Oskar Schlemmer

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OSKAR SCHLEMMER

OSKAR SCHLEMMER

ISBN 978-3-89790-558-0

9 783897 905580 >

DAS BAUHAUS UND DER WEG IN DIE MODERNE

„Zu meinen Bildern: ‚Bilder‘, die sie eben nicht mehr sind im bekannten Sinn, Leinwände, auf denen ein Stück Natur, Welt, mit allen Illusionen des Raums und Lichts, eingefangen ist, um, in Goldrahmen gepresst, ihr Sonderdasein in den Salons und Museen zu führen; es sind vielmehr Tafeln, die den Rahmen sprengen, um sich der Wand zu verbinden und ein Teil der größeren Fläche, des größeren Raums als sie selbst, zu werden, solcherart Teil einer gedachten, erwünschten Architektur ist in ihnen komprimiert, auf ein Kleines zusammengepreßt, was Form und Gesetz ihrer Umgebung wäre.“

DAS BAUHAUS UND DER WEG IN DIE MODERNE


Stiftung Schloss Friedenstein Gotha (Hg.)

DAS BAUHAUS UND DER WEG IN DIE MODERNE


Stiftung Schloss Friedenstein Gotha (Hg.)

DAS BAUHAUS UND DER WEG IN DIE MODERNE


DER NEUE MENSCH

SCHLEMMERS VISION EINER IDEALEN KUNSTFIGUR


DER NEUE MENSCH

SCHLEMMERS VISION EINER IDEALEN KUNSTFIGUR


Timo Trümper

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ligatorisch sein. Im Mittelpunkt des Unterrichts stehen der Mensch „als körperliches und geistiges Wesen“2 und ausgehend von der Harmonie- und Proportionslehre die Konsequenzen, die aus den menschlichen Maßverhältnissen für die Gestaltung der Umwelt gezogen werden müssen.3 1928 erhält Schlemmer darüber hinaus die Aufforderung zur Teilnahme an dem Wettbewerb für die Ausmalung der Rotunde des Brunnenraums im Museum Folkwang in Essen, eines seiner wichtigsten Wandbildprojekte. Der Auftrag wird ihn noch bis 1930 beschäftigen. 1929 verlässt Schlemmer aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über seine zukünftigen Theaterprojekte, deren Politisierung er ablehnt, das Bauhaus Dessau und wechselt an die Schlesische Akademie in Breslau. Dort folgt eine kurze, aber wichtige Schaffensphase, die von äußerster Produktivität und künstlerischer Entfaltung geprägt ist.4 Betrachten wir die Fotografie erneut, so können wir den einzelnen Bildelementen verschiedene Funk­ tionen zuweisen, die eine Rückkopplung an jene bildnerischen Positionen erlauben, die das Werk Schlemmers fast durchgehend kennzeichnen. Zuallererst ist es ganz allgemein die Darstellung des Menschen als Zentralthema. Generell weisen bei Schlemmer Figuren in ihrer Vereinfachung eine abstrahierende Künstlichkeit auf, wie es hier im konkreten Beispiel die Stilisierung des Kopfes durch die Glasglocke vor Augen führt. Es sind organische Flächen in vereinfachten Formen, die ab einem bestimmten Zeitpunkt im Œuvre Schlemmers mit einem surrealen Raum in Beziehung gesetzt werden.5 Schlemmer nähert sich dieser Verortung der Figur im Raum durch ein Koordinatensystem von diago-

ABB. 2 Oskar Schlemmer mit Selbstauslöser (?): SELBSTINSZENIERUNG für die Mappe 9 JAHRE BAUHAUS. EINE CHRONIK, um 1928, Bauhaus-Archiv Berlin

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DER NEUE MENSCH

Eine Schwarz-Weiß-Fotografie, entstanden um 1928, zeigt Oskar Schlemmer sitzend vor einem dunklen Hintergrund, den Blick selbstbewusst geradeaus, direkt auf den Betrachter gerichtet (Abb. 2). Bekleidet ist er mit einer auffälligen gestreiften Hausjacke, die den Blick freigibt auf ein weißes Hemd, Kra­ watte und Anzug. Die linke Hand in die Hüfte gestemmt, hält er die rechte aufrecht auf Brusthöhe, die Handkante nach vorne gedreht. Irritierend an der Aufnahme ist, dass der markante kahle Kopf des Künstlers vollständig von einer zylindrischen und nach oben hin abgerundeten Glasglocke bedeckt wird. Hier offenbaren sich Schlemmers Lust an der Maskerade und sein Humor, die beide nicht nur die legendären Bauhausfeste befördern, sondern sich vor allem auch bei seinen zahlreichen Bühnenaktivitäten auszahlen sollten. Doch die Aufnahme ist weit mehr als eine humoristische Selbst­ inszenierung eines der abwechslungsreichsten Künstler der Moderne. Entstanden für die Mappe 9 jahre bauhaus. eine chronik, die von Bauhaus-Studenten und -Meistern für den scheidenden Gründer und ersten Direktor Walter Gropius zusammengestellt wird, manifestieren sich in ihr zentrale Leit­ ideen Schlemmers: der Mensch als idealisierte Kunst­ figur in einem (surrealen) Raum und der Versuch, das „Metaphysische“ in seiner Kunst zu binden.1 Zu jener Zeit befindet sich Schlemmer auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Die wesentlichen Merkmale seiner Kunst und deren theoretische Konzepte sind entwickelt und neben der Leitung der Bauhausbühne gibt er fortan den Kurs „Der Mensch“. Dieser soll eine theoretische Grundlage der Ausbildung am Bauhaus bilden und für das dritte Semester ob-


Timo Trümper

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ligatorisch sein. Im Mittelpunkt des Unterrichts stehen der Mensch „als körperliches und geistiges Wesen“2 und ausgehend von der Harmonie- und Proportionslehre die Konsequenzen, die aus den menschlichen Maßverhältnissen für die Gestaltung der Umwelt gezogen werden müssen.3 1928 erhält Schlemmer darüber hinaus die Aufforderung zur Teilnahme an dem Wettbewerb für die Ausmalung der Rotunde des Brunnenraums im Museum Folkwang in Essen, eines seiner wichtigsten Wandbildprojekte. Der Auftrag wird ihn noch bis 1930 beschäftigen. 1929 verlässt Schlemmer aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über seine zukünftigen Theaterprojekte, deren Politisierung er ablehnt, das Bauhaus Dessau und wechselt an die Schlesische Akademie in Breslau. Dort folgt eine kurze, aber wichtige Schaffensphase, die von äußerster Produktivität und künstlerischer Entfaltung geprägt ist.4 Betrachten wir die Fotografie erneut, so können wir den einzelnen Bildelementen verschiedene Funk­ tionen zuweisen, die eine Rückkopplung an jene bildnerischen Positionen erlauben, die das Werk Schlemmers fast durchgehend kennzeichnen. Zuallererst ist es ganz allgemein die Darstellung des Menschen als Zentralthema. Generell weisen bei Schlemmer Figuren in ihrer Vereinfachung eine abstrahierende Künstlichkeit auf, wie es hier im konkreten Beispiel die Stilisierung des Kopfes durch die Glasglocke vor Augen führt. Es sind organische Flächen in vereinfachten Formen, die ab einem bestimmten Zeitpunkt im Œuvre Schlemmers mit einem surrealen Raum in Beziehung gesetzt werden.5 Schlemmer nähert sich dieser Verortung der Figur im Raum durch ein Koordinatensystem von diago-

ABB. 2 Oskar Schlemmer mit Selbstauslöser (?): SELBSTINSZENIERUNG für die Mappe 9 JAHRE BAUHAUS. EINE CHRONIK, um 1928, Bauhaus-Archiv Berlin

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DER NEUE MENSCH

Eine Schwarz-Weiß-Fotografie, entstanden um 1928, zeigt Oskar Schlemmer sitzend vor einem dunklen Hintergrund, den Blick selbstbewusst geradeaus, direkt auf den Betrachter gerichtet (Abb. 2). Bekleidet ist er mit einer auffälligen gestreiften Hausjacke, die den Blick freigibt auf ein weißes Hemd, Kra­ watte und Anzug. Die linke Hand in die Hüfte gestemmt, hält er die rechte aufrecht auf Brusthöhe, die Handkante nach vorne gedreht. Irritierend an der Aufnahme ist, dass der markante kahle Kopf des Künstlers vollständig von einer zylindrischen und nach oben hin abgerundeten Glasglocke bedeckt wird. Hier offenbaren sich Schlemmers Lust an der Maskerade und sein Humor, die beide nicht nur die legendären Bauhausfeste befördern, sondern sich vor allem auch bei seinen zahlreichen Bühnenaktivitäten auszahlen sollten. Doch die Aufnahme ist weit mehr als eine humoristische Selbst­ inszenierung eines der abwechslungsreichsten Künstler der Moderne. Entstanden für die Mappe 9 jahre bauhaus. eine chronik, die von Bauhaus-Studenten und -Meistern für den scheidenden Gründer und ersten Direktor Walter Gropius zusammengestellt wird, manifestieren sich in ihr zentrale Leit­ ideen Schlemmers: der Mensch als idealisierte Kunst­ figur in einem (surrealen) Raum und der Versuch, das „Metaphysische“ in seiner Kunst zu binden.1 Zu jener Zeit befindet sich Schlemmer auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Die wesentlichen Merkmale seiner Kunst und deren theoretische Konzepte sind entwickelt und neben der Leitung der Bauhausbühne gibt er fortan den Kurs „Der Mensch“. Dieser soll eine theoretische Grundlage der Ausbildung am Bauhaus bilden und für das dritte Semester ob-


Diese Entwicklung hin zu einer immer stärkeren Entmaterialisierung der menschlichen Figur lässt sich unter anderem im Entwurf zum Homo von 1920/21 beobachten.15 Zehn Jahre später als Wandplastik mit ergänzter Rückenfigur im Haus Rabe (Zwenkau) realisiert, zeigt diese Schlemmers fortwährendes Bestreben, einen „allgemeingültige[n] Typus der Gestalt“ zu schaffen (Abb. 7, Kat. 64).16 Eine zusätzliche Belebung und auch Bildhaftigkeit der Wandplastik wird durch die im Hintergrund aufgesprühten Schatten sowie wechselndes Licht erreicht, aufgrund dessen der etwa acht Zentimeter von der Wand entfernte Draht deutliche Schlagschatten wirft.17 Auf eine wie auch immer ausgeformte Individualität wird zugunsten zeitloser Typisierung verzichtet, aller­dings nach wie vor unter Verwendung eines abstrahiert-organischen Formenrepertoires. Schlemmer äußert dazu: „Die Formenwelt, die ich […] anwandte, entsprang einerseits aus der Elementarlehre der Geometrie und Stereometrie, übersetzt in neue, anreizende Materialien unserer Zeit, andererseits aus der Elementarlehre des menschlichen Körpers, der, wie ich immer wieder sage, ebenso ein Wesen aus Fleisch und Blut ist, als auch ein Gelenkapparat von wundervoller Exaktheit der Funktionen.“18 Damit steht seine künstlerische Auffassung in Opposition zur abstrakten Formenlehre, die von Kandinsky am Bauhaus propagiert wird und sich auf Punkt, Linie und Fläche, Quadrat, Kreis und Dreieck konzentriert (Kat. 46 u. 47).19

MASCHINE UND MECHANIK

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nale Auffassung, die Bezüge zur Mechanik herstellt. So steht die Materialität der plastischen Arbeiten Maschinen nahe und die Darstellung der Gelenke als Kreise weckt die Assoziation mit mechanischen Umlenkrollen. Diese Aspekte finden ihre Parallelen in zeitgenössischen Strömungen von Malerei, Literatur, auf der Bühne und im Film. So begegnet einem das Thema „Maschinenmensch“ um 1920 bei den Expressionisten genauso wie bei den italienischen Futuristen und vielleicht am prominentesten im Film Metropolis (1927) von Fritz Lang.20 Während dort der Maschinenmensch, verkörpert durch die „falsche Maria“, etwas Bedrohliches ist und das gnadenlose Maschinenzeitalter zu einer Vergewaltigung des gleichgeschalteten Arbeiters führt, ist es hingegen Schlemmers Bestreben, eine Harmonie des Menschen mit dem technischen Fortschritt zu

DER NEUE MENSCH

ABB. 7 • (KAT. 64) Oskar Schlemmer: HOMO MIT RÜCKENFIGUR AUF DER HAND, 1930/31 (Edition 1968), Döbele-Kunst-Mannheim

Schlemmers intensive Beschäftigung mit der Abstraktion und radikalen Reduktion des menschlichen Körpers während seiner Zeit in Weimar zeigt sich ebenso in den Arbeiten Abstrakte Figur nach links und Figurenplan, die beide 1923 entstehen (Kat. 10 u. 11). Wenn auch die Konturlinien der Figuren in organischer Manier gebildet sind, so vermitteln die Arbeiten doch alle ebenfalls eine technisch-ratio­

ABB. 8 • (KAT. 5) Oskar Schlemmer: ABSTRAKTER KOPF (Werkzeichnung für eine Metallplastik), 1923, Staatsgalerie Stuttgart


Diese Entwicklung hin zu einer immer stärkeren Entmaterialisierung der menschlichen Figur lässt sich unter anderem im Entwurf zum Homo von 1920/21 beobachten.15 Zehn Jahre später als Wandplastik mit ergänzter Rückenfigur im Haus Rabe (Zwenkau) realisiert, zeigt diese Schlemmers fortwährendes Bestreben, einen „allgemeingültige[n] Typus der Gestalt“ zu schaffen (Abb. 7, Kat. 64).16 Eine zusätzliche Belebung und auch Bildhaftigkeit der Wandplastik wird durch die im Hintergrund aufgesprühten Schatten sowie wechselndes Licht erreicht, aufgrund dessen der etwa acht Zentimeter von der Wand entfernte Draht deutliche Schlagschatten wirft.17 Auf eine wie auch immer ausgeformte Individualität wird zugunsten zeitloser Typisierung verzichtet, aller­dings nach wie vor unter Verwendung eines abstrahiert-organischen Formenrepertoires. Schlemmer äußert dazu: „Die Formenwelt, die ich […] anwandte, entsprang einerseits aus der Elementarlehre der Geometrie und Stereometrie, übersetzt in neue, anreizende Materialien unserer Zeit, andererseits aus der Elementarlehre des menschlichen Körpers, der, wie ich immer wieder sage, ebenso ein Wesen aus Fleisch und Blut ist, als auch ein Gelenkapparat von wundervoller Exaktheit der Funktionen.“18 Damit steht seine künstlerische Auffassung in Opposition zur abstrakten Formenlehre, die von Kandinsky am Bauhaus propagiert wird und sich auf Punkt, Linie und Fläche, Quadrat, Kreis und Dreieck konzentriert (Kat. 46 u. 47).19

MASCHINE UND MECHANIK

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nale Auffassung, die Bezüge zur Mechanik herstellt. So steht die Materialität der plastischen Arbeiten Maschinen nahe und die Darstellung der Gelenke als Kreise weckt die Assoziation mit mechanischen Umlenkrollen. Diese Aspekte finden ihre Parallelen in zeitgenössischen Strömungen von Malerei, Literatur, auf der Bühne und im Film. So begegnet einem das Thema „Maschinenmensch“ um 1920 bei den Expressionisten genauso wie bei den italienischen Futuristen und vielleicht am prominentesten im Film Metropolis (1927) von Fritz Lang.20 Während dort der Maschinenmensch, verkörpert durch die „falsche Maria“, etwas Bedrohliches ist und das gnadenlose Maschinenzeitalter zu einer Vergewaltigung des gleichgeschalteten Arbeiters führt, ist es hingegen Schlemmers Bestreben, eine Harmonie des Menschen mit dem technischen Fortschritt zu

DER NEUE MENSCH

ABB. 7 • (KAT. 64) Oskar Schlemmer: HOMO MIT RÜCKENFIGUR AUF DER HAND, 1930/31 (Edition 1968), Döbele-Kunst-Mannheim

Schlemmers intensive Beschäftigung mit der Abstraktion und radikalen Reduktion des menschlichen Körpers während seiner Zeit in Weimar zeigt sich ebenso in den Arbeiten Abstrakte Figur nach links und Figurenplan, die beide 1923 entstehen (Kat. 10 u. 11). Wenn auch die Konturlinien der Figuren in organischer Manier gebildet sind, so vermitteln die Arbeiten doch alle ebenfalls eine technisch-ratio­

ABB. 8 • (KAT. 5) Oskar Schlemmer: ABSTRAKTER KOPF (Werkzeichnung für eine Metallplastik), 1923, Staatsgalerie Stuttgart


ABB. 20 • (KAT. 26) Oskar Schlemmer: DREI FIGUREN IM RAUM (EINFACHE GESTE), 1928, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung

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LICHT UND SCHATTEN

ABB. 19 • (KAT. 18) Oskar Schlemmer: ZWEI STEHENDE UND FIGUR AUF SCHMALER TREPPE, um 1924/25, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung


ABB. 20 • (KAT. 26) Oskar Schlemmer: DREI FIGUREN IM RAUM (EINFACHE GESTE), 1928, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung

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LICHT UND SCHATTEN

ABB. 19 • (KAT. 18) Oskar Schlemmer: ZWEI STEHENDE UND FIGUR AUF SCHMALER TREPPE, um 1924/25, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung


ABB. 29 Oskar Schlemmer: GELÄNDERSZENE, 1932, Staatsgalerie Stuttgart

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LICHT UND SCHATTEN

ABB. 28 Oskar Schlemmer: MÄDCHENKOPF IN FARBIGER KARIERUNG, 1932, Privatbesitz, Hamburg


ABB. 29 Oskar Schlemmer: GELÄNDERSZENE, 1932, Staatsgalerie Stuttgart

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LICHT UND SCHATTEN

ABB. 28 Oskar Schlemmer: MÄDCHENKOPF IN FARBIGER KARIERUNG, 1932, Privatbesitz, Hamburg


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Oskar Schlemmer

RÜCKLINGS SITZENDE AM TISCH

1936 Öl auf Papier auf Pappe, 753 x 593 mm Museum Folkwang, Essen Lit.: Von Maur 1979, G 345

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Oskar Schlemmer

DREI FRAUEN AM TISCH UND STEHENDE (TISCHGESELLSCHAFT)

um 1927/28 Aquarell über Bleistift, übergangen mit ­Rotstift und Bleistift auf dünnem, rohweißem Papier, aufgezogen, 174 × 297 mm (Blatt) Staatsgalerie Stuttgart, Graphische ­Sammlung, Inv.-Nr. C 1947/52 Lit.: Stuttgart 1968, Nr. 99, Abb. S. 78; Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 235

AM BAUHAUS IN DESSAU (1925–29) In Dessau widmet sich Schlemmer als Meister der Bauhausbühne zunächst vorrangig dem Theater. Erst 1928, als sein Kurs „Der Mensch“ zur Pflichtveranstaltung für die Studierenden wird, beginnt er nach mehrjähriger Pause wieder zu malen. Studien in Proportion und Anatomie sowie philosophische Fragen sollen den „Typus Mensch“ in seiner einfachsten, grundlegenden Form zeigen. Diese Quintessenz des Menschen sucht Schlemmer stets auch in seinen Bildern darzustellen. Das Gemälde Fünfzehnergruppe von 1929 darf als eines der Hauptwerke des Künstlers gelten. Es verarbeitet die in jener Zeit populäre Thematik von Sport und Körperkult und überträgt die Athleten als Figurenbauten in ein flächiges Koordinatensystem, das Bezüge zur Architektur aufweist.

TANZ UND BEWEGUNG Im Kontext von Schlemmers Auseinandersetzung mit Bewegung und Tanz entstehen beschwingte Federzeichnungen, die von einer gesteigerten Dynamisierung zeugen. Die Darstellung von Bewegungsmustern beschäftigt dabei Schlemmer in seinen Zeichnungen genauso wie in seiner Bühnenarbeit. Das Leitthema ist hierbei die Figur im Raum. Für das Triadische Ballett schafft Schlemmer verschiedene typenhafte Kostüme in geometrischen Formen. Diese gestatten den Tänzern als Kunstfiguren auf der Bühne nur einge-

schränkte, mechanisch anmutende Bewegungen, die abstrakte Raumund Bewegungsprinzipien veranschaulichen sollen.

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Oskar Schlemmer

HALBFIGUREN HINTEREINANDER

um 1921 Feder in Schwarz auf dünnem, beigem Papier, 286 × 211 mm Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1951/374 Lit.: Grohmann 1965, Nr. u. Abb. ZT 177; Stuttgart 1968, Nr. 27, Abb. S. 52

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Oskar Schlemmer

DREI STEHENDE JÜNGLINGSGESTALTEN

1928 Feder in Braun auf verbräuntem Schreib­ papier mit Leinenprägung, 278 × 220 mm Staatsgalerie Stuttgart, Graphische ­Sammlung, Inv.-Nr. C 1948/140 Lit.: Grohmann 1965, Nr. u. Abb. ZT 277; Stuttgart 1968, Nr. 47, Abb. S. 27; Von Maur 1977, Nr. 328

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Oskar Schlemmer

DREI FIGUREN IM RAUM (EINFACHE GESTE)

1928 Aquarell, Bleistift auf dünnem, vergilbtem Papier, ehem. aufgezogen, 562 × 388 mm Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1968/1643 Lit.: Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 366

Oskar Schlemmer

FÜNFZEHNERGRUPPE

1929 Öl und Tempera auf Leinwand, 178 × 100 cm Lehmbruck-Museum, Duisburg, Inv.-Nr. 612/1956 Lit.: Von Maur 1979, G 202; Conzen 2014, Nr. 73

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KATALOG

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Oskar Schlemmer

RÜCKLINGS SITZENDE AM TISCH

1936 Öl auf Papier auf Pappe, 753 x 593 mm Museum Folkwang, Essen Lit.: Von Maur 1979, G 345

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Oskar Schlemmer

DREI FRAUEN AM TISCH UND STEHENDE (TISCHGESELLSCHAFT)

um 1927/28 Aquarell über Bleistift, übergangen mit ­Rotstift und Bleistift auf dünnem, rohweißem Papier, aufgezogen, 174 × 297 mm (Blatt) Staatsgalerie Stuttgart, Graphische ­Sammlung, Inv.-Nr. C 1947/52 Lit.: Stuttgart 1968, Nr. 99, Abb. S. 78; Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 235

AM BAUHAUS IN DESSAU (1925–29) In Dessau widmet sich Schlemmer als Meister der Bauhausbühne zunächst vorrangig dem Theater. Erst 1928, als sein Kurs „Der Mensch“ zur Pflichtveranstaltung für die Studierenden wird, beginnt er nach mehrjähriger Pause wieder zu malen. Studien in Proportion und Anatomie sowie philosophische Fragen sollen den „Typus Mensch“ in seiner einfachsten, grundlegenden Form zeigen. Diese Quintessenz des Menschen sucht Schlemmer stets auch in seinen Bildern darzustellen. Das Gemälde Fünfzehnergruppe von 1929 darf als eines der Hauptwerke des Künstlers gelten. Es verarbeitet die in jener Zeit populäre Thematik von Sport und Körperkult und überträgt die Athleten als Figurenbauten in ein flächiges Koordinatensystem, das Bezüge zur Architektur aufweist.

TANZ UND BEWEGUNG Im Kontext von Schlemmers Auseinandersetzung mit Bewegung und Tanz entstehen beschwingte Federzeichnungen, die von einer gesteigerten Dynamisierung zeugen. Die Darstellung von Bewegungsmustern beschäftigt dabei Schlemmer in seinen Zeichnungen genauso wie in seiner Bühnenarbeit. Das Leitthema ist hierbei die Figur im Raum. Für das Triadische Ballett schafft Schlemmer verschiedene typenhafte Kostüme in geometrischen Formen. Diese gestatten den Tänzern als Kunstfiguren auf der Bühne nur einge-

schränkte, mechanisch anmutende Bewegungen, die abstrakte Raumund Bewegungsprinzipien veranschaulichen sollen.

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Oskar Schlemmer

HALBFIGUREN HINTEREINANDER

um 1921 Feder in Schwarz auf dünnem, beigem Papier, 286 × 211 mm Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1951/374 Lit.: Grohmann 1965, Nr. u. Abb. ZT 177; Stuttgart 1968, Nr. 27, Abb. S. 52

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Oskar Schlemmer

DREI STEHENDE JÜNGLINGSGESTALTEN

1928 Feder in Braun auf verbräuntem Schreib­ papier mit Leinenprägung, 278 × 220 mm Staatsgalerie Stuttgart, Graphische ­Sammlung, Inv.-Nr. C 1948/140 Lit.: Grohmann 1965, Nr. u. Abb. ZT 277; Stuttgart 1968, Nr. 47, Abb. S. 27; Von Maur 1977, Nr. 328

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DREI FIGUREN IM RAUM (EINFACHE GESTE)

1928 Aquarell, Bleistift auf dünnem, vergilbtem Papier, ehem. aufgezogen, 562 × 388 mm Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1968/1643 Lit.: Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 366

Oskar Schlemmer

FÜNFZEHNERGRUPPE

1929 Öl und Tempera auf Leinwand, 178 × 100 cm Lehmbruck-Museum, Duisburg, Inv.-Nr. 612/1956 Lit.: Von Maur 1979, G 202; Conzen 2014, Nr. 73

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WEISSER JÜNGLING AUF GESCHWEIFTEM STUHL

STEHENDER AKT IN BLAU

Oskar Schlemmer

Oskar Schlemmer

1931 Feder und Pinsel in Blau, Aquarell auf rohweißem Schreibpapier mit Leinen­ prägung, 278 × 218 mm (Blatt) Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1947/50 Lit.: Stuttgart 1968, Nr. 101, Abb. S. 82; Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 441; Conzen 2014, Nr. 93

1930 Öl auf Leinwand, 60 × 45,5 cm Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Inv.-Nr. A III 251 Lit.: Von Maur 1979, G 201; Conzen 2014, Nr. 80 50

Oskar Schlemmer

KLEINES GEGENEINANDER

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1930 Öl auf Leinwand, 50 × 46 cm Franz Marc Museum, Kochel am See (Dauerleihgabe aus Privatbesitz) Lit.: Von Maur 1979, G 218

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Oskar Schlemmer

PROFIL NACH LINKS

1931 Feder in Blau, blau laviert auf rohweißem Notizblockblatt, 127 × 90 mm (Blatt) Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1947/58 Lit.: Grohmann 1965, Nr. u. Abb. ZTl 28; Stuttgart 1968, Nr. 103, Abb. S. 80; Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 425

Oskar Schlemmer

EMPORGERECKTER WEIBLICHER AKT

1931 Feder und Pinsel in Blau und Braun, bräunlich laviert auf rohweißem Schreib­ papier mit Leinenprägung, angehängt, 278 × 87 mm (Blatt) Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1951/362 Lit.: Grohmann 1965, Nr. u. Abb. ZTl 26; Stuttgart 1968, Nr. 102, Abb. S. 83; Von Maur 1977, Nr. 452; Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 442; Conzen 2014, Nr. 92

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Oskar Schlemmer

DUNKLE FIGUR MIT WEISSEM BLATT

1931 oder um 1941 Aquarell, Deckweiß über Bleistift auf dünnem, rohweißem Papier, 275 × 220 mm (Blatt) Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1951/361 Lit.: Stuttgart 1968, Nr. 105, Abb. S. 87; Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 406; Conzen 2014, Nr. 116

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WEISSER JÜNGLING AUF GESCHWEIFTEM STUHL

STEHENDER AKT IN BLAU

Oskar Schlemmer

Oskar Schlemmer

1931 Feder und Pinsel in Blau, Aquarell auf rohweißem Schreibpapier mit Leinen­ prägung, 278 × 218 mm (Blatt) Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1947/50 Lit.: Stuttgart 1968, Nr. 101, Abb. S. 82; Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 441; Conzen 2014, Nr. 93

1930 Öl auf Leinwand, 60 × 45,5 cm Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Inv.-Nr. A III 251 Lit.: Von Maur 1979, G 201; Conzen 2014, Nr. 80 50

Oskar Schlemmer

KLEINES GEGENEINANDER

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1930 Öl auf Leinwand, 50 × 46 cm Franz Marc Museum, Kochel am See (Dauerleihgabe aus Privatbesitz) Lit.: Von Maur 1979, G 218

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Oskar Schlemmer

PROFIL NACH LINKS

1931 Feder in Blau, blau laviert auf rohweißem Notizblockblatt, 127 × 90 mm (Blatt) Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1947/58 Lit.: Grohmann 1965, Nr. u. Abb. ZTl 28; Stuttgart 1968, Nr. 103, Abb. S. 80; Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 425

Oskar Schlemmer

EMPORGERECKTER WEIBLICHER AKT

1931 Feder und Pinsel in Blau und Braun, bräunlich laviert auf rohweißem Schreib­ papier mit Leinenprägung, angehängt, 278 × 87 mm (Blatt) Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1951/362 Lit.: Grohmann 1965, Nr. u. Abb. ZTl 26; Stuttgart 1968, Nr. 102, Abb. S. 83; Von Maur 1977, Nr. 452; Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 442; Conzen 2014, Nr. 92

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Oskar Schlemmer

DUNKLE FIGUR MIT WEISSEM BLATT

1931 oder um 1941 Aquarell, Deckweiß über Bleistift auf dünnem, rohweißem Papier, 275 × 220 mm (Blatt) Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. C 1951/361 Lit.: Stuttgart 1968, Nr. 105, Abb. S. 87; Von Maur 1979, Nr. u. Abb. A 406; Conzen 2014, Nr. 116

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KAT. 63

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Oskar Schlemmer FAMILIE

(Wandbildstudie für das Haus Keller in Stuttgart) 1940 Zeichnung auf Papier, 148 × 210 mm Sammlung Mark Binz, Stuttgart Lit.: Von Maur 1979, K 130

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Oskar Schlemmer FAMILIE

(Wandbildstudie für das Haus Keller in Stuttgart) 1940 Zeichnung auf Papier, 148 × 210 mm Sammlung Mark Binz, Stuttgart Lit.: Von Maur 1979, K 130

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BIOGRAFIE OSKAR SCHLEMMER

JUGEND UND STUDIUM (1888–1920) Oskar Schlemmer wird am 4. September 1888 als jüngstes von sechs Kindern des Ehepaars Carl Leopold (1833–1902) und Luise Wilhelmine Schlemmer (geb. Neuhaus, 1849–1906) in Stuttgart geboren. Im Alter von 15 Jahren beginnt er zunächst eine Lehre als Intarsienzeichner in seiner Heimatstadt und besucht dann für ein Semester im Jahr 1905 die Kunstgewerbeschule. Im Herbst 1906 erfolgt der Wechsel an die Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, wo er mithilfe eines Stipendiums ein Studium aufnehmen kann. An der Akademie lernt Schlemmer die Künstler Otto Meyer-Amden (1885–1933) und Willi Baumeister (1889–1955) kennen, mit denen ihn lebenslange Freundschaften ­verbinden sollten. In den Jahren 1910 bis 1912 lebt Schlemmer als freischaffender Maler in Berlin, wo er mit der Künstlerbewegung „Der Sturm“ zusammenkommt. In Berlin trifft Schlemmer auch auf die russisch-jüdische politische Aktivistin Dora „Darja“ Jekimowskaja (auch Yekimovsky, 1890–1972) – aus ihrer Beziehung geht 1916 Sohn Leonid hervor. Schlemmer kehrt 1912 nach Stuttgart zurück und tritt an der Akademie der Meisterklasse von Adolf Hölzel (1853–1934) bei. In seiner Frühphase ist Schlemmer sowohl von den Landschaftsbildern Paul Cézannes (1839–1906) als auch den kubistischen Gemälden Pablo Picassos (1881–1973) beeinflusst. Auf der Suche nach der absoluten Form bildet sich aber schon bald das zentrale Thema seines Werks heraus: der Mensch. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, meldet sich Schlemmer freiwillig als Soldat und nimmt erst nach Kriegsende das Studium wieder auf. Mit Willi Baumeister, Gottfried Graf (1881–1938) und weiteren Studenten gründet er 1919 in Stuttgart die Künstlervereinigung Üecht, eine Dépendance der Berliner Novembergruppe. Vergeblich bemüht man sich um eine Einstellung Paul Klees (1879–1940) als Nachfolger Hölzels an der

AM BAUHAUS IN WEIMAR (1921–1925) Anfang des Jahres 1921 nimmt Schlemmer seine Tätigkeit zunächst als Meister der Holzund Steinbildhauerei auf und gibt außerdem den Aktzeichenkurs. Zeitweilig leitet er zudem die Werkstätten für Wandmalerei und Metallarbeit. Am Bauhaus trifft Schlemmer mit den Künstlern Paul Klee, Lyonel Feininger (1871–1956), Johannes Itten (1888–1967) und Georg Muche (1895–1987) zusammen, später kommen Wassily Kandinsky (1866– 1944) und László Moholy-Nagy (1895–1946) hinzu. In dieser Zeit beginnt Schlemmer zunehmend sich mit der Bühne auseinanderzusetzen, wobei die Uraufführung des ­T­riadischen Balletts, eine Co-Produktion mit Albert Burger (1884–1970) und Elsa Hötzel (1886–1966), im September 1922 am ­Württembergischen Landestheater in Stuttgart einen ersten Höhepunkt darstellt. Im Jahr darauf übernimmt er dann auch die Bühnenwerkstatt am Bauhaus. Die in Weimar ent­ stehenden Plastiken, Reliefs, Aquarelle und Gemälde – aber auch die Bühnenstücke – veranschaulichen Schlemmers Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Figur und Raum. Er lotet die Position des Menschen im Gefüge von Architektur aus und beschäftigt sich mit der Synthese von Kunst und Bau. Die Bauhaus-Ausstellung im Sommer 1923, die Schlemmer mit organisiert, sollte diese Tendenzen verwirklichen: Im Eingangsbereich des Werkstattgebäudes gestaltet Schlemmer gemeinsam mit den Schülern

ABB. 32 Oskar Schlemmer: SIGNET „STAATLICHES BAUHAUS WEIMAR“, 1922, BauhausUniversität Weimar, Archiv der Moderne

monumentale Wandmalereien und Reliefs. Das ausgeführte Bauprojekt „Haus am Horn“ bietet allen Werkstätten des Bauhauses die Möglichkeit, gemeinsam ein beispielhaftes Wohnhaus zu errichten und auszustatten. Innerhalb des Bauhauses bilden sich bald Schwierigkeiten. Den Meistern stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Ausrichtung ihrer Institution. Sie, und hier besonders Schlemmer, bemängeln das Fehlen einer Klasse für Architektur, die doch die Zielvorgabe aller anderen Werkstätten bilden soll. Darüber hinaus gerät das Bauhaus mehr und mehr in Konflikt mit der nationalliberalen Regierung im Land Thüringen, bis diese schließlich die Finanzierung einstellt. Das Bauhaus ist gezwungen, sich einen neuen Standort zu suchen.

ABB. 33 Theodore Lux Feininger (Fotografie) und Oskar Schlemmer (Mitarbeit Komposition): DIE WEBERINNEN AUF DER BAUHAUSTREPPE, um 1927, Bauhaus-Archiv Berlin

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BIOGRAFIE

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Akademie, aus der Schlemmer im Frühjahr 1920 schließlich enttäuscht austritt. Die Auseinandersetzung der Üecht-Gruppe mit der Stuttgarter Akademie bringt ihn wiederum in Kontakt mit Walter Gropius (1883– 1969), der ihm nun eine Stelle am Staatlichen Bauhaus in Weimar offeriert. Nachdem Schlemmer im Herbst Helena Tutein (1889– 1987), genannt „Tut“, heiratet, unterzeichnet er den Vertrag in Weimar.


BIOGRAFIE OSKAR SCHLEMMER

JUGEND UND STUDIUM (1888–1920) Oskar Schlemmer wird am 4. September 1888 als jüngstes von sechs Kindern des Ehepaars Carl Leopold (1833–1902) und Luise Wilhelmine Schlemmer (geb. Neuhaus, 1849–1906) in Stuttgart geboren. Im Alter von 15 Jahren beginnt er zunächst eine Lehre als Intarsienzeichner in seiner Heimatstadt und besucht dann für ein Semester im Jahr 1905 die Kunstgewerbeschule. Im Herbst 1906 erfolgt der Wechsel an die Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, wo er mithilfe eines Stipendiums ein Studium aufnehmen kann. An der Akademie lernt Schlemmer die Künstler Otto Meyer-Amden (1885–1933) und Willi Baumeister (1889–1955) kennen, mit denen ihn lebenslange Freundschaften ­verbinden sollten. In den Jahren 1910 bis 1912 lebt Schlemmer als freischaffender Maler in Berlin, wo er mit der Künstlerbewegung „Der Sturm“ zusammenkommt. In Berlin trifft Schlemmer auch auf die russisch-jüdische politische Aktivistin Dora „Darja“ Jekimowskaja (auch Yekimovsky, 1890–1972) – aus ihrer Beziehung geht 1916 Sohn Leonid hervor. Schlemmer kehrt 1912 nach Stuttgart zurück und tritt an der Akademie der Meisterklasse von Adolf Hölzel (1853–1934) bei. In seiner Frühphase ist Schlemmer sowohl von den Landschaftsbildern Paul Cézannes (1839–1906) als auch den kubistischen Gemälden Pablo Picassos (1881–1973) beeinflusst. Auf der Suche nach der absoluten Form bildet sich aber schon bald das zentrale Thema seines Werks heraus: der Mensch. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, meldet sich Schlemmer freiwillig als Soldat und nimmt erst nach Kriegsende das Studium wieder auf. Mit Willi Baumeister, Gottfried Graf (1881–1938) und weiteren Studenten gründet er 1919 in Stuttgart die Künstlervereinigung Üecht, eine Dépendance der Berliner Novembergruppe. Vergeblich bemüht man sich um eine Einstellung Paul Klees (1879–1940) als Nachfolger Hölzels an der

AM BAUHAUS IN WEIMAR (1921–1925) Anfang des Jahres 1921 nimmt Schlemmer seine Tätigkeit zunächst als Meister der Holzund Steinbildhauerei auf und gibt außerdem den Aktzeichenkurs. Zeitweilig leitet er zudem die Werkstätten für Wandmalerei und Metallarbeit. Am Bauhaus trifft Schlemmer mit den Künstlern Paul Klee, Lyonel Feininger (1871–1956), Johannes Itten (1888–1967) und Georg Muche (1895–1987) zusammen, später kommen Wassily Kandinsky (1866– 1944) und László Moholy-Nagy (1895–1946) hinzu. In dieser Zeit beginnt Schlemmer zunehmend sich mit der Bühne auseinanderzusetzen, wobei die Uraufführung des ­T­riadischen Balletts, eine Co-Produktion mit Albert Burger (1884–1970) und Elsa Hötzel (1886–1966), im September 1922 am ­Württembergischen Landestheater in Stuttgart einen ersten Höhepunkt darstellt. Im Jahr darauf übernimmt er dann auch die Bühnenwerkstatt am Bauhaus. Die in Weimar ent­ stehenden Plastiken, Reliefs, Aquarelle und Gemälde – aber auch die Bühnenstücke – veranschaulichen Schlemmers Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Figur und Raum. Er lotet die Position des Menschen im Gefüge von Architektur aus und beschäftigt sich mit der Synthese von Kunst und Bau. Die Bauhaus-Ausstellung im Sommer 1923, die Schlemmer mit organisiert, sollte diese Tendenzen verwirklichen: Im Eingangsbereich des Werkstattgebäudes gestaltet Schlemmer gemeinsam mit den Schülern

ABB. 32 Oskar Schlemmer: SIGNET „STAATLICHES BAUHAUS WEIMAR“, 1922, BauhausUniversität Weimar, Archiv der Moderne

monumentale Wandmalereien und Reliefs. Das ausgeführte Bauprojekt „Haus am Horn“ bietet allen Werkstätten des Bauhauses die Möglichkeit, gemeinsam ein beispielhaftes Wohnhaus zu errichten und auszustatten. Innerhalb des Bauhauses bilden sich bald Schwierigkeiten. Den Meistern stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Ausrichtung ihrer Institution. Sie, und hier besonders Schlemmer, bemängeln das Fehlen einer Klasse für Architektur, die doch die Zielvorgabe aller anderen Werkstätten bilden soll. Darüber hinaus gerät das Bauhaus mehr und mehr in Konflikt mit der nationalliberalen Regierung im Land Thüringen, bis diese schließlich die Finanzierung einstellt. Das Bauhaus ist gezwungen, sich einen neuen Standort zu suchen.

ABB. 33 Theodore Lux Feininger (Fotografie) und Oskar Schlemmer (Mitarbeit Komposition): DIE WEBERINNEN AUF DER BAUHAUSTREPPE, um 1927, Bauhaus-Archiv Berlin

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Akademie, aus der Schlemmer im Frühjahr 1920 schließlich enttäuscht austritt. Die Auseinandersetzung der Üecht-Gruppe mit der Stuttgarter Akademie bringt ihn wiederum in Kontakt mit Walter Gropius (1883– 1969), der ihm nun eine Stelle am Staatlichen Bauhaus in Weimar offeriert. Nachdem Schlemmer im Herbst Helena Tutein (1889– 1987), genannt „Tut“, heiratet, unterzeichnet er den Vertrag in Weimar.


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