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Springer und Trainer: Stefan Kraft und Andreas Widhölzl im Interview.
INTERVIEW IM BANN DES GOLDENEN ADLERS
Andreas Widhölzl (45) und Stefan Kraft (28) haben die Vierschanzentournee bereits gewonnen. Jetzt wollen sie diesen Triumph wiederholen. Der eine als ÖSV-Cheftrainer, der andere als Österreichs bester Skispringer der Gegenwart. Vor der 70. Auflage der bekanntesten Skisprungserie der Welt haben wir mit den beiden gesprochen.
Das Interview führte Bernhard Foidl. Fotos: Franz Oss
STEFAN KRAFT + ANDREAS WIDHÖLZL W
as macht für euch die Faszination der Vierschanzentournee aus?
Andreas Widhölzl: Einerseits ist die Tournee Tradition pur, andererseits ist es der Reiz, in wenigen Tagen auf allen vier Schanzen liefern zu müssen.
Stefan Kraft: Selbst Menschen, die sonst wenig Interesse am Skispringen zeigen, kennen die Vierschanzentournee. Man merkt bereits im Vorfeld den Rummel und das große mediale Interesse. Aber auch, was das mit einem selbst macht. Es entsteht eine besondere Anspannung, die ein spezielles Feuer in mir entfacht. Es ist Jahr für Jahr der erste Saisonhöhepunkt, den jeder gewinnen will.
Stefan, die Fans freuen sich auf Spitzensport rund um den Jahreswechsel. Als Athlet sieht Erholung mit vier Springen in zehn Tagen vermutlich anders aus.
Kraft: Mir taugt es, wenn es Schlag auf Schlag geht. Dafür trainieren wir den ganzen Sommer. Wenn du gut springst und im Flow bist, dann blendest du rundherum alles aus und schwimmst auf einer Welle. Schwierig wird es, wenn du dir gerade schwertust. Dann hat man aber zumindest die Chance, gleich am nächsten Tag wieder auf der Schanze zu stehen.
Andreas, welche Kindheitserinnerungen hast du an die Tournee?
Widhölzl: Ich habe mit sieben Jahren mit dem Skispringen begonnen. Die Tournee hat schon als Kind eine große Faszination auf mich ausgeübt. Wir hatten ja nur ORF 1 und 2, die Tournee war immer ein Fixpunkt. Meine Vorbilder waren Ernst Vettori, Andi Felder und Matti Nykänen.
Und deine Erinnerungen, Stefan?
Kraft: Ich bin immer zuschauen gegangen. Das Finale in Bischofshofen war ja bei mir um die Ecke. Ich kann mich auch noch gut erinnern, wie der Swida (Andreas Widhölzl) gesprungen ist. Ich bin damals immer in der Mitte vom Hang gestanden und habe mich gefragt, wie er es schafft, so flach rauszukommen und dennoch so weit zu hupfen. Er hatte schon einen speziellen Sprungstil (lacht). Auch an den Sieg von Wolfgang Loitzl kann ich mich gut erinnern. Später war ich dann Vorspringer.
Wer waren deine Kindheitsidole?
Kraft: Janne Ahonen hat mir früher sehr gut gefallen. Er hat zwar nicht mein Gemüt, aber ich habe seine Coolness bewundert. Simon Ammann hat mich hingegen aufgrund seiner lustigen Art fasziniert. In meiner ersten richtigen Springerphase war dann Thomas Morgenstern mein Vorbild.
Welche von den vier Schanzen ist dir die liebste?
Kraft: Da tue ich mich schwer, weil es zwei gibt, Oberstdorf und Bischofshofen. In Oberstdorf fühle ich mich sehr wohl und da funktioniert es meistens auch sehr gut. Bischofshofen ist meine Heimat und die Schanze etwas ganz Besonderes. Zudem liegt sie mir.
„Mir taugt es, wenn es Schlag auf Schlag geht.“
Stefan Kraft
Vor der Fotogalerie im „Springerstüberl“
des Innsbrucker Bergiselstadions schwelgten die beiden ÖSV-Tourneesieger in Erinnerungen.
Andreas Widhölzl
ANDREAS WIDHÖLZL
TOURNEESIEGER 1999/00
ENDSTAND: 1. Andreas Widhölzl (AUT) 987,8 2. Janne Ahonen (FIN) 963,5 3. Martin Schmitt (GER) 960,5
ZUR PERSON:
Der gebürtige Fieberbrunner Andreas Widhölzl (45) zählte rund um die Jahrtausendwende zu den erfolgreichsten Skispringern. Zu den größten Erfolgen des 18-fachen Weltcupsiegers zählen der Sieg bei Vierschanzentournee 1999/00 sowie seine Team-Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen (Turin 2006) und der WM in Oberstdorf (2005). Im Frühjahr 2020 trat der dreifache Familienvater die Nachfolge von Andreas Felder als Cheftrainer der ÖSV-Adler an.
Andreas, wie schaut das bei dir aus?
Widhölzl: Das ist schwer zu sagen, weil von den Schanzen, wie ich sie als Springer kenne, außer Bischofshofen alle umgebaut wurden. Für mich war aber ohnehin Bischofshofen die Lieblingsschanze, weil sie meinem Stil am meisten entgegengekommen ist. Gar nicht gefallen hat mir die alte Schanze in Garmisch. Da habe ich mir die Tournee oft verhaut. Dass ich dort einmal gewinnen konnte, ist fast schon meine größte Karriereleistung (lacht).
Sprechen wir über eure Siege. Andreas, du bist 1999 beim Auft aktspringen in Oberstdorf Dritt er geworden und hast danach alles gewonnen. Warst du in der Form deines Lebens?
Widhölzl: Das ist ein bisserl passiert. Ich war vorher öft er zwischen Platz drei und sechs klassiert. Zum Sieg hat es aber nie gereicht. Das war vielleicht mein Glück. Ich bin als Außenseiter in die Tournee gestartet, und die Erwartungshaltung war nicht so hoch. Im Fokus standen andere, wie der damalige Topfavorit Martin Schmitt , der auch den Auft akt gewonnen hatt e.
Dann kam dein großer Auft ritt .
Widhölzl: Ich kann mich noch gut erinnern. Schmitt hat damals mit großem Vorsprung vor Goldi (Andreas Goldberger) und mir gewonnen. Bei der Sieger-Pressekonferenz hat sich alles nur um Martin Schmitt gedreht. Der Hype um ihn war riesig und für die Medien war dessen Sieg schon vorgezeichnet. Goldi und ich sind dagesessen wie zwei „Dodl“. Wir wurden richtig ignoriert, das hat mich schon ein bisschen angezipft . Zum Abschluss habe ich gesagt: „Liebe Leute, freut euch nicht zu früh. Ich glaube nicht, dass er gewinnt.“ Schon in Garmisch hat sich das Blatt gewendet.
Am Ende hatt est du satt e 25 Punkte Vorsprung auf Janne Ahonen.
Widhölzl: Nach meinen Siegen in Garmisch und Innsbruck habe ich gewusst, das nimmt mir keiner mehr weg. Vom Kopf her war ich relativ entspannt, dennoch war ich vor dem letzten Sprung unglaublich nervös. Da weißt du, es geht um alles, passieren darf nichts. Ich bin dennoch voll auf Angriff gesprungen. Das war mein Naturell als Athlet.
Kannst du dich noch an deinen Siegerpreis erinnern?
Widhölzl: Natürlich, das war ein cooler Audi TT quatt ro. Da war ich aber gerade beim Hausbauen und hatt e zwei kleine Kinder. Einmal habe ich Material fürs Verputzen geholt, das war die einzige Fahrt. Ich habe es dann verkauft und gegen ein Familienauto eingetauscht.
Stefan, du hast in der Saison 2014/15 gewonnen. Deine Erinnerungen?
Kraft : Das war ähnlich wie beim Swida (Andreas Widhölzl). Ich war vorher konstant, aber nie ganz vorne. Dann ist mir so richtig der Knopf aufgegangen. Bei dieser Tournee habe ich vom ersten Probedurchgang an immer genau gewusst, was zu tun ist. Aus meinem ersten Weltcupsieg beim Auft aktspringen ist ein richtiger Flow entstanden.
Am Ende hatt est du sechs Punkte Vorsprung vor deinem Freund Michael Hayböck.
Kraft : Ich bin eigentlich mit einem guten Polster nach Bischofshofen gereist. Ich wusste aber, das ist Michis Lieblingsschanze. Er hat das Training und die Quali gewonnen und mir pro Sprung immer zehn Punkte abgenommen. Dann hat er vor dem Bewerb auch noch einen neuen Anzug be-
„Bei der Tournee gibt es keinen Zufallssieger.“
Andreas Widhölzl
kommen. Da bin ich noch einmal nervös geworden und war im Wett kampf auch immer etwas zu spät. Am Ende hat er das Springen gewonnen und ich als Tagesdritt er die Tournee – ein genialer Tag für unser Team.
Wie habt ihr damals gefeiert?
Widhölzl: Ich habe am Finaltag gemerkt, dass ich mich etwas krank fühle. Nach dem Springen, als der ganze Druck der Tourneetage, in denen man gefühlt ständig auf 180 ist, plötzlich abfi el, waren meine Reserven aufgebraucht. Ich hatt e mich schon so auf die Feier gefreut, aber dann bekam ich Fieber und mir hat nicht einmal das Bier geschmeckt. Ich bin dann gleich ins Bett .
Stefan, wie war es bei dir?
Kraft : Wir haben in der Oberforsthof-Alm richtig gefeiert. Ich wusste, dass ich nur noch einen Termin vor mir hatt e. Um sieben
Andreas Widhölzl
Uhr in der Früh musste ich Wolfi Eichinger von Ö3 ein bereits traditionelles Siegerinterview geben. Das war nach nur zwei Stunden Schlaf eine echte Challenge (lacht).
Widhölzl: Dafür konnte ich bei Kraft is Sieg ordentlich mitfeiern. Das war in meinem zweiten Jahr als Co-Trainer und ich musste ja auch kein Interview geben (lacht).
Andreas, was macht es aus deiner Sicht so schwer die Tournee zu gewinnen?
Widhölzl: Bei der Tournee gibt es keinen Zufallssieger, weil du vier Mal gut springen musst. Man darf sich in diesen zehn Tagen keinen Fehler erlauben. Man kann zwar auf jeder Schanze gewinnen, gleichzeitig aber auch bei jeder Station die Tournee verlieren. Dadurch bleibt es bis zum Schluss spannend. Vom Prestige her ist diese Serie mit nichts im Weltcup zu vergleichen. Deshalb ist es für viele ein großes Karriereziel, die Tournee zu gewinnen.
Erinnern wir uns zurück an Thomas Diethart, der in der Saison 2013/14 wie „Phönix aus der Asche“ erschien und die Tournee gewann. Stefan hältst du so etwas wieder für möglich?
Kraft : Nein, ich glaube, so etwas wie bei Didl wird sich nicht so schnell wiederholen.
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STEFAN KRAFT
TOURNEESIEGER 2014/15
ENDSTAND: 1. Stefan Kraft (AUT) 1.106,7 2. Michael Hayböck (AUT) 1.100,7 3. Peter Prevc (SLO) 1.077,2
ZUR PERSON:
Stefan Kraft (28) ist mit 21 Weltcupsiegen der erfolgreichste aktive ÖSV-Springer. Der aus Schwarzach im Pongau stammende Überflieger ist zweifacher Gesamtweltcupsieger (2016/17 und 2019/20), dreifacher Einzelweltmeister (2x Lahti 2017, Oberstdorf 2021) und zweifacher Skiflug-Gesamtweltcupsieger (2016/17 und 2019/20). Neben der Vierschanzentournee (2014/15) gewann Kraft auch die Raw Air Tour (2017) und hält zudem mit 253,5 Metern den Skiflugweltrekord.
Bei der Tournee gibt es ja auch immer eine Art Ländermatch-Stimmung. Andreas, wie war das in deiner aktiven Zeit gegen Martin Schmitt oder Sven Hannawald?
Widhölzl: Das Duell Österreich gegen Deutschland stand früher sicher noch mehr im Vordergrund als heute. Beim Finale in Bischofshofen sind die deutschen Springer nicht immer freundlich empfangen worden, da ging es teilweise schon sehr hitzig her. Unter den Athleten gab es aber nie schlechte Stimmung.
Wie empfindest du das, Stefan?
Kraft: Gerade bei meinem Tourneesieg haben die Medien dieses Duell hochgeschaukelt. Da gab es dann auch interne Wetten. Im Zimmerduell mit Severin Freund und Richard Freitag haben Michi (Hayböck) und ich jedenfalls eine Kiste Bier gewonnen.
Stefan, dein Sieg war damals der siebente ÖSV-Erfolg in Serie, bis dato aber auch der letzte. Wie optimistisch bist du, dass es heuer wieder klappen könnte?
Kraft: Wir haben zu Saisonbeginn gesehen, dass wir über ein starkes Team verfügen, auch wenn das die Ergebnislisten nicht immer widergespiegelt haben. Eine geschlossene, coole Truppe ist auf jeden Fall die Basis. Dann kann es gut passieren, dass zumindest einer gut durchkommt.
Und was sagt der Cheftrainer?
Widhölzl: Ich finde, es wird von Jahr zu Jahr schwieriger, denn das Feld rutscht international mehr und mehr zusammen. Dadurch gibt es mittlerweile viele Kandidaten, die um den Sieg mitspringen können.
Was ist euch neben euren Siegen besonders in Erinnerung geblieben?
Widhölzl: Vor meinem Tourneesieg habe ich in der Weihnachtszeit neue Ski bekommen. Auf dem Teppichboden im Wohnzimmer habe ich selber die Bindung montiert. Da meine Tochter Jana damals erst ein halbes Jahr alt war, hat meine Frau Katrin oft die Videokamera mitlaufen lassen. Als sie diese auf mich geschwenkt hat, habe ich lauthals die Ankündigung gemacht: „Das ist der neue Siegerski, mit dem ich die Tournee gewinnen werde.“ Das ist heute eine schöne Erinnerung.
Und bei dir, Stefan?
Kraft: Bei der Tournee 2016/17 bin ich als Führender nach Innsbruck gekommen und habe auch noch die Quali gewonnen. Als ich am Abend ins Hotel kam, ist der Kofi (Andreas Kofler) schon gelegen. Kurz darauf hat es auch Michi (Hayböck) und mich erwischt. Ein Magen-Darm-Virus hat das halbe Team flachgelegt.
Stefan Kraft
Stefan, du bist dreifacher Weltmeister und zweifacher Gesamtweltcupsieger. Welche Bedeutung hat der Tourneesieg für dich?
Kraft: Viele kennen mich vor allem als Vierschanzentourneesieger, allein das zeigt den hohen Stellenwert. Wenn dann so etwas auch noch in der Heimat passiert, ist das schon etwas Besonderes und steht mit dem ersten Gesamtweltcupsieg ganz oben.