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Theaterpädagogik als Chance zur symbolischen Auseinandersetzung mit der Welt Geleitwort von Julia Köhler
from Dominique Högger, Murielle Jenni, Andreas Hausheer, Regina Wurster: ‹Konflikte eine Bühne geben›
by Zytglogge
Geleitwort von Julia Köhler
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Es gibt viele gute Gründe, um theaterpädagogisch zu arbeiten!
Die Theaterpädagogik bietet ein vielfaches Angebot an ästhetischer Auseinandersetzung mit diversen Themen im Kontext personaler und sozialer Kompetenzen. Keine andere künstlerische Disziplin erlaubt solch reichhaltige Wege einer kreativen Infragestellung der eigenen Person im Zusammenspiel mit einer Gruppe, gewissermassen als Chance zur symbolischen Auseinandersetzung mit der Welt. Die dadurch entstehenden Erfahrungs- und Reflexionsräume können sowohl in der Beschäftigung mit der eigenen Person als auch mit einer Gruppe und darüber hinaus als kritische Auseinandersetzung mit soziokulturellen, gesellschaftlichen und politischen Themen Erkenntnisse in vielfältiger Weise ermöglichen. So kann theatrale Bildung als eine Art Vorbereitung auf die Realität und als Überprüfung der (eigenen) Wirklichkeit gesehen werden.
Die theatrale Arbeit an Konflikten und Emotionen, wie z. B. Freude, Wut, Zorn, Ärger und Angst (im geschützten Rahmen und mit klaren strukturellen Vorgaben und Regeln), dient zur Reflexion und Überprüfung eigener Haltungen und Erfahrungen. Für solche Lernprozesse reicht die Begriffssprache nicht aus, da diese allein nicht imstande ist, komplexe sinnlich-körperliche und emotionale Erlebnisse und Erfahrungen angemessen zu thematisieren und darauf zu antworten. Dazu bedarf es theaterpädagogischer Herangehensweisen, die mittels ästhetisch-kreativer Zugänge Möglichkeiten und Optionen verhandeln können.
Ich versuche in meinen eigenen Untersuchungen auf die Relevanz theaterpädagogischer Arbeit in verschiedenen pädagogischen Settings hinzuweisen. Mit der vorliegenden Publikation ist ein weiterer Meilenstein theaterpädagogischer Arbeit gesetzt worden, und ich freue mich schon sehr darauf, die Übungen und Spiele mit meinen Lehramtsstudierenden auszuprobieren.
Mag. Dr. Julia Köhler studierte Schauspiel am Max Reinhardt Seminar, Wien und liess sich anschliessend zur Leiterin für Jeux Dramatiques ausbilden, um mit Menschen jeder Altersgruppe theaterpädagogisch zu arbeiten. Nach einem weiteren Studium in Bildungswissenschaften wurde sie 2017 Senior Lecturer am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien. Ihre Dissertation und gleichnamige Publikation «Theatrale Wege in der Lehrer/innenbildung. Theaterpädagogische Theorie und Praxis in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden» (Köhler 2017) inspirierte die beiden theaterpädagogisch arbeitenden Autorinnen der vorliegenden Publikation massgeblich.
Der Blick hinter das Zur-Schau-Gestellte
Geleitwort von Eva Maria Waibel
Konflikte gehören zum Leben. Das wird in diesem Buch deutlich. Sie müssen nicht verdrängt oder überspielt werden. Wir können von ihnen lernen, wenn wir sie in ihren tieferen Beweggründen verstehen. Hier wird mit Hilfe der Theaterpädagogik Raum dafür geschaffen und es werden Experimentierfelder eröffnet.
Ein spannendes Vorgehen. Denn Theater ist lustvoll und ermöglicht den spielerischen Umgang mit Konflikten. Es erfordert ein empathisches Einlassen in verschiedene Konfliktszenarien, die den Blick auf die beteiligten Personen freigeben.
Darin zeigen sich Parallelen zur Existenziellen Pädagogik, die auf dem Gedankengut des Psychiaters Viktor E. Frankl beruht (1905–1997) sowie auf der Weiterentwicklung durch Alfried Längle (*1951). Ganz im Sinne Existenzieller Pädagogik wird auch hier gefragt: Was braucht dieses Kind/diese Gruppe jetzt von mir/von uns? Eine solche Frage setzt bei den Fragenden voraus, dass sie sich nicht von vorgefassten Meinungen leiten lassen, sondern offen für das sind, was sich gerade zeigt. Diese Haltung des «Nicht-Wissens» stellt Erziehende und Kinder auf Augenhöhe, da niemand die «richtige» Strategie für die Konfliktlösung kennt bzw. kennen kann.
Die in diesem Buch vorgestellten methodischen Ansätze ermöglichen es, Lösungen zu entwickeln und gemeinsam zu erproben. Kinder und Jugendliche werden in ihrer Person, in ihrer ureigenen Befindlichkeit, in ihrem tiefgründigen Erleben «angefragt» und zu einer Stellungnahme herausgefordert. Mögliche Fragestellungen sind: Wie siehst du das? Wie geht es dir (jetzt) damit? Ist das gut so für dich? Was hättest du gebraucht? Was war dir dabei ganz wichtig?
Menschen, die in dieser Weise angefragt werden, fühlen sich in ihrer Person gesehen. Sie erkennen ihre Motive hinter ihren Handlungen und müssen sich nicht in erster Linie verteidigen. Existenzielle Fragen stehen im Raum: Was ist mir so (viel) «wert», dass ich mich derart ereifere? Was bewegt mich? Worauf gründet meine Emotion? Worum geht es mir eigentlich?
Wenn alle Beteiligten genau zu dem hinschauen, hinhören und hinspüren, «was sich zeigt», lernen sie dabei «hinter das Zur-Schau-Gestellte» zu blicken. Zudem wird nicht vor allem darauf geachtet, welche Probleme ein Kind macht, sondern welche Probleme es hat. Das setzt voraus, keine moralischen Vorstellungen in die Konflikte hineinzutragen, nicht von einem «Gut-und-Böse-Schema» auszugehen und nicht von Sanktionen her zu denken. Alle konzentrieren sich auf die Frage: Wie können wir unseren Umgang miteinander so gestalten, dass er den Bedürfnissen und Werten von uns allen gerecht wird?
In der Existenziellen Pädagogik werden Menschen – Kinder wie Erwachsene – dazu befähigt, mit sich und der Welt klarzukommen und sich selbst und damit ihr Leben in die Hand zu nehmen. Den Kindern wird zugetraut, selbst «Antworten auf die Fragen des Lebens» zu finden – allenfalls mit Hilfe der Erwachsenen. Dies belässt die Verantwortung dort, wo sie hingehört, und führt gleichzeitig zu mehr Gelassenheit im Erziehungsalltag.