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SVITLANA MELNYK «Wo werde ich später leben?»

Svitlana ist eine zurückhaltende junge Frau, die die deutschen Worte mit Bedacht sucht und sich überlegt ausdrückt. Im Denk:mal in der Lorraine hat sie einen Ort gefunden, wo sie Leute kennenlernen und ihr Deutsch noch verbessern kann. Hier der Bericht aus dem Leben einer vom Krieg Vertriebenen.

Svitlana Melnyk ist gerne in der Natur

Bilder: zVg

Ich übersetzte einmal meinen Namen auf Deutsch, er bedeutet Müller.

Ich bin am 30. Oktober 2000 in der Nähe von Kiew geboren. Ich habe vier Brüder, zwei jüngere – Zwillinge – meinen Zwillingsbruder und einen älteren. Vater ist Förster und arbeitet mit meinen Brüdern im Wald. Mutter hat einen eigenen Laden mit Lebensmitteln. Als ich in der fünften Klasse war, zog ich vom Dorf in die Stadt, um das Gymnasium zu besuchen. Ich wohnte in einem betreuten Wohnheim. Ich wählte zwei Hauptfächer: Chemie und Biologie. Wegen meiner guten Noten musste ich dann für die Universität nichts bezahlen. Nun studiere ich Medizin im neunten Semester. Aber es ist schwierig, weil ich fast immer online studieren muss. Zuerst wegen Corona und jetzt wegen des Krieges. Wir kannten einander drei Semester und studieren auch jetzt als Klasse, aber eben virtuell. Wir schauen viele Videos, die uns beim praktischen Verstehen helfen.

Ich habe mit Allgemeinmedizin angefangen, könnte mich aber später spezialisieren. Online studiere ich auch von der Schweiz aus weiter. Aber wegen Strommangel und schlechten Verbindungen geht das momentan nicht jeden Tag. Bei guten Verbindungen lernen wir dafür doppelt. Auch die Luftangriffe unterbrechen unseren Unterricht. Also müssen wir viel selber studieren. Mit der Lehrerin prüfen wir dann unsere Kenntnisse und sie erklärt uns, was wir wissen wollen. Eine kleine Minderheit geht immer noch zur Uni. Wenn es nicht zu gefährlich ist.

Kurz nach Kriegsbeginn lernte ich im Internet Schweizer Leute kennen. Sie erzählten mir von sich und boten mir Hilfe an. Aber ich wollte in der Ukraine bleiben. Ich wollte mit meiner Familie sein. Und dachte, dass der Krieg nicht so lange dauert. Aber dann dachte ich nach und Mutter sagte, dass es vielleicht eine gute Entscheidung wäre. Sie konnte nicht mit mir kommen, wegen des Geschäfts, weil die Lebensmittel sehr wichtig sind für die Leute. Und mein Vater und meine Brüder konnten auch nicht mitkommen. Ich fragte meine Studienfreundin, ob sie mit mir kommt. Wir fuhren mit dem Zug nach Lviv und ich war sehr erschrocken, dass so viele Geflüchtete unterwegs waren. Sie erzählten mir und meiner Freundin viele Geschichten aus ihrem Leben. Meine Kollegin wollte in Lviv umkehren. Aber es gab keine Chance mehr. Wir fuhren weiter. Schritt für Schritt schrieb uns unsere Schweizer Familie, wohin wir fahren sollten. Und unterwegs halfen uns viele Freiwillige. Mitte März kamen wir in der Schweiz an. Zuerst war es ein wenig ungewohnt. Ich hatte nur einen Rucksack mit meinen wichtigen Sachen. Wir waren sehr überrascht, dass unsere Schweizer Familie uns so gut behandelte. Zum Beispiel warfen wir unsere Kleidung in die Waschmaschine, als wir ankamen. Wir waren sehr müde und schliefen. Als wir erwachten stand vor der Tür ein Korb mit gebügelter Kleidung und mit Süssigkeiten. Es war sehr angenehm für uns. Sie schrieben und druckten alle wichtigen Informationen für uns aus. Weil sie merkten, dass wir sehr schüchtern waren. Und sie machten Ausflüge mit uns.

ge Entscheidung. Weil die Schweizer Familie für uns fast perfekt war. Aber wir verstanden, dass sie ein eigenes Leben hat, und wir wissen nicht, wie lange wir hier bleiben müssen. Meine Kollegin wollte dann in die Ukraine zurückkehren, weil ihr Vater in den Krieg musste und ihre Mutter alleine war. Sie stornierte ihren Status hier, aber die Mutter sagte ihr, sie solle auf keinen Fall zurückkommen. Sie fand eine Saisonarbeit in Belgien. Für mich eine Tragödie: Ohne die beste Kollegin hier sein! Um mich nicht allein zu fühlen, entschied ich, weiter Deutsch zu lernen und andere ukrainische Leute zu finden. Das Denk:mal war meine erste Deutschschule in Bern. Zuerst dachte ich, es sei die falsche Adresse. Es war ein ungewöhnliches Gebäude. Aber ich ging hinein und verstand, dass ich am richtigen Ort war. Die Stimmung war frei und nicht so «Dank der Universität Bern streng wie in anfand ich ein Zimmer im deren Dank d Schu er Uni len. verstudentischen Wohnheim.» sität Bern fand ich ein Zimmer im studentischen Wohnheim. Medizin wird hier nur auf Deutsch unterrichtet, ich hatte Angst, das nicht zu schaffen, und studiere deshalb weiterhin online an meiner Universität in Kiew und nicht als Austauschstudentin in Bern. Ja, ich fühle mich jetzt wohl in der Schweiz, kann viele Probleme allein lösen und verstehe, wie alles funktioniert. Transport, Deutschkurs, welcher Supermarkt am besten ist. Ich habe viele Freundinnen und Freunde, die mir helfen. Und im Denk:mal habe ich sogar einen Freund gefunden.

Die ersten zwei Monate waren meine Kollegin und ich nur zu Hause. Aber nachher verstanden wir, dass wir hinausgehen sollten. Wegen der Sozialisierung. Ich hatte schon in der Ukraine Deutsch gelernt. Nach einem Besuch in Deutschland hatte ich beschlossen, die Sprache zu lernen, um mit den Leuten sprechen zu können und eine Saisonstelle in Deutschland zu finden. Und Sprachen lernen ist eine Vorbeugung gegen Alzheimer. Aber noch ist es jeden Tag schwierig, mir mein Leben vorzustellen. Wo werde ich später leben, wie beende ich mein Studium? Wo wird meine Familie sein, wie wird die Si-

Ich bin nicht mehr so schüchtern und fühle mich schon etwas freier. Nach fast vier Monaten entschieden meine Kollegin und ich, selber irgendwo zu wohnen. Das war eine schwieri-

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tuation in der Ukraine sein? Auch meine Leute in der Ukraine fragen sich das alles. Es macht Angst. Mutter machte Scherze, dass ich für immer hier leben werde, aber ich mag diese Scherze nicht, weil ich nichts voraussagen kann. Viele Leute fragen mich, ob ich hier auch nach dem Krieg wohnen wolle. Aber ich kann mir jetzt nicht vorstellen, dass ich ganz hier lebe. In meinen Gedanken bin ich noch in der Ukraine.

Ein Traum? Im Gymnasium träumte ich von einem ruhigen stabilen Leben, weil ja schon damals im Land eine unstabile Situation herrschte. Mein Leben geniessen. Vielleicht würde ich eine sehr spezialisierte Ärztin sein und am Wochenende meine Familie besuchen. In den Urlaub reisen und wissen, was später sein wird. Nicht so wie jetzt, wo ich meine Zukunft nicht kenne.

Als ich zehn Jahre alt war, schlief ich einmal bei meiner Mutter. Sie sagte mir: «Wenn wir Janukowytsch zum neuen Präsidenten wählen, wird es auf jeden Fall Krieg geben.» Ich stellte mir in meinem Kopf einen Panzer vor. Aber ich vergass ihn fast wieder. Und jetzt kann ich manchmal gar nicht glauben, dass mein Leben so extrem verändert ist. Nach diesem Gespräch werde ich vielleicht nach Hause fahren und denken: «Was ist passiert, warum bin ich hier? Ist es richtig, hier zu leben? Oder sollte ich besser in der Ukraine sein?» Eine Überraschung war für mich, dass die Schweiz den ukrainischen Leuten so viel Hilfe gibt. Meine Mutter schickte ein Geschenk. Es war schön, es der Schweizer Familie überreichen zu können. Mein Traum wäre, dass diese Familie uns in der Ukraine besuchen könnte.

Aufgezeichnet von Katrin Bärtschi

Die autonome Schule Denk:mal sucht dringend freiwillige Deutschstunden-Moderierende!

 www.denk-mal.info

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QUARTIERZENTRUM WYLERHUUS Ein Abschied und ein Neuanfang

Nach rund 45 Jahren wird das Quartierzentrum Wylerhuus am jetzigen Standort an der Wylerringstrasse 60 per 23.12.2022 geschlossen. Es gilt Abschied zu nehmen, alten Geschichten von Freiwilligen und Mitarbeiter*innen rund ums Wylerhuus zu lauschen und möglichst viele Leute zum Abschlussanlass einzuladen. Julia Rogger

Altes verabschieden Am 22. Dezember 2022 laden wir im Rahmen der Veranstaltungsreihe Nordstern zum gemeinsamen Lichterlöschen ein. Herzlich sind Sie eingeladen von 17 bis 19 Uhr mit uns ein letztes Mal das Wylerhuus zu geniessen, bei einem warmen Punsch und selbstgemachtem Gebäck. Im Anschluss werden aktuelle und ehemalige Freiwillige und Angestellte des Wylerhuuses zusammenkommen und auf eine lange und ereignisreiche Zeit im Quartierzentrum zurückblicken. Wären Sie bei diesem Anlass gerne dabei oder haben Sie uns eine spannende, lustige Wylerhuus-Geschichte zu erzählen? Wir freuen uns über Ihren Anruf oder Ihre Mail. Sehr gerne sammeln wir Anekdoten, Erlebnisse und Erinnerungen von Menschen aus dem Quartier.

Erinnerungen und Anekdoten an das Quartierzentrum Wylerhuus sehr gerne bis zum 19.12.2022 an nina.mueller@vbgbern.ch oder 078 208 92 59

Verkauf SBB-Tageskarten Gemeinde Verkaufsstandort: Wylerhuus, Wylerringstr. 60 Dienstag, 27.12.22 und Freitag, 30.12.22 von 13 bis 15 Uhr Dienstag, 3.1.23 und Freitag, 6.1.23 von 13 bis 15 Uhr Dienstag, 10.1.23 und Freitag, 13.1.23 von 13 bis 15 Uhr

Verkaufsstandort: Quartierzentrum 5, Flurstr. 26b Ab 16.1.2023 jeweils von Montag bis Freitag von 14 bis 17 Uhr

Umzugsvorbereitungen Aktuell laufen natürlich diverse Umzugsvorbereitungen. Was kommt mit? Wie soll das neue Quartierzentrum an der Flurstrasse eingerichtet und ausgestattet sein? Es wird fleissig geplant, ausgemistet und gepackt. Mit jeder Woche wird der Abschied bewusster und der Umzug konkreter. Wir sind froh um jede helfende Hand bei diesem Kraftakt und freuen uns über Ihre tatkräftige Unterstützung. Gerne können Sie sich bei uns melden, falls Sie uns unter die Arme greifen möchten.

Öffnungszeiten Infostelle Uns ist es ein Anliegen, dass wir unsere Grundleistungen ohne Unterbruch anbieten können. Daher informieren wir gerne über unsere Öffnungszeiten über die Festtage und im Januar: Quartierzentrum 5 Am 30. Januar 2023 möchten wir am neuen Standort unter dem Namen Quartierzentrum 5, getragen durch den Verein Wylerhuus, den Betrieb starten. Es freut uns sehr, dass alle unsere vereinseigenen Angebote und viele Kurse und Projekte von Mieter*innen am neuen Standort weitergeführt werden können. Wir betreiben weiterhin die Infostelle, welche Informationen zum Stadtteil vermittelt und Tageskarten verkauft. Bettina Canzio führt eine Spielgruppe und Filonila Hamel ist jeden Freitag mit dem Nähatelier für Ihre Flick- und Näharbeiten da. Das Team der Quartierarbeit Bern Nord unterstützt und fördert Projekte und Initiativen im Stadtteil. Daneben werden Deutschkurse, Bewegungsangebote und Begegnungsmöglichkeiten von diversen Anbieter*innen und Freiwilligen angeboten. Unsere diversen und multifunktionalen Räumlichkeiten stehen allen Interessierten offen und können für öffentliche oder für private Veranstaltungen genutzt werden.

Wir freuen uns darauf, den neuen Standort zu einem offenen, vielseitigen und lebendigen Quartierzentrum werden zu lassen und viele Quartierbewohner*innen kennen zu lernen. Bei Fragen und Ideen sind wir gerne für Sie da. Kontakte – Quartierzentrum Wylerhuus Nina Müller, Mo. –Fr., Quartierzentrum Wylerhuus, Wylerringstr. 60 nina.mueller@vbgbern.ch, 078 208 92 59 // 031 331 59 57

Büsra Sterk, Mo., Di. und Fr. 13–17 Uhr Quartierzentrum Wylerhuus, Wylerringstr. 60 wylerhuus@bluewin.ch, 031 331 59 55

 www.wylerhuus.ch www.zusammen-nähen.ch

diaconis

Einladung zum Advents-Apéro Nordstern

Freitag, 2. Dezember 2022, 16.00–18.30 Uhr Villa Sarepta, Schänzlistrasse 19, Bern

Im Dezember wandert der Nordstern durch unser Quartier und macht Halt bei Diaconis. Wir laden alle Interessierten gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zu einem feinen Advents-Apéro in der Villa Sarepta ein. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Diaconis • Schänzlistrasse 19 • 3013 Bern 031 337 77 00 • kommunikation@diaconis.ch • www.diaconis.ch

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