4 minute read

Menschenrechte bedroht: Zivilgesellschaft in Russland

Wer Frieden will, lebt gefährlich: Protest am 27. Februar 2022 in Moskau.

Foto: Evgenia Novozhenina/Reuters

Advertisement

Wenn der Geheimdienst zu »Besuch« kommt

Die außenpolitische Aggression der russischen Führung geht mit verschärfter Repression gegen die Zivilgesellschaft in Russland einher. In Deutschland werden Bund und Länder ihrer Verantwortung bei der Aufnahme russischer Menschenrechtsverteidiger*innen kaum gerecht. Von Peter Franck

Ist der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 eine »Zeitenwende«? Was die menschenrechtliche Lage in Russland angeht, markiert dieses Datum nur eine weitere Etappe in einem Prozess, der sich seit mindestens zehn Jahren beschleunigt. Die Handlungsräume für unabhängiges zivilgesellschaftliches Engagement und die Medienfreiheit wurden in diesem Zeitraum immer enger.

Die russische Führung rechtfertigte das mit der Verteidigung »russischer konservativer Werte« gegen den westlichen Liberalismus. Dieser habe sich überlebt und stehe im Widerspruch zu den Interessen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung, erklärte Präsident Wladimir Putin bereits in einem Interview Ende Juni 2019. Die anhaltende Unterdrückung von Pluralität und jeglichem unabhängigem Engagement ist eine Voraussetzung dafür, dass das autoritäre Regime den Angriffskrieg in der Ukraine beginnen konnte, ohne im Inneren mit erheblichem Widerstand rechnen zu müssen.

Die Repression gegen die Zivilgesellschaft beschleunigte sich spätestens mit dem Beginn der dritten Amtszeit von Putin im Mai 2012. Hatten sich russische Behörden zuvor oft nicht an geltende Gesetze gehalten, so wurden die Gesetze fortan der menschenrechtswidrigen Praxis angepasst: Die Regierung verschärfte Vorschriften bezüglich NGOs, Landesverrat und Demonstrationsrecht. Und sie brachte Gesetze auf den Weg, die sich gegen »nicht-traditionelle« sexuelle Beziehungen und »Blasphemie« richteten.

Um die Jahreswende 2020/21 und im Vorfeld der Parlamentswahl im Herbst 2021 legte die Regierung nach und beschloss ein ganzes Paket von Gesetzesverschärfungen. Gleichzeitig intensivierten die Behörden den Kampf gegen Andersdenkende. Die Vollstreckung der Haft strafe gegen Alexej Nawalny und die Zerschlagung seiner Anti-Korruptionsstiftung sind nur die auffälligsten Beispiele. Auch nach der Wahl ließ der Druck nicht nach. Ende 2021, nur zwei Monate vor dem Überfall auf die Ukraine, lösten die Behörden die beiden wohl wichtigsten Unterorganisationen von Memorial auf, der ältesten unabhängigen Bürger- und Menschenrechtsorganisation Russlands. Ihre Stimmen zum Krieg fehlen nun.

Den Angriffskrieg flankierte der Kreml innenpolitisch, indem er die Repression gegen die Zivil gesellschaft noch einmal verschärfte. Drei Tage nach Kriegsbeginn kündigte die russische Generalstaatsanwaltschaft an, dass russische Staatsangehörige, die während der »militärischen Spezialoperation in der Ukraine« einem ausländischen Staat zum Nachteil der Sicherheit der Russischen Föderation Hilfe leisten, wegen Landesverrats zu Haftstrafen zwischen 12 und 20 Jahren verurteilt werden können. Nur Tage später folgte ein Gesetz, das für die »Diskreditierung« der russischen Streitkräfte bis zu 15 Jahre Haft vorsieht.

Vor diesem Hintergrund gab es weniger Antikriegsdemonstrationen als nach der Annexion der Krim im Jahr 2014. Wer es trotzdem wagt, zu demonstrieren, geht ein hohes Risiko ein, festgenommen zu werden. Die Organisation OVD-Info dokumentierte seit Beginn des Angriffskrieges bis Ende Mai rund 15.400 Festnahmen.

Eingriffe in die schon vor dem Krieg stark eingeschränkte Pressefreiheit führten dazu, dass unabhängige Journalist*innen kaum noch ihrem Beruf nachgehen können. Medien, die sich kritisch mit den Entwicklungen in Politik und Gesellschaft auseinandersetzten, wie der zuletzt noch im Internet präsente TV-Sender Doschd, das Internetmedium Meduza, der Radiosender Echo Moskwy und die Zeitung Nowaja Gaseta mussten ihre Arbeit in Russland einstellen. Sie alle setzen ihre Tätigkeit nun aus dem Ausland fort.

»Es sind ja unsere Granaten«

Die Propaganda der Staatsmedien ist seitdem noch dominanter geworden. Und sie hat Folgen: Derzeit schwappt eine Welle der Denunziation durch das Land; Schüler*innen zeigen Lehrkräfte an, die sich im Unterricht kritisch zum Krieg äußern. Einer Lehrerin aus der Stadt Penza droht eine Haftstrafe wegen »Verbreitung von Fake News« über die russische Armee. Vor Schüler*innen einer achten Klasse hatte sie Russland einen »totalitären Staat« genannt, in dem »jede abweichende Meinung als Gedankenverbrechen« betrachtet wird. Universitätsprofessor*innen, die über Online-Netzwerke Antikriegsbotschaften verbreiteten, wurden entlassen.

Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die internationale Menschenrechts arbeit, nicht zuletzt auf die Zusammen arbeit zwischen der russischen und der ukrainischen Zivilgesellschaft. Wer sich in Russland im Dialog mit ukrainischen Menschenrechtler*innen befindet, läuft Gefahr, wegen Landesverrats zu einer Haftstrafe verurteilt zu werden. Dennoch wagen es russische Menschenrechtler*innen, denn sie sehen sich in der Verantwortung: »Es sind ja unsere Granaten, die in der Nähe der Häuser unserer ukrainischen Kol leg*in nen explodieren. Das ist schmerzhaft«, sagt Swetlana Gannuschkina, die sich in der Flüchtlingshilfe engagiert. Sie freut sich, dass persönliche Beziehungen zu ukrainischen Kolleg*innen erhalten bleiben: »Wir arbeiten weiter zusammen und helfen den Menschen, die aus der Ukraine hierher kommen, und sie helfen denen, die aus Russland kommen und sich vor diesem Regime verstecken.«

Während der Krieg in der Ukraine fortgeführt wird, geht die russische Regierung weiterhin gegen die auf internationalen Austausch ausgerichteten Strukturen der Zivilgesellschaft vor. Anfang April löschte das Justizministerium die Registrierungen von Amnesty International, Human Rights Watch und den deutschen Parteistiftungen, die damit in Russland juristisch nicht mehr handlungsfähig sind. Im Mai wurde die Heinrich-BöllStiftung sogar zu einer »unerwünschten« ausländischen Organisation erklärt.

Viele Menschen, die sich in russischen Menschenrechtsorganisationen engagierten, haben nach Vorladungen des Inlandsgeheimdienstes FSB oder nach »Besuchen« des FSB bei ihren Familienangehörigen sowie nach Büro- und Wohnungsdurch suchungen das Land verlassen.

Wollen sie in Deutschland ihre Arbeit fortsetzen, begegnen sie neuen Schwierigkeiten. Die von vielen genutzten Schengen-Visa erlauben pro Halbjahr nur einen Aufenthalt von höchstens 90 Tagen. Danach müssen sie entweder ausreisen oder einen Asylantrag stellen. Entgegen vieler Ankündigungen haben es die Bundesregierung und die Landesregierungen bislang versäumt, ein unbürokratisches Verfahren zu schaffen, das es den Betroffenen erlaubt, ihre Arbeit auf der Grund lage eines gesicherten Aufenthalts fortsetzen zu können. Das Asylverfahren ist keine Alternative, weil Menschenrechtsaktivist*innen für ihre Arbeit auf Reisemöglichkeiten angewiesen sind, die im Asylverfahren ausgeschlossen sind.

Auch wir sind gefordert: Es kommt nun darauf an, die in Jahrzehnten auf gebaute Zusammenarbeit mit unseren Partner*innen zu verteidigen und nach Wegen zu suchen, sie fortzusetzen. ◆

Die Repression begann spätestens mit der dritten Amtszeit von Putin im Mai 2012.

Peter Franck ist Russland-Experte von Amnesty International in Deutschland.

This article is from: