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Literaturtipps
| LESETIPPS |
Schöne Bücher im Winter
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Subtil abgründig
Schwarzer Tag für Astrid. Irgendwer ist bei ihr eingebrochen, hat den Laptop geklaut. Die Polizei ist keine Hilfe, Astrid selbst verdächtigt den Briefträger und beginnt diesen zu verfolgen. Der wiederum hat eigene Probleme hat: einen kleptomanischen Liebhaber und eine Plage von Sohn, der unbedingt ein neues Smartphone will, dafür auch bereit ist, zu stehlen. Schließlich noch die tattrigen Schwestern Milli und Erna, die nach ihrem Sparbuch suchen — hat’s die neue Haushilfe genommen? Vier Geschichten über vermeintliche und echte Diebe: Diese skurrile, schwarzhumorig-boshafte Graphic Novel funktioniert wie ein lose geknüpfter Episodenfilm, mit toll beobachteten CharakterStudien, die in ihrer Anmutung an Otto Dix oder Guido Sieber erinnern. Sehr stimmig. (mei)
Eine starke Frau
Hornclaw ist eine zierliche Frau, Mitte 60, alleinstehend, kinderlos, dafür Besitzerin einer alten Hündin. Soweit, so gewöhnlich. Allerdings: Hornclaw arbeitet für ein Unternehmen für Schädlingsbekämpfung, Hornclaw ist Auftragsmörderin — mit einer 100-prozentigen Erfolgsquote in mehr als 40 Jahre. Eiskalt, tödlich, unsichtbar für ihre Umgebung. Doch irgendetwas stimmt nicht mehr: Sie wird sanfter, fahrlässiger, lässt plötzlich Zeugen am Leben, weil sie diese schützenswert findet. Nicht ahnend, dass sie selbst längst ins Visier genommen wurde, beschließt sie noch einen letzten Auftrag anzunehmen, der sich jedoch als üble Falle erweist … Leiser, elegant gewobener Thriller aus Südkorea, der gekonnt Spannung und Charakterentwicklung ausbalanciert. Kann was! (mei)
Franz Suess: »Diebe und Laien« Avant Verlag, 384 Seiten (geb.) Gu Byeong-mo: »Frau mit Messer« Ullstein, 288 Seiten (geb.)
John Jeremiah Sullivan Unvergleichlich
Wenn der Name John Jeremiah Sullivan fällt, Vollblutpferde heißt’s Ohren spitzen: Es gibt neuen Lesestoff von jenem (hierzulande noch viel zu unbekannten) USamerikanischen Autor, der als vielfach bejubelter Verfasser zahlreicher Reportagen und Essays imBibliothek Suhrkamp mer wieder gern in die Nähe von David Foster Wallace und Hunter S. Thompson gerückt wird? Endlich ist Sullivans großartiger erster Roman (2004) auf Deutsch erschienen. Gleichsam autobiografisches Memoir, Reportage und historische Erkundung geht dieser in »Vollblutpferde« dem reichen Leben seines Vaters Mike Sullivan und dessen ihm rätselhaft erscheinende Begeisterung für den Pferderennsport auf so wunderbar eigensinnig luzide Weise auf den Grund, dass man am Ende der Lektüre nur dankbar seufzen möchte. Großartig. (mei)
Er ist zurück!
Cormac McCarthy ist zurück — und wie! Mit einem halluzinatorischen Doppelroman, der um ein außergewöhnliches Geschwisterpaar, Robert und Alicia Western, kreist. Während »Der Passagier« hauptsächlich die Geschichte des Bruders erzählt, der, einst Physiker, nun als Bergungstaucher auf ein Flugzeugwrack stößt, bei dem nicht nur ein Passagier, sondern auch der Flugschreiber fehlt und Robert alsbald in eine ziemlich schräge Verschwörung verstrickt wird, lädt »Stella Maris« uns in die zersplitterte Gedankenwelt seiner an paranoider Schizophrenie erkrankten, mathegenialen Schwester, mit der ihn nicht nur eine verbotene Liebe, sondern auch noch eine Vaterfigur verbindet, die einst mit half, die Atombombe zu bauen. Vielschichtiges, puzzlereiches Alterswerk. (mei)
John Jeremiah Sullivan: »Vollblutpferde« Suhrkamp, 272 Seiten (geb.) Cormac McCarthy: »Der Passagier« / »Stella Maris« Rowohlt, 528/240 Seiten (geb.)
Die andere Wahrheit
Laila Lalami taucht in ihrem neuen Roman tief in die Geschichte ein: Im April 1528 landet eine Flotte spanischer Konquistadoren an der Küste Floridas. Mit an Bord ein marokkanischer Sklave, von seinem Besitzer Estebanico genannt. Nur stumm kann er bestaunen, mit welchem Selbstverständnis die Spanier ein Land zu ihrem Eigentum erklären, das offensichtlich schon anderen gehört — beschließt jedoch am Ende jener legendären spanischen »Narvaez-Expedition« als einer von gerade einmal vier Überlebenden, einen eigenen, geheimen Bericht zu verfassen. Denn warum sollten seine Herren das alleinige Anrecht darauf haben, niederzuschreiben, wie es wirklich war? Dieser fesselnde historische Roman vermag ein völlig neues Licht auf die Eroberung Amerikas zu werfen. (mei)
Die große Erzählung
Es ist eine wahre Mammutaufgabe, der sich Comicautor Jens Harder da verpflichtet hat. Seit 18 Jahren schon zeichnet er an seiner ureigenen Erd- und Menschheitsgeschichte. Bisher vollendet: Band 1 — ein gut 14 Milliarden umfassender Blick in die Entstehung unseres Planeten sowie Band 2, in dem er sich der Entwicklung von Mensch und Tier bis zum Beginn unserer Zeitrechnung widmet — jeweils auf mehr als 2.000 (!) collagierten Bildern, fast komplett ohne Text. Jetzt folgt Band 3, der einen weiten Bilderbogen von der Hochantike bis ins Atomzeitalter, von der Geburt Jesus bis hin zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen wirft — und Seite für Seite neuerlich leuchtende Augen hervorbringt: Diese Comic-Weltchronik kann nur im Superlativ gelobt werden! (mei)
Laila Lalami: »Der verbotene Bericht« Kein & Aber, 495 Seiten (geb.) Jens Harder: »BETA … civilisations, Volume II« Carlsen, 368 Seiten (geb.)