ad hoc 1: Von peacekeeping zu peacebuilding

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Heft 1: Mai 2007

ad hoc international Von peacekeeping zu peacebuilding Friedenseinsätze im Wandel Editorial (Seite 1) Der Weg zur modernen Friedensmission (Seite 2) „Tornado“-Theater und das Problem der Truppenstellung. Tono Eitel im Gespräch (Seite 4) Kosovo: Das Experiment der Selbstverwaltung (Seite 6) Viel Geld, wenig Truppen, mäßiger Erfolg – Friedensmissionen in Afrika (Seite 8) Hoffnung im Kongo heißt „DDR“ (Seite 10) Ein Fest der brennenden Waffen. Entwaffnung in Tansania (Seite 11) Afghanistan: Kein Staat ohne Frieden, kein Frieden ohne Staat (Seite 12)


Impressum

ad hoc international Zeitschrift vom Netzwerk des Stiftungskollegs für internationale Aufgaben e.V. erscheint halbjährlich. Titelbild: Eine Polizeiabsperrung bei einer Demonstration in Pristina, Kosovo, die friedlich und ohne Zwischenfälle verläuft. Bildnachweis: Christina Drees (Seite 4, 5), Wibke Hansen (Seite 2, 3), Johannes Kirsch(Titel, Seite 7 oben), Stephan Massing (Seite 12), Julia Nietsch (Seite 2, 6, 7 unten), © United Nations Tanzania (Seite 10, 11), UN Photo by Martine Perret (Seite 8) Herausgeber: Netzwerk des Stiftungskollegs für internationale Aufgaben e. V. Schillerstr. 57, 10627 Berlin, Telefon +49 (0)30 32788484, Fax: +49 (0)30 32788464, gf@stiftungskolleg.org, www.stiftungskolleg.org Redaktion: Leonie von Braun, Max Chrambach, Christina Drees, Ines Wolfslast Autoren: Joachim von Bonin, Wibke Hansen, Dominik Helling, Ulrike Koltermann, Stephan Massing, Julia Nietsch Die Beiträge spiegeln die persönliche Meinung der Autoren wieder. Idee: Ines Wolfslast Gestaltung: V+I+S+K Büro für Visuelle Kommunikation, Berlin Druck: Herforder Druckcenter Anzeigen: Redaktion ad hoc international c/o Netzwerk des Stiftungskollegs für internationale Aufgaben e. V. Schillerstr. 57, 10627 Berlin, Telefon +49 (0)30 32788484, Fax: +49 (0)30 32788464, redaktion@stiftungskolleg.org


Editorial

Liebe Leser,

Zwölf Jahre „Stiftungskolleg für internationale Aufgaben“ – und nun die Gründung einer eigenen Zeitschrift. Die beiden Stiftungen können sich zu der Auswahl ihrer engagierten Kollegiaten nur beglückwünschen. Netzwerke gibt es viele, doch den Faden hin zu einer Publikationsreihe zu spinnen, das ist ehrgeizig und selten. Und damit passend und typisch für Stiftungskollegiaten. Meine besten Wünsche begleiten „ad hoc“. Schon beim ersten Hören des Namens habe ich aufgehorcht. „Hast Du schon die neue „ad hoc“?“ – so soll es in den Fluren der Ministerien, internationalen Organisationen, Thinktanks und Abteilungen der Großunternehmen von Entscheidungsträgern geraunt werden, verbunden mit der bitteren Einsicht einer Lebensführungsschuld: nicht im Stiftungskolleg gewesen zu sein. Dr. Astrid Irrgang Studienstiftung des deutschen Volkes

„Ad hoc? Hört sich dahingekritzelt, unseriös an!“ Der Name löste nicht die Reaktionen aus, die wir erhofft hatten. Es dauerte ein bisschen, bis unsere Versuchskaninchen den Namen akzeptierten: ad hoc – fokussiert auf ein gezieltes Thema; ad hoc – locker, spontan; ad hoc – hautnah, aus dem Erleben notiert. Rasch verschwand der anfängliche Zweifel. Ad hoc international hat seinen Ursprung im Stiftungskolleg für internationale Aufgaben, einem Programm der Robert Bosch Stiftung GmbH und der Studienstiftung des Deutschen Volkes in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt. Seit 1995 haben bereits über 200 junge Menschen das Stiftungskolleg absolviert, Absolventen verschiedenster Fachrichtungen und Hochschulen. Sie haben mit Wissen, Engagement und Leidenschaft die unterschiedlichsten internationalen Projekte in vielen Ländern der Erde realisiert. Sie haben interessante Menschen kennengelernt, Verbindungen geknüpft, Dinge bewegt und vorangebracht. Aus den Praktika und Projekten während der Zeit des Stiftungskollegs wurden dann Jobs. Heute vereint sie alle das Netzwerk des Stiftungskollegs für internationale Aufgaben e.V.. Es sind Menschen, die mittlerweile in den unterschiedlichsten Organisationen arbeiten, in den verschiedensten Positionen, überall auf der Welt. Es vereint sie alle ihr Interesse an der Welt und an internationalen Themen, entweder als unmittelbarer Akteur oder als Beobachter.

In den vergangenen zwölf Jahren hat sich in diesem Netzwerk ein Schatz an Wissen, Erfahrungen, Projekten, Ideen und Meinungen angesammelt. Es wurde Zeit, diesen Schatz zu heben und genau das will ad hoc international. Die neue Zeitschrift will eine Plattform sein. Unter einem Sachoder Länderthema kommen verschiedene Autoren zu Wort, die alle auf die eine oder andere Art mit dem Thema befasst sind. Sie haben interessante und wissenswerte Dinge zu berichten. Sie teilen ihr Wissen, berichten von ihren Erlebnissen und vertreten ihre Meinung. Ad hoc international ist eine Zeitschrift, die in kompakter, einfacher Form Wissen vermitteln, zum Nachdenken anregen, Verbindungen schaffen und neues Engagement entwickeln soll. Dabei schaut sie auch über die Grenzen des Netzwerkes hinaus. Kompetente Interviewpartner kommen zu Wort, weltweite Partnerschaften werden aufgebaut und gepflegt. Die erste Ausgabe liegt nun vor. Sie ist dem Thema „Von peacekeeping zu peacebuilding – Friedenseinsätze im Wandel“ gewidmet, einem Thema, das das Netzwerk im Herbst in einem Workshop weiter vertiefen möchte, und zu dem hier sechs Autoren ihr Wissen bieten und von ihren Erlebnissen berichten. Diese erste Ausgabe soll der Grundstein sein für unser aller Engagement für ein besseres Verstehen der Zusammenhänge und Geschehnisse in der Welt.

Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen! Ines Wolfslast und Max Chrambach

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Überblick Friedenseinsätze

Friedenseinsätze heute: Entstehung und Herausforderungen von Wibke Hansen

Friedenseinsätze – oder so genannte peacekeeping Missionen – sind im letzten Jahr verstärkt in das Blickfeld der deutschen Medien und der deutschen Öffentlichkeit gerückt. Die ESVP Mission zur Absicherung der Wahlen im Kongo, die deutsche Beteiligung an dem erweiterten UNO Einsatz im Libanon, sowie jüngst der Einsatz von deutschen Tornados im Rahmen der NATO Mission in Afghanistan wurden zum Teil kontrovers diskutiert. Dabei erfreut sich die Debatte um Friedenseinsätze einer Begriffsvielfalt, deren mitunter recht beliebige Verwendung nicht immer hilfreich ist. Um Form, Zweck und Herausforderungen heutiger Friedenseinsätze zu verstehen, ist zunächst ein kurzer Blick auf ihre Entstehungsgeschichte sinnvoll. Peacekeeping Einsätze finden keine explizite Erwähnung in der UNO Charta sondern sind aus der Praxis heraus entstanden und haben sich analog zu dieser kontinuierlich weiterentwickelt. Vereinfacht dargestellt kann heute zwischen drei verschiedenen „Generationen“ von Friedenseinsätzen unterschieden werden. Als Geburtsstunde des peacekeeping wird allgemein die United Nations Emergency Force (UNEF I) bezeichnet, die 1967 im Zuge der Suez Krise entsandt wurde. Sie sollte den Waffenstillstand zwischen Ägypten und Israel sowie den Rückzug französischer, israelischer und britischer Truppen von ägyptischem Territorium überwachen und eine Pufferzone zwischen den Konfliktparteien bilden. Die für diesen Einsatz aufgestellten Grundsätze, das Einverständnis der Konfliktparteien, die Unparteilichkeit der peacekeeping-Truppen, sowie die Beschränkung der Gewaltanwendung auf Selbstverteidigung wurden zu konzeptionellen Grundpfeilern des peacekeeping. Weitere zwölf Missionen wurden während des Kalten Krieges entsandt. Sie folgten zum Großteil einem einheitlichen Muster: Leicht bewaffnete Truppen oder unbewaffnete Militärbeobachter wurden in zwischenstaatlichen Konflikten eingesetzt, um Pufferzonen zu etablieren, Grenzen zu beobachten und Waffenstillstände zu überwachen. Das Ziel dieser Einsätze war auf die Eindämmung der gewaltsamen Konfliktaustragung beschränkt, während eine

Konfliktlösung auf dem Verhandlungsweg angestrebt wurde. Diese Einsatzform wird heute auch als peacekeeping der ersten Generation oder als traditionelles peacekeeping bezeichnet. Das Ende des Ost-West Konfliktes brachte neue Handlungsspielräume aber auch neue Herausforderungen für die internationale Konfliktbearbeitung mit sich. Es zeigte sich bald, dass traditionelles peacekeeping kein hinreichendes Instrument für die Bearbeitung der nun verstärkt auftretenden innerstaatlichen Konflikte war. Auch wenn Gewalt durch eine internationale Präsenz kurzfristig eingedämmt werden konnte, hatten die peacekeeper ohne eine grundlegende Bearbeitung der Konfliktursachen keine „exit option“. Der klassische Aufgabenkatalog wurde daher um Maßnahmen wie die Entwaffnung und Reintegration von Kombattanten, die Rückführung von Flüchtlingen und das Herstellen innerer Ordnung ergänzt – Boutros-Ghali prägte in seinem Agenda for Peace für diese Maßnahmenbündel den Begriff des post-conflict peacebuilding. Zur Wahrnehmung des expandierenden Aufgabenfeldes wurden zusätzlich zum Militär polizeiliche und zivile Komponenten eingesetzt. Die Multidimensionalität und Multifunktionalität sind charakteristisch für peacekeeping Missionen dieser zweiten Generation. Nach den anfänglichen Erfolgen von peacekeeping Missionen der zweiten Generation zeigten insbesondere die Einsätze im ehemaligen Jugoslawien und in Somalia deutlich die Grenzen dieses Konzeptes. Der Einsatz leicht bewaffneter, auf Konsens und Neutralität bedachter Blauhelm-Truppen ist dort problematisch, wo Waffenstillstände keinen Bestand haben, Konfliktparteien der UN-Präsenz nicht zustimmen oder ihren Konsens im Laufe des Einsatzes zurückziehen. Peacekeeper fanden sich wiederholt mit Situationen konfrontiert, in denen sie eine Umsetzung des Mandates, ein sicheres Umfeld für den peacebuilding-Prozess, den Schutz der Zivilbevölkerung sowie die Sicherheit des UN-Personals aufgrund des massiven Widerstands bewaffneter Gruppierungen nicht gewährleisten konnten. Der


Überblick Friedenseinsätze

Sicherheitsrat ging daher dazu über, die Mandate für Friedenseinsätze mit Befugnissen zum Einsatz von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN Charta auszustatten. Damit sollte die Durchsetzung des Mandates auch gegen so genannte „spoiler“ ermöglicht werden. Häufig wird in diesem Zusammenhang auch von robusten Mandaten gesprochen; sie sind das zusätzliche Merkmal der dritten Generation von Friedenseinsätzen. Die Mandatierung nach Kapitel VII ist als eine Art Absicherung gegen ein worst case scenario zu verstehen. Konsens und Unparteilichkeit bleiben dabei weiter wichtig, auch wenn sich das Verständnis dieser beiden Grundsätze gewandelt hat. Konsens ist bei einem Mandat nach Kapitel VII zwar rein rechtlich nicht mehr erforderlich, jedoch für das Gelingen der Operation von großer Bedeutung. Die Konsolidierung des Friedensprozesses und der Wiederaufbau sind nur mit der Unterstützung der Konfliktparteien und der lokalen Bevölkerung möglich. Unparteilichkeit wird nicht als passive Neutralität sondern als aktive Durchsetzung des Mandates gegenüber allen Konfliktparteien gleichermaßen verstanden. Die Mehrheit der heute mandatierten Einsätze ist multidimensional und robust. Um dieser neuen Qualität moderner Einsätze Ausdruck zu verleihen, wird heute anstelle von peacekeeping zunehmend der Begriff „multidimensionale Friedenseinsätze“ oder – im anglophonen Raum – peace operations verwandt. Militärische, polizeiliche und zivile Komponenten arbeiten in diesen Einsätzen Seite an Seite um einerseits die (Wieder-)Herstellung von Sicherheit zu gewährleisten und andererseits verschiedene Maßnahmen des peacebuilding umzusetzen. Kernbereiche des letzteren sind in heutigen Einsätzen neben der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von ExKombattanten die Wiederherstellung von Rechtstaatlichkeit, die Etablierung einer zivilen Verwaltung und Unterstützung bei Wiederaufbau und Reform des Sicherheitssektors. Achtzehn peacekeeping Missionen der UN sind gegenwärtig im Einsatz; hinzu kommen Friedenseinsätze weiterer internationaler und regionaler Organisationen wie der OSZE, NATO, EU, ECOWAS oder der AU sowie Einsätze, die auf bilateralen Einigungen basieren. Mit 93 000 militärischen, polizeilichen und zivilen Mitarbeitern erreichte die Entsendung in VN Friedenseinsätze im Oktober 2006 einen historischen Höchststand. Der UNO Untergeneralsekretär für peacekeeping, Jean-

fDie Zusammenarbeit zwischen Militär und

Polizei ist ein integraler Bestandteil der Friedenseinsätze dritter Generation. In Pristina überwacht eine international trainierte kosovarische Polizeitruppe eine Demonstration.

Marie Guehenno, warnte angesichts dieses Rekords vor einer Überlastung der Organisation. Nicht nur die Quantität, auch die zunehmende Komplexität dieser Einsätze stellt immense Herausforderungen an die Konfliktbearbeitungskapazitäten der internationalen Gemeinschaft. Friedenseinsätze werden vermehrt zur Stabilisierung von fragilen oder zerfallenen Staaten eingesetzt. Dabei handelt es sich um Staatsgebilde, die die Kernaufgaben eines modernen Nationalstaats – Herstellung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung, von demokratisch legitimierten rechtsstaatlichen Herrschaftsstrukturen und -institutionen, und von öffentlicher Wohlfahrt – nicht mehr oder nur noch eingeschränkt wahrnehmen können. Aufgrund der Interdependenz dieser Kernaufgaben muss der Wiederaufbau in allen drei Bereichen mehr oder weniger parallel erfolgen. Dies stellt erhebliche Herausforderungen an die Planung und Durchführung von peacebuilding-Prozessen. Kollabierte Wirtschaftssysteme, Korruption und organisierte Kriminalität, hohe Arbeitslosigkeitsraten insbesondere unter Jugendlichen, die Proliferation von Kleinwaffen und die Präsenz einer Vielzahl von Akteuren, die aus wirtschaftlichen oder machtpolitischen Erwägungen Interesse an einer Fortsetzung des Konfliktes haben, sind häufige Phänomene, die weiterhin zur Komplexität des Arbeitsumfeldes beitragen. Angesichts dieser Entwicklungen ist fraglich, wie in Zukunft hinreichende finanzielle und personelle Ressourcen für Friedenseinsätze dauerhaft gesichert werden können. Hinzu kommt eine Vielzahl konzeptioneller und operativer Probleme. So gibt es zum Beispiel für Friedenseinsätze keine Blaupause oder festgelegte Sequenz von Maßnahmen und Aufgaben. Die Frage, welche Kombination von militärischen und zivilen Instrumenten in einem gegebenen Konflikt die besten Aussichten auf Erfolg hat, stellt sich jedes Mal erneut. Ein bisher weitgehend ungelöstes Problem ist weiterhin die Nachhaltigkeit von peacebuilding Prozessen. In vielen Fällen flammen Konflikte nach Beendigung von Friedenseinsätzen und der Durchführung umfassender Maßnahmen zur Friedenskonsolidierung wieder auf. In diesem Kontext ist insbesondere die Frage von Bedeutung, wie „local ownership“ und eine nachhaltige Übernahme geschaffener Strukturen, Prozesse durch lokale Kapazitäten gewährleistet werden kann.

Wibke Hansen, Jhg. 1973, beschäftigte sich 2001/2002 im Rahmen ihres Projektes im Stiftungskolleg mit dem Thema Friedenseinsätze und arbeitete in der Zeit unter anderem bei der OSZE in Wien und der Friedensmission UNMIK im Kosovo. Heute ist sie Leiterin der Einheit Analyse/Lessons Learned im Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin.

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Interview

„Es wird schwierig, wenn die ‚body bags‘ nach Hause kommen“ „Wenn man sogar Präsident des Sicherheitsrats war, dann darf man sich sicherlich nicht über die eigene Laufbahn beklagen“ sagt Prof. Tono Eitel, und fügt mit einem Lächeln bescheiden hinzu: „nicht, weil man besonders gut wäre, sondern selbstverständlich aus der Rotation!“ Prof. Eitel hat allen Grund, stolz auf seine Karriere zurückzublicken: 1963 in den Auswärtigen Dienst eingetreten, danach in der deutschen Vertretung bei den Europäischen Gemeinschaften und in den Botschaften in Bern und Jamaika – „das war operettenhaft, sehr schön“. Im Bundeskanzleramt nahm er teil an der Ostpolitik Willy Brandts, in Beirut erlebte er als Botschafter den Höhepunkt des Bürgerkriegs. Ab dem Jahr 1992 leitete er die Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt, und von 1995 bis 1998 erlebte er als deutscher Botschafter bei der UNO den Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn. Seit 2001 ist er Rektor des Stiftungskollegs für internationale Aufgaben. Prof. Eitel traf sich zu einem Gespräch mit ad hoc in Berlin. ad hoc: Herr Eitel, worin unterscheidet sich eine Friedensmission von anderen Arten der Intervention? Eitel: Den Begriff „Friedensmission“ oder peacekeeping missions gibt es in der Charta der Vereinten Nationen gar nicht. Heutzutage versteht man peacekeeping missions als solche, die mit Einverständnis der jeweiligen betroffenen Regierungen unternommen werden. Nur wo die Soldaten Blauhelme tragen, kann man von einer peacekeeping mission oder Friedensmission sprechen. Insofern ist auch Afghanistan, von Irak ganz zu schweigen, keine Friedensmission in meinem Sinne. ad hoc: Zwischen 1991 und 1993 – also zwischen dem 2. Golfkrieg und der Katastrophe in Mogadischu – ist eine Entwicklung der internationalen Interventionen in Richtung Multilateralismus zu verzeichnen. Wie ist dies zu erklären? Eitel: Sicherlich mit der Beendigung des Kalten Krieges. Als man ständig mit einem Veto einer der beiden Supermächte rechnen musste, kam wenig Praktikables zustande. Aber nach der Wende war das anders. Da ist vom Sicherheitsrat und seinen Möglichkeiten viel Gebrauch gemacht worden. Das scheint mir der Grund dafür, dass es plötzlich eine Menge von Friedensmissionen gab. ad hoc: Sie waren selbst in der deutschen

Botschaft in Beirut, als von 1982–1984 eine Multi National Force (MNF) im Libanon intervenierte. Wie kam es zu der militärischen Intervention? Eitel: Die MNF war bilateral: Die vier Mitgliedstaaten der MNF, USA, Vereinigtes Königreich, Italien und Frankreich, sind mit der libanesischen Regierung ins Einvernehmen getreten. Die MNF wollte im Bürgerkrieg eine stabilisierende Rolle übernehmen. Dies hat nicht geklappt. Die Schiitische Opposition hat sowohl die Amerikaner wie die Franzosen durch Selbstmordattentate schwer geschädigt. Bei den Amerikanern sind ungefähr 250 marines umgekommen, bei den Franzosen 50. Das hat das Ende dieser Mission eingeläutet. ad hoc: Hat man aus den Fehlern der Libanonmission 1984 gelernt? Was hat sich in der Art und Weise zu intervenieren seitdem verändert? Eitel: Eigentlich hat sich gar nicht so viel verändert. Wir haben ja viele Interventionen, die nicht von der UNO abgesegnet sind. Da können Sie an den Irak denken, oder Kosovo. Der Sicherheitsrat ist nach der von Ihnen erwähnten Welle von Friedensmissionen jedoch sehr vorsichtig geworden. Die USA haben sich seit Somalia nicht mehr unter ein UNO Kommando begeben. Nach Mogadischu

sind die Amerikaner sehr viel zögerlicher geworden. Und größere Missionen ohne Amerikaner gibt es kaum, weil die Amerikaner für die Logistik und auch das Nachrichtenwesen und Satelliten eigentlich unverzichtbar sind. Diktatoren können ihre Truppen einfach losschicken; in einer Demokratie wird es schwierig, wenn die „body bags“ nach Hause kommen. ad hoc: Wie erklären Sie die Katastrophen in Mogadischu und Srebrenica? Stattet der UNO-Sicherheitsrat die Truppen mit zu schwachen Mandaten aus? Eitel: Das Problem ist nicht das Mandat, weder in Ruanda, noch in Srebrenica. Das Problem ist die Truppenstellung. Nur mit einem großen Truppenkontingent ist man in der Lage, ein starkes Mandat durchzusetzen. Aber ich kann nur sagen: Bei all den Mandaten, deren Besprechung ich miterlebt habe, war es immer ganz schwierig, auch nur ein paar Staaten zur Truppenstellung zu gewinnen. ad hoc: Wie gewinnt man denn einen Wähler, der eventuell „interventionsmüde“ ist, für einen Einsatz auf anderen Erdteilen? Eitel: Dabei ist das Fernsehen außerordentlich wichtig. Wenn Sie an Ruanda denken, da ist eben nicht rechtzeitig etwas im Fernsehen gesehen worden. Ebenso in Darfur: Erst seitdem das Fernsehen und

f„Was wäre los, wenn wir an eine richtig heikle

Front Bodentruppen schicken würden?“ Prof. Eitel (rechts) kennt die deutsche Perspektive auf Friedensmissionen aus seiner Zeit in der Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt.


Interview

Es war dennoch ein Einsatz, der eine typisch deutsche Befindlichkeit getroffen hat. ad hoc: Gibt es nicht eine Pflicht der Staaten in solchen Situationen militärisch einzugreifen? Eitel: Jeder Tod im Kosovo war einer zuviel, das ist gar keine Frage. Aber da ist in einer unglaublichen Weise mit zweierlei Maß gemessen worden. Während der gleichen Zeit passierte in Afrika Schlimmstes, und kein Mensch hat je von einer Intervention ohne Mandat vom Sicherheitsrat gesprochen. Im Prinzip müssten Staaten in solchen Situationen eingreifen, die Medien berichten, ist das Interesse gewachsen. Aber auch hier haben Demokratien große Schwierigkeiten. In Berlin wird ein Theater wegen „sechs Tornados“ gemacht, was wäre los wenn wir an eine richtig heikle Front Bodentruppen schicken würden? In Deutschland bewerten wir die Gefährdung solcher Missionen zu hoch. Das glaube ich, ist eine deutsche Perspektive. ad hoc: Wieso eine „deutsche Perspektive“? Wie kommt es zu dieser Wahrnehmung? Eitel: Deutschland hat seit dem Ersten Weltkrieg keine Kolonien in Afrika und Asien gehalten. Wir haben daher keinen Bezug zu diesen Ländern. Ich glaube gar nicht, dass es möglich ist, ein größeres Interesse etwa für Sierra Leone in der Bevölkerung zu wecken. Uns fehlt damit das nötige Sach- und Fachwissen, um die Gefährdung beispielsweise in Afghanistan richtig einschätzen zu können. Wir Deutschen sind auch durch den Zweiten Weltkrieg besonders sensibel geworden, nahezu pazifistisch. ad hoc: Wie erklären Sie dann den Zuwachs von deutscher Beteiligung an Friedensmissionen in den letzten Jahren? Eitel: Da ist wiederum typisch Deutsches eingeflossen. Außenminister Fischer rechtfertigte das Bombardement Serbiens im Kosovokrieg mit einem Hinweis auf Auschwitz. Als Deutscher dürfe man kein zweites Auschwitz zulassen. Ich halte den Kosovo-Einsatz für charta-widrig, und bin deshalb auch dagegen gewesen.

»Es ist das große Verdienst der Nachkriegszeit und der UNO, den Krieg eingehegt zu haben.« aber hier streiten Gerechtigkeit und Rechtssicherheit miteinander. Es ist das große Verdienst der Nachkriegszeit und der UNO, den Krieg eingehegt zu haben. Es wurde ein Organ geschaffen, das alleine gewaltsam intervenieren darf. Ist eine Staatengruppe wie die NATO legitimiert, ohne angegriffen zu sein mit Gewalt in einem anderen Land zu intervenieren? Sicherlich nicht. Wenn das so wäre, dann wäre das ganze Sicherheitsratsystem ausgehöhlt. Dann könnte beispielsweise die OAS, die Organisation Amerikanischer Staaten, das Recht in ihre Hand nehmen und Kuba angreifen. Als höhere Instanz kann allein die UNO mit Gewalt eingreifen, oder Interventionen anderer bewilligen. Wenn sie dies unterlässt, muss man auch ein ungerechtes Urteil schlucken, im Interesse der Rechtssicherheit. So sehe ich die Vorzüge des Charta-Systems. ad hoc: Ein integraler Bestandteil dieses Charta-Systems ist die nationale Souveränität. In welchem Verhältnis steht dieses Prinzip zum Wunsch, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern? Eitel: Früher hat der Staatslenker mit seiner eigenen Bevölkerung machen können, was er wollte. Das hat so weit geführt,

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»Es kann nicht sein, dass die Idi Amins und Saddam Husseins ungeniert sich austoben dürfen.« dass in Nürnberg der Holocaust an deutschen Juden noch gar nicht thematisiert worden ist. Heutzutage ist das, Gott sei Dank, anders geworden. Man hat gesagt: Es kann nicht sein, dass die Idi Amins und Saddam Husseins ungeniert sich austoben dürfen. Das Spannungsverhältnis von Menschenrechten zu Souveränität wird langsam aber sicher zu Lasten der Souveränität und zum Nutzen der Menschenrechte verändert. ad hoc: Welche Auswirkungen hatte der 11. September auf das Charta-System von Friedenseinsätzen und militärischen Interventionen? Eitel: Ich glaube dass die USA sich einer Bedrohung bewusst geworden sind, die für sie etwas ganz Neues war. Sie verfolgten diejenigen, die dafür Verantwortlich waren und waren dabei in der Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen. Daraus folgten die unilateralen Schritte der USA, sei es im Irak oder, teilweise auch in Afghanistan. ad hoc: Ersetzen solche coalitions of the willing, wie im Irak, allmählich UNOFriedensmissionen? Wo ist heutzutage der Platz für Friedensmissionen in der globalen Interventionskultur? Eitel: Ich glaube, dass sie ein unterschiedliches Einsatzgebiet haben. Friedensmissionen gibt es nur mit Einverständnis der Regierungen. Dafür brauche ich keine coalition of the willing. Ich brauche Truppensteller. Bei den kriegerischen Einsätzen hat es immer nur coalitions of the willing gegeben, von Korea bis Kuwait. Das wird immer so sein. Das System, das die Charta für Interventionen vorsah, ist sowohl durch die Blauhelme als auch durch die coalitions of the willing lediglich erweitert worden. Aber diese gefährden nicht die Zukunft der UNOFriedensmissionen. Das Interview führte Max Chrambach.


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Verwaltung im Kosovo

Der Aufbau lokaler Verwaltungsstrukturen im Kosovo von Julia Nietsch Wer verwaltet den Kosovo? Im ehemals jugoslawischen Gebiet ist ein Prozess im Gange, der die Verwaltung durch die UNO, EU und OSZE auf lokale Strukturen überträgt. Julia Nietsch betrachtet Entwicklung und Probleme der Verwaltungsübergabe im Kosovo. Der Kosovo wird seit Juni 1999 von der vom UN-Sicherheitsrat beauftragten United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK) verwaltet – bis die Kosovo-Statusfrage geregelt ist. Nach der Lösung der Statusfrage soll die EU im Kosovo mehr Verantwortung übernehmen. Die internationale Verwaltung im Kosovo wird von vielen Kosovaren als ein Experiment bezeichnet – und in der Tat handelt es sich bei dem Einsatz der internationalen Gemeinschaft im Kosovo um ein in seinem Umfang einzigartiges democratisation and state-building programme. Dieses soll im Folgenden überblicksartig dargestellt werden.

Die UNMIK wurde durch die UN-Sicherheitsratsresolution 1244 vom 10.6.1999 mandatiert, den Kosovo politisch und wirtschaftlich wiederaufzubauen und eine lokale Übergangsverwaltung einzurichten, der nach und nach Kompetenzen übertragen werden. Unterstützt wird UNMIK von einer internationalen NATO-Friedenstruppe, der Kosovo Force (KFOR), die im Kosovo für die alltägliche Sicherheit sorgt. Die UNMIK besteht aus vier „Säulen“: (I) Polizei und Justiz; (II) Zivilverwaltung; (III) Demokratisierung und institutioneller Wiederaufbau (institution building); (IV) Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung. Zum ersten Mal arbeitet die UN im Kosovo eng mit der OSZE und der EU zusammen, was sich positiv auf ihr Bild im Kosovo auswirkt, jedoch auch Koordinationsprobleme mit sich bringt. An der Spitze der UNMIK steht als Sondervertreter des UN-Generalsekretärs derzeit der deutsche Diplomat Joachim Rücker. In den ersten Monaten der UNMIK-Verwaltung leistete die internationale Gemeinschaft im Kosovo vor allem humanitäre Hilfe und Unterstützung beim Wiederaufbau von Häusern und Infrastruktur. Im Januar 2000 begann dann der Aufbau der Übergangsverwaltung, der Joint Interim Administration Structures ( JIAS). Hier wurden die Abteilungen in den neu geschaffenen Behörden zunächst gemeinsam von Kosovaren und internationalen Beamten geleitet. Nach den Kommunalwahlen im Oktober 2000 und den Parlementswahlen im November 2001 wurde dann der zweite Schritt in Richtung Machtübergabe unternommen. Im Jahr 2002 nahmen die „provisorischen Selbstverwaltungsinstitutionen“ ihre Arbeit auf. Sie wurden von der von UNMIK im Mai 2001 erlassenen Verfassungsrahmen gegründet, um die Verwaltungsaufgaben von der JIAS zu übernehmen. So wurden den provisorischen Institutionen nach und nach immer mehr Kompetenzen übertragen. Derzeit arbeitet die UNMIK, die sich darauf vorbereitet, den Kosovo nach der Statuslösung zu verlassen, an einer vollständigen Übertragung der Kompetenzen an lokale Institutionen. Viele Befugnisse (z.B. im Polizei- und Justizbereich) werden die kosovarischen Institutionen jedoch nur unter Aufsicht und Beratung der zukünftigen EU-Mission ausüben.

fIn der OSZE-Zentrale (links, neben Kebab-Bude) wird der peacebuildingProzess in Kosovo mit der UN und EU koordiniert.


Verwaltung im Kosovo

Auch im Parlament, im Premierministerbüro, in jedem Ministerium und in jeder Kommunalverwaltung arbeiten nach wie vor UNMIK-Berater, ganz zu schweigen von den vielen internationalen Beratern, die auf Projektbasis in den provisorischen Institutionen tätig sind. Ferner hat der Sondervertreter des UN-Generalsekretärs „reserved powers“: kein vom Parlament verabschiedetes Gesetz tritt ohne seine Unterschrift in Kraft. Mit diesen reserved powers hat er de facto alle drei Staatsgewalten inne. Beim Aufbau der Joint Interim Administration Structures und der „provisorischen Selbstverwaltungsinstitutionen“ hatte die UNMIK mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen: Vor dem Krieg war die Verwaltung vor allem in serbischen Händen, so dass es nur wenig gut ausgebildete kosovo-albanische Beamte gab. Von diesen waren viele im Krieg umgekommen oder ausgewandert. Zusätzlich zu diesem externen brain-drain sorgte die Präsenz vieler gut bezahlender internationaler Organisationen und NGOs für einen internen brain-drain. Drei- bis fünfmal soviel wie ein Mitarbeiter der lokalen Regierungsinstitutionen verdient ein lokaler Angestellter in einer internationalen Organisation (NGO) oder in einer durch internationale Projektgelder geförderten lokalen NGO. Neben den Schwierigkeiten bei der Rekrutierung kompetenter Mitarbeiter und dem Problem des häufigen Personalwechsels in den „provisorischen Selbstverwaltungsinstitutionen“ behindert die Existenz paralleler gesellschaftlicher Systeme den Verwaltungsaufbau im Kosovo. Unmittelbar nach dem Krieg erfüllten Gruppierungen der Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK) Verwaltungsaufgaben, die sie erst nach und nach an die von UNMIK gegründeten Institutionen übergaben. Da diese Institutionen von der kosovo-serbischen Bevölkerung nicht oder nur zögerlich anerkannt wurden, entstand nach dem Krieg vor allem im Nord-Kosovo ein System paralleler, von Serbien finanzierter Schulen, Gerichte und Behörden. Obwohl der Verwaltungsapparat der UNMIK aufgebläht ist, Verfahrensabläufe effizienter gestaltet werden könnten, und Minderheiten (u.a. Kosovo-Serben, Roma, Türken) nur relativ schwach vertreten sind, kann man den Verwaltungsaufbau durch UNMIK insgesamt als Erfolg bezeichnen. Der Prozess der kosovarischen Verwaltungsreform ist in vollem Gange, eine an EU-Standards orientierte Strategie und ein Aktionsplan wurden Anfang 2007 verabschiedet.

i Der Himmel über Pristina ist braun von Staubwolken der Kohlekraftwerke. Reformen der Justiz und Bildung sollen allerdings eine trübe Zukunft verhindern.

Mehr Sorgen bereitet der Justizbereich: Es gibt zu wenige gut ausgebildete Richter, zu viel Korruption, Vetternwirtschaft und eine niedrige Verbrechensaufklärungsquote, insbesondere hinsichtlich inter-ethnischer Kriminalität, organisierter Kriminalität oder Kriegsverbrechen. Ohne eine unabhängige und funktionierende Justiz wird auch die Verwaltungsreform letztendlich scheitern – von der Demokratisierung und dem Aufbau der Zivilgesellschaft ganz zu schweigen. Daher plant die EU, nach der Statuslösung die Schwerpunkte ihrer Mission im Justiz- und Polizeiaufbau zu setzen und hierfür die bisher größte Mission zu finanzieren. Wünschenswert wäre zudem ein stärkeres Engagement im Bildungsbereich. Das Thema Bildung und Bildungsreform wurde in den ersten Jahren nach dem Krieg sträflich vernachlässigt – es ist höchste Zeit, dass dieses Versäumnis aufgeholt wird. Julia Nietsch, Jhg. 1977, studierte Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik. Sie arbeitet als Referentin für Politik, Presse, Kultur und Protokoll im Deutschen Verbindungsbüro in Pristina im Kosovo. Bereits 2003/2004, während ihrer Zeit als Stipendiatin im Stiftungskolleg, war sie im Kosovo unterwegs.

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Überblick Afrika

Friedensmissionen in Afrika – Reiche Länder schicken lieber Geld als Truppen von Ulrike Koltermann Ein Wandel der Friedensmissionen lässt sich besonders deutlich in Afrika feststellen. Ulrike Koltermann berichtet über die Schwierigkeit ausreichender Truppenstellung bei Interventionen auf dem afrikanischen Kontinent. Friedensmissionen in Afrika stehen vor einer Trendwende. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der UN-Blauhelmsoldaten auf dem Kontinent deutlich angestiegen. Es sind jedoch immer weniger reiche Länder bereit, Truppen für komplizierte Einsätze in Afrika zu stellen. Der Trend geht dahin, regionale Friedensmissionen zu bilden, die von der internationalen Gemeinschaft finanziell und logistisch unterstützt werden. Seit 2003 wurden vier neue UN-Missionen nach Liberia, Cote d‘Ivoire, Burundi und in den Sudan entsandt. Derzeit sind sechs von insgesamt 15 Friedensmissionen auf dem Kontinent im Einsatz, darunter die weltgrößte UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo. Mittlerweile hat die Zahl der Blauhelmsoldaten weltweit einen neuen Rekord von insgesamt mehr als 70 000 erreicht, davon sind etwa 55 000 in Afrika stationiert. Die UN-Missionen der 90er Jahre in Afrika waren ein Desaster. In Somalia versuchten eine multilaterale UN-Mission und eine amerikanische Interventionstruppe, das Land vor dem Bürgerkrieg zu bewahren, und wurden selbst als Konfliktpartei wahrgenommen. Mehr als 100 Blauhelmsoldaten kamen bei Kämpfen ums Leben. Der Abschuss eines „Black Hawk“ US-Hubschraubers und der Tod von 18 amerikanischen Soldaten am 3. Oktober 1993 gaben das Signal zum Rückzug. Die Bilder der geschändeten Leichen, die von einer johlenden Menge durch die Straßen gezogen wurden, haben sich tief in das kollektive Gedächtnis der USA eingegraben. Wenige Monate später erklärte der damalige Präsident Bill Clinton, dass Militärinterventionen der USA künftig nur noch möglich seien, wenn eindeutig nationale Interessen im Spiel seien. Die UN und die USA zogen aus dem Scheitern der Mission unterschiedliche Konsequenzen: Vertreter der Vereinten Nationen waren der Ansicht, dass künftige Friedensmissionen auf den Einsatz von Gewalt besser verzichten sollten. Die USA hingegen erklärten das Scheitern damit, dass sie nicht genügend militärische Stärke gezeigt hatten.

Der Somalia-Effekt hatte dramatische Folgen für den Einsatz einer UN-Mission in Ruanda. In dem ostafrikanischen Land wurden im Sommer 1994 innerhalb von drei Monaten schätzungsweise 800 000 Menschen getötet. Aufgehetzte Hutu-Milizen mordeten mit Schusswaffen, Macheten und Knüppeln Angehörige der Tutsi-Minderheit und gemäßigte Hutus. Die UN-Mission unter dem kanadischen General Romeo Dallaire hatte während der schlimmsten Massaker nicht einmal 500 Mann in Ruanda. Dallaire bat vergeblich in New York um Verstärkung. Als er Ruanda verließ war er ein gebrochener Mann. Nach dem Debakel in Somalia und der Schande in Ruanda waren die Vereinten Nationen zunächst nicht auf weitere militärische Abenteuer in Afrika erpicht. Stattdessen überließen sie es afrikanischen Truppen, die Lage soweit zu stabilisieren, dass eine UN-Mission später ohne allzu großes Risiko folgen konnte. Erfolgreich waren vor allem die Missionen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, die 2002 in Cote d‘ Ivoire und 2003 in Liberia als Voraustruppen für spätere UNMission im Einsatz waren. Als nächster Akteur kam die Afrikanische Union (AU) ins Spiel, die Nachfolgeorganisation der höchst ineffizienten Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU). Sie gründete einen eigenen AU-Sicherheitsrat und verfolgte den ehrgeizigen Plan einer panafrikanischen Eingriffstruppe. Der erste Einsatz einer AU-Mission im ostafrikanischen Burundi 2003 galt als erfolgreich. Die AU-Truppen wurden von UN-Soldaten abgelöst, die Lage stabilisierte sich, und die UN-Mission konnte Ende 2006 das Land verlassen. Allerdings war Burundi harmlos im Vergleich zum darauf folgenden Einsatz in der westsudanesischen Krisenregion Darfur. Schon bald wurde klar, dass die etwa 7000-Mann starke Truppe in einem Gebiet von der Größe Frankreichs nicht viel erreichen würde. Anfangs fehlte es sogar an Fahrzeugen, um auf Patrouille zu gehen. Immer häufiger wurden die AU-Soldaten selbst Ziel von Angriffen bewaffneter Gruppen. Anfang April wurden bei einem Anschlag im Westen Darfurs fünf senegalesische Soldaten erschossen.

f17 000 Truppen sind nicht genug, um die Demokratische Republik Kongo endgültig zu befrieden. Hier sichern peacekeepers den friedlichen Verlauf einer Gerichtsverhandlung.


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Liberia Cote d‘Ivoire Burundi Sudan Demokratische Republik Kongo Somalia Ruanda Tschad

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Ungeachtet des AU-Einsatzes verschlimmerte sich die Lage in Darfur weiter. Die sudanesische Regierung geht in der abgelegenen Region mit Hilfe arabischer Milizen gegen Rebellengruppen und die schwarzafrikanische Zivilbevölkerung vor. Schon 2004 wurde die Zahl der Toten auf mindestens 200 000 geschätzt, seitdem gibt es keine aktuellen Schätzungen, weil der Zugang zur Region für Hilfsorganisationen stark eingeschränkt ist.

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Als deutlich wurde, dass die AU-Mission in Darfur völlig überfordert war, entschied der UN-Sicherheitsrat, sie durch eine besser ausgestattete UN-Mission abzulösen. Das passte der sudanesischen Regierung jedoch nicht, die nach Ansicht von Beobachtern vor allem darauf bedacht ist, keine Zeugen für mutmaßliche Kriegsverbrechen in der Region zu haben. Khartum verhinderte bislang den UN-Einsatz durch geschicktes Taktieren. Sobald ein Regierungsvertreter zuzustimmen schien, kam am nächsten Tag ein Dementi von einem anderen Kabinettsmitglied. Der ursprüngliche Plan wurde aufgeweicht, statt einer UN-Mission sollte es in Darfur eine gemischte UN-AU-Mission geben. Weiter sollte eine Truppe im Tschad nahe der Grenze eingesetzt werden, das passte wiederum dem Tschad nicht – Fakt ist, dass bis heute kein UN-Soldat in Darfur eingetroffen ist.

abgeschossen, ein ugandischer AU-Soldat wurde getötet. Ein UN-Einsatz in Somalia scheint ausgeschlossen, denn es wäre wohl niemand bereit, Truppen zu stellen.

Der jüngste AU-Einsatz in Somalia, der zumindest auf dem Papier ebenfalls von einer UN-Mission abgelöst werden soll, erinnert auf fatale Weise auf den UN-Einsatz am Horn von Afrika Anfang der 90er Jahre. Von den 8 000 vorgesehenen Truppen wurden nur die Hälfte zugesagt. Davon sind zunächst nur 1 500 Soldaten in Mogadischu eingetroffen, wo Anfang April 2007 die schlimmsten Kämpfe seit Jahren ausbrachen. Aufständische, die sich aus den islamischen Milizen rekrutieren, kämpfen gegen die Truppen der somalischen Übergangsregierung, die vom äthiopischen Militär unterstützt werden. In der Gemengelage kann die AU-Mission so gut wie nichts ausrichten. In den ersten Wochen des Einsatzes wurde ein AU-Hubschrauber

Dieser Überblick über die bisherigen Friedensmissionen in Afrika macht deutlich, dass die Zahl der Truppen und ihre Ausstattung maßgeblich für Erfolg oder Scheitern verantwortlich sind. Die UN-Mission im Kongo, der etwa so groß ist wie Westeuropa, hatte zeitweise nur 10 000 Truppen, das entsprach einem Drittel des NATO-Einsatzes im winzigen Kosovo. Mittlerweile sind es etwa 17 000 Truppen. Im Osten Kongos herrscht noch immer Kleinkrieg verschiedener Milizen, bei dem es um den Zugang zu den Bodenschätzen in der Region geht. Doch die UN-Mission hat – zeitweise abgelöst von einer EU-Mission unter französischer Führung – durchaus dazu beigetragen, die Situation zu stabilisieren. Dr. Ulrike Koltermann, Jhg. 1971, studierte in Bonn, Jerusalem und Toulouse katholische Theologie. Ihr Bosch-Jahr verbrachte sie vor allem in Israel und den Palästinensischen Gebieten und beschäftigte sich mit der Rolle der christlichen Palästinenser. Anschließend ging sie für zwei Jahre nach Rom und promovierte über die Nahostpolitik des Vatikans. Seit 2000 arbeitet sie für die Deutsche Presse-Agentur (dpa), von 2003–2007 in Nairobi und ab Juni 2007 in Paris.


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Stiftungskolleg Aktuell

DDR in Ost und West von Dominik Helling In Stiftungskolleg Aktuell stellt in jeder Ausgabe ein aktueller Kollegiat oder eine Kollegiatin des „Stiftungskollegs für internationale Aufgaben“ seine/ihre Arbeit vor. Aus der DR Kongo schreibt Dominik Helling über die UNDP-Entwaffnung von kongolesischen Kombattanten. Die Lage in der Demokratischen Republik Kongo bleibt instabil und wenig hoffnungsvoll, trotz der größten UN-Friedensmission auf dem afrikanischen Kontinent, milliardenschwerer Unterstützung und erst kürzlich abgehaltener demokratischer Wahlen. Aus den vergangenen kriegerischen Auseinandersetzungen, die dem Land seit 1998 nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes einen Blutzoll von 3, 9 Millionen Toten abverlangten und rund 1,5 Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen machten, scheinen weder der ehemalige Kriegsfürst Jean-Pierre Bemba noch der mit 35 Jahren weltweit jüngste Präsident, Joseph Kabila, Lehren gezogen zu haben. Das zeigen die erneuten gewalttätigen Konfrontationen in Kinshasa, die internationale Besorgnis auslösten. Nach der Niederlage Bembas in den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Dezember stand die Auflösung seiner privaten Armee fest; der von der Regierung festgelegte Stichtag war der 15. März. Doch das Ultimatum verstrich, die politische Lage spitzte sich zu und eskalierte schließlich in weiteren Streitigkeiten. Im Westen des Landes verfällt die Hauptstadt in Kämpfe zwischen den Anhängern Bembas und der Nationalarmee; im Osten bedrohen Gewalttaten der Rebellengruppen einen fragilen Frieden. Daher unterstreicht der Fall Kongo die Bedeutung der Entwaffnung in Postkonfliktgesellschaften. Entwaffnung bedeutet heutzutage mehr als die Abgabe von Schusswaffen. Sie umfasst heute die drei Komponenten der ‚DDR‘ (‚Disarmament, Demobilisation and Reintegration‘). DDR bezeichnet einen Prozess, bei dem Ex-Kombattanten entwaffnet und in das zivile Leben (re)integriert werden. Ziel ist die Stabilisierung und Sicherung von Postkonfliktgesellschaften, um eine Grundlage für Wiederaufbau und nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Im Jahre 1989 nahmen die UN erstmals DDR-Projekte durch die United Nations Observer Group in Central America (ONUCA) in eine Friedensmission auf. Der Erfolg von DDR auf die politischen, militärischen, humanitären und sozio-ökonomischen Verhältnisse in Postkonfliktgesellschaften war offenkundig; nicht nur Kofi Annan (1998) bezeichnete DDR-Programme als den Schlüssel zu Stabilität und Entwicklung in diesen Nachkriegsgesellschaften. Darüber hinaus sorgten die zunehmende Bedeutung von Friedensmissionen sowie die spätestens seit dem 11. September

2001 enger werdende Verknüpfung von Entwicklungs- und Sicherheitspolitik dafür, dass die drei Buchstaben nicht nur Einzug in die Litanei von UN-Friedensmissionen hielten, sondern es als Priorität in die Agenden konfliktlösender und friedensschaffender Maßnahmen schafften. Tatsächlich stellen interdisziplinär ausgerichtete DDR-Programme weit mehr als nur einen willkommenen Einstieg der internationalen Gemeinschaft in Postkonfliktgesellschaften dar; sie zielen darauf ab, das staatliche Gewaltmonopol wieder herzustellen, friedliche Konfliktlösungsmechanismen zu reaktivieren und Alternativen zu einem Leben mit und an der Waffe aufzuzeigen. Bis zu meiner Ankunft in der Hauptstadt der Provinz Ituri, Bunia, hatte ich mich kaum mit DDR auseinander gesetzt. Doch das Thema stellte sich für mich schnell als interessantes Element in der Gesamtkonzeption meines Projektjahres im Stiftungskolleg für internationale Aufgaben heraus. Da ich ein Projekt zum Thema „Bridging the Gap – Post-Conflict State Reconstruction between Relief and Development“ begonnen hatte und ich mich dementsprechend mit den Beziehungen zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit vertraut machen wollte, bot sich ein tieferer Einstieg in die DDR-Programme an. Denn während die zwei D (Demobilisation und Disarmament) mit zu den ursprünglichen Friedensaufbaumaßnahmen zählen, erstreckt sich die ‚R-Komponente‘ (Reintegration) weit über den humanitären Bereich hinaus und in die Entwicklungszusammenarbeit hinein. Im Rahmen meiner derzeitigen Stage bei UNDP bin ich in die Planung und Durchführung der mittelerweile dritten DDR-Welle in Ituri involviert. Meine Hauptaufgabe liegt darin, eine Analyse der Konfliktlösungs- und Friedensmechanismen in Ituri und eine Evaluierung der DDR-Prozesse und ihrer Rolle im Rahmen der friedensschaffenden und -stabilisierenden Maßnahmen der UN vorzunehmen. Nachdem die Entwaffnung der Rebellen in Ituri im Jahre 2004 begann, steht in diesen Tagen die Demobilisierung der vermeintlich letzten Rebellen der FNI (Front des Nationalistes et Intégrationnistes) bevor. Dessen Anführer, Peter Karim, hat am 27. Februar 2007 seinen Worten Taten folgen lassen und zunächst 170 seiner (Kinder-)Soldaten dem DDR-Prozess überlassen. Obwohl die Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration der rund 200 000 Ex-Kombattanten in der DR Kongo nicht die „magic bullet“ zur Wiederherstellung einer friedlichen Gesellschaft darstellt, knüpft die internationale Gemeinschaft als auch die kongolesische Gesellschaft viel Hoffnung in die Entmilitarisierung – zu Recht. Dominik Helling, Jhg. 1980, hat einen Abschluß als Master in Development Studies. Sein Projekt „Staatsaufbau und Nationenbildung zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit“ führte ihn bisher u.a. zu UNDP in die DR Kongo und zur Weltbank in Timor-Leste.


Entwaffnung in Tansania

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Human Security – vom Konzept zur Wirklichkeit in Tansania von Joachim von Bonin In Tansania befindet sich derzeit keine UNO-Friedensmission. Dennoch wird hier deutlich, dass sich peacebuilding nicht auf Staatsgrenzen beschränken kann. Joachim von Bonin berichtet aus Kigoma über eine Entwaffnung der lokalen Zivilbevölkerung.

rungssicherheit, Wiederaufforstung, Reintegration von Schulkindern, Stärkung der Lokalverwaltungen und Einsammeln und Vernichten von eingeschmuggelten Waffen aus den benachbarten Krisengebieten.

Das Fußballstadion von Kigoma ist erfüllt von aufgeregtem Kinderlachen. Die Schulkinder der Stadt haben frei bekommen an diesem Morgen und tollen über das Spielfeld auf die Tribüne zu. In der Südkurve errichten Polizisten zwei haushohe Gerüste. Sie sind mit Holzspänen gefüllt und von außen mit selbst gebastelten Handwaffen, Gewehren, Pistolen und Maschinengewehren vom Typ Kalaschnikow behängt. Auf der Ehrentribüne drängeln sich politische Honoratioren, Kirchenvertreter, afrikanische Dorfälteste und UN-Diplomaten. Sie alle sind gekommen, um dabei zu sein, wenn zum ersten Mal in der Region eine öffentliche Zerstörung von Kleinwaffen stattfinden wird.

Der Anfang war schwierig. Souveräne, selbstbewusste Staaten wie Tansania lassen sich nur ungern von internationalen Organisationen beeinflussen, wenn es um sicherheitsrelevante Themen wie Banditentum oder Waffenschmuggel geht. Gleichzeitig standen sechs eigenwillige und eigenständige UN Organisationen vor der Herausforderung, gemeinsam ein Programm zu implementieren. Es galt bürokratische Hemmnisse zu überwinden, Rivalitäten zu schlichten und ein gemeinsames Team zu bilden. Am Ende haben der Leidensdruck der Bevölkerung und die gemeinsame Erkenntnis, dass etwas getan werden muss, alle an einen Tisch gebracht. Nach fast zwei Jahren kann das Programm erste Erfolge vorweisen: Über 6 000 Waffen wurden eingesammelt, hunderte Kinder sind in den Schulbetrieb reintegriert worden, Bäume wurden gepflanzt, Wassersysteme reaktiviert und landwirtschaftliche Praktiken verbessert. Kooperationen mit benachbarten Distrikten in Burundi und DRC wurden geschlossen und die lokalen Verwaltungen mit knowhow und Technik ausgestattet. Federführende Akteure sind in allen Bereichen entweder die tansanische Regierung oder lokale Nichtregierungsorganisationen. Somit wird die Nachhaltigkeit der Unterstützung gesichert, wenn die Vereinten Nationen sich zurückziehen.

Die hier geplante Vernichtung von Kleinwaffen ist Teil eines umfassenden Programms für humanitäre Sicherheit, das 2004 von den Vereinten Nationen und der Tansanischen Regierung für die Grenzregionen zu Burundi, Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo (DRC) entwickelt worden ist. Alle drei Nachbarländer haben in den letzten zwei Jahrzehnten bewaffnete Konflikte durchlebt. Tansania war in diesen bewegten Zeiten der ruhende Pol der Region, hat als Friedensstifter agiert und Flüchtlingen aus allen drei Ländern Zuflucht gewährt. Noch im Jahr 2005 hatte Tansania mit mehr als einer halben Million anerkannten Flüchtlingen und vielen inoffiziellen Immigranten die meisten Flüchtlinge Afrikas. Die legalen Flüchtlinge leben in riesigen Lagern, die wie große, verarmte Städte wirken, mit oft mehr als 40 000 Einwohnern. Für die gastgebenden Grenzregionen Kigoma Region und Kagera Region hat dieser plötzliche Bevölkerungsanstieg zu einer enormen Belastung ihrer Ressourcen geführt. Hunderttausende Menschen mehr brauchten plötzlich Trinkwasser und Feuerholz, suchten nach Einkommensmöglichkeiten und nutzten die ohnehin schon schwache staatliche Infrastruktur. In der Folge wurden ganze Landstriche für Feuerholz gerodet, arbeitslose Guerillakämpfer verdingten sich als Banditen und es kam zu Konflikten mit der gastgebenden Bevölkerung. Mit dem Human Security Programme for Northwesten Tanzania zielen die Vereinten Nationen darauf ab, der tansanischen Bevölkerung in den Grenzregionen zu helfen, mit den negativen Folgen ihrer Gastfreundschaft besser umzugehen. Sechs verschiedene UN Organisationen haben sich zusammengeschlossen, um in fünf Schwerpunktbereichen aktiv zu werden: Ernäh-

Mittlerweise ist es ruhig geworden im Stadion. Ein Regierungsvertreter tritt ans Mikrofon und beschreibt die Aktionen, mit denen die mehr als 2 000 Waffen eingesammelt worden sind, die hier heute ausgestellt werden. Er hatte eine lokale Amnestie für illegalen Waffenbesitz ausgerufen und Menschen aufgefordert, freiwillig ihre Waffen abzugeben und Verstecke zu melden. Der Erfolg und die Menge an Waffen haben alle Beteiligten überrascht. Eine tansanische Musikgruppe spielt nun auf, eine Theatergruppe erzählt über die Gefahren von Waffen in der Dorfgemeinschaft. Dann tritt der Regierungsvertreter mit einem brennenden Holzscheit an den Waffenturm. Flammen züngeln über den Waffenläufen. Zusammen mit meinen tansanischen Kollegen schaue ich zu, wie die Flammen höher und höher schlagen und es verbindet uns dieses unbeschreibliche Gefühl, gemeinsam ein kleines Stück weiter gekommen zu sein. Joachim von Bonin, Jgh. 1975, Dipl. Verwaltungswissenschaftler, war Stiftungskollegiat 2003/2004 mit Stationen in Berlin, New York, Nairobi und Khartoum. Seit 2004 arbeitet er mit UNDP in Tansania und koordiniert u.a. das Human Security Programme for Northwestern Tanzania.


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Afghanistan: Eine Bestandsaufnahme

Friedenssicherung und Wiederaufbau in Afghanistan Die Rolle funktionierender staatlicher Institutionen von Stephan Massing Es sind 5 Jahre vergangen, seitdem im „Petersberger Abkommen“ Afghanistan mit einer Regierung und einer internationalen Friedenstruppe ausgestattet wurde. Wie weit ist das Land seither gekommen? Stephan Massing liefert einen Einblick in den aktuellen Stand der afghanischen Staatenbildung und des Friedensprozesses.

behindert und dazu führt, dass in der Bereitstellung von grundlegenden Dienstleistungen (z.B. Gesundheits- und Wasserversorgung, funktionierende Schulen) für die Bevölkerung nur sehr langsam Fortschritte erzielt werden. Zu den Hauptproblemen zählen:

Mit dem im Januar 2006 auf der Londoner Konferenz beschlossenen Afghanistan Compact haben sich das Land und die internationale Gemeinschaft auf einen neuen Fahrplan mit klaren Vorgaben bis 2010 geeinigt. Ziel ist es, Afghanistans demokratische Institutionen zu festigen, sowie Wiederaufbau und Entwicklung zu beschleunigen und auf alle Teile des Landes auszudehnen.

überlappenden Zuständigkeiten verschiedener Ressorts und einer unklaren Arbeitsteilung zwischen der zentralstaatlichen und der lokalen Ebene. pSchwache institutionelle Kapazitäten sowie veraltete und überholte Verfahren in der Verwaltung, insbesondere im Bereich des Personalmanagements. pNepotismus und Korruption bei der Besetzung von Posten. pEine unzureichende Bezahlung der Beamten, die es erschwert, qualifiziertes Personal im öffentlichen Dienst zu halten bzw. für eine Tätigkeit in der Verwaltung zu gewinnen. Die internationalen Organisationen, Botschaften und NGOs verschärfen dieses Problem, da sie ein Vielfaches der Regierungsgehälter bezahlen und so zu einem regelrechten brain drain aus der Verwaltung beitragen. pEin sehr niedriger Ausbildungsstand innerhalb des öffentlichen Dienstes nach 25 Jahren Krieg und nur minimalen Investitionen in Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Beamte. Hinzu kommt eine Überalterung des Personals, welches in den nächsten 5-7 Jahren fast komplett ausgetauscht werden muss.

Die Herausforderungen für Afghanistan sind jedoch beträchtlich und kreisen, wie im Afghanistan Compact und der Afghanistan National Development Strategy hervorgehoben wird, um drei kritische Bereiche: Sicherheit, gute Regierungsführung / Rechtsstaatlichkeit und sozioökonomische Entwicklung. Während die Medien schwerpunktmäßig über die Verschlechterung der Sicherheitslage und die wachsende Drogenökonomie des Landes berichten, werden die Probleme im governance-Bereich weitgehend ausgeblendet. Starke, glaubwürdige und legitime afghanische Institutionen spielen jedoch eine Schlüsselrolle, um den Teufelskreis aus sich verschlechternder Sicherheitslage und unzureichender Entwicklung in Afghanistan zu durchbrechen. Die Herausforderungen in diesem Feld sind jedoch enorm und reichen von der Konsolidierung der repräsentativ-demokratischen Institutionen, wie z.B. dem neu gewählten Parlament, über die Schaffung eines funktionierenden Rechtssystems und der Korruptionsbekämpfung, bis hin zum Aufbau einer effizienten Verwaltung. Die Schwäche der afghanischen Regierung und Verwaltung ist dabei ein zentrales Hindernis für den statebuilding-Prozess, da sie die Durchsetzung von Reformen

In einem Workshop trainieren UNDP-Mitarbeiter afghanische Beamte zu guten Verwaltungspraktiken. Die Verwaltung in Afghanistan wird von einem niedrigen Aus- und Weiterbildungsstand der Beamten geplagt. p

pEine fragmentarische Regierungsstruktur, mit zahlreichen

Wie in vielen Post-Konflikt- oder Entwicklungsländern mit schwachen Institutionen, sog. fragile states, hat die Schwäche der Regierung zur Folge, dass sie nicht in der Lage ist, Hilfsmaßnamen und Reformen zu koordinieren und zu leiten. Projekte werden daher oftmals von den Geldgebern und nicht der Regierung initiiert und vorangetrieben, was zwangsläufig zu niedriger Eigenverantwortlichkeit (ownership) seitens der afghanischen Partner führt und teilweise dazu, dass die Geberleistungen nicht den Prioritäten der Partnerländer entsprechen.


Afghanistan: Eine Bestandsaufnahme

Auch Duplizierungen und Überlappungen von Projekten sind nicht nur die Folge einer Vielzahl von Entwicklungsakteuren, sondern insbesondere auch der schwachen Koordinierungskapazitäten der afghanischen Regierung. So wurde z.B. Anfang 2007 mit Unterstützung Südkoreas der Bau einer Verwaltungsakademie fertig gestellt. Bis heute ist jedoch trotz (oder wegen?) Beratermissionen der koreanischen Entwicklungsagentur, der Europäischen Union, und anderer Geldgeber nicht klar, an was für einem Modell sich der Unterricht orientieren soll. Die geringe Zahl von qualifizierten, englisch sprechenden Regierungsbeamten führt nicht selten dazu, dass sich Geldgeber und ausländische Berater bei Gesprächen mit den immer gleichen counterparts die Klinke in die Hand geben. Dies ist ein deutliches Zeichen für die begrenzte Fähigkeit der afghanischen Regierung, Hilfe aus dem Ausland zu absorbieren, und stellt ein ernsthaftes Problem für die Erreichung der Ziele des Afghanistan Compact dar. Wie sehr die schwachen Kapazitäten der afghanischen Regierung auch die Umsetzung von Entwicklungsprogrammen behindern, zeigt z.B. der von UNDP verwaltete Counter-NarcoticsTrust-Fund, aus dem Projekte afghanischer Ministerien zur Bekämpfung des Drogenanbaus und zur Förderung alternativer Lebensgrundlagen finanziert werden. Von den seit der Einrichtung des trust funds im Juni 2005 bereitgestellten 40 Millionen USD wurden bis Ende 2006 nur knapp 1,5 Millionen USD ausgegeben. Das Hauptproblem liegt in den mangelnden Kompetenzen der Ministerien, überhaupt Projekte zu entwickeln, und diese umzusetzen. In der Vergangenheit haben diese Probleme dazu geführt, dass ein großer Teil der Entwicklungsgelder für ausländische Berater aufgewendet wurde, welche, eingebettet in die reguläre Struktur der afghanischen Verwaltung oder in künstlich kreierten Verwaltungseinheiten, Projekte und Reformen auf den Weg bringen sollen. Ein solches Vorgehen ist unmittelbar nach einem Konflikt sinnvoll und notwendig, gilt es doch in erster Linie, schnell Ergebnisse zu erzielen und der Bevölkerung zu helfen. Auf der anderen Seite unterminiert ein solcher Ansatz mittelfristig die Fähigkeit der Regierung, die Dinge selbst in

die Hand zu nehmen. Unter dem Druck, bestimmte Resultate zu produzieren, tragen viele Berater eher dazu bei, Kapazitäten zu substituieren statt sie zu entwickeln. Gleichzeitig berücksichtigen die Berater oft nur unzureichend die Verhältnisse des Landes und die Fähigkeit, die entwickelten Reformen und Projekte überhaupt umzusetzen. So sind z.B. mit internationaler Hilfe bis 2006 über 120 neue Gesetzesvorhaben entstanden – die Mehrheit davon ist bis heute nicht ratifiziert oder umgesetzt. Zentral für den state-building-Prozess und einer der Schwerpunkte der internationalen Zusammenarbeit ist daher der Kapazitätsaufbau (capacity development) in Regierung und Verwaltung. Verschiedene Organisationen, u.a. UNDP, die Weltbank und zahlreiche bilaterale Geber sind in diesem Bereich aktiv. Die Unterstützung reicht von technischer Zusammenarbeit zur Verwaltungsreform und Umstrukturierung von Ministerien, der Einführung effizienterer Arbeitsabläufe über Trainings- und Fortbildungsmaßnahmen, bis hin zur Einführung innovativer Coaching-Ansätze für Beamte. Es ist wichtig hervorzuheben, dass diese Maßnahmen und Reformen nicht Selbstzweck sind, sondern ein Mittel mit dem langfristigen Ziel, die Bereitstellung von grundlegenden Dienstleistungen für die Bevölkerung zu verbessern. Eine der größten Herausforderungen ist es, die Unterstützung auch auf die Verwaltungsstrukturen außerhalb Kabuls auszudehnen, wo die Mehrheit der Bevölkerung lebt und öffentliche Institutionen bestenfalls schwach oder gar nicht vorhanden sind. Auch wenn angesichts der schwierigen Ausgangssituation dringender Handlungsbedarf besteht, gibt es keine Alternative dazu, auf dem Bestehenden aufzubauen und schrittweise vorzugehen. Verwaltungsreformen und capacity development brauchen Zeit. Im Gegensatz zu anderen fragile states gibt es in Afghanistan (noch) eine Regierung, welche den politischen Willen hat, das Land aufzubauen und Reformen durchzuführen. Gleichzeitig wird besonders im umkämpften Süden und Südosten des Landes deutlich, dass den Problemen Afghanistans nicht rein militärisch beizukommen ist. Die Herstellung von Sicherheit muss Hand in Hand mit dem Aufbau starker und legitimierter afghanischer Institutionen und der Erreichung sichtbarer Veränderungen im Leben der Menschen einhergehen. Stephan Massing, Jhg. 1978, hat in Berlin und Paris Politikwissenschaft studiert und von 2004 bis März 2007 in Afghanistan gearbeitet, zuletzt als Senior Programme Officer in der State Building und Government Support Unit des United Nations Development Programme (UNDP). Ab Mitte April 2007 wird er in der Fragile States Group der OECD tätig sein.

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Heft 2 erscheint im September 2007


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