Heft 10: Mai 2012
ad hoc international Die Welt in Bewegung: Von den Grassroots bis zur Revolution Freiraum für ziviles Engagement: Interview mit Kenneth Roth, Human Rights Watch (Seite 12) Frankreich: Erfolgreiche lokale Bürgerbeteiligung (Seite 2) Der Anna-Effekt – Grassrootsbewegung in Indien (Seite 5) Neues Tauwetter in Russland? (Seite 10) Wohin steuert Ägypten? (Seite 15) Thailand: Drei Jahre nach dem Aufstand (Seite 18) Kuba: Keine Revolution in der Revolution (Seite 22) ad hoc international feiert die 10. Ausgabe (Seite 24)
Impressum
ad hoc international Zeitschrift des Netzwerks für Internationale Aufgaben – Stiftungskolleg und Mercator Kolleg Alumni e. V. (nefia) und des CSP-Netzwerks für internationale Politik und Zusammenarbeit e. V., erscheint halbjährlich. Titelbild: Paul Kohlbry: Demonstration in Kairo, 2011 Bildnachweis: Yorck von Korff (Seite 2); Modestine l‘ânesse des Cévennes (Seite 3); „oien“ (Seite 3); Prerna Suri (Seiten 4–7); White House/Pete Souza (Seite 8); Max Whittaker (Seite 9); Sime Simon (Seite 11); Hanna Baumann (Seiten 12–13); Paul Kohlbry (Seiten 15–17); Pittaya Sroilong (Seite 18); Caroline Calderon (Seite 19); Rune Meissel (Seiten 20–21); Silvia Danielak (Seite 23); Ungermeyer (Grafiken Seiten 3, 5, 10–11, 14–15, 18, 20–23) Herausgeber: Netzwerk für Internationale Aufgaben – Stiftungskolleg und Mercator Kolleg Alumni e. V. Neue Promenade 6, 10178 Berlin, Telefon +49 (0)30 28873397, Fax +49 (0)30 28873398 info@nefia.org, www.nefia.org CSP-Netzwerk für internationale Politik und Zusammenarbeit e. V. c/o Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin, geschaeftsstelle@csp-network.org, www.csp-network.org Redaktion: Hanna Baumann und Friedrich von Heyl (Projektleitung), Sebastian Boll, Else Engel, Birga Friesen, Camilla Gendolla, Johanna Havemann, Mariko Higuchi, Christina Hübers, Anne Knauer, Silke Noa Kumpf, Florian Neutze, Julia Schad, Philippe Seidel, Mara Skaletz, Stephanie von Hayek Autorinnen und Autoren: Hanna Baumann und Katrin Keuzenkamp (Interview), Jann Böddeling, Silvia Danielak, Nina Holle, Arndt Husar, Sascha Knöpfel, Rune Meissel, Steffen von Bünau, Stephanie von Hayek ( Jubiläumsteil), Yorck von Korff Die Beiträge spiegeln die persönliche Meinung der Autorinnen und Autoren wider. Idee: Ines Wolfslast Gestaltung: Ungermeyer, grafische Angelegenheiten Druck: Herforder Druckcenter Danksagung: Diese Publikation wurde von der Stiftung Mercator GmbH gefördert.
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser! Seit dem 17. Dezember 2010, dem Tag, an dem sich der tunesische Straßenverkäufer Mohamed Bouazizi selbst verbrannte, ist die arabische Welt in Aufruhr. Aber nicht nur die arabische. Im letzten Jahr haben wir Protestbewegungen in den verschiedensten Ecken der Welt beobachten können. Von den „indignados“ in Spanien über die griechischen Demonstrationen zu den sozialen Protesten in Israel, von tibetischen Protesten in China bis hin zur „Occupy Wall Street“-Bewegung in New York, die sich auch auf andere westliche Großstädte ausbreitete. Der Soziologe Michael Kennedy spricht von einem 1968er-Moment, andere verglichen das Jahr 2011 eher mit den Umbrüchen 1989. In dieser Ausgabe der ad hoc nehmen Alumni und Stipendiaten der Netzwerke nefia und CSP Sie mit auf eine Reise in vier Kontinente. Sie berichten über ihre Erfahrungen in Ländern, die sich im Umschwung befinden, und analysieren Bürger- und Protestbewegungen, die zeitlich und geografisch weit über den vielbesprochenen Arabischen Frühling hinausgehen. Das Besondere der ad hoc ist, dass fast alle unserer Autoren beruflich in den Ländern sind, über die sie schreiben – oft im humanitären Bereich. Der Schwerpunkt des Hefts liegt auf Ländern, in denen es keine Protestbewegung gab, in denen der Protest im Sande verlief oder gescheitert ist. Wir versuchen, Bewegungen in ihrer Evolution nachzuvollziehen, vom Erwachen einer Grassroots-Bewegung bis hin zur Revolution, bis in die Phasen, die auf einen politischen Umsturz folgen. Gerade die Beispiele gescheiterter
Revolutionen werfen ein neues Licht auf die Länder mit aktiven Protestbewegungen. Im Gespräch mit Kenneth Roth erörtern wir, inwiefern sich die Protestbewegungen in der arabischen Welt auf andere Länder ausgewirkt haben. Seiner Meinung nach wurden „Menschen in der ganzen Welt durch das Beispiel des Arabischen Frühlings inspiriert – durch das Bild von Menschen, die oft unter großem persönlichen Risiko auf die Straßen gehen, um mehr Respekt für Demokratie und Menschenrechte zu fordern.“ Der Kontext ist in jeder unserer „Fallstudien“ ein völlig anderer, doch eines haben sie alle gemeinsam: Menschen begeben sich in den öffentlichen Raum, und oft auch in Gefahr, um ihre eigene Zukunft und die ihres Landes aktiv mitzugestalten. Die Bilanz der Reise bleibt ambivalent: Können diese bürgerlichen Protestbewegungen die Zeit überdauern und tatsächliche Reformen einfordern? Erreichen sie mehr als die Absetzung von ungeliebten Diktatoren? Führt Bürgerprotest zu mehr Bürgerbeteiligung? Und im Kontrast dazu: Wie ergeht es Ländern ohne Bürgerbewegung? Außerdem freuen wir uns, mit allen Interessierten ein kleines Jubiläum feiern zu können, denn wir legen hiermit die 10. Ausgabe der ad hoc international vor. Hierzu hat die ehemalige Chef redakteurin Stephanie von Hayek einige Fakten und Stimmen gesammelt.
Dr. Friedrich von Heyl (Jg. 1996/97) und Hanna Baumann (Jg. 2011/12)
Über Leserbriefe freut sich die Redaktion: redaktion@adhoc-international.org, ebenso wie über Besuche und einen regen Austausch auf www.facebook.com/adhocinternational.
nefia nefia ist der Alumniverein für die Absolventen des Mercator Kollegs und des früheren Stiftungskollegs, um nach der Zeit im Kolleg im Kontakt zu bleiben und berufliche Netzwerke zu pflegen. nefia ist außerdem ein Multiplikator für junge Sichtweisen auf internationale Themen und entwicklungspolitische Fragestellungen. Mit Veranstaltungen und Publikationen mischen wir uns in global relevante Themen ein und vermitteln unser Praxis- und Expertenwissen. nefia ist auch Partner der Stiftung Mercator bei der Gestaltung des Kollegs. Unsere praxiserfahrenen Mitglieder unterstützen die aktuellen Stipendiaten bei der Planung und Durchführung ihrer Projektvorhaben. www.nefia.org. Kontakt: info@nefia.org
CSP Das CSP-Netzwerk für internationale Politik und Zusammenarbeit e. V. ist der politisch unabhängige Alumni-Verein des „CarloSchmid-Programms für Praktika in Internationalen Organi sationen und EU-Institutionen“ des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und der Studienstiftung des deutschen Volkes. Derzeit sind im weltweiten CSP-Netzwerk rund 600 ehemalige Stipendiat/innen mit Praxiserfahrung in der internationalen Politik und Zusammenarbeit organisiert. Das Netzwerk dient ihnen als Forum für den Wissens- und Erfahrungsaustausch untereinander, aber auch mit Wissenschaftlern, Praktikern, Politikern und anderen Engagierten. www.csp-network.org. Kontakt: geschaeftsstelle@csp-network.org
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Lokale Bürgerbeteiligung in Frankreich – ein neues Modell der direkten Demokratie von Yorck von Korff Eine mögliche – und erstrebenswerte – Zukunft unserer repräsentativen Demokratie in Westeuropa ist mehr Bürgerbeteiligung. Ist aber die Bevölkerung reif dafür und sind die gewählten Politiker bereit, Kontrolle abzugeben? Der Artikel beschreibt den Bürgerbeteiligungsprozess in einem kleinen Dorf in den französischen Cevennen. Jérôme Fesquet, Bürgermeister in Notre Dame de la Rouvière, schüttelt den Kopf. Zwar gilt auch hier „liberté, égalité, fraternité“, aber heißt das auch, dass ganz normale Bürger bei der Stadt planung mitmachen sollen? Sie über die Pläne des Stadtrats zu informieren, „d’accord“, aber sie alle dazu einladen, die Situation zu analysieren und dann auch noch Vorschläge zu machen, wie der Ort im Jahr 2025 aussehen soll? Das gab es hier noch nicht. „N’exagérons rien“ – „Lasst uns nichts übertreiben“. Notre Dame de la Rouvière ist ein 420-Einwohner Dorf in den französischen Cevennen etwa 65 Kilometer nördlich von Montpellier. Vor 170 Jahren war es Teil eines von Europas blühendsten Wirtschaftszweigen – der Seidenproduktion. Die 50 Meter lange Spinnerei unten am Héraultfluss – gebaut zwischen 1837 und 1849 und heute leer stehend – erinnert daran. Krankheiten der Maulbeerbäume und der Seidenwürmer, die Öffnung des Suezkanals, die infolgedessen billigere Seide aus China und Japan und die Entwicklung der Kunstseide (1884) stürzten die Industrie aber schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die Krise. Nach dem zweiten Weltkrieg war sie tot. Dies und die Verlockungen eines besseren Lebens in den Städten schrumpften Notre Dame bis in die 1970er Jahre auf 346 Einwohner. Seitdem geht es wieder langsam nach oben. Heute dominiert die Landwirtschaft und der Tourismus ist Träger aller Hoffnungen. Die süßen Zwiebeln, die auf den sonnigen Steinterrassen angebaut werden, tragen ein Qualitätslabel. Und die traditionelle Feldsteinarchitektur hat viele Fremde in den Ort gelockt, meistens allerdings nur als zeitweilige Gäste: Mehr als die Hälfte der Häuser sind heute Zweitwohnsitze. Antoine, ein Grüner im Stadtrat, vermietet Esel an Touristen, die in den Cevennen wandern wollen. Aber der Bürgermeister – Spross einer Landwirtfamilie – sorgt sich trotz aller Erfolge um die Zukunft: Das medizinische Zentrum, das sich auf Alkoholund Lungenerkrankungen spezialisiert hat, wird wohl noch 2012 schließen, 45 Arbeitsplätze fallen dann auf einen Schlag
Der Autor bei der Leitung eines Workshops p
weg. Und von den etwa 140 Beschäftigten des Ortes arbeiten sowieso schon fast zwei Drittel in den umliegenden Städten. Und nun also Stadtplanung mit Bürgerbeteiligung. Wie soll das funktionieren? Und was redet dieser Deutsche von „interaktiven Methoden“?
„N’exagérons rien“ – „Lasst uns nichts übertreiben.“
Jérôme Fesquet, Bürgermeister in Notre Dame de la Rouvière
Der Deutsche bin ich. Lisode, ein Beratungsbüro in Montpellier, das ich mit drei Kollegen 2008 gegründet habe, ist spezialisiert auf Beteiligungsprozesse. Wir haben eine Ausschreibung des conseil général – der Exekutive des département Gard mit Sitz im südfranzösischen Nîmes gewonnen. Die Ausschreibung betrifft sechs Orte verschiedener Größe im Gard, die ihre u rbane Zukunft zusammen mit den Bürgern planen sollen. D afür – und für die Einbeziehung bestimmter Umweltaspekte – vergibt dann der conseil général ein Label, das sich gut macht für das Image des Ortes: „Nachhaltige Stadtplanung“. Was Bürgerbeteiligung genau heißen soll, wussten allerdings die wenigsten der sechs Bürgermeister, als sie sich entschlossen, bei dem Label mitzumachen. Immerhin ist dies ein Pilotprogramm und was genau in diesem Rahmen geschehen soll ist noch unklar. Es gibt eine Menge zu besprechen. Wir befinden uns im Versammlungsraum von Notre Dame und wollen zusammen den Ablauf der ersten öffentlichen Sitzung planen. Der Bürgermeister Jérôme Fesquet ist da, Antoine, der die Esel vermietet, und drei oder vier weitere Abgeordnete aus dem Stadtrat. Vom conseil général sind zwei Vertreter gekommen und zwei von einem Stadtplanungsbüro, das der Bürgermeister beauftragt hat, ihm mit der technischen Seite der Planung zu helfen: Daten sammeln, Situationsanalyse erstellen, Empfehlungen erarbeiten. Die beiden sind nicht begeistert, als mein Kollege Clément und ich sagen, dass die Bürger dazu auch beitragen können.
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Paris
Frankreich
Notre Dame de la Rouvière
Jérôme Fesquet bleibt zunächst bei seiner Meinung. Er schlägt vor, dass die Stadtplaner in der öffentlichen Sitzung ihre Expertendiagnose vorstellen und dass die Bürger dann ein paar Fragen stellen. Wir von Lisode könnten ja die Fragen entgegen nehmen und sollten die notwendigen Vorbereitungen mit den Stadtplanern besprechen (und ihn in Ruhe lassen, auch wenn er das nicht sagt). Sehr freundlich erkläre ich dem Bürger meister vor der Versammlung, dass ich sehr gut seine Absicht verstehe, die Bürger zu informieren. Dazu brauche er uns aber gar nicht. Wir würden dann nicht mit seiner Kommune arbeiten. Wenn er allerdings weiter gehen wolle in der Bürgerbeteiligung, wären wir sehr gerne bereit, ihn zu unterstützen. Jérôme Fesquet hat mich verstanden. Er zögert noch etwas, dann nickt er und will einen schriftlichen Plan. Das ist der Durchbruch. Er ist jetzt unser Kunde. Zum ersten Treffen mit den Bürgern, zwei Wochen später an einem Freitagabend, sind etwa 60 Einwohner gekommen. Im Saal stehen sechs große Tische, mit je einer Pinnwand und einem Tischmoderator. Zu Beginn erklärt der Bürgermeister, dass dies ein Beteiligungsprozess sei, in dem er und der Stadtrat die Meinung und die Arbeit der Bürger mit einbeziehen werden. Zwar könne er nicht versprechen, dass er alles genau übernehmen werde, was die Bürger erarbeiten werden. Schließlich gebe es ja auch noch die Experten (die Stadtplaner) sowie andere Partner (z. B. umliegende Kommunen), deren Meinung berücksichtigt werden müsse. Aber er wird den Einwohnern
am Ende auf jeden Fall sagen, was er übernommen hat, was nicht und warum. Die Stadtplaner erklären den Bürgern als nächstes, um welche Themen es geht bei so einem Prozess, nämlich um Flächennutzung (z. B. Landwirtschaft oder Wohnen), Straßenanbindung, Wasser- und Abwasserinfrastruktur, Art der Bebauung (z. B. wie hoch). Das klingt trocken, hat es aber in sich. Erstens kann so ein Plan sehr leicht entscheiden, wer im Dorf Millionär wird: z. B. ein Landwirt, dessen Land zur Baufläche erklärt wird. Zweitens geht es um nichts Gerin geres als um die wirtschaftliche, ökologische und soziale Zukunft des Ortes. Der Bürgermeister sagt: „Es geht um unsere Lebensqualität.“ Nachdem wir ihnen die weiteren Beteiligungsetappen erklärt haben, beginnen die Bürger zu arbeiten, sie formulieren Prioritäten, kommentieren und stellen Fragen. Mit Hilfe unserer Tischmoderatoren, die alles auf Karten schreiben und an die Pinnwände heften, priorisieren sie ihre Themen. Am Ende kommuniziert jeder Tisch sein wichtigstes Thema. Der Bürgermeister antwortet. Ein Dialog ist entstanden. Nach dem Treffen, beim apéro, strahlt Jérôme Fesquet mich an. Er und die Bürger seien sehr zufrieden, so habe er sich das nie vorgestellt. Ich muss lächeln. Der Nutzen unserer Arbeit zeigt sich häufig erst in der Qualität des Dialoges, der entsteht. Und diese Qualität ist schwer in Worte zu fassen. Zum nächsten Treffen zwei Wochen später kommen 70 Bürger. Diesmal arbeiten sie auf sehr großen Landkarten, die das Gebiet ihrer Kommune zeigen. Sie kreisen grüne und rote Gebiete ein (starke und schwache Punkte) und identifizieren die Herausforderungen, die angegangen werden müssen. Fünf sind am wichtigsten: Die Kleinstdörfer (Flecken) auf dem Gebiet der Kommune sozial und architektonisch erhalten; junge Leute anlocken; die Landwirtschaft bewahren, verstärken und diversifizieren; die allgemeine wirtschaftliche Situation ohne das medizinische Zentrum sichern; den Tourismus verstärken. Wieder sind die Teilnehmer zufrieden. Auch die Stadtplaner sehen die Qualität der Arbeit der Bürger. Wir arbeiten jetzt eng mit dem Planungsbüro zusammen. Gemeinsam entwerfen wir mit dem Bürgermeister den nächsten Schritt. p
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Viereinhalb Monate nach dem letzten Treffen – es ist jetzt fast Mitte Juli – treffe ich mich wieder mit den Bürgern. Diesmal arbeiten sie in drei parallelen Werkstätten, denn wir haben die fünf Herausforderungen zu drei Themen zusammengefasst. Mit Hilfe unserer Moderatoren erarbeiten die Bürger zunächst eine wünschenswerte Zukunftsvorstellung zu jeweils einem Thema, zum Beispiel zur Landwirtschaft in Notre Dame im Jahr 2025. Danach überlegen sie konkrete Wege, um das Ziel zu erreichen und schließlich denken sie an mögliche Hürden auf dem Weg. Am Ende stellen alle Gruppen ihre Ergebnisse vor und besprechen gemeinsam, wie sie eventuelle Hürden überwinden können. Jérôme Fesquet hat jetzt reichlich Material für sein offizielles Stadtplanungsdokument. Es liegt nun an ihm und dem Stadtrat, zu entscheiden, welche der Vorschläge der Bürger sie übernehmen und welche nicht. Im Januar 2012 ist das Stadt planungsdokument dann fertig. Der Bürgermeister hat alles übernommen. Er weiß: Was die Bürger gesagt haben, weicht nicht wesentlich von den Expertenvorschlägen ab. Vor allem hat es eine besondere politische Legitimation und lässt sich daher leichter verwirklichen. Aber was vielleicht das wichtigste ist: Die Bürger haben einen bedeutenden Teil der Zukunft ihres Dorfes mitbestimmt. Und das war neu.
Yorck von Korff, Jg. 1968, ist Politikwissenschaftler, Facilitator und Mediator. Als Stiftungskollegiat arbeitete er 1995/96 zum Journalismus in Ägypten. Noch vor Abschluss seiner Dissertation („Missing the Wave. Egyptian Journalists‘ Contribution to Democratization in the 1990s”), änderte er seine berufliche Ausrichtung und arbeitete an verschiedenen Entwicklungsprojekten in Ägypten mit. Seit 2005 ist er in Montpellier (Südfrankreich) und spezialisierte sich auf Stakeholderund Bürgerbeteiligung im Wassermanagement und in der Stadtplanung. 2008 gründete er mit drei Kollegen das Beratungsbüro Lisode. (www.lisode.com)
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Der Anna-Effekt – Indiens Mittelstand entdeckt die Politik von Arndt Husar Nach der Liberalisierung des Wirtschaftssystems 1991 blühte in Indien zusehends die Korruption zwischen Wirtschaft, Investoren und Verwaltung. Ein ehemaliger Soldat und Aktivist, der 74 Jahre alte Anna Hazare, schaffte es, der AntiKorruptionsbewegung ein Gesicht und Gewicht zu verleihen. Er hatte sich vom Büroboten zum Verwalter eines städtischen Lagers hochgearbeitet. Über 31 Jahre im Dienste der Stadt Ujjain – im Staat Madhya Pradesh gelegen und etwa so groß wie Duisburg – war es Narendra Kumar Deshmukh gelungen, ein prächtiges Vermögen anzuhäufen. Insgesamt etwa 100 mal so viel, wie er über die Jahre eigentlich verdient hatte. Dies schien lange niemandem aufzufallen, bis im Dezember der Anti-Korruptionsbeauftragte sein Haus durchsuchen ließ. Der staunte nicht schlecht, als er sich über die Besitztümer Deshmuks im Klaren wurde; sein Team beschlagnahmte Bargeld, 10 Mobiltelefone, Gold und Silberschmuck, Laptops, PCs, Flachbildfernseher, vier Autos und vier Motorräder. Man fand jede Menge Dokumente, die auf Finanztransaktionen von etlichen Millionen Rupien hinwiesen. Deshmukhs Vermögen wurde auf insgesamt 1,5 Millionen Euro geschätzt. Ein kleiner Fisch im Vergleich zu den Protagonisten der Korruptionsskandale, die in den letzten Jahren die indischen Medien füllen. Die Commonwealth Games – die Olympiade der Nationengemeinschaft ehemaliger britischer Kolonien und Großbritanniens – sollte Indien kurz nach den Spielen in Peking von seiner besten Seite zeigen. Man versprach ein sportliches Spektakel in hochmodernen Spielstätten. Neu Delhi wurde für Jahre in eine Baustelle verwandelt, um den öffentlichen Raum zu verschönern und die Infrastruktur fit zu machen. Ein Jahr nach den Spielen wird der Begriff Commonwealth Games eher mit einem der dreistesten Korruptionsskandale in Verbindung gebracht. Der Organisationschef saß 9 Monate lang in Untersuchungshaft, mittlerweile ist er auf Kaution wieder frei – ein Sündenbock für die Drahtzieher im Hintergrund, so sagt man. Korruption bei der Lizenzvergabe für das Mobil funkspektrum und Minen, Vetternwirtschaft in Industrie und Handel, erkaufte Positionen und falsche Piloten – Indien hatte im letzten Jahr viel zu bieten.
Seitdem sich das Land 1991 vom Licence Raj – einem planwirtschaftlichen System der Lizenzvergabe an private Unternehmen – verabschiedete und die wirtschaftliche Liberalisierung einleitete, gediehen auf diesem Nährboden neue Verflechtungen von privaten Investoren, Politikern und der Verwaltung. Investoren und Unternehmer haben wenig Zeit und Lust, sich einen Weg durch das Geflecht des Beamtentums und der überlasteten Gerichte zu bahnen, sondern räumen sich den Weg lieber auf andere Weise frei. Der aufstrebende Mittelstand sieht es ähnlich und zieht die schnelle Lösung über einen Fixer (Wegbe reiter) oder eine direkte Schmiergeldzahlung dem langen Warten vor. Manche Dienstleistung oder Zulassung kommt ohne Schmiergeld oft gar nicht erst zustande. Bis zur Einführung des Rechts auf Information (Right to Information Act, 2005) hatten Bürger wenig Chancen, diesen Sumpf zu ergründen und gegen Korruption vorzugehen. Mangelnde Beweise, Intransparenz und enger Zusammenhalt unter den Geschmierten beschützten die korrupten Strukturen im System. Mit der Liberalisierung hat die Korruption neue Dimensionen erreicht. Großunternehmen sichern sich die Bodenschätze in den armen Stammesgebieten Ostindiens und ermächtigen sich billigst und oft mit erpresserischen Methoden des Farmlands am Rande der schnell wachsenden Städte – gedeckt von bestechlichen Politikern, Verwaltungsbeamten, Richtern und Polizisten. Trotz vieler Anläufe über die Jahre hatte das Parlament kein Gesetz zur Schaffung eines Anti-KorruptionsOmbudsmanns (lokpal) zustande gebracht. Die Parlamentarier brachten nicht genügend politischen Willen auf und zer stritten sich im Detail. Ein 2010 durch die Regierung erstellter Entwurf wurde weithin als ineffektiv betrachtet und von großen Teilen der Zivilgesellschaft abgewiesen. Die schamlose Gier der Mächtigen hatte nun auch in Indien ein nicht mehr erträgliches Maß erreicht. p
Junge Unterstützerinnen Anna Hazares (Mitte oben) f
Frauen einer Nachbarschaftsinitiative (Mitte unten) Student mit Plakat: „Anna, a Gandhi of the 21st Century“ Remove Corr(uption)! (unten)
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Die Untätigkeit der Politik war der entscheidende Funke, der schließlich auf Tausende übersprang. Ein ehemaliger S oldat und Aktivist, der 74 Jahre alte Anna Hazare, wurde im Handumdrehen zum Symbol und Anführer einer Bewegung, welche die indische Politik unter enormen Druck brachte und die politische Landschaft wohl dauerhaft verändert hat. „Anna-ji“ – wie Hazare von seinen Unterstützern liebevoll genannt wird – scharte eine Gruppe gut vernetzter Experten, Aktivisten und Prominenter um sich und agitierte zunächst auf lokaler Ebene, dann landesweit, für die Schaffung eines starken lokpals mit weitreichenden Kompetenzen. Nachdem auch das ansonsten regierungsnahe National Advisory Council (NAC) den Regierungsentwurf abgelehnt hatte, und als Hazare einen Hungerstreik in Delhi begann, der ihn und seine Mitstreiter in die nationalen Medien katapultierte, lenkte die Regierung ein. In einem bis dato einmaligen Vorgang entschloss sich die Regierung, ein gemeinsames Komitee zwischen Zivilgesellschaft (Anna Hazares Gruppierung) und Regierung einzurichten. Hazare reichte dies aber nicht: Mit – nach eigenen Angaben – 60 Millionen Unterstützern im Rücken, die sich über ihr Mobil telefon solidarisch erklärt hatten, stellte Hazare der Politik ein Ultimatum – bis Mitte August sollte ein lokpal Gesetz in seinem Sinne verabschiedet werden, sonst drohte erneut ein Hungerstreik. Als die Verhandlungen scheiterten, machte sich Hazares Camp wieder zum Streik auf. Das politische Establishment geriet in Panik und wies die Polizei am Morgen des Streiktages an, Hazare und andere führende Mitglieder seiner Bewegung in Sicherheitsverwahrung zu nehmen. Der Schuss ging nach hinten los. Anna Hazare weigerte sich das Gefängnis zu verlassen, verbrachte eine Nacht dort und begann seinen Hungerstreik am folgenden Tag, nachdem die Behörden seinen Forderungen auf einen geeigneten Veranstaltungsort für seinen Protest nicht stattgegeben hatten. Von nun an gab es kein Halten mehr. Die Medien liebten die Story. Gestützt durch non-stop Bericht erstattung und eine Welle von Solidaritätsbekundungen des sonst apolitischen Mittelstands über die Online-Medien, gingen Hunderttausende auf die Straßen. In Delhi, Mumbai, Bangalore, Kalkutta und vielen kleinen und mittelgroßen Städten schallte es: „Anna hum tumare saat hai!“ (Anna wir sind mit dir!).
Bald erkannten auch die Oppositionsparteien, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen die mediale Gunst der Stunde und machten mobil. Bollywood-Stars, Musiker, Yoga-Gurus und Oppositionspolitiker suchten das Rampenlicht und erklärten ihre Solidarität mit Anna. Über eine Million Bürger erklärten ihre Unterstützung online – allein auf der Internetseite der Times of India. Die Regierung kapitulierte: Nach 11 Tagen endete der Protest mit einer Resolution beider Parlaments kammern, die drei Zusagen machte: (1) Eine Bürgercharta, (2) die Einbeziehung der niedrigen Bürokratie und (3) die Einrichtung von Ombudsmännern auf der Bundesstaatsebene. Anna-ji hatte es geschafft, die Politik gehörig unter Druck zu setzen. Auf dem Weg dorthin hatte er auch einige gemäßigte Weggefährten verloren. Eine hitzige Debatte über die Mittel der Bewegung war im Gange: Wo bleibt die Zeit zur Diskussion von Alternativen? Ist es nicht undemokratisch, wenn nur eine einzige Version des Gesetzes dem Regierungsentwurf gegenüber gestellt wird? Wird Anna Hazare von der Opposition gelenkt? Werden die Politiker ihr Wort halten? Wird man der Korruption wirklich über eine Mammutbehörde Herr werden können?
„Anna hum tumare saat hai!“ – „Anna wir sind mit dir!“ Schlachtruf der Unterstützer
Kenntnisse über die genauen Details waren unter den Demonstranten selten zu finden: „Ich bin hier um Anna-ji zu unter stützen. Wir müssen die Korruption beenden!“ war eine übliche Antwort. Man machte sich zunächst wenig Gedanken über die Unterschiede der Gesetzesentwürfe und ihrer Umsetzung, ereiferte sich in Geschichten über eigene Erfahrungen mit Korruption, und genoss es, Teil einer Bewegung zu sein. Die Regierung sorgte sich über die nächsten Wahlen sowie die Entscheidungshoheit des Parlaments und wollte unter allen Umständen einen Präzedenzfall vermeiden. Eine Debatte im Parlament sollte zur Entscheidung führen. Ohne Zweifel herrschte auch nach dem Ende des Streiks und der Zusage des Parlaments wenig Klarheit über den „richtigen“ Weg. Bis zur nächsten Sitzung im Winter sollte debattiert werden, e s sollten Meinungen eingeholt werden und dann sollte eine Entscheidung stehen.
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f Plakat: „Anna, you become a leader“ (rechts).
Mit einem neuen Gesetzesentwurf ging die Regierung Ende November 2011 in Stellung, in dem sie auf manche Forderungen der Bewegung einging. Andere Punkte hingegen wurden nur teilweise aufgegriffen oder ganz ausgeschlagen. Anna Hazare fühlte sich betrogen und blies erneut zum Angriff. Doch der geplante Warnstreik in Mumbai (Bombay) wurde zum Flop. Die Massen blieben fern, sodass Anna den Streik abbrach – aus gesundheitlichen Gründen. Derweil zerstritt man sich im Parlament; Opposition und Regierung warfen sich gegenseitig Unwillen vor. Der neue Gesetzentwurf wurde im Unterhaus verabschiedet, doch mit 187 Änderungs anträgen und in Erwartung von vielen Gegenstimmen brachte die Regierung das Gesetz in der Sitzung im Dezember gar nicht erst zur Abstimmung. Wilde Proteste der Opposition und Vorwürfe, ein Schaulaufen veranstaltet zu haben, waren die Folge. Insgesamt ein enttäuschender Ausgang für die Anti- Korruptionssaga 2011 und ein problematisches Ergebnis für die Regierung, deren Glaubwürdigkeit stark angegriffen wurde. Derweil mehren sich in Madhya Pradesh weitere Fälle, wie der des städtischen Angestellten aus Ujjain. Wieder ist ein Kollege der Anti-Korruptionspolizei auf den Leim gegangen. Laut eines Zeitungsberichts hat der Ministerpräsident in der Zwischenzeit stolz erklärt, die Durchsuchungen seien auf seine Anweisung hin verstärkt worden. Seit 2010, als die Behörde ein hochrangiges Beamtenpaar mit 45 Millionen Euro Eigentumswerten der Korruption überführte, wurde jedoch kein hochrangiger Beamter mehr verhaftet. Der Vorwurf, man fange kleine Fische anstatt der eigentlichen Drahtzieher, ist nicht von der Hand zu weisen.
Als Fazit bleibt, dass die India Against Corruption Bewegung in der Lage war, große Teile derer zu mobilisieren, die eine politische Teilhabe längst aufgegeben hatten. Als steuerzahlende, politische Minderheit hatte sich der Mittelstand über Jahre in den Rängen eines Schauspiels wiedergefunden, in dem sich – so der Eindruck – die Mächtigen und die Politiker ohne Scham an Steuergeldern bedienten und mittels ihrer Privilegien bereicherten. Anna Hazares Protestbewegung öffnete ein Ventil für diese Frustration, und zunächst erschien es sogar, als hätte die Taktik schnell und effektiv zum Erfolg geführt. Der Regierungskoalition blieb, ob der Popularität und der starken Medienpräsenz Anna Hazares, kein Ausweg. Eine kleine und kurze Protestbewegung hatte es geschafft, die Parlamentarier zum Einlenken zu zwingen. Allerdings zeigte sich auch, wie schwierig es ist, am Ende eines vermeintlich erfolgreichen Protestes sicherzustellen, dass die Forderungen der Protestbewegung tatsächlich in konkrete Politik umgesetzt werden. Ein weiteres Fazit betrifft die Politisierung des Mittelstands in Indien: Wenngleich sich unter den Anhängern Anna Hazares etwas Ernüchterung breit gemacht hat, ist zu erwarten, dass die Partizipation des Mittelstandes nicht komplett versiegt und dieser nicht erneut in die Resignation zurückfällt. Das poli tische Establishment sollte erkannt haben, dass der Mittelstand im Indien des Mobilfunkzeitalters nicht mehr zu ignorieren ist und dieser seine Anliegen schnell und breitenwirksam politisch zur Geltung bringen kann. Wenn sich dieser neue Mittelstand in den anstehenden Wahlen der Landesparlamente aktiver zeigt und vermehrt zur Wahl geht, so ist dies sicherlich auch Anna Hazare zu verdanken.
Arndt Husar, Jg. 1978, arbeitete 2006/07 als Stiftungskollegiat bei der Cities Alliance in den USA, Ägypten und Südafrika. Er hat Raumplanung an der Uni Dortmund studiert und war Beigeordneter Sachverständiger bei den Vereinten Nationen. Arndt Husar arbeitet als freier Berater in der Entwicklungszusammenarbeit in I ndien. Er spezialisiert sich auf Dezentralisierung, Verwaltungsreform, C apacity Development und Stadtentwicklung. (a.husar@web.de)
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Renaissance einer Bewegung
Für eine nuklearwaffenfreie Welt – Frischer Wind für eine alte Debatte von Sascha Knöpfel Es war still geworden um die Bewegung für eine nuklear waffenfreie Welt. Der 25. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe und ein Artikel im Wall Street Journal haben die Debatte wiederbelebt. Eine über 120 Kilometer lange Menschenkette anlässlich des 25. Jahrestags der Tschernobyl-Katastrophe machte es im April 2010 deutlich: Die Deutschen sind mehrheitlich gegen Atomkraft. Eine verwandte, in der Bundesrepublik ebenfalls tief verwurzelte, jedoch weniger beachtete Bewegung und deren rasante Auferstehung stehen im Fokus dieses Berichts: Die Bewegung für eine Welt ohne Nuklearwaffen. Die Vision einer nuklearwaffenfreien Welt ist beinah so alt wie der atomare Sprengkopf selbst. Bereits unmittelbar nach den ersten und bisher einzigen kriegerischen Abwürfen von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki 1945 wurden weltweit hitzige Diskussionen darüber geführt, wie die Verbreitung von nuklearen Waffen verhindert werden könnte. Obwohl diese Debatte auf politischer Ebene seither mehrmals neu a ufflammte und sich die zahlreichen Bürgerinitiativen gegen nukleare Arsenale weiterentwickelten, wurde die Überzeugungskraft der Vision wiederholt entscheidend gedämpft. Der Hauptgrund dafür scheint die politische Rückbesinnung auf das Ab schreckungspotential von Atomwaffen zu sein, welche zuletzt durch die Terroranschläge des 11. September ausgelöst wurde. Frischen Wind brachte Anfang 2007 der inzwischen berühmte Artikel A World Free of Nuclear Weapons im Wall Street Journal in die Diskussion: Die ehemaligen U. S.-amerikanischen Politiker George Shultz, Henry Kissinger, Sam Nunn und William Perry, zur Zeit des Kalten Krieges vehemente Befürworter der Atomwaffe, traten in diesem Artikel mit Nachdruck für die Idee einer nuklearwaffenfreien Welt ein. Aus den alten Hardlinern wurden so Schlüsselfiguren einer erneut erstarkenden AntiAtomwaffenbewegung. s Die ‚Gang of Four‘ beim Besuch im Weißen Haus mit US-Präsident Obama
Zwei Aspekte der Argumentation der sogenannten „Gang of Four“ verdienen in diesem Kontext besondere Aufmerksamkeit. Beide unterscheiden sich von traditionellen, pazifistisch motivierten Auffassungen der damals bereits weitverbreiteten Grassroots-Organisationen, welche die Anti-Atomwaffenbewe gung lange Zeit kennzeichneten. Zum einen wird nukleare Abrüstung aus politisch-militärischer Perspektive betrachtet. Die vier Autoren stellen fest, dass die Abschreckung durch Nuklearwaffen immer ineffektiver wird und dass ihre stetige Weiterverbreitung mit immer ansteigenden Risiken verbunden ist. Völkerrechtliche oder humanistische Argumentationslinien für nukleare Abrüstung, welche die damalige Bewegung oftmals betonte, sind nicht aufgenommen. Zum anderen schlägt der Artikel eine schrittweise verhandelte Abrüstung von Nuklearwaffen vor. Demgegenüber fassen etliche Bürgerinitiativen eine Atomwaffenkonvention ins Auge: Ein völkerrechtlicher Vertrag, der alle Staaten zur sofortigen und vollständigen nuklearen Abrüstung verpflichtet.
„Die Vision einer Welt ohne nukleare Bedrohung (…) muss wiederbelebt werden.“ Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher
Der von der Gang of Four öffentlichkeitswirksam dargestellte Standpunkt sollte rund um den Globus schnell enorme Zustimmung und Unterstützung von Wissenschaftlern, Politikern und der breiten Bevölkerung erfahren. In Deutschland beispielsweise forderten Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher in einem Folge-Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Anfang 2009: „Die Vision einer Welt ohne nukleare Bedrohung (…) muss wiederbelebt werden.“
Renaissance einer Bewegung
i ‚Gang of Four‘ Mitglied George Shultz bei einer Podiumsdiskussion mit dem ehemaligen US-Botschafter Richard Burt beim Gipfel der NGO Global Zero im Oktober 2011
Im April 2009 bekannte sich auch der neugewählte U. S. Präsident Barack Obama zusammen mit seinem russischen Amtskollegen Dimitri Medwedew zu dieser Vision. Vier Tage danach folgte Obamas historische Prager Rede: „Today, I state clearly and with conviction America’s commitment to seek the peace and security of a world without nuclear weapons.“ Zudem sicherten Nicht-Atomwaffenstaaten offiziell ihre Unterstützung zu, einschließlich Belgien, Luxemburg, der Niederlande, Norwegen und Deutschland. Aber auch die klassischen Mitglieder sozialer Bewegungen, Bürgerinitiativen und NGOs waren Teil des neuen Aufschwungs. Viele Gruppen, welche weitgehend traditionelle Positionen einnehmen, wie etwa die internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, wurden gegründet oder expandierten. Interessant ist aber vor allem, dass sich ebenfalls erfolgreich neue Gruppen formten, die sich den Ansichten der Gang of Four anschlossen. Als prominentes Beispiel kann die 2008 gegründete NGO Global Zero dienen, der Persönlichkeiten wie Jimmy Carter und Michail Gorbatschow angehören. Die international agierende Organisation argumentiert nicht nur anders, sie unterscheidet sich vom bottom up Ansatz der Grassroots-Bewegungen auch dadurch, dass sie zusätzlich zu der Mobilisierung der Bevölkerung auch die direkte Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern sucht.
Mit dieser Herangehensweise zogen und ziehen NGOs wie Global Zero auch junge Akademiker der Sicherheits- und Verteidigungspolitik an. Studenten dieser Disziplinen sind geneigt, ihre Aufmerksamkeit auf strategisch relevante Gesichtspunkte zu konzentrieren und Veränderung durch das Drehen des großen Rads der Politik bewirken zu wollen. Beide Merkmale finden sich nun auch in der Ausrichtung von Abrüstungsorganisationen. Die erneute weltweite Zustimmung von Akademikern, Poli tikern und Bürgern erlaubt es, vom Wiederauferstehen der Anti-Atomwaffenbewegung zu sprechen. Zentral für den Entwicklungsprozess war ein von U. S. Nuklearexperten verfasster Zeitschriftenartikel und die damit einhergehende Verschiebung der Positionen, mit denen öffentlich für atomare Ab rüstung geworben wird. Zwar bestehen traditionelle Ansichten in Teilen der Bewegung weiter, einflussreicher ist jedoch die Argumentation entlang einer neuen, politisch-militärischen Logik und der Fokus auf schrittweise Abrüstung. Inwieweit die jeweiligen Befürworter zueinander finden können, um das gemeinsame Ziel mit ihren unterschiedlichen Strategien und Ressourcen zu erreichen, bleibt abzuwarten.
Sascha Knoepfel, Jg. 1987, studierte Politik, Philosophie und Internationale Sicherheit in Darmstadt und Birmingham, England. Er ist Mitglied verschiedener Abrüstungsinitiativen, u. a. der Bewegung Global Zero. 2011/12 ist er als Carlo-Schmid-Stipendiat bei der NATO tätig.
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Neues Tauwetter?
Protestbewegung in Russland – Der Wandel beginnt von unten
russland
Moskau
von Steffen von Bünau In Folge der massiven Fälschungsvorwürfe bei den Duma wahlen 2011 formierte sich in Russland eine überraschend starke Bürgerbewegung. Für viele Russen ist es das erste Mal, dass sie ihre Meinung frei in der Öffentlichkeit artikulieren. Dennoch würden viele Russen heute Putin auch in unabhängigen Wahlen unterstützen. „Ich habe mich zum ersten Mal wie in einem normalen Land gefühlt“, beschreibt Nikita seine erste Demonstration in Moskau. „Normal“, erklärt er, „weil wir gezeigt haben, was uns nicht passt, friedlich und ohne dass wir von der Polizei weggeprügelt wurden.“ Das Wort „normal“, so hat man das Gefühl, bedeutet für Nikita auch „wie in Europa“. Es scheint nicht so, als würden Nikita und die anderen ihre Ziele bald erreichen. Dennoch sind die Auswirkungen der neuen Protestbewegung, die sich in den letzten Monaten geformt hat, fundamental. Eine Generation wird von friedlichen Demonstrationen geprägt, das Chaos der Neunziger Jahre tritt in den Hintergrund und eine Mittelschicht, die selbstbewusst einen modernen Staat fordert, widerlegt die historische These, dass in Russland Veränderung nur von oben kommen kann. Eine Bewegung wächst Am 4. Februar 2012 erlebte Moskau die größten Proteste seit Bestehen der russischen Föderation. Bei minus 17 Grad zogen mehr als 100 000 Menschen von der Metrostation Oktjabrskaja zum Bolotnaja Ploschtschad. Der Platz im Herzen Moskaus ist längst zum symbolischen Ort für die Proteste geworden. Bereits am 10. Dezember 2011 versammelten sich hier 50 000 Moskauer zum Protest. Sie schwenkten Parteifahnen, hatten sich als Zeichen des Protestes weiße Bändchen an den Arm geknotet und verschenkten weiße Chrysanthemen und Luftballons. Es waren die ersten großen Proteste der Hauptstadt. Zwei Wochen später, in Deutschland feierte man Heiligabend, strömten in Moskau immer mehr Menschen auf die Sacharov Allee. Der 24. Dezember machte deutlich, wie tief der Unmut reicht. Immer mehr bekannte Persönlichkeiten stellten sich hinter die Bewegung. Der im September aus politischen Gründen entlassene, aber weithin respektierte Finanzminister Aleksej Kudrin nahm ebenfalls an den Kundgebungen teil. Auch Ksenija Sobtschak, Tochter des ehemaligen Bürger meisters von St. Petersburg, Absolventin der renommierten Diplomatenschule des russischen Außenministeriums, It-Girl
und Moderatorin mehrerer Fernsehsendungen, zeigte sich unter den Protestierenden. Michail Prochorow, schwerreicher Oligarch und Kandidat für das Präsidentenamt, nutzte die Gelegenheit, um für seine eigene Kandidatur im bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf zu werben. Forderungen und Hintergründe Die Bewegung hat ihre Forderungen eindeutig formuliert. Die Protestierenden fordern eine Wiederholung der Wahlen zur Staatsduma, dem russischen Repräsentantenhaus, die Ent lassung des Wahlleiters und die Freilassung aller politischen Gefangenen. In Wirklichkeit sehnen sich die Bürger der Hauptstadt wohl nach umfassendem Wandel. Mit Putins verfassungsgemäßem Rückzug vom Amt des Präsidenten und den neuen Akzenten, die sein Nachfolger Medwedew setzte, hatten viele gehofft, dass sich das politische System aus sich heraus wandeln könnte. Es wurde spekuliert, dass Dimitri Medwedew, der nach der russischen Verfassung noch weitere vier Jahre das Amt des Präsidenten bekleiden dürfte, bei den Wahlen am 4. März gegen Putin antreten könnte. Lange Zeit schwiegen Putin und Medwedew über ihre mögliche Kandidatur. Die Offenlegung der „Strategie“ kam im vergangenen September: Präsident Medwedew schlug Premierminister Putin als Kandidaten für das Präsidentenamt vor. Als zynisch empfunden wurde vor allem Putins Äußerung, dass der Ämtertausch schon „seit langem“ festgestanden habe. Offensichtlich hatte das Tandem Putin und Medwedew es aber nicht für nötig empfunden, die Wähler darüber zu informieren und die Wiederwahl schlicht vorweggenommen. Die Ereignisse im Umfeld der Dumawahlen vom 4. Dezember 2011 ließen die Resignation dann in offenen Protest um schlagen. Bereits am Wahltag kursierten im Internet hunderte Videos, die angebliche Wahlfälschungen dokumentierten. Die offizielle Wahlkommission verkündete Wahlbeteiligungen von über 99 Prozent in Tschetschenien, mehr als 90 Prozent davon für die Putin-Partei „Einiges Russland“. In einem Vorabbericht schrieben die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa über zahlreiche prozessuale Verstöße sowie Anzeichen von Wahlmanipulation. Einen Tag nach der Wahl protestierten daraufhin ungefähr 5 000 Oppo sitionsanhänger gegen den Ablauf der Wahl. Es kam zu Festnahmen, mehrere Oppositionsführer, darunter der bekannte Anti-Korruptionskämpfer und Blogger Alexej Nawalny, w urden
Neues Tauwetter?
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f 24. Dezember, 2011, Wahlproteste in Moskau, Sakharov Prospect
zu 15 Tagen Ordnungshaft verurteilt. Diese Urteile, vielerorts als politisch motivierter Einschüchterungsversuch wahrgenommen, überschritten die Grenze dessen, was man in der Hauptstadt zu akzeptieren bereit war. Die Urteile waren ein starker Antrieb für die massiven Proteste am 10. Dezember. Kein „russischer Frühling“ Auch den Protestierenden dürfte klar sein, dass die Erfüllung ihrer zentralen Forderungen – Neuwahlen zur Duma und die Entlassung des Vorsitzenden der Wahlkommission – kurz vor und auch nach der Präsidentschaftswahl praktisch ausgeschlossen ist. Daher stellt sich die Frage, welche Rolle die Bewegung nach den Präsidentschaftswahlen spielen wird. Eine Radikalisierung, wie sie Berichte über einen bevorstehenden „russischen Frühling“ andeuten, ist unwahrscheinlich. Nährboden der Proteste ist die gebildete Mittelschicht in St. Petersburg und Moskau, an Unruhen und Umsturz scheint ihnen nicht gelegen. Auch der Kreml möchte eine Eskalation vermeiden und so gibt es immer wieder kleine versöhnliche Signale an die Demonstranten. Die Registrierung von neuen Parteien wird wesentlich vereinfacht – und Kremlstratege Surkow, der die auf Putin zugeschnittene „souveräne Demokratie“ entwarf, wurde seiner einflussreichen Rolle als Vize-Stabschef im Kreml enthoben. Als Medwedew am 22. Dezember eine Bilanz seiner Amtszeit zog, schlug der noch amtierende Präsident vor, in Zukunft die Gouverneure, in ihrer Macht vergleichbar etwa mit den Ministerpräsidenten in Deutschland, wieder direkt wählen zu lassen. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit 2004 hatte Putin durchgesetzt, dass die Gouverneure direkt vom Präsidenten eingesetzt werden.
Bereits der bislang friedliche Ablauf der Demonstrationen macht deutlich, dass politischer Wettkampf im Jahr 2011/12 nicht gleichbedeutend ist mit dem Chaos und wirtschaftlichen Niedergang der Neunziger Jahre. Das bisherige politische Programm von Stabilität und wirtschaftlichem Wachstum im Austausch gegen zivilgesellschaftliche Nichteinmischung verliert an Attraktivität, je stärker die Erinnerungen an die Un ruhen von 1993 und die Wirtschaftskrise von 1998 verblassen und die Bewegung ihre Form des friedlichen Protests weiterentwickelt.
„Ich habe mich zum ersten Mal wie in einem normalen Land gefühlt“ Nikita aus Moskau
Im historischen Kontext schwächen die Demonstranten die These, dass Modernisierung und Wandel in Russland stets von oben verordnet werde, nicht aber dem Volk entspringe. His torische Beispiele für „Wandel von oben“ sind die Ausrichtung nach Westen unter Peter dem Großen, die Aufhebung der Leibeigenschaft durch Alexander den Zweiten, die radikale In dustrialisierung unter Joseph Stalin und die Auflösung der Sowjetunion, die ihren Anfang mit den Reformen des Generalsekretärs der kommunistischen Partei Michail Gorbatschow nahm. Oft werden diese Beispiele als Beleg dafür verwendet, dass Russland deshalb eine eigene Form der Demokratie entwickeln müsse, die manchmal als „gelenkte Demokratie“ bezeichnet wird. Die Demonstranten, die im Winter 2011/12 in Russland auf die Straße gingen, fördern einen Wandel von unten. Ob sie ihre Ziele in diesem Jahr, im nächsten oder erst in ein paar Jahren erreichen, ist nicht entscheidend. Die alte Formel der Reformen von oben verliert an Geltung. Und die Proteste sind ein eindrucksvoller Schritt in diese Richtung.
Schließlich ist auch Putins andauernde große Beliebtheit, ins besondere außerhalb der großen Städte, nicht zu unterschätzen. Die im Dezember veröffentlichten Zahlen des unabhängigen Levada Instituts zeigen, dass noch immer 68 Prozent der Russen Putins Handeln befürworten. Selbst bei fairen Wahlen würde Putin also wahrscheinlich zum Präsidenten gewählt . Von historischer Bedeutung Auch wenn die Protestierenden ihre Forderungen wahrscheinlich nicht durchsetzten können und Putin im März wieder zum Präsidenten gewählt worden ist, ist die Bedeutung der Proteste enorm.
Steffen von Bünau, Jg. 1988, studierte Internationale Beziehungen in Dresden und Moskau. Als Carlo-Schmid-Praktikant lernte er 2011/12 die Arbeit der International Finance Cooperation (World Bank Group) im Projekt Russia Renewable Energy kennen. Dort ist er im Anschluss an sein Praktikum nun als Berater tätig.
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Interview
Der Arabische Frühling und sein weltweites Echo – eine Menschenrechtsperspektive ad hoc traf Kenneth Roth, Executive Director von Human Rights Watch (HRW), nach einem Vortrag am 23. März in Neu Delhi, in dem er neben Indiens wachsender Verantwortlichkeit bei der internationalen Ahndung von Menschenrechtsverletzungen vor allem über die Auswirkungen des Arabischen Frühlings in asiatischen Staaten sprach. Roth, der sich nach seiner Rede auf den Weg nach Afghanistan machte, leitet HRW seit 1993. HRW arbeitet in über 80 Ländern und berichtet seit Jahren über die Menschenrechtverletzungen, gegen die sich die Proteste in der arabischen Welt unter anderem richteten, von willkürlichen Verhaftungen und Einschränkungen der Meinungsund Versammlungsfreiheit bis hin zu Folter. Auch während der Aufstände recherchierte HRW vor Ort, berichtete über exzessive Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte und dokumentierte zivile Opfer. Mit ad hoc sprach Roth über seine Zwischenbilanz der Protestbewegungen nach einem Jahr, deren Auswirkungen in anderen Regionen, sowie die Unterschiede zwischen Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit. ad hoc: 2011 haben wir die Entwicklung verschiedenster Protestbewegungen beobachten können, von denen einige zu erkennbaren Veränderungen geführt haben, während andere scheinbar im Sande verlaufen sind. Was ist ihre Zwischenbilanz und ihr Ausblick für die weitere Entwicklung in 2012? Roth: Es ist schwierig, diese Frage generell zu beantworten. Unter den Staaten des Arabischen Frühlings scheint Tunesien auf dem eindeutigsten Weg zu einem positiven Resultat zu sein. Auch Ägypten hat bedeutende Fortschritte gemacht, aber das Militär weigert sich immer noch, seine Macht abzugeben und es ist bis jetzt nicht eindeutig klar, ob die Muslimbrüder die Rechte von Frauen oder religiösen und sozialen Minderheiten respektieren werden. Die libysche Übergangsregierung ist offen gegenüber Menschenrechtsfragen, aber hat immer noch keine Kontrolle über die zahlreichen Stammesmilizen, die verschiedene Teile des Landes regieren, erlangt. Im Jemen wurde die unglückliche Entscheidung getroffen, dem ehemaligen Präsidenten Saleh Straffreiheit für die von ihm angeordneten Tötungen zu billigen. Dies hat einen gefährlichen Präzedenzfall für die Zukunft
g eschaffen und ihm gleichzeitig die Freiheit gelassen, weiterhin negativ in Regierungsgeschäfte zu intervenieren. In Bahrain hat die Regierung die Protestbewegung zerschlagen, ohne dass die regierungsnahen Kräfte, welche die Menschenrechte bisher eigentlich unterstützt hatten, eingeschritten sind. In Syrien hat der internationale Druck bisher nicht ausgereicht, um Präsident Assad davon abzuhalten, gewissenlos tausende Oppositionelle zu ermorden.
„HRW hat in erster Linie versucht, den politischen Freiraum, in dem die Demonstranten agieren, zu schützen“ ad hoc: In Ihrer Rede sind sie auch speziell auf die Auswirkungen des Arabischen Frühlings auf Mynanmar und China eingegangen. Sie haben dabei die Auffassung vertreten, dass die Regierung Myanmars hauptsächlich aufgrund der Sorge, dass der Arabische Frühling zu ähnlichen Protesten in Myanmar führen könnte, positive Schritte in Richtung demokratischer Reform eingeleitet hat. Gleichzeitig argumentierten Sie aber auch, dass die gleiche Sorge in China zu einer Verstärkung der Unterdrückung und zu vermehrten Menschenrechtsverletzungen von Seiten der Regierung geführt habe. Wie erklären Sie diese unterschiedlichen Reaktionen? Roth: Einer der Hauptfaktoren für die unterschiedlichen Reaktionen Myanmars und Chinas auf den Arabischen Frühling ist wirtschaftlicher Natur. Die von der internationalen Gemeinschaft verhängten, gezielten Sanktionen gegen die Militärjunta in Myanmar haben diese ihrer Legitimität beraubt und sie, auf eine ihr unangenehme Weise, von China abhängig gemacht. Mit der Aussicht konfrontiert, gewissermaßen eine chinesische Provinz für wirtschaftliche Zwecke zu werden, erkannte das Militär in Myanmar, dass es Reformen einleiten muss, wenn es seine Hoffnung auf eine Aufhebung der Sanktionen aufrecht erhalten will. Die Tatsache, dass das neue myanmarische Parlament als erstes zur Aufhebung der Sanktionen aufgerufen hat, kurz nachdem das Militär letztes Jahr ein großes chinesisches DammBauprojekt widerrufen hatte, gibt einen Einblick in die Denkweise des Militärs. Dementsprechend hat sich das Militär nun auch mit der demokratischen Bewegung arrangiert bevor diese, durch den Arabischen Frühling inspiriert, möglicherweise zum ersten Mal seit der Demonstrationen der Mönche in 2007 wieder auf die Straße hätte gehen können.
Interview
China ist offensichtlich in einer ganz anderen ökonomischen Position. Es hat die Ressourcen, auf mögliche „Jasmin-Kund gebungen“ in China zu reagieren, indem es hart durchgreift – die heftigste Unterdrückung in China seit Jahrzehnten. Chinas Größe und wirtschaftliches Potenzial bedeuten, dass es trotz alledem nicht wie Myanmar als Paria-Staat gilt, sondern eng in internationale Kreise eingebunden ist. Doch selbst China wird wohl nicht in der Lage sein, demokratischem Druck auf lange Sicht zu widerstehen. Nach seinen eigenen Zählungen gibt es im Land jedes Jahr etwa 100 000 Vorfälle von zivilen Unruhen – die meisten werden durch das Verhalten korrupter Lokal- Beamter ausgelöst, die Land beschlagnahmen, Gelder ver untreuen oder die Umwelt verschmutzen. Bisher hat Peking versucht, diese Demonstrationen zu unterdrücken, während es vom Zentrum aus daran arbeitet, die schlimmsten Vorfälle des Amtsmissbrauchs in den Griff zu bekommen. Aber China ist zu groß, als dass Peking korrupte Beamte nur von oben herab unter Kontrolle bringen könnte. Ab einem gewissen Zeitpunkt wird Peking die lokale Bevölkerung befähigen müssen, diese Beamten selbst zur Rechenschaft ziehen zu können, indem sie sie vor Gericht stellen, in der Presse blossstellt und die Zivil gesellschaft dazu einsetzt, dem Missbrauch ein Ende zu bereiten. ad hoc: Welchen Einfluss hatte der Arabische Frühling laut der Einschätzung von HRW bisher in anderen Regionen? Roth: Menschen in der ganzen Welt wurden durch das Beispiel des Arabischen Frühlings inspiriert – durch das Bild von Menschen, die oft unter großem persönlichen Risiko, auf die Straßen gehen, um mehr Respekt für Demokratie und Menschenrechte zu fordern. Außerhalb des nahen Ostens und Nordafrikas hat sich diese Inspiration beispielsweise in Russland in den Massenprotesten gegen Putins autokratische Herrschaft manifestiert. Auch in Afrika haben wir gesehen, dass der Arabische Frühling in verschiedenen Ländern nachhallt. In Uganda bei spiels weise hat die „Walk to Work“-Bewegung gegen verschwenderische Regierungsausgaben protestiert, und in Zimbabwe w urden Dissidenten verhaftet, weil sie sich Aufnahmen des Arabischen Frühlings ansahen. Schließlich gibt es sogar Auswirkungen innerhalb der „Occupy“-Bewegung, die sich in den Vereinigten Staaten und Europa ausgebreitet hat. Sie ist, ähnlich Demonstranten des Arabischen Frühlings, der Überzeugung, dass Regierungen durch friedliche Proteste auf den Straßen dazu gebracht werden können, auf die Forderungen der Demonstranten einzugehen.
Kenneth Roth bei einer Diskussion am Aspen Institute India in Neu Delhi im März 2012 p
ad hoc: In ihrem Jahresrückblick für 2011 wird die Occupy- Bewegung nicht erwähnt. Sieht HRW Occupy nicht als eine Menschenrechtsbewegung? Verpasst HRW nicht eine Chance, mehr Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsverletzungen in den Vereinigten Staaten oder anderen westlichen Ländern zu lenken, wenn es Occupy ignoriert? Roth: Hinsichtlich der Natur der Occupy-Bewegung würde ich sagen, dass viele, aber nicht alle Teilnehmer der Ansicht waren, dass sie Menschenrechte verteidigen. Wie im Fall des Arabischen Frühlings war die Rolle der traditionellen Menschenrechtsbewegung daher, den politischen Freiraum, in dem die Occupy Proteste stattfanden, zu schützen. Unser Jahresrückblick befasst sich allerdings vornehmlich mit Menschenrechtsverletzungen, nicht mit Menschenrechtsbewegungen. Viele dieser Menschenrechtsverletzungen geschehen in westlichen Staaten, und wir berichten auch über diese. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel, befassen wir uns mit der Misshandlung von Migranten ohne Papiere, Ungerechtigkeiten im Strafjustizsystem, sowie einer ganzen Reihe von Menschenrechtsverletzungen, die mit der Bekämpfung des Terrorismus verbunden sind, von Guantanamo bis hin zu Folter. In Europa liegt unser A ugenmerk vor allem auf der wachsenden Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit gegenüber Migranten, Muslimen und Minderheiten. ad hoc: Wo ziehen Sie die Grenze zwischen sozialer Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen, besonders im Kontext westlicher Staaten? Und gibt es für HRW eine Hierarchie der Rechte, die beeinflusst, dass die Verletzungen einiger Menschenrechte häufiger recherchiert als andere? Roth: Viele Leute machen den Fehler, soziale Gerechtigkeit mit Menschenrechten gleichzusetzen. Die beiden Begriffe sind oft eng verwandt, aber sie beruhen auf unterschiedlichen Konzepten. Es kann soziale Ungerechtigkeiten geben, die nicht unbedingt Menschenrechtsverletzungen darstellen. Zum Beispiel kann die Steuerpolitik einer Regierung von einem sozialen Blickwinkel aus betrachtet ungerecht sein, aber nicht unbedingt eine Menschenrechtsverletzung darstellen. p
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Interview
Innerhalb des Bereichs der Menschenrechte gibt es für uns keine Hierarchie der Rechte. Die wichtigen Menschenrechtsabkommen erteilen einer Bandbreite an Rechten den gleichen Status – zivile und politische Rechte sowie ökonomische, s oziale und kulturelle Rechte. Diese Bandbreite ist zum Beispiel in unserer Arbeit in Indien reflektiert, wo wir s owohl Themen wie die Straffreiheit der Armee unter dem „Armed Forces Special Powers Act“ und Folter durch die Polizei, als auch Fragen wie Müttersterblichkeit, Kinderarbeit und das Recht auf Bildung thematisiert haben. Bei der Auswahl, welche Rechte wir in einem bestimmten Land ansprechen, zieht HRW in Zusammenarbeit mit unseren lokalen Partnern verschiedene Faktoren in Betracht. Dazu gehören die Schwere der Menschenrechtsverletzung, unsere Fähigkeit, Wirkung zu erzielen, und unser Wunsch, die Bemühungen lokaler Aktivisten zu ergänzen anstatt sie zu duplizieren. ad hoc: Während Ihrer Rede sprachen Sie auch von den Bemühungen von HRW, durch eine solche Zusammenarbeit eine „echte, globale Menschenrechtbewegung“ aufzubauen. Denken Sie, dass die Demonstranten der jüngsten weltweiten Massen proteste, wie zum Beispiel dem Arabischen Frühling oder der Demokratiebewegung in Russland, sich als Teil einer solchen Menschenrechtbewegung verstehen? Roth: Viele der Demonstranten des Arabischen Frühlings und ähnlicher Proteste weltweit sahen sich nicht unbedingt als Menschenrechtsaktivisten, aber ihre Ziele überschneiden sich mit denen der Menschenrechtbewegung. Deshalb wir in erster Linie, den politischen Freiraum, in dem sie agieren, zu schützen – indem wir gegen Verhaftungen oder Gewalt anwendung gegen friedliche Demonstranten Stellung nehmen. In fast jedem Land der Welt gibt es aber auch eine Vielzahl lokaler Menschenrechtsaktivisten und Gruppen, die sich um die Aufrechterhaltung internationaler Normen bemühen. HRW arbeitet eng mit diesen nationalen und lokalen Gruppen zusammen, um Menschenrechtsverletzungen aufzuzeigen, zu untersuchen und Lösungen zu empfehlen. Wo lokale Aktivisten von ihren Regierungen unterdrückt werden, versuchen wir auch, sie zu schützen.
ad hoc: Sieht HRW unter solchen Umständen der Unter drückung Gewalt als ein gerechtfertigtes Mittel, um eine Regierung zu stürzen? Roth: Wir beziehen zu dieser Frage absichtlich nicht Stellung. Wenn es so ist, dass Gewalt zum Einsatz kommt, dann überwacht HRW immer sowohl die Rebellen, als auch die Regierung, um die Einhaltung der internationalen Richtlinien zum Schutz von Zivilisten von beiden Seiten sicherzustellen. Dies gewährt Zivilisten unter solchen Umständen den bestmöglichen Schutz vor bewaffneten Auseinandersetzungen oder anderen Arten der Gewalt. Das Interview führten Katrin Keuzenkamp und Hanna B aumann.
Katrin Keuzenkamp, Jg. 1987, ist derzeitige Stipendiatin des Mercator Kollegs und arbeitet bei der feministischen Menschenrechtsorganisation CREA in der Advocacy & Research Abteilung des Neu Delhi Büros. Zuvor war sie für die NGO ARC International an den UNO-Menschenrechtsinstitutionen in Genf tätig. Sie hat in den Niederlanden und China studiert und einen Master in Politik- und Bildungswissenschaften an der Universität Cambridge abgeschlossen.
Hanna Baumann, Jg. 1985, studierte in New York, Kairo und Oxford und arbeitete zwei Jahre lang für Menschenrechts-NGOs im arabischen Raum. Als derzeitige Stipendiatin des Mercator Kollegs arbeitet sie als Programme Officer in der Kulturabteilung von UNESCO in Neu Delhi und als Consultant für die UN-Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte und beschäftigt sich vor allem mit den Rechten von Minderheiten im urbanen Kontext. 2006 absolvierte sie ein Praktikum in der US-Abteilung von Human Rights Watch in New York.
Arabischer Frühling
Ägypten
Druck der Straße und Stimme des Volkes – Wohin steuert Ägypten? von Jann Böddeling
Die revolutionäre Jugend in Ägypten übt sich weiter im Protest. Ihre Ziele sind oft unklar. Doch liegt vielleicht gerade hierin eine Stärke? Jedenfalls wollen sie sich das neu gewonnene Werkzeug des „Drucks von der Straße“ nicht so einfach wieder aus der Hand nehmen lassen. Das ist weit mehr als Aktionismus, sondern es birgt das P otential, Ägyptens politisches System langfristig zu transformieren. „Ash-shab yurid isqat an-nizam“, erklingt es gleichzeitig aus hunderttausenden Mündern auf dem Midan al-Tahrir‚ dem Platz der Befreiung in Kairo. Tagelang rufen die Demonstranten immer und immer wieder: „Das Volk verlangt den Sturz des Regimes!“ Still wird es nur während des Gebets der Muslime. In der Abenddämmerung des 11. Februar 2011 zerschneidet Jubel plötzlich diese Stille. Das Gebet wird respektvoll beendet, dann stimmen auch die Betenden mit ein. Die Revolution hat gesiegt: Präsident Hosni Mubarak tritt zurück. Warum aber gehen die Proteste heute weiter? War nicht der Sturz Mubaraks die eigentliche Forderung der Demonstranten? Wenn nicht, was wollen sie letztlich erreichen? Antworten auf diese Fragen finden sich bei denjenigen, die langfristig auf den 11. Februar hingearbeitet haben. Das sind zum Beispiel die jugendlichen Aktivisten und Revolutionäre Ranya und Mohamad, die schon weit vor dem Ausbruch der Massenproteste anfingen, sich in Gruppen wie Kefaya oder der „Bewegung des 6. April“ zu organisieren. Solche Aktivisten gruppen sind es im Wesentlichen, die weiterhin den Druck der Straße aufrecht erhalten.
s Während eines Sit-ins gegen die Militärregierung auf dem Tahrir-Platz am 10. Juli 2011 (links); Frauen demonstrieren am 8. Juli 2011 auf dem Kairoer Tahrir-Platz gegen den Mangel an Veränderung seit der Revolution und die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen unter dem Militärregime (mitte).
Nach vielen gescheiterten Versuchen hatten sie es Ende Januar letzten Jahres geschafft: Die Massen waren mobilisiert. „Das war eine sehr sorgfältig geplante Aktion, obwohl niemand wusste, ob es zu diesem Zeitpunkt funktionieren würde“, sagt Ranya Saadawi, die viele Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt hat. Die entfachte Massenbewegung spitzte sich zum Ruf nach dem Sturz Mubaraks zu. Doch dieser war nie die primäre Forderung der ursprünglichen Revolutionäre. In ihr vereinten sich vielmehr zahlreiche breitere Begriffe wie Freiheit, soziale Gerechtigkeit und menschliche Würde. Diese – von den Revolutionären geprägt – beschreiben positiv eine Richtung, die sich von den bestehenden Verhältnissen eindeutig abgrenzt. In der Theorie sozialer Bewegungen werden sie als Mobilisierungscodes bezeichnet. Da sie jedoch keine ganz konkreten Formen vorgeben, lassen sie sich in unterschiedliche Forderungen ummünzen. Der Rücktritt des verhassten Präsidenten hat die plakative Forderung der demonstrierenden Massen erfüllt. „Auch wir Aktivisten jubelten“, lacht Mohamad, der seinen vollen Namen lieber nicht veröffentlicht sehen will. Eine Veränderung Ägyptens entlang der Begriffe der Revolutionäre war damit aber nicht unbedingt sichergestellt. Und so wurden die Revolutionäre von der nun an die Macht gekommenen Militärführung bald desillusioniert. Das Militär schien anzunehmen, dass der Sturz Mubaraks und die Wahl eines neuen Parlamentes zumindest vorerst ausreichen würden, um den Forderungen der Revolutionäre zu genügen. Stattdessen beantworteten diese das zöger liche Vorgehen des Militärs gegen die zahlreichen im Amt verbliebenen Mubarak-Schergen schon sehr bald mit neuer lichen Sitzblockaden. p
s Ein Demonstrant während eines Sit-ins gegen die Militärregierung auf dem Tahrir-Platz am 10. Juli 2011 (Mitte unten)
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Arabischer Frühling
i Massendemonstration am 8. Juli 2011 auf dem Kairoer Tahrir-Platz. Die Demonstranten protestieren gegen die Unterdrückung von Seiten des Militärregimes und wollen, dass die für die Tötung von Demonstranten Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Im Zuge dieses Kräftemessens demaskierte sich das Militär zunehmend. Nach dem Rücktritt Mubaraks wurde es zunächst als „Beschützer der Revolution“ gefeiert. Brutale Repressalien und die massenhafte Aburteilung von Revolutionären in Militärgerichten offenbarten jedoch, dass die Revolution ihre Ziele noch nicht erreicht hat. Wieder soll nun ein pointierter Ruf die Massen bewegen. Bei den Demonstrationen hört man jetzt: „Das Volk verlangt den Sturz des Feldmarschalls!“ So entstehen aus den gleichen Leitbegriffen der Revolution – den zur Mobilisierung dienenden Codes – neue konkrete Forderungen. Doch was ist das endgültige Ziel? Wollen die Revolutionäre in die Regierung einziehen? „Uns war klar, dass wir in den Wahlen nicht mit der Muslimbruderschaft konkurrieren können“, sagt Ranya. Nein, die Revolutionäre setzen auf eine andere Stra tegie, damit ihre Leitsätze das neue Ägypten prägen; denn sie glauben nicht, dass dies durch Wahlen garantiert wird. „Die Parteien sind allesamt ebenso korrupt wie das alte Regime. Auch die Muslimbruderschaft“, meint Mohamad, der sich selbst als religiös bezeichnet. Vielmehr wollen die Revolutio näre, öffentliche Versammlungen und den Druck der Straße neben dem Parlament als politisches Mittel beibehalten. Es gehe darum, dem Volk eine direkte Stimme zu geben, so Mohamad.
o Ein Demonstrant hält bei der Massendemonstration am 8. Juli 2011 auf dem Kairoer Tahrir-Platz einen Koran in die Höhe.
Im klassischen Sinne ist das aber kein politisches Programm, kein festgelegter Forderungskatalog. Vielmehr haben die Revolutionäre offenbar den Wunsch nach einem Instrument, mit dem sie auf die breitere Richtung der politischen Entwicklung reaktiv Einfluss nehmen können. Diese Unschärfe der Forderungen und die schwache Integration der Revolutionäre in den Parteibildungs- und Wahlprozess werden immer wieder als ihre Schwächen dargestellt. Doch bleibt nicht vielleicht gerade so das revolutionäre Spannungsfeld weiter bestehen? Wenn es tatsächlich gelänge, den Druck der Straße als festes Element politischer Willensbildung zu etablieren, könnten sich in Ägypten neue politische Formen entwickeln. „Wir brauchen eine wache und starke Zivilgesellschaft als Gegengewicht zu Parlament und Präsident“, merkt Ranya hierzu an. Auch sie will, wie Mohamad, der Stimme des Volkes weiterhin Gehör verleihen.
s Kinder rufen Slogans gegen die Militärregierung auf einer Demonstration auf dem Tahrir-Platz am 10. Juli 2011 (Mitte).
s Massendemonstration am 8. Juli 2011 auf dem Kairoer Tahrir-Platz.
a Die Mauer in der Mohammed Mahmoud Straße in der Nähe des TahrirPlatzes wurde im Sommer 2011 aufgestellt, um neu aufflammende Proteste gegen die Militärregierung einzudämmen (rechts).
Arabischer Frühling
g Demonstranten aus der Stadt Suez heben auf einem Protestmarsch gegen Militärgerichtsverfahren für Zivilisten am 18. November 2011 in Kairo einen Schlagstock und einen Helm in die Höhe, welche sie einem Polizisten entwendet haben (links). i Ein Demonstrant auf einer Massendemonstration am 8. Juli 2011 auf dem Kairoer Tahrir-Platz hält die ägyptische Fahne und ein Bild des ehemaligen Präsidenten Gamal Abd el Nasr hoch. o Graffiti in der Mohammed Mahmoud Straße zu Ehren derer, die in den Protesten ihr Augenlicht verloren haben (rechts).
„Wir brauchen eine wache und starke Zivilgesellschaft als Gegengewicht zu Parlament und Präsident“ Ranya aus Kairo
s Tausende Ägypter protestierten am 26. August 2011 vor der israelischen Botschaft in Kairo. Mit einem Wochenlangen Sit-in forderten die Protestierenden die Ausweisung des israelischen Botschafters, nachdem die israelische Armee ägyptische Soldaten unter Beschuss genommen und getötet hatte (oben).
Eine starke „Stimme des Volkes“ wäre tief in der politischen Geschichte und im Gesellschaftsverständnis des Islam ver wurzelt. Historisch war es in den islamischen Gesellschaften die Umma, die Gemeinschaft der Gläubigen, die staatliche Gewalt legitimierte. Doch das geschah nicht durch einen Wahlprozess. Vielmehr wurde der Name des legitimen Herrschers bei jedem Freitagsgebet gemeinsam ausgerufen und so bestätigt. Das Volk selber wurde so in die Rolle des permanenten Wächters über gute Regierungsführung gesetzt. Wenn man bedenkt, wie zentral die Freitagsgebete für die Mobilisierung während der Revolution waren, so kann man hier Parallelen erkennen. Diese Parallelen zieht auch Mohamad: „Wenn ich auf die Straße gehe, dann fühle ich mich als Teil der Umma, als Teil einer Gemeinschaft.“ Vielleicht erwacht dieses alte Konzept durch die ägyptische Revolution wirklich zu neuem Leben. Es könnte der Keim einer originär islamischen Version von Konzepten werden, die wir im Westen als Zivilgesellschaft und direktdemokratische Elemente bezeichnen. Am Ende entstünde so vielleicht ein Ägypten, das präsidiale, parlamentarische und direktdemokratische Elemente vereint. Ägypten wäre dann zur Weiterentwicklung dessen geworden, was manche Kommen tatoren bereits im Bezug auf die Türkei als eine distinkt „islamische Demokratie“ bezeichnen.
Jann Böddeling, Jg. 1983, studierte nach einer Ausbildung bei der Deutschen Bank Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten/ Herdecke. Nach dem Studium begann er seine Berufslaufbahn in der Entwicklungszusammenarbeit in den besetzen palästinensischen Gebieten. In seinem Mercator-Jahr 2010/11 konzentrierte Jann sich auf die Förderung von sozialunternehmerischen Initiativen im Nahen O sten und arbeitete dazu beim NGO Development Center in Ramallah, dem Zivilgesellschaftsprogramm der Weltbank in Palästina, und bei A shoka Arab World in Kairo. Inzwischen arbeitet Jann als Grants & Learning Associate bei der National Foundation for Youth Music, London.
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Ruhe nach dem Sturm
„Same same, but different“ – Drei Jahre nach dem Aufstand in Thailand
thailand Bangkok
von Nina Holle Die Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung Thaksin waren der Auslöser einer Bürgerbewegung in Thailand. Einem lang samen Start und einer kurzen hitzigen Phase folgte die erfolgreiche Umsetzung der Forderung – der Austausch der politischen Akteure. Aber haben sich Gesellschaft und Politik durch die Ereignisse von damals nachhaltig verändert? Demonstrationen, Dauercamps von Aufständischen unter Bangkoks Skytrain und tausende gestrandete Urlauber. Diese Bilder gingen zwischen 2006 und 2009 um die Welt, als sich in Thailand eine neue Seite des angeblich so sanften und fried lichen Urlaubslandes zeigte. Bangkok, 15. 1. 2012: Ich steige aus dem Flugzeug und blicke in die thailändische Sonne. Acht Jahre sind vergangen, seitdem ich das letzte Mal in Thailand war. Die Schönheit des Landes und die Freundlichkeit der Menschen hatten mich damals sofort tief beeindruckt. Die Aufstände von 2006 bis 2009 hatte ich dann von Deutschland aus in den Medien verfolgt, fasziniert und schockiert zugleich. Heute, mit den Bildern des Arabischen Frühlings im Kopf, frage ich mich: Wie hat sich Thailand in den Jahren nach dem Aufstand entwickelt? Haben sich Gesellschaft und Politik durch die Ereignisse von damals nachhaltig verändert? Ein Praktikum führte mich 2003 zum ersten Mal nach Thailand. Nach vier Monaten war ich mir sicher: Eine derart friedliebende und rücksichtsvolle Kultur hatte ich zuvor noch nie erlebt. Politik schien eine eher untergeordnete Rolle im alltäglichen Leben der Thais zu spielen. Die Menschen vertrauten vor allem ihrem König Bhumipol, der in seiner 66-jährigen Amtszeit als politischer Ratgeber, Schlichter und moralische Instanz eine wichtige Konstante im volatilen Politikbetrieb Thailands darstellte. Persönliche Auseinandersetzungen trugen die Thais stets mit freundlichen Gesichtern aus. Nie schien jemand laut zu werden. Wie konnte eine Revolution unter diesen Voraussetzungen überhaupt entstehen?
Auslöser der Unruhen waren Korruptionsvorwürfe gegen Ministerpräsident Thaksin. Er hatte sich mit der Gründung einer eigenen Partei (TRT) im Jahr 2000 vom Telekommu nikations-Milliardär zum Politiker aufgeschwungen, verkaufte 2006 das Staatsunternehmen Shincorp steuerfrei an den singapurischen Staatsfond Temasek. Als weitere Vorwürfe gegen ihn laut wurden, putschte das Militär. Thaksins Partei TRT wurde aufgelöst, eine neue Verfassung verabschiedet, und 2007 Neuwahlen organisiert. Es gewann die PPP, eine Partei, die jedoch wiederum zunehmend unter den Einfluss von Thaksin geriet, der nun aus dem englischen Exil agierte. Die Opposition, bestehend vor allem aus Vertretern der Mittel- und Oberschicht, begann daraufhin, ihren Widerstand verstärkt auf die Straße zu verlegen.
„Hoffnungen auf eine politisch aufgeklärte, aktive Bevölkerung sind bisher leider enttäuscht worden.“ Don der Journalist
Aber auch die PPP und Thaksin mobilisierten ihre Anhänger, Kritiker und Parteien standen sich gegenüber. In den Hoch zeiten der Revolution glichen die Lagerstätten der Demonstranten auf beiden Seiten einem großen Volksfest: Essenstände, bunte Hemden und Live-Musik – alles schien zunächst wenig ernst, auch als der amtierende PPP-Präsident wegen eines Interessenkonfliktes des Amtes enthoben wurde: Er hatte während seiner Regierungszeit eine TV Koch-Show produziert. Die Eskalation kam erst nach der Demission: Ins Präsidentenamt folgte Thaksins Schwager, woraufhin die Demonstrationen eine bis dato ungekannte Schärfe annahmen. Die Auseinandersetzungen gipfelten in der Schließung beider Flughäfen und forderten insgesamt 12 Tote. Rufe nach einem Ende der Auseinandersetzungen, vor allem seitens des Militärs, führten 2009 schließlich zu erneuten Wahlen, in denen der Demokrat Abhisit Vejjajiva mit vereinten Kräften der Opposition zum Premierminister Thailands gewählt wurde.
f Figuren des ehemaligen thailändischen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra
Ruhe nach dem Sturm
i Anti-Thaksin Demonstration in Bangkok 2006 (oben) Soldat in Bangkok 2010 (rechts)
Mit diesen Gedanken im Kopf komme ich in Bangkok an. Auf den ersten Blick erlebe ich dasselbe Land wie vor acht Jahren. Die Freundlichkeit der Menschen, die Atmosphäre – alles scheint wie zuvor. Das Land wirkt etwas wohlhabender und aufgeräumter. Ich frage ein paar Passanten. Hat sich Thailand mit dem Aufstand verändert? Schulterzucken, ich schaue in fragende Gesichter, „Oh … no, I don’t know.“ Ein Straßen verkäufer beschwichtigt: „Now after the revolution? Maybe same same … but different.“ Hat sich also nicht viel verändert? Ich mache mich auf den Weg zu Don, einem befreundeten Journalisten. Er ist anderer Meinung: „Die Gesellschaft hat sich durch die Ereignisse durchaus verändert. Der Aufstand hat dabei jedoch fast eine untergeordnete Rolle gespielt.“ Er erzählt, dass es Revolutionen in Thailand schon immer gegeben habe, ganze 18 Staatsstreiche seit der Abschaffung der absoluten Monarchie im Jahr 1932. Vielmehr sei es der Auslöser des Aufstands selbst gewesen, nämlich der Verkauf von Shincorp, der alle weiteren gesellschaftlichen Veränderungen seitdem ins Rollen gebracht habe. „Dass ein Premier so eigennützig und gegen die Interessen des Volkes handelte und handeln konnte, das hat vielen Thais zu denken gegeben“, erklärt Don. Der Aufstand war nur eine der Folgen dieses einschneidenden Erlebnisses. Hat sich Thailands politische Landschaft infolgedessen zum Besseren verändert? „Die Menschen sind definitiv aufmerk samer und interessierter geworden, was die Politik betrifft. Aber Hoffnungen auf eine politisch aufgeklärte, aktive Bevölkerung sind bisher leider enttäuscht worden,“ sagt Don. Vor allem die Korruptionsaffären der letzten Regierung hätten gezeigt, dass es noch ein langer Weg hin zu einer besseren Politik sei.
Im Aufstand lag die Hoffnung auf echte Veränderung, auf eine neue, effektivere Regierung. Aber Dons Urteil ist eindeutig: Nichts von dem habe sich bewahrheitet. Im Gegenteil, die Inkompetenz der letzten Regierung habe nur dazu geführt, dass sich die eigennützige Politik der industriellen Elite, durch Thaksin verkörpert, rehabilitieren konnte. Resigniert schüttelt Don den Kopf: „In dieser Hinsicht hat sich nichts verändert, und alle Akteure und alle Spannungen sind dieselben wie zuvor. Besonders enttäuschend für viele ist, dass 2011 auch noch die Schwester Thaksins zur Premierministerin gewählt wurde.“ Der Aufstand alleine hat, entgegen vieler Hoffnungen, in Thailand also noch keine nachhaltige Veränderung der Politik bewirkt. Die Ereignisse bleiben eine Revolution unter vielen in der Geschichte des Landes. Doch einen Hoffnungsschimmer sieht Don: „Viele Menschen haben begonnen, die Probleme ihres Landes bewusster wahrzunehmen und sind heute bereit, aktiv an der Gestaltung ihrer Gesellschaft zu partizipieren.“ Wie lautet also das Fazit drei Jahre nach dem Aufstand? Vielleicht hat es der Straßenverkäufer am besten zusammengefasst: „Same same, but different.“
Nina Holle (Cieslak), Jg. 1981, arbeitete 2008/09 als Stipendiatin des Stiftungskollegs für die Kf W Entwicklungsbank, Kiva und die Weltbank zum Thema Microfinance. Sie hat Philologie und Wirtschaftswissen schaften in München und Barcelona studiert. Danach arbeitete sie zwei Jahre für die Deutsche Bank Asset Management. Seit 2009 promoviert sie in VWL/Wirtschaftsethik und arbeitet weiterhin als Consultant für die Weltbank. (mail@ninaholle.de)
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Die Farbrevolutionen in Georgien, der Ukraine und Kirgisistan – Bunt aber bedeutungslos? von Silvia Danielak 2003, 2004, 2005: Die postsowjetischen Regierungen in Georgien, in der Ukraine und in Kirgisistan fielen wie Domino steine. Ein frischer, farbenfroher Wind wehte in Osteuropa, dem Kaukasus und Zentralasien. Auf die Euphorie folgte Ernüchterung. Wie denkt die junge Generation dieser Zeit jetzt, beinahe ein Jahrzehnt später, über ihr revolutionäres Engagement? November 2004: Im Fernsehen verfolgten wir ein Meer von orangenen Fahnen über einer Zeltstadt im Zentrum Kiews. Bei klirrender Kälte versammelten sich einige tausende Bürger auf dem Platz der Unabhängigkeit. Auch der Kiewer Student Juri Sawschenko (Name geändert) hatte sein Zelt dicht am Kreschatik, Kiews Prachtstraße, aufgeschlagen. Zwei Monate lang demonstrierte er so mit Freunden gegen die als manipuliert geächtete Wiederwahl des Präsidenten Viktor Janukowitschs. Stolz sei er gewesen, dabei zu sein, auch heute ist er es noch ein bisschen. Auf einen friedlich erzwungenen Machtwechsel in einem nicht-demokratischen Land könne man stolz sein. „Wir waren natürlich angespannt“, gibt Juri zu. „Aber wir haben damals auch viel Unterstützung von den Kiewern erhalten. Und natürlich fanden wir damals, dass es die Sache wert ist.“ Glücklicherweise hatte die ukrainische Jugendorganisation Pora (Deutsch: „Es ist Zeit“) die Massenproteste in geordnete Bahnen lenken und eine gewaltsame Eskalation des Konflikts verhindern können.
„Natürlich fanden wir damals, dass es die Sache wert ist.“ Juri aus Kiew
Wie schon zuvor in Serbien im Jahre 2000 waren es auch 2003 in Georgien und 2004 in der Ukraine junge Bewegungen, die den Regierungssturz mit unkonventionellen Methoden wie Flashmobs, karikierenden Graffiti und Flugblättern, ausgefeilter Vorbereitung und viel Mut herbeiriefen. Jugendliche und Studierende erhielten als Hauptorganisatoren des gewaltfreien Kampfs gegen autoritäre Regierungen in der Region weltweite Anerkennung.
Ganz anders verlief die kirgisische Tulpenrevolution 2005: Eine tiefe Unzufriedenheit aufgrund sozialer Spannungen und krimineller Netzwerke hatte die Proteste schnell in Gewalt und Zerstörungswut umschlagen lassen. Eins haben die drei Länder dennoch gemeinsam: In Gesellschaften geprägt von Passivität und einem Gefühl von Machtlosigkeit, von mangelnder politischer Kultur und Mitbestimmung, nahmen junge M enschen das politische Schicksal ihrer Länder in die Hand. Führte dies jedoch auch zum Aufbau eines neuen politischen Systems? Machttransfer statt Wandel Im Gespräch mit jungen Ukrainern schwingt der Stolz mit: Für die Journalistin und Fotografin Tetiana Lemak, damals Politikstudentin, hat die Orangene Revolution eine große Bedeutung: „Drei Jahre nach der Revolution begann ich als TV-Journalistin zu arbeiten. Ich hatte volles Recht auf freie Meinungsäußerung und ich wusste, dass es aufgrund der Orangenen Revolution so war.“ Heute sieht die Situation anders aus: Als der in der Orangenen Revolution gestürzten Viktor Janukowitsch 2010 wieder ins Präsidentenamt gewählt wird, stuft die OSZE die Wahl als weitgehend fair ein. Dennoch sieht sich Lemak als Journalistin seit Janukowitschs Amtsantritt wieder mit Zensur und Repressionen konfrontiert. Auch wenn eine kleine Bewegung den orangenen Esprit am Leben hält, ist nicht viel von der damaligen Euphorie übrig. Die Nationalheldin und Symbolfigur der Revolution, Julia Timoschenko, sitzt im Gefängnis, während unter Präsident Janukowitsch Korruption weiterhin an der Tagesordnung zu sein scheint und es an politischen Alternativen mangelt. Auch die Ergebnisse der sogenannten Revolutionen in Georgien und Kirgisistan sind äußerst ernüchternd. Die Anfangseuphorie ist anhaltendem Unmut und Protesten gewichen, welche in Georgien bisher unterdrückt werden und in Kirgisistan 2010 zu einem erneuten Umsturz geführt haben. Die junge Georgierin Marita Schikhaschwili versucht die Entwicklung ihres Landes
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o „Majdan Nesaleschnosti“, zentraler Platz in Kiew, wo sich die Zeltstadt befand.
differenziert zu betrachten und gesteht mit einem Schulter zucken ein, dass nach der Revolution 2003 eine Reihe von Dingen schief gelaufen sei. Dennoch will sie glauben, dass die sogenannte Rosenrevolution nicht umsonst war. Obwohl die Georgier während der Massenproteste in 2007 und 2009 wiederholt ihren kritischen Geist unter Beweis stellten, ist die Regierung heute weit entfernt von den Idealen, mit denen sie angetreten war: Die Pressefreiheit ist eingeschränkt und die Opposition marginalisiert. Nachdem der kirgisische Präsident Akajew im Zuge der Tulpen revolution 2005 gewaltsam gestürzt worden war, wurden politische Rechte und Freiheiten weiter eingeschränkt und die präsidiale Macht unter dem neuen Präsidenten Bakijew im Gegenzug gestärkt. Die „Revolution“ hat das Land also noch weiter von der Demokratie entfernt und sich als Machtkampf konkurrierender, regionaler politischer Eliten entpuppt. Wäre es möglich, so würde Kuban Kabajew, ein junger kirgisischer Experte für Außen- und Sicherheitspolitik, die Revolution ganz ungeschehen machen: „Ich würde den nicht verfassungskonformen, gewaltsamen Machtwechsel vermeiden.“ Langfristige Bemühungen und anhaltende Skepsis Verständlich in Anbetracht der sozialen Wirren nach dem Fall des sowjetischen Regimes ist die weitverbreitete Angst vor postrevolutionärer Instabilität. Es hat sich gezeigt, dass mangelnder Wille und mangelnde Expertise zur Vergangenheitsbewältigung und fehlende Erfahrung im Umgang mit Interessenskonflikten schnell zum Fallstrick für eine neue politische Generation werden können. Trotzdem zeigt ein Blick auf die jüngste Geschichte der Länder im postsowjetischen Raum die Sehnsucht nach politischem Wandel.
Kirgisistans weitere Entwicklung mit einem zweiten Regierungsumsturz im April 2010, ersten demokratischen Wahlen und einer Verfassungs- und Justizreform, macht vor, wie man sich möglicherweise positiv aus der Gruppe „post-farbrevolutionärer“ Länder abheben kann. Insgesamt gingen die Regierungsumstürze der drei Länder zwar zeitweilig mit einer Politisierung der Bevölkerung einher. Es wäre aber weit gefehlt, davon auszugehen, dass sie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit herbeigeführt hätten. Im Gegenteil: So kennzeichnen sich die drei Länder weiterhin durch autoritäre Züge und eine umso stärker frustrierte und skeptische, aber auch zunehmend apathische Bevölkerung. Regimewandel ist ein lang wieriger Prozess, der eben nicht von heute auf morgen geschieht. Doch wie oft noch wird die Jugend dafür auf die Straße gehen und bei Minusgraden monatelang in Zelten ausharren?
Silvia Danielak, Jg. 1987, studierte Sicherheits- und Konfliktstudien in Paris und Boston und Europäische Studien in Maastricht. Im Rahmen des Mercatorjahres beschäftigt sie sich zur Zeit mit dem Zusammenspiel verschiedener Akteure der Konfliktbearbeitung, insbesondere der Mediation, im Kaukasus und Zentralasien. (silvia.danielak@gmail.com)
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Versteinerte Revolution
Anti-Castro-Parolen in Kuba – Keine Revolution in der Revolution?
Havanna
von Rune Meissel Auch in Kuba gab es eine Bürgerbewegung, die mit pluralis tischen Forderungen an die Regierung auf die Straße ging. Aber es gelang den aufkeimenden zivilgesellschaftlichen Gruppen nicht, tatsächlich an Einfluss zu gewinnen. Welche Rolle spielt dabei die starke Identifikation der Kubaner mit der bestehenden revolutionären Ordnung und mit Fidel Castro persönlich? „Wir haben Hunger! Nieder mit Fidel!“ – Die Luft vibrierte, als Hunderte von Kubanern Anti-Castro-Parolen skandierten. Am helllichten Tage versammelten sie sich am Malecón, Havannas berühmter Uferpromenade. Steine flogen gegen die Scheiben eines Touristenhotels, zerstörten die Schaufenster von Geschäften. Erstmals nach dem „Triumph der Revolution“ von 1959 kam es am 5. August 1994 in der Hauptstadt Kubas zu offenen Unruhen gegen die Regierung. Der Aufruhr am Malecón blieb jedoch ein Einzelfall in den so zialen und wirtschaftlichen Krisenjahren, die in Kuba auf den Zusammenbruch der Sowjetunion folgten. Warum erstickte das kubanische Aufbegehren im Keim? Der tiefer liegende Grund des skizzierten Zwischenfalls findet sich im Jahr 1989: Mit der Berliner Mauer fielen nach und nach auch die wichtigsten Handelspartner und politischen Verbündeten des sozialistischen Bruderstaates Kuba. Der behielt zwar seine sozialistische Staatsform bei, stürzte jedoch in eine tiefe Krise. Nachdem die Sowjetunion als Hauptlieferant von Importprodukten wegfiel, entfaltete das bereits 1960 von den USA gegen Kuba verhängte Wirtschaftsembargo seine volle Wirkung. Angesichts der wirtschaftlichen Engpässe rief Präsident Fidel Castro 1991 den sogenannten período especial (Sonderperiode in Friedens zeiten) aus, ein striktes Sparprogramm. Die Bevölkerung erlitt existenziellen Mangel. Nahrung, Strom und Treibstoff wurden knapp. Noch heute erzählen Kubaner, mit welchem Einfallsreichtum sie die frühen 1990er Jahre überlebten: Gesalzene Bananenschale zum Mittagessen, pürierter Reis statt Milch für die Kleinen, selbstgenähte Schuhe aus alten Stofffetzen. Die Legitimität eines Staates, der sich als Grund versorger d efinierte, stand plötzlich auf wackeligen Füßen. Der Sozialismus bröckelte.
Nicht nur die Mangelwirtschaft rief Unzufriedenheit in der Gesellschaft hervor, sondern auch die Veränderungen, die von den Stabilisierungsmaßnahmen der Regierung verursacht wurden. Um Devisen ins Land zu bringen, begann Kuba 1990, den internationalen Tourismus massiv zu fördern. Plötzlich wurden die Kubaner mit einem ganz anderen Lebens standard konfrontiert. Sich mehr leisten können, danach sehnten sich viele – Wunsch und Wirklichkeit klafften jedoch weit auseinander. Für manche Kubaner änderte sich das 1993, als ihre Regierung wirtschaftliche Freiräume schaffte, um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Die Rettung der Volkswirtschaft hatte jedoch einen hohen Preis: Die soziale Ungleichheit kehrte zurück. Sie entwickelte sich insbesondere entlang der Lohnschere, die sich durch die neuen Einkommensmöglichkeiten auftat – der Abendverdienst eines Kellners konnte das Monatsgehalt einer Chirurgin übersteigen. Es schien zunächst so, als bewege sich einiges in der kubanischen Gesellschaft der frühen 1990er Jahre. Zivilgesellschaftliche Gruppen bildeten sich, die für mehr politischen Pluralismus eintraten. Genaue Mitgliederzahlen sind nicht bekannt, da die Gruppen von der Regierung nicht offiziell anerkannt wurden. Geschätzt wird, dass es ein paar hundert bis mehrere tausend Kubaner waren, die so ihren Unmut über die sozialen und politischen Verhältnisse zum Ausdruck brachten. Dass die neu entstandenen zivilgesellschaftlichen Gruppen trotz allem kaum an Einfluss gewannen und der Aufruhr am Malecón ein Einzelfall blieb, hat mehrere Gründe. So war es zum Beispiel im kubanischen Alltag schwierig, überhaupt Mitstreiter für die politische Sache zu finden: Wer wegen Nahrungsmittelknappheit täglich mehrere Stunden damit verbrachte, Essen für die Familie zu besorgen und nicht selten mit leeren Händen nach Hause kam, dem fehlten Zeit und Energie, sich politisch einzusetzen. Wer dennoch motiviert war, der wusste meist schlicht nichts von politisch Gleich gesinnten. Denn der Staat hatte das Informationsmonopol inne.
Versteinerte Revolution
p „Aus diesen Männern macht man ein Volk.“ – auf Mauern und Reklameschildern wird Bezug auf Nationalhelden genommen. Hier: Che Guevara, Camilo Cienfuegos und Julio Antonio Mella.
kuba
Offen Kritik am Regime zu üben war für Kubaner außerdem sehr riskant. Gerade in den Krisenjahren des período especial gelang es der Staatssicherheit effektiv, politische Kontrolle auszuüben: So wurden zum Beispiel Schwarzmarktaktivitäten meist toleriert – bis ein Kubaner politisch auffällig wurde. Dann konnten sie ihm schnell zum Verhängnis werden. Anders setzte eine offenere Form der Repression an: Mit staatlicher Erlaubnis fingen Gruppen junger Männer „konterrevolutionäre“ Dissidenten vor ihren Häusern ab, beschimpften sie und griffen sie körperlich an. Das wirkte. Denn mit einem öffentlich gedemütigten Dissidenten wurde man lieber nicht in Verbindung gebracht.
Zuletzt liegt auch in der Identifizierung der Kubaner mit dem Revolutionsanführer Fidel Castro ein Grund, warum eine pluralistische Bewegung keine Chance hatte: Castro ist die zentrale Schlüsselfigur der Revolution, die zeigt, wo es langgeht. Wer ihn nicht bewundert, der respektiert ihn zumindest. Als er die Wirtschaftskrise im Inneren zunächst nur mit Durchhalteparolen bekämpfte, hielten die Kubaner durch. Als es im August 1994 zum Aufruhr am Malecón kam, setzte sich Fidel an die Spitze einer rasch mobilisierten Gegen demonstration und sprach zu den Aufständischen – wenig später gingen alle friedlich nach Hause.
„Wir haben Hunger! Nieder mit Fidel!“ Anti-Castro-Parole
Um das Vorgehen der Regierung gegen Impulse aus der Bevölkerung besser zu verstehen, muss man die kubanische Staatsideologie genauer betrachten. Der Beginn der Revolution von 1959 wurde als langersehnte Erfüllung der nationalen Unabhängigkeit wahrgenommen. Laut staatlicher Propaganda lässt sie sich jedoch nur aufrechterhalten, wenn das Volk in absoluter Einheit hinter dem Revolutionsprojekt steht. In dieser Logik ist Unabhängigkeit gleich Revolution und Revolution ist gleich Sozialismus – Abweichler werden somit zu „Vaterlandsverrätern“.
s Havanna – Die Bausubstanz verfällt immer mehr. Renovierungs
arbeiten kann sich kaum jemand leisten (Seite 22 unten links); in der Altstadt von Havanna (Seite 22 unten rechts); In den Krisenjahren der 1990er blieben die Geschäfte oft leer (unten links); „Nieder mit dem völkermörderischen Embargo!“ – politische Parolen finden sich auch auf T-Shirts immer wieder (unten rechts).
Rune Meissel, Jg. 1984, entwickelte ihre Faszination für Lateinamerika während eines Austauschjahres in Brasilien. Sie studierte Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien mit ibero-romanischem Schwerpunkt an der Universität Passau und verbrachte ein Auslandssemester in Havanna. Seit Oktober 2011 arbeitet sie als CSP-Stipendiatin in der Repräsentation der FAO in Kuba. (rune_meissel@gmx.de)
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Fakten Gründung: 2007 Erscheinungsweise: Zwei Mal jährlich Umfang: 24 Seiten Erscheinungsform: online und print Auflagenhöhe: 1 000 Gestaltung: Ungermeyer, grafische Angelegenheiten
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Sonderteil zum Jubiläum
ad hoc international feiert die 10. Ausgabe
Kurzinterview mit ad hoc Gründerin Ines Wolfslast
Die Zeitschrift ad hoc international ist heute eine vielseits beachtete Stimme professioneller Nachwuchskräfte und Führungskräfte, die in internationalen Organisationen, in Non-Profit-Organisa tionen, in global agierenden Unternehmen oder als Selbständige im internationalen Kontext tätig sind. Die Zeitschrift zeichnet sich durch ihre Authentizität und durch die Nähe der Autoren zu den von ihnen recherchierten Themen aus, die sie aus der eigenen beruflichen Anschauung heraus beschreiben. Die Autoren verbindet ihre Zugehörigkeit zum Netzwerk für internationale Aufgaben – Stiftungskolleg und Mercator Kolleg Alumni e. V. (nefia e. V.) beziehungsweise zum CSP-Netzwerk für internationale Politik und Zusammenarbeit e. V. (CSP-Netzwerk). Ziel der Zeitschrift ist es, die vielfältigen Erfahrungen unserer Netzwerkmitglieder aus der Praxis der internationalen Politik und (Entwicklungs-)Zusammenarbeit mit unseren externen Lesern und untereinander zu teilen und zu diskutieren. Die Redaktion und die Autoren arbeiten ausnahmslos ehrenamtlich, was den Redaktionsprozess oftmals vor interessante Heraus forderungen stellt. Ursprünglich war die Zeitschrift im Frühjahr 2007 als interne Vereinszeitschrift des nefia e. V. konzipiert. Im Herbst 2008 konnte das CSP-Netzwerk zur Kooperation gewonnen werden, wodurch der Autoren-, Redakteur-, und Leserkreis stark vergrößert werden konnte. Anlässlich der 10. Ausgabe hat die ehemalige Chefredakteurin Stephanie von Hayek die ad hoc Gründerin Ines Wolfslast sowie die ehemaligen Chefredakteure und Chefredakteurinnen nach Ihrer Einschätzung zu Entwicklung und Zukunft der Zeitschrift befragt. Europa
Europa und die Ergebnisse der
ad hoc international Die neuen Friedensmissionen Editorial (Seite 1) Überblick: Friedenseinsätze, der aktuelle Forschungsstand (Seite 2) VIP-Interview: Tono Eitel (Seite 4) Überblick: Afrika (Seite 5) Seite 6) Fallstudie Kosovo (Seite 8) Kommentar: Aktueller Stand in Afghanistan (Seite 9)
2007
und die
ad hoc: Was war Deine Motivation die ad hoc zu gründen? Ines Wolfslast: Ich wollte ein Medium schaffen, dass den Mitgliedern unseres Vereins die Möglichkeit gibt, sich für den Verein zu engagieren und zwar unabhängig davon, wo auf der Welt sie sich gerade befinden und abhängig d avon, wie viel Zeit sie in ihrer momentanen Lebenssituation für ehrenamtliches Engagement haben. Mich interessiert, mit welchen Themen sich die anderen Vereinsmitglieder in der Welt beschäftigen, welche interessanten Erkenntnisse sie gewonnen haben, welche Meinungen sie zu bestimmten aktuellen Themen vertreten. Wie schätzt Du die bisherige Entwicklung der ad hoc ein? Positiv aufgefallen ist mir: Wie schnell andere Mitglieder das Projekt angenommen haben; wie vielfältig und interessant die einzelnen Ausgaben immer geworden sind; dass sich die Zeitschrift – als internes Medium angedacht – schnell zu einem externen Medium entwickelt hat, erst als Werbung für die Stipendien programme und den Verein, dann für externe Leser. Gut finde ich, wie es uns gelungen ist, die beiden Vereine in dem Projekt zu vereinen. Es gab in der Zusammenarbeit von Beginn an keine Probleme und es hat Spaß gemacht, in Redaktion und Autorenmannschaft zusammenzuarbeiten. Ines Wolfslast, Gründerin und Chefredakteurin der Ausgaben 1 bis 5
Leserstimme „Danke für Ihre so „beglückende Lektüre“ – die Ausgabe von September 2011 ist mehr als gelungen! Ich habe gerade erneut in der besagten Ausgabe gelesen und auch darüber geredet. Als Abgeordneter des Bundestages und als ehemaliger Pastor wäre ich an einigen Exemplaren für Diskussionen und Vorträge, die ich immer wieder vor mir habe, sehr interessiert.“ Frank Heinrich, MdB
Ergebnisse der
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Ergebnisse der
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Editorial (Seite 1) Überblick: Friedenseinsä tze, der aktuelle Forschungsstand VIP-Interview: (Seite 2) Tono Eitel (Seite 4) Überblick: Afrika (Seite 5) Seite 6) Fallstudie Kosovo (Seite 8) Kommentar: Aktueller Stand in Afghanistan (Seite 9)
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„Seit langem verfolge ich mit großer Bewunderung die in ad hoc geleistete inhaltliche und redaktionelle Arbeit und finde, dass diese Zeitschrift die Ziele sichtbar und lebendig macht, welche uns in der Robert Bosch Stiftung in den neunziger Jahren zur Gründung des Stiftungskollegs für Internationale Aufgaben bewogen haben. Nie waren die Entwicklungen in den Weltregionen so turbulent wie derzeit, und nie war es wichtiger, dass Kollegiaten und Alumni mit den persönlichen Felderfahrungen zusammenwirken, um sich in dieser Welt
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wirkungsvoll zu engagieren.“ Dr. Ulrich Bopp, ehemaliger Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung und ehemaliger Vorstand der Stiftung EVZ
„Was die ad hoc auszeichnet, sind die persönlichen Blickwinkel, aus denen die Alumni von Carlo-Schmid-Programm und Mercator Kolleg berichten, analysieren und Stellung nehmen. Die Anknüpfung zum eigenen Werdegang macht die Artikel spannend und authentisch und eröffnet immer wieder neue,
Leserstimmen
ad hoc international
Sonderteil zum Jubiläum
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Fragen an die ehemaligen Chefredakteurinnen der ad hoc Was hat Dir als Chefredakteurin besonders viel Spaß gemacht? Kristiane Janeke: Toll finde ich immer wieder die erfolgreiche Realisierung von Projekten zwischen Menschen in verschiedenen Ländern, die sich zum Teil noch nie begegnet sind und es während der Projektarbeit auch nicht tun. Dass das funktioniert und so konstruktiv und produktiv sein kann, macht mir enorm Spaß. Amelie Hinz: Eine interessante Herausforderung war, gemeinsam mit dem Team ein Thema zu finden und das Konzept zu entwickeln. Das Thema sollte breit genug sein, damit sich genug potentielle Autoren angesprochen fühlen. Gleichzeitig muss ein „roter Faden“ in der Ausgabe erkennbar sein. Als C arla hat die Kooperation mit dem „Schwesternetzwerk“ nefia besonders Spaß gemacht. Die ad hoc ist für mich auch eine Plattform, um innerhalb und zwischen den Netzwerken spannende Kontakte zu knüpfen. Stephanie von Hayek: Die Chefredaktion der ad hoc ermöglicht einen umfassenden Einblick in alle Phasen der Redaktionsarbeit von der Konzeption bis zum Druck. Sie erfordert Sensibilität und Entscheidungsfreude im Umgang mit Team und Autoren. Es macht Spaß zu sehen, wie über die Jahre eine ad hoc Redaktions kultur entstanden ist. Der befriedigendste Augenblick ist der, wenn der Text mit Fotos lebendig und farbig wird. Dann hält man ein fertiges und einzigartiges Produkt in Händen. Das ist großartig! Silke Noa Kumpf: Die Arbeit mit der Redaktion, die sich aus sehr interessanten und erfolgreichen deutschen Kosmopoliten zusammensetzt, die alle ihre eigene, aber sehr internationale Weltsicht haben. Was ist der größte Mehrwert der ad hoc? Kristiane Janeke: Aus meiner Sicht ist das der Pool aller Autoren, in dem sich ebenso persönliche wie professionelle Erfahrungen verbinden. Ich lese die ad hoc so gerne, weil sie mich auf Themen stößt, die ich von alleine vielleicht nicht aufgegriffen hätte und weil sie mir diese Themen nicht in dem üblichen Nachrichtenstil bietet, sondern durch die Brille von Menschen mit vergleichbaren Erfahrungen wie ich – eben nur in anderen Ländern und in anderen Fachgebieten. Amelie Hinz: Die ad hoc ist ein tolles Sprachrohr für die Kommunikation beider Netzwerke nach außen und macht uns sichtbar! Außerdem ist die Perspektive unserer Artikel originell: ad hoc international
ad hoc l internationa
Die Autoren lassen ihre Erfahrungen und Erlebnisse direkt in die Texte einfließen und machen diese lebens- und lesernah. Stephanie von Hayek: Der größte Mehrwert der ad hoc liegt in ihren Mitgliedern, die weltweit in unterschiedlichen gesellschafts politischen Kontexten arbeiten. Sie können vor Ort Reportagen zu aktuellen Themen schreiben und bieten persönliche, besondere und ganz konkrete Perspektiven. Silke Noa Kumpf: Die Artikel werden von Mitgliedern verfasst, die über ihr Thema persönlich berichten können. Es handelt sich nicht nur um tolle Theorien und Nebenkriegsschauplätze, stattdessen um Perspektiven zu Themen, die für junge Mitarbeiter in internationalen Organisationen und solchen, die dort gerne arbeiten würden, sehr relevant sind. Was wünschst Du Dir für die 20. Ausgabe der ad hoc? Hast Du eine Vision? Kristiane Janeke: Ich wünsche mir weiterhin eine ad hoc, die auf die individuellen Erfahrungen ihrer Autoren zurückgreift, die den professionellen Anspruch hat, gut recherchierte Hintergrund berichte aus aller Herren Ländern zu liefern und dabei eine subjektive und eigene Beurteilung der Themen, über die sie berichtete, zulässt und fördert. Amelie Hinz: Die 20. Ausgabe wird noch einen viel breiteren und heterogeneren Leserkreis haben, denn die Netzwerke wachsen mit jedem Jahr! Ich freue mich auf spannende Autorenbeiträge und einen Leserkreis mit jungen Leuten und „alten Hasen“ aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft! Stephanie von Hayek: Die ad hoc ist dann eine anerkannte Zeitschrift mit einer festen und professionellen Redaktion mit engagierten ad hoc Reportern weltweit. Silke Noa Kumpf: Ich wünsche mir eine aktive Website für die Zeitschrift, und eine größere Leserschaft, die die Zeitschrift verdient. Kristiane Janeke, Chefredakteurin Ausgabe 6 „Das Supergedenkjahr 2009“; Amelie Hinz, Chefredakteurin Ausgabe 7 „Happy Birthday?!? 50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika; Stephanie von Hayek, Chefredakteurin Ausgaben 8 „Afghanistan“ und 9 „Das Streben nach Glück“; Silke Noa Kumpf, Chefredakteurin Ausgaben 8 „Afghanistan“ und 9 „Das Streben nach Glück“ Eyeyeh acher ehyeh – Ich werde sein, der ich sein werde. (2. Buch Mose) Das Glück, könnte er auchdas er der Religion zuschreibt, als Straßenkehr wäre er gezwungen gewesen, einer er erlangt haben, zu sein und zu bleiben. (Bertrand Russell) Täglich eine Portion Leichtsinn.
Heft 10: Mai
ad hoc international
2012
ad hoc international
(Georg Groddeck)
Genug zu mehr als genug haben ist Glück, zu haben Das gilt von allen ist unheilvoll. aber besonders Dingen, vom Geld. (Laotse)
Das Glück in jenem ermäßigten Sinn, in dem ist ein Problem es als möglich erkannt wird, der individuelle n Libidoökonomie. (Sigmund Freud)
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Search we must. Each man must set out to cross his bridge. (Sheldon Kopp) Von dem, was die Weisheit für die Glückseligkeit des gesamten Lebens bereitstellt, (Epikur)
Impose serre ton bonheur ta chance, et va vers A te regarder, ton risque. ils s’habitueron t. (René Char) Unseren eigenen Ideen müssen wir Zeit lassen, dass Bewusstsein zu erreichen. Wir müssen gelegentlich um unser Ziel zu warten können, erreichen.
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Und genau so verhält es sich auch mit Allgemein gesprochen dem Begehren. nach Gütern und ist ein jedes Verlangen dem Glücklichse für einen in und am meisten jeden das größte herausragende Begehren. (Platon)
teils sehr persönliche Perspektiven. Wünschenswert wäre es, dass die ad hoc zukünftig einem noch größeren Leserkreis eine solche Perspektiverweiterung ermöglicht.“ Tabea Kaiser, Referentin für das Carlo-Schmid-Programm beim DAAD
„Seit 2007 macht die ad hoc das vielfältige Praxiswissen und die Vor-Ort E rfahrungen unserer Alumni einer breiten L eserschaft zugänglich. Gratulation! Geschrieben von jungen Menschen, die sich aktiv in der Welt umgesehen haben. Aus allen Berich-
ten spricht globales Engagement, Verantwortungsbewusstsein und die Überzeugung, wie befriedigend es ist, sich in der internationalen Zusammenarbeit für das öffentliche Wohl einzusetzen. Dass es gelingt, ein so professionelles inhaltliches Niveau zu erreichen, obwohl die Redaktion und die Autoren rein ehrenamtlich arbeiten, freut mich besonders und spricht für das Alumni-Netzwerk.“ Oliver Haack leitet das Mercator Kolleg für internationale Aufgaben bei der Stiftung Mercator
Heft 11 erscheint im Herbst/Winter 2012
der letzten 10 Ausgaben ad hoc Team – Mitarbeiter e der nefia und CSP Netzwerk Die folgenden Mitglieder fünf Jahren haben in den vergangenen d hu Enste ng , Entwicklung un auf ehrenamtlicher Basis zur ben der ad hoc beigetragen. Gestaltung von zehn Ausga ren en Autoren und Redakteu Wir danken den zahlreich Mühe. für ihre kostbare Zeit und Autorinnen und Autoren: ann, Jann Böddeling, (Gastautorin), Hanna Baum lz Bä e tili Ot yi, h, asa At el Layla Al-Zubaidi, Sib anja Busch, Max Chrambac phne Büllesbach, T Da , eck der Bre e Elk , Fre un Freier, Karen und, Sebastian Boll, Daniel Bra sselhoff, Else Engel, Feline Di nn ma Til , lak nie Da er, os, Silvia mitz-Guinote, Mirco Günth Katharina Cramer-Hadjidim , Natalie Groos, Hendrik Sch äfe Gr ian berger, ast im Seb , He ner ate Be äbe z, Gr , Judith Haug wit Birga Friesen, Uli uck Ha n stia Ba i, rid Ha ibke Hansen, Alexander fmann, Nina Holle, Corinna-Rosa Hacker, W , Amelie Hinz, Martin Ho ann rm use He ik enr n-H hristia Dominik Helling, C Jonas, Regina Kallmayer, eke, Susan Javad, Alexandra Jan ane isti Kr , sar Hu t nd Ar toria Kirchhoff, es Kiersch, Ulrike Kind, Vic ann Joh p, am nk uze Ke trin Ka fel, Ulrike Koltermann, na Knobloch, Sascha Knöp rin Co r, aue Kn ne An or, ristoph Lüttmann, Dominik Klapd a Kumpf, Vera Lehmann, Ch No ke Sil , ug Kr n mi nja Be ss, Müller (Gastautorin), Sarah Költzow, Daniel Ko l, Annett Möhner, Simone isse Me ne Ru g, ssin Ma ntel, S tephan Oezbek, Valeska Onken, Daniel Maier, Johanna Ma etsch, Matthias Nohn, Elisa Ni ia Jul e, utz Ne n ria Flo Tina Nebe, ian Resch, Richard Röder, uss, Jochen Renger, Christ Pre ob Jak , or) aut ast (G li ulze (Gastautorin), Ubaldo Perez-Pao Sebastian Scholz, Sabine Sch n), ori aut ast (G tz Ry e ett a Strauss, Constanze Ruprecht, Henri nk Stolze, Jana Stöver, Andre Fra er, eng Spr n rste Ca ba, Dirk Seelig , Alexander Ski , Joachim von Bonin, phan Ulrich, Sebastian Unger Ste , nn ma Tie xa Ale , hau Jan Tec Korff, Torsten Wegener, phanie von Hayek, Yorck von Ste , nau Bü von ffen Ste , Leonie von Braun ug Matthias Zeeb, Heidrun Ze Chefredaktion: Hinz, Hanna Baumann, Amelie a Kumpf, Kristiane Janeke, Silke No Stephanie von Hayek, lfslast Friedrich von Heyl, Ines Wo Redaktion: ll, Gernot Bäurle, Sebastian Bo Bernd Gallep, n, ese Fri , Birga Max Chrambach, Else Engel Havemann, Amelie Hinz, Judith Haug witz, Johanna i, rid Ha der xan Ale a, oll ederike Kärcher, Camilla Gend guchi, Kristiane Janeke, Fri Hi o rik Ma s, ber Hü a stin hri Bettina Huber, C Knauer, Tania Krämer, Sabine Kloss-Tullius, Anne Neutze, mpf, Daniel Maier, Florian Ku a No ke Sil , gel Ku in rol ug , Ca a Ritter, Katja Rohrer, Daniel Kroos, Benjamin Kr ian Pfäfflin, Julia Pohle, Ilk Jul t, ald zw Pat tja Ka , nn Silke Opperma gdalena Silberberg, immel, Philippe Seidel, Ma Julia Schad, Constanze Sch Ulrich, Sebastian Unger, ba, Alexa Tiemann, S tephan Mara Skaletz, Alexander Ski , Marie von Engelhardt, Scheidt, Leonie von Braun vom dia Na t, od ter Vat a rtin Ma er, Katharina Welle, von Kunow, Torsten Wegen ike der Fre , yek Ha von e Stephani s Ziegelhöfer Christine Wenzel, Zacharia