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Männersauna

männersauna  Zwei Freunde sehen in der Rushhour ihres Lebens nur noch eine Möglichkeit zur Entschleunigung: den Körper in der Sauna weich kochen. Im Tannheimer Tal werden sie fündig.

text Paul-Philipp Hanske & Benedikt Sarreiter fotos Regina Recht

Paul und Benedikt sind WellnessEnthusiasten.

PAUL

„Alles muss – nichts geht“: Unter dieser Devise ließe sich mein Leben in den letzten Wochen zusammenfassen. Alles fing damit an, dass im Job erste Deadlines gerissen wurden, woraufhin natürlich weitere Termine platzten. Eine Gerölllawine aus Stress war die Folge. Das Schlimmste war inzwischen erledigt, aber die Anspannung blieb. Und damit: Schlaflosigkeit, Müdigkeit, objektlose Wut. Mir wurde immer klarer: Ich kann dieses Elend nur beenden, indem ich den zähen Trott einmal radikal unterbreche, mit maximaler Entspannung. Schnell ist das ideale Ziel gefunden: Das Wellness-Hotel Engel im Tannheimer Tal soll mein persönlicher Zauberberg, mein Sanatorium werden. Und wie es sich für jede Kur gehört: Das körperliche Wohlergehen ist das eine, genauso wichtig ist die soziale Wellness. Auf einen Kurschatten zu hoffen, wäre etwas zu verwegen. Ich setze lieber auf das Vertraute und überrede Benedikt, einen meiner ältesten Freunde, mitzukommen. Allzu viel Überzeugungskunst muss ich nicht aufwenden: Bene liebt Wellness.

BENEDIKT

Normalerweise verbringen Paul und ich immer wieder Zeit zu zweit, ohne Frauen und Familie, in Saunen und Dampfbädern. Dann hangeln wir uns von Aufguss zu Aufguss, von Gespräch zu Gespräch, von einer kontemplativen Schweigephase zur nächsten. Dieses Ritual pausierte nun viel zu lange, irgendwas ist ja immer. Bis wir nun an einem herrlichen Wintertag, der Schnee strahlt gleißend weiß unter der Sonne am azurblauen Tiroler Himmel, vor dem Hotel Engel stehen. Ein massives Gasthaus, das aus vielen Einheiten zusammengesetzt zu sein scheint, die sich übereinanderschichten und ineinander verschieben. Wo geht’s hinein ins Wellness-Gebirge? Wir begeben uns zum unscheinbaren Eingang, einem Höhlenzutritt gleich, hinter dem sich die helle und riesige Lobby verbirgt, in der verschiedene Sitzgelegenheiten verstreut sind. Nischen, hängende, mit Holzschindeln verzierte Sitzkörbe, Sofas; in einem Kamin prasselt Feuer. Das Personal empfängt uns mit einer Freundlichkeit, die so überbordend ist, dass sie uns schockiert. Es folgt eine Führung. „Kommen S’ mal mit!“ Das Engel ist durchzogen von Gängen und Aufzugsschächten, die ein weit verzweigtes System von Gasträumen, Zimmern und Spa-Bereichen verbinden. Ein Labyrinth, in dem man sich schnell verlieren und immer wieder Neues entdecken kann. Am Ende eines der endlos

Schlaraffenland in den Bergen: das Engel-Hotel im Tannheimer Tal.

erscheinenden Korridore wartet unser Zimmer. Viel Holz, viel Platz, viel Gemütlichkeit. Vor dem Balkon breitet sich das Tal in einer weißen, weiten Fläche vor uns aus, die Berge blicken erhaben auf uns herab. Ich atme tief ein, sauge Bergluft an und fühle mich frei.

PAUL

Bene will es sich gerade auf dem Sofa im Zimmer gemütlich machen. Da wird nichts draus, ich dränge zur Eile. Wir sind schließlich nicht zum Faulenzen hier. Wir entkleiden uns, schlüpfen in Kapuzenbademäntel, in denen wir aussehen wie gregorianische Mönche, und pilgern in die unteren Etagen des Engels. Oder eher: wie Jedi-Ritter, denn als wir das 3.000 Quadratmeter große Pure Organic Spa betreten, fühlen wir uns plötzlich hinein gebeamt in eine surreale Science-Fiction-Welt, allerdings eine organisch-warme. Alles ist im Halbdunkel gehalten, was einen die eigene Nacktheit sehr schnell vergessen lässt. Andere Menschen sieht man nicht viele, sie verlieren sich im gedämpften Höhlenlicht.

Wir sind sofort in unserem Element. Erst Salz-Sauna, dann Lehm-Sauna, dann AlpenkräuterDampfbad. Eigentlich müssten wir auch mal ruhen, aber ein Jedi-typisches Pflichtgefühl packt uns am verschwitzten Genick, gepaart mit einem kindlichen Entdeckertrieb. Alles hier muss ausprobiert werden. Aufgeregt keuchend und mit tiefrotem Kopf berichten wir uns gegenseitig von den neuen Sensationen, die wir in abgelegenen Winkeln des Spas entdeckt haben: etwa vom riesigen Spinnennetz, in das man sich über den Köpfen der anderen Besucher hängen kann (wobei man aufpassen muss, dass der Bademantel nicht verrutscht). Und dann darf natürlich auch das erhaben ernste Aufgussritual nicht verpasst werden: Der drahtige Istvan mit seinem Tartarenbart peitscht den Saunagästen die glühend heiße Luft so um die Ohren, dass ein wohliges Wimmern durch die Holzkammer wabert. Bene und ich sitzen auf der obersten Stufe, wo es am heißesten ist, Ehrensache.

BENEDIKT

Selbstverständlich regt sich hin und wieder ein kleines Hüngerchen. Kein Problem. Über den Spa-Bereich sind Vorratsstationen verteilt. Ich werde noch nie so viele Äpfel gegessen haben wie in den zwei Tagen im Engel. Die stete Verfügbarkeit von Verpflegung fügt sich in das Gesamtkonzept des Hotels. Es fehlt zu keinem Moment irgendetwas. Als Gast fühle ich mich deshalb wie ein wohlbehütetes Baby, umgeben von einer Wolke aus Fürsorge.

Gegen Abend wird aus dem Hüngerchen ein ordentlicher Appetit, der mit einem mehrgängigen Menü gestillt wird. Die Auswahl ist erlesen. Paul und ich sitzen in einer muschel-

Die hellen Wände der verschnörkelten Gänge weisen eine schwammartige Struktur auf: Zigtausend Stück Schwemmholz wurden hier verbaut.

ähnlichen Loungestruktur mit Tisch, plaudern und lachen. Die Gänge, es sind sechs, werden im richtigen Abstand zueinander aufgetragen. Gebeizter Fisch mit Sößchen und Kräutervariationen, Kaninchen mit ein wenig Püree und einigen Dingen, die mir im angenehmen Grüner-VeltlinerNebel entfallen sind. Weißwein ist das Getränk unserer Wahl an diesen sanft dahingleitenden Abenden, die ihr Ende in der Bar des Hauses finden.

Mir wird zum ersten Mal klar, was die Faszination einer Kreuzfahrt ausmachen könnte. Wir befinden uns im Engel in einer eigenen Welt, durch deren Wände aus Behaglichkeit das Außen mit all seinen Torturen, Schrecken, Stress und Zukunftssorgen nicht dringen kann. Mir war immer schleierhaft, wie man wochenlang auf einem obszön riesenhaften Dampfer über die Weltmeere schippern kann und auf Landgänge verzichtet, um in der schwimmenden Stadt verbleiben zu dürfen. Nun verstehe ich das. Paul und ich verlassen das Engel während unseres Aufenthalts kein einziges Mal.

PAUL

Das eigene Limit in der Sauna pushen, Nahtoderlebnisse im Eisbecken, in tropfende Traumwelten abdriften in den Ruheräumen: Wellness habe ich bisher immer mit mir selbst ausgemacht. Doch nun ist es so weit. Ich begebe mich zur ersten „Anwendung“ meines Lebens. Mit 46 wird es auch mal Zeit. Also Ayurveda. Hans, spirituell geöffneter Bergmensch, lässt mich an drei Ölen riechen, um meine ayurvedische Konstitution zu erkennen. Ich entscheide mich für Vata. Gute Wahl, findet Hans. Später erfahre ich, dass nervöse, dünne Menschen oft Vata seien, also stimmt alles. Hans ölt mich ein, ich fühle mich wie ein exotisch gewürzter Braten, aber noch bevor ich überlegen kann, wie ich wohl in dem Einmalhöschen aussehe, das ich dann auch noch verkehrt herum angezogen habe, bin ich auch schon eingeschlafen. „War mir klar“, sagt Hans später und es klingt wie ein kleines Lob. Wie es wohl Bene ergeht?

BENEDIKT

Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, was sich hinter dem geheimnisvollen Namen „BaobabMassage“ verbirgt. Das Rätsel wird nun gelöst. „Herr Sarreiter, bitte, kommen S’ rein!“ Ein Masseur mit gewaltiger Statur und sehr großen Händen bittet mich in einen beigefarbenen Raum – ich habe mal irgendwo gelesen, dass die Farbe beruhigend sein soll. Klappt. Lieblich hingetupfte Sphärenmusik hält sich im Hintergrund. „Bitte, das Höschen da anziehen!“, sagt er und hält mir einen blauen Stofffetzen hin. „Bin gleich wieder da!“ Der Fetzen ist ein string-artiger Slip. Unbeholfen brauche ich einige Versuche, um ihn anzuziehen. Wo müssen die Füße durch? Dann sitzt er. Irgendwie sexy. Der Masseur kommt wieder, ich lege mich auf die Liege und er beginnt mit dem Walken, Drücken, Streicheln, Warmes-Öl-Verteilen. Irgendwann sagt er was von zu Pulver zerriebenen Nüssen des afrikanischen Affenbrotbaumes, dem Baobab. Aha, da hamma’s also! Do it!

Er reibt mich mit dem Pulver ein, fühlt sich so an, als würde er mit einem sehr, sehr feinkörnigen Schmirgelpapier meine hölzerne Haut glattschleifen. Brennt ein bisschen, aber nicht unangenehm. Duschen. Ich sehe aus, als hätte ich in rötlichem Schlamm gebadet oder

Zu viel Realität würde die luxuriöse Ruhe des Eskapismus stören. Paul und Benedikt verlassen das Engel während des Aufenthalts kein einziges Mal.

wäre zu nah am Odelfassl gestanden. Den Rest der Massage verbringe ich in einem gedankenlosen Zustand, der nur aus Körperlichkeit besteht. Kräftige Hände pressen meine Muskeln zurecht, lockern Verspannungen, die sich in den letzten Monaten in Rücken und Beine geschrieben haben. Ab und zu klopft er mich zurecht wie ein Schnitzel. Ich wünsche mir, dass das ewig so weitergeht. Und dann ist es plötzlich vorbei. Kurz bin ich traurig, aber gleich darauf nicht mehr, denn ich weiß ja, dass im Untergrund des Hotels nichts anderes wartet als zeitschmelzende Gemütlichkeit.

PAUL

Beim Abendessen lobe ich Bene für sein rosiges Aussehen. Auch er findet, dass ich anders rüberkomme – ruhiger, gefestigter. Wir fragen uns, ob Weißwein dem äußerlich wie innerlich gereinigten Körper Schaden zufügen kann. Vermutlich, da sind wir uns einig – und bestellen dann doch zwei Viertel Veltliner. Die sehr freundliche Bedienung gibt uns zu verstehen, dass das eine sehr gute Wahl sei. Finden wir auch, man muss es ja nicht übertreiben mit der Wellness. Morgen früh juicen wir uns dafür wieder Kiwi und Sellerie.

Mit leichtem Unwohlsein denken wir aber dann an das Danach, an unseren Aufbruch, an die Welt da draußen. Zwei Tage befanden wir uns in einem schwebenden Zustand: umsorgt wie Säuglinge, in Tücher gewickelt, warmgehalten und gefüttert. Wir fragen uns, wie lange das so weitergehen könnte, wann uns langweilig werden würde. Definitiv noch nicht morgen, vermutlich nicht mal in einer Woche. Mit der Entspannung haben wir gerade erst angefangen, die kann man trainieren, bis man so weich ist wie eine Qualle, die anmutig und völlig ungestresst durch die Weiten des Ozeans gleitet. Ein gutes Vorhaben, da sind wir uns einig. Das Alter wirkt auf einmal sehr reizvoll. Nächsten Winter wiederkommen? Sollten wir machen. Dann sinken wir in unsere Matratzen, und wie immer schläft Bene vor mir ein.

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