe nicht nur, aber insbesondere für Menschen, die in kirchlichen Arbeitsfeldern tätig sind. Erwartungsgemäss ist Seelsorge ein wichtiges Thema. Ein Beitrag beschreibt sie als «einfühlsame, zugewandte Katastrophenhilfe» für an Demenz Erkrankte und ihre An- und Zugehörigen. Jedoch auch Pfarreiarbeit im weiteren Sinn kommt in den Blick. Zum Beispiel wird reflektiert, inwiefern Pfarreien sehr vielschichtig Orte der Krisenprophylaxe und Resilienzförderung sind. Gerade angesichts einer Krankheit mit sozialen Auswirkungen hat Kirche, die aus der Gemeinschaft lebt, ein grosses Potenzial.

So unterschiedlich die Beiträge sind: Die Zusage von unbedingter Würde –als Anspruch und als Zuspruch – drängt sich bei allen in den Vordergrund. Leben und Menschsein lässt sich grundsätzlich unterschiedlich bewerten. Die Texte im Buch unterstreichen, dass in Pflege, Betreuung, Seelsorge und theologischer Reflexion das «Menschsein» mit Demenz nicht aufhört. Die Anfrage geht an uns zurück, die wir das Buch lesen: Wie definieren wir Menschsein?

Und – wenn wir an einen Gott glauben: Welche Treue zu den Menschen trauen wir ihm zu?

Veronika Bachmann ist Leiterin des Fachbereichs Theologie und Religion an der Paulus Akademie und hat im Auftrag der Katholischen Kirche Kanton Zürich den neuen Band der Reihe «Zürcher Zeitzeichen» mit dem Titel «Ich bin doch da. Herausforderung Demenz. Grundlagen und Praxishilfen für die kirchliche und seelsorgliche Arbeit» herausgegeben. Edition NZN bei TVZ, 2024

Bitte beachten Sie auch Credo-Ausgabe beiliegt.

Edith WeissharAeschlimann ist Seelsorgerin in den BundesEmbrach und Dübendorf.

Die neue Generation übernimmt

Jährlich lädt meine Nichte zum Familienfest ein. Von Klein-Luisa bis zum 88-jährigen Onkel kommen alle. Gefeiert wird bei den Nichten in Kriens.

Ist ein Datum gefunden, geht alles mit wenig Aufwand. Drei Nichten bestimmen und kochen das Hauptmenu. Dieses Jahr heisst dies: Lasagne. Das andere bringen die Gäste, kommuniziert per Mail an alle: «Ich bringe Salat, ich Wein, ...»

Wir feiern bei schönstem Wetter. Es hat genug für alle: Vegi, Vegan, Fleischesser, Allergikerin - ohne Abmachung. Wir kennen uns! Eine bunte Mischung verschiedenster Lebensweisen. Uns verbindet die Sehnsucht, zu einer Familie zu gehören und dieser Sorge zu tragen.

Am Schluss bleibt kaum etwas übrig. Im Gegenteil. Die Familie mit dem längsten Nachhauseweg packt das Übriggebliebene gerne ein. Der Abwasch ist überschaubar. Teller, Besteck und Gläser übernimmt die Maschine; Schüsseln und Töpfe werden von den Einzelnen mit nach Hause genommen. Der hochbetagte Onkel bedankt sich speziell für das mitgebrachte Essen – seine verstorbene Frau wird es freuen, hat sie doch ein Leben lang auf so ein Kompliment aus seinem Mund gewartet. Mich bringt das Kompliment zum Nachdenken. Meine Vorfreude auf das Wiedersehen war gross. Denn von generationenübergreifenden Festen habe ich immer geträumt. Mir wird klar, warum das unter anderem nicht klappen konnte. Ich habe zu viel Verantwortung übernommen; dachte, ich müsste das Fest selber stemmen: von der Einladung bis zum Abwasch. Gering war das Vertrauen, dass es dann schon gut kommt.

Auf die Idee, dass Gäste mit speziellen Bedürfnissen für sich selber sorgen, kam ich kaum. Eher hätte ich in einer Nachtschicht noch dieses und jenes Gericht kreiert. Geträumt habe ich trotzdem - bis zu dem Zeitpunkt, da die neue Generation das Ganze in die Hand genommen hat. Ihr Vorgehen ist anders; sie verteilen die Aufgaben. Verantwortung zum Gelingen des Festes tragen alle. Die Sehnsucht, zu einem grösseren Haufen zu gehören, ist gleich geblieben.

Mein Onkel ist milder geworden und ich, auch schon über 60, befreit von alten Mustern. Gut, habe ich nie aufgehört zu träumen.

Um den guten Ruf besorgt

Hat jemand oder etwas einen schlechten Ruf, machen wir meist einen weiten Bogen. Ist der Ruf gut, so ist auch die Zustimmung gesichert. Diese Nummer des «Credo» beschäftigt sich aus gutem Grund mit der Thematik. Aber von vorne: Die diesjährige Klausur der Kirchenpflege Richterswil führte uns nach Frankfurt ins Fritz-Bauer-Institut, dem Wirkungsort jenes Generalstaatsanwaltes, der in den 1960er-Jahren Auschwitz und damit eine der schlimmsten Tragödien der Menschheitsgeschichte vor Gericht gebracht hatte. Dass sich Geschichte wiederholt, sieht man an zahlreichen Orten unserer Erde. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung wachzuhalten. Am Nachmittag dann hatten wir den Frankfurter Dom auf dem Programm. Das Besondere dabei: Ich durfte im Auftrag des Dommusikdirektors eine Stunde auf der Domorgel spielen. Das Instrument ist mit 115 Registern und rund 8'900 Pfeifen die grösste Orgel in Hessen. Nach den schwer zu verdauenden Führungen im Fritz-Bauer-Institut überlegte ich, was musikalisch all diese Eindrücke am besten auffängt. Ganz unwillkürlich ergab sich eine Improvisation über das Bruder-Klaus-Lied (KG 546).

Der Dom, an sich schon voller Menschen, füllte sich weiter. Offenbar

lockte die Musik die Menschen an und lud sie ein, sich niederzusetzen. Der Sakristan sprach nachher von «mehreren hundert» Menschen, die sitzend oder stehend, aber schweigend lauschten. Menschen aus vielen Ländern und aller Hautfarben hatten sich eingefunden. Es versteht sich von selbst, dass weder alle christlich noch katholisch waren. Auffällig war die grosse Zahl von Zuhörenden aus Asien, also einer Region, wo eine Orgel definitiv nicht zum Alltag gehört. Dass die Kirche bisweilen unter einem schlechten Ruf leidet, war so weit weg wie selten. Die Frage, warum dem so war, ist schnell beantwortet. Die Menschen haben sich gesetzt, weil es ihnen offensichtlich gut getan hat. Weil so manche Sorge unter den Klängen der Improvisation in ein anderes, vielleicht helleres Licht gerückt wurde. Weil so manches Ohr darauf gewartet hat, dem Balsam für die Seele Eingang zu gewähren. Dass es zusätzlich die Vertonung des Bruder-Klaus-Textes war, ist für jene, die das Lied kennen, sogar von noch höherer Bedeutung. Auf jeden Fall bin ich überzeugt, dass die Anwesenden das unerwartete musikalische Geschenk gerne im Herzen mitgenommen haben, für sich, für die Zukunft. Das Thema dieser «Credo»-Ausgabe, «Reputationsmanagement», klingt abstrakt kompliziert. Die

Maria-Schlaf-Altar, unbekannter Meister (1434-38),

Art und Weise, einen guten Ruf zu bekommen und auszubauen, ist denkbar einfach. Mensch werden, Mensch sein und genau dies weitergeben. Die Menschen ansprechen, sie dort abzuholen, wo sie tatsächlich sind, mit all ihren Wünschen, Sorgen und Nöten. Und bisweilen habe ich den Eindruck, dass wir diese kirchliche Bringschuld mancherorts nicht einlösen. Die Ferienzeit ist für mich die Gelegenheit, Gottesdienste zu besuchen im In- und Ausland. Nicht selten bin ich ratlos und wundere mich ob dem Präsentierten nicht, dass die Frequenz der Mitfeiernden sich im tiefen zweistelligen Bereich bewegt. Der linke Seitenaltar im Frankfurter Dom ist der sogenannte «MariaSchlaf-Altar». Maria ist tot, alle Jünger sind versammelt, tief traurig und ein Engel verschliesst Maria die Augen. Ein Bild von einer solchen Zärtlichkeit, die schlicht mitreissend ist. Der unbekannte Künstler hat es auf seine Art geschafft, die Menschen abzuholen. Er hat seine Aufgabe verstanden.

Improvisation über das Bruder-Klaus-Lied (KG 546) von Mario Pinggera.

https://www.youtube.com/ watch?v=VjTayIeQm7I

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