Gesund in Tirol (Sommer 2023)

Sport im Zyklus

Wie die Periode die sportliche Leistungsfähigkeit beeinflusst

HightechTherapie

Mit Virtual Reality gegen die Angst

Rastlos

ADHS und seine Auswirkungen auf den Alltag

Unser Sommerangebot

gültig vom 2. Juli bis 10. September 2023

Mein SOMMER in Österreich

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Inhalt

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

dass es einen Zusammenhang zwischen der weiblichen Periode und der sportlichen Leistung einer Frau gibt, war bis bis zum patschert übersetzten Interview von Mikaela Shiffrin im ORF nur wenigen Männern bewusst. Leider bekommt die Gesundheit von Frauen in der breiten Öffentlichkeit viel zu wenig Beachtung –wir versuchen in unserer Coverstory dem ein wenig entgegen zuwirken.

Aber nicht nur mit der Frage, wie sich der Zyklus auf die Leistungsfähigkeit von Frauen auswirkt, haben wir uns in dieser Ausgabe beschäftigt: ADHS betrifft viele Kinder, aber auch Erwachsene. Die Diagnose ist aber nicht nur eine Hiobsbotschaft, wissen Experten. VR­Brillen werden in der Psychotherapie zur Phobienbekämpfung eingesetzt. Wir haben uns angesehen, wie das vonstattengeht.

Vorsorge ist bekanntlich besser als Nachsorge – in unserem Ratgeber erklären wir, was es dabei alles zu beachten gilt. Mit dem Pflegedirektor der einzigen LandesPflegeklinik in Tirol haben wir ein ausführliches Gespräch über die Pflegesituation geführt, Das und noch viel mehr lesen Sie in dieser Ausgabe.

Wir wünschen eine spannende Lektüre!

Die Redaktion

Impressum

Herausgeber, Medieninhaber und Verleger: TARGET GROUP Publishing GmbH, Brunecker Straße 3, 6020 Innsbruck · Redaktion: Haris Kovacevic (Ltg.), Theresa Kirchmair, Nico Knappe, Denis Pscheidl, Juliane Wieser, Katharina Reitan, Philipp Buchacher, Anna Kirchgatterer, Eva Schwienbacher · Grafik und Produktion: Alina Klampfer, Christina Wulfert, Sebastian Platzer · Fotos: Falls nicht anders gekennzeichnet: Archiv/TARGET GROUP Publishing GmbH, shutterstock.com, tirol kliniken Geschäftsführung: Andreas Eisendle, Michael Steinlechner, Tel. 0512/586020-0, E-Mail Redaktion: redaktion@target-group.at Anzeigenverkauf: Carmen Larch, carmen.larch@target-group.at Druck: Intergraphik GmbH, Innsbruck

Das Multitalent Zink

Spurenelemente werden - wie der Name schon andeutet - nur in geringen Mengen im Körper benötigt. Nichtsdestotrotz können sie unverzichtbar sein, so wie Zink, das zu den essenziellen Spurenelementen gehört.

ENTZÜNDUNGEN

UND WUNDEN HEILEN

Zink unterstützt die Wundheilung, stärkt die Immunabwehr generell und wirkt antioxidativ, bindet also freie Radikale, die die Zellen und das Erbgut schädigen können.

WENN SICH ZELLEN TEILEN ...

... ist Zink mit am Werk. Das Spurenelement spielt eine entscheidende Rolle beim Aufbau von neuem Gewebe - zum Beispiel beim Muskelwachstum oder bei der Knochenbildung. Auch Haare und Nägel wachsen stabil dank Zink. Self-Check: Brüchige Nägel mit weißen Flecken können Hinweise auf einen Zinkmangel geben.

Schritt ausreichend, um den Mangel zu behandeln. Anderweitig können Zinkpräparate eingenommen werden.

oder Leistungssport betreibt, hat schnell einen Zinkmangel. Das kann schwerwiegende Folgen haben. So kann es zum Beispiel zu Appetitlosigkeit, vermindertem Geschmacksempfinden, Haarausfall, Hautveränderungen oder erhöhter Infektanfälligkeit kommen. Viele der Symptome sind allerdings nicht nur spezifisch auf einen Zinkmangel zurückzuführen - weshalb ein Zinkmangel oft schwer zu diagnostizieren ist.

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... ist bei Zink über die Ernährung kaum möglich. Wer allerdings eine Überdosis Nahrungsergänzungsmittel einnimmt, muss mit Durchfall und Störung der Muskelfunktion rechnen. Das lohnt sich nicht.

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Bewegung im Einklang mit dem Zyklus

Im Sport wird langsam offener über den weiblichen Zyklus und seinen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit gesprochen. Für manche Frauen steht und fällt der Trainingserfolg mit den Hormonen.

text : Theresa Kirchmair

Die physiologisch normalen, monatlich auftretenden Hormonschwankungen, die man als den weiblichen Zyklus kennt, sind bis heute ein etwas unbequemes Thema in der Öffentlichkeit. Als die US ­Skifahrerin Mikaela Shiffrin nach einem schwierigen Rennen davon sprach, dass sie in einer ungünstigen Phase ihres Zyklus sei, sorgte das für Aufsehen. Die Hormonschwankungen können große Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit einer Frau haben, müssen das aber nicht zwingend tun. Jede Frau ist anders, wie Beata Seeber, stellvertretende Direktorin der Klinik für Endokrinologie und Reproduktionsmedizin in Innsbruck, betont: „Manche spüren gar keine körperlichen oder psychischen Zyklusveränderungen, der erste Tag ist genau wie der letzte. Dann gibt es wieder andere, die große Unterschiede empfinden.“

Runde um Runde

Im Volksmund wird mit dem Zyklus oft nur die Regelblutung beschrieben. In der Medizin beschreibt er den gesamten rund 28 Tage andauernden Prozess, den der weibliche Körper in seiner fruchtbaren Zeit Monat für Monat durchläuft.

Die erste Phase dauert vom Beginn der Regelblutung bis zum Eisprung an. Sie wird auch als follikuläre Phase bezeichnet und vom Hormon Östrogen be­

stimmt. Die zweite Phase startet nach dem Eisprung und dauert bis zum Einsetzen der Regelblutung. Diese sogenannte Lutealphase wird vom Progesteron, einem weiteren Hormon, geprägt.

Die Vorgänge sind komplex, Seeber fasst sie folgendermaßen zusammen: Wer seinen Zyklus stärker wahrnimmt, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in der ersten Hälfte energiegeladener, schneller und beweglicher fühlen. Die zweite Phase werde dagegen eher von Müdigkeit und geminderter Leistung geprägt.

assoz. prof.in priv.-doz.in dr.in med.

Beata Seeber

Stellvertretende

Direktorin der Univ.-Klinik für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin in Innsbruck

Hormonelles Wechselspiel

Die Leistungsschwankungen liegen an den sich abwechselnden Konzentrationen von Östrogen und Progesteron. Östrogen wirkt sich grundsätzlich positiv auf die Psyche aus, intensiveres Training und Wettkämpfe können leichter von der Hand gehen. Wenn der Eisprung erfolgt ist und sich der Körper mit erhöhter Progesteronkonzentration auf eine mögliche Schwangerschaft vorbereitet,

„ Manche spüren gar keine körperlichen oder psychischen Zyklusveränderungen, der erste Tag ist genau wie der letzte.“

Beata Seeber

kann den Sport erschweren. Beispielsweise steigt die innere Temperatur um bis zu einem Grad. Das kann bei Ausdauersportarten wie einem Marathon in den warmen Monaten ein Nachteil sein. Progesteron kann außerdem Verdauungsprobleme, depressive Verstimmungen und Wassereinlagerungen hervorrufen. Dieser Phase wird ein höheres Verletzungsrisiko zugeschrieben, laut Seeber ist die Datenlage dazu aber noch wenig aussagekräftig.

Damit spricht die Medizinerin ein Problem an, das in diesem Forschungsbereich noch recht häufig zu finden ist: Viele der Studien, die zu Zyklus und Sport aktuell unternommen werden, hätten einen sehr geringen Umfang, erklärt Seeber. Nicht nur die richtige Teil­

nehmerinnenzahl sei schwer zu treffen, auch die passende Gruppe einzuschließen sowie die Finanzierung zu sichern sei eine Herausforderung. „Die Wichtigkeit dieser Studien muss anerkannt werden, damit man da Geld investiert“, erklärt sie.

Versiegender Kreislauf

Allgemein wirkt sich Sport positiv auf den Zyklus aus, in manchen Fällen kann er aber negative Konsequenzen nach sich ziehen. Wird zu hart trainiert und verbraucht der Körper über einen längeren Zeitraum mehr Energie, als er zugeführt bekommt, kann das RED ­SSyndrom (Relative Energy Deficiency in Sports) auftreten. Dabei werden, laut Seeber, die Betroffenen anfälliger für

Die Menstruation macht nur einen kleinen Teil des weiblichen Zyklus aus, der meist rund 28 Tage dauert.

Infektionen, Verletzungen, immunologische und gastrointestinale Probleme. Erschwerend kommt bei manchen Frauen hinzu, dass sich durch den Energiemangel die Steuerung des weiblichen Zyklus komplett ausschalten kann. Die Folge: Er versiegt, und mit ihm die Hormonproduktion von Östrogen und Progesteron. Gerade Ersteres ist allerdings wichtig für den Knochenaufbau, der nur bis zum 30. Lebensjahr geschieht. Genau in der Phase, in der Leistungssport meist betrieben wird. „Wenn man in dieser Zeit nicht richtig aufbaut, kann es sehr schnell zu einer Osteopenie oder sogar Osteoporose kommen“, so die Medizinerin.

In Balance leben

Zyklus und Sport können sich also gegenseitig beeinflussen. „Je mehr wir darüber lernen, desto eher kann man sich anpassen“, sagt Seeber über die

große Chance hinter dieser Wechselbeziehung. Die leistungsbegünstigenden Phasen des Zyklus für intensives Training zu nutzen, kann den Erfolg positiv beeinflussen. Wendet sich das Blatt hin zur ungünstigen zweiten Hälfte, kann mit leichteren Übungen

Ob in der zweiten Zyklushälfte tatsächlich ein erhöhtes Verletzungsrisiko besteht, ist noch nicht ausreichend erforscht.

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PROGESTERON

Progesteron wird vom Gelbkörper gebildet, der sich nach dem Eisprung im Eierstock formiert. Es hat seine höchste Konzentration nach dem Eisprung und trägt zum Erhalt der Gebärmutterschleimhaut bei.

Ö STROGEN

Das typische weibliche Geschlechtshormon wird auch Follikelhormon genannt und im Eierstock gebildet. Es sorgt für den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut und dafür, dass der Follikel im Eierstock heranreift .

verhindert werden, dass Verletzungen oder Frust entstehen. Gerade bei Individualsportarten im Spitzensport könne man Trainingspläne auf den Zyklus zuschneiden und auf die hormonellen Peaks der jeweiligen Athletinnen abstimmen, so die Expertin. Mit diesem Wissen wäre es auch ambitionierten Hobbysportlerinnen möglich, ihr Training an die Gegebenheiten ihres Körpers anzupassen. Schwierig werde es laut Seeber im Jugendbereich und bei größeren Gruppen – wenn durchschnittlich zwei von 20 Teilnehmerinnen menstruieren, sei es anspruchsvoll, angepasste Trainingspläne für alle zu gestalten. Für die Ärztin ist es grundsätzlich wichtig, Bewusstsein für die hormonellen Schwankungen zu schaffen, sie aber auch nicht überzubewerten: „Ich denke, es ist wichtig, den Zyklus zu berücksichtigen und zu thematisieren. Aber ich denke auch, dass wir vermeiden sollten, ihn zu pathologisieren.“

Klare Sprache

Obwohl die Hälfte der Bevölkerung dem weiblichen Zyklus unterliegt und teils stark davon beeinflusst wird, ist das

öffentliche Bewusstsein überschaubar. „Wir kommen erst jetzt in die Phase, wo Sportlerinnen wahrgenommen und ernst genommen werden“, stellt Seeber fest. Die Höchstleistungen, die sich im Falle von Shiffrin auch mit jenen der Männer messen können, schaffen ein neues Selbstbewusstsein. „Dadurch, dass Frauen nun ernster genommen werden, trauen sie sich auch, ihre Weiblichkeit zu thematisieren.“ Gesundheitsthemen, die in erster Linie Frauen betreffen, würden in den letzten Jahren generell viel mehr angesprochen. Für Seeber ist es eine schöne Entwicklung, dass die Athletinnen nun eine Plattform hätten, über die sie gehört werden und als Vorbilder für Nachwuchssportlerinnen fungieren können.

Die Aufklärung rund um Zyklus und Sport wird in Österreich derzeit aktiv vorangetrieben. Seeber ist Teil eines von Olympiazentren und individuellen Verbänden organisierten Projektes, im Zuge dessen Workshops und Vorträge für Athletinnen und Trainer:innen abgehalten werden. Das Ziel: Sportlerinnen sollen sich eher trauen, das Thema anzusprechen, und die Trainer:innen für den Zyklus sensibilisiert werden.

„Dadurch, dass Frauen nun ernster genommen werden, trauen sie sich auch, ihre Weiblichkeit zu thematisieren.“

Beata Seeber

Timing – den Zyklus richtig tracken

Ob als Profi oder Laiin, wenn man Sport auf den eigenen Zyklus abstimmen möchte, muss man ihn erst mal kennen.

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KALENDERMETHODE

Der erste Tag der Regelblutung und der erste Tag der Menstruation im Folgemonat werden vermerkt. Die zweite Phase zwischen Eisprung und Regelblutung liegt relativ konstant bei 14 Tagen. Bei Frauen mit längeren Zyklen als 28 Tagen findet der Eisprung einige Tage später, bei kürzeren Zyklen einige Tage früher statt. Die meisten Apps für Smartphone und Tablet basieren auf dieser Methode, können aber nur im Nachhinein angeben, wann der Eisprung stattgefunden hat.

OVULATIONSTEST

Bei einem Ovulationstest dagegen wird das LH-Hormon im Harn gemessen. Ungefähr 24 Stunden nach dessen Höchststand setzt der Eisprung ein.

TEMPERATURMETHODE

Bei der Temperaturmethode muss jeden Morgen die Körpertemperatur gemessen werden. Nach dem Eisprung steigt sie zwischen einem halben und einem Grad an.

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Die sicherste Methode ist eine Ultraschalluntersuchung, dabei kann man die Follikelreifung sowie den Eisprung beobachten. Auch eine Hormonabnahme liefert relativ genaue Erkenntnisse, sofern die natürliche Hormonschwankung nicht von hormonellen Verhütungsmitteln beeinträchtigt ist.

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Ruhelose Zeiten

Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungkurz ADHS - betrifft viele Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene. Welche Formen die Krankheit annehmen kann und wie man damit leben lernt, haben wir mit einem Kinder- und Jugendpsychiater besprochen.

text : Haris Kovacevic

dr. Martin Fuchs, M.D.

Facharzt für Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin an der Abteilung für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der tirol kliniken in Hall

Ein lebhaftes, unruhiges Kind, das sich leicht ablenken lässt, kaum zur Ruhe kommt, schnell außer sich gerät und sich einfach nicht auf eine Aufgabe konzentrieren kann – so würden viele Eltern ihren eigenen Nachwuchs auch beschreiben und so lauten in etwa die Symptome von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit­ Hyperaktivitätsstörung). „Es handelt sich dabei um eine klassische Spektrumserkrankung“, weiß Martin Fuchs, Facharzt für Kinder­ und Jugendpsychiatrie in Hall: „Es kann also sein, dass man bei einem Kind die Anzeichen sehr spürt oder auch nur in geringem Maße.“

Grundlegend wird die Störung aber erst dann als Krankheit bezeichnet, wenn die Symptome so stark auftreten, dass es das Leben der Angehörigen,

aber auch des Kindes selbst sehr belastet. Neben Problemen mit der Aufmerksamkeit und Konzentration kommen Impulsivität und beschränkte Handlungsplanung erschwerend hinzu. „In einigen Fällen spielt auch Hyperaktivität eine wichtige Rolle“, erklärt Fuchs. Nicht alle Symptome müssen in jedem Fall vorkommen und nicht alle im gleichen Ausmaß, damit eine ADHS ­Diagnose gestellt wird.

Ein anderer Aufbau

„Betroffene haben vor allem Schwierigkeiten, sich monotonen, gleichförmigen Aufgaben zu widmen“, sagt der Experte. Es sei daher kein Zufall, dass die Störung vielen Eltern erst bei der Einschulung ihres Kindes auffällt: „Dort sind die Kleinen zum ersten Mal aufgefordert, sich zu setzen und sich länger auf

SYMPTOME

1. Aufmerksamkeitsund Konzentrationsschwäche

2. Impulsives Verhalten

3. Körperliche Unruhe (Hyperaktivität)

etwas mental zu konzentrieren. Leidet man an ADHS, fällt einem das besonders schwer.“

Die Gründe dafür sind nicht bis in alle Details erforscht. Bei ADHS ­Betroffenen wurden aber Veränderungen der Neurotransmitter festgestellt – also der Botenstoffe, die Verbindungen zwischen den einzelnen Hirnzellen herstellen. Dieser erbliche Faktor wird als wichtigste Ursache der Störung angesehen, erklärt sie jedoch nicht vollständig. So werden weiters soziale Ursachen und pränatale sowie frühkindliche Erfahrungen im wissenschaftlichen Diskurs auch als Teilerklärungen herangezogen.

Spuren bis ins hohe Alter Kinder, die an ADHS leiden, legen oft eine gewisse Impulsivität an den Tag. Das heißt, sie denken nicht an Konse­

quenzen ihres Handelns, akzeptieren ungern Belohnungsaufschübe und halten ihre emotionalen Reaktionen nur schwer im Zaum. Im Erwachsenenalter wandelt sich dieses Symptom, falls unbehandelt, in ein Verhaltensmuster um, das viele als unreif bezeichnen würden: „Studien zeigen, dass Betroffene beispielsweise zu Drogenkonsum, zu One­Night­Stands oder ungewollten Schwangerschaften neigen, oft typische ‚Mitläufer:innen‘ sind und sich im Alltag

AD(H)S

Die Störung geht nicht immer mit Hyperaktivität einher. Daher spricht man manchmal auch nur von ADS . In der neuen Klassifikation ICD-11 wird zwischen einem vorwiegend unaufmerksamen Subtyp, einem vorwiegend hyperaktiv-impulsiven Subtyp oder einer gemischten Form unterschieden.

„Es kann sein, dass man bei einem Kind die Anzeichen sehr spürt oder auch nur in geringem Maße.“

Martin Fuchs

RATGEBER FÜR ELTERN

1.

PERFEKTIONISMUS ADE!

Fehler bei der Erziehung sind normal. Hadern Sie nicht zu sehr mit sich selbst.

2.

KLARE REGELN

Sie müssen wissen, dass ADHS Ihr Kind daran hindert, sich selbst zu steuern. Es muss sich auf Sie, Ihre Regeln und Grenzen verlassen können.

3. POSITIVITY!

Eltern-Kind-Beziehungen

sind häufig sehr belastet. Versuchen Sie, so oft es geht, positive Erfahrungen mit Ihrem Kind zu sammeln, es zu loben und ihm zu zeigen, dass sie es mögen.

4. KONSEQUENZ

So sehr Sie bemüht sein sollten, Ihr Kind zu loben, müssen Sie bei Regelverstößen auch eine Konsequenz folgen lassen.

5.

ERZIEHUNG MIT WEITBLICK

Sie werden die Situationen, die für Ihr Kind besonders problematisch sind, schnell kennenlernen. Sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber und vereinbaren Sie klare Verhaltensregeln dafür.

häufiger verletzen. Sie treffen Entscheidungen im Leben oft aus dem Bauch heraus“, erklärt Fuchs, „auch wichtige wie Jobkündigungen oder Scheidungen.“

Andere Symptome lassen mit der Zeit nach, weil Betroffene merken, dass sie sozial nicht akzeptiert werden.

Einsicht ist … Um festzustellen, ob Kinder wirklich an ADHS leiden oder nicht, gilt es, ihr Verhalten über längere Zeiträume und in verschiedenen Situationen zu beobachten. Dafür können Erhebungsbögen für Eltern, Lehrpersonen und Betroffene hilfreich sein. „Parallel dazu gibt es computergestützte Tests, die bei der Diagnose helfen, ein klareres Bild zu bekommen. Leitlinien empfehlen, die potenziell Betroffenen auch körperlich abzuklären“, weiß der Kinder­ und Jugendpsychiater.

Die Diagnose sei wichtig, denn sie sei, wie so oft, der erste Schritt zur Besserung. „Die Kinder kommen in der Schule schwer voran, schaffen es kaum, Freundschaften zu schließen, und es ist kompliziert, ein geregeltes Familienleben aufzubauen.“ Dabei sei es nicht nur so, dass

Nur bei 5 bis 15 Prozent der betroffenen Kinder ist ADHS auch im Erwachsenenalter einwandfrei feststellbar.

Schätzungen zufolge leiden 2 bis 7 Prozent aller Kinder in Österreich an ADHS.

Etwa

2,5 Prozent der erwachsenen Allgemeinbevölkerung sind von ADHS betroffen.

Monotone, einförmige Aufgaben sind für Kinder mit ADHS eine Belastung, kreative Arbeiten und Tätigkeiten, die mit Bewegung zu tun haben, in den meisten Fällen nicht.

Juckender Ausschlag

Betroffene von Neurodermitis leiden unter Hautausschlag und starkem Juckreiz. Wodurch das Ekzem verursacht wird und wie es behandelt werden kann, erklären zwei Dermatolog:innen der Uniklinik Innsbruck.

text : Denis Pscheidl

Neurodermitis oder atopische Dermatitis ist eine chronische Hauterkrankung, die genetisch veranlagt ist und sich durch immer wiederkehrende Ekzeme auszeichnet. Das sind Stellen geröteter, schuppender, sehr trockener und vor allem juckender Haut. „Die Ursache liegt in einer Störung der sogenannten Hautbarriere“, erklärt Cornelia Gattringer, Dermatologin und Allergologin am Krankenhaus Innsbruck. „Das bedeutet, dass der Aufbau der Oberhaut – der Epidermis – gestört ist und es unter anderem zu einer verringerten Produktion von Hautfetten kommt, sodass die Haut austrocknet.“

Der starke Juckreiz entsteht, weil die sensiblen Nerven, die unseren Tastsinn ausmachen, in der neurodermitischen Haut vermehrt in die Oberhaut

einsprießen. „Wir haben also viel mehr Nervenenden als in der gesunden Haut“, sagt Norbert Reider, Oberarzt der Dermatologie und Venerologie in Innsbruck. „Das führt zu einer viel höheren Empfindlichkeit und Juckreizschwelle.“ Dabei gibt es verschieden starke Ausprägungen. Von vereinzelten Stellen bis hin zu großflächigen, schwer juckenden Ausschlägen.

Neurodermitis ist Teil der sogenannten atopischen Erkrankungen. Vereinfacht gesagt bedeutet das, dass eine

oä dr.in med. Cornelia Gattringer

Oberärztin an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie

„ Die Ursache liegt in einer Störung der sogenannten Hautbarriere.“

Cornelia Gattringer

© Oliver Schlesinger

Kleinkind mit Neurodermitis um die Mundpartie herum

angeborene Neigung zu Inhalationsallergien wie Pollen, Tierhaaren und Hausstaubmilben besteht.

Neurodermitis bei Kindern

Neurodermitis ist eine Erkrankung der Kinder. Je nach Ausprägung sind zwischen fünf und 20 Prozent der Säuglinge betroffen, meist im Kopf­ und Halsbereich und an den Armen. In rund der Hälfte der Fälle tritt die Krankheit im ersten Halbjahr nach der Geburt auf. „Die Chance, dass sich die Neurodermitis innerhalb von ein bis zwei Jahren herauswächst, ist jedoch hoch“, sagt Reider. In circa der Hälfte der Fälle verschwindet die Neurodermitis bis zum Schuleintrittsalter wieder.

Trotzdem greifen Eltern in ihrer Verzweiflung häufig zu Hausmitteln wie Milchbädern. „Damit kann man dem Kind mehr Schaden als Gutes tun“, gibt

Gattringer zu bedenken. „Man hat festgestellt, dass man bei Kindern mit Neurodermitis durch das Aufbringen von Lebensmittelallergenen auf die Haut eine Nahrungsmittelallergie induzieren kann.“

Neurodermitis bei Erwachsenen

WOHER

DER NAME

Heute weiß man dank der Grundlagenforschung, dass es tatsächlich eine Verbindung zwischen Nerve nf asern in der entzündeten Haut und Entzündungsmechanismen im zentralen Nervenoder Immunsystem gibt.

Was kann ich selbst tun?

WENIGER DUSCHEN

Von täglichem Duschen mit stark schäumenden Duschgels ist abzuraten, da so die schützende Fettschicht der Haut geschwächt wird. Bereits strapazierte Haut wird dadurch noch kaputter. Jeden zweiten Tag lauwarm duschen reicht völlig aus. Außerdem sollte man strapazierte Stellen nach dem Duschen gründlich eincremen.

CREMEN, CREMEN, CREMEN

Generell gilt: So viel eincremen wie möglich. Schwitzen, Schwimmen und Chlorwasser sind zwar grundsätzlich schlecht für Neurodermitiker, wer aber nicht darauf verzichten will, sollte die Haut zumindest möglichst gut pflegen und häufig eincremen.

URLAUB MACHEN

Bei entzündlichen Hauterkrankungen hilft Sonne. UV-Bestrahlungen werden bei Neurodermitis mit großem Erfolg eingesetzt. Ab ans Meer heißt also der Rat der Ärzt:innen, denn Salzwasser, Sonne und die allergenarme Luft wirken Wunder.

Verschiedene Umfragen haben gezeigt, dass der massive Juckreiz die Patient:innen am meisten belastet. Dieser führt teils zu schweren Schlafstörungen, was Probleme am Arbeitsplatz zur Folge haben kann. Außerdem verleitet es zum Kratzen, was sozial geächtet ist. Zusätzlich wirkt sich Neurodermitis negativ auf Partnerschaft und Hobbys aus. Jede Tätigkeit, die zum Schwitzen führt oder staubig ist, macht Probleme. Das gesamte private und berufliche Leben leidet darunter.

Auslöser für Schübe

Die Veranlagung für atopische Dermatitis ist von genetischen Defekten abhängig. Einzelne Neurodermitisschübe können jedoch durch eine Reihe von Umweltfaktoren ausgelöst werden. „Viele Patient:innen berichten, dass die Krankheit im Winter stärker auftritt“, erzählt Reider. Einerseits, weil die Luft sehr trocken ist, und andererseits, weil warme, lange Kleidung zu mehr Schweißbildung

führt und die Haut reizt. Schwitzen fördert generell die Bildung von Neurodermitisherden, genauso wie Stress.

„Es wird häufig beobachtet, dass Kinder Schübe kriegen, wenn sie in den Kindergarten kommen, oder Erwachsene bei Stress in der Arbeit“, so Reider. Es gibt also ein ganzes Spektrum an Umweltfaktoren, die Einfluss auf die Schwere der Schübe haben. Alles, was die Haut oder das Immunsystem stresst, kann zu einem Schub führen.

Durch die geschwächte Hautbarriere können sich Keime und Milben ungehindert vermehren und Neurodermitisschübe verschlimmern. Kratzen infolge des Juckens schwächt die Haut noch weiter, was einen Teufelskreis in Gang setzt, da das Jucken so nur noch verstärkt wird.

Diagnose von atopischer Dermatitis

„Ein einzelner Neurodermitisherd ist oft kaum von einer normalen Dermatitis, hervorgerufen zum Beispiel durch

Bei Erwachsenen tritt Neurodermitis meist in den großen Beugen auf.

Schwitzen, zu unterscheiden“, meint Gattringer. Es gibt keine Biomarker, weder labortechnisch noch sonstige, die zeigen, dass der Aufbau der Oberhaut gestört ist. „Deswegen wird die Diagnose klinisch gestellt“, so die Ärztin. „Dabei hilft uns die Krankengeschichte.“

Die Neurodermitis beginnt typischerweise sehr früh, oft im ersten Lebensjahr, ist chronisch und verläuft schubartig. Außerdem gibt es typische Stellen, an denen die Herde auftreten. Bei Säuglingen meist im Kopf­ und Halsbereich oder den Streckseiten der Arme und Beine, bei größeren Kindern und Erwachsenen im Bereich der großen Beugen wie Arm­ und Kniebeugen.

Behandlung von Neurodermitis

„Zwar ist atopische Dermatitis nicht heilbar, allerdings können viele Patient:innen mit der richtigen Therapie nahezu symptomfrei leben“, sagt Reider. Während bei leichten Fällen die Verschreibung einer Pflege­ und Kortison­

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oa ao. univ.-prof. dr. med. Norbert Reider Oberarzt an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie

salbe meist ausreicht, wird bei schweren Neurodermitiker:innen eine Licht­ oder Systemtherapie begonnen und besonders viel Wert auf die Anamnese gelegt, um mögliche Auslöser zu identifizieren. „Das Kernproblem ist, dass die Haut zu wenig Fett produziert und das, was produziert wird, von schlechterer Qualität ist. Das auszugleichen ist eine Grundaufgabe.“ Richtiges sportliches und berufliches Verhalten und Stressreduktion über entsprechende Entspannungstechniken sind bei

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„Alles, was die Haut oder das Immunsystem stresst, kann zu einem Schub führen.“

Norbert Reider

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Patient:innen mit schwerer Neurodermitis hilfreich. „Im Prinzip ist die Neurodermitis eine Stufentherapie. Zuerst beginnt man mit der Basispflege. Dann kommen wirkstoffhaltige Therapien wie Kortisonsalben“, sagt Gattringer. Dank der Grundlagenforschung, die die Mechanismen hinter der Neurodermitis, wie die Barrieredefekte in der Haut,

aufgedeckt haben, gibt es seit einigen Jahren zunehmend Medikamente in Spritzen­ oder Tablettenform, die hervorragend wirken und Patient:innen mehr oder minder dauerhaft erscheinungsfrei werden lassen. Das war vor zehn Jahren unvorstellbar.

„ Zwar ist atopische Dermatitis nicht heilbar, allerdings können viele Patient:innen mit der richtigen Therapie nahezu symptomfrei leben.“

Norbert Reider

Häufiges Eincremen ist das A und O der Hautpflege bei Neurodermitis.

Virtuell gegen die Angst

Virtual Reality erlaubt es Phobiker:innen, ihren Ängsten ins Auge zu blicken. An der Univ.-Klinik für Psychiatrie II hilft die Technologie Patient:innen, sich den Auslösern ihrer Phobien zu stellen und zu lernen, mit ihnen umzugehen.

text : Juliane Wieser

Mátyás Gálffy hilft, die VRBrille zurechtzurücken. Man schließt unwillkürlich die Augen, öffnet sie Sekunden später und blickt sich um: Vor den Bildschirmen der Brille erstreckt sich in der virtuellen Realität eine Großstadt. Der Facharzt für Psychiatrie schlägt vor, in einen Fahrstuhl einzusteigen. Tatsächlich: Dreht man sich um, entdeckt man einen Aufzug. Man tritt ein. Die Türen schließen sich, gefolgt von einem Summen. Als sie sich wieder öffnen, findet man sich im vierten Stock. Gálffy bittet darum, auszusteigen. Doch vor dem Lift erstreckt sich gähnende Leere, in die nur ein schmaler Holzbalken ragt. Links du, rechts davon geht es in die Tiefe.

Sichere Umgebung

In einer solchen computergenerierten Welt kann nichts passieren. Im Gegenteil: Unter der Betreuung von Dr. Gálffy gibt sie Phobiepatient:innen die Möglichkeit, sich ihren Ängsten zu stellen und ihnen virtuell ins Auge zu

dr., msc. Mátyás Gálffy Facharzt an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Psychiatrie II

Rund

15 Prozent der Österreicher:innen leiden an einer Angststörung.

Während der Pandemie stieg die Quote auf

20 Prozent, ist mittlerweile aber wieder gesunken.

Expositionstherapie zeigt meist nach rund

10 Sitzungen Wirkung.

Selbst nach der Therapie müssen sich Betroffene regelmäßig ihren Ängsten aussetzen, um den Effekt aufrechtzuerhalten.

blicken. Der Facharzt für Psychiatrie und ausgebildete Psychotherapeut arbeitet an der Abteilung für Psychiatrie II der medizinischen Universität Innsbruck. Gemeinsam mit dem VR­Spezialisten Konrad Gill arbeitet er daran, virtuelle Räume zur Behandlung von Phobien zu erschaffen. Diese Umgebungen dienen nicht nur dazu, angsteinflößende Situationen in sicherer Umgebung zu erleben, sondern auch, sich ihnen anzunähern und zu lernen, damit umzugehen. Um die Angst zu wecken, reicht oft der visuelle Eindruck. „Denn Phobien, sogenannte ‚gerichtete‘ Ängste, haben fast immer klar definierbare Auslöser“, erklärt Gálffy.

Angsttherapie in VR

Sich diesen Ängsten zu stellen, das funktioniert neuerdings auch in der virtuellen Welt. Der Vorteil dabei ist,

dass Personen, die beispielsweise unter Flugangst leiden, nicht extra in ein Flugzeug steigen müssen. Patient:innen bekommen eine VR­Brille, zwei Controller und gelangen so in eine digitale Welt, die auf das jeweilige Angstszenario zugeschnitten ist. „Die Anwendungen sollen irgendwann das gesamte Spektrum an gerichteten Ängsten abdecken können. Dazu bedarf es aber noch einiger Entwicklungen“, erklärt der Experte.

Einfacher Zugang

Derzeit können durch die Therapie in virtueller Form Phobien wie Höhen­, Spinnen­ oder Flugangst, aber auch Agora­ oder Klaustrophobie, also Angst vor weiten oder engen Räumen, bereits gut behandelt werden. „Die Behandlung sozialer Phobien erweist sich noch als schwierig, da es komplexer ist, die Mimik und den menschlichen

Angsteinflößende Eindrücke in einer sicheren, virtuellen Welt zu erleben, hilft Phobiker:innen, ihr Gehirn neu zu trainieren.

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zahlreiche Bachelor- und Masterprogramme sowie Weiterbildungs- und Spezialisierungsmöglichkeiten im Gesundheitsbereich an.

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Kontakt nachzubauen und zu simulieren“, berichtet Dr. Gálffy. Jedoch bringt die Therapie in der virtuellen Welt schon jetzt einige Vorteile. VR ist nur eines der technologischen Werkzeuge, die mittlerweile in der Psychologie Einzug halten, und sie hat Zukunft, ist Dr. Gálffy überzeugt: „Die Behandlung von Angststörungen in der computergenerierten Welt bringt den Vorteil, dass man jederzeit aus der Angstsituation ausbrechen kann. Zur Not kann die Brille einfach abgenommen werden.“

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„Phobien haben fast immer klar definierbare Auslöser.“

Mátyás Gálffy

Vorsicht statt Nachsicht

„In Zeiten erhöhter Stress- und Umweltbelastungen ist eine jährliche gesundheitliche Standortbestimmung von großer Wichtigkeit“, sagt Allgemeinmedizinerin Dr. Martina Handle. Was macht Sinn? Und was ist in welchem Alter ratsam? Wir haben einen Überblick.

text : Katharina Reitan

GebärmutterhalskrebsFrüherkennung

Vorsorgeuntersuchungen

Gesundenuntersuchungen stehen für alle Personen ab 19 Jahren einmal jährlich kostenlos zur Verfügung. Diesen allgemeinen Gesundheitscheck führen Hausärzt:innen oder Gesundheitszentren durch.

Ein Fokus bei der Vorsorgeuntersuchung liegt auf der Früherkennung von Herz-KreislaufErkrankungen (EKG, Blutdruck). Ein persönliches Risikoprofil wird erstellt. Überprüft werden Harn und Blutwerte auf Stoffwechselerkrankungen oder Diabetes. Ein aktueller Impfstatus wird erhoben. Die Haut sollte darüber hinaus zweimal jährlich (vor und nach den Sommermonaten) selbst auf Veränderungen untersucht werden.

Ab dem 20. Geburtstag sollte einmal jährlich im Rahmen der gynäkologischen Untersuchung der Krebsabstrich (PAP) zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs durchgeführt werden. Krebsabstrich und HPVTest sollen abwechselnd vorgenommen werden.

Brustkrebsvorsorge

Gynäkolog:innen tasten beim jährlichen Kontrolltermin die Brust gründlich ab, um Veränderungen oder Knoten ausschließen zu können. Mit der Mammografie der Brust können kleine Tumore, die noch nicht tastbar sind, festgestellt werden. Sie sollte ab dem 40. Geburtstag alle zwei Jahre durchgeführt werden. Frauen, in deren Familie Brustkrebs aufgetreten ist, werden ab dem 30. Lebensjahr zum Brustkrebs-Screening überwiesen.

dr. Martina Handle Ärztin für Allgemeinmedizin in Innsbruck-Mühlau

„Ich sehe meine Aufgabe im Gesundheitsmanagement.“

Martina Handle

Prostatauntersuchung

Männern ab dem 45. Lebensjahr wird zu einer jährlichen Prostatauntersuchung beim Urologen geraten, um möglichen Prostatakrebs im frühen Stadium zu erkennen. Sie umfasst die Tastuntersuchung durch den Arzt und den PSATest, selbst wenn keine Symptome spürbar sind.

Darm

Für Frauen ab den 50. und Männer ab dem 45. Lebensjahr ist eine Darmkrebsvorsorge mittels Koloskopie oder FIT-Stuhltest empfehlenswert. Sie sollte alle sieben bis zehn Jahre wiederholt werden.

40

Knochen

Um Osteoporose (Knochenschwund) auszuschließen oder bereits Vorstufen nachzuweisen (Osteopenie), wird eine Knochendichtemessung durchgeführt.

Augen und Ohren

Lunge

Ein Lungenfunktionstest (Spirometrie) macht besonders bei aktiven oder ehemaligen Raucher:innen Sinn.

Ab dem 40. Lebensjahr ist eine regelmäßige Messung des Augeninnendrucks ratsam, um G rünen Star rechtzeitig zu erkennen. Die Überprüfung des Sehund Hörvermögens ist ab dem 65. Lebensjahr wichtig. Wird nachlassende Hör- oder Sehleistung schnell erkannt, lässt sich die Lebensqualität älterer Menschen verbessern.

„In Zeiten erhöhter Stress- und Umweltbelastungen, meist verbunden mit Bewegungsmangel, ist eine jährliche gesundheitliche Standortbestimmung von großer Wichtigkeit.“

Martina Handle

FÜR MÄNNER AB

dGKp Armin Graber Seit 2016 Pflegedirektor der LandesPflegeklinik Tirol

Gepflegt in die Zukunft

Armin Graber, Pflegedirektor der Landes-Pflegeklinik Tirol, über den Pflegekräftemangel, das Image des Berufes und welche Veränderungen angegangen werden müssen.

interview : Philipp Buchacher

Herr Graber, befinden wir uns in einem Pflegekräftemangel?

Gesamtgesellschaftlich sehe ich einen Mangel, definitiv. Wir in der LandesPflegeklinik kommen derzeit mit dem uns zur Verfügung stehenden Personal insofern aus, als dass ich die zu belegenden Betten an den Pflegekraftmangel angepasst habe. Dahinter steckt der Pflegeschlüssel. Pro Pflegekraft habe ich einen Schlüssel von 1,4 belegten Betten. Dieses Verhältnis von Mitarbeiter:in zu pflegender Person muss gleich bleiben, um die Qualität zu halten und den Personalmangel nicht auf dem Rücken der Pflegenden auszutragen.

Das heißt, ich sehe das etwas differenzierter. Wenn ich weniger Personal zur Verfügung habe, werde ich dementsprechend weniger Betten belegen können. Können wir die Stellen aber nicht mehr nachbesetzen, weil es der Arbeitsmarkt nicht hergibt, wird auch der Pflegekräftemangel weiter allgemein spürbarer.

Was sind die Gründe für fehlendes Personal?

Hauptsächlich ist es eine demografische Entwicklung. Die Bevölkerungsschicht, die ihre Pension antritt, ist größer als jene, die neu ins Berufsleben einsteigt. Das trifft alle Branchen. Der Gesundheitsbereich ist aber durch die CovidSituation der letzten Jahre zusätzlich vorbelastet.

Wenn Mitarbeiter:innen fehlen, könnte dies an der Außenwirkung des Berufes liegen. Hat die Pflege Ihrer Meinung nach ein Imageproblem?

Es herrscht leider ein falsches Image vor. Die Pflege deckt die verschiedensten Bereiche ab, ist vielfältig und erlaubt einiges an selbstverantwortlicher Tätigkeit. Mit Selbstbewusstsein kann

man den tagtäglichen Stress zu einem Teil besser bewältigen. Den Belastungen stehen auch Ausgleichmöglichkeiten gegenüber. So haben etwa Pflegemitarbeiter:innen im Schichtdienst durch längere Dienste auch bei Vollzeit eine Dreieinhalb ­Tage­Woche.

„Die Pflege deckt die verschiedensten Bereiche ab, ist vielfältig und erlaubt einiges an selbstverantwortlicher Tätigkeit.“

Armin Graber

Was muss getan werden, um den Beruf attraktiver zu machen?

Man muss alles in Bewegung setzen, um die schönen und menschlichen Seiten der Pflege stärker aufzuzeigen. Es soll klarer kommuniziert werden, dass die Herausforderung der tagtäglichen Arbeit nicht nur Belastung, sondern auch Erfüllung ist. Wenn ich nach meiner Schicht nach Hause gehe und ich habe meine Herausforderung gestemmt, dann löst das ein gutes Gefühl in mir aus. Dann weiß ich, da bin ich im richtigen Job.

Laut Expert:innen wird das Thema Langzeitpflege, also eine Betreuung rund um die Uhr, in den kommenden Jahren immer wichtiger. Ist das System dafür gewappnet?

Das System ja, aber die Mitarbeiter:innen fehlen. Zusätzlich zu den Akutbetten haben wir in Tirol ca. 6.400 Pflegebetten. Wenn es uns gelingt, genügend Personal zu gewinnen, kommen wir in den nächsten Jahren gut über die Runden.

Wird sich die Art, wie gepflegt wird, mit fortschreitender Alterung der Gesellschaft ändern?

Ich denke, dass die häusliche Pflege noch wichtiger wird und mehr unterstützt werden muss. Da sollte man den

Die Pflegereform

2022 stellt die Bundesregierung eine Pflegereform vor. Rund eine halbe Milliarde Euro wurden für die Jahre 2022 und 2023 in Aussicht gestellt und ein 20 Maßnahmen umfassendes Paket geschnürt. Unter anderem sollen bereits Auszubildende finanziell entlohnt werden. Auch der Rechtsanspruch auf Pflegekarenz wird bei Betriebsvereinbarung oder Kollektivvertrag erweitert. Die Pflegelehre soll im Herbst 2023 an den Start gehen. Zusätzlich will das Land Tirol bis 2024 weitere 27 Millionen Euro in die Sparte investieren.

pflegenden Angehörigen nicht nur mehr Kompetenzen zutrauen, sondern auch mehr finanzielle Anreize an die Seite stellen.

Das heißt, die häusliche 24-StundenBetreuung ist ein Punkt, den man reformieren sollte?

Die aktuelle Situation ist pflegerisch definitiv eine Grauzone und ein Bereich, der weitergedacht werden muss. So sollten die Bereiche Arbeitsbedingungen, Finanzierung und Bezahlung der Betreuungskräfte überdacht werden. Neben der Grundausbildung benötigt es parallel eine Schulung, um medizinische Grundkenntnisse vermittelt zu bekommen. Aber auch andere Bereiche sollten reformiert werden. So muss etwa eine vernünftige Freizeit gegeben sein.

2022 hat die Bundesregierung eine Pflegereform an den Start gebracht ... Das ist ein erster richtiger und wichtiger Schritt, der unternommen wurde. Auch die Einführung einer Pflegelehre ist ein guter Weg, um junge Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern.

„Pflegemitarbeiter:innen im Schichtdienst haben durch längere Dienste auch bei Vollzeit eine Dreieinhalb-Tage-Woche.“

Armin Graber

Die von der Bundesregierung geplanten Investitionen von über einer halben Milliarde Euro sind hier also ein erster Schritt? Generell müssen wir finanziell konkurrenzfähig zu allen anderen Berufssparten bleiben. Die Investitionen sind der erste Schritt, aber es werden weitere notwendig sein. Eine entsprechende Unterstützung während der Ausbildung ist etwa ebenso wichtig.

Wo können Bund und Land ansetzen, um die Pflege attraktiver zu machen? Vonseiten der Politik müssen Ausbildungswege ermöglicht und Umstiegsmöglichkeiten aus anderen Berufen

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GUT LEBEN MIT DEMENZ

Wir unterstützen mit kostenloser Beratung, Mobiler Demenz-Betreuung und unserem Demenzhilfefonds.

erleichtert werden. Damit können Anstellungen auf allen Ebenen verbessert werden. So würde man jungen und generell willigen Menschen den Ein­ und Umstieg in den Pflegeberuf ermöglichen.

Gibt es weitere Reformen, die umgesetzt gehören? Man müsste, um den Pflegebereich zu stärken, ernsthaft darüber nachdenken, ob man nicht bundesweit eine Pflegekammer installiert. Das würde uns helfen, insbesondere mit der Ärztekammer auf derselben Ebene zu verhandeln. In der Praxis funktioniert das zwar schon ganz gut, aber auf Kammerebene ist noch keine Augenhöhe erreicht.

152.000

Personen arbeiten in der Pflege 70.000 in der Langzeitpflege

Knusprige Kartoffeln und Co.

Am Abend auf der Couch oder mit Freund:innen zu einem Glas Wein - bei Chips und Co. können viele nicht nein sagen. Gerne wird daher vermehrt zu vermeintlich vollwertigeren Alternativen gegriffen. Aber sind die wirklich gesünder?

text : Anna Kirchgatterer

Bewusster

essen

„Essen ist bei uns nur mehr Nebenbeschäftigung“, kritisiert Trenkwalder-Prantl.

Sie rät, Knabbergebäck und Süßigkeiten in eine Schüssel zu geben und eventuell abzuwiegen, um einen besseren Überblick

über den Konsum zu haben. Am besten sei es außerdem, gleich gar nicht so viele Snacks zu Hause zu haben.

Und das Wichtigste: sich kurz Zeit für die Zwischenmahlzeit nehmen und die Portion bewusst genießen.

Jede:r kennt das, man sitzt vor dem Fernseher mit einer Packung Chips und irgendwann greift man rein und fragt sich, wer die gegessen hat, weil die Packung leer ist“, veranschaulicht Birgit Trenkwalder­Prantl von der fh gesundheit. Sie lehrt im Bachelorstudiengang Diaetologie und ist auch in der Forschung tätig. Problematisch beim Snacken sei nämlich vor allem, dass die vermeintlich „kleine Mahlzeit“ nicht bewusst, sondern nur nebenbei gegessen wird. Dabei handle es sich um ein allgemeines Problem unserer Zeit – Essen sei zur Nebenbeschäftigung geworden.

Intensiver und besser Allein das ist aber nicht der Grund, warum man bei Chips nicht mehr aufhören kann zu essen. „Chips haben einen relativ hohen Salz­ und Fettgehalt, das sind Parameter, die sicherstellen, dass etwas gut schmeckt.“ Trenkwalder­Prantl stellt klar: Knabbereien sind Genussmittel, die gelegentlich in Maßen verzehrt werden können, sie sind aber kein Produkt, das der Körper braucht.

Dazu kommt, dass in handelsüblichen Produkten oft Geschmacksverstärker zu finden sind. Manche Marken geben diese in der Zutatenliste explizit als Geschmacksverstärker Mononatri­

umglutamat an, andere helfen sich mit Zutaten, – wie zum Beispiel Hefeextrakt. Das ist zwar aus rechtlicher Sicht kein Geschmacksverstärker, trotzdem sorgt die Zutat dafür, dass Produkte intensiver und besser schmecken. Es gilt also: deklariert oder nicht – Geschmacksverstärker machen Lust auf mehr.

Handel und Hersteller haben inzwischen längst erkannt, dass Konsument:innen auf der Suche nach gesünderen Alternativen sind. Im Supermarktregal finden sich Chips aus Gemüse und Hülsenfrüchten, wie Kichererbsen oder Linsen. Sind diese also die bessere Wahl?

Trügerische Alternativen

„Die Werbung ist natürlich recht intelligent gestaltet, aber am Ende des Tages sind das genauso Knabberprodukte, die weiterhin einen hohen Energiegehalt

Birgit Trenk walderPrantl BSc MSc, Diaetologin in Forschung und Lehre an der FH Gesundheit

REZEPT

Gemüsechips

Für die fettarmen, selbst gemachten Gemüsechips aus der Mikrowelle können Karotten, Kartoffeln, Kohlrabi oder anderes festes Gemüse verwendet werden.

Du brauchst:

· Gemüse

· Olivenöl

So geht’s:

1. Das Gemüse so dünn wie möglich schneiden - im Idealfall mit einem Gemüsehobel - und auf einem Backpapier auflegen. Das Papier sollte circa gleich groß sein wie der Mikrowellenteller.

2. Die Scheiben mit Öl besprühen und mit Backpapier bedecken.

3. Das Ganze kommt für 3½ Minuten bei 900 Watt in die Mikrowelle.

4. Bei Bedarf kann man die Chips ein kleines bisschen salzen. Fertig!

liefern“, so Trenkwalder­Prantl über die vermeintlich gesünderen Alternativen. Sie hat auch ein Beispiel parat: 100 Gramm Kartoffelchips haben im Schnitt 536 Kilokalorien, in 100 Gramm Chips aus Hülsenfrüchten verstecken sich durchschnittlich 439 Kilokalorien. Das ist zwar im Schnitt eine Kalorienersparnis von 18 Prozent, trotzdem können die

früchtealternative umzustellen. Außerdem sind diese aufgrund des hohen Ballaststoffgehalts schwerer verdaulich und führen in größeren Mengen genossen zu Blähungen.

„Wenn jemand Gemüse oder Obst mag, dann macht es Sinn, ein bisschen was aufzuschneiden und beim Fernsehen zu essen. Zum Beispiel Karotten,

neuesten Chipsalternativen nicht als gesunde Alternative bezeichnet werden. „Interessierte finden durchaus käufliche Chipsalternativen, die gesünder sind und weniger Fett sowie Salz enthalten. Ob diese geschmacklich überzeugen, ist eine andere Frage.“

Problematisch ist außerdem der hohe Salzgehalt – sei es bei Kartoffel­, Hülsenfrüchte­ oder Gemüsechips. „Die Zufuhrempfehlung für Natriumchlorid liegt bei 5 Gramm pro Tag. Werden 100 Gramm konventionelle Kartoffelchips gegessen, ist dort 1 Gramm Salz enthalten.“ Gemüsechips haben im Durchschnitt 0,7 Gramm, Hülsenfrüchtechips 1,5 Gramm Salz pro 100 Gramm. Für Menschen mit hohem Blutdruck mache es also wenig Sinn, auf die Hülsen­

Gurken, Radieschen, Äpfel, Cocktailtomaten oder Kohlrabi.“ Es sei ein Trugschluss, zu glauben, man tue sich etwas Gutes, wenn man statt Kartoffelchips zu jenen aus Gemüse greift.

Genießen ohne schlechtes Gewissen Auch Knabbergebäck­Varianten mit einem höheren Anteil an Protein fallen in Trenkwalder­Prantls Bewertung durch. Zwar enthalten diese tatsächlich mehr Protein – nämlich mindestens doppelt so viel –, das macht die Chips aber nicht wesentlich gesünder. „Das ist einfach ein Marketinggag“, erklärt die Diätologin.

Und wie oft und wie viel darf gesnackt werden? „Dafür gibt es keine Pauschalantwort.“ Das sei abhängig davon, wie viel sich jemand im Alltag

für einen gesunden Snack

„Chips haben einen relativ hohen Salz- und Fettgehalt, das sind Parameter, die sicherstellen, dass etwas gut schmeckt.“

Birgit Trenkwalder-Prantl

Der gesündeste Snack: einfach ein bisschen Gemüse aufschneiden

bewegt, wie gut der Körper die Nahrungsenergie verwertet und wie groß die Hauptmahlzeiten sind. „Grundsätzlich sind Hunger und Sättigung physiologisch normale Reaktionen des Körpers. Sie zeigen an, ob der Körper genug Energie hat oder noch etwas braucht. Wenn jemand ständig Hunger hat, obwohl gegessen wurde, ist das, was konsumiert wurde, vielleicht von schlechter Qualität.“

Und grundsätzlich gilt: „Wenn man Lust auf eine bestimmte Sache hat, sollte man überlegen, warum das so ist. Sind die Gründe Stress oder Frust, will man sich belohnen, etwas essen, weil man tatsächlich hungrig ist oder weil es schmeckt? Wenn die Antwort Letzteres ist, ist es in Ordnung, Chips, Schokolade oder Kuchen zu essen. Das sollte man aber bewusst machen und sich danach denken: ,Das hat jetzt gut geschmeckt und jetzt bin ich zufrieden.‘ “ Denn Genießen sollte man mit einem guten Gefühl, egal ob der Snack gesund oder ungesund ist.

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Tel:0512/5331-7130

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Unter Stress

Egal, ob jung oder alt - Cortisol hat zahlreiche lebenswichtige Funktionen im Körper. Wie die Wirkung dieses Hormons speziell bei Kindern ausschaut und welche Folgen ein Mangel oder Überschuss haben kann, erklärt Kinder- und Jugendfacharzt Klaus Kapelari.

Ein lautes Gewitter, plötzlicher Lärm, Hunger, ein schneller Sprint, Krach mit der großen Schwester oder eine sich anbahnende Erkältung – solche Situationen können für Kinder Stress bedeuten und den Körper in Alarmbereitschaft versetzen. Die Stressfaktoren setzen innerhalb kürzester Zeit eine Reihe von komplexen Prozessen in Gang, damit der Körper auch in der Ausnahmesituation voll funktionsfähig

bleibt. So werden etwa das Herz­Kreislauf­System aktiviert, weniger dringliche Prozesse wie die Verdauungsaktivitäten heruntergefahren.

Wichtige Wirkung

Auch Stoffwechselvorgänge, die im Ruhezustand für die Versorgung der Zellen sorgen, werden eingebremst. „Wenn man unter Stress ist, muss auch der Stoffwechsel auf ein anderes Programm umschalten“, erklärt Klaus Kapelari,

text : Eva Schwienbacher | illustration : Monika Cichoń

Facharzt am Department für Kinderund Jugendheilkunde der Universitätsklinik Innsbruck, „der Körper muss selbst dafür sorgen, dass für den gesteigerten Bedarf ausreichend Energie bereitgestellt wird“. In diesem Zusammenhang kommt Cortisol ins Spiel.

„Das im Volksmund als Stresshormon bezeichnete Cortisol sorgt dafür, dass der Körper in Stresssituationen mit ausreichend Energie aus den Speichern unseres Körpers versorgt wird“, erklärt Kapelari. Es bewirkt die Umstellung auf den sogenannten katabolen Stoffwechsel, das heißt, „der Körper greift unter

HORMONE: CORTISOL

anderem auf den Glykogenspeicher, den er im Ruhezustand gefüllt hat, zurück“. Cortisol fördert zudem die Herstellung von Glucose aus Eiweiß und ihre Abgabe ins Blut, der Blutzuckerspiegel steigt.

Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde Leiter der Endokrinologie an der Pädiatrie I an der Innsbrucker Univ.-Klinik für Pädiatrie I

Aufgrund dieser Funktion wird Cortisol auch zu den Glucocorticoiden gezählt – wobei sich Gluco auf Zucker und Corticoid auf die Nebennierenrinde, wo das Hormon produziert wird (siehe Factbox), bezieht. Seine Funktionen in unserem Körper sind vielfältig, so beeinflusst es beispielsweise auch die Immunreaktion, der wichtigste Mechanismus ist jedoch das Stressmanagement.

Außer Balance

Der Cortisolspiegel in unserem Blut ist Schwankungen unterworfen. „Der Cortisolwert folgt einem natürlichen Tagesrhythmus“, erklärt der Experte. „Am höchsten ist er in der Früh beim Aufwachen nach einem Tief in der Nacht.“ Um die Cortisolkonzentration im Blut zu bestimmen, wird der Botenstoff am Morgen gemessen. Eine Messung des Cortisolspiegels kann etwa in der Diagnose einer Störung sinnvoll sein. Denn ein Überschuss oder Mangel an Cortisol kann verschiedene Krankheiten verursachen.

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„Mittlerweile setzt man Cortisol sehr gezielt ein. Dann ist es ein Segen und in vielen Fällen lebensrettend.“

Klaus Kapelari

WICHTIGE STRESSZENTRALE

Beide Nieren besitzen am oberen Ende ein kappenförmig aufsitzendes Organ, die sogenannten Nebennieren. Diese werden unter dem Einfluss des Nervensystems und der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) ins Stressmanagement des Körpers eingebunden. Der äußere Teil der Nebenniere, die Nebennierenrinde, ist für die Produktion von über 40 Hormonen, darunter auch das Cortisol, zuständig.

Gesteuert wird die Cortisolproduktion über die Hirnanhangdrüse, die unter Stress vermehrt ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) ausschüttet. Dieses wird über die Blutbahn zur Nebenniere transportiert, wo es dann zur Bildung und Ausschüttung von Cortisol kommt.

CORTISOL ODER CORTISON?

Umgangssprachlich werden Cortisol und Medikamente mit Cortisolwirkung, wie Urbason, Prednisolon oder Dexamethason, häufig als Cortison bezeichnet, was allerdings nicht korrekt ist. Cortison gibt es zwar, dabei handelt es sich aber um eine inaktivierte Form von Cortisol im Körper.

Eine Erkrankung, die mit einem dauerhaft erhöhten Cortisolwert einhergeht, ist beispielsweise das sogenannte Cushing­Syndrom. „Bei Menschen mit Cushing­Syndrom lagert sich meist übermäßig viel Fett im Rumpfbereich an, während die Extremitäten schlank bleiben“, erklärt Kapelari. „Außerdem haben sie ein großflächiges, rundes Gesicht.“ Charakteristisch für die Krankheit bei Kindern ist außerdem eine Störung des Wachstumsverlaufs: Während das Gewicht steigt, bleibt das Wachstum stehen. „Ein Kind wächst typischerweise sehr viel. Wenn es zu viel an Cortisol hat, wächst es allerdings nicht mehr und nimmt aufgrund des gesteigerten Stoffwechsels zu.“ Gründe für die erhöhte Cortisolausschüttung können beispielsweise eine Überproduktion durch die Nebennierenrinde sein oder ein Tumor der Nebenniere. Das Cushing­Syndrom sei bei Kindern jedoch extrem selten, betont der Arzt. Viel häufiger steckten hinter Gewichtsproblemen von jungen Menschen falsche Ernährung und Bewegungsmangel.

Zu wenig Cortisol

Eine weitere angeborene Erkrankung, die hingegen auf einen Cortisolmangel zurückzuführen ist, ist das Adrenogenitale Syndrom. Der mehrstufige Pro

zess, der für die Cortisolausschüttung

zuständig ist, ist dabei gestört. Es kann bei Neugeborenen zu einem lebensbedrohlichen Salzverlust kommen, bei Mädchen außerdem zu einer Vermännlichung der äußeren Genitale, da als Folge der Störung die männlichen Hormone aus der Nebenniere ansteigen. Beim Neugeborenenscreening, bei dem jedes in Österreich geborene Baby kurz nach der Geburt auf seltene angeborene Erkrankungen untersucht wird, können lebensgefährliche Komplikationen durch eine rechtzeitige Diagnose vermieden werden.

„Dank frühzeitiger Kenntnis der Erkrankung können betroffene Kinder entsprechend behandelt und die Auswirkungen des Cortisolmangels durch Hormongabe verhindert werden“, weiß Kapelari. Die Einnahme des künstlich hergestellten Hormonpräparats, das dem körpereigenen Cortisol sehr ähnlich ist, ist lebensrettend und bleibt ein Leben lang erforderlich. Während in den

„ Mittlerweile setzt man Glucocorticoidpräparate sehr gezielt ein. Dann ist es ein Segen und in vielen Fällen lebensrettend.“

Klaus Kapelari

ersten Lebensjahren die Erziehungsberechtigten dafür geschult werden, können größere Kinder selbst lernen, wann und wie viel sie Cortisol benötigen.

Ein Schlüsselmedikament

Neben diesem gibt es noch viele weitere Anwendungsbereiche für Medikamente mit Cortisolwirkung, zum Beispiel bei bestimmten Nieren­ und Darmerkrankungen oder Rheuma. Dass solche Medikamente aus Angst vor Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme bei Eltern oft

auf Ablehnung stoßen, liege laut Kapelari daran, dass früher häufig sehr hohe Dosierungen eingesetzt wurden. Heute jedoch – seit rund 50 Jahren werden Glucocorticoide, also cortisolhaltige Medikamente, therapeutisch eingesetzt –ist die Angst davor unbegründet, beruhigt der Mediziner, vorausgesetzt das Medikament wird richtig angewandt. „Mittlerweile setzt man Glucocorticoidpräparate sehr gezielt ein. Dann ist es ein Segen und in vielen Fällen lebensrettend.“

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