Wildfluss Rissbach

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WILDER FLUSS Die einstigen Wildflüsse der Alpen fließen nur noch selten wild und frei. Gerade einmal 10 Prozent der Alpenflüsse sind in ihrer Ursprünglichkeit erhalten. Der Rest ist verbaut, begradigt, gezähmt. Der Rißbach im Naturpark Karwendel ist noch so ein wilder Fluss. Sein Wasser hat eine unglaubliche Kraft und die Naturnähe des Flusses ermöglicht ein stetiges Wandeln. Mal verläuft der Fluss hier, mal dort. Mitgerissene Steine und Substrat werden umgelagert, manchmal entstehen Inseln. Bei Hochwasser kann sich auch der gesamte Flussverlauf ändern. Bereiche mit Vegetation stehen plötzlich unter Wasser und andere fallen trocken. Ein ewiger Wechsel von Zerstörung und neuem Entstehen, gepaart mit dem Unvorhersehbaren. Das macht einen Wildfluss so „wild“.


INHALT Der Rißbach Kraft des Wassers Projekte Leben im Fluss Der Flussuferläufer Übersichtskarte Arten am Wildfluss Wandertipp Naturparkhaus Hinterriß Naturpark Karwendel Weitere Infos

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DER RISSBACH schlängelt sich über 30 Kilometer durch die Landschaft des Karwendels und verbindet gewissermaßen Tirol mit Bayern. Sein Ursprung liegt im Enger Grund, auf etwa 1200m, wo mehrere Quellbäche zusammenfließen. Erst ab den Hagelhütten wird er Rißbach genannt. Nördlich von Hinterriß überschreitet er die Landesgrenze und mündet bei Vorderriß in die Isar. Ganz unbeeinflusst durch die menschliche Hand ist er nicht: Kurz vor der Mündung wird Wasser zum Kraftwerk Niedernach abgeleitet. Im Gesamten verfügt er aber über alle Eigenschaften eines Wildflusses. Ein Fluss von unglaublicher Schönheit und Dynamik.


BESONDERHEITEN Bei seiner Mündung in die Isar hat das Flussbett des Rißbachs eine Breite von über 300 Metern. Aber auch im Naturpark Karwendel, also auf der Tiroler Seite, ist es stellenweise sehr breit. In einem verästelten System aus Flussarmen und Schotterinseln schlängelt sich der Rißbach durch das Tal. An seinen Rändern befinden sich oft Altarme, die den Anschluss zum Hauptflussbett verloren haben, sowie weitere kleine Stillgewässer. In diesen ruhigeren Bereichen kommen Grasfrösche, Erdkröten und Libellen wie die Blaugrüne Mosaikjungfer vor. Zwischendrin, im Bereich der deutsch-österreichischen Staatsgrenze und nordwärts, wandelt sich der Charakter des Rißbachs. Der Fluss hat sich über Jahrtausende in die Kalkfelsen gegraben und eine tiefe Klamm gebildet. Rauschend und tosend donnert das Wasser mit gewaltiger Kraft durch die Felsschlucht. Entlang dieser etwa einen Kilometer langen Strecke stürzt es über mehrere Felsstufen teilweise bis zu sieben Meter in die Tiefe. Die Rißbachklamm ist nicht erschlossen, lässt sich aber gut von der Straße aus bestaunen. 5


HOCHWASSER Zur Zeit der Schneeschmelze im Frühjahr und Frühsommer führt der Rißbach viel Wasser. Starkregen lässt die Wassermenge aber auch in den Sommermonaten innerhalb weniger Stunden deutlich ansteigen. Der sonst klare, türkisfarbene Rißbach färbt sich dann in ein trübes Graubraun, reißt Vegetation mit sich und überschwemmt die umliegenden Wiesen. Sinkt der Wasserspiegel wieder, zeigt sich die Landschaft stark verändert. Der Rißbach als Gestalter. Oder: eine Landschaft im Fluss.


Normalwasser

Hochwasser

Uferdynamik

Ăœberschwemmung 7


PROJEKTE JOHANNISBACHAU – Das Feuchtgebiet „Johannisau“ liegt im Bereich der Mündung in den Rißbach. Hier findet sich ein Mosaik aus ineinander verzahnten vielfältigen Strukturen aus

RENATURIERUNG – In den Jahren 2013 und 2014 wurde der Rißbach an mehreren verbauten Stellen wieder in seinen ursprünglichen, „wilden“ Zustand versetzt. Um dem Fluss wieder Raum für seine Ausbreitung zu geben, wurden die Ufer aufgeweitet und die künstlichen Dammschüttungen und Blockwürfe entfernt. An der Umsetzung waren der WWF, die Österreichische Nationalbank und der Naturpark Karwendel maßgeblich beteiligt. Von der wiedergewonnenen Flussdynamik profitieren Ökologie und natürlicher Hochwasserschutz gleichermaßen.

Quellbereichen, Klein- und Großseggen sowie Wollgraswiesen und Moospolstern. Die Au gilt als vielfältigster Feuchtgebietsstandort im gesamten Rißtal und daher als besonders schützenswert. Um einen entsprechenden Schutz zu gewährleisten erfolgt eine Weidefreistellung: Jeden Sommer wird der sensible Bereich von circa 20 ha eingezäunt und vor Viehvertritt geschützt.


LEBEN IM FLUSS Ein entscheidender Faktor für die im Rißbach lebenden Organismen ist die Strömung. Sie sorgt für Sauerstoff und Nahrung, bringt aber auch die Gefahr mit sich, abgeschwemmt zu werden. Nur Tierarten mit besonderen Anpassungsfähigkeiten können diesen Lebensraum besiedeln. Die Bachforelle etwa hat eine stromlinienförmige Körperform, die Koppe (rechts unten) eine gänzlich abgeflachte. Andere Wildfluss-Bewohner haben hingegen spezielle Fertigkeiten ausgeprägt, um sich an Steinen festzuhalten: Die Larven der Kriebelmücke (siehe Bild rechts oben) verankern sich mit einem am Hinterleib befindlichen Hakenkranz, die Larven der Lidmücken besitzen Saugnäpfe. Eintagsfliegenlarven halten sich dagegen auf der Unterseite von Steinen auf – hier herrscht teils völlige Strömungsruhe.

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Sich Zeit nehmen. Auf den Ort einlassen. Ver weilen. Lauschen. Sinne aktivieren. Gedanken in den Fluss kommen lassen.


IN ZWEI WELTEN ZUHAUSE Den Winter verbringt der Flussuferläufer im warmen Afrika, um im April eine weite Flugstrecke auf sich zu nehmen und zum Brüten an die europäischen Flüsse zurückzukehren. Doch es werden immer weniger: Die verbauten Flüsse werden seinen Lebensraumansprüchen nicht mehr gerecht. Der Flussuferläufer zählt in Österreich bereits zu den stark gefährdeten Vogelarten. Am Rißbach findet er noch, was er braucht: einen wilden Fluss mit herrlichen Schotterbänken. Jedes Jahr besetzen bis zu sechs Brutpaare ihr Revier – ein wahrer Erfolg! Störungen während der Brutzeit machen dem Flussuferläufer allerdings zu schaffen. Die Schotterbänke daher bitte zwischen 15. April und 15. August nicht betreten!


Regelmäßige Kontrollen des Brutvorkommens durch die Naturpark-Ranger

Einzäunung der besonders sensiblen Gebiete während der Brutzeit vom 15. April bis zum 15. August zum Schutz vor Störungen durch Mensch und Vieh

Bewusstseinsbildung im Rahmen von Exkursionen, Vorträgen und Gesprächen

Besucherlenkung durch Informationstafeln, Postkarten und Gespräche


ROTFLÜGELIGE SCHNARRSCHRECKE Wer zwischen August und Oktober entlang des Rißbachs wandert, dem wird immer wieder ein klapperndes Schnarren auffallen. Es sind die Rotflügeligen und Gefleckten Schnarrschrecken, die dieses Geräusch mit ihren Hinterflügeln erzeugen. Zusammen mit dem erst im Flug erkennbaren Rot der Flügel wirkt das sehr überraschend und soll Fressfeinde abschrecken. Eher erschreckend ist allerdings der Seltenheitswert dieser stark gefährdeten Arten. Die trockenen und steinigen Bereiche am naturnahen und unverbauten Rißbach bieten jedoch ideale Bedingungen. Zahlreiche Erhebungen der Naturpark Ranger haben dies bestätigt. Also, Augen und Ohren auf, besonders zwischen der Mautstelle und der Johannisbachau!

GEFLECKTE SCHNARRSCHRECKE 18


ARTEN AM WILDFLUSS

FLUSSUFER-RIESENWOLFSSPINNE

Mit einer Größe von 7 cm zählt sie zu den größten, aber auch gefährdetsten Spinnen Mitteleuropas. In den sandigen, ufernahen Bereichen des Rißbachs findet sie noch einen Lebensraum. Wer nach ihr Ausschau halten möchte, kann ab Mitte August den Bereich zwischen Parkplatz 2 und Parkplatz 3 absuchen. Hier lassen sich trichterartige Löcher im Boden erkennen – mit Spinnseide ausgekleideten Wohnröhren. Bei Überschwemmung können sie verschlossen werden. Die Spinne überlebt in der eingeschlossenen Luftblase.

DEUTSCHE TAMARISKE

Die Deutsche Tamariske gilt als Pionierart der Alpenflüsse und besiedelt offene Kies- und Schotterbänke. Diese gibt es am Rißbach zur Genüge. In der Brandau finden wir einen absoluten Hotspot dieser gefährdeten Pflanzenart. Der etwa 2 m hohe, immergrüne Strauch lässt sich gut an seiner silbergrünen Farbe erkennen. Auf Schotterbänken, die nicht regelmäßig überflutet werden, wird die Tamariske zunehmend von Weiden und Grauerlen verdrängt. Eine natürliche Flussdynamik mit Hochwasserereignissen ist also ganz entscheidend für ihr Aufkommen. 19


ALPENSCHWEMMLINGE Pflanzen, die mit dem Wasser von hochgelegenen Gebirgsregionen in tiefere Lagen geschwemmt werden und dann für sie untypische Standorte besiedeln, nennt man Alpenschwemmlinge. Auf den Schotterbänken des Rißbachs sind einige von ihnen zu finden: die Silberwurz, das Alpen-Leinkraut oder der Blaugrüne Steinbrech. Vereinzelt zeigt sich auch das Edelweiß. Bei einer Wanderung lässt sich überprüfen, ob die auf diesen beiden Seiten vorgestellten Arten auch auf den Gipfeln rund um den Rißbach zu finden sind. In den Tal-Lagen blühen die Arten aufgrund der milderen Temperaturen allerdings etwas früher als im Gebirge. Alpen-Leinkraut


ARTEN AM WILDFLUSS

Blaugrüner Steinbrech

Stängelloser Kalk-Enzian

Silberwurz

Alpen-Edelweiß 21


FLORA Bittere Kreuzblume

Fetthennen-Steinbrech

Fliegenragwurz

Gämskresse

Gemeines Fettkraut

Mehlprimel

Niedliche Glockenblume

Wollgras


ARTEN AM WILDFLUSS

FAUNA

Blaugr체ne Mosaikjungfer

Bachstelze

Grasfrosch 23

Ringelnatter

G채nses채ger

Gebirgsstelze

Sandlaufk채fer

Wasseramsel


WANDERTIPP

Johannistal-Runde leicht | Gehzeit: 2h | Weglänge: 7km

Neben imposanten Blicken in die tiefe Schlucht des Johannisbachs und auf seinen breiten Mündungsfächer in den Rißbach sind hier auch schöne Aubereiche zu finden. Ausgangspunkt ist der Parkplatz 2 auf der Straße ins Rißtal. Auf dem Forstweg bis zur ersten Abzweigung, dann Richtung Johannistal. Bei der zweiten Abzweigung links und dem unbeschilderten Weg folgen. Wir überqueren den Johannisbach und gelangen erneut auf eine Forststraße. Nach links Richtung Parkplatz 4 und auf der Straße zurück zum Startpunkt. Weitere Wandertipps auf www.karwendel.org und in unserem Kompass Wanderführer.

NATURPARKHAUS Das Naturparkhaus Hinterriß wurde 2009 eröffnet und beherbergt ein innovatives Museum. Zudem verfügt es über einen kleinen Shop und ist Veranstaltungsort für regelmäßige Vorträge und Exkursionen. Im Freibereich warten ein Lehrpfad zum Goldenen Nagel und ein Geocache-Trail auf Wissbegierige und Abenteuerlustige. Das Naturparkhaus ist von Mai bis Oktober von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ins Museum kostet für Erwachsene 3 Euro, Kinder bis 14 Jahre gehen frei. 24


DER NATURPARK Der Naturpark Karwendel ist mit einer Fläche von 727 km² der größte Naturpark Österreichs. Das Gebiet verfügt über einen überdurchschnittlich hohen Anteil an natürlichen Lebensräumen wie Urwälder und Wildflüsse. Zudem beherbergt es eine sehr hohe Artenvielfalt. Klassische Nutzungsformen wie Alm- und Forstwirtschaft sowie die Jagd spielen eine wichtige Rolle und prägen das Gebiet seit Jahrhunderten. Das Karwendel weist eine 150-jährige alpintouristische Geschichte auf und wird jährlich von über einer Million Menschen besucht. 1928 Der zentrale Teil des Karwendelgebirges wird zum Naturschutzgebiet erklärt. 1989 Neuverordnungen legen neue Schutzziele und die heutige Ausdehnung fest. 1995 Das Karwendel wird als Natura 2000-Gebiet gemeldet. 2004 Renaturierung der Karwendel-Moore. 2008 Der Verein Naturpark Karwendel wird gegründet. 2013 Beginn der Rückbauten am Rißbach und Start des Flussuferläufer-Projektes

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REICHTUM KARWENDEL WASSERreich – 340 Quellen sprudeln im Naturpark Karwendel. Die bekanntesten sind die Mühlauer Quellen, die Innsbruck mit Wasser versorgen. WALDreich – Über 50 Prozent des Karwendels sind bewaldet. Auf 512 Hektar sind Naturwaldreservate eingerichtet: Hier findet keine forstwirtschaftliche Nutzung statt, was zur Entstehung kleiner Urwälder führt. ALMENreich – 101 Almen gibt es im Naturpark. Etwa 7400 Rinder verbringen ihren Sommer auf einer Alm im Karwendel. STEINreich – Charakteristisch für das Karwendel ist der viele Schotter. In manch einem Stein finden sich tolle Fossilienabdrücke. Eine weitere Besonderheit ist der Ölschiefer, der im Bächental abgebaut und zu hochwertigen Arznei- und Kosmetikprodukten verarbeitet wird. GIPFELreich – 120 Gipfel sind höher als 2000 m. Die höchste Erhebung im Karwendel ist die Birkkarspitze mit 2749 m. ARTENreich – Das Karwendel beherbergt 1305 Pflanzen- und 3035 Tierarten, darunter etwa 96 Brutvogelarten, hunderte Schmetterlings- und über 2200 Käferarten. Der Steinadler hat hier die größte Populationsdichte im gesamten Alpenbogen. 26


VERHALTENSREGELN

Karwendel Top 10 in der Nähe

Der Naturpark hütet wahre Schätze. Nur gemeinsam können wir sie schützen.

Hunde bitte ausnahmslos an der Leine führen

Enklave Hinterriß

Großer Ahornboden

Lalidererwände

Impressum Naturpark Karwendel, Unterer Stadtplatz 19, 6060 Hall in Tirol, Österreich | info@karwendel.org, www.karwendel.org, +43 (0)5245 28914 | Text: Sina Hölscher | Gestaltung: Alexander Erler Bilder P. Buchner/Birdlife (12), G & M Dahmen (13 oben), M. Entelmann (23 re Mitte oben), V. Heimer/Imagebroker (14 Mitte unten), A. Heufelder (19 unten, 20, 23 li li unten, 26 unten), S. Hölscher (7 oben/unten, 14 re unten, 16, 17 li oben, 17 Mitte oben, 17 unten, 18 oben, 21 oben, 22 li oben, 22 li Mitte oben, 22 re Mitte oben, 22 re re oben, 22 li Mitte unten, 22 re re unten, 25 unten), R. Hölzl (2, 3, 5 unten, 23 re re unten, 24 oben), R. Hofer (9 oben, 21 unten), O. Leiner (26 oben, 27 re), Naturpark Karwendel (19 oben, 21 groß, 22 re Mitte unten, 24 unten, 27 li), M. Schödl (5 oben), S. Pilloni (7 groß, 13 unten, 14 oben, 14 li unten, 17 re oben, 18 unten, 22 li li unten, 23 li Mitte oben, 23 li Mitte unten, 25 oben), S. Rainer (8 li), C. Romeiks (23 re re oben), H. Schick (23 li li oben), H. Sonntag (7 Mitte, 8 re, 17 li, 21 Mitte, 23 re Mitte unten), P. Steinmüller (27 Mitte), S. Wolf (1, 4, 6, 10, 11, 28), C. Zimmermann (9 unten). Brutstatistik (15) nach Landmann/Stecher/Grimm & Schwarzenberger/Hölscher & Pilloni. Karte: Czell et al, G. Haselwanter, A. Heufelder, S. Hölscher, R. Hölzl, Naturpark Karwendel, H. Sonntag

Bitte die Wege nicht verlassen Mit Ausnahme der Mautstraßen ist das Befahren von Wegen mit Kraftfahrzeugen verboten Zum Wohle der Tiere und deren Lebensraum bitte nicht lärmen und stören Campieren verboten

Offenes Feuer verboten

Druck Stern Druck, Fügen. Gedruckt auf FSC-Papier (Symbol Freelife Satin). Certificate Code: TSUD-COC-000062

Abfälle und Essensreste bitte mitnehmen

Bitte keine Pflanzen pflücken oder ausgraben

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karwendel.org


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