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Literaturfestival im schlesischen Eulengebirge (Roswitha Schieb

- Schmuggelwege aus der Zeitenschrunde - Roswitha Schieb

Der vorstehende Beitrag ist veröffentlicht in der „Neue Zürcher Zeitung“ vom 21.7.2017 und mit Genehmigung der Autorin von uns übernommen.

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Das Eulengebirge im Südwesten Polens ist eine durch Lage und Geschichte verwunschene Region. Ein von Olga Tokarczuk initiiertes Literaturfestival will sie zu neuem europäischem Leben erwecken. «GoryLiteratury» – «Berge der Literatur» – heißt das Literaturfestival, das die international renommierte polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk in der polnischen Provinz ins Leben gerufen hat. Worauf ihre Initiative zielt, veranschaulicht eine Anekdote: Nach der Berliner Premiere des Films «Pokot», einer Verfilmung von Tokarczuks Roman «Der Gesang der Fledermäuse» durch die Regisseurin Agnieszka Holland, die 2017 an der Berlinale den Alfred-Bauer-Preis gewann, Das Eulengebirge, zwischen Tsche- wurde die Schriftstellerin vom Mitarbeiter chien und Polen ist Heimstatt eines einer deutschen Zeitung gefragt, wo denn tollen Literaturfestivals. diese wunderschöne Landschaft liege, die im Film gezeigt werde.

Als Tokarczuk sagte, dass es sich um das Eulengebirge handle, im Südwesten Polens an der tschechischen Grenze gelegen, also in Schlesien, mit den größeren Städten Neurode und Glatz, wusste der Journalist damit nichts anzufangen.

Tiefe Provinz

Niemals hatte er von diesen Gegenden überhaupt etwas gehört, was Tokarczuk richtiggehend betrübte. Denn im Eulengebirge steht nicht nur ihr Sommerhaus, hier findet seit drei Jahren im Juli ein Literaturfestival der besonderen Art statt: Es ist grenzüberschreitend, es ist international, und es entfaltet mittlerweile eine magnetische Wirkung. Größen der polnischen literarischen und politischen Öffentlichkeit, Autoren wie Journalisten, lassen sich gerne aus Warschau und anderswoher in die Provinz locken, um dort, vor einem gemischten Publikum aus kulturell interessierten Einheimischen und eigens angereisten Großstädtern, aus lokalen Persönlichkeiten und überregionalen Berühmtheiten, mehrere Tage lang zu lesen, zu diskutieren und zu räsonieren.

Und nicht nur Nowa Ruda mit seinem verspielten Neorenaissance-Rathaus ist tiefe Provinz, sondern auch die anderen Schauplätze in der Umgebung: ein stillgelegtes Bergwerk, eine in ein Museum umgewandelte ehemalige evangelische Kirche, ein tschechisches Barockkloster, eine mitten in die lieblich hügelige Landschaft des Eulengebirges hineingebaute überdachte Bühne mit Blick auf die polnisch-tschechischen Berge.

Diese zwar anmutige, aber nicht übermäßig fruchtbare Region kam erst durch Textilindustrie und Bergbau zu ein wenig Wohlstand, erlebte aber durch die Vertreibung der angestammten deutschen Bevölkerung 1945/46 und die Ansiedlung einer neuen polnischen Bevölkerung aus verschiedenen Teilen Polens eine tiefe kulturelle Zäsur.

Grenzen erkunden

Olga Tokarczuks Absicht ist es, sich in dem Festival mittels Lesungen, Literaturwettbewerben für Nachwuchsautoren sowie Workshops vor allem an die interessierte Bevölkerung der Region zu wenden. Das Programm des Festivals changiert nicht nur genreüberschreitend zwischen Reportage, Roman, Autobiografie, Poesie und Comic, sondern es bewegt sich auch entlang der polnischen Grenzen und ihrer historischen Verschiebungen. So erzählt die litauische Schriftstellerin Kristina Sabaliauskaite über ihre historisch-barockisierende Romantetralogie «Silva Rerum», welche, an den einstmals östlichen Rändern Polens spielend, die polnisch-litauische Vergangenheit aus der Sicht von Adligen in den Blick nimmt.

Während die in Litauen gefeierte Autorin die doppelt codierte Geschichte als ihre größte Inspirationsquelle ansieht, bewundert Tokarczuk, dass sich dieser Roman erstmalig über die Grenzen der Staaten hinwegsetzt. In analoger Weise engagiert sich der populäre Sachbuchautor und Ökologe Adam Wajrak für den Stopp der von der polnischen Regierung genehmigten Abholzung des Bialowiesa-Urwalds im Osten des Landes – mit dem Hinweis auf den viel behutsameren Umgang, den man diesem grenzüberschreitenden Naturerbe in Weißrussland angedeihen lässt.

Ich selber stelle meine Bücher über die deutsche Vergangenheit der Region Schlesien vor, des polnischen Westens also, wo das Festival stattfindet, und spreche mit der polnischen Journalistin Beata Kozak vor neugierigem Publikum über die Verwerfungen der zweiten Generation durch Flucht und Vertreibung in Deutschland und Polen. Und ganz konkret grenzüberschreitend sind die wechselnden Schauplätze.

Denn einige Veranstaltungen finden auch im nahen Tschechien statt, in Broumov (Braunau) nämlich, in einem prachtvoll-barocken DientzenhoferKloster, wo polnisch-tschechische Comics gezeigt werden oder der polnische Autor und Tschechien-Kenner Mariusz Szczygiel das Publikum auf Tschechisch

zu Lachstürmen hinreißt. Auch eine gemeinsame Wanderung, begleitet von Folkmusik, findet statt – auf dem sogenannten Brotweg (Droga Chlebowa), einem historischen Schmuggelpfad zwischen diesen beiden Ländern, der nun als Wanderweg neu eröffnet ist.

Das Denken öffnen

Verband dieser Schmuggelweg einst Preußen und Österreich, später Polen und Tschechien dadurch, dass mittels der auf ihm geschmuggelten Konterbande die Armut dieser Region gemildert wurde, so soll er nunmehr dem Austausch von Ideen, Gedanken, von Musik und Literatur, also dem transnationalen kulturellen Reichtum dienen.

Es ist ein emphatisches Anliegen des Festivals, den Reichtum von Polens Rändern aufscheinen zu lassen und das Denken auf jene Räume hin zu öffnen, in denen es wichtige Berührungspunkte mit den Nachbarn gibt. Olga Tokarczuk und ihre passionierten Mitorganisatoren möchten mit ihrem Engagement dieser durch Flucht und Vertreibung gezeichneten Region ihre Würde zurückgeben, um die Nachkommen derer, die sich erst vor siebzig Jahren hier neu ansiedelten, in ihrer Identität zu stärken und ihnen ein positives Heimatgefühl zu vermitteln.

Sie sollen aus der Zeitenschrunde auftauchen und endlich das Gefühl erhalten, angekommen zu sein. Und vielleicht wird das Festival in Zukunft ja eine solche Strahlkraft entfalten, dass man auch im deutschsprachigen Raum dereinst wissen wird, wo genau das Eulengebirge mit seinen anmutigen Höhen und weiten Wäldern, seinen malerischen Dörfern, stolzen Klöstern und aufgelassenen Bergwerken liegt. Es weitet sich hier der Horizont, und man atmet befreiter.

Der Tyroler Hof, Ansichtskarte von 1901

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