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Beda und der rote Gurt
Vor 30 Jahren starb der Kernser Kunstmaler Beda Durrer Für einige war er ein unangenehmer Zeitgenosse – ein Spinner und Querulant. Ein Ehepaar aus Sarnen erinnert sich lieber an Bedas sanfte Seite. Und an den roten Gurt, den er an ihrer Hochzeitsfeier trug.
Im Frühjahr 1961 war folgende Kurzmeldung im «Volksfreund» zu lesen:
«Seit einiger Zeit ist im Schaufenster der Papeterie Spichtig in Sarnen ein Madonnenbild ausgestellt, das seine Beachtung verdient Beda Durrer, Hofur, Kerns, hat dieses Bild geschaffen. Früher hat Durrer sich speziell auf die Landschaftsmalerei verlegt und damit ein beachtenswertes Können ausgewiesen Ein längerer Aufenthalt in Rom und der Besuch einer bedeutenden Mal-Schule haben dem jungen Kunstmaler den Weg in die religiöse Malerei eröffnet Das ausgestellte Madonnenbild erfuhr von einem Mitglied der Kunstkommission Zug eine sehr gute Bewertung Es ist nur zu wünschen, dass entsprechende Aufträge das junge Talent unterstützen und damit die künstlerische Laufbahn fördern »
Die künstlerische Laufbahn des damals 27-jährigen Beda Durrer schlug allerdings eine etwas andere Richtung ein, als sich der «Volksfreund» dies vorgestellt hatte Der Bauernsohn kämpfte zeit seines Lebens gegen innere und äussere Widerstände, stemmte sich störrisch gegen Sitten und Konventionen und gegen alle, die von ihm erwarteten, dass er ein geregeltes und «normales» Leben führt
An dieser Stelle soll allerdings nicht das Leben und Wirken Beda Durrers nacherzählt werden Dies hat bereits ein früherer Weggefährte in derart vortrefflicher und feinfühliger Art und Weise getan, dass weitere Versuche, sich Beda Durrer anzunähern, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind Wir verweisen hier auf die Publikation des Giswilers Hanspeter Niederberger (1952–2000) in einem Buch über den Kunstmaler und «Phantasten» Beda Durrer (siehe Hinweis am Ende des Artikels)
Keine Berührungsängste
Noch unerzählt aber ist die Geschichte mit dem roten Gurt Als wäre es gestern gewesen, erinnern sich Kurt Sigrist und Agnes Wigger aus Sarnen an ihre Hochzeit vor 43 Jahren und den speziellen Gast Beda Durrer, der auf Biegen und Brechen einen roten Gurt tragen wollte Wie kam es dazu?
Dass Kurt Sigrist und Agnes Wigger, wohnhaft im Dorfkern an der Sarneraa, bereits Jahre zuvor Bekanntschaft mit Beda Durrer geschlossen hatten, lag auf der Hand Das Künstlerpaar hatte keine Berührungsängste mit Menschen, die nicht der gutbürgerlichen Norm entsprachen. Im Gegenteil: Als Kunstschaffende erweckte gerade die Weltanschauung dieser «Phantasten» ihr besonderes Interesse Zur damaligen Sarner Kulturszene, die nach der Polizeistunde bisweilen noch in der Rathausgasse 5 bei Agnes Wigger und Kurt Sigrist weiter debattierte, gehörte ab und zu auch Beda
Vorbereitung fürs Hochzeitsfest
Als Agnes und Kurt ihrem Freundeskreis kundtaten, dass sie bald heiraten und ein Fest auf dem Landenberg feiern, sollte auch Beda Durrer zu den Hochzeitsgästen gehören «Beda sagte mir aber, dass dies wohl nicht klappe», erinnert sich Agnes Wigger Der spindeldürre Kernser ernährte sich praktisch nur von Kaffee Schnaps mit Zucker Feste Nahrung ertrug sein Magen kaum –geschweige denn ein Hochzeitsmahl «Beda fürchtete, dass seine Anwesenheit unsere Feier stören würde » Gleichzeitig spürte Agnes Wigger, dass Beda liebend gern dabei wäre Und so kam sie auf eine Idee Sie sagte zu Beda: «So, jetzt wohnst du vier Wochen lang bis zur Hochzeit bei uns Jeden Tag koche ich dir ein Süppchen Du isst, was ich auf den Tisch stelle » Die einzige Regel:
Im Haus wird nicht geraucht und kein Alkohol getrunken Tatsächlich hielt sich Beda an die Abmachung
Als Kurt Sigrist – ebenfalls kein Anhänger von gutbürgerlichen Konventionen –beiläufig erwähnte, dass er bei seiner Hochzeit rote Hosen tragen werde, war für Beda Durrer klar, dass auch er rote Hosen haben muss Er wandte sich an seinen Vormund und sagte ihm, er müsse unbedingt rote Hosen für ein Hochzeitsfest beschaffen
Der Vormund glaubte ihm kein Wort Agnes
Wigger: «Eines Tages stand dann Beda mit seinem Vormund vor unserer Tür und ich bestätigte dem Vormund die Sache mit den roten Hosen »
Erfolglose Suche in Kleiderläden
Und so machten sich Beda Durrer und sein Vormund in Sarnen auf die Suche nach roten Hosen «Sie klapperten alle Kleiderläden im Dorf ab – aber wurden nicht fündig», erinnert sich Agnes Wigger lachend Kein Wunder: Rote Hosen für einen erwachsenen Mann gehörten nicht zur Garderobe, die im ländlichen Obwalden vor 43 Jahren besonders en vogue waren. Was der Vormund für Beda Durrer aber auftreiben konnte, war ein knallroter Gurt Und diesen trug er voller Stolz bei der Hochzeit von Kurt Sigrist und Agnes Wigger auf dem Landenberg «Er hat getanzt, gelacht und sogar gegessen», erinnert sich Agnes Wigger «Solange er sich nicht angegriffen und provoziert fühlte, konnte er sich wirklich benehmen » Doch auch die andere Seite blieb ihnen nicht verborgen Die unzähligen Briefe, die Beda Durrer über Jahre hinweg an Behörden verschickte, landeten als Kopie oft auch bei seinen Weggefährten Durrer deckte die Behörden mit Schlötterlingen ein Dass er unter Vormundschaft gestellt war, dass seine Bilder zu Spottpreisen zwangsversteigert wurden, dass man ihn, den grossen Künstler, stets in Fesseln legen wollte – all dies quittierte Beda mit Rundumschlägen In den vielen Briefen, die heute im Staatsarchiv lagern, muss man nicht lange nach übelsten Beschimpfungen suchen Und nüchtern prangt jeweils ein Stempel auf den Briefen: «Kenntnisnahme durch den Regierungsrat am » , gefolgt vom Datum
Ausstellungsprojekt scheiterte
Für den Bildhauer Kurt Sigrist, der sich seit Jahrzehnten überregional in der Kunst- und Kulturszene bewegt, ist klar: Beda Durrer war oft Unrecht widerfahren. Doch auch seine psychischen Erkrankungen – in Durrers jungen Jahren wurde eine Schizophrenie diagnostiziert – waren offensichtlich «Was die Malerei betrifft, hatte Beda das Handwerk gelernt und besass gewiss auch das nötige Talent.» Die Kreativität allerdings, die einen Künstler auszeichnet, erkennt Sigrist weniger in Beda Durrers traditionsverhafteten Bildmotiven, sondern vielmehr in seinen skizzierten oder zu verschlüsselten Bildern ausgestalteten und teils als Modell angefertigten «Erfindungen» – beispielsweise futuristische Entwürfe von Satelliten und Fahrzeugen wie dem «Schneewal» Aus künstlerischer Sicht hätten diese Kreationen in die damals hochaktuelle Stilrichtung «Individuelle Mythologie» gepasst; eine Art «Aussenseiterkunst», wie es Kurt Sigrist formuliert Als der bekannte Kurator Jean-Christophe Ammann im Kunstmuseum Luzern eine Ausstellung plante, zeigte er – auf Anregung von Kurt Sigrist hin – tatsächlich Interesse an Beda Durrers Modellen und Erfindungen «Doch Beda, dem klassischen Kunstbegriff verhaftet, wollte nur seine traditionellen Bilder ausstellen», erinnert sich Sigrist Das Problem: In der wirren Gedankenwelt von Beda Durrer handelte es sich bei seinen Erfindungen nicht um
Kunst, sondern um revolutionäre Ideen, die nicht ausgestellt, sondern patentiert werden müssen – und danach Millionen Franken Gewinn einbringen. Beda Durrer nahm es Kurt Sigrist übel, dass er ihn dazu bringen wollte, seine «Erfindungen» als Kunstobjekte einem grossen Publikum zu zeigen «Er taxierte uns als Komplizen einer Mafia, die versucht, ihn hereinzulegen und auf diesem Weg seine Erfindungen zu ‹knacken›», erzählt Sigrist «Und so scheiterte das Ausstellungsprojekt » Daraufhin trennten sich ihre Wege Bedas Besuche bei Kurt und Agnes blieben aus
Beda Durrer starb am 31 Januar 1993 an Krebs Wenn sich Kurt Sigrist und Agnes Wigger heute, genau 30 Jahre später, an ihn erinnern, dann denken sie nicht an den misstrauischen, aufbrausenden oder kranken Beda, sondern an die Momente, in denen er glücklich war Und am allerliebsten an die Geschichte mit dem roten Gurt (ve)
Hinweis: Der Beitrag über Beda Durrer findet sich im Buch von Romano Cuonz und Hanspeter Niederberger («Hotelkönig, Fabrikant: Franz Josef Bucher; Bergbahnbauer, Erfinder: Josef Durrer; Kunstmaler, Phantast: Beda Durrer» Edition Magma, 1998 ) Erhältlich in der Kantonsbibliothek