2/2005 März-April Deutschland € 3,90 / Österreich € 4,40 / Schweiz Sfr. 7,60
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TRANSALP
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Ăœber alle Berge Eine AlpenĂźberquerung mit dem Trekkingbike ist als Erlebnis kaum zu toppen. Wir haben das Abenteuer gewagt und erlebten das Radfahren in seiner dritten Dimension.
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F端r Wanderer und Radfahrer reserviert: die Via Claudia bei Nauders. Mittelalterliches Highlight: die historische Altstadt von Glurns.
TOM BIERL ❘ text & fotos
ieses Gefühl wird keiner von uns jemals vergessen. Vor drei Tagen waren wir mit unseren Trekkingrädern in Mittenwald aufgebrochen, heute erklimmen wir bereits den Alpenhauptkamm. Die Stimmung ist überwältigend. „Von nun an geht es nur noch bergab, Italien wir kommen“, ruft Anke begeistert. Wie im Rausch überqueren wir den Reschenpass und lassen das gigantische Panorama auf uns wirken. Vor uns liegt der türkisfarbene Reschensee mit seinem versunkenen Dorf und dem als Mahnmal aus dem Wasser ragenden Kirchturm. Dahinter baut sich die mit ewigem Eis bedeckte Gipfelgruppe des OrtlerMassivs auf. 14 Dreitausender thronen von hier aus mächtig über dem Südtiroler Vinschgau, das sich nicht nur als größter Apfelgarten der Welt einen Namen machte. Schon vor knapp 2000 Jahren legte hier das mächtige Römische Reich die wichtigste Handelsstraße über die Alpen an, die „Via Claudia Augusta“. Damals wie heute gilt die Verbindung von Venedig nach Augsburg über den Reschenpass als leichteste Variante, die Bergwelt zu bezwingen. Auch für Radfahrer des 21. Jahrhunderts ist die historische Strecke die einfachste und gleichzeitig die kulturträchtigste Route über die Alpen. Denn dort, wo Jahrhunderte lang wichtige Handelsgüter transportiert wurden, entwickelten sich reiche Dörfer, mächtige Schutzburgen, verwinkelte Klöster und prächtige Städte. Zu allem Überfluss kam in den letzten zehn Jahren noch eines dazu. Die Via Claudia
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Augusta wurde von Augsburg nach Venedig nicht nur als Fernradweg ausgeschildert, sondern Stück für Stück zum beinahe komplett verkehrsfreien Radweg ausgebaut. Fast ohne lästigen Verkehr und Abgasgestank lassen sich darauf die Alpen bezwingen. Um die Bergwelt und unser Rad noch intensiver genießen zu können, vertrauten wir uns zudem einem speziellen Radreiseveranstalter an. Denn eine Alpenüberquerung ohne gewichtiges Gepäck am Rad macht erst richtig frei von allen Alltagsmühen und lässt einen die Höhepunkte noch mehr genießen. So sausen unsere Räder unbelastet dem Gardasee entgegen. Wohl wissend, der nächste Anstieg kommt bestimmt. „Transalp Trekking“ nennt der Reiseveranstalter Alps in München die das erste Mal in diesem Jahr angebotene AlpenTour. Die Idee dazu, erklärt uns Anke, wurde ursprünglich auf dem Sattel ihres Mountainbikes geboren. Seit mehr als zehn Jahren führt Anke als Tourguide Mountainbiker von Bayern an den Gardasee, überwiegend auf versteckten Wald- und Forstwegen inmitten der Natur. Das sportliche Konzept wurde jetzt auf Trekkingbiker übertragen. So folgt die Strecke nicht einfach dem ausgeschilderten Radweg, sondern steuert viele selbstgesuchte Geheimtipps an. Wer einmal den Etschradweg von Meran bis Verona abgestrampelt hat, versteht die Idee, die hinter einer geführten Alpenüberquerung steht. Der Radweg folgt monoton dem regulierten Fluss-
Kitschiges Tirol: erste Station in Seefeld.
Reschenpass: Der Alpenhauptkamm ist bezwungen.
Hier blüht jeder auf: Buschenschank hoch über Meran.
lauf, vorbei an Millionen von in Reih und Glied kultivierten Apfelbäumen. Echte Highlights sind dabei eher selten zu entdecken. Nur wer Abstecher wagt, erfährt das ursprüngliche Südtirol. Mit blumigen Worten hatte man uns vorab die Tour schmackhaft
gemacht, jetzt ächzen wir eher ein wenig über unsere „sportliche“ Idee. Von wegen, ab dem Reschenpass geht es nur noch bergab. Ich zähle die Schweißtropfen, die klatschend auf das Oberrohr meines Rades fallen, schon lange nicht mehr. Exakt 260 Höhenmeter scheucht uns
Mit dem Rad über die Alpen – der Gepäcktransport macht das Abenteuer zum sportlichen Vergnügen. DAS MODERNE FAHRRADMAGAZIN
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Kristallklare Erfrischung: Dorfbrunnen im Vinschgau.
Beinahe aus der Römerzeit: Ötzi’s Trekkingbikes bei Naturns.
Idyllischer Bergsee: Der Lago Toblino im Sarca-Tal.
Anke ein steiles Asphaltsträßchen südlich des mondänen Kurortes Meran bergauf. Leicht sehnsüchtig erinnern wir uns an den cremigen Cappuccino unter Palmen, den wir noch vor einer Stunde an der Etsch-Promenade genossen haben. Jetzt dagegen heißt es treten, treten, treten.
Doch die Mühe lohnt. Minute für Minute schraubt sich unser Rad höher in den Himmel. Der Dunst und die Schwüle des Tales bleiben unter uns. Südtirol in seiner vollen Schönheit hüllt uns ein. Wir staunen über üppige Bauerngärten, radeln an einem uralten Schloss vorbei und
beobachten den Winzer, wie er liebevoll Rebstock für Rebstock unter die Lupe nimmt. Wir sind so fasziniert, dass wir kaum bemerken, dass die Straße längst einer Höhenlinie folgt und unsere Räder direkt ins Paradies rollen. Das Paradies hat hier oben sogar einen Namen. Es nennt sich Buschenschank und ist ein Bauernhof wie aus dem Bilderbuch. Neugierige Enten inspizieren interessiert den schwarzen Gummi unserer Reifen, eine Katze schnurrt gemütlich eingerollt in einem sonnenverwöhnten Eck und der Hund wartet mit treuen Augen auf die saftige Schwarte, die Bäuerin Anna mit einem uralten, aber extrem scharfen Messer sorgsam für uns vom selbstgeräucherten Südtiroler Speck abschneidet. Keiner von uns kann dem Angebot zu einem Glas selbstgemachten Holunderblütensaft widerstehen. So haben wir uns Urlaub vorgestellt. Doch der Tag ist noch lange nicht zu Ende. Pfeilschnell sausen unsere Räder wieder hinab ins Tal. Wir wollen noch nach Girlan, ins historische Herz des Südtiroler Weinanbaus. So grüßen wir Ötzi in seinem Bozener Museum nur von der Ferne, und wagen uns dafür an den Abendberg. Vor der Kulisse der weißen Dolomitengipfel fällt das nicht schwer. Anke hat als Belohnung für uns zudem eine Weinprobe beim Winzer organisiert. So erfahren wir, dass der Süditoler Wein zeitgleich mit dem Bau des Etschradweges einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht hat und heute mit den meisten Auszeichnungen Italiens aufwarten kann. Wir halten uns trotzdem zurück, denn auch morgen erwartet uns ein aktiver Tag. „Schreckbichl“ nennt sich eine
bekannte Südtiroler Weinlage und wir wissen jetzt warum. Auch diesen „Bichl“, sprich Berg, müssen wir bezwingen. Doch der „Schreck“ steckt uns nicht lange in den Gliedern. Wie Diamanten haben die Gletscher der Urzeit die Montiggler Seen zurückgelassen. Ihr klares, blaugrünes Wasser ist herrlich erfrischend. Genauso wie die Abfahrt durch den dichten, schattigen Wald. So steuern wir quasi durchs Hintertürchen Südtirols größtes Naturgewässer an, den Kalterer See. Auch hier haben wir Glück. Die „Ora“, jener beständige Südwind, der Windsurfer am Gardasee genauso wie hier im Norden am Kalterer See verwöhnt, ist bereits abgeflaut. So strampeln wir ohne Gegenwind an alten Weingütern vorbei, füllen an uralten Dorfbrunnen unsere Wasserflaschen und genießen den Blick auf die bis zum Horizont reichenden Weinberge. „Puppenstube“ nennen die Bozner diese Landschaft der Überetsch, wo beinahe auf jeder Erhebung eine Burg, ein Gemäuer oder eine Kirche thront. Erst jetzt hat uns der ausgeschilderte Etschradweg wieder. 300 Sonnentage pro Jahr zählen die Statistiker im Bozner Land. Genug, um den Südtiroler Äpfeln jenen saftig-süßen Geschmack zu geben, der sie in aller Welt berühmt gemacht hat. Auch wir Radfahrer sind froh um die Sonne, auch wenn uns die Hitze des Tales ein wenig zu schaffen macht. „Im April umhüllt uns hier ein einzigartiges Blütenmeer“, berichtet Anke voller Begeisterung. Jetzt, im Sommer, wirken die endlosen Reihen exakt getrimmter Obstbäume jedoch eher eintönig. Willkommene Abwechslung sind nur die regelmäßigen Schauer von oben aus den riesigen Bewässerungs-
300 strahlende Sonnentage pro Jahr – Südtirol verwöhnt Äpfel und aktive Radfahrer gleichermaßen. 126
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Apfelplantagen so weit das Auge reicht: Am Etschtalradweg vor Meran. Der Gardasee liegt um die Ecke: Einfahrt nach Arco.
anlagen. In flotter Windschattenfahrt steuern wir deshalb schnellstmöglich die Bischofsstadt Trento an. Unser Gepäck steht bereits auf den Zimmern. Wir genießen das pulsierende italienische Leben in der österreichisch geprägten Stadt. Europas Geschichte ist hier lebendig. Radfahrer sind in Italien willkommen. Das erfahren wir mehr als deutlich, als ein schnauzbärtiger Italiener uns freundlich auffordert, die Räder in den kleinen Gondeln einer uralten Seilbahn zu verstauen. In Deutschland wäre so etwas sicherlich unmöglich, hier hilft uns die Seilbahnaufsicht sogar dabei. Das historische Verkehrsmittel lässt uns wenige Minuten später über die Dächer der hektischen Stadt in die ursprüngliche Bergwelt des Trentino schweben. So einfach hatten wir uns das nicht vorgestellt. Der erste Berg ist bereits geschafft, Gardasee wir kommen. Schlagartig ändert die Landschaft ihr liebliches Bild. Alt und trutzig präsentieren sich die italienischen Dörfer in diesen letzten Bergen der Alpen. Unsere Route führt weitab von lärmenden Straßen direkt ins Sarca-Tal hinein. Senkrecht steigen hier die Felswände in die Höhe und zeugen noch heute von der ungeheuren Kraft mit der sich die Gletscher in der letzten Eiszeit hier ihren Weg aus den Alpen bahnten. Doch wir hören immer weniger auf Ankes historische Informationen. Das Ziel, der Gardasee, liegt jetzt zum Greifen nah. Wir treten in die Pedale. Am Ufer angekommen streifen wir uns schnell die verschwitzten Radklamotten vom Leib und stürzen uns kopfüber ins Wasser. Dieses Gefühl wird keiner von uns vergessen. ■
Jeder Transalp-Tag steckt voller Höhepunkte – und plötzlich gibt es keine Berge mehr. 128
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Geschafft – der Gardasee ist idealer Zielpunkt.
genannten Web-Adressen. Ein Tipp sind zudem spezielle Bikehotels. Adressen im Internet unter www.bike-holidays.com
Rücktransfer-Service Bike & Bus nennt sich ein EuroShuttle, der allen Fahrradtouristen, die sich eine Alpenüberquerung auf eigene Faust organisieren wollen, einen einfachen Rücktransport anbietet. Immer samstags hält der Reisebus mit speziellem Fahrradanhänger in Rovereto/Gardasee und fährt direkt zurück nach München. Fahrpreis für die einfache Strecke: 42 Euro. Infos unter Tel. 05473/92290, www.natours.de
Infos: Transalp Charakter Die Via Claudia Augusta von Augsburg nach Venedig ist bei einer Länge von rund 900 Kilometern der Klassiker unter den Alpenüberquerungen. Höchster Punkt ist dabei der 1455 Meter hoch gelegene Reschenpass. Die Strecke ist als Fernradweg komplett ausgeschildert und führt in großen Teilen auf Radwegen oder kleinen Nebenstraßen beinahe völlig ohne Verkehr. Einzig die Überquerung des Fernpasses in Deutschland und die Durchquerung des Finstermünztales unterhalb von Nauders zwingt Radfahrer auf einen Hauptverkehrsweg. Beide Steigungen lassen sich jedoch bequem mit dem Postbus überbrücken. In den Sommermonaten wird für Radfahrer ein eigener Anhänger mitgeführt. Auch in Italien ist der Radweg von Trient nach Feltre durchs Brenta-Tal weitgehend fertig. Etwas abweichend von dieser klassischen Route führte die von uns beschriebene Tour von Mittenwald an den Gardasee.
Internet-Infos www.viaclaudia.de Die offizielle Webseite der historischen Route. Hier finden sich eine Fülle von Informationen und praktische Links direkt zum Thema. www.viaclaudia.net Italienisch betreute Webseite auch in deutscher Sprache. Schwerpunkt auf der
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Region zwischen Trient und Venedig. www.viaclaudia.at Offizielles zum Thema aus Österreich. Sehr informative Seite auch über alle touristischen Angebote entlang der Route. Wegbeschreibungen der einzelnen Abschnitte und lokaler Radwanderrunden. www.esterbauer.com Die wichtigsten Info-Auszüge aus dem Radführer „Via Claudia“ stehen auch im Internet. Sehr empfehlenswert.
Welches Rad? Nur ein modernes Trekkingrad mit ausreichender Übersetzung und besten Bremsen fühlt sich auf einer Alpenüberquerung wohl. Um dem Verkehr zu entgehen, weicht auch der Radweg teilweise auf unbefestigte Schotterstrecken aus. Reifen mit weicherem Profil geben dabei deutlich mehr Halt. Räder mit einer 24- besser 27-Gang Schaltung mit Untersetzung sind Pflicht. Räder mit Nabenschaltungen oder Rücktrittbremsen sind nicht zu empfehlen. Wichtig bei allen Bergfahrten: Je leichter das Rad und das mitgeführte Gepäck, umso größer ist das Fahrvergnügen.
Beste Reisezeit Mai bis Oktober.
Tourenanbieter Wir begleiteten den Münchner Veranstalter Alps auf der Pilot-Tour von
Mittenwald an den Gardasee. Auf den Tagesetappen müssen bis zu 800 Höhenmeter und 80 km bewältigt werden. Die geführte Etappentour inklusive 7 Übernachtungen/HP in gehobenen Hotels, Abschlussdinner, Gepäcktransfer und Rücktransport im Reisebus kostet 930 Euro. Infos bei Alps München, Tel. 089/5427880, www.alpsbiketours.de
Rad-Reiseführer Top-Informationen und klare Wegbeschreibungen der klassischen Route bietet der Bikeline Führer „Via Claudia Augusta“ vom Verlag Esterbauer. 12,90 Euro, www.esterbauer.com Nur den deutschen Abschnitt von Donauwörth an die österreichische Grenze fokussiert der Bayerische Kultur- und Wanderführer „Radwandern auf den Spuren der Via Claudia Augusta“, Eos-Verlag, 9,80 Euro.
Übernachten Zahl und Auswahl der Unterkünfte entlang der „Via Claudia“ sind nahezu unbegrenzt. Auch in der Hochsaison findet sich immer ein Hotel oder eine Pension. Allerdings ist das VorReservieren nur für eine Nacht vielfach problematisch. Die Vermieter ziehen Wochengäste vor. Gut beraten ist der Radler, der sich vor der Fahrt die Telefonnummern aller Fremdenverkehrsverbände notiert. Hilfestellung dazu geben die oben
Cappucino oder Prosecco? Nach einer Transalp-Tour keine Frage.
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