Vertical: Life on the Steepest Faces

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»Massives Wassereis in der steilen Südostwand. Pures Vergnügen darin zu klettern.« Ines Papert


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Tadschikistan

Kyzyl Asker

china

Die Linie durch die 1200 Meter hohe, zum Teil vereiste Wand, die wir uns für eine mögliche Erstbegehung ausgespäht haben, ist äußerst anspruchsvoll. Die Bedingungen sind gut. Eine verheißungsvoll optimistische Atmosphäre umgibt uns. Groß die Erwartungen. Noch viel größer die Herausforderung, die unmittelbar vor uns liegt. Wir sind bereit, sie anzunehmen. Hinter uns liegen verrückte Tage. Den ursprünglichen Plan, per Truck ab Bishkek, der Hauptstadt Kirgistans, ins Kookshai Too zu fahren, verwerfen wir. Früher als geplant ist dieses Jahr der Winter über das kirgisische Hochgebirge des Thien Shan hereingebrochen. Die Piste dorthin ist unpassierbar. Scheitern wir, noch bevor wir unseren Berg überhaupt einmal zu Gesicht bekommen haben? Ab dem ersten Tag verlangt der Kyzyl Asker Flexibilität und Improvisationsvermögen von uns. Zugleich überstrapaziert er unser Budget, denn die einzige Möglichkeit ins Basislager zu gelangen lautet schließlich: samt 1,5 Tonnen Gepäck 400 Kilometer per Bus nach Naryn zu fahren, um dort unfreiwillig in einen Militärhelikopter umzusteigen, der uns ins Gebirge fliegt.


»Unser erster Versuch endet nach einer Biwaknacht in der Wandmitte. Das Wetter schlägt um. In Spindriftduschen lädt die Wand den gesamten Neuschnee über uns ab.« Ines Papert


Die härteste Nacht meines Lebens Zu FuSS transportieren wir unser Material über den Kamovara Gletscher ins Basislager. Wir marschieren mehrmals ins Advanced Base Camp (ABC), welches auf 4600 Metern liegt. Das Wetter ist bombastisch, während Wolfgang Russegger und ich, bestens akklimatisiert, mit einer dicken Erkältung ans Zelt gefesselt sind. Nach einer mehrtägigen Zwangspause wagen wir einen Versuch und steigen um vier Uhr morgens in die Wand ein. Die Last der Rucksäcke, die anstrengende Mixed-Kletterei im steilen Eis, dazu die Höhe – wir sind erschöpft! Spät finden wir einen brauchbaren, jedoch nicht gerade bequemen Biwakplatz. Drei kleine Sitze sind das unkomfortable Ergebnis hartnäckiger Arbeit mit unseren Eisgeräten. Nach dem Essen beginnt es zu schneien. Anfänglich scherzen wir noch über ein paar Spindriftduschen, die sich im Laufe der Nacht aber in ausgewachsenen Neuschneeladungen im Minutentakt über uns ergießen. Mittlerweile schneit es richtig stark, ist ungemütlich, windig, b ­ itterkalt. Wir schweigen, zählen die Stunden, sehnen das Tageslicht herbei. Ohne groß darüber zu sprechen ist allen klar, was dies bedeutet: Abseilen! Am nächsten Morgen. Nach zehn langen Schlechtwettertagen im Basislager, macht uns Charly Gabl mit seiner Wetterprognose wieder etwas Hoffnung. Als der viele Neuschnee, der die Wand blockiert, endlich abrutscht, wagen wir einen erneuten Versuch, klettern dabei 17 Stunden am Stück und schaffen es bis 200 Meter unter den Gipfel. Er ist zum Greifen nah! In einer Steilwand biwakieren wir. Es folgt die härteste Nacht meines Lebens. Die angekündigte Schlechtwetterfront kommt nämlich einen Tag zu früh. Abgehende Lawinen, Temperaturen um minus 30 Grad und ein Kocher, der den Geist aufgibt, sind ein deutliches Zeichen dafür, dass wir die Wand verlassen sollten. Und zwar schleunigst! Wetterbesserung? Nicht in Sicht! Abbruch der Expedition.

»Zweiter Versuch. Wir brechen nachts auf, wollen möglichst schnell weit oben sein, ehe die Sonne auf die Wand strahlt und gefährlichen Eisschlag auslöst.« Ines Papert


»Nach der härtesten Biwaknacht unseres Lebens. Thomas, Wolfi und ich scheitern wegen erneuten Schneefällen nur 200 Meter unter dem Gipfel. Wir sind erschöpft und traurig.« Ines Papert

»Wir legen ein Material­d epot an. Für nächstes Jahr. Wir kommen wieder!« Ines Papert


In Gedanken bin ich bei meinem Sohn So sehr das Scheitern an uns nagt, dieses Mal überwiegt die Magie, die vom Berg ausgeht. Wir werden, darauf schlagen wir ein, im kommenden Jahr wiederkommen. Auf der Rückreise bin ich in Gedanken bei meinem Sohn Manu und spiele erstmals mit der Idee, ihm Kirgistan zu zeigen. Die Unberührtheit und Weite dieses Landes fasziniert mich. Die süßen Kinder, die mit ihrem kargen Leben offensichtlich glücklich sind, erreichen mein Herz. Ich will mit Manu durch die Steppe reiten, in Jurten schlafen, mit ihm gemeinsam Freiheit kosten. Die Reise durch Kirgistan soll ihm zudem zeigen, wie privilegiert doch unser Leben in Deutschland ist und ihm außerdem einen Einblick in »mein« Leben gewähren. In das einer Profibergsteigerin. Manu ist mit seinen elf Jahren alt genug dafür. Bis ins Basislager kann er locker mit. Er soll meinen Berg mit seinen Augen sehen! Außerdem wird diese Reise, wie jedes Fortfahren von zu Hause, auch seinen Horizont erweitern. Kirgistan, so finde ich, ist ein ideales Land, um Manu mit Bescheidenheit, Armut und einfachen Verhältnissen zu konfrontieren. Ich fühle mich sicher und geborgen in Kirgistan. Was für ein schönes Land! Ja, mein Sohn soll das alles sehen! Er wird hier mit Kindern spielen, die nicht seine Sprache sprechen. Er wird sie trotzdem verstehen. Alles wird anders sein als zuhause. Viel einfacher, karger. Er wird es trotzdem lieben. Aus dem flüchtigen Gedanken wird eine fixe Idee. Mein Sohn wird mich im kommenden Jahr nach Kirgistan begleiten. Ich freue mich darauf!

facts: Biwak Route : die noch nie durchstiegene Südostwand des Kyzyl Asker Wandhöhe 1200 m Schwierigkeit: WI6/M8 Position: N41 ° 01‘13.4‘‘ E077 ° 21‘27.2‘‘


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