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Projekt Gamswild
TEXT: WILDMEISTER HELMUT NEUBACHER FOTOS: R. REINER, WILDLIFEPICS.NET
Im Rehwildland Oberösterreich spielt Gamswild – so könnte man meinen – keine allzu prominente Rolle. Trotzdem ist gerade diese Wildart in den letzten Jahren in Oberösterreich immer mehr in den Blickpunkt nicht nur der Jägerschaft, sondern auch anderer Naturnutzer getreten. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und spannen gerade in der Diskussion einen weiten Bogen, vom Schutzwaldschädling „Numero Eins“ bis zum bedrängten Alpenbewohner, dem nicht nur die Lebensräume abhandenkommen.
Diesen Umstand vor Augen wird gerade das Gamswild in den Fachgremien des OÖ Landesjagverbandes schon seit geraumer Zeit eingehend thematisiert. Der Grundgedanke dahinter fußt auf der Erkenntnis, dass ein konstruktiver Diskurs, welche Rolle das Gamswild in unserer Kulturlandschaft künftig einnehmen wird, vorangetrieben werden muss. Dies kann nur auf eine fundierte Kenntnis über dessen Zustand und die sich daraus ergebenden Wechselwirkungen mit seinem zugegebenermaßen sensiblen Lebensraum basieren.
Hier stehen wir nicht alleine da. Auch in anderen Bundesländern haben die Bemühungen, sei es auf jagdlicher Ebene, etwa durch Bestandserfassungen, wie auch in Form von wissenschaftlichen Aktivitäten rund um das Gamswild stark zugenommen. Beispielgebend sei hier nur die zeitnahe Arbeit von Rudolf Rainer (2020) erwähnt, welche den Zustand des Gamswildes im Bundesland Salzburg sehr differenziert wiedergibt. „Differenziert“ ist hier auch der wesentliche Punkt, weil wir zumindest bereits jetzt konstatieren dürfen, dass eine pauschale Aussage über das Befinden des Gamswildes, etwa im gesamten Alpenraum allein durch die Missachtung der Vielzahl von lokalen unterschiedlichen Einflussgrößen völlig kontraproduktiv in einer ernsthaft geführten Diskussion über den Zustand unserer Gamswildbestände wirkt. KLIMAWANDEL UND TOURISMUS
Mittlerweile können wir als wissenschaftlich gesichert voraussetzen, dass Gamswild zu jenen Wildarten zählt, die in ihren angestammten Lebensräumen durch die stetig voranschreitenden Auswirkungen des Klimawandels (Parasitendruck, Hitzestress…) stark betroffen ist. Desgleichen gilt für die enorme Zunahme der Raumnutzungskonkurrenz durch den Menschen. Die Auswirkungen können natürlich nicht direkt am Einzelindividuum festgemacht werden. Betrachtet man dahingegen ganze Gamspopulationen über längere Zeiträume, so verdichten sich die Hinweise darauf, dass durch eine Vielzahl von negativen Einflussfaktoren (welche im Einzelnen nicht
so dramatisch erscheinen, aber in ihrer Gesamtheit kumulativ wirken) eine allgemeine Abnahme der durchschnittlichen Körpermaße festgestellt werden kann. Demgegenüber zeigt Gamswild augenscheinlich eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit bei der Lebensraumwahl und zwar als Ausweichreaktion durch ständige Störungen durch den Menschen und/oder witterungsbedingten Einflüssen wie steigende Durchschnittstemperaturen. Die Oberösterreichischen Kalkalpen betreffend sind die Ausweichoptionen bereits durch die fehlende Höhe eher enden wollend. Um dies im Vergleich zu verdeutlichen: In Oberösterreich erreichen lediglich elf Bergstöcke eine Höhe von 2500 m, wohingegen etwa in Tirol 1114 Gipfel über diesem Wert liegen und noch dazu die überwiegende Anzahl davon in den Zentralalpen zu finden sind, welche mit eindeutig günstigeren Äsungsbedingungen auch in diesen Höhenlagen aufwarten können. Die Krux hierzulande ist nur, falls dem Oberösterreichischen Gams überhaupt lokale Ausweichoptionen offenstehen, wird die Generaltendenz künftig immer mehr vom deckungsarmen Offenland zum deckungsreichen „SCHUTZwald“, im wahrsten Sinne des Wortes, sein. WAS TUN?
Die alles umfangende Frage lautet also, wie mit dem Gamswild unter den sich drastisch ändernden Lebensumständen umgegangen werden solle. Als Entscheidungsfindung für den generellen Umgang mit dieser Wildart brauchen wir jedoch, so wie weiter oben bereits thematisiert, ein einigermaßen genaues Bild über den Zustand der Gams in unserem Bundesland. Eben zu diesem Zweck wurde vor nunmehr sieben Jahren das OÖ. Gamswildprojekt ins Leben gerufen, vermittels dessen in ausgesuchten Referenzzählgebieten (RZG) die Bestände einer jährlichen Zählung unterzogen werden. Wobei „Zählung“ hier eventuell falsche Vorstellungen suggerieren könnte. Die wesentliche Zielsetzung dieses Projektes ist nämlich nicht eine absolute, quantitative Erfassung des Zählbestandes, etwa als Basis für eine Hochrechnung, wie viel Gams in Oberösterreich die Fährte ziehen und folglich einer Bejagung unterzogen werden können. Die Intentionen dieses Projektes zielen vielmehr auf die Erfassung von Altersstrukturen, Geschlechterverhältnissen und natürlich auch etwaigen Dichtetrends ab. Denn wenn unser Interesse, wie in diesem Falle dem günstigen Zustand des Gamswildes gilt, so sind ungeachtet der lokalen Dichteverhältnisse, welche im Normalfall bereits durch natürliche Einflüsse stark schwanken können, vielmehr das Geschlechtsverhältnis sowie die Altersstruktur als wesentliche Größe zur Bemessung des Zustandes einer Population zu bewerten. Zu diesem Zweck werden den Zählergebnissen, die auf gleicher Fläche erfassbaren Abgänge (Abschuss einschließlich soweit belegbar Fallwild) gegenübergestellt und interpretiert.
ERGEBNISSE
Derzeit sind solche RZG in Molln, Spital am Pyhrn, rund um das Prielmassiv sowie am Ebenseer Eibenberg installiert. Leider konnte coronabedingt im Jahr 2020 keine Zählung durchgeführt werden, sodass nunmehr immerhin aus fünf Jahren Ergebnisse vorliegen, die den Versuch einer vorsichtigen Interpretation durchaus zulassen. Generell kann zumindest erkannt werden, dass in allen RZG die Zähldichte in den einzelnen Jahren naturgemäß zwar durchaus schwankt, doch insgesamt keine signifikante Dichteveränderung eingetreten ist, ja sogar in einem RZG eine Zählbestandserhöhung festgestellt werden kann. Bezieht man nun die Abgänge mit ein, welche in allen RZG durch die Jahre auf selbem Niveau liegen, liegt der Schluss nahe, dass einerseits die in den einzelnen RZG getätigten Entnahmen zu keiner signifikanten Dichteveränderung geführt haben und andererseits im Betrachtungszeitraum auch keine natürlichen Einflussgrößen (für Gamswildbestände durchaus normale limitierende Extremereignisse) in diesem Zeitraum eingetreten sein können. Was das Geschlechterverhältnis anlangt, so zeigen die Zählergebnisse aller RZG einen deutlichen Überhang an weiblichen Stücken. Eine vorschnelle Schlussfolgerung, dass folglich die Entnahmen an männlichen Exemplaren zu hoch sein wird, führt jedoch insofern ins Leere, da die Abgangszahlen in allen RZG durch alle Jahre ebenfalls einen eindeutigen Trend an Mehrabschüssen bei den weiblichen Stücken erkennen lassen.
Um diesbezüglich exaktere Aussagen treffen zu können, muss sich die Datenlage durch die Zählungen der nächsten Jahre noch deutlich verdichten, und auch die Untersuchung, unter welchen Umständen (Zählzeitpunkt, Sichtbarkeit einzelnstehender männlicher? Individuen…) eingehender verglichen und analysiert werden. Diesbezüglich gibt es durchaus interessante Hinweise auch aus anderen Zählgebieten, die mittlerweile auf langjährigen Erfahrungswerten basieren, etwa aus den hohen Tauern, wo durchschnittlich zwischen 25 bis 30% mehr weibliche Stücke gezählt werden, der tatsächliche Bestand aber nachweislich ein ausgeglichener ist.
Diese Erkenntnisse dürfen uns jedoch nicht dazu verleiten, ein Pauschalurteil, etwa nach dem Motto: „Dann is‘ ja alles paletti“ zu fällen. Für eine solche Aussage ist das RZG Netz derzeit noch eindeutig zu weitmaschig. Hinzu kommt, dass alle RZG Gebiete schon aus der Natur der Sache einer durchaus professionellen Bejagung unterzogen werden, diese aber für den gesamten Oberösterreichischen Gamslebensraum nicht konstatiert werden kann.
Die Manifestation dessen, spiegelt sich bereits bei der eingehenden Analyse der Oberösterreichischen Gamswildstrecken wider, die klar erkennen lässt, dass für unser Bundesland zwar eine auf diese Lebensraumverhältnisse sehr detailliert abgestimmte Gamswildrichtlinie vorliegt, diese aber immer noch zu wenig Eingang in den Handlungsspielraum der ES HAT SICH JEDOCH BEREITS agierenden JäGEZEIGT, DASS DER HIERZULANDE ger vor Ort geEINGESCHLAGENE WEG BETREFFEND funden hat. Al-
GAMSWILDMONITORING leine die nach DER RICHTIGE IST. wie vor viel zu hohen Abgänge in beiden Mittelklassen lassen sich anders wohl kaum interpretieren. Um nochmals auf den Klimawandel zurückzukommen. Offensichtlich haben auch die für Gamswild völlig normalen, in regelmäßigen Abständen auftretenden, limitierenden Einflussfaktoren (zumindest für die Verhältnisse in den nördlichen Randalpen) deutlich an Intensität verloren. Dieses natürliche Regulativ betraf in der Regel die schwachen Stücke, hier jedoch eindeutig die frühe Jugend, sowie das hohe Alter. Unter der durchaus berechtigten Annahme, dass uns diese Selektion durch Mutter Natur künftig nicht mehr als dominierende Größe abgenommen wird, ist die Forderung nach einer Abschussdurchführung nach eindeutig ökologischen (dem günstigen Zustand des Gamswildes förderlichen) Kriterien mehr als angebracht.
Schlussendlich hat sich jedoch bereits jetzt gezeigt, dass der hierzulande eingeschlagene Weg betreffend Gamswildmonitoring der richtige ist, aber durchaus noch Erweiterungspotential hat, vorwiegend in Bezug auf die Verdichtung des RZG Netzes durch die Installation weiterer Zählgebiete. Diesbezüglich finden mittlerweile mehrere Sondierungsgespräche vor allem im inneren Salzkammergut statt und es ist zu erwarten, dass bereits bei der heurigen Zählung weitere RZG hinzugenommen werden können. Durch die Verdichtung des RZG Netzes soll vor allem die Aussagekraft über die Altersstruktur und dem Geschlechterverhältnis als wesentliche Größe zur Bemessung des Zustandes einer Population forciert werden.
Auch in den Bundesländern Steiermark, Salzburg und Kärnten werden heuer Gamswilderfassungen vorgenommen und zwar mit Stichtag 15. Oktober. Wobei hier die Bundesländer Steiermark und Kärnten eine Vollzählung anstreben, Salzburg wie auch Oberösterreich auf die zuvor beschriebene Methode von ausgesuchten Referenzzählgebieten setzen.
In jedem Fall werden auch unsere Bemühungen dazu beitragen, den Status des Gamswildes erfassen zu können. Und zwar als unabdingbare Grundlage für eine Generalplanung zur künftigen jagdlichen Bewirtschaftung einer besonderen Wildart, die unsere Zuwendung eindeutig benötigt und verdient.
Denn Jagd verpflichtet – Gamsjagd auch!
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