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PRÄGENDE BEGEGNUNGEN zwischen Frau und Rehgeiß

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NEUE. BÜCHER.

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Eine berührende Geschichte über ein Geißkitz, das mit Gerlinde Lehbrunner aus Saxen im unteren Mühlviertel seine menschliche Ersatzmutter fand, die sich mit viel Gespür und Einfühlungsvermögen der Aufgabe angenommen hat, ein Waisenkitz großzuziehen.

Es war aber nicht das erste Kitz, das unter ihrer Obhut aufgepäppelt wurde, um wieder in freier Wildbahn zu leben. Schlappi – der Name rührt daher, weil ein Lauscher etwas herunterhängt – war 2015 ihr 14. Rehkitz, das es geschafft hat, auch ohne Mutter über die Runden zu kommen. Und jedes dieser Rehkitze hat seine eigene, besondere Geschichte, die eine Erzählung wert wäre. In diesem Beitrag widmen wir uns einigen besonderen Episoden im Leben der mittlerweile alten Rehgeiß Schlappi. Hören und spüren Sie in sich selbst hinein, welche Gefühle und Emotionen diese Beziehung auslöst.

„Obwohl ich bereits ähnliche Erfahrungen mit anderen Rehkitzen gesammelt habe, war Schlappi für uns eine ganz besondere Bereicherung“, erzählt ihre „Ziehmutter“ Gerlinde Lehbrunner. Wie bei einem Säugling muss ein Rehkitz anfangs alle zwei Stunden mit der Flasche gefüttert werden. So dauerte es nicht lange, bis Schlappi in die Stube einzog und in einem Korb übernachten durfte. Jagdhündin Conny gewöhnte sich sofort daran und übernahm beinahe eine Mutterrolle für das Kitz, wie später noch berichtet wird. Es beteiligten sich auch die Nachbarskinder an der Aufzucht und brachten jeden zweiten Tag Ziegenmilch für das Kitz vorbei.

Für gewöhnlich schleckt die Rehgeiß während dem Säugen am Weidloch des Kitzes, solange die Losung noch weich und breiig ist. „Ich habe statt- dessen, wie auch bei vorigen Kitzen, immer mit der Zahnbürste sanft das Weidloch gereinigt und massiert. Ich konnte meinen Augen kaum trauen als unsere Hündin Conny plötzlich begann, diese Aufgabe zu übernehmen und das Kitz ständig hinten abgeleckt hat. Auch wenn wir schon allerhand erlebten, so zum Beispiel auch, dass ein Kitz bei der Katze gesäugt hat, war dies ein besonders emotionaler Moment für mich“.

Faszinierend, wie ein Jagdhund, der hervorragende Arbeit im Jagdbetrieb leistet und auch eine Wildschärfe an den Tag legt, plötzlich die Mutterrolle für ein Rehkitz übernimmt.

Im Alltag wurde Schlappi wie ein zweiter Hofhund. Sie wurde nie eingesperrt und konnte sich auf dem Bauernhof, im Stall und auch draußen stets frei bewegen. Dennoch entfernte sie sich anfangs nur kurzfristig von Lehbrunner und Hündin Conny. Obwohl eine sehr innige Beziehung aufgebaut wurde, war es der „Ersatzmutter“ wichtig, dass dieses Kitz, wie auch alle anderen Rehkitze, ein Wildtier blieb. So war es bis September sie regelrecht die Nachgeburt.“ In der Nachgeburt sind Hormone enthalten, durch deren Aufnahme die Geiß gegen nachfolgende Blutungen geschützt wird und gleichzeitig wird damit erreicht, dass das Raubwild keine Witterung erhält.

FASZINIEREND, WIE EIN JAGDHUND, DER HERVORRAGENDE ARBEIT

IM JAGDBETRIEB LEISTET UND AUCH

EINE WILDSCHÄRFE AN DEN TAG

LEGT, PLÖTZLICH DIE MUTTERROLLE FÜR EIN REHKITZ ÜBERNIMMT.

2015 am Hof, bevor es seinen Lebensraum im angrenzenden Wald fand. Doch Schlappi blieb vertraut…

Sie entwickelte sich zu einer sehr dominanten Geiß, die in ihrem Einstand oft andere verstaubte – wie auch viele Jäger vom Ansitz berichteten. Im Brunftbetrieb war sie in der Regel eine der ersten Geißen, die beschlagen wurde. Zum ersten Mal hat Schlappi 2017, wie auch in allen darauf folgenden Jahren einschließlich 2022, selbst zwei Rehkitze gesetzt. Mit allen Kitzen ist sie immer wieder auf den Hof gekommen, sodass diese auch mit Ohrmarken versehen werden konnten.

Der unvergesslichste Moment für Gerlinde Lehbrunner war jedoch, als sie selbst dabei war, als Schlappi im Jahr 2022 ihr zweites Kitz gesetzt hat. „An jenem Tag fuhr ich mit dem Hoftrac am Gerstenfeld vorbei, als Schlappi plötzlich auf dem Feld hoch wurde. Sie wollte vermutlich meine Aufmerksamkeit erlangen. Ich legte Conny ab und ging zu ihr, als ich bemerkte, dass Schlappi gerade vor meinen Augen ein Kitz setzte und es liebevoll abschleckte. Anschließend ‘verputzte‘

Lehbrunner weiter: „Jedenfalls dachte ich in dem Moment, es wäre diesmal nur ein Kitz und sagte zu ihr ‘Ach Schlappi, hast du dieses Jahr nur ein Kitz?‘. Doch Schlappi deutete mit dem Haupt in eine Richtung und machte mich auf das erste Kitz, ein Stück entfernt abgelegt, aufmerksam. Ich wollte die frisch gesetzten Kitze nicht gleich mit Marken versehen und war überzeugt, dass Schlappi nochmal mit ihnen zu mir kommen wird.“ Genauso war es eine Woche später. Da wurden auch die heurigen Kitze mit Ohrmarken markiert. Dieses Erlebnis werde sie nie vergessen und habe sie ganz besonders geprägt.

Nicht immer sind es nur schöne Momente, so mussten mehrmals Kitze zum Tierarzt gebracht werden, denen stets unentgeltlich geholfen wurde. Oder so musste ein aufgezogener Rehbock als 3-Jähriger durch einen Kugelschuss erlöst werden, da er offensichtlich krank war.

Am Ende des Tages ist es für Gerlinde Lehbrunner aber eine absolute Bereicherung, ein Rehkitz aufzuziehen. Es bedeutet für sie kein Aufbürden von Arbeit, sondern ein persönliches Wachsen an solch besonderen Erfahrungen. Verlieren wir also nicht an Gespür und erlauben wir uns, hineinzuhorchen und wahrzunehmen. Gefühle zu haben und zuzulassen ist eine Stärke, die wir ganz besonders auch in der Jagd haben dürfen und sollen.

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