Thomas Behling Bildobjekte
Thomas Behling Bildobjekte
Inszenierte Bildarchäologie Thomas Behlings Fundstück-Kunst zwischen Welt und Wolke von Rainer Beßling
Der Lack auf den Rahmen ist abgeplatzt, mancher Malgrund fahl und ausgeblüht, die Farbe verblasst. Diese Bilder können ihr Alter nicht leugnen. Auch auf den Motiven liegt Patina: Das Porträt eines Mannes, schätzungsweise um 1900 entstanden, eine Stadtansicht vermutlich noch älteren Datums, eine Jesus-Statue als Andachtskärtchen, dekorative florale Ornamente. Und wo Blümchen als natürliche Applikation das Jahrhundert nicht überstanden haben, heben sie sich umrisshaft ab neben vergilbtem Papier. Thomas Behling führt den Betrachter mit seinen Bildern in eine vergangene Epoche. Die Spur führt in die Zeit der Andachtsbilder, der romantischen Landschaften, stimmungsvollen Stadtsilhouetten und strengen Bildnisse in Sepiatönen, die Wohnzimmer schmückten und deren Bewohnern zur Erbauung dienen sollten. Die Lackschäden und Fehlstellen belegen den ehemals regen Gebrauch der Devotionalien. Sie verweisen aber auch auf wenig achtsame Lagerung, lieblose Entsorgung oder einfach das Schicksal zeitgebundener Dekoration, Gläubigkeit und Naturfrömmigkeit. Zwischen den Bildern und dem Publikum von heute liegt mehr als eine Epoche. Beide trennen ästhetische und mentale Welten. Die Zeitreise, die Behling mit seiner Kunst inszeniert, lässt uns nicht unberührt. Je nach Gemütslage und Verbindung mit dem Nachklang vergangener Generationen lösen die Arbeiten Heiterkeit oder Befremden aus. Vor allem aber gelingt ihnen Irritation. Denn was auf den ersten Blick als Relikt erscheint, verrät bei genauerem Hinsehen massive Interventionen, und schließlich kann sich der Betrachter nicht mehr sicher sein, was Fundstück ist und was Erfindung. Ein junger Mann mit Stehkragen, Fliege, korrektem Mittelscheitel und würdevollem
o.T., 2009
Blick auf einer Fotografie im repräsentativen Oval-Passepartout könnte einen Platz
Acryl (irisierendes Pigment) auf Fotografie, Passepartout
in jeder Ahnengalerie reklamieren. Um solche Konterfeis ranken sich Geschichten
68 x 58 cm
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und Legenden, Nachgeborene lassen einen Ahnen wie diesen gewichtige Sätze sprechen, für den Uneingeweihten ist es ein fremdes Gesicht voller Rätsel, ein Unbekannter, inzwischen Verblichener, der im Moment der Fotositzung noch gespannt auf sein künftiges Leben blicken konnte. Thomas Behling lässt Wolken um das Gesicht kreisen, stützt damit die ätherische Anmutung des Bildnisses und legt dem Porträtierten eine offene Sprechblase in den Mund. Wolken zählen zum Kernvokabular des Bremer Künstlers. Stofflich zwischen Materie und dem Reich der Ideen angesiedelt, Chiffre für dunstige Erscheinungen und neblige Unschärfen, treten sie als Attribute des Überirdischen auf. Wenn solch ein Wölkchen einem steinernen Jesus zwischen die ausgebreiteten Hände kommt, scheint die Statue nicht bloß zu schweben, der Betrachter meint, dem Gottessohn bei der Wundermodellierung zuschauen zu dürfen. Thomas Behling verleiht seinen Arbeiten die Anmutung von Flohmarkt- und Dachbodenentdeckungen und spielt ihnen hintergründige und abgründige Störfaktoren zu. Der Betrachter kann sich letztlich nicht sicher sein, welche Gebrauchsspuren der Zeit und welche dem Künstler zuzuschreiben sind. Auch nicht jede erhabene Silhouette darf wahrhaftige Ikonenherkunft behaupten. So wirkt die Arbeit „Lost Idol“ dem Anschein nach wie ein Heiligenbild, bei dem die Farbe der Hauptfigur abgeblättert ist und der Holzgrund zum Vorschein kommt. Im Schaukasten liegen Kunstblumenreste, Staub, Insektendreck, Glitzer- und Farbkrümel. Das Objekt gibt sich Mühe, authentisch zu wirken, doch nur ein Bruchteil daran ist alt. Worauf zielt diese Strategie? Spaß am Fake? Bloßes Partisanentum? Die Identifizierung der Täuschungsmanöver ist eine angenehm leichte Form der Demaskierung devot frömmelnder Bildgläubigkeit. Wer vertraut schon der „wahren Ikone“? Bilder sind irdische Machwerke, das weiß man mit „Lost Idol“, darum verlieren sich Idole. Wenn er sich schon ein Bild von göttlichen Sendungen und Eingebungen macht, dann folgt Behling einem erdgebundenen Horizont. So kann er sich „Mariä Empfängnis“ nicht anders denn als körpernahe Ankunft eines beflügelten Himmelsboten vorstellen. In barocker Kulisse wird das halbe Engelsreich Zeuge äußerst aktiver
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Jesus, 2009
Verkündigung und hingebungsvoller Empfängnis. Ein Kunstdruck nach handgemal-
Acryl auf Kunstdruck, verglaster Rahmen, 27 x 20 cm 9
ter Vorlage des Künstlers, klar, dass so etwas nicht am Pilgerweg angeboten wird. 5
Aber weil Behling mit den stilistischen Waffen der Frömmigkeit operiert, tritt das Gotteslästerliche der Aktion einen Wimpernschlag lang fast im gleißenden Himmelsschein zurück hinter den Wunderglauben. Neben Heiligen als golden bekränzte Idole, die sich nahezu aufgelöst oder in ein Schattendasein zurück gezogen haben, bevölkern auch mehr oder weniger amorphe Stellvertreter der Sterblichen die Bilder Behlings. Auf Knien, kauernd, mehr klobige Masse als Körper, befinden sie sich in einem Vorstadium des aufrechten Gangs oder in Dauerdemut. In dem Bild „Rotenfels“ schwebt solch ein Wesen über einer Hügelkette. Das kann als Allegorie des heimat- und ruhelosen Erdbewohners durchgehen, der als entwurzelter Trabant um seinen Planeten kreist. Im diesem konkreten Fall zielt der Künstler auf eine bevorzugte Erhebung für Selbstmörder ab. Fallender Körper und entschwebende Seelenhülle mögen sich so in der schwarzen Gestalt vereinen. Mit Wesen aus dem Gruselkabinett der Märchen und selbst entworfenen Schreckgestalten reichert Behling das Repertoire seiner Bildprotagonisten an. Von Bedrohungskündern und Bedenkenträgern auf der einen, von Heilsboten und Gnadenbringern auf der anderen Seite flankiert, weiß der Mensch sich nur zu ducken und sich kaum ein Bild zu machen vom Übersinnlichen und Eigensinnigen. Entsprechend der Wolkigkeit dieser Weltenwanderung bleibt in den inszenierten Fundstücken Thomas Behlings vieles in schöner Schwebe: der vermeintlich historische Fund, die Frömmigkeit, die Naturverklärung und gerahmte Familienidylle von einst, unser Bild von anno dazumal und der Eingriff des Künstlers.
der Rotenfels, 2009 Acryl auf Hartfaserplatte, verglaster Rahmen, 35 x 41 cm 6
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Blumenbild, 2008
Engel (III), 2007
vergilbtes Papier, verglaster Rahmen, 21 x 16 cm
Acryl auf Kunstdruck, verglaster Rahmen, 44 x 39 cm
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o.T., 2009
Schรถner Himmel, 2009
Acryl auf Karton, verglaster Rahmen
Acryl, ร l auf Hartfaserplatte, Rahmen mit Deko-Aufbau
30 x 24 cm
124 x 66 x 8 cm
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lost idol (I), 2009 Acryl auf Hartfaserplatte, Kunstblumen, Farbkrümel/Staub, verglaster Schaukasten, 61 x 46 x 16 cm Das vermeintlich alte Heiligenbild einschließlich des Holzgrundes ist vollständig eine malerische Illusion. Der Titel „lost idol“ ist in den
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Schöne junge Frau, ja was ham Sie denn?, 2008
Rahmen gekratzt, vergleichbar Inschriften in U-Bahnen oder öffent-
Acryl auf Kunstdruck, verglaster Rahmen, 37 x 30 cm
lichen Toiletten. 13
Mariä Empfängnis, 2009 Der „heilige Geist“ (die Taube) ist von der Bildrückseite
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illuminiert. Kunstdruck nach eigener Vorlage, technische
RIVA dei SCHIAVONI, 2009
Vorrichtung, verglaster Rahmen, 55 x 75 x 11 cm
Acryl auf Kunstdruck, verglaster Rahmen, 20 x 30 cm
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ich mag mich (II), 2009
Aufsteigender Heiliger, 2009
Acryl, verschiedene Schlagmetalle, Bleistift auf
Acryl, Blattgold auf Hartfaserplatte, verglaster
Hartfaserplatte, verglaster Rahmen, 32 x 25 cm
Rahmen, 38 x 29 cm
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Heiligenschrein (III), 2008 Acryl, Blattgold auf Acrylglas, verglaster Schaukasten, technische Vorrichtung, 80 x 59 x 13 cm Das Bild weint ununterbrochen eine blutrote Flüssigkeit. Die Rinnsale trocknen als schwärzlichrote Spuren auf dem Bild. Am Fuß des Bildes steht im Schaukasten eine
Der wilde Mann, 2008, Acryl, Buntstift auf Hartfaserplatte,
„Blutlache“. Ein verborgener Mechanismus sorgt für den Rückfluss.
verglaster Rahmen, 35 x 41 cm
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Erschienen im Rahmen der Ausstellung TRASHMIGRATION ALPINEUM PRODUZENTENGALERIE LUZERN www.alpineum.com Dieser Katalog wurde produziert mit freundlicher Unterstützung der Galerie Eulenspiegel / Basel www.galerieeulenspiegel.ch