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Der KunstschrittmacherBonaventure Ndikung

Der Kunstschrittmacher

Documenta, Venedig, Sonsbeek – der kamerunisch-deutsche Kurator Bonaventure Ndikung ist auf den Biennalen Europas gefragt wie nie. Über einen, der koloniale Verwundungen mit Mitteln der Kunst heilen will. Von Elisabeth Wellershaus

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Kennst Du eigentlich Barbapapa?«, fragt ein Kollege, als Bonaventure Ndikung im lilafarbenen Baumwoll-Einteiler durch das Café des Berliner Kunstquartiers Silent Green eilt. Nebenan wird gerade seine aktuelle Ausstellung aufgebaut. Der kamerunische Kurator grinst zufrieden in die Runde. Vielleicht, weil seine bunte Garderobe mal wieder Wirkung zeigt. Oder weil es in seinem Berliner Kunstraum Savvy Contemporary so gut läuft. Denn der steht seit mittlerweile rund zehn Jahren für diskursive und diverse Kunst. Hier präsentieren sich Kulturschaffende aus aller Welt, die mit ihren Projekten ein Leben jenseits etablierter Kategorien und westlicher Perspektiven sichtbar machen wollen.

Ndikung flitzt in seinen schicken bunten Jacketts sehr sichtbar über die Biennalen der Welt. Der flauschige lila Trainingsanzug, den er heute trägt, unterstreicht ganz lässig, dass der 43- Jährige in einer weitgehend ethnozentrischen europäischen Kunstszene längst nicht mehr zu übersehen ist. Hier ist einer, der diese Welt kompromisslos mit eigenen Themen bespielt.

»Willkommen in unserer Wahnsinnswelt«, ruft seine Kollegin Kelly Krugman, als wir durch verschachtelte Galerieräume laufen, in denen aktuelle Werke von Künstlern gezeigt werden, die in London, Podgorica, Marrakesch und San Juan leben. In »Ultrasanity«, dem mehrjährigen Forschungs-, Performanceund Ausstellungsprojekt, das sie mit Ndikung und Elena Agudio konzipiert hat, geht es, wie so oft bei Savvy, um problematische Zuschreibungen. Ultrasanity setzt sich mit dem Konzept psychischer Gesundheit auseinander – mit »Wahnsinn« im Kontext von Kolonialität und Rassifizierung. »Ich habe als Kind in Kamerun Menschen gesehen, die von der modernen Medizin als verrückt bezeichnet wurden, deren Selbstgespräche, Anderssein und Isolation mir dagegen ganz normal erschienen«, erzählt Ndikung. Er glaubt, dass viele psychische Auffälligkeiten Folgen kolonialer Gewalt sind und entsprechende Stigmata diese Gewalt bis heute fortschreiben. Seit seiner Jugend in Bamenda, die er in einem Elternhaus voller Bücher und unter dem Einfluss panafrikanischer Ideen verbrachte, treibt ihn die Auseinandersetzung mit (post-)kolonialen Erfahrungen um.

Als er vor 22 Jahren zum Studium nach Berlin kam, war Ndikung den deutschen Feuilletons weit voraus. Der Weg für postkoloniale Diskurse wurde gerade erst geebnet. »Der nigerianische Kurator Okwui Enwezor war der erste schwarze Mensch, den ich im deutschen Fernsehen sah, über den auffallend positiv berichtet wurde«, erinnert er sich. »Im Zusammenhang mit ihm hörte ich Ende der 1990er Jahre auch zum ersten Mal das Wort Kurator und war beeindruckt. Weil das, was er tat, plötzlich auch mir möglich schien.« Wie wichtig er als Vorbild war, sagte Ndikung Enwezor erst kurz vor dessen Tod im März 2019. Enwezor hatte ihn vom Sterbebett aus angerufen, um ihm zu seiner Ernennung als künstlerischem Leiter der Sonsbeek-Biennale 2020 im niederländischen Arnheim zu gratulieren.

Ndikungs Karriere verlief steil, wenn man bedenkt, dass er sich erst 2014 ganz für die Kunst entschied. Damals lud Adam Szymczyk ihn ein, Teil des Documenta-Teams zu werden. Künstlerisch gearbeitet hatte Ndikung im Savvy zwar schon seit Jahren, allerdings fast nur in den Ferien. Denn hauptberuflich baute er damals noch Herzschrittmacher. Ursprünglich war Ndikung nach Europa gekommen, um Naturwissenschaften zu studieren. Er promovierte in Biotechnologie und machte einen Postdoc in Biophysik. Doch seine kreative Sprache war da schon längst zwischen Wissenschaft und Kunst verortet. »Am Ende war es keine allzu schwere Entscheidung«, sagt er über sein Leben ohne Herzschrittmacher. »Kultur ist ganz einfach die wichtigste Basis unseres Seins.«

Ndikung nutzt die Kunst als Medium, um historische, politische und emotionale Verstrickungen zwischen dem Westen und dem Nicht-Westen aufzuarbeiten. Derzeit bereitet er die Kunstschau Sonsbeek vor, die im Sommer stattfinden wird. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und der Kolonialzeit setzt er sich dabei auch mit dem Thema Arbeit auseinander. »Wenn man durch den prächtigen Park Sonsbeek läuft, einen der wichtigsten Schauplätze der Biennale, oder durch das wohlhabende Arnheim, fragt man sich schon, woher der ganze Reichtum kommt«, sagt er. Die Antworten, die sein Team von den Verwaltern des Schlosses Zijpendaal in Arnheim bekam, waren spärlich. Nur die Geschichte einer Person schien aufschlussreich: Die Schwarze Anna soll vor vielen Jahren die Kinder einer wohlhabenden holländischen Familie von Suriname nach Europa begleitet und im Schloss als ihr Kindermädchen gearbeitet haben. Das Einzige, was ihre Anwesenheit und Tätigkeit heute noch belegt, ist die Rechnung eines Arztes, der sie einst behandelt hat – mehr ist nicht zu finden. Mit dieser Form der biografischen Auslöschung wird die junge simbabwische Künstlerin KudzanaiViolet Hwami sich in Sonsbeek beschäftigen.

Die historische Verschwiegenheit, die die Verstrickungen zwischen dem globalen Norden und Süden unter den Teppich kehrt, ist nach Ansicht von Ndikung ein entscheidendes Problem. Es ist dasselbe Schweigen, das auch andere gesellschaftliche Themen lange tabuisiert hat. Mit einer Arbeit über den Mord an der jungen südafrikanischen Prostituierten Nokuphila Kumalo wird sich der Künstler Olu Oguibe in Sonsbeek in den #metoo-Diskurs einreihen. Er verarbeitet die Geschichte einer Frau, deren Mörder aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung fast ungestraft davonkam. »Es geht mir nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen«, sagt Ndikung. »Ich wünsche mir einfach, dass wir Ungerechtigkeitsstrukturen zusammen aufdecken und uns gemeinsam in einen Heilungsprozess begeben.« Tatsächlich gelingt es immer häufiger, Seh- und Denkgewohnheiten in europäischen Kulturinstitutionen aufzubrechen. Weil Menschen wie Ndikung Fragen stellen. Das wiederum ließ ihn zu einem der gefragtesten Kuratoren der Szene werden. Und doch ist Europa für ihn nur eine Station. Wenn es in seiner Heimat – dem anglophonen Teil Kameruns – keine politische Krise gäbe, wäre er vielleicht wieder in Bamenda und hätte zusammen mit seiner kamerunischen Kollegin Lema Sikod eine Zweigstelle des Savvy eröffnet. Doch ihr Plan liegt auf Eis. Im Herbst 2017 schlug die Regierung von Präsident Paul Biya Unruhen der anglophonen Bevölkerung mit extremer Härte nieder. Hunderte Menschen kamen seither bei Zusammenstößen ums Leben, Hunderttausende wurden vertrieben. Doch trotz aller Instabilität sieht Ndikung in Kamerun einen Ort, von dem aus er eines Tages vielleicht abermals neu auf die Welt blicken könnte.

»Es geht mir nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen.« Bonaventure Ndikung

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