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Weit und wild

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Schlössertag 2021

Schlössertag 2021

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Freiberge

WEIT UND WILD

Le Noirmont | In den letzten Jahrzehnten hat sich vieles geändert. Doch die Freiberge haben ihren einzigartigen Charakter bewahrt. Hier findet man noch unberührte Landschaften und sich treu gebliebene Menschen.

Die Freiheit liegt am Rande der Schweiz – in den abgeschiedenen Tälern, auf den weiten Hochebenen und waldigen Bergrücken des Juras. Die Kelten nannten das Gebiet schlicht «Jor», «Waldland». Und die Beschreibung stimmt teils bis heute – zumindest im «Naturpark Doubs», einem 378 Quadratmeter grossen, wunderbar wilden Landstrich zwischen Les Brenets und dem mittelalterlichen Städtchen St-Ursanne. Hier gibt es sie noch: die intakte Natur, die Freigeister und Individualisten. Es ist ein Ort für Gefühls- und Genussmenschen, wo Menükarten und Begegnungen am Wegesrand mehr Einblicke in Land und Leute schenken als inszenierte Sehenswürdigkeiten. Sinnbild und Patron der Region ist der Fluss Doubs (lateinisch «Dubius» – der Unentschlossene). Wie ein Flaneur mäandert er am Fusse der Kalkfelsen durch die malerische Landschaft, mal diesseits, mal jenseits der französischen Grenze, so als würde er jeden Moment seines Seins voll auskosten wollen – und mündet nach 430 Kilometern nur 90 Kilometer von seiner Quelle in die Saône. Auch 500 Meter höher ist die Hochebene der Freiberge ein Inbegriff von Idylle. Wald und offene Weideplätze wechseln sich mosaikartig ab. Pferde und Kühe grasen friedlich auf ausgedehnten «Wytweiden».

Denis Boichat kennt diese herrliche Weite bis ins kleinste Detail. In seinem Planwagen kutschiert er regelmässig Besucher der Schaukäserei «Fromagerie des FranchesMontagnes SA» entlang der lauschigen Wege rund um Le Noirmont, wo er in einem Weiler seit 30 Jahren Freiberger Pferde züchtet, die letzte ursprüngliche Schweizer Pferderasse. Kaum besser könnte man die lehrreiche Reise in die Welt der hiesigen Milchbauern und Käser abrunden, als draussen inmitten der Weiden mit einem Röschen «Tête de Moine» in der Hand. Und doch hat es mir auf der grosszügigen Apéroplatte vor allem der «Taignon» angetan. Die lange Reifezeit verleiht diesem Käse ein sehr intensives Aroma, das die Sommerweiden in meinen Augen besonders gut repräsentiert. Und damit ist für uns drei Freundinnen, die am liebsten «mit dem Bauch» anstatt dem Reiseführer reisen, der Entdeckergeist schon entfacht.

Weit kommen wir aber nicht. Im «Hotel-Restaurant du Golf Les Bois» lockt auf der herrlichen Terrasse ein Plätzchen mit prächtiger Aussicht auf den Golfplatz

Bilderreihe: S. 22: Degustation im Planwagen von Denis Boichat / Mittag im «Hotel-Restaurant du Golf Les Bois» mit Fabian Adam S. 23: Abendessen mit Kräuterfee Maria-Luisa Wenger / Wanderung «Des Franches-Montagnes au Doubs» S. 24: Jacky Epitaux und Mittag in der «Auberge Les Chatons» S. 25: Ausritt mit Jean-Louis Beuret

und die Weiden der Freiberge. Unter dem wachsamen Auge von Geschäftsführer Fabian Adam, der jeden seiner Produzenten persönlich kennt, wird hier Regionalküche auf hohem Niveau serviert. Mein Highlight ist das Dessert: hausgemachtes «Mille feuilles» mit einem Glas «Branntwein Damassine AOP», einem Branntwein aus der jurassischen Pflaumensorte Damasson. Himmlisch!

Um nun tiefer in die Region einzutauchen, lassen wir nach dem Mittag das Auto am Bahnhof von Le Noirmont stehen und setzen unsere Erkundungen zu Fuss fort. Wir wählen die als Nummer 457 ausgeschilderte Wanderroute «Des Franches-Montagnes au Doubs» und laufen zunächst zum luftigen Felsgrat «Les Sommêtres» empor. Oben lohnt sich eine Pause: Der Grat ist einer der aussichtsreichsten Punkte im Jura. Herrlich ist der Blick über das Tal des Doubs bis weit nach Frankreich. Er motiviert uns, allen Mut zusammenzuraufen. Denn der nun folgende Abstieg zum Fluss über steile, mit Ketten gesicherte Treppen und Leitern ist nichts für schwache Nerven. Dafür werden wir unten am Ufer des Doubs reichlich belohnt. Moosbehangene Bäume rahmen eine mystische, ursprüngliche Flusslandschaft. Kaum zu glauben, dass es in der Schweiz noch Orte wie diesen gibt! Frei und fröhlich plätschert der Doubs in seinem Bett aus Kalkstein, das er sich über Jahrtausende geformt hat.

Wir folgen dem Flusslauf und treffen an der Grenze zu Frankreich die Kräuterfee Maria-Luisa Wenger, deren Herz seit 23 Jahren für die Region schlägt. Sie kennt die Gewächse am Wegrand und im Wald, alle Kräuter und jede Beere wie kaum jemand anderer in der Region. Lange Zeit führte die gebürtige St.Gallerin mit ihrem einheimischen Ehemann in Le Noirmont das «Restaurant de la Goule», das weithin für seine saisonalen Gerichte, insbesondere die Fischspezialitäten, bekannt war. Jetzt aber fokussiert sie sich auf ihre zweite Liebe und setzt ihr unglaubliches Wissen bei Wildpflanzenkursen und therapeutischen Spaziergängen entlang des Doubs ein.

Heute führt sie in ihrem Picknickkorb nicht nur frische Forellen und handgepflückte Wildkräuter mit, sondern auch viele Geschichten, Anekdoten und Legenden. Während sie diese erzählt, kocht sie mitten in der Natur ein wahrhaft königliches Menü. Als Vorspeise gibt es frisches Brot aus dem Dorf mit Brennessel-Pesto, Bärlauch-Kapern und Waldhimbeersirup; als Hauptgang Forelle vom Grill in Kräuter-Buttersauce und als «Bettmümpfeli» selbstgemachtes Panna Cotta mit Mädesüss (ein natürliches Süssungsmittel, das im Mittelalter unter anderem zum Süssen von Met Wein benutzt wurde). Ein genussvoller Einblick in die natürlichen Schätze der Region.

Dazu kommt eine kleine Showeinlage der Natur. Mit dem Anbruch der Dämmerung fallen die Temperaturen. In den Bäu-

PRAKTISCHES

ERLEBNISSE Fromagerie des Franches-Montagnes SA Rue de l’Avenir 2, 2340 Le Noirmont +41 (0)32 952 19 00, fdfm.ch Planwagenfahrt mit Käse-Degustation Elevage du Peupé Le Peu-Péquignot 10, 2340 Le Noirmont +41 (0)32 953 13 81, elevagedupeupe.com Kräuterspaziergang mit Maria-Luisa Wenger Rue du Pylône 3, 2340 Le Noirmont +41 (0)79 539 11 61, doubsdenature.ch Jean-Louis Beuret La Bosse 43, 2360 Le Bémont +41 (0)32 951 14 32, jean-louis.beuret@hotmail.com

ESSEN Golf & Hotel Les Bois Les Murs 1, 2336 Les Bois +41 (0)32 961 10 03, golflesbois.ch Auberge Les Chatons Les Barrières 16, 2340 Le Noirmont +41 (0)32 951 20 35, leschatons.ch

ÜBERNACHTUNG UND MUSEUM Espace Paysan Horloger Le Boéchet 6, 2336 Les Bois +41 (0)32 961 22 22, paysan-horloger.ch

Jura Tourisme Rue de la Gruère 6, 2350 Saignelégier +41 (0)32 432 41 60, juratourisme.ch men hängen nun dichte Nebelschwaden, die andere Flussseite verliert sich in dicken Wolken: Wir fühlen uns plötzlich ganz klein, entrückt vom Hier und Jetzt; gebannt im Zauber der Abgeschiedenheit.

Den Kopf voller Eindrücke entschlummern wir später der Welt im wohl bequemsten Bett im ganzen Jura. Unsere Bleibe, das restaurierte Bauernhaus «Espace Paysan Horloger», ist Pension und Museum zugleich. Besitzer Jacky Epitaux, selbst Uhrenfabrikant im Luxussegment, führt uns am nächsten Morgen persönlich durch seine einzigartige Ausstellung an historischen Bildern und kunstvollen Präzisionswerkzeugen, mit denen die filigranen Bestandteile mechanischer Uhren hergestellt werden. Fasziniert lauschen wir den Erzählungen und Hintergründen; lassen uns mitreissen von seiner Leidenschaft.

Die Uhrmacherei ist in den Freibergen tief verwurzelt. 1384 stellte der damalige Fürstbischof einen Freibrief für die bis dato kaum besiedelte Region aus. Er berechtigte Siedler und ihre Nachkommen zu speziellen Freiheiten: Unter anderem wurden sie für alle Zeiten von Zinsen und Steuern auf ihr Land befreit – daher auch der Name «Freiberge». Der Plan funktionierte, doch die Herausforderungen waren gross. Das raue Klima und die schneereichen Winter zwangen die Menschen neben der Landwirtschaft andere Einkommensquellen zu suchen. So wurden die Bauern im Winter zu Uhrmachern, die meist selbstständig von zu Hause aus Kleinstteile für die grossen Manufakturen anfertigten. Heute zeugen die vielen Doppelfenster von diesen Aktivitäten. Hinter jedem steckt ein Atelierplatz mit einer aussergewöhnlichen Geschichte.

Gemeinsam scheint den Menschen im Jura bis heute ihre Passion, ihr Freigeist sowie ihre enge Verbundenheit mit Land und Natur. Diese Werte verkörpert auch unser heutiger Mittagsstopp, das Restaurant der «Auberge Les Chatons». Wildkräuter und regionale Zutaten bilden hier die Basis einer äusserst kreativen Küche. Ich bin begeistert von meiner Wahl: «Pâte au poivre» mit Kapuzinerkresse und Glacé mit Waldmeister.

Danach bleibt nur noch eins und das Rundum-Kurzprogramm ist perfekt. Von Mai bis Oktober erhalten Gäste ab 8 Jahre ab zwei Übernachtungen in jurassischen Hotels, Gästezimmer, Ferienwohnungen oder Campingplätzen einen Gutschein für einen einstündigen begleiteten Ausritt zu Pferd – ein Angebot, das wir dankend annehmen. Im Weiler La Bosse schliesst sich somit der Kreis. Mit Pferdehalter, Reitlehrer und Züchter Jean-Louis Beuret tauchen wir zum krönenden Abschluss erneut in die Welt der Freiberger ein; mit ihrem ruhigen und geduldigen Charakter die Freizeitpferde par excellence. Ein letztes Mal lassen wir uns von der fast zwei Jahrhunderte alte Rasse durch ihre Heimat tragen. Und wieder strahlt die Hochebene eine Ruhe und Kraft aus, die uns augenblicklich erfasst.

Ein Besuch im Jura im Allgemeinen und auf den Freibergen im Speziellen ist in vielerlei Hinsicht befreiend, lehrreich und faszinierend – aber vor allem ist er ein Balsam für Körper und Seele. Kein Wunder, gibt es hier mehr Freigeister und Individualisten als anderswo in der Schweiz. Als Gefühlsmenschen ist unsere Trennung nicht ohne Wehmut. Der Kurzurlaub hat gut getan.

Soufflé Glacé von der Fee

Für 4 Personen –2 Eier 60 g Streuzucker 2 dl Vollrahm 2 cl klarer Absinth Kakaopulver

(Mitterand)

Zubereitungszeit: 20 Minuten Kochzeit: 10 Minuten Gefrierdauer: 1 Nacht

4 Gläser an der Aussenseite (ca. 5 cm Durchmesser und 5 bis 6 cm hoch) mit einem Streifen Pergamentpapier versehen und das Papier 3 bis 4 cm über das Glas ragen lassen. Das Papier mit einem Gummiband befestigen. Dadurch können die Gläser über den Rand hinaus befüllt werden. –Eine mit Wasser gefüllte Pfanne, die als Wasserbad dient, erhitzen. Das Wasser sollte köcheln jedoch nicht kochen. –Für die Sabayon die Eier in der Schüssel schlagen, den Zucker beimengen und kräftig umrühren. –Die Schüssel auf das Wasserbad stellen, die Masse verquirlen, bis ein leichter und cremiger Schaum entsteht. Die Mischung ist bei einer Temperatur von 67°C oder wenn sie beim Anheben des Schneebesens eine «Schleife» bildet, fertig. Die Schüssel in einen Behälter mit kaltem Wasser geben und von Zeit zu Zeit leicht umrühren, um die Masse abzukühlen. –Den Rahm schlagen, das Sabayon und den Absinth beigeben und so sanft wie möglich vermengen, um die Leichtigkeit der Mischung zu bewahren. Die Gläser füllen und über Nacht in den Gefrierschrank stellen. –5 Minuten vor dem Servieren aus dem Gefrierschrank nehmen und mit Kakaopulver bestreuen. Für einen ausgeprägten Geschmack mit einem Spritzer Absinth direkt am Tisch verfeinern.

Dieses Dessert wurde François Mitterrand 1983 in Neuenburg serviert. Entdecken Sie im Maison de l’Absinthe Absinth mit allen Sinnen: Museum mit geführten Besichtigungen, Aperitifs, Degustationen, Workshops etc.

Maison de l’Absinthe Grande Rue 10, 2112 Môtiers +41 (0)32 860 10 00 maison-absinthe.ch

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