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Tief im Kaukasus

Biwakfliegen lässt sich nicht planen

Von der Grenzpolizei festgenommen, von Hirten verköstigt und vom Abwind gnadenlos erwischt: Wie wild, einsam und herausfordernd ein VolBiv-Abenteuer im Kaukasus sein kann, erfahren Robert Blum und Andi Egger. In Georgien kommen die zwei Allgäuer mehr als einmal an ihre Grenzen, stellen ihren ursprünglichen Plan aufgrund von Wetter und Wind immer wieder auf den Kopf. Und dies, obwohl sie alte VolBiv-Hasen sind und schon mehrmals ganz neue Routen in exotischen Ländern erstbeflogen haben.

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Die Ponchos gewähren perfekten Schutz vor dem kalten Nass.

Zu Fuss, mit Schirm und Zelt vom Schwar- zen zum Kaspischen Meer, 1.500 Kilometer entlang des Kaukasus, das war Roberts Traum seit zehn Jahren. Die politisch unsi- chere Lage liess ein solches Vorhaben lan- ge nicht zu. Deshalb meisterte Robert ge- meinsam mit Andi in der Zwischenzeit an- dere VolBiv-Herausforderungen. Die bei- den eröffneten spektakuläre Routen ent- lang des hohen Atlas in Marokko und be- flogen den Himalaya. Nun wurde es Zeit, den Kaukasus-Plan nochmals aufzugreifen.

„Im August 2019 kommen wir mitten in der Nacht in Kutaissi an. Ein netter Priester nimmt uns in den Morgenstunden mit in die Stadt. Der erste Kontakt mit Georgien und schon sind wir von der Hilfsbereitschaft der Leute begeistert. In einem unglaublich heissen Bus geht‘s weiter nach Zagerie. Wie die Einheimischen sitzen wir auf Reissäcken. Zu Fuss steigen wir in der Mittagshitze zu einem Startplatz auf 2.000 Meter hoch und wollen das Biwakabenteuer beginnen. Die Schultern schmerzen, der Schweiss rinnt.“

In Russland geht offiziell gar nichts Die Vorbereitung war schwierig. Robert und Andi versuchten im Vorfeld Kontakte zu knüpfen, um eine Genehmigung für die russische Seite zu erhalten – leider erfolglos. Der ursprüngliche Plan, vom Schwarzen ans Kaspische Meer zu fliegen, war von russischer Seite nicht erlaubt. Sie mussten umplanen und entschlossen sich für einen kürzeren, 800 Kilometer langen Trip durch Georgien und Aserbaidschan.

„Wir fliegen entlang der Fünftausender an unzähligen Gletschern vorbei. Die Landschaft ist extrem eindrucksvoll. Nach sechs Stunden Flugzeit haben wir 110 Kilometer geschafft. Leider ist das Wetter nicht auf unserer Seite. Immer wieder fallen Regentropfen und wir müssen Unterschlupf suchen. Zum Glück finden wir eine kleine Höhle.“

Planen, umplanen, neuplanen Immer wieder sitzen Robert und Andi wet- terbedingt fest. Mehr als einmal reisen sie mit dem Bus zurück in die Hauptstadt Tiflis. Ihren Traum von einer West-Ost-Befliegung des Kaukasus mussten sie längst aufgeben. Sie planen um, wollen in der verbleibenden

Andi und Robert nutzen ein kleines Wetterfenster, um in die Luft zu kommen.

Zeit so viel wie möglich im VolBiv-Modus Georgien bereisen. Daraus ergibt sich ein abwechslungsreicher Zickzack-Kurs durchs Land. So reisen sie per Anhalter nach Kachetien ganz im Osten und gelangen zu Fuss und in der Luft von den flachen Hügeln in die hohen Berge.

„Als wir wieder in der Luft sind, steht die Sonne gut auf dem Westhang. Doch die Wolke über uns spricht nicht für diese Route. Der Abwind erwischt uns gnadenlos und wäscht uns 1.500 Höhenmeter hinunter. Die Schlucht kommt immer näher, der Wald auch. Wir landen in einem felsigen Hang ein. Zum Glück sind wir beide Okay.“

Die Gastfreundschaft ist überwältigend; obwohl die Einheimischen selber nicht viel haben, wird alles geteilt.

Immer wieder fallen Regentropfen und wir müssen Unterschlupf suchen. Mal in einer kleinen Höhle, mal unter unserem Poncho. Die Zeit, die wir in der Luft verbringen, ist gering.

Der Abwind erwischt uns gnadenlos und wäscht uns 1.500 Höhenmeter hinunter. Die Schlucht kommt immer näher, der Wald auch.

Robert Blum

Autonom in der Wildnis Die beiden sind autonom unterwegs. Haben ihr Essen und Trinkwasser – bis zu 5 Liter pro Person und Tag – dabei. Schlafen meistens im Zelt, manchmal in Höhlen. Hin und wieder treffen sie auf Hirten und bekommen einmal mehr die überwältigende Gastfreundschaft zu spüren. Sie werden versorgt mit Käse, Gemüse, Eintopf und Schnaps und das, obwohl die Hirten selbst nicht viel haben. Wenn immer es fliegt, fliegen sie. Manchmal sind sie auch mehrere Tage am Stück zu Fuss unterwegs, denn es regnet oft.

„Es kondensiert, wir gleiten los, ein langes Tal hinaus Richtung Norden, Richtung Russland. Immer wieder müssen wir durch dichte Wolken fliegen, mit dem Kompass im Whiteout Richtung halten. Plötzlich taucht eine Hütte auf. Andi landet als Erster, wird sofort von den Leuten dort angehalten. Grenzpolizei. Sie wollen unsere Genehmigung sehen. Genehmigung? Haben wir nicht. Also erst mal Pässe weg, mitkommen. Nach zwei Stunden in der Hütte bekommen wir eine Genehmigung,

Ehrensache Wind und Wetter sind nicht planbar. Robert und Andi konnten die geplante Route von West nach Ost nicht in einem Stück absolvieren. Dafür war der Abenteuerfaktor auf ihrem Zickzack-Trip durch Georgien umso höher. Ehrensache, dass die beiden ihre nervenaufreibenden Erfahrungen einer anderen deutschen Expedition weitergegeben haben. Diese wollte praktisch gleichzeitig dasselbe Projekt in Angriff nehmen. Die Landsleute konnten schliesslich mit mehr Wetterglück einen Teil von Roberts Traum verwirklichen. Allerdings – dank der Informationen von Robert und Andi – in der entgegengesetzten Richtung.

Beim Biwakfliegen weiss man nie, was als nächstes kommt. Hier war es ein breiter Fluss ohne Brücke.

Robert und Andi fliegen über den Gletscher hinweg. Hier landen zu müssen, hätte ernsthafte Konsequenzen.

Blauer Himmel ist ein selten gesehener Gast während der Expedition: Umso mehr wird er genossen.

About

Robert Blum war einer der ersten deutschen Piloten, konnte 2013 die deutsche Streckenflugmeisterschaft für sich entscheiden und hält den deutschen Rekord im FAI-Dreieck mit 287 km. Am liebsten reist er mit seinem Gleitschirm in ferne Länder auf der Suche nach Neuland. Andi Egger ist meistens mit seinem Hike&Fly- bzw. dem Biwak-Equipment anzutreffen. Seit fast 20 Jahren ist Gleitschirmfliegen fester Lebensbestandteil von ihm.

Film

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Herausgeber: ADVANCE Thun AG, Uttigenstrasse 87, 3600 Thun, Schweiz Idee & Konzept: Simon Campiche Redaktion: Raphaela Haug Layout: Bänz Erb Renderings: Mark Oertig Koordination: Tobias Rusterholz Lektorat: Hanspeter Haddenbruch, Stefan Gutmann

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Frühling 2020 © ADVANCE

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