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Amnesty journAl helden wider willen wie Angehörige von verschwundenen und ermordeten für Aufklärung und gerechtigkeit kämpfen
deutschlAnd blockiert mehr gleichberechtigung in der eu verhindert
kunst im gulAg festival im ehemaligen straflager perm
so Arbeitet Amnesty eine recherche in den slums von kairo
06/07
2010 juni juli
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Foto: Barbara Seyerlein
EDITORIAL
es hAt nichts heldenhAftes ‌ ‌ vor einem frisch ausgehobenen Grab zu stehen. FĂźr Ana Dela und Reinaldo RamĂrez, die Sie auf unserem Titelbild sehen, war es eine besonders bedrĂźckende Situation. Sie hatten gehofft, durch eine Exhumierung die sterblichen Ăœberreste ihres Sohnes zu ďŹ nden. Ihre Hoffnung wurde enttäuscht. (S. 22) Trotzdem sind sie und andere AngehĂśrige von ÂťVerschwundenenÂŤ die Helden dieses Amnesty Journals. Ihre TĂśchter oder SĂśhne, Geschwister, Eltern oder Kinder sind als Oppositionelle von diktatorischen Regimes verschleppt und ermordet worden oder zufällig zwischen die Fronten eines BĂźrgerkriegs geraten. Sie haben sich ihr Schicksal bestimmt nicht ausgesucht, aber sie gehen oft ein hohes Risiko ein, um zu erfahren, was genau passiert ist, und um die Bestrafung der Täter zu erreichen. In diesem Sinn sind sie ÂťHelden wider WillenÂŤ. Die internationale Menschenrechtsbewegung unterstĂźtzt ihren Kampf, durchaus mit Erfolg. Zwar kann kein Verbrechen ungeschehen gemacht werden. Aber es ist fĂźr Staaten schwerer geworden, Morde an ihren eigenen BĂźrgern zu verstecken. Es gibt inzwischen Abkommen, wie die Konvention gegen das erzwungene Verschwinden, und Institutionen, wie den Internationalen Strafgerichtshof, auf die sich die AngehĂśrigen berufen kĂśnnen. Der Amnesty Report 2010, der gleichzeitig mit diesem Journal erscheint, zieht eine Zwischenbilanz der BemĂźhungen, die Verantwortlichen fĂźr Menschenrechtsverletzungen dingfest zu machen. (S. 49) Auch vielen AngehĂśrigen geht es nicht nur um einzelne Fälle, um ihre individuelle Erinnerung, sondern um das gesellschaftliche Gedächtnis. In Argentinien haben sie erreicht, dass in einem ehemaligen Folterzentrum ein Museum eingerichtet wurde, das die Verbrechen der Militärdiktatur dokumentiert. Auch in Russland gelang es ehemaligen Häftlingen und ihren AngehĂśrigen, ein ehemaliges Straager in eine Stätte der Erinnerung umzuwidmen. Dabei sollte in Perm eigentlich nichts mehr an den Gulag erinnern. Heute gibt es dort ein Museum und jeden Sommer treffen sich Tausende zu einem Festival mit Konzerten, Lesungen und Diskussionsrunden zu aktuellen politischen Fragen. (S. 62) Grundlage des jährlichen Reports und der Arbeit von Amnesty insgesamt sind seriĂśse Informationen. Gesammelt werden sie von den Rechercheuren des Internationalen Sekretariats. Auf ihre Arbeit stĂźtzt sich auch das Amnesty Journal oft in seiner Berichterstattung. Doch wie entstehen diese Berichte? Was erleben unsere Kollegen, wenn sie vor Ort Informationen sammeln? Das wollten wir von Mohamed Lotfy wissen, der in Kairo fĂźr Amnesty recherchiert hat. (S. 78) Ich wĂźnsche Ihnen eine interessante LektĂźre.
editoriAl
3
INHALT
22
30
Titelfoto: Reinaldo und Ana Dela RamĂrez aus der kolumbianischen Stadt San Luis zeigen ein Foto ihres ÂťverschwundenenÂŤ Sohnes Carlos Enrique. Foto: Luca Zanetti
titel 21 Die AngehĂśrigen nicht allein lassen Von Leonie von Braun
22 Die Wahrheit ausgraben
In Kolumbien suchen Spezialisten der Staats anwaltschaft in anonymen Gräbern nach den Opfern des Bßrgerkriegs. Alexander Bßhler und Luca Zanetti haben eines der Exhumierungsteams sechs Tage lang begleitet.
30 Die verrĂźckten Alten bekommen Recht
rubriken 06 Reaktionen 07 Erfolge 10 Panorama 12 Nachrichten 13 Interview: David Mendes 15 Porträt: Murhabazi Namegabe 17 Kolumne: Sabine KĂźper 73 Rezensionen: BĂźcher 74 Rezensionen: Film & Musik 76 Briefe gegen das Vergessen 78 Amnesty Aktuell: Mohamed Lotfy 80 Aktiv fĂźr Amnesty 81 Monika LĂźke Ăźber die FuĂ&#x;ball-WM
In Argentinien laufen die Prozesse gegen die Täter der Militärdiktatur. Ein Erfolg der AngehÜrigen der Verschwundenen. Von Jessica Zeller
32 ÂťSie wollen uns mit Gewalt einschĂźchternÂŤ
Marianela Galli war ein Kleinkind, als sie in ein Folterzentrum der argentinischen Militärdiktatur verschleppt wurde. Ein Gespräch ßber den Prozess gegen die MÜrder ihrer Eltern und den Kampf der AngehÜrigen um Aufklärung.
34 Viele Anklagen, noch kein Urteil
In Nepal kämpfen die AngehÜrigen von Entfßhrten und Ermordeten um Gerechtigkeit. Von Nina Ritter
38 Nur die halbe Wahrheit
In Algerien und Marokko warten Zehntausende auf Auskunft ßber ihre verschwundenen AngehÜrigen. In Algerien versuchen die BehÜrden, sie mit Entschädigungszahlungen abzuspeisen. In Marokko untersuchte eine Wahrheitskommission die Fälle, aber die Täter werden verschont. Von Ali Al-Nasani
82 Aktion Fotos oben: Luca Zanetti | Gustavo Germano | Eros Hoagland / Redux / laif | Menschenrechtsbeauftragte der Region Perm
4
Amnesty journAl | 06-07/2010
42
62
berichte
kultur
42 Aufwachsen mit dem Tod
62 Kunst im Gulag
46 ÂťDie Polizei muss das Vertrauen zurĂźckgewinnenÂŤ
66 Die Raucherin
In Ciudad Juårez sind vor allem Jugendliche Opfer und Täter im Drogenkrieg. Ein Projekt bietet ihnen Perspektiven jenseits der Gewalt. Von Knut Henkel
Ein Gespräch mit der neuen Generalinspektorin der Polizei in El Salvador, ßber die Aufgabe, eine Polizei zu schaffen, die die Menschenrechte respektiert.
48 Beeindruckende Doppelmoral
Honduras will den Putsch 2009 von einer Wahrheitskommission untersuchen lassen. Von Maja Liebing
50 Gleichberechtigung ist Gleichberechtigung
Deutschland blockiert eine EU-Richtlinie, die Schutz vor Diskriminierung bieten wĂźrde. Von David G. Smith
52 Ohne Schutz und ohne Rechte
Unter der Gewalt im Irak leiden vor allem Frauen und AngehĂśrige religiĂśser Minderheiten. Von Daniel Kreuz
54 Inguschetien lässt mich nicht los
Ein Porträt der Kßnstlerin und Journalistin Rosa Malsagova im Exil. Von Matthias Sander
56 BildstĂśrung
Der Iran ein Jahr nach der Wahl. Von Ruth JĂźttner
58 Angeklagter lässt sich wählen
Nach der Wahl im Sudan zeichnet sich keine LĂśsung in Darfur ab. Von Nadine VĂślker
59 Schutz fĂźr FlĂźchtlinge ist nicht willkommen
Im einstigen Lager Perm 36, in dem zu Sowjetzeiten Dissidenten und kritische KĂźnstler inhaftiert waren, findet jeden Sommer ein politisches Kunstfestival statt. Von Maria Sannikova und Peter Franck
Weil sie als Feministin in Algerien in Todesgefahr schwebte, war die Schauspielerin, Choreographin und Theaterautorin Rayhana nach Frankreich geflĂźchtet. Jetzt wurde in Paris ein Brandanschlag auf sie verĂźbt. Von Rudolf Balmer
68 Harmlos, aber gefährlich
Menschenrechtsaktivisten und unabhängige J ournalisten mĂźssen in Usbekistan schon seit langem vorsichtig sein. Nun richtete sich die Repression erstmals gegen eine KĂźnstlerin. Von Imke DierĂ&#x;en
70 Die AuslĂśser
Das internationale Fotografen-Kollektiv ActiveStills macht auf Menschenrechtsverletzungen im israelisch-palästinensischen Konflikt aufmerksam. Von Nina Schulz
72 Rechte statt Almosen
Wer die Armut bekämpfen will, der muss die Rechte der Armen stärken, schreibt Irene Khan in Die unerhÜrte Wahrheit. Von Ferdinand Muggenthaler
75 Endzeitapparate
ÂťLebanonÂŤ ist ein weiterer Film, der den Libanonfeldzug der israelischen Armee 1982 kĂźnstlerisch radikal in Szene setzt. Von JĂźrgen Kiontke
Die Flßchtlinge im Tschad brauchen den Schutz der UNO. Von Sonja Altrock-N’cho und Lena Guesnet
inhAlt
5
REAKTIONEN
grossbritAnnien
itAlien
pAkistAn
Darauf hat Lotfi Raissi fast neun Jahre lang gewartet: Die britischen Behörden kündigten an, dem Fluglehrer eine Entschädigung für seine unrechtmäßige Inhaftierung zu zahlen. Amnesty begrüßte die Entscheidung. Raissi war am 21. September 2001 nahe London festgenommen und beschuldigt worden, die Attentäter des 11. Septembers ausgebildet zu haben. Im April 2002 ordnete ein Gericht seine Freilassung an, da es dafür keinerlei Beweise gab. Im April 2010 erklärte das britische Justizministerium, man betrachte ihn als »vollständig entlastet«. Raissi zeigte sich glücklich über seine Rehabilitierung: »Ich hoffe, dass dadurch ein neues Kapitel meines Lebens beginnt.«
In Rom und Umgebung drohen mehr als 7.000 Sinti und Roma in den kommenden Monaten illegale Zwangsräumungen und die Zerstörung ihrer Siedlungen. Der sogenannte »Nomaden-Notstandsplan« sieht vor, sie unter dem Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung aus der italienischen Hauptstadt zu verdrängen. 6.000 Menschen sollen gegen ihren Willen in 13 isolierte Großlager umgesiedelt werden, für mehr als 1.000 Betroffene ist keine Alternative vorgesehen. Amnesty International kritisierte die geplanten Zwangsräumungen und die Stigmatisierung von Sinti und Roma. Sollten sie ihr Obdach verlieren, müssen sie angemessene Ersatzunterkünfte und Entschädigungen erhalten.
Als »schweren Rückschlag für die Menschenrechte und die humanitäre Hilfe in Pakistan« hat Amnesty International den Mord an pakistanischen Mitarbeitern der Hilfsorganisation »World Vision« bezeichnet. Mindestens zehn bewaffnete Angreifer hatten am 10. März 2010 das Büro der Organisation im Bezirk Mansehra gestürmt, alle Angestellten in einem Raum zusammengetrieben und das Feuer eröffnet. Dabei starben vier Männer und zwei Frauen, sieben weitere Mitarbeiter wurden verletzt. Nach Ansicht der Behörden handelte es sich bei den Tätern um Taliban oder deren Verbündete.
Ausgewählte Ereignisse vom 10. März bis 26. April 2010.
ägypten/sudAn brAsilien Etwa 250 Angehörige der Indigenen-Gruppe Kurussú Ambá dürfen vorerst in ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet bleiben. Sie hatten es im November 2009 besetzt, weil die Besitzer ihnen das Land entgegen der Gesetze nicht zurückgeben wollten. Ein Richter setzte einen Räumungsbefehl am 26. April 2010 für 90 Tage aus. Amnesty International hatte sich mit Appellen für die Indigenen eingesetzt. Ein Anwalt der Kurussú Ambá bedankte sich: »Ich bin ganz sicher, dass diese Aktion entscheidend dazu beigetragen hat, die Aufmerksamkeit des Richters auf die Fakten zu lenken.«
6
Der sudanesische Flüchtling Ishaq Fadl Dafallah wird vorerst nicht aus Ägypten abgeschoben. Wegen des großen öffentlichen Drucks, unter anderem durch Amnesty International, schoben ihn die ägyptischen Behörden nicht wie befürchtet am 19. April 2010 in den Sudan ab, sondern brachten ihn auf die Polizeiwache von Khalifa in Kairo. Dort befindet er sich gemeinsam mit dem Sudanesen Mohamed Adam Abdallah in Haft. Auch dessen Abschiebung wurde nach entsprechenden Appellen ausgesetzt. Beiden Männern hatte das Flüchtlingskommissariat der UNO bestätigt, dass ihnen im Sudan Folter und Misshandlungen drohen. Sie stammen aus der westsudanesischen Provinz Darfur.
AustrAlien Kein Platz für Flüchtlinge: Die australische Regierung hat die Bearbeitung von Asylgesuchen afghanischer und srilankischer Flüchtlinge ausgesetzt, obwohl die Situation in deren Herkunftsländern nach wie vor gefährlich ist. Amnesty International verurteilte die Entscheidung, die in krassem Widerspruch zu Australiens internationalen Verpflichtungen unter der UNO-Flüchtlingskonvention steht. »Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass die Regierung diese Pauschalaussetzung verfügt hat«, so Amnesty-Experte Sam Zarifi.
Amnesty journAl | 06-07/2010
Foto: Joel Nito / AFP / Getty Images
ERFOLGE
Raus aus dem Schrank. Demonstration von Lesben und Schwulen in Manila, der Hauptstadt der Philippinen.
homosexuellen-pArtei Zur wAhl ZugelAssen
blogger muss nicht vor militärtribunAl
Ahmed Mostafa ist wieder frei. Dem Blogger drohten bis zu neuneinhalb Jahre Gefängnis. Sein Verbrechen: Er hatte im März 2009 in seinem Blog ÂťWas ist bloĂ&#x; aus dir geworden, Nation?ÂŤ Ăźber den Fall eines Kadetten berichtet, der gezwungen worden war, seinen Platz in einer Militärakademie einem anderen Bewerber zu Ăźberlassen. Mostafa warf den Streitkräften Vetternwirtschaft vor. Am 17. Februar 2010 wurde der Blogger von Offizieren des Militärgeheimdienstes verhaftet. Der Geheimdienst bezichtigte ihn, militärische Geheimnisse und falsche Informationen im Internet verĂśffentlicht sowie Offiziere der Akademie beleidigt zu haben. Amnesty International betrachtete ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen und forderte seine Freilassung. Wenige Tage bevor ihm am 7. März 2010 vor einem Militärtribunal der Prozess gemacht werden sollte, wurde Ahmed Mostafa ohne Angabe von GrĂźnden aus der Haft entlassen. ägypten
reAktionen
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erfolge
men. Ang Ladlad legte daraufhin Beschwerde beim Obersten Gericht ein. Mit Erfolg: Die 15 Richter hoben die Entscheidung der Wahlkommission einstimmig auf. In der UrteilsbegrĂźndung wies das Gericht darauf hin, dass die Gruppe alle rechtlichen Bedingungen erfĂźlle, um als Partei zugelassen zu werden. Zudem gebe es auf den Philippinen kein Gesetz, das Homosexualität verbiete. ÂťDiese Grundsatzentscheidung ist ein progressiver Schritt zu mehr Respekt und Schutz fĂźr Lesben, Schwule, Bi sexuelle und Transgender auf den PhilippinnenÂŤ, begrĂźĂ&#x;te Amnesty-Expertin Hazel Galang das Gerichtsurteil.
fArc-geisel nAch ZwĂślf jAhren frei
kolumbien ZwÜlf Jahre lang war der Unteroffizier Pablo Emilio Moncayo Geisel der FARC-Guerilla. Am 30. März 2010 konnte er endlich in die Freiheit zurßckkehren. Bereits einen Tag zuvor war der im Dezember 2009 entfßhrte Soldat JosuÊ Daniel Calvo freigelassen worden. Die FARC erklärten allerdings, sie wßrden vorerst keine weiteren Geiseln mehr ohne Gegenleistung freilassen. Amnesty International hat die Guerilla aufgefordert, alle Geiseln sofort und ohne Bedingungen freizulassen und niemanden Keine Geisel mehr. mehr zu entfßhren. Pablo Moncayo.
Foto: William Fernando Martinez / AP
Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes tritt eine Partei zu den Parlamentswahlen an, die sich fĂźr die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT) einsetzt. Zunächst hatte die Nationale Wahlkommission versucht, die Teilnahme der Partei Ang Ladlad (ÂťRaus aus dem SchrankÂŤ) an den fĂźr den 10. Mai angesetzten Wahlen zu verhindern. Im November 2009 weigerte sich die Kommission, Ang Ladlad als politische Partei anzuerkennen. Zur BegrĂźndung hieĂ&#x; es, die LGBT-Interessengruppe fĂśrdere Sittenlosigkeit und verletze die GefĂźhle sowohl von Christen als auch von Musli-
philippinen
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Foto: Amnesty
Kostenlose Gesundheitsversorgung fĂźr MĂźtter und Kinder. Amnesty-Aktivistinnen in Sierra Leone, September 2009.
einsAtZ mit erfolg Weltweit beteiligen sich viele tausend Menschen mit Appellschreiben an den ÂťUrgent ActionsÂŤ, ÂťBriefen gegen das VergessenÂŤ und anderen Unterschriftenaktionen von Amnesty International. Dass dieser Einsatz drohende Menschenrechtsverletzungen verhindert und Menschen in Not hilft, zeigen diese Beispiele.
kostenlose gesundheitsversorgung fĂźr schwAngere
sierrA leone Es ist ein bedeutender Schritt zur Verringerung der Mßttersterblichkeit in Sierra Leone: Die Regierung gewährt seit dem 27. April 2010 Schwangeren, stillenden Mßttern und Kindern unter fßnf Jahren freie Gesundheitsversorgung. In Sierra Leone ist das Risiko, an Komplikationen während der Schwangerschaft oder der Geburt zu sterben, weitaus hÜher als in fast allen anderen Ländern der Welt. Etwa jede achte Frau stirbt bei der Geburt eines Kindes. Tausende Frauen sterben, weil sie keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben und sich lebensrettende Behandlungen nicht leisten kÜnnen. Durch die neue Regelung kÜnnte sich die Situation deutlich verbessern. Zur Umsetzung der kostenlosen Gesund-
8
heitsversorgung ist das Land jedoch auch auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Im September 2009 hatte Amnesty International im Rahmen der Kampagne Mutter werden. Ohne zu sterben einen Bericht zur Mßttersterblichkeit in Sierra Leone verÜffentlicht und mit einer Unterschriftenaktion die Regierung aufgefordert, die Gesundheitsversorgung fßr Schwangere und Mßtter zu verbessern. Parallel dazu zog in Sierra Leone eine von Amnesty initiierte Karawane der Hoffnung durchs Land, bei der einheimische Amnesty-Aktivisten die Frauen ßber ihre Rechte informierten. Die Karawane sammelte mehr als 30.000 Unterschriften fßr eine Petition, die mehr Aufklärung und die Umsetzung des Programms zur kostenlosen Versorgung Schwangerer forderte.
politischer gefAngener erhält mediZinische versorgung
Der schwer kranke katholische Priester Nguyen Van Ly durfte am 15. März 2010 das Gefängnis fßr ein Jahr verlassen und kann nun endlich medizinisch behandelt werden. Im November 2009 hatte der 63-Jährige einen Schlaganfall
vietnAm
erlitten und war in ein Gefängniskrankenhaus verlegt worden. Dort blieb er jedoch nur wenige Wochen, was nicht ausreichte, um sich von dem Schlaganfall zu erholen, infolgedessen seine rechte KĂśrperseite zum Teil gelähmt ist. Van Ly verbĂźĂ&#x;t seit 2007 eine achtjährige Haftstrafe, die er die meiste Zeit in Einzelhaft verbrachte. Er war festgenommen worden, weil er die Achtung der Menschenrechte und Meinungsfreiheit in Vietnam gefordert hatte. In den 1970er Jahren war er zum ersten Mal wegen seines Engagements eingesperrt. Insgesamt hat er nahezu 17 Jahre als gewaltloser politischer Gefangener in Haft verbracht.
oppositionelle Aus hAft entlAssen
irAn Die 24-jährige Studentin Somayeh Rashidi wurde am 25. Februar 2010 aus dem Teheraner Evin-Gefängnis entlassen. Die Frauenrechtlerin war am 19. Dezember 2009 in die Abteilung 12 des Revolutionsgerichts vorgeladen worden. Von dort brachte man Rashidi direkt ins EvinGefängnis. Während ihrer Haft wurde ihr der Zugang zu ihrer Anwältin verwehrt. Rashidi unterstßtzt die Kampagne fßr Gleichberechtigung seit ihrer Grßndung
Amnesty journAl | 06-07/2010
im Jahr 2006. Die Initiative, auch bekannt als ÂťEine Million UnterschriftenÂŤKampagne, fordert ein Ende der Diskriminierung von Frauen im Iran. Ebenfalls wieder in Freiheit ist Lily Farhadpour. Die Journalistin ist Mitglied der iranischen Nichtregierungsorganisation ÂťMĂźtter fĂźr den FriedenÂŤ. Sie wurde am 13. März 2010 gegen Kaution freigelassen. Ihren Sohn, den Musikredakteur Behrang Tonekaboni, lieĂ&#x; man Ende Februar, seinen Kollegen Kayvan Farzin Anfang März gegen Kaution frei. Alle drei waren seit Januar 2010 im Evin-Gefängnis in Teheran festgehalten worden. Konkrete GrĂźnde fĂźr ihre Festnahmen sind nicht bekannt. Wahrscheinlich stehen sie im Zusammenhang mit den anhaltenden Protesten gegen die umstrittene Präsidentschaftswahl im Juni 2009 und den darauffolgenden Verhaftungswellen, zu deren Opfern auch die UmweltschĂźtzerin
Mahfarid Mansourian gehÜrte. Die 46Jährige, die auch als Dolmetscherin fßr ausländische Journalisten arbeitet, war in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 2010 in ihrer Wohnung in Teheran von Beamten in Zivil festgenommen worden. In dem Haftbefehl war kein Name genannt. Er richtete sich vielmehr gegen jede verdächtige Person. Am 21. Februar 2010 konnte Mansourian das Gefängnis gegen Kaution verlassen. Auch der 76-jährige Wissenschaftler Dr. Mohammad Maleki war ins Visier der iranischen BehÜrden geraten. Geheimdienstmitarbeiter nahmen ihn fest, weil er den Ablauf der Wahlen kritisiert hatte. Der ehemalige Kanzler der Teheraner Universität hatte zudem kurz vor der Wahl den Aufbau der neuen Menschenrechtsorganisation Solidarity for Democracy and Human Rights im Iran unterstßtzt. Nach 191 Tagen Haft wurde er am 1. März 2010 gegen Kaution freigelassen.
800 unterschriften fĂźr jAmel el hAji
Der Libyer Jamal el Haji wurde am 14. April 2010 aus dem Jdeida-Gefängnis in Tripolis entlassen. Amnesty International hatte eine Online-Aktion fßr seine Freilassung gestartet, an der ßber 800 Personen teilnahmen. Jamal el Haji war seit dem 9. Dezember 2009 inhaftiert, weil er sich ßber die unmenschlichen Haftbedingungen während seiner ersten Haftzeit von Februar 2007 bis März 2009 beklagt hatte. Er protestierte gegen seine willkßrliche Verhaftung, Misshandlungen durch das Aufsichtspersonal, schlechte hygienische Verhältnisse, unzureichende medizinische Versorgung sowie die Verweigerung von Besuchen seiner Verwandten und seines Anwaltes. Amnesty dankt allen, die sich fßr Jamal el-Haji eingesetzt haben, und wird seine Situation weiter beobachten. libyen
Journalistin. Lily Farhadpour.
UmweltschĂźtzerin. Mahfarid Mansourian.
Fotos: privat
cArlos jorge gArAy ist wieder bei seiner fAmilie
Wissenschaftler. Mohammad Maleki.
erfolge
peru Zweimal war Carlos Jorge Garay schon freigesprochen worden und musste doch im Gefängnis sitzen. Jetzt ist er frei. Der heute 38-jährige Garay war 20 Jahre alt, als er 1992 von einem Militärgericht wegen Terrorismus zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde. Mehr als zehn Jahre später urteilte das peruanische Verfassungsgericht, dass es unrechtmäĂ&#x;ig war, Zivilisten vor Militärgerichte zu stellen. Garay
bekam ein Verfahren vor einem zivilen Gericht, an dessen Ende ein Freispruch stand. Das Urteil wurde jedoch im Mai 2005 annulliert und Garay erneut vor Gericht gestellt. Nach einem abermaligen Freispruch 2006 versuchte er gemeinsam mit seiner Frau und seiner kurz darauf geborenen Tochter in ein normales Leben zurĂźckzukehren. Aber Anfang 2007 wurde ein weiteres Verfahren gegen ihn eingeleitet und seit Mitte 2007 war er im Castro-Castro Gefängnis in Lima inhaftiert. Das Verfahren wurde schlieĂ&#x;lich eingestellt und Garay am 23. März 2010 entlassen. FĂźr seine Freilassung hatten sich weltweit Amnesty-Mitglieder eingesetzt. So sammelte die Amnesty-Gruppe Papenburg fĂźr die Freilassung von Garay noch im Februar dieses Jahres 500 Unterschriften und schickte sie nach Peru, um Druck auf die BehĂśrden auszuĂźben.
inhAftierte soldAten wieder frei
guineA Die zehn MilitärangehÜrigen, die seit Januar 2009 in Guinea ohne Anklage festgehalten wurden, sind wieder frei. Am 25. Januar 2010 wurden Kommandant Issiaka Camara, Oberleutnant Alpha Oumar Diallo und Oberleutnant Hassiniou Pendessa freigelassen. Hauptmann Mamadou Bah Syllah, Hauptmann Lansinet Keita und Leutnant Ibrahim Kadja durften am 18. Februar 2010 das Gefängnis verlassen, Oberst Soryba YansanÊ, Oberst leutnant David Syllah, Kommandant Pathio Bangourah und Feldwebel Moussa Sylla am 7. April. Einer der Freigelassenen war in Haft schwer verletzt worden und trug HÜr- und Sehprobleme davon. Ein weiterer leidet an Knieschmerzen, weil er während der Haft seine Zelle nicht verlassen durfte. Die Männer waren im Januar 2009 von Soldaten festgenommen worden, kurz nach dem Tod des Präsidenten Lansanna ContÊ und der Machtßbernahme durch das von Moussa Dadis Camara gefßhrte Militär. Es wird vermutet, dass die Festgenommenen fßr ContÊ gearbeitet haben. Bei der Freilassung der drei Soldaten im Januar forderten BehÜrdenvertreter die Männer auf, ihr Schicksal hinzunehmen. Sie sagten wÜrtlich: Was geschehen ist, ist geschehen. Inzwischen hat sich aber ein Regierungsmitglied fßr ihre Inhaftierung entschuldigt und gewährte ihnen zwei Wochen Urlaub vor der Wiederaufnahme ihrer Arbeit.
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PANORAMA
keniA: 50.000 menschen droht ZwAngsräumung A
Die kenianischen BehĂśrden bereiten die Zwangsräumung von etwa 50.000 Menschen vor. Die meisten von ihnen leben entlang der Eisenbahnschienen in Kibera, dem mit einer Million Einwohnern grĂśĂ&#x;ten Slum der Hauptstadt Nairobi. Die Räumung eines etwa 60 Meter breiten Streifens längs der Schienen soll Platz fĂźr den Ausbau der Verbindung schaffen. Den Bewohnern, die dort oft seit Jahren leben, wurden keine Ersatzwohnungen angeboten. Stattdessen drohte ihnen die staatliche Bahngesellschaft am 21. März Ăźber Zeitungen mit strafrechtlicher Verfolgung, wenn sie ihre HĂźtten nicht innerhalb von 30 Tagen abreiĂ&#x;en wĂźrden. Amnesty hat gegen die geplante Räumung protestiert. Bei Redaktionsschluss am 14. Mai hatte sie noch nicht stattgefunden. Aktuelle Informationen auf www.amnesty.de/wohnen
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Amnesty journAl | 06-07/2010
Foto: Chris Carlson / AP
Foto: Sven TorďŹ nn / laif
usA: mAssenproteste gegen einwAnderungsgesetZ ! Zehntausende Menschen haben am 1. Mai in ßber 80 Städten der USA, wie hier in Los Angeles, gegen ein verschärftes Einwanderungsgesetz im Bundesstaat Arizona demonstriert. Das Gesetz, das voraussichtlich im Juli in Kraft treten wird, sieht unter anderem vor, dass Polizisten jeden kontrollieren mßssen, den sie verdächtigen, illegal eingewandert zu sein. Amnesty befßrchtet, dass sich die Polizei bei ihren Kontrollen an der Hautfarbe orientieren wird und dies zu willkßrlichen Festnahmen fßhren wird. Es ist das erste Mal, dass illegale Einwanderung in einem Bundesstaat der USA wie ein Verbrechen behandelt wird. Präsident Barack Obama kritisierte das Gesetz als fehlgeleitet und will prßfen lassen, ob seine Umsetzung im Einklang mit der Verfassung steht.
pAnorAmA
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Foto: Yahya Arhab / epa / picture alliance
NACHRICHTEN
Gegendemonstration. Frauen, die die Einfßhrung des Mindestheiratsalters im Jemen verhindern wollen. Sanaa, 21. März 2010.
demos fĂźr und gegen kinderehen jemen Hunderte Frauen und Mädchen aben am 23. März vor dem Parlament in h der Hauptstadt Sanaa fĂźr die Umsetzung des beschlossenen Mindestalters fĂźr EheschlieĂ&#x;ungen demonstriert. Sie Ăźberreichten Parlamentspräsident Yehya alRahi eine Petition mit einer Million Unterschriften. 2009 wurde im Jemen ein Gesetz verabschiedet, demzufolge Mädchen erst mit 17 Jahren und Jungen mit 18 Jahren heiraten dĂźrfen. Einige Abgeordnete blockieren jedoch das Inkrafttreten der Gesetzreform. An der Demonstration nahm auch Nujood Ali teil, deren Fall weltweit Schlagzeilen gemacht hatte: 2008 setzte die damals Neunjähri-
ge nach zwei Monaten Zwangsehe die Scheidung von ihrem 22 Jahre älteren Ehemann durch (siehe Amnesty Journal Februar/März 2010). Zwei Tage vor dieser Demonstration hatten Tausende Frauen gegen das neue Gesetz protestiert. Dazu aufgerufen hatten Islamisten und Konservative, die das Mindestheiratsalter mit der Begrßndung ablehnen, dies sei im Islam nicht vorgesehen. Sie verweisen darauf, dass der Prophet Mohammed seine Frau Aisha als Neunjährige geheiratet habe. Im Jemen ist es besonders in ländlichen Gegenden ßblich, Jungen und Mädchen sehr frßh zu verheiraten. Die Mädchen werden teil-
chinA muss geheimhAltung von hinrichtungen beenden
todesstrAfe Amnesty International hat China aufgefordert, Todesurteile und Hinrichtungen nicht länger als Staatsgeheimnis zu behandeln. Die Regierung in Peking behauptet, dass immer weniger Hinrichtungen stattfinden. Wenn das stimmt, warum verheimlicht sie dann, wie viele Menschen zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden?, sagte Amnesty-Experte
12
Oliver Hendrich Ende März anlässlich der VerÜffentlichung der Amnesty-Statistik ßber die Todesstrafe im Jahr 2009. Als Reaktion auf die Geheimniskrämerei werden darin erstmals keine Zahlen zu China genannt. Amnesty geht davon aus, dass 2009 in der Volksrepublik Tausende Menschen hingerichtet wurden. Abgesehen von China wurden 2009 mindestens
weise schon mit acht Jahren verheiratet. Sie gehen dann nicht mehr zur Schule und sind finanziell von ihrem Mann abhängig. Brauchtum und soziale Normen erlauben es den Männern, ihre Frauen, TÜchter und Schwestern zu schlagen. Frßhe Schwangerschaften und Geburten stellen zudem ein hohes Risiko fßr die Mädchen dar. Im vergangenen September starb eine zwangsverheiratete ZwÜlfjährige bei der Totgeburt ihres Kindes. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation El Schakaek starb am 2. April eine 13Jährige an einer Vaginalblutung – vier Tage, nachdem sie mit einem etwa 30 Jahre alten Mann verheiratet worden war.
714 Menschen in 18 Ländern hingerichtet und mehr als 2.000 Menschen in 56 Ländern zum Tode verurteilt. AuĂ&#x;er China vollstreckten der Iran (mindestens 388), der Irak (mindestens 120), Saudi-Arabien (mindestens 69) und die USA (52) die meisten Todesurteile. 139 Staaten haben die Todesstrafe hingegen im Gesetz oder in der Praxis abgeschafft.
Amnesty journAl | 06-07/2010
David Mendes, von 1992 bis 1995 angolanischer Umweltminister, arbeitet heute als Menschenrechtsanwalt. Er ist Direktor der Organisation Mãos Livres (Freie Hände), die Menschen in Slums rechtlich berät und sich fßr die Rechte der Opfer von Zwangsräumungen einsetzt.
interview
dAvid mendes
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen rechtswidrigen Zwangsräumungen und Menschenrechten? Jemanden aus seiner Wohnung zu entfernen, heiĂ&#x;t, seine WĂźrde in Frage zu stellen. Tatsächlich haben die Zwangsräumungen viel mit der MenschenwĂźrde zu tun. Vor allem in den Randbezirken der groĂ&#x;en angolanischen Städte, die sich rasant entwickeln, wie Luanda, Benguela, Huambo und Cabinda, ist das ein groĂ&#x;es Problem. Dort ist Immobilienspekulation sehr verbreitet. Was sind die Folgen? Die groĂ&#x;en Spekulanten sind häufig Personen mit politischen Ă„mtern, also etwa Minister oder Abgeordnete oder auch Gene räle der Armee. Das Wirtschaftswachstum verlangt nach immer mehr Raum, auch an den Rändern der Stadt. Dort wohnen vor allem Arme. Dann rĂźcken Polizisten und Soldaten an und misshandeln die Menschen. Es kommt immer wieder zu Schussverletzungen, es gab sogar schon Tote. Viele Menschen werden festgenommen und landen im Gefängnis. Das heiĂ&#x;t, diese Spekulanten bedienen sich des gesamten repressiven Instrumentariums des Staates, um diejenigen aus dem Weg zu räumen, die ihren Immobiliengeschäften im Wege stehen. Vielen Menschen ist nicht bekannt, dass rechtswidrige Zwangsräumungen Menschenrechtsverletzungen sind. Wer unsere Lebenswirklichkeit nicht kennt, kann vielleicht nicht richtig nachfĂźhlen, was es heiĂ&#x;t, das Dach Ăźber dem Kopf zu verlieren. Eine Wohnung zu haben, ist eines der ersten GrundbedĂźrfnisse des Menschen. Viele machen sich nicht klar, was es fĂźr Menschen bedeutet, wenn sie schikaniert und misshandelt werden, wenn sie ihr Zuhause verlieren, wenn man sie auf die StraĂ&#x;e setzt und an unbekannte Orte verfrachtet. Unter welchen Bedingungen mĂźssen die Betroffenen nach den Zwangsräumungen leben?
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interview
Foto: Amnesty
Âťdie spekulAnten benutZen die poliZei fĂźr ihre ZweckeÂŤ Manche verlieren bei den Zwangsräumungen alles, was sie haben. Und vor allem verlieren sie ihre WĂźrde: Die Kinder gehen nicht mehr zur Schule, die Eltern haben keine Arbeit mehr und kĂśnnen ihre Familien nicht mehr ernähren. Wir dĂźrfen dabei nicht vergessen: Die meisten Angolaner arbeiten im informellen Sektor. DafĂźr brauchen sie die Nähe zum StraĂ&#x;enhandel. Wenn man ihnen diese nimmt, sie aus den Stadtzentren entfernt, entzieht man ihnen die Grundlage fĂźr ihr ohnehin karges Leben. Sie werden zu Entwurzelten im eigenen Land und dafĂźr ist ihre eigene Regierung verantwortlich! Was unternimmt Ihre Organisation dagegen? Unsere Organisation ÂťMĂŁos LivresÂŤ (Freie Hände) arbeitet eng mit den Opfern von Zwangsräumungen zusammen. Vor allem kĂźmmern wir uns darum, dass sie einen echten Zugang zur Justiz erhalten. Formal garantiert das ja unsere Verfassung, aber das hilft ihnen nicht weiter. Sie brauchen qualifizierte Personen, die ihnen wirklich helfen kĂśnnen. Und das sind wir. Welche Erfolge konnten Sie erzielen? Wir haben erreicht, dass Menschen, die unter ganz verschiedenen Anschuldigungen im Gefängnis gelandet sind, wieder freikamen. Beliebt ist der Vorwurf ÂťWiderstand gegen die Staats gewaltÂŤ, dabei handelt es sich um Widerstand gegen illegale Handlungen und der ist nach unserer Verfassung erlaubt. Die mit der Regierung verbundenen Leute benutzen die Polizei, missbrauchen sie fĂźr ihre Zwecke: Sie lassen die WortfĂźhrer der Betroffenen verhaften und in Schnellprozessen aburteilen. Wir gehen dagegen gerichtlich vor und sorgen dafĂźr, dass die Leute wieder freikommen und dass der Staat seiner eigentlichen Verantwortung nachkommt. Denn wenn wir den Landkonflikt in Angola nicht bald lĂśsen, wird er in weitere Konflikte ausarten. Fragen: Dawid Bartelt
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erst die wAffenverkäufe, dAnn die menschenrechte Kampfpanzer fĂźr die TĂźrkei, Kriegsschiffe fĂźr Kolumbien, Schnellfeuergewehre fĂźr Malaysia, Saudi-Arabien und Thailand. Deutschland liefert Kriegsgerät in alle Welt, auch in Staaten, die regelmäĂ&#x;ig die Menschenrechte verletzen, das zeigt der Anfang April verĂśffentlichte ÂťRĂźstungsexportbericht 2008ÂŤ der Bundesregierung. ÂťBesorgniserregend
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sind insbesondere die Genehmigungen fĂźr Exporte von Kleinwaffen, Panzern oder Kriegsschiffen in Staaten mit bedenklicher Menschenrechtslage oder in KrisengebieteÂŤ, kritisierte Amnesty-RĂźstungsexperte Mathias John. Trotz des anhaltenden Konflikts in den kurdischen Gebieten lieferte Deutschland 2008 beispielsweise mehr als 100 Leopard-2-Pan-
Foto: Fabrice Praz / Amnesty
nigeriAnische poliZei verprĂźgelt Aktivisten
Schockierend. Celestine Akpobari (M.) bei einer Amnesty-Aktion in der Schweiz, Oktober 2009. nigeriA Die nigerianischen Menschenrechtsaktivisten Celestine Akpobari, Isaac Asume Osuoka und Ken Henshaw sind am 5. April 2010 in Port Harcourt von Polizisten schwer geschlagen worden. Akpobari erlitt durch Schläge mit einem Stock und einem Gewehrkolben Quet-
schungen an Armen und Beinen. Die Polizisten hatten mit ihrem Jeep den Wagen der Männer gestoppt, sie aus dem Auto gezerrt und auf sie eingeprßgelt. Auf der Wache wurden die Männer nicht medizinisch versorgt. Sie wussten, wer wir sind. Bei unserer Festnahme haben sie nicht
zer an die TĂźrkei. FĂźr Kolumbien genehmigte die Bundesregierung RĂźstungslieferungen im Umfang von rund 18,6 Millionen Euro, vorwiegend fĂźr Kriegsschiffe. ÂťEs ist nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung solche RĂźstungsexporte genehmigt. Menschenrechte sind offenbar nur ein nachrangiges Kriterium im GenehmigungsverfahrenÂŤ, sagte John.
nach unseren Namen oder Ausweisen gefragt, erklärte Isaac Asume Osuoka. Die Mitglieder der Organisation Social Action setzen sich dafßr ein, dass Un ternehmen, die im Nigerdelta ErdÜl fÜrdern, ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nachkommen. Shell und andere Konzerne sind gemeinsam mit dem nigerianischen Staat fßr Umweltverschmutzung durch die ÖlfÜrderung verantwortlich. Diese zerstÜren die Lebensgrund lagen der BevÜlkerung und schränken somit ihr Recht auf Nahrung, sauberes Wasser und Gesundheit ein (siehe Amnesty Journal August/September 2009). Wenige Tage nach der Attacke reiste Celestine Akpobari auf Einladung der Üsterreichischen Sektion von Amnesty International nach Wien, um auf Veranstaltungen ßber die Menschenrechtslage im Nigerdelta zu berichten. Es ist schockierend, dass selbst ein prominenter Menschenrechtsverteidiger und Aktivist jederzeit ohne Angabe von Grßnden von der nigerianischen Polizei festgenommen und offenbar misshandelt werden kann, sagte der Üsterreichische Amnesty-Generalsekretär Heinz Patzelt.
Sie wollten die erste Hochzeit e ines homosexuellen Paares in der Geschichte Malawis feiern. Nun droht den beiden Männern eine 14-jährige Haftstrafe in einem Arbeitslager. Der 26-jährige Steven Monjeza und der 20-jährige Tiwonge Chimbalanga wurden am 28. Dezember 2009 wegen unnatßrlicher Praktiken zwischen Männern und grob unsittlichen Verhaltens in der Öffentlichkeit festgenommen, weil sie zwei Tage zuvor eine traditionelle Verlobungszeremonie abgehalten hatten. Die beiden Männer
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sollen im Polizeigewahrsam misshandelt worden sein. Am 22. März entschied ein Richter, dass ihnen ab Mitte Mai der Prozess gemacht wird. Da ihre Verhaftung ausschlieĂ&#x;lich auf ihre sexuelle Orientierung zurĂźckzufĂźhren ist, betrachtet Amnesty International Steven Monjeza und Tiwonge Chimbalanga als gewaltlose politische Gefangene und fordert ihre sofortige und bedingungslose Freilassung. Die Kriminalisierung von Homosexualität ist nach internationalen Abkommen, die auch Malawi ratifiziert hat, verboten.
Foto: Eldson Chagara / Reuters
homosexuellem pAAr drohen 14 jAhre hAft
Festgenommen wegen ÂťUnsittlichkeitÂŤ. Steven Monjeza und Tiwonge Chimbalanga.
Amnesty journAl | 06-07/2010
PORTRĂ„T
Foto: Annette Hauschild / Ostkreuz / Amnesty
ÂťIch bin Optimist, trotz der grausamen Dinge, die mir begegnen.ÂŤ Murhabazi Namegabe setzt sich in der Demokratischen Republik Kongo fĂźr die Wiedereingliederung von Kindersoldaten in die Gesellschaft ein. Dank seines ÂťFreiwilligenbĂźros fĂźr Kinder und GesundheitÂŤ erhielten schon Hunderte die Chance auf ein neues Leben.
MURHABAZI NAMEGABE
der menschliche Im vergangenen Jahr konnte selbst Murhabazi Namegabe nicht mehr. Seit fast 20 Jahren setzt sich der Menschenrechtsverteidiger in der Demokratischen Republik Kongo fĂźr traumatisierte Kindersoldaten ein. ÂťAber ab einem bestimmten Moment erträgt man die Dinge nicht mehr, die man zu hĂśren bekommt, die man sieht und die man mit diesen Kindern erlebt. Ich litt derart unter Stress, dass ich meine Arbeit fĂźr einige Zeit niederlegen musste, um mich in medizinische Behandlung zu begeben.ÂŤ Doch Namegabe weiĂ&#x;, dass seine Arbeit dringend notwendig ist in einem Land, in dem sich Milizen, bewaffnete Banden und die Armee bekämpfen und die BevĂślkerung terrorisieren. Daher nahm er seine Tätigkeit als Direktor des ÂťFreiwilligenbĂźros fĂźr Kinder und GesundheitÂŤ (BVES) in Bukavu im Osten Kongos bald wieder auf. Mit mehr Energie als zuvor, wie er sagt: ÂťIch bin Optimist, trotz der grausamen Dinge, die mir begegnen.ÂŤ Etwa die Berichte von Mädchen, die nach ihrer EntfĂźhrung in ein Milizlager die Männer eine Woche lang nackt bedienen mussten, bevor sie als Soldatinnen und Sexsklavinnen missbraucht wurden. Oder die Berichte von Jungen, die sich aus Versehen selbst anschossen, weil sie in ihrer kurzen Ausbildung nicht gelernt hatten, ihr Gewehr richtig zu bedienen. Um diesen Kindern ein neues Leben zu ermĂśglichen, unterhält das BVES sieben Hilfszentren, in denen ehemaligen Kindersoldaten Therapien, Schulunterricht und Handwerkskurse angeboten werden. Amnesty International kooperiert eng mit der Organisation und unterstĂźtzte Namegabe auch, als er im vergangenen Jahr erkrankte. Diejenigen Kinder, die nicht mehr zu ihrer Familie zurĂźckkehren kĂśnnen, werden in Wohnheimen betreut. ÂťBei uns lernen sie, die Rechte anderer Menschen zu respektieren – und dass auch sie selbst Rechte habenÂŤ, so Namegabe. Dass Kinder Rechte haben, das versucht der Kongolese sogar den Warlords nahe zu bringen. Zusammen mit seinen Kollegen fährt er in ihre Lager und versucht sie davon zu Ăźberzeugen, die Kindersoldaten freizulassen und weiteren Kindern dieses Schick-
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porträt
sal zu ersparen. ÂťIch frage sie dann: Wenn ihr aus allen Kindern Soldaten macht, selbst aus euren eigenen, und diese dann im Krieg sterben, was soll dann aus euren Gemeinden werden?ÂŤ Namegabe hat bereits mehrmals erlebt, dass die AnfĂźhrer die Tragweite ihrer Verbrechen erkannten und unter Tränen die Kinder ziehen lieĂ&#x;en. Die Menschenrechtsverteidiger von BVES geraten aber auch immer wieder in lebensbedrohliche Situationen. Einmal richteten Milizionäre ihre Waffen auf sie und forderten: ÂťIhr wollt 15 Kinder von uns? Ihr seid 15 Mann, dann werdet ihr eben an ihrer Stelle fĂźr uns kämpfen.ÂŤ Oder sie wurden als Geiseln genommen und in blutverschmierte Zellen gesperrt: ÂťDie EntfĂźhrer haben uns geschildert, wie sie am Vortag jene Menschen tĂśteten, die sie am gleichen Ort festgehalten hatten.ÂŤ Auch zu Hause erhält Namegabe Drohungen. Von anonymen Anrufern wird er gefragt: ÂťHast du schon deinen Sarg bestellt?ÂŤ Namegabe lässt sich davon nicht einschĂźchtern. Die Kraft fĂźr seine Arbeit, sagt er, geben ihm, neben seiner Frau und seiner 13-jährigen Tochter, der katholische Glaube und die Moralvorstellungen, die ihm seine Eltern vorgelebt haben. Schon in seiner Jugend konnte er nicht hinnehmen, dass seine Nachbarin von ihrem Ehemann geschlagen wurde. Genauso wenig kann er heute tatenlos zusehen, wenn AngehĂśrige der Milizen Kinder in Lager verschleppen. ÂťEinige der Kinder sind wie wilde Tiere, wenn sie zu uns kommen, weil man ihnen beigebracht hat, alle bĂśsen Dinge dieser Welt zu tun: morden, plĂźndern, Drogen nehmen.ÂŤ Genau diesen Prozess der Entmenschlichung will er mit seiner Organisation rĂźckgängig machen. Murhabazi Namegabe ist sicher, dass sein Engagement nicht nur durch die Erziehung seiner Eltern vorherbestimmt war, sondern auch durch ihre Namenswahl. Murhabazi ist Swahili und bedeutet Ăźbersetzt: Der Menschliche. Text: Daniel Kreuz
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Foto: Shamil Zhumatov / Reuters
Geständnisse unter Schlägen. Festnahme eines regierungskritischen Demonstranten in der kasachischen Stadt Almaty, 30. Mai 2007.
drei stunden vogelfrei In Kasachstan ist Folter durch Polizisten an der Tagesordnung. Dies dokumentiert ein aktueller Amnesty-Bericht. Von Imke DierĂ&#x;en Im Oktober 2008 ging Dmitri Tian zu einer Polizeiwache in Kasachstans Hauptstadt Astana. Er war vorgeladen worden, um in einem Mordfall auszusagen. Doch statt als Zeuge befragt zu werden, musste er sich bis auf die Unterwäsche ausziehen. Dann schlugen ihn die Polizisten mit KnĂźppeln und gefĂźllten Plastikflaschen. Er sollte den Mord an einer Mutter und ihren drei Kindern gestehen. Dmitri Tian ist kein Einzelfall. Die kasachische Regierung zeigt sich zwar im Kampf gegen Folter und Misshandlung bemĂźht. So billigte Präsident Nazarbaev im Mai 2009 einen Nationalen Aktionsplan fĂźr Menschenrechte. Trotzdem sind Folter und Misshandlung noch immer an der Tagesordnung, wie ein Ende März verĂśffentlichter Bericht von Amnesty International dokumentiert. Die Polizei foltert und misshandelt ihre Gefangenen vor allem direkt nach der Festnahme. Nach kasachischem Recht muss eine Festnahme erst nach drei Stunden registriert werden, in der Praxis geschieht dies häufig sogar
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noch später. Erst mit der offiziellen Eintragung hat der Festgenommene das Recht auf einen Anwalt oder die MĂśglichkeit, seiner Familie zu kontaktieren. Folter kann in Kasachstan jeden treffen. Islamische Extremisten oder die, die dafĂźr gehalten werden, mĂźssen ebenso fĂźrchten, gefoltert zu werden, wie einfache Leute. Dadurch sollen Geständnisse fĂźr alle mĂśglichen Verbrechen erpresst werden. Polizisten arbeiten nach einem inoffiziellen Punktesystem, in dem sie nach der Zahl der Delikte, die sie erfolgreich aufklären, bewertet werden. Letzten Endes ÂťgestandÂŤ auch Dmitri Tian unter den Schlägen, die Morde begangen zu haben. Im Juni 2009 wurde er zu einer 25-jährigen Haftstrafe verurteilt. Vor Gericht hat er stets bestritten, die Frau und ihre Kinder umgebracht zu haben. Er sagte auch aus, gefoltert worden zu sein. Doch der Richter schenkte den VorwĂźrfen keine Beachtung. Die Verwertung von ÂťGeständnissenÂŤ, die unter Folter erlangt wurden, ist nicht nur ein VerstoĂ&#x; gegen das internationale Folterverbot. Auch das kasachische Recht sieht ein Verwertungsverbot fĂźr solche ÂťBeweiseÂŤ in Gerichtsverfahren vor. Aber entweder bleiben die FoltervorwĂźrfe gänz-
lich unbeachtet oder der Richter lädt die beschuldigten Polizeibeamten vor. Streiten die Polizisten die Vorwßrfe ab, folgt darauf oft keine weitere Untersuchung, und die Geständnisse des Beschuldigten gelten als zulässig. Nie hätte Irina Tian geglaubt, dass jemand bezweifeln wßrde, dass ihr Ehemann gefoltert wurde. Weil sie wiederholt eine Untersuchung gefordert hat, wurde sie von der Polizei bedroht und muss nun um die Sicherheit ihrer vier Kinder fßrchten. Auch ihre Arbeit hat sie verloren. Amnesty fordert die kasachische Regierung auf, Personen ab dem Moment ihrer Festnahme zu registrieren, und nicht erst nach drei Stunden. Zudem mßssen unabhängige Beobachter uneingeschränkten Zugang zu allen Hafteinrichtungen erhalten, damit die Folter auf den Polizeiwachen ein Ende hat. Umso mehr, da Kasachstan 2010 den Vorsitz der Organisation fßr Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) innehat und sich daher auch einem der Hauptanliegen der OSZE verpflichtet fßhlen sollte: dem Schutz der Menschenrechte. Die Autorin ist Europa- und Zentralasien-Referentin der deutschen Amnesty-Sektion.
Amnesty journAl | 06-07/2010
Zeichnung: Oliver Grajewski
kolumne sAbine kĂźper
tĂźrkei: ein mord und seine folgen
ÂťIch geh uns noch ein Eis holenÂŤ, waren in einer heiĂ&#x;en Julinacht 2008 die letzten Worte des Physikstudenten Ahmet Yildiz an seinen Lebenspartner Ibrahim Can. Kurz darauf waren SchĂźsse zu hĂśren. Es war gegen 23 Uhr im Stadtteil ĂœskĂźdar im asiatischen Teil von Istanbul. Ibrahim Can, Reiseverkehrskaufmann aus KĂśln, stĂźrzte auf die StraĂ&#x;e, Passanten eilten herbei. Auch ĂœmmĂźhan Daraman, die im CafĂŠ gegenĂźber gesessen hatte, versuchte zu helfen. Im Schock hatte sich noch gar nicht registriert, dass ein Querschläger ihre linke Ferse verletzt hatte. Aber Ahmet Yildiz starb am Tatort. Vier Kugeln hatten ihn in die Brust getroffen. Die Polizei hatte bald den mutmaĂ&#x;lichen Täter ermittelt: Yayha Yildiz, Ahmets Vater. Er lebt im SĂźden der TĂźrkei, in Mersin. Aber sein Handy konnte zur Tatzeit in ĂœskĂźdar geortet werden. Seitdem ist er ßchtig. Bereits im Februar 2008 war Ahmet Yildiz zusammen mit seinem Freund Ibrahim Can zur Polizei gegangen, um Anzeige wegen Morddrohungen durch seine Familie zu erstatten. Ein halbes Jahr zuvor hatte der Student sich gegenĂźber seiner Familie als schwul geoutet. Die Eltern versuchten, ihn zu einer Psychotherapie zu drängen. Mit dieser Auffassung stehen sie in der TĂźrkei nicht allein. So behauptete Anfang März 2010 die tĂźrkische Familienministerin Selma Aliye Kavaf Homosexualität sei eine Âťbiologische Abartigkeit, eine KrankheitÂŤ. Doch sollte man bei der Betrachtung des Falls nicht vorschnell der tĂźrkischen oder islamischen Kultur die Schuld geben. Homophobie ist ein globales Phänomen. Sie tritt aber momentan besonders gewalttätig in Gesellschaften auf, die groĂ&#x;e gesellschaftliche UmbrĂźche erleben, wie etwa in Russland. Die GrĂźnde dafĂźr sind komplex. Jeder Einzelfall verdient eine genaue Analyse der individuellen BeweggrĂźnde und der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. In der TĂźrkei gibt es zwar seit einiger Zeit eine aktive Bewegung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT). Aber nach der Durchsetzung fundamentaler Rechte fĂźr Frauen in den vergangenen 25 Jahren verstehen viele jede weitere Infragestellung der klassischen Familie als Angriff auf die Grundfesten der Gesellschaft. Erst 2004 wurden zentrale Forderungen der Frauenbewegung, wie etwa die Abschaffung von Strafnachlässen, wenn Gewalt gegen Frauen innerhalb der Familie verĂźbt wird, gesetzlich verankert. FĂźr Homo sexuelle gilt diese diskriminierende Rechtspraxis immer noch. Auch der Mord an Ahmet drohte als ungelĂśster Fall in den Archiven der Staatsanwaltschaft zu verschwinden. Doch ĂœmmĂźhan Daraman, Ahmets Nachbarin, konnte eine Prozess erĂśffnung erzwingen, weil sie bei dem Attentat verletzt worden war. Seit dem 4. September 2009 läuft nun in Abwesenheit der Prozess gegen Ahmets Vater. Ein Urteil ist noch nicht abzusehen, aber das Verfahren ďŹ ndet eine erstaunliche Ăśffentliche Resonanz. Massen medien berichten mit Sympathie Ăźber die Liebe von Ahmet und Ibrahim. Und Gesundheitsminister Recep AkdaÄ&#x;, der Mitglied derselben konservativ-islamischen Regierungspartei AKP ist wie Kavaf, widersprach seiner Kabinettskollegin Ăśffentlich. Sabine KĂźper ist freie Journalistin und lebt in Istanbul.
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Titel: Helden wider Willen
Keine Friedhofsruhe Den Toten einen Namen geben. Maria Consuelo Montoya an einem anonymen Grab im kolumbianischen San Luis, in dem vermutlich ihre Brüder und ihr Schwager bestattet sind. Foto: Luca Zanetti
Regierungen und Rebellengruppen in vielen Ländern lassen ihre Gegner »verschwinden«. Sie wollen nicht nur Angst verbreiten, sondern auch die Spuren ihrer Verbrechen verwischen. Es sind zu allererst die Mütter und Väter, Geschwister und Kinder der Entführten und heimlich Ermordeten, die das Schweigen brechen, sich nicht einschüchtern lassen, die Aufklärung und eine Bestrafung der Täter verlangen. Beispiele aus Kolumbien, Argentinien, Nepal, Algerien und Marokko.
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Spuren sichern. Der forensische Anthropologe Eduardo Ospina sperrt einen Ausgrabungsort ab.
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Foto: Luca Zanetti
Die Angehörigen nicht allein lassen
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Wenn wir von »Verschwindenlassen« sprechen, dann geht es um Entführung, Folter und Mord. Dann geht es um den Versuch von Regierungen oder Bürgerkriegsparteien, Angst zu verbreiten und gleichzeitig ihre Verbrechen zu verschleiern. Besonders das argentinische Militärregime hat diesen Begriff unfreiwillig geprägt. Die Generäle ließen während ihrer Herrschaft von 1976 bis 1983 Zehntausende Oppositionelle verschwinden. Meistens holten Soldaten in Zivil die tatsächlichen oder vermeintlichen Regimegegner nachts ab und brachten sie in geheime Folterzentren. Später wurden viele betäubt aus Flugzeugen über dem Rio de la Plata abgeworfen. Das Militär wollte nicht nur unliebsame Kritiker loswerden, sondern auch keine Beweise für seine Verbrechen hinterlassen. Doch die Rechnung ging nicht auf. Noch während der Diktatur wurde ruchbar, was in Argentinien geschah. Vor allem die »Mütter der Plaza de Mayo« machten die Verbrechen international bekannt. Sie wollten wissen, was mit ihren Kindern geschehen war und wurden so zu Symbolfiguren. Zu Heldinnen wider Willen. Angehörige, die wissen wollen, was mit ihren Kindern, Eltern, Ehegatten und Geschwistern geschehen ist, sind die Hauptpersonen auf den folgenden Seiten. Sie kommen aus Argentinien, wo inzwischen die Täter vor Gericht stehen, aus Kolumbien, wo Angehörige auf die Ergebnisse von Exhumierungen warten, um das Schicksal ihrer Familienmitglieder aufzuklären, oder aus Nepal, wo nach dem Friedensschluss beide Bürgerkriegsparteien Aufklärung versprachen, aber nur öffentlicher Druck zu ersten Anklagen führte. Der Kampf der Angehörigen für Wahrheit und Gerechtigkeit hat auch die Entwicklung in Gang gebracht, die schließlich zur UNO-Konvention gegen das Verschwindenlassen (oder »erzwungenes Verschwinden«) geführt hat. Seit 2006 ist die Konvention in Kraft. Zwar kann internationales Recht allein keine Verbrechen verhindern – in ihrem jüngsten Bericht dokumentiert die UNO-Arbeitsgruppe gegen das erzwungene Verschwinden 42.393 offene Fälle in 79 Ländern. Doch stärkt das internationale Recht den Angehörigen den Rücken. Es hilft ihnen, die internationale Öffentlichkeit zu mobilisieren und letztlich eine Verurteilung der Täter zu erreichen. Auch Deutschland hat die Konvention gegen das Verschwindenlassen ratifiziert und die Bundesregierung hat inzwischen einen Gesetzentwurf zur Umsetzung vorgelegt, der wichtige Schritte beinhaltet. Allerdings sieht dieser, entgegen den Vorgaben der Konvention, keinen eigenen Straftatbestand »Verschwindenlassen« vor. Stattdessen verweist die Regierung auf die bereits vorhandenen Straftatbestände Freiheitsberaubung, Nötigung oder erpresserischer Menschenraub. Damit wird sie dem eigentlichen Verbrechen jedoch keineswegs gerecht, das durch staatliche Willkür sowie die anschließende Verschleierung gegenüber den Angehörigen und der Öffentlichkeit gekennzeichnet ist. Mit der derzeitigen Formulierung des Gesetzentwurfs schwächt Deutschland letztlich die Konvention statt mit gutem Beispiel voranzugehen. Leonie von Braun ist Sprecherin der Themengruppe Straflosigkeit der deutschen Amnesty-Sektion.
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Ermittlungen nach 22 Jahren. In San Rafael versucht Eduardo Ospina (Mitte) mit Hilfe der Anghรถrigen (hinter der Absperrung) 15 Opfer eines Massakers von
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1988 zu identifizieren.
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Die Wahrheit ausgraben In Kolumbien suchen Spezialisten der Staatsanwaltschaft in anonymen Gräbern nach den Verschwundenen im Bürgerkrieg zwischen Militär, Guerilla und Paramilitärs. Alexander Bühler (Text) und Luca Zanetti (Fotos) haben eines der Exhumierungsteams sechs Tage lang begleitet.
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ls der forensische Anthropologe Eduardo Ospina um zwölf Uhr Mittag das letzte der drei Gräber öffnet, schwindet bei Ana Dela Ramírez die Hoffnung, den Körper ihres Sohns wiederzufinden. Zusammen mit ihrem Mann und ihrer Enkelin steht sie auf dem Friedhof von San Luis, ihre Augenringe wirken noch ein wenig dunkler, ihre Lippen, die sie fest aufeinander presst, noch schmaler. Den vierten Tag in Folge untersucht Ospina jetzt schon Gräber. Zusammen mit dem Topografen Joller López, dem Gerichtsfotografen Nelson Arboleda und dem Ermittler Jorge Díaz gehört er zum Team des Staatsanwalts Gustavo Duque. Sie gehen Hinweisen von Angehörigen von Ermordeten nach, graben Knochen aus, versuchen die anonymen Toten zu identifizieren. Der Staatsanwalt hat das Programm für die Reise vorbereitet, hat Zeugen an die Orte der Exhumierungen bestellt, Friedhofsverwaltungen benachrichtigt und Polizeireviere angerufen. Die Kleinstadt San Luis ist von jenen Hügeln umgeben, die die Region Antioquia in Kolumbien so malerisch machen. Vom Ort führt eine gepflasterte Straße zum Friedhof, am Eingang stößt eine Engelsstatue in die Posaune. Die Gräber, um die es an diesem Tag geht, liegen in der hinteren Ecke des Friedhofs. Gegenüber liegt ein zugewucherter Garten, in dem sich Farne ausgebreitet haben, daneben eine Pferdekoppel. Drei weiße Holzkreuze standen dort, bis Ospina sie für die Öffnung der Gräber beiseite legte. Vom Hügel gegenüber, wo das Städtchen selbst liegt, hört man die Rufe der Schulkinder und das Hupen der Busse, die in die Provinzhauptstadt Medellín fahren. Vierzig Minuten später, als Ospina alle Überreste aus dem Grab geborgen hat, umschlingt die Gewissheit Ana Dela Ramírez wie ein dunkles Tuch. Vor acht Jahren erfuhr sie, dass ihr Sohn, ein Tagelöhner, getötet worden war, vor vier Jahren nannte man ihr den Ort, an dem er angeblich begraben sei, und vor wenigen Monaten kam erstmals eine Ermittlung in Gange. Jetzt erfährt sie, dass die Suche vorerst fehlgeschlagen ist, dass ihre zehnjährige Enkelin möglicherweise nicht einmal die Überreste ihres Vaters sehen wird.
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2002 lebte Ramírez im gleichen Ort wie heute, sie und ihr Mann bestellten das gleiche Stück Land wie heute. Mit dem Unterschied, dass damals die ELN-Guerilla die Region dominierte. Mit dem Regierungsantritt von Präsident Álvaro Uribe im gleichen Jahr fing der Staat an, massiv gegen die Guerilla vorzugehen – ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Ana Dela Ramírez, ihr Mann und die Kinder, die bei ihnen lebten, flohen vor den näherrückenden Gefechten nach Medellín und kehrten erst vor zwei Jahren wieder zurück. Die Armee eroberte den Landstrich, mit ihnen tauchten die paramilitärischen Gruppen auf, die jeden töteten, der ihnen verdächtig erschien. »Das ist Jhonny«, sagt Luz Montoya. Es klingt erleichtert. Die zierliche 30-Jährige blickt auf die weiße Plastikplane, auf der der Forensiker Ospina den Inhalt des dritten Grabs ausgebreitet hat. Auch Ana Dela Ramírez kann die Gegenstände genau sehen, sie steht wortlos neben Montoya am Absperrband. Eine Unterhose liegt da, ein kleines Armband mit einem blauen Würfel, auf dem ein L steht, L für seine Frau Luz. An diesen Gegenständen erkennt sie ihn. Jhonny Montoya wurde 28 Jahre alt. An dem Tag, als er starb, besuchten seine beiden Schwager ihn und ihre Schwester Luz auf ihrem kleinen, abgelegenen Bauernhof. Eine Bande Paramilitärs überfiel die Bauern und erschoss die Männer. Einfach so. Gründe wurden für solche Ermordungen nie genannt. Die »Paras« nahmen einfach an, die Bauern hätten sich mit der Guerilla arrangiert – was in ihren Augen einem Todesurteil gleichkam. Luz Montoya konnte sich retten, musste aber die Leichen zurücklassen. Nachbarn fanden die Toten, als sie bereits von Faulgasen aufgebläht waren, und brachten sie zum Friedhof. Montoya konnte sie dort noch einmal sehen, aber niemanden identifizieren, weil der Zersetzungsprozess die Toten bereits unkenntlich gemacht hatte. Und so wurden sie einfach als drei weitere unbekannte Opfer des Bürgerkriegs verscharrt. »NN, Feb 7, 2002« stand auf den Kreuzen an ihren Gräbern. Wäre Kolumbien ein Bürgerkriegsland mit klaren Fronten, dann könnte man vielleicht darauf hoffen, dass die Toten an die Gegenseite übergeben und die Angehörigen verständigt wer-
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Den Hinweisen nachgehen. Eduardo Ospina (links) und der Topograf Joller López (rechts oben) exhumieren in San Luis drei anonym bestattete Tote.
Den Knochen ihr Geheimnis entlocken. Carlos Montoya trägt die mutmaßlichen Gebeine seines Sohnes zum Auto der Staatsanwaltschaft.
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Vorläufige Identifizierung. Eduardo Ospina findet Schmuck, an dem Luz Montoya den Toten als ihren Mann erkennt.
den. In Kolumbien gibt es keine klaren Fronten und die Regeln des humanitären Völkerrechts zählen wenig. Seit mittlerweile 60 Jahren tobt hier ein Konflikt, in dem Millionen Menschen vertrieben, Hunderttausende ermordet und Zehntausende entführt wurden. »Desapareciones forzadas« nennt man das: ein erzwungenes Verschwinden, das meistens mit dem gewaltsamen Tod der Entführten und dem Verscharren der Leiche endet. Zwischen 5.000 und 50.000 Menschen haben dieses Schicksal in Kolumbien erlitten – die Schätzungen variieren je nach Interessenlage. Fest steht, dass alle bewaffneten Gruppen solche Verbrechen begangen haben: Die Armee, die Geheimdienste, die Guerilla-Gruppen, die Paramilitärs und die Drogenhändler.
Keine Gerechtigkeit, kein Frieden 2005 erließ das kolumbianische Parlament ein Gesetz mit der Ordnungszahl 975. Es trägt den hochtrabenden Titel »Ley de Justicia y Paz«, Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden. Zwar gilt das Gesetz für alle am Bürgerkrieg Beteiligten, die ihre Waffen niederlegen. Ziel des Gesetzes war es aber vor allem, den Paramilitärs den Einstieg ins zivile Leben zu ermöglichen. Ganz gleich, wie viele Menschen sie ermordet haben, sie bekommen maximal acht Jahre Haft, wenn sie mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten. Zum Beispiel, wenn sie den Ort nennen, an dem sie ihre Opfer begraben haben. Für die Angehörigen der Opfer sieht das Gesetz eine Entschädigung vor. Sie müssen zunächst das »Verschwinden« eines Angehörigen bei der Staatsanwaltschaft anzeigen, die dann der Spur nachgeht. Wenn der Tote dann geborgen und als Verwandter identifiziert ist, wird eine Entschädigung an dessen Familie ausgezahlt. Doch dafür muss die Leiche des Ermordeten erst einmal gefunden werden. Angesichts der vielen Landstriche
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Kolumbiens, in denen immer noch gekämpft wird, eine gefährliche Aufgabe, die der Staatsanwaltschaft übertragen wurde. Nach der Verabschiedung des Gesetzes stellte die Generalstaatsanwaltschaft 2006 landesweit 20 Teams wie das von Gustavo Duque zusammen. Schon kurze Zeit später wurden zwei Staatsanwälte ermordet, als sie anfingen, Fälle von mutmaßlichen Massakern durch die Armee zu bearbeiten. Ihre Stellen wurden nicht neu besetzt. Die 18 verbleibenden Kollegen von Duque werden nicht vom kolumbianischen Staat finanziert, sondern von den USA und den Niederlanden. Oft müssen die Teams ihre Ausrüstung selbst kaufen, um überhaupt weiterarbeiten zu können. »Das ist ein bewusstes politisches Signal unseres Staats«, sagt ein Mitglied aus Duques Team. Auch bei der Angehörigenorganisation ASFADDES glaubt man nicht daran, dass die Regierung die Verbrechen wirklich umfassend aufklären will. »Das Gesetz für Frieden und Versöhnung ist ein Hohn«, sagt Esperanza Merchan, Generalsekretärin der Organisation. »Es hilft nur den Tätern, nicht den Opfern.« Tatsächlich wirkt die Entschädigung, die der Staat den Familien der Opfer zahlt, lächerlich gering: 18 Millionen kolumbianische Pesos, knappe 6.700 Euro, bekommen sie für jeden Toten. Im Gegenzug müssen sie sich bereit erklären, auf weitere Entschädigungsforderungen zu verzichten und nicht gerichtlich gegen die Mörder vorzugehen. Mit ihren wenigen Mitarbeitern versucht ASFADDES den Tausenden Familien der Opfer zu helfen und die Gewalttaten aufzuklären. Die Organisation beklagt, dass viel zu wenig Untersuchungsteams existieren, um zügig die Fälle zu untersuchen. Außerdem sei die Generalstaatsanwaltschaft mehr daran interessiert, die Akten zu schließen, als die Fälle aufzuklären oder gar die Öffentlichkeit zu informieren. Tatsächlich können Duque
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und sein Team zwar ermitteln, müssen die Ergebnisse aber an eine andere Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft abgeben, die dann entscheidet, ob ein Verfahren gegen die Täter eingeleitet wird. Der fünfte Tag seiner Reise führt das Team von Staatsanwalt Duque ganz in die Nähe der Hazienda Napolés, dem ehemaligen Luxus-Landsitz des 1993 erschossenen Drogenkönigs Pablo Escobar, in den Bezirk »La Cristalina«. Eindringlich warnt der Staatsanwalt seine Leute, die auch hier einen Ermordeten ausgraben sollen: »Wenn ihr einen Schuss hört, werft euch auf den Boden!« Nur der Ermittler Díaz trägt eine Waffe. Die Rauschgiftschmuggler, die »Narcos«, sind hier nach wie vor aktiv und haben sich mit paramilitärischen Gruppen verbündet. Immerhin ist die Armee verständigt, um im Falle eines Aufeinandertreffens schnell eingreifen zu können: Zwei Soldaten, die eine halbe Stunde Autofahrt entfernt Posten bezogen haben. Octavio Germán und Melba Lleras begleiten die Gruppe. Lleras ist die Mutter des Ermordeten, den Duque heute exhumieren möchte. Germán, ein alter Mann aus La Cristalina, hat ihr den Ort genannt, an dem sich das Grab befinden könnte. Wie in den meisten Fällen verlässt sich der Staatsanwalt lieber auf die Informationen von Familienangehörigen als auf die Aussagen der Paramilitärs, die sich meistens nur noch sehr schlecht daran erinnern können, wo sie ihre Opfer vergraben haben.
Die Suche im Dschungel Die zwei Autos von Duques Team verlassen die Hauptstraße. Mit dem weißen Pick-Up und dem umgebauten Ambulanzwagen, auf dem groß »Fiscalía« – Staatsanwaltschaft – steht, geht es eine halbe Stunde über eine Piste mit tiefen, schlammigen Pfützen durch den Dschungel. Dann haben die Wagen eine Anhöhe erklommen, von der aus man auf das Tieflandgebiet des Magdalena Medio blicken kann. In den Achtzigern beherrschte die Guerilla FARC dieses Gebiet – bis sie den Plänen Pablo Escobars in die Quere kam. Sein Medellín-Kartell heuerte paramilitärische Gruppen an, um die FARC zu vertreiben. Die Paramilitärs vertrieben nicht nur die FARC, sondern ermordeten und verschleppten viele Zivilisten. Bedroht waren alle, die im Verdacht standen, die Guerilla unterstützt zu haben. Auch Lleras‘ Sohn geriet wohl auf diese Weise ins Visier der Paramilitärs. Um zur Grabstätte zu kommen, muss das Team aus den Autos aussteigen und zu Fuß ein kleines Tal durchqueren. Ein Bach plätschert, Kinder spielen. Germán zeigt auf den Hügel gegenüber. Dort liegt das Grab, markiert von zwei Bäumen. Von hier oben hat man einen weiten Blick über das Land. Germán stutzt. »Merkwürdig«, sagt er, »seit ich das letzte Mal hier war, hat jemand die Erde umgegraben.« Duques Team macht sich an die Arbeit. Während der Ausgrabungsort mit Plastikband abgesperrt wird, unterhält sich Jorge Díaz mit Melba Lleras und schreibt ein Protokoll über den vermutlichen Ablauf Tat.
Spatenstich für Spatenstich wühlt sich der Forensiker Ospina durch die Erde, er trägt einen Schutzanzug, damit er die Spuren am Tatort nicht verfälscht. Auch er stellt fest, dass die Erde vor kurzem umgewühlt wurde. In etwa 70 Zentimeter Tiefe hält er inne. Er hat etwas gesehen, den Zipfel einer Plastikdecke. Nun holt er seine Kollegen hinzu, die die Wurzeln eines nebenstehenden Baums abschlagen und mehr Erde ausheben. Lleras hat sich mittlerweile in das Wäldchen gestellt, raucht ab und zu eine Zigarette. Sie hat in der vorangegangenen Nacht nicht schlafen können. Sie will wissen, was mit ihrem Sohn geschehen ist. Dann stößt Ospina endlich auf die Leiche, die in eine schwarze Plastikplane eingewickelt ist. Er nimmt einen Spatel zur Hand, um ganz vorsichtig die übrige Erde zu beseitigen und nur ja keine Spuren zu verlieren. Währenddessen unterhalten sich die anderen über Nebensächlichkeiten, tratschen über Kollegen und reißen Witze. 430 Tote haben sie seit 2006 schon exhumiert. Sie haben erlebt, wie Familien die aufgefundenen Knochen ihrer Angehörigen nicht mehr für die Laboruntersuchung loslassen wollten. Sie haben erlebt, wie Menschen weinend zusammenklappten, wie sich das Leid vieler Jahre Bahn brach. »Ohne meine Frau und die Normalität, die ich mit ihr habe, könnte ich dieses Leid und diese Gewalt gar nicht aushalten«, sagt der Staatsanwalt. Ospina hat die Plane endlich völlig freigelegt, ganz vorsichtig deckt er sie auf, nachdem das Grab vom Topografen vermessen und fotografiert wurde. Eine weitere Decke kommt zum Vorschein, darunter die Gebeine eines Menschen. Dann stutzt Ospina: »Der Schädel fehlt! Nicht mal Fragmente oder Zähne sind da.« Er durchsucht das Grab säuberlich, prüft die Erdschichten, schaut sich die übrigen Knochen und Textilreste an. Díaz, der Ermittler, weist auf die Stricke hin, die in Schlaufen um den Körper laufen. »Das war eine übliche Foltermethode der Paras«, stellt er nüchtern fest. Um Hals und Arme wurde ein Strick gelegt, verbunden durch einen Metallring. Senkte der Gefangene seine Arme, zog sich die Schlaufe zusammen und schnürte ihm die Kehle zu, bis er erstickte oder die Arme wieder anhob. »Eine Unterhose, Marke Punto Blanco, schwarz; eine kurze Hose Marke Nike, schwarz mit weißen Streifen und links einer Tasche; Knochen völlig fragmentiert.« Ospina macht eine Bestandsaufnahme und diktiert dem Topographen den Untersuchungsbericht. Duque läuft zu Lleras, die abseits steht und sagt ihr, dass der Schädel der Leiche fehlt. Sie war darauf gefasst, denn ihr war über Bekannte zugetragen worden, dass die Paramilitärs Jahre später das Grab öffneten, um mit dem Schädel Fußball zu spielen. Eine übliche Methode, um die Bevölkerung zu terrorisieren. Abfällig knurrt Duque: »Diese verdammten Paras! In der Gruppe fühlen sie sich immer stark, aber alleine sind sie Weicheier.« Später, auf dem Rückweg, wird Lleras Blut abgenommen. Auf einer Raststätte unter einer flatternden kolumbianischen Flagge, an der früher heftig umkämpften Straße zwischen Bogotá
Um alle Verschleppten der vergangenen 20 Jahre auszugraben, wären Duques Leute und die anderen 17 Teams der Staatsanwaltschaft 40 Jahre beschäftigt. titel
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und Medellín. Im Labor der Staatsanwaltschaft wird sich in einem DNA-Vergleichstest mit den Knochenresten herausstellen, ob der Mann im Grab wirklich ihr Sohn war. »Ich hoffe, dass dieser Mensch mein Sohn war«, sagt sie. »Auch wenn ich dann weiß, dass er vor seinem Tod noch gefoltert wurde.« Über die finanzielle Entschädigung durch den Staat denkt sie noch gar nicht nach. Es wird noch Jahre dauern, bis die ausgezahlt wird. Viel wichtiger ist es ihr, dass ihr Sohn bald eine letzte, würdige Ruhestätte bekommt. Dann wird sie auch etwas Ruhe finden. Warum sie glaubt, dass Germán ihr die richtige Stelle gezeigt hat? »Wahrscheinlich«, sagt sie ganz ruhig, »weil seine Söhne bei den Paras dabei waren, die meinen Sohn ermordet haben.« Die Reste der Knochen, vermutlich seiner Knochen, liegen in einem eng verschnürten roten Plastiksack, gründlich mit dem Klebeband der Staatsanwaltschaft verklebt, im Laderaum des umgebauten Krankenwagens. Das Paket liegt neben den ebenso verpackten Überresten anderer Toter, die das Team bei den Exhumierungen der vorigen Tage geborgen hat. Tausende Vermisste müssen noch ausgegraben werden. Allein um die Entführten der vergangenen 20 Jahre auszugraben, wären Duques Leute und die anderen 17 Teams der Staatsanwaltschaft 40 Jahre beschäftigt. Das haben sie selbst ausgerechnet.
Aufklärung nach 22 Jahren Meistens sind Duque und sein Team fünf bis zehn Tage unterwegs, je nachdem, wie lange sie die traurigen Umstände aushalten. Als sie am 18. April im Städtchen San Rafael eintreffen, wissen sie, dass dieser Fall besonders hart werden wird. Es geht um ein Massaker, das 1988 stattfand. Während auf dem nahen Hauptplatz Kaffee getrunken wird und Kinder in einer aufblasbaren Spielburg herumturnen, erklären Duque und Díaz den Angehörigen die Vorgehensweise. Zunächst werden die Leichen exhumiert und anhand körperlicher Merkmale vorläufig identifiziert. Im Labor wird dann über den DNA-Vergleich mit den Angehörigen ihre Identität überprüft. Das Ganze dauert etwa zehn Monate. Denn im Labor der Staatsanwaltschaft in Medellín liegen noch etwa 800 weitere Leichenreste, die auf eine Analyse warten. Am Ende dieses Prozesses sollen die sterblichen Überreste den Angehörigen in einer feierlichen Zeremonie übergeben werden. Doch die Angehörigen können warten, sie haben jahrelang darauf gehofft, dass der Fall aufgerollt wird, und sie wissen nun, dass etwas geschehen wird. Aus allen Landesteilen Kolumbiens sind sie hierher gekommen, um herauszufinden, was damals genau geschah. Nach ihrer Gründung 1985 warb die Partei »Unión Patriótica« unter den Goldschürfern am nahen Fluss um Anhänger, versuchte eine Gewerkschaft aufzubauen. Diese Partei, entstanden im Rahmen der Friedensbemühungen des damaligen Präsidenten, galt als politischer Arm der Guerilla-Bewegung FARC. Ende der Achtziger und bis in die Neunzigerjahre hinein wurden fast
alle ihre Mitglieder ermordet: Von der Armee, den Paramilitärs und den Drogenhändlern. Martha Osorno ist die Mutter eines der Ermordeten. Sie hatte schon vor 22 Jahren die erste Anzeige erstattet. Immer wieder drängte sie die Justiz, den Fall zu untersuchen – vergeblich. Erst als sie sich an Duque wendete, kamen Ermittlungen in Gang. Ihr Sohn war damals 15 Jahre alt, er wollte unbedingt seinen Onkel bei den Goldschürfern besuchen, sich ein kleines Taschengeld dazuverdienen. Das war sein Todesurteil. Auch Elena Silva ist nach San Rafael gekommen, sie kochte damals für die Goldschürfer. »An jenem Tag kamen Soldaten in Zivil zu unserem Lager,« erzählt Silva. »Sie bedrohten die zwei Männer, für die ich kochte, mit Messern.« Dann führten sie die beiden Goldschürfer weg und Silva konnte sehen, dass etwas weiter entfernt noch weitere Gefangene standen. Einen Tag später wurden die zerstückelten Körper der Goldschürfer am Ufer des Flusses angespült. Niemand versuchte damals, die Leichen zu identifizieren. Erst jetzt, am 19. April 2010, 22 Jahre nach dem Massaker, soll das nachgeholt werden. Frühmorgens versammeln sich Duques Team und die Angehörigen auf dem Friedhof. Während der Friedhofswächter und der forensische Anthropologe die Inschriftentafel vom Grab lösen herrscht atemlose Stille. Schließlich ist es soweit: Ospina wuchtet die drei Metallkisten, in denen die Gebeine der Goldschürfer liegen, heraus. Immer wieder zählt und ordnet er die Rippen, Schenkel- und Wirbelknochen, die sich darin befinden. An der Größe und Beschaffenheit der Knochen kann er Körpergröße, Geschlecht und Alter ablesen. Als er die Inhalte der zweiten Kiste untersucht, nimmt er zierliche Unterschenkelknochen und einen Kautschukring heraus. Er fragt: »Wessen Angehöriger trug so einen Kautschukring als Schmuck und war ungefähr 15 Jahre alt?« Erleichtert atmet Martha auf, sie ist froh, zumindest die sterblichen Überreste ihres Sohnes wiedergefunden zu haben. Die Tränen laufen ihr übers Gesicht, sie hatte nicht mehr damit gerechnet. Die Überreste weiterer 14 Menschen werden an diesem Vormittag geborgen, immerhin zehn können identifiziert werden. Danach entschließen sich Duque und sein Team die Reise abzubrechen und nach Medellín zurückzukehren. Im umgebauten Ambulanzwagen schaukeln die Leichenteile von insgesamt 21 Menschen hin und her. Das Team ist von den vielen Leidensgeschichten ausgelaugt, kann nicht mehr. Sie wissen, dass noch viele Gräber auf sie warten, dass noch immer viele Familien, wie die von Ana Dela Ramírez, verzweifelt nach den sterblichen Überresten ihrer verschwundenen Angehörigen suchen. Der Autor ist freier Journalist und lebt in Hamburg. Der Fotograf lebt in Zürich und Bogotá. Die Namen der Angehörigen wurden auf deren Wunsch von der Redaktion geändert.
Erleichtert atmet Martha auf, sie ist froh, zumindest die sterblichen Überreste ihres Sohnes wiedergefunden zu haben. 28
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Zeugen befragen. Der Ermittler Jorge Díaz spricht mit der Mutter eines Verschwundenen.
Enttäuschte Hoffnung. Ana Dela Ramírez (zweite von links) mit ihrer Ekelin (Mitte) und ihrem Mann (rechts) beobachten die Exhumierung in San Luis.
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1968. Roberto Ismael Sorba, Jorge Cresta, Azucena Sorba.
2006. Jorge Cresta, Azucena Sorba.
Die verrückten Alten bekommen Recht In Argentinien laufen die Prozesse gegen die Täter der Militärdiktatur. Ein Erfolg der Angehörigen der »Verschwundenen«. Von Jessica Zeller
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ls am 30. April 1977 in Buenos Aires erstmals 14 Frauen mittleren Alters auf der Plaza de Mayo, direkt vor dem Regierungspalast, schweigend im Kreis gingen, nannte man sie »unas viejas locas« – ein paar verrückte alte Weiber. Sie einte dasselbe Schicksal: Soldaten, Polizisten oder Geheimdienstagenten hatten ihre Kinder mitgenommen und spurlos »verschwinden« lassen. »Uns waren weder Ideologie noch Religion noch der soziale Status wichtig. Wir marschierten vereint durch den Schmerz um das abwesende Kind, verrückt, weil man uns das Liebste geraubt hatte«, beschreibt Enriqueta Maroni die Anfänge ihrer Bewegung, die von da an wöchentlich ihre Runden drehte. Heute, 34 Jahre nach dem Putsch und 26 Jahre nach der Rückkehr Argentiniens zur Demokratie, gelten die »Madres de la Plaza de Mayo« als eine der erfolgreichsten Menschenrechtsbewegungen weltweit. Sie haben das erzwungene Verschwinden ihrer Kinder öffentlich gemacht und mit ihrem gewaltfreien Widerstand zum Sturz der Diktatur beigetragen. Ihrem Einsatz ist es mit zu verdanken, dass heute den Verantwortlichen der Verbrechen der Prozess gemacht wird.
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An ihrer Seite kämpft bereits seit 1977 die Organisation der Großmütter, »Abuelas de la Plaza de Mayo«, die sich auf die Suche nach ihren verschwundenen Enkeln machten. Diese wurden oft in Gefangenschaft geboren, ihren Müttern weggenommen und in fremde Familien gebracht. Seit 1995 gibt es außerdem einen Zusammenschluss der Kinder von Verschwundenen. Er nennt sich H.I.J.O.S., die »Nachkommen für die Identität und die Gerechtigkeit, gegen das Vergessen und Verschweigen«. Wie konnten die Angehörigen so lange durchhalten? Wie haben sie es geschafft, dass es jetzt zu einer umfassenden Strafverfolgung der Täter der Militärdiktatur in Argentinien kommt? »Entscheidend waren starke Organisationen von Angehörigen und eine transnationale Vernetzung. Gerade als es schien, dass im Land selbst nichts mehr geht, ging man einen Schritt nach vorne und berief sich auf die weltweite Gerichtsbarkeit von Menschenrechtsverletzungen«, sagt der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck. Er hat für die »Koalition gegen Straflosigkeit« zahlreiche Verfahren gegen Täter angestrengt, die für das Verschwinden und den Tod von rund hundert Deutschen und solchen mit deutschen Vorfahren verantwortlich sind.
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»AusenciAs« Die Fotos auf den Seiten 30 bis 33 stammen aus einer Bilderserie des Fotografen Gustavo Germano. Sein ältester Bruder »verschwand« unter der Militärdiktatur in Argentinien. Germano machte sich auf die Spurensuche und stellte alte Familienfotos nach, um die Leerstellen aufzuzeigen. Seine Arbeit erscheint im September 2010 im Münchner Frühling Verlag in dem Band »Verschwunden. Das Fotoprojekt ausencias von Gustavo Germano mit Texten zur Diktatur in Argentinien 1976–1983«.
Die Gründung der »Koalition gegen Straflosigkeit« 1989 wurde angeregt von in Argentinien lebenden Familienangehörigen von Verschwundenen sowie dem argentinischen Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel. Damals herrschte in Argentinien selbst Straflosigkeit. Denn nach den spektakulären Prozessen gegen die Militärjunta 1985, hatte das Parlament aus Angst vor einem neuen Militärputsch 1986 beziehungsweise 1987 das Schlusspunktgesetz und das Befehlsnotstandsgesetz erlassen. Die argentinische Menschenrechtsbewegung suchte daraufhin nach rechtlichen Mitteln, die Täter doch noch anklagen und verurteilen zu können. Dafür bot sich der Weg über die Justiz im Ausland an. Bei deutschen Tätern oder Opfern von Auslandsstraftaten gilt das deutsche Strafrecht. Ähnlich verhielt es sich in Frankreich, Spanien und anderen europäischen Ländern, wo ebenfalls Verfahren eingeleitet wurden. Die Koalition gegen Straflosigkeit hat seit 1998 34 Fälle zur Anzeige gebracht und erreichte, dass die Nürnberger Staatsanwaltschaft mehrere Haftbefehle erließ, darunter gegen die Junta-Chefs Jorge Rafael Videla und Emilio Eduardo Masera. Dem Zusammenschluss gehören 15 Menschenrechtsgruppen und kirchliche Organisationen an. Die deutsche Amnesty-Sektion ist Gründungsmitglied. Doch auch im eigenen Land haben die Organisationen von Angehörigen die Möglichkeit einer Strafverfolgung der Täter nie aus den Augen verloren. »Trotz der Amnestiegesetze war es auch in Argentinien nie wirklich still. Es gab im ganzen Land Wahrheitstribunale, wo Täter und Opfer als Zeugen vorgeladen wurden, auch wenn diese nicht zu Verurteilungen führten. Die Großmütter klagten die Verantwortlichen wegen Kindesentführung an, ein Tatbestand, der nicht unter die Amnestiegesetze fiel. H.I.J.O.S. waren mit ihren öffentlichkeitswirksamen Aktionen im Straßenbild präsent. Schließlich bröckelte der gesellschaftliche Konsens der Schlussstrichmentalität«, beschreibt die Soziologin Alejandra Oberti von »Memoria Abierta«, einem Zusammenschluss verschiedener argentinischer Menschenrechtsorganisationen, die Entwicklung bis 2001.
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Denn dieses Jahr gilt nicht nur als Wendepunkt der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Neunzigerjahre, sondern auch hinsichtlich der Aufarbeitung der Diktatur. Was jahrelang unter den Teppich gekehrt wurde, kam nun an die Oberfläche. Mit Präsident Néstor Kirchner und seiner Frau und Nachfolgerin im Amt, Cristina Fernández de Kirchner, erhielten die Angehörigen der Verschwundenen staatliche Unterstützung für ihre Forderungen. 2003 hoben das argentinische Abgeordnetenhaus und der Senat die Amnestiegesetze als verfassungswidrig auf. Ein Jahr später bestätigte das Oberste Verfassungsgericht Argentiniens diese Entscheidung. Seitdem werden die Verfahren neu aufgerollt. Gegen 1.464 zivile und militärische Funktionäre wird momentan ermittelt. Einige sitzen schon im Gefängnis. Erst Ende April wurden der letzte Diktator des Landes, General Reynaldo Bignone, und sechs weitere hohe Militärs vom Bundesgericht San Martín zu Haftstrafen zwischen 17 und 25 Jahren verurteilt. Die Urteile sind eine späte Genugtuung für die Angehörigen, die Prozesse wirken aber weit über die unmittelbar Beteiligten hinaus. So beendet die Berichterstattung über die Verfahren das Schweigen in vielen Familien: »Oft hören die Kinder von Opfern, die zeitweilig in ein geheimes Folterzentrum gebracht worden waren, zum ersten Mal die Geschichten ihrer Mütter und Väter, wenn diese als Zeugen vor Gericht aussagen«, sagt Fabiana Rousseau. Die Psychologin leitet für das argentinische Justizministerium ein Projekt, das Folteropfer und ihre Familien unterstützt. Diese werden psychologisch betreut und bei ihren Aussagen vor Gericht begleitet. Auch Menschen, die nicht als Zeugen vor Gericht geladen sind, beginnen zu sprechen. »Jeden Tag kommen zu uns Leute, die nach über 30 Jahren zum ersten Mal sagen: Heute werde ich eine Zeugenaussage darüber machen, was mir passiert ist.« Doch auch in Zeiten, wo juristische Strafverfolgung staatliches Programm ist, protestiert ein Teil der Angehörigen weiter. Denn noch sind nicht alle Fälle der rund 30.000 während der Diktatur Verschwundenen aufgeklärt. Noch stehen nicht alle Täter vor Gericht. Und noch immer kommt es vor, dass Zeugen bedroht werden. Jeden Donnerstagnachmittag von 15.30 bis 16 Uhr demonstrieren die Madres de la Plaza de Mayo vor dem Regierungssitz, seit nunmehr 33 Jahren. Und selbst wenn sie einst nicht mehr dort sein werden, wird die Erinnerung an sie nicht so schnell verblassen. Denn in der Mitte des Platzes sind große weiße Kopftücher im Kreis auf den Boden gemalt – das Erkennungssymbol der Madres. Argentinische Künstler haben so ihre Verbundenheit zum Ausdruck gebracht. Das Stadtparlament von Buenos Aires hat den Platz 2005 zum »historischen Ort« erklärt. Die Autorin ist freie Journalistin und berichtet regelmäßig aus Argentinien.
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1969. Gustavo M. Germano, Guillermo A. Germano, Diego H. M. Germano, Eduardo R. Germano.
2006. Gustavo M. Germano,
»Sie wollen uns mit Gewalt einschüchtern« Marianela Galli war ein Kleinkind, als sie in ein Folterzentrum der argentinischen Militärdiktatur verschleppt wurde. Ein Gespräch über den Prozess gegen die Mörder ihrer Eltern und den Kampf der Angehörigen um Aufklärung. Seit Dezember 2009 läuft der Prozess gegen die Verantwortlichen für das größte Folterzentrum der Diktatur, genannt ESMA. Was empfanden Sie, als das Verfahren begann? Die ESMA hat große symbolische Bedeutung. Die Militärs brachten über 5.000 Menschen dorthin. Als ich mit meinen Eltern und meiner Großmutter entführt wurde, war ich erst eineinhalb Jahre alt. Deshalb erinnere ich mich an nichts. Aber es vermischen sich ganz verschiedene Gefühle: Freude darüber, dass die Täter auf der Anklagebank sitzen, und Schmerz über den Verlust meiner Angehörigen. Sie sind als Zeugin, Anklägerin und Opfer in das Verfahren eingebunden. Was erwarten Sie von diesem Prozess? Ich hoffe, dass ich dem Gericht vermitteln kann, was es heißt, seine ganze Familie zu verlieren. Ich will aufzeigen, was mit einem geschieht, wenn man nach 34 Jahren immer noch nicht weiß, was mit seinen Angehörigen passiert ist: Wo sind ihre Körper? Was geschah mit dem Baby, mit dem meine Mutter schwanger war? Und ich will über die Auswirkungen der Straflosigkeit sprechen. Beispielsweise darüber, wie hilflos ich mich fühlte, als
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ich 1998 in einem Café Alfredo Astiz sitzen sah. Er ist einer der Täter, die jetzt vor Gericht stehen. Ich hoffe, dass die Wahrheit ans Licht kommt und unseren Angehörigen Gerechtigkeit widerfährt. Die Verfahren müssen zeigen, dass unser Rechtsstaat in der Lage ist, politische und soziale Konflikte auf demokratischem Wege zu lösen. Nicht durch Gewalt, und erst recht nicht durch Gewalt, die vom Staat ausgeübt wird. Wie steht die argentinische Gesellschaft zu den Verfahren? Die Prozesse finden allgemeine Zustimmung, auch wenn es immer noch Konservative gibt, die sie einstellen wollen. Leider berichten nur wenige Medien kontinuierlich über die Verfahren. Aber Menschenrechtsverteidiger, soziale Organisationen und Parteien sorgen dafür, dass die Prozesse an die Öffentlichkeit kommen. Am 24. März, dem Jahrestag des Putsches, konnten wir sehr viele junge Menschen zur »Plaza de Mayo« in Buenos Aires mobilisieren. Es kamen also Leute, die erst nach dem Ende der Diktatur geboren wurden. Das zeigt, dass sich Teile der Jugend mit der Vergangenheit auseinandersetzen und entschlossen sind, diktatorische Regime nicht mehr zu tolerieren.
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schwundenen« wollten wir unsere Wut über die Straflosigkeit ausdrücken. Wir bemühen uns darum, dass die Verantwortlichen des Genozids und ihre Komplizen juristisch verfolgt werden, und wir suchen unsere geraubten Brüder und Schwestern. Zudem kämpfen wir dafür, dass die Erinnerung wach bleibt. Wir haben die »Escraches« ins Leben gerufen – das ist eine Aktionsform, mit der wir Verantwortliche an die Öffentlichkeit zerren, die sich bislang frei in der Gesellschaft bewegen konnten. Wie funktioniert das? Wir versammeln uns vor dem Haus eines Täters, um die Nachbarn darauf hinzuweisen, dass hier ein Mörder lebt. Damit wollen wir erreichen, dass dieser eine gesellschaftliche Zurückweisung erfährt. Wir verlesen dann ein Kommuniqué über die Rolle dieser Person während der Diktatur und geben die Information an die Presse weiter. Als die Amnestiegesetze noch galten, haben wir viele »Escraches« veranstaltet. Jetzt, wo die Fälle vor Gericht verhandelt werden, sind es weniger.
Julio López, ein wichtiger Zeuge, wurde im Jahr 2006 entführt und ist bis heute verschwunden. Werden weiter Zeugen bedroht? Ja, leider glauben die Komplizen der Diktatur, sie könnten uns mit Gewalt einschüchtern. Am 29. März 2010 wurde in der Provinz Santa Fe ein Zeuge ermordet. Wir gehen davon aus, dass es sich um eine politische Tat handelt. Also besitzen die alten Kräfte noch viel Macht? Sie sind in der gesamten Gesellschaft präsent: im Justizapparat, bei den Sicherheitskräften, in der Wirtschaft, in den Gewerkschaften usw. Sie machen Druck, damit die Prozesse nicht weitergehen. So werden zum Beispiel in der Provinz Mendoza die Ermittlungen verschleppt und damit faktisch verhindert. Wie verhält sich die Regierung? Sie unterstützt die Aufarbeitung, aber die Maßnahmen müssten besser koordiniert werden. Noch immer gibt es keine komplette Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Der Repressionsapparat der Polizei des Bezirks Buenos Aires konnte nicht mit all seinen Facetten offengelegt werden. Der Fall Julio López stagniert seit Jahren, niemand wurde festgenommen. Ohne Zeugenschutzprogramme wird es weitere solche Fälle geben. Wie kamen Sie zu H.I.J.O.S. (»Söhne und Töchter für Identität und Gerechtigkeit, gegen Vergessen und Schweigen«)? Ich begann in der Madrider Gruppe, weil ich dort studierte. Die Gruppe verfolgte den Prozess gegen den ehemaligen General Adolfo Scilingo, der in Spanien stattfand, und suchte in Spanien nach geraubten Kindern. Dabei handelt es sich um Kinder, die man den Gefangenen wegnahm und die an andere Familien gegeben wurden. Wir gehen davon aus, dass 30 von ihnen in Spanien leben, ohne von ihrer Geschichte zu wissen. Und wie sieht die Arbeit von H.I.J.O.S. in Argentinien aus? H.I.J.O.S. wurde im Jahr 1995 gegründet. Als Kinder von »Ver-
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Die H.I.J.O.S. sind im Ausland sehr präsent. Warum? Als die Amnestiegesetze noch nicht aufgehoben waren, konnten die Gruppen im Ausland dafür sorgen, dass dort Strafverfahren eingeleitet werden. Jetzt kümmern sie sich um die Auslieferung von Tätern an Argentinien. Da gibt es zum Beispiel den Fall eines Mannes, der als Pilot in Holland arbeitete. Er wurde von seinen Kollegen identifiziert, weil er immer von seinen Gräueltaten während der Diktatur erzählt hatte. Welche Rolle spielt die internationale Unterstützung? Sie ist sehr wichtig. Französische, italienische und spanische Gerichte sorgten für die ersten Verurteilungen. Damit schufen sie ein Beispiel auf internationaler Ebene, das half, die Prozesse in Argentinien in Gang zu bringen. Jetzt ist vor allem wichtig, dass die internationale Gemeinschaft uns bei der Suche nach den geraubten Kindern hilft. Insgesamt wurden etwa 400 Kinder verschleppt. Viele leben im Ausland. Wir müssen ihre wahre Identität herausfinden, denn ihre Angehörigen suchen sie bis heute. Fragen: Wolf-Dieter Vogel
interview mAriAnelA gAlli Foto: Amnesty
Guillermo A. Germano, Diego H. M. Germano.
Es gibt die »Großmütter der Plaza de Mayo« und die »Mütter der Plaza de Mayo«. Stehen die H.I.J.O.S. in der Tradition dieser Organisationen? Wir haben eine sehr enge Verbindung zu den Müttern und Großmüttern. Sie sind unser Bezugspunkt und haben uns sehr viel gelehrt. Wir führen einen gemeinsamen Kampf und haben dieselben Ziele.
Marianela Galli war eineinhalb Jahre alt, als sie am 12. Juli 1977 mit ihren Eltern und ihrer Großmutter in das Folterzentrum ESMA gebracht wurde. Nach zweieinhalb Monaten kam sie als einzige frei und wuchs bei einer Tante auf. Heute kämpft Galli mit der Organisation H.I.J.O.S. für die Aufklärung der Verbrechen während der argentinischen Militärdiktatur.
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Die Polizei weigert sich, die Anzeige aufzunehmen. Purnimaya Lama mit einem Bild ihres Mannes, der von maoistischen Rebellen entf端hrt wurde.
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Viele Anklagen, noch kein Urteil In Nepal kämpfen die Angehörigen von Entführten und Ermordeten um Gerechtigkeit. Von Nina Ritter (Text und Fotos)
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m Bürgerkrieg zwischen der nepalesischen Armee und maoistischen Rebellen von 1996 bis 2006 verschleppten, folterten und töteten Soldaten wie Maoisten Tausende Zivilisten. Bis heute ist das Schicksal von 1.300 »Verschwundenen« ungeklärt. Nach dem Friedensabkommen im Jahr 2006 hofften viele Angehörige auf Aufklärung und Verurteilung der Täter. Aber das Militär und die ehemaligen Rebellen schützen die Täter in ihren Reihen. Die Polizei weigert sich häufig, Anzeigen aufzunehmen, und die eigentlich zuständigen Behörden vertrösten immer wieder auf die Wahrheits- und Versöhnungskommission. Wann diese ihre Arbeit aufnehmen wird, ist jedoch unklar, denn der Gesetzentwurf zur Einrichtung der Kommission wurde vom Parlament immer noch nicht verabschiedet. Die Angehörigen der Opfer des Bürgerkriegs in Nepal wollen sich nicht weiter vertrösten lassen. Einige von ihnen stellen wir im folgenden vor.
Gita Rasaili, Kesav Khanal, Sabitri Khabka, Bhagwati Gautam: Wir sind nicht allein Etwa 25 junge Nepalis sitzen im Halbkreis im Konferenzraum eines Hotels in Kathmandu. Es sind Mitglieder von AmnestyJugendgruppen aus dem ganzen Land. Sie haben Angehörige von Opfern eingeladen, um von ihren Erfahrungen zu lernen und sie bei ihrem Kampf gegen die Straflosigkeit zu unterstützen. Eine von ihnen ist Gita Rasaili. Die 21-Jährige steht auf und erzählt von ihrer Schwester Rina. Im Februar 2004 kamen Soldaten in ihr Elternhaus und nahmen sie mit. Sie vergewaltigten die 17-Jährige und knüpften sie an einem Baum auf. Gita glaubt, dass die Soldaten eigentlich sie suchten, denn sie hatte sich damals den Rebellen angeschlossen. Ihre Eltern sind seitdem traumatisiert und müssen Medikamente nehmen. Gita fühlt sich schuldig und kämpft um Gerechtigkeit für ihre Schwester. Doch bisher weigern sich die Polizei und das Distriktgericht, den Fall aufzunehmen. »Sie haben gesagt: Ihr könnt machen, was ihr wollt, wir werden euch nicht helfen«, erzählt Gita. Wie Sabitri Khabka, deren Vater von Maoisten umgebracht wurde, und Kesav Khanal, dessen Vater die Armee festnahm und tötete, hat sie sich einer der Angehörigenorganisationen angeschlossen, die nach dem Friedensschluss entstanden sind. Dort kämpfen Angehörige von Opfern der Armee und der Maoisten gemeinsam für Aufklärung, Entschädigung und die Verurteilung der Täter.
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Sie sind überzeugt davon, dass ihre Organisationen, die inzwischen in fast allen 75 Distrikten Nepals vertreten sind, andere Angehörige besser erreichen als Nichtregierungsorganisationen, die von außen kommen. »Sie vertrauen uns, denn wir sprechen über unsere eigenen Erfahrungen. Deshalb sind sie eher bereit, auch ihre Geschichte zu erzählen.« Aber wie können sie den Rest der Gesellschaft erreichen? Wie klar machen, dass Nepal nicht wie andere Länder nach Bürgerkriegen, die Verbrechen nicht verschweigen und die Täter frei herumlaufen lassen darf? Die 23-jährige Bhagwati Gautam setzt auf Straßentheater. Ihre Gruppe spielt typische Fälle nach, um über die Menschenrechtsverbrechen während des Bürgerkriegs aufzuklären. Ihr Bruder wurde von Soldaten entführt, weil er angeblich den Maoisten geholfen hatte. Der angehende Arzt hatte einige ihrer Kämpfer im Krankenhaus behandelt. Das Wissen, nicht allein zu sein, gibt Bhagwati Kraft. Sie zeigt ihrer Mutter immer wieder Videos aus dem Sudan oder Osttimor. »Es gibt noch andere Opfer wie uns und manche haben noch mehr gelitten«, sagt sie ihr und sich selbst zum Trost.
Devi Sunuwar: Tante, Mutter und Vorbild Auch Gita Rasailis Tante ist aktiv im Kampf gegen die Straflosigkeit. Bereits während des Bürgerkriegs hatte Devi Sunuwar öffentlich die Vergewaltigung und Ermordung ihrer Nichte Rina Rasaili angeklagt. Sunuwar ist überzeugt davon, dass die Soldaten sich für diese Anklage rächten. Sie kamen zu ihr, doch da sie nicht zu Hause war, nahmen sie stattdessen ihre 15-jährige Tochter Maina mit, quälten sie mit Elektroschocks und hielten ihren Kopf unter Wasser. Das Mädchen starb an den Folgen. Ein Militärgericht machte später Mainas »physische Schwäche« dafür verantwortlich, dass sie diese Behandlung nicht überlebte. Der Fall Maina Sunuwar wurde zum Symbol für die Unfähigkeit der nepalesischen Polizei, Politiker und Gerichte, Menschenrechtsverbrechen zu verfolgen. Und ihre Mutter Devi wurde zum Symbol für den hartnäckigen Kampf einer Angehörigen, der Schritt für Schritt doch zu Erfolgen bei der Strafverfolgung führen kann. Nach drei Jahren und viel öffentlichem Druck erreichte Devi Sunuwar beim Obersten Gericht den Beschluss, dass der Fall vor einem zivilen Gericht verhandelt werden müsse. Im Januar 2008 erhob die Staatsanwaltschaft schließlich eine Mordanklage gegen vier Soldaten.
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Angehörige von Opfern der Armee und der Maoisten kämpfen gemeinsam für Aufklärung, Entschädigung und die Verurteilung der Täter.
Gemeinsam stark. Gita Rasaili, Bhagwati Gautam, Kesav Khanal und Sabitri Khadka auf einem Seminar der nepalesischen Amnesty-Sektion.
Doch für die Verurteilung der Mörder ihrer Tochter muss Devi immer noch kämpfen. Ihr Blick sagt, dass sie nicht aufgeben wird. Immer wieder kommen NGOs und Journalisten, um sie zu interviewen. Wenn ihr die vielen Fragen auch manchmal Tränen in die Augen treiben, so wischt sie diese mit der Stola ihres pinkfarbenen Salwar-Kameez-Anzugs ab und erzählt mit fester Stimme weiter. Einer der beschuldigten Soldaten ging statt ins Gefängnis auf eine UNO-Friedensmission. Erst nach einem Appell des UNGeneralsekretärs Ban Ki-Moon holte ihn die Militärführung zurück. Devi Sunuwar und alle, die sich in Nepal für die Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen einsetzen, hofften, endlich würde ein Täter vor Gericht gestellt. Doch noch auf dem Rollfeld des Flughafens nahm die Armee den Major in Schutzgewahrsam, statt ihn der Polizei zu übergeben. Devi schrieb einen verzweifelten Brief an den Premierminister, appellierte an die Verteidigungsministerin, sich als Mutter und Witwe, wie sie selbst, in sie hineinzuversetzen. Der Premier ordnete die Auslieferung des Majors an; das Verteidigungsministerium und die Armee ignorieren jedoch bis heute die Anordnung.
Parshuram Koirala: Kathmandu ist zu weit »Ich weiß, wo die Entführer meiner Frau sind«, sagt Parshuram Koirala. Einer ist nach Kathmandu gezogen, die anderen leben in einem der Übergangslager für die maoistischen Kämpfer. Vor
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sieben Jahren entführten Maoisten die Bäuerin Goma Koirala. Sie warfen ihr vor, der Armee Informationen gegeben zu haben. Zwei Wochen später erhielt ihr Mann die Nachricht, sie sei tot. Weil weder die Polizei, noch das Distriktgericht seinen Fall bearbeiten, setzt der kleine hagere Mann auf die Medien. So oft wie möglich spricht er mit lokalen Zeitungen, Fernseh- und Radiostationen, sogar die BBC war schon bei ihm zu Hause. Darauf ist er ein bisschen stolz. Anhänger der Maoisten drohten, ihn umzubringen. »Das können sie tun, so wie sie es mit meiner Frau getan haben, aber ich will Gerechtigkeit für sie«, sagt Parshuram Koirala. Der 40-Jährige hat vier Kinder. Die jüngste Tochter war gerade sechs, als die Mutter verschwand. Sie verstand nicht, was geschah, und fragte immer wieder, wann sie denn zurückkomme. »Sie wacht immer noch manchmal nachts auf und ruft: Mama!«, erzählt Koirala. Er bat verschiedene politische Parteien um Hilfe, auch die Partei der Maoisten, und ging zu all den NGOs in Kathmandu, die Fälle wie seinen verfolgen. Immer wieder, wenn sie Konferenzen und Kampagnen organisieren, nimmt er teil und spricht über seine Erfahrungen. »Wenn die neue Verfassung geschrieben und die Gesetze in Kraft sind, dann kann es vielleicht Gerechtigkeit geben«, sagt er, glaubt selbst aber nicht mehr so recht daran: »Für einen einzelnen wie mich ist es schwierig.« Vielleicht sollte er sich einer der Opferorganisationen anschließen? Doch in seinem Distrikt gibt es bisher keine,
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Wir kennen die Täter. Devi Sunuwar und Parshuram Koirala in Kathmandu.
und Kathmandu ist zwar nur zwei Busstunden entfernt, aber für einen Bauern wie ihn, der seine Felder bestellen muss, um seine Kinder zu ernähren, ist das weit.
Purnimaya Lama: Er war ein guter Mann Arjun Lama war Royalist und wurde so zum Feind für die Maoisten. Eines Morgens im April 2005 kamen sie in sein Haus und nahmen ihn ohne jeden weiteren Kommentar mit. Zeugen sahen, wie er in einem Schaulauf durch angrenzende Dörfer geführt wurde, aber was dann passierte, ist unklar. Seitdem sucht seine Frau Purnimaya nach ihm. Die Ungewissheit nagt an ihr. Sie ist 46, wirkt aber sehr viel älter. Sie ist eine einfache, stille Frau. Über Politik weiß sie nicht viel. Die Familie musste ihr Haus verlassen, denn die Maoisten drohten, sie andernfalls alle umzubringen. Seitdem lebt sie mit ihren vier Töchtern und zwei Söhnen in einem Mietshaus in der Altstadt von Kathmandu. Die Entführer spielten mit Purnimayas Angst und Hoffnung. Sie verlangten Geld. Zuerst behaupteten sie, ihr Mann sei krank und sie solle die Behandlung bezahlen, später sagten sie, sie müssten einflussreiche Leute bestechen, um ihn zu finden. Sie ging zu Prachanda, dem Anführer der Maoisten, als dieser Premierminister geworden war. Er versprach, sich des Falls anzunehmen, doch hörte sie danach nie wieder etwas von ihm. »Ich will, dass man mir sagt, was mit meinem Mann passiert
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ist«, fordert sie. »Warum ist er entführt worden? Lebt er oder ist er tot?« Die Polizei weigerte sich, ihre Anzeige aufzunehmen. »Zu wenig Beweise«, hieß es. Die Polizisten befürchteten offenbar, selbst zur Zielscheibe der Maoisten zu werden. Immer wieder war Purnimaya Lama dort, unterstützt von Anwälten des »Advocacy Forums«, einer nepalesischen NGO, die sich für ein Ende der Straflosigkeit einsetzt und Angehörige bei ihrem Gang durch die Institutionen begleitet. Immerhin, vor zwei Jahren erreichte sie durch eine Verfügung des Obersten Gerichts, dass die Polizei ihres Distrikts eine Morduntersuchung gegen sechs Beschuldigte eröffnete. Doch seitdem ist nichts mehr passiert. »Eigentlich habe ich keine Hoffnung mehr, Gerechtigkeit zu finden, aber ich werde keine Ruhe geben bis zu meinem letzten Atemzug«, sagt Purnimaya und zupft an ihrem türkisfarbenen Hauskleid. Sie holt ein Foto von ihrem Mann aus dem Schlafzimmer: Es zeigt einen kräftigen Mann mit kurzen Haaren, Motorradjacke und Sonnenbrille. »Er war ein guter Mann«, sagt sie, »egal welche Probleme er selbst hatte, er hat sich immer auch um andere gekümmert.« Manchmal sieht sie ihn im Traum. Dann fragt er, ob es der Familie gut gehe, und steckt ihr etwas Geld zu. Die Autorin ist freie Journalistin und berichtet aus verschiedenen asiatischen Ländern.
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Nur die halbe Wahrheit W
as passierte mit Amine Amrouche? Seine Mutter und seine Großmutter versuchen bis heute, es herauszufinden. Amrouche war kein politischer Aktivist. Am 30. Januar 1997 umstellten Sicherheitskräfte im Viertel Baraki in Algier eine Gruppe Jugendlicher. Danach blieben der 22-jährige Amrouche und mehrere andere Jugendliche verschwunden. Seine Mutter und seine Großmutter suchten ihn überall. Sie gingen zu Polizeistationen, Krankenhäusern und Leichenhäusern – ohne Ergebnis. Sie schrieben Briefe an die Menschenrechtskommission, den Justizminister und den Präsidenten Bouteflika. Sie nahmen an Demonstrationen teil und schlossen sich mit anderen Familien zusammen, in denen Männer verschwunden waren. Gemeinsam bildeten sie das »Kollektiv der Familien von Verschwundenen in Algerien« (CFDA). Amine Amrouche ist eines der Opfer des gewaltsamen Konflikts, der in Algerien nach den ersten freien Parlamentswahlen 1992 losbrach. Bei den Wahlen hatte sich ein deutlicher Sieg der Islamischen Heilsfront FIS abgezeichnet. Daraufhin annullierte das Militär die Wahlen und übernahm die Macht. Anschläge, Gefechte und Massaker kosteten in den folgenden Jahren Schätzungen zufolge bis zu 200.000 Menschen das Leben, darunter viele Zivilisten. Mehr als 10.000 Menschen »verschwanden«, die meisten, wie Amrouche, nach der Festnahme durch staatliche Sicherheitskräfte. Amrouches Familie hat bis heute nichts über sein Schicksal erfahren. Stattdessen bekam sie wiederholt Besuch von Angestellten der Gendarmerie Algiers, die sie dazu drängten, eine Entschädigung anzunehmen. Im Gegenzug sollten sie von weiteren Nachforschungen absehen. Andere Familien sahen sich zum Teil gezwungen, eine solche Entschädigung anzunehmen, da sie sonst völlig mittellos geblieben wären. Amrouches Familie lehnte einen solchen Handel ab. Bis heute ist kein einziger dieser Fälle von »Verschwindenlassen« umfassend aufgeklärt worden. Massengräber mit unbekannten Leichen wurden teilweise nicht untersucht oder sogar zerstört. Amnesty International dokumentierte beispielsweise, dass 2004 ein Massengrab in der westlichen Provinz von Reliza-
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ne willkürlich zerstört wurde. Das Grab war im November 2003 von einem örtlichen Menschenrechtsaktivisten entdeckt worden. Er sammelte Beweise dafür, dass sich in diesem Grab die sterblichen Überreste von Zivilisten befanden, die von örtlichen, vom Staat bewaffneten Milizen entführt und getötet worden waren. Die Generalamnestie von 2005 für Verbrechen, die während des Bürgerkriegs verübt wurden, erstickte jedoch jegliche juristische Aufarbeitung im Keim. Gleichzeitig ist die Gewalt im Lande nicht vollständig abgeebbt, auch wenn die algerische Regierung behauptet, alle bewaffneten Gruppen hätten die Waffen niedergelegt. Zwar finden keine Massaker mehr statt, wie sie in den Neunzigerjahren immer wieder vorkamen. Doch noch immer werden bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Militärs und Oppositionsgruppen jährlich mehrere hundert Menschen getötet. Amnesty International stellt in dem Bericht »Das Erbe der Straflosigkeit« fest, dass sich die fehlende Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit negativ auf die zukünftige Entwicklung des Landes auswirkt. Die Opfer und ihre Familien leben in dem Gefühl, vergessen worden zu sein. Und die Bevölkerung vermisst Garantien dafür, dass die schweren Menschenrechtsverletzungen der vergangenen Jahre endlich der Vergangenheit angehören. Auch die marokkanische Gesellschaft hat ein ähnlich schweres Erbe zu tragen. Die sogenannten bleiernen Jahre von 1956 bis 1999 unter König Hassan II. waren vom »Verschwindenlassen« politischer Gegner, Einschränkungen der Pressefreiheit und Willkürjustiz geprägt. Mehr als 600 Menschen, die meisten von ihnen Angehörige der Sahrauis, wurden willkürlich verhaftet und sind nie wieder aufgetaucht. Die staatlichen Behörden bestreiten zum Teil, diese Menschen überhaupt festgenommen zu haben. Auch in Marokko haben sich Familien der Verschwundenen zusammengeschlossen. Im »Koordinierungskomittee der Familien der Verschwunden« fordern sie gemeinsam Aufklärung über das Schicksal ihrer Angehörigen und Gerechtigkeit. Anders als in Algerien haben sie inzwischen einige Erfolge erzielen können. Denn ohne Zweifel hat sich vieles in Marokko geändert,
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Foto: Louafi Larbi / Reuters
In Algerien und Marokko warten Zehntausende Familien auf Auskunft über ihre verschwundenen Angehörigen. In Algerien versuchen die Behörden, sie mit Entschädigungszahlungen abzuspeisen. In Marokko untersuchte eine Wahrheitskommission die Fälle, aber die Täter werden verschont. Von Ali Al-Nasani
Nur Fotos, keine Gräber. Mutter eines algerischen Verschwundenen im Büro der Organisation von Angehörigen »SOS Disparus«.
seitdem Mohamed VI. vor mehr als zehn Jahren den Thron bestieg. Der neue König hat die Geheimgefängnisse abgeschafft und Hunderte politische Gefangene in die Freiheit entlassen. Eine institutionelle Umstrukturierung des Staatsapparats sowie eine Reform des Strafrechts ermöglichten einen wirklichen Neuanfang. Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurden rehabilitiert und finanziell entschädigt. Schließlich markierte die Einrichtung einer Wahrheitskommission den deutlichen Bruch mit der Vergangenheit – die Kommission ließ eine Reihe von anonymen Massengräbern öffnen und konnte viele »Verschwundene« identifizieren. Diese Art der Vergangenheitsaufarbeitung blieb bisher einmalig in der arabischen Welt. Allerdings kritisiert die marokkanische Menschenrechtsvereinigung AMDH den Bericht der Kommission als »halbherzig«. Denn die Statuten der Kommission schlossen von Beginn an die Identifizierung einzelner Verantwortlicher und die Einleitung strafrechtlicher Schritte aus. Einige der Täter sollen nach wie vor im Dienst der Sicherheitskräfte stehen, zum Teil sogar in hohen Positionen. So wurden zwar die Opfer von Folter und staatlichem Mord identifiziert, nicht jedoch die Täter. Amnesty International geht davon aus, dass aus Furcht davor, die staatlichen Institutionen und das Königshaus zu sehr zu diskreditieren, die Verantwortlichen für Entführung, Folter und staatlichen Mord nicht benannt wurden. Gleichzeitig wurde die Liste der aufgeklärten Fälle von Personen, die nach der Festnah-
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me durch Angehörige der Sicherheitskräfte spurlos verschwanden, immer noch nicht veröffentlicht, obwohl die Kommission ihre Arbeit bereits vor vier Jahren beendete. Insbesondere zu den willkürlichen Festnahmen sahrauischer Aktivisten bleibt der Bericht sehr vage. Gerade Aktivisten der von Marokko annektierten Westsahara sind unter König Hassan II. immer wieder festgenommen, umgebracht und an unbekannten Orten verscharrt worden. Die Einheit des Landes, zu dem nach marokkanischer Staatsdoktrin auch die Westsahara gehört, darf nicht in Frage gestellt werden. Dies würde ebenso eine rote Linie überschreiten wie das Infragestellen der Autorität des Königs. Doch solange diese Tabus weiterhin existieren und die staatlichen Stellen, die in diese Fälle von Menschenrechtsverletzungen involviert waren, straffrei bleiben, bleibt jegliche Vergangenheitsaufarbeitung unvollständig. Amnesty International fordert im jüngsten Bericht über Marokko die Regierung auf, ihre Ankündigung einer umfassenden Aufarbeitung wahr zu machen und all jene zur Rechenschaft zu ziehen, die für die willkürliche Verhaftung und Beseitigung von Oppositionellen oder solchen, die dafür gehalten wurden, verantwortlich waren. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich die Verbrechen der Vergangenheit nicht wiederholen. Der Autor ist Mitglied der Algerien-Ländergruppe der deutschen Sektion von Amnesty International.
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Berichte
Musik statt Militär Alle sind verdächtig. Festgenommene nach einer Razzia im mexikanischen Ciudad Juárez. Foto: Eros Hoagland / Redux / laif
40 Mexiko: Wege aus der Gewalt in Ciudad Juárez 46 El Salvador: Die Polizei kontrollieren 48 Honduras: Keine Normalität nach dem Putsch 50 EU: Schutz vor Diskriminierung blockiert 52 Irak: Minderheiten im Fadenkreuz 54 Inguschetien: Theaterfrau im Exil 56 Iran: Ein Jahr nach der Wahl 58 Sudan: Eine Wahl, die nichts ändert 59 Tschad: Flüchtlinge brauchen UNO-Truppen 41
Im mexikanischen Ciudad Juárez ist die Mordrate höher als in jeder anderen Stadt der Welt. Die Opfer und Täter im Drogenkrieg sind vor allem Jugendliche. Der Rapper MC Chave und das Projekt »Casa Promoción Juvenil« suchen Wege aus der Spirale der Gewalt. Von Knut Henkel Kleine Gitarren, Comicfiguren und Fernseher prangen an der grauen Betonwand des Kindergartens von El Noveno. »Morgens sind hier die Kleinen unterwegs, nachmittags bin ich hier und versuche etwas mit den Jugendlichen aus dem Stadtviertel auf die Beine zu stellen«, erklärt Gustavo Salas. Der 22-Jährige ist Dichter, Rapper und seit kurzem auch Sozialarbeiter. Er hat mit den Jugendlichen Schablonen gebastelt und die triste Wand besprüht. Tischfußball, Rap, Reimen oder einfach nur ein offenes Ohr kann Salas bieten und das ist mehr als die meisten Jugendlichen in El Noveno gewohnt sind. In dem von einfachen einstöckigen Backsteinbauten geprägten Stadtteil leben vor allem Zugewanderte. Wegen der Jobs in den Weltmarktfabriken, Maquiladoras genannt, sind sie in die Wüstenstadt an der Grenze zum reichen Nachbarn USA im Norden gekommen. Am Nachmittag röhren die ausrangierten USBusse mit dem Hinweisschild »Transporte de Personal« durch Stadtviertel wie El Noveno, um die erschöpften Menschen nach
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der Arbeit vor ihrer Haustür abzusetzen. Alltag in Ciudad Juárez, wo vor allem Autoteile für die US-Industrie produziert und Unterhaltungselektronik wie Fernseher montiert werden. Die Jobs sind schlecht bezahlt, aber auf dem Land, wo die meisten herkommen, gibt es gar keine bezahlte Arbeit. Meistens arbeiten beide Elternteile, erzählt Salas. Die Kinder aus den Stadtvierteln El Noveno und Hernán 13 kennen den stämmigen jungen Mann im Kapuzenpullover als MC Chave, was auf Deutsch nichts anderes als MC Junge bedeutet. Allein und gemeinsam mit den Kollegen von »Filos Clandestinos«, seiner Rap-Formation, singt er über die triste Realität in den Barrios, den Stadtteilen, von Ciudad Juárez. Im rhythmischen Sprechgesang warnen sie vor dem schnellen Geld, das die Straßengangs versprechen, und dem schnellen Tod, der dem droht, der in eine der Banden einsteigt. Banden gibt es nahezu in jedem Viertel der 1,5 Millionenstadt, die nur durch den Grenzfluss, den Rio Grande, von El Paso, der Zwillingsstadt in den USA, getrennt ist. Über Ciudad Juárez wird ein Großteil des Drogenschmuggels in die USA abgewickelt, als Brückenkopf ist die Stadt unter den mexikanischen Kartellen umkämpft. Zu denen gehören die Banden in den Stadtvierteln, die Kokain, Heroin und synthetische Drogen an die Kundschaft bringen und sich gegenseitig bekämpfen. »Sie rekrutieren ihren Nachwuchs in den Schulen der einfachen
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Foto: Eros Hoagland / Redux / laif
Aufwachsen mit dem Tod
Auszeit. Entspannung mit Blick über Ciudad Juárez.
Stadtbezirke, wo es kaum Angebote für Jugendliche gibt«, sagt MC Chave. Über 2.600 Mordopfer wurden im letzten Jahr in Ciudad Juárez registriert. »Viele davon waren jung, oft jünger als ich selbst«, erklärt der Rapper. Es ist etwa 16 Uhr, die letzten vier Halbwüchsigen haben gerade den Tisch-Kicker verlassen. Salas schließt das stabile Metalltor zum Kindergarten von El Noveno ab und geht nach Hause. Er ist im Viertel aufgewachsen und wohnt immer noch gleich um die Ecke im Haus seiner Oma. Ein paar Straßenecken weiter befindet sich die »Casa Promoción Juvenil« – das einzige Jugendzentrum weit und breit. Die Leute der Casa betreiben auch den Kindergarten, in dem MC Chave seit Dezember vergangenen Jahres arbeitet. Ehrensache für den Rap-Poeten. Zwei seiner Verwandten wurden exekutiert, weil sie ihre Finger »im Geschäft« hatten. Drogenschmuggel und -verkauf ist gemeint, wenn von »dem Geschäft« die Rede ist in Ciudad Juárez. Dort landen viele Jugendliche, da es kaum andere Perspektiven für sie gibt. Ihre Aussichten haben sich jüngst sogar noch verschlechtert, denn die Finanzkrise in den USA hat auch Mexikos Wirtschaft schwer getroffen. Besonders Grenzstädte wie Ciudad Juárez oder Tijuana, die als verlängerte Werkbank der USA gelten, sind stark betroffen. »Mindestens 80.000 Jobs hat die USKrise allein in den Fabriken von Ciudad Juárez vernichtet, annähernd die gleiche Menge im Einzelhandel, in der Gastronomie
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»Die Jugendlichen werden immer als Drogenkonsumenten und als potenzielle Bedrohung angesehen, eine echte Chance kriegen sie nicht.«
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Noch 2006 war die Mordquote in Ciudad Juárez nicht viel höher als in anderen Grenzstädten. 2007, nach der Stationierung der ersten Militärs, kletterte sie dann auf 300 Tote. Im Jahr darauf waren es 1.600 und 2009 schließlich über 2.600 Tote. und im Tourismus«, erklärt María Teresa Almada, Pädagogin und Leiterin der »Casa Promoción Juvenil«. Almadas Organisation arbeitet mit mehr als 50 Schulen zusammen, ist Anlaufpunkt für Kinder und Jugendliche und liegt gegenüber von einem der typischen Spielplätze. Ein paar Schaukeln, Rutschen und Wippen für die Kleinen und daneben einen Bolzplatz mit darüber schwebenden Basketballkörben für die Großen hat die Stadtverwaltung montiert. Das Ensemble aus Metall, Beton und Kunststoff ist umgeben von einigen verdorrten Laubbäumen und Agaven. Einige bunte Pinselstriche sollen das Ganze etwas freundlicher aussehen lassen. »Mehr haben die Stadtpolitiker für die Jugend nicht übrig«, erklärt Almada. Auch sie lebt nur wenige Blocks vom Jugendzentrum entfernt. Ihr Kollege Jorge Burciaga wohnt dagegen im Norden der Stadt, wo die Schuldichte höher und die Infrastruktur besser ist. So halten es viele Einwohner der Stadt: Wer es sich leisten kann, zieht in die mit Stacheldraht und Wachmännern gesicherten Wohnanlagen. Wer richtig viel Geld hat, fährt nach Feierabend ins sichere El Paso, auf die andere Seite des Grenzflusses – so angeblich auch der Bürgermeister der Stadt, José Reyes Ferriz. In einem Jahr werden dort so viele Menschen ermordet wie in Ciu-
»Heute wachsen die Kinder mit dem Tod auf.« Jorge Burciaga arbeitet mit Jugendlichen aus den Gangs.
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dad Juárez an einem Tag. 17, 18 Tote sind es manchmal. »Früher war das unvorstellbar – heute wachsen die Kinder mit dem Tod auf«, sagt Jorge Burciaga. Auch Eric ist mit dem Tod aufgewachsen. Der Lockenkopf, dessen Schneidezähne im Oberkiefer mit Gold eingefasst sind, hat Drogen- und Bandenerfahrung. Doch seit mehreren Jahren kommt der 24-Jährige in das Jugendzentrum. Seit 2008 arbeitet er selbst mit Kindern und Halbwüchsigen und studiert Pädagogik an der Universität. »Ohne die Hilfe der Casa wäre das kaum möglich, denn ich musste schon einmal ein Jahr pausieren, weil das Geld nicht reichte«, erklärt Eric. Wie MC Chave greift auch er zum Mikrofon und rappt über Polizeiübergriffe und die Misere in den Barrios. »Rap ist eine der wenigen Möglichkeiten, sich auszudrücken, etwas rauszulassen«, erklärt Eric. Für das Zentrum sind die jungen Männer, die den Banden den Rücken gekehrt haben, wichtig, um an die Jugendlichen aus den Banden heranzukommen, erklärt Jorge Burciaga. »Ihr Beispiel zeigt den Halbwüchsigen, dass ein Absprung aus dem Kreislauf der Gewalt möglich ist.« Die »Casa Promoción Juvenil« gibt es seit 1994, aber 2009 wäre beinahe Schluss gewesen. »Es gab keine Finanzierung«,
Einen Absprung aus dem Kreislauf der Gewalt ermöglichen. María Teresa Almada leitet die »Casa Promoción Juvenil«.
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Foto: AP
sagt Teresa Almada lapidar. Typisch für Mexiko, das in den vergangenen Jahren alle Ressourcen auf den »Krieg gegen die Drogenhandel« konzentrierte, den Präsident Felipe Calderón bei seinem Amtsantritt im Dezember 2006 proklamierte. Dabei setzt die Regierung allein auf das Militär, das – so die Annahme – mit den Kartellen schon fertig werden würde. Das Gegenteil scheint der Fall, wenn man die Situation in Ciudad Juárez zum Maßstab nimmt. Zwar patrouillieren die martialisch auftretenden Militärs mit dem Maschinengewehr im Anschlag auf ihren Pick-ups nicht nur auf den Hauptstraßen, sondern auch in Stadtvierteln wie Hernán 13 oder El Noveno. Doch sicherer fühlt sich durch den Einsatz der Soldaten kaum jemand. »Wenn man sie braucht, kommen sie in aller Regel zu spät«, kritisiert MC Chave. Er ist kein Freund der autoritär auftretenden Ordnungsmacht. »Die Jugendlichen werden immer als potentielle Bedrohung und als Drogenkonsumenten angesehen, eine echte Chance kriegen sie nicht«, sagt er. So werden die Konflikte in der Stadt weiter angeheizt, denen ohnehin zumeist Jugendliche zum Opfer fallen. Achtzig Prozent der Mordopfer sind jünger als 25 Jahre. Willkür von Armee und Polizei sind wiederkehrende Themen in den Reimen von MC Chave oder Mera Clase. MC Chave und Eric träumen von einem eigenen Studio, um Songs mit den Halbwüchsigen aufzunehmen. »Das ist wie ein Ventil, man muss etwas machen, produktiv werden«, erklärt der Rapper, der sich oft auf einen Hügel mit einem riesigen Kreuz in der Nachbarschaft setzt und dort seine Texte schreibt. Manchmal kommt einer der Jugendlichen aus dem Kindergarten »El Noveno« mit, um gemeinsam zu reimen, aber ein kleines Studio – »das wäre es«, erklärt MC Chave. Doch dafür reichen die spärlichen Mittel der »Casa Promoción Juvenil« bisher nicht. Deren Arbeit wird nur über nationale Programme unterstützt – auf Landesebene und beim Bürgermeister stehen Jugendprogramme nicht gerade hoch im Kurs.
15 Tote. Spuren der Morduntersuchung am 31. Januar.
ein mAssAker und seine folgen
Der Autor ist freier Journalist und berichtet regelmäßig aus Lateinamerika.
Fotos: Knut Henkel
Siehe auch den »Brief gegen das Vergessen« zu Ciudad Juárez auf S. 77.
Reime gegen die Gewalt. Gustavo Salas rappt als MC Chave.
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Villa de Salvácar ist ein Viertel am Stadtrand von Ciudad Juárez, das Anfang 2010 traurige Berühmtheit erlangte. Ein Killerkommando stürmte am 30. Januar eine Geburtstagsparty und erschoss fünfzehn Jugendliche – versehentlich, wie ein Bandenmitglied einige Tage später zugab. Da hatte Präsident Felipe Calderón die Opfer des Massakers schon als Bandenmitglieder bezeichnet. »Diese Behauptung hat zu massiven Protesten der Familien und der Zivilbevölkerung in Ciudad Juárez geführt und sie zeigen Wirkung«, sagt Leobardo Alvarado. Der Soziologe, der an der Universität von Ciudad Juárez lehrt und zur Jugendproblematik in Ciudad Juárez forscht, gehört dem »Runden Tisch für die Menschenrechte« an. Dieser Zusammenschluss erklärte nach dem Massaker in einem offenen Brief an den Präsidenten: »Wir können Juárez nicht wiederaufbauen, wenn wir weiterhin die Rechte der Bevölkerung missachten.« Der Runde Tisch verlangte unter anderem eine öffentliche Entschuldigung des Bürgers Felipe Calderón bei den Familien der Ermordeten und einen Abzug des Militärs, dem sie mehr als 1.000 Menschenrechtsverletzungen wie »Verschwindenlassen«, Folter und Mord vorwerfen. Entschuldigt hat sich Felipe Calderón inzwischen und Anfang April hat er auch den Abzug der meisten Soldaten angekündigt. Sie sollen durch 5.000 Bundespolizisten ersetzt werden. »Die Regierung hat eingesehen, dass ihre Strategie gegen die organisierte Kriminalität gescheitert ist, aber eine Kehrtwende ist der Abzug in Ciudad Juárez nicht«, sagt Alvarado und verweist auf die Präsenz zahlreicher Militärs in zivilen Funktionen. Ein anderer Teil der Truppe soll weiter für die Grenzsicherung und die Überwachung von Verkehrsknotenpunkten zuständig sein. Statt das Militär einzusetzen, müsse der Staat die strukturellen Ursachen der Gewalt angehen, so Alvarado. »Ohne Perspektiven für die Jugend haben die Kartelle leichtes Spiel bei der Rekrutierung des Nachwuchses. Die Jugendlichen sind sich selbst überlassen, denn öffentliche Angebote gibt es kaum und die Eltern haben wenig Zeit, sich um ihre Kinder zu kümmern, weil das Entwicklungsmodell der Stadt auf der hemmungslosen Ausbeutung der Fabrikarbeiter fußt.« Auch hier hat die Zentralregierung nach dem Massaker in Villa de Salvácar versprochen, aktiv zu werden. Konkret zugesagt hat sie bisher allerdings nur den Bau von vier neuen Schulen und die Renovierung einiger öffentlicher Plätze.
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»Die Polizei muss das Vertrauen zurückgewinnen« Eine unabhängige Kontrolle schaffen. Ein salvadorianischer Polizist bei einem Einsatz gegen Jugendbanden in der Hauptstadt San Salvador.
Ein Gespräch mit Zaira Navas, der neuen Generalinspektorin der Polizei in El Salvador, über die schwierige Aufgabe, eine Polizei zu schaffen, die die Menschenrechte respektiert. Nach zwanzig Jahren ultrarechter ARENA-Regierung gewann im vergangenen Jahr der Kandidat der ehemaligen Guerillabewegung FMLN, der Fernsehjournalist Mauricio Funes, die Präsidentschaftswahl. Funes versprach eine Reform der Polizei und beauftragte die Menschenrechtsanwältin Navas mit ihrer Kontrolle. Sie ermittelt unter anderem gegen ehemalige hochrangige Polizeioffiziere, darunter den früheren Polizeichef Ricardo Meneses. Er soll Verbindungen zu Drogenbaronen und kriminellen Banden unterhalten haben. Frau Navas, wie kommt eine Menschenrechtsanwältin zur Polizei El Salvadors, der schwere Verletzungen der Menschenrechte vorgeworfen werden? Im Juni 2009 hat Mauricio Funes sein Amt als neuer Präsident El Salvadors angetreten. Zu seinem Regierungsprogramm gehört die Achtung der Menschenrechte durch alle staatlichen Institutionen. Um das zu erreichen, muss auch die Polizei reformiert werden. Meine Berufung als neue Generalinspektorin der Zivilen Nationalpolizei (PNC) verstehe ich als klares Signal in diese Richtung: Die Menschenrechte sollen in Zukunft einen hohen Stellenwert haben.
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Was sind Ihre Aufgaben als Generalinspektorin? Die Generalinspektion ist eine interne Kontrollinstanz der Polizei. Sie soll die Arbeit der PNC überwachen und sicherstellen, dass die Polizei ihre Arbeit erledigt, nämlich für die innere Sicherheit im Land zu sorgen. Außerdem soll die Generalinspektion dafür sorgen, dass das Dienstrecht eingehalten wird und die Polizei bei der Ausübung ihrer Arbeit die Menschenrechte respektiert. Das hat in den vergangenen Jahren aber überhaupt nicht funktioniert. Im Friedensabkommen von 1992, das den Bürgerkrieg beendete, wurde der Aufbau einer neuen Zivilen Nationalpolizei beschlossen. 1994 entstand die Generalinspektion der PNC. Sie war von den Strukturen der PNC unabhängig, bestand aus gut ausgebildetem Personal aus verschiedenen Bereichen und war direkt dem Minister für Öffentliche Sicherheit unterstellt. Dadurch konnte sie ihre Aufgabe als Kontrollinstanz auch wirklich wahrnehmen. 2001 beschloss die Regierung jedoch, die Generalinspektion in die Polizeistrukturen zu integrieren und dem Polizeidirektor zu unterstellen. Welche Konsequenzen hatte das? Mit der Unabhängigkeit war es vorbei. Die Generalinspektion konnte ihre Kontrollfunktion nicht mehr so ausüben wie vorher.
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»Viele Polizisten wurden aus den alten Einheiten übernommen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen berüchtigt waren.«
Foto: Alex Pena / Reuters
Was hat die Generalinspektion dann überhaupt noch gemacht? Sie hat auch weiterhin Verstöße gegen die interne Disziplin untersucht und Ermittlungen gegen einzelne Polizisten eingeleitet. Aber nur gegen die niedrigen und einige mittlere Dienstränge, nicht gegen die höheren. Und heute? Was hat sich unter der neuen Regierung geändert? Die Position der Regierung und auch die des neuen Polizeichefs ist eindeutig: Um ihre Kontrollfunktion wahrnehmen zu können, soll die Generalinspektion wieder unabhängig von den Polizeistrukturen sein und dem Justizminister unterstehen. Außerdem, auch das ist sehr wichtig, soll sie mehr Personal erhalten. Im Parlament wird derzeit ein Gesetz verhandelt, das die Generalinspektion aus der Polizei herauslösen soll. Ich denke, dass es bis Ende 2010 so weit sein sollte. Eine unabhängige Generalinspektion bedeutet aber noch keine Polizei, die die Menschenrechte respektiert. Ja, und man darf auch keine zu schnellen Ergebnisse erwarten. Der Polizei werden Folter, Mord, Entführungen und Beteiligung am Drogenhandel vorgeworfen, außerdem sollen Polizisten in die Strukturen der organisierten Kriminalität verwickelt sein. Die neue Regierung konnte 2009 einen neuen Polizeidirektor, sechs Vizedirektoren sowie eine neue Generalinspekteurin ernennen. Die Polizei hat aber rund 21.000 Mitarbeiter, die sind fast alle schon lange auf ihren Posten, einschließlich der Chefs der verschiedenen Polizeieinheiten. Viele Polizisten sind von Beginn an dabei und wurden vor 17 Jahren aus den alten Polizeieinheiten übernommen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen berüchtigt waren. Repression, also die Anwendung unangemessener Gewalt, ist für sie etwas ganz Normales. Das Verhalten dieser Leute kann man nicht einfach durch eine Dienstanweisung von oben verändern. Was machen Sie denn, wenn Sie aufdecken, dass ein Polizist ein Delikt begeht? Wir untersuchen, ob er dabei gegen das interne Reglement der Polizei verstoßen hat. Falls ja, werden disziplinarische Maßnahmen eingeleitet. In schweren Fällen wird der Polizist vom Dienst suspendiert. Für die strafrechtliche Untersuchung ist jedoch die Staatsanwaltschaft zuständig, die von uns informiert wird.
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Die hat aber einen mindestens ebenso schlechten Ruf wie die Polizei. Wie läuft denn die Zusammenarbeit? Bisher ist unsere Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft gut. Allerdings wird sich erst in Zukunft zeigen, ob sie auch dazu bereit ist, Verfahren gegen Offiziere einzuleiten. Gegen einige hochrangige Polizisten ermittelte die Staatsanwaltschaft bereits unter der früheren Regierung, bis heute ist aber in keinem dieser Fälle ein Verfahren eröffnet worden. Die Gewalt hat unter der neuen Regierung neue Rekorde erreicht. Es sterben so viele Menschen eines gewaltsamen Todes wie seit Jahren nicht mehr. In keinem Land Lateinamerikas gibt es pro Kopf mehr Gewaltverbrechen als in El Salvador. Zur Bekämpfung der Kriminalität hat der Präsident im vergangenen Herbst die Armee auf die Straße geschickt. Steht das denn im Einklang mit der Verfassung? Durchaus. Solange die Armee die Polizei bei der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit nicht ersetzt, darf diese zumindest vorübergehend – sechs Monate mit der Möglichkeit einer Verlängerung – auch im Inland aktiv werden. Die Regierung wollte ein Zeichen setzen, um der Bevölkerung das Gefühl zu geben, hier wird gegen die Kriminalität vorgegangen. Es ging um Abschreckung. Es gibt aber bereits zahlreiche Klagen wegen zahlreicher Übergriffe durch Soldaten. Ja, es geht zum Teil um schwere Menschenrechtsverletzungen. Es wäre sicherlich besser, die Polizei noch weiter zu stärken. Das geht aber leider nicht von heute auf morgen. Seit Sommer 2009 haben bereits mehr als 1.000 neue Polizisten die Polizeiakademie verlassen, aber das reicht noch lange nicht. Die Polizei muss nach und nach auch das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen. Fragen: Michael Krämer
interview ZAirA nAvAs Foto: Amnesty
Der Polizeidirektor konnte anordnen, was sie untersuchen sollte, und vor allem, was nicht. Viele Mitarbeiter versuchten zwar weiterhin ihre Aufgabe so gut wie möglich zu erledigen, aber vor allem den rund 80 Prozent Polizisten unter dem Personal waren die Hände gebunden, ihre Abhängigkeit vom Polizeidirektor war sehr groß.
Die 39-jährige Anwältin arbeitete von 1996 bis 2005 in der staatlichen Ombudsstelle für Menschenrechte und anschließend bis 2009 bei der »Asociación Pro-Busqueda de Niños y Niñas Desaparecidos«, einer Nichtregierungsorganisation, die versucht, Kinder aufzuspüren, die während des Bürgerkriegs verschwanden. Zumeist wurden sie vom Militär geraubt.
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Beeindruckende Doppelmoral Die neue Regierung in Honduras will den Putsch vom Juni 2009 von einer Wahrheitskommission untersuchen lassen, doch die Täter müssen keine Verfolgung befürchten. Dagegen sind Menschenrechtsaktivisten in dem Land weiterhin bedroht. Von Maja Liebing
Die Autorin ist Amerika-Referentin der deutschen Amnesty-Sektion.
Foto: Ginnette Riquelme / AP
Bertha Oliva und Jesús Garza sind nach Deutschland gereist, »um unsere Regierung zu diskreditieren«, meldet der honduranische Radiosender »Radio América« Anfang März. Zu diesem Zeitpunkt ist der neue Präsident Porfirio Lobo Sosa erst einen guten Monat im Amt und Anschuldigungen wie diese können für politische Aktivisten noch immer gefährlich werden. Tatsächlich sind Bertha Oliva vom »Komitee der Familienangehörigen der verschwundenen Festgenommenen« (COFADEH) und Jesús Garza von der »Honduranischen Koalition der Bürgeraktion« (CHAAC) auf Einladung von Amnesty International und anderen Organisationen in Europa unterwegs, um über die Menschenrechtslage in ihrem Land zu informieren. Nach dem Sturz des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya am 28. Juni 2009 ging die Polizei in Honduras brutal gegen friedliche Demonstranten vor, Soldaten schlossen Radiosender, Putschgegner und Menschenrechtsverteidiger wurden von Unbekannten ermordet. Ein von den USA vermitteltes Abkommen zwischen der Putschregierung und dem gestürzten Präsidenten scheiterte im November. Die meisten Putschgegner boykottierten deshalb die Wahlen am 29. November. Auch viele internationale Beobachter zweifelten an der Legitimität der Wahlen, aus denen der Konservative Lobo als Sieger hervorging. Trotzdem verbanden viele Länder mit den Wahlen die Hoffnung, dass sie in den Beziehungen zu dem Land endlich wieder zur Tagesordnung übergehen könnten. Kein Staat der Erde hatte die Putschregierung anerkannt. Inzwischen haben einige Staaten wie die USA, Spanien oder Guatemala die diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen, die USA und der Internationale Währungsfonds lassen die Wirtschaftshilfen wieder fließen, die EU
verhandelt mit Honduras erneut über das bereits seit Jahren geplante Freihandelsabkommen mit Zentralamerika. Für Bertha Oliva ein falsches Signal. Sie fordert, dass »die Normalisierung der Beziehungen vom Respekt vor den Menschenrechten abhängig gemacht wird«. Das ist ihre Botschaft an das Europäische Parlament und an die Vertreter der deutschen Regierung, die sie in Berlin trifft. Sie berichtet von über 200 Menschenrechtsverletzungen im ersten Monat seit Lobos Amtsantritt, darunter fünf Morde an Bauern und Gewerkschaftern. Sie spricht auch über die Wahrheitskommission, die der neue Präsident gleich nach seiner Amtseinführung angekündigt hat und die ihrer Meinung nach weniger der Wahrheit als vielmehr der Straffreiheit der Täter dienen soll. Oliva wirft dem Präsidenten eine »beeindruckende Doppelmoral« vor – außenpolitisch spreche er von Versöhnung und der Einhaltung der Menschenrechte. Bei der strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen oder der Einbeziehung der Zivilgesellschaft höre seine Bereitschaft zur Versöhnung jedoch schnell auf. Diese Befürchtungen teilt auch Amnesty. In einem Bericht zur Amtseinführung des neuen Präsidenten werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen der letzten Monate dokumentiert. Zu glauben, die Probleme in Honduras seien mit dem Antritt der neuen Regierung gelöst, bedeutet, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Und zu dieser Wahrheit gehört, dass Menschen wie Bertha Oliva, die während des Putsches die Berichte über krankenhausreif geschlagene Demonstranten, bedrohte Journalisten und ermordete Oppositionelle sammelte, um ihr Leben fürchten müssen. Aufgeben kommt für Oliva dennoch nicht in Frage. Für sie, die 1981 als 25-Jährige ihren Mann durch »Verschwindenlassen« verloren hat, gibt es keine Alternative zu ihrem Engagement. Denn: »Wenn wir unsere Arbeit aufgeben, dann machen wir uns zu Komplizen der Täter.«
Auch nach dem Putsch bedroht. Bertha Oliva, Koordinatorin des »Komitees der Familienangehörigen der verschwundenen Festgenommenen«.
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Amnesty journAl | 06-07/2010
WISSEN IST MACHT ZUR VERÄNDERUNG AMNESTY INTERNATIONAL REPORT 2010 ZUR WELTWEITEN LAGE DER MENSCHENRECHTE Wir präsentieren Ihnen den Amnesty International Report 2010. Wie immer mit aktuellen Zahlen, Daten und Fakten zur Menschenrechtsrechtssituation in 159 Ländern der Welt. Sie erfahren mehr über positive Veränderungen wie die strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtsverletzern und die Abschaffung der Todesstrafe in einigen Staaten. Aber auch über die Länder, in denen nach wie vor Menschenrechtsverletzungen auf der Tagesordnung stehen. Der Bericht ist ein Appell, nicht die Augen vor Unrecht und Verletzungen der Menschenrechte zu verschließen. Denn Ihr Wissen und Ihr Engagement können für die Menschen weltweit viel bewegen! Ab 27. Mai unter: www.amnesty.de Broschur mit Länderkarten, 544 Seiten S. Fischer Verlag 2010 ISBN 978-23-10-000834-3 14,95 Euro
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IRENE KHAN EHEM. GENERALSEKRETÄRIN VON AMNESTY INTERNATIONAL
DIE UNERHÖRTE WAHRHEIT ARMUT UND MENSCHENRECHTE MIT EINEM VORWORT VON KOFI ANNAN
Gebunden, 320 Seiten S. Fischer Verlag ISBN 978-3-10-041514-1 22,95 Euro
DIE UNERHÖRTE WAHRHEIT – ARMUT UND MENSCHENRECHTE Warum stehen Armut und Menschenrechtsverletzungen in einem direkten Zusammenhang? Wer hat Interesse, breite Bevölkerungsgruppen in bitterster Armut zu halten? Irene Khan, die ehemalige Generalsekretärin von Amnesty International, deckt die Zusammenhänge und Mechanismen von Armut und Menschenrechtsverletzungen auf und stellt Lösungsansätze vor. Mit einem Vorwort von Kofi Annan.
Gleichberechtigung ist Gleichberechtigung Deutschland blockiert eine neue EU-Richtlinie, die Opfern von Diskriminierung mehr Schutz bieten würde. Von David Gordon Smith Helen Ibry und ihre Freundin sind seit sechs Jahren ein Paar. Sie leben gemeinsam in einer Wohnung in Mailand. Ibry bekommt als Doktorandin ein kleines Stipendium, ihre Freundin ist Lehrerin, ein Beruf, der in Italien nicht gerade üppig bezahlt ist. In Mailand, einer der teuersten Städte Italiens, können die beiden damit nur mit Mühe ihre Miete bezahlen. Das Paar könnte eine Sozialwohnung beantragen, wenn dafür nur das Einkommen entscheidend wäre. Aber als Lesben haben sie kaum Chancen, eine solche Wohnung zu bekommen. Im Gegensatz zu anderen Regionen Italiens dürfen sich in der Lombardei, wo sich Mailand befindet, »eheähnliche Gemeinschaften« zwar für Sozialwohnungen bewerben. Rechtlich ist jedoch nicht eindeutig geregelt, ob damit auch homosexuelle Paare gemeint sind. »Es hängt von dem jeweiligen Beamten ab, ob er ein homosexuelles Paar als eheähnliche Gemeinschaft anerkennt oder nicht«, sagt Helen Ibry, die auch Vorstandsmitglied von Arcilesbica ist, einer überregionalen Vereinigung für Lesben in Italien. Rechtlich vorgehen können Italiens Schwule und Lesben gegen diese Willkür nicht. Es gibt in Italien kein Gesetz, das sie vor solcher Diskriminierung schützt. Um solche Lücken zu schließen, hat die EU-Kommission 2008 eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie vorgeschlagen. Doch der Ministerrat, also die Vertretung der EU-Staaten, kann sich nicht auf einen entsprechenden Beschluss einigen. Deutschland ist dabei der größte Bremser. Das Land akzeptiere damit, »dass Millionen von EUBürgern der Schutz verweigert wird«, so die Leiter aller Amnesty-Sektionen in der EU in einem offenen Brief an die zuständige deutsche Familienministerin Kristina Schröder.
»Im Moment gibt es in der EU eine Hierarchie von Diskriminierungsgründen.« 50
Der EU-Vorschlag sieht vor, den in einer Richtlinie aus dem Jahr 2000 festgeschriebenen Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz auch auf andere Lebensbereiche und auf Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität auszuweiten. »Im Moment gibt es in der EU eine Hierarchie von Diskriminierungsgründen«, sagt Sophie in ’t Veld, Mitglied des Europäischen Parlaments für die niederländische sozialliberale Partei »Democraten 66«. »Geschlecht und Ethnizität sind besser geschützt als sexuelle Orientierung, Religion und Alter.« Es bedarf eines effektiven Instruments, um Diskriminierung zu bekämpfen, meint in ’t Veld. »Das Prinzip von Gleichberechtigung ist in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegt. Aber das Instrumentarium, womit Bürger gegen Diskriminierung klagen können, ist nicht vollständig.« Die neue Richtlinie ist keine abstrakte bürokratische Regelung aus Brüssel. Sie betrifft viele konkrete Fälle: Sei es ein Homosexueller, dem die Behandlung von einem Arzt verweigert wird, weil er »diese Art von Person« nicht behandeln will, sei es eine muslimische Familie, die eine Wohnung nicht bekommt, weil der Vermieter Muslime nicht mag. Die neue Regelung würde solchen Menschen die Chance geben, sich auf dem Rechtsweg zu wehren. Doch die Bundesregierung blockiert die Richtlinie. Deutschland hat sich so deutlich dagegen ausgesprochen wie kein anderer EU-Staat. Man stehe dem Entwurf »ablehnend gegenüber«, schreibt das Familienministerium. Die vorgeschlagene Richtlinie überschreite »aus Sicht der Bundesregierung die Zuständigkeit der EU und verkennt die Unterschiede, die zwischen den unterschiedlichen Betroffenengruppen bestehen«. Die Behauptung, die neue Regelung überschreite die Kompetenzen der EU, ist ein Scheinargument, meint Evelyne Paradis. »Rechtsexperten des EU-Rats haben den Entwurf überprüft, um sicherzustellen, dass er die EU-Zuständigkeiten nicht überschreitet«, sagt die Geschäftsführerin von ILGA-Europa, dem europäischen Regionalverband des Internationalen Lesbenund Schwulenverbands. Auch das Argument, die Richtlinie würde zu noch mehr Bürokratie in Deutschland führen, hält Silke Voß-Kyeck, bei der deutschen Amnesty-Sektion für die EU-Institutionen zuständig, für vorgeschoben. »Das deutsche Gleichbehandlungsgesetz deckt die Mehrheit der in der neuen Richtlinie vorgeschlagenen Regelungen schon ab«, erklärt Voß-Kyeck. Und zu Verbesserungen der Rechtslage sei Deutschland durch die bereits ratifizierte Behindertenrechtskonvention ohnehin verpflichtet. Obwohl sich die neue Richtlinie weniger gegen Diskriminie-
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Gleiches Recht für gleichgeschlechtliche Paare. In vielen EU Staaten noch eine Utopie.
rung am Arbeitsplatz richtet, versuchen auch Unternehmensvertreter eine Verabschiedung zu verhindern. »Der Vorschlag verursacht neue Regulierungen, hohe Kosten und schädliche Bürokratie«, schreibt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Dass die neue Richtlinie der Wirtschaft schaden würde, glaubt Klaus Michael Alenfelder dagegen nicht. Er ist Professor für Wirtschaftsrecht und hat sich auf Diskriminierungsfälle spezialisiert. »Bis jetzt gab es kaum Klagen auf der Basis des Antidiskriminierungsgesetzes und die Höhe der Entschädigungszahlungen war häufig relativ niedrig, vor allem im Zivilrecht.« Im Gegenteil, erklärt Alenfelder, verursache diskriminierende Behandlung hohe Kosten für Firmen. Denn Mitarbeiter, die merkten, dass ihre Firma Kollegen diskriminiert, seien schlechter motiviert. Das bedeute weniger Leistung und führt laut Studien zu mehr – teuren – Krankheitstagen. Auf jeden Fall sei Diskriminierung ein Angriff auf die Menschenwürde. Unterstellt, das Ende der Diskriminierung verursache tatsächlich höhere Kosten, »dann muss man sich fragen, was ist wichtiger: Geld oder Menschenwürde? Warum also keine Kinder einstellen? Das wäre doch noch billiger.«
berichte
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Antidiskriminierungsrichtlinie
Alenfelder glaubt nicht an eine schnelle Verabschiedung der Richtlinie. »Der entscheidende Faktor sind die Wirtschaftsverbände, nicht die Politik. Denn FDP und einflussreiche Teile der Union haben enge Verbindungen zur Wirtschaft.« Deshalb sei vorerst keine Änderung der deutschen Position zu erwarten. Und anderen EU-Mitgliedsstaaten kommt die deutsche Blockadehaltung gerade recht. »Manche eher konservativ regierten Länder, die zum Beispiel kein Homophobie-Verbot wollen, verstecken sich hinter dem Widerstand der Deutschen. Es ist bequem für sie«, sagt Europapolitikerin in ’t Veld. Der Stillstand könnte deshalb jahrelang andauern, glaubt sie. »Andere Mitgliedsstaaten werden keinen Druck auf Deutschland ausüben, sondern sich lieber passiv hinter Deutschland stellen.« In der Zwischenzeit haben Opfer von Diskriminierung wie Helen Ibry keine Chance, sich rechtlich zu wehren. »Es ist sehr traurig«, beklagt Europapolitikerin in ’t Veld, »es darf nicht sein, dass sich ein Opfer von Rassismus rechtlich schützen kann, aber diskriminierte Schwule oder Muslime nicht. Gleichberechtigung ist doch Gleichberechtigung.« Der Autor lebt in Berlin und arbeitet als Redakteur bei Spiegel Online. Online-Aktionen zu dem Thema finden Sie auf www.amnesty.de
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Foto: Jehad Nga / The New York Times / Redux / laif
Im Fadenkreuz. Christinnen während der Weihnachtsmesse in der chaldäisch-katholischen Heilig-Herz-Kirche in Bagdad, 2006.
Ohne Schutz und ohne Rechte Auch sieben Jahre nach dem Sturz von Saddam Hussein gibt es im Irak kein Ende der Gewalt. Darunter leiden vor allem Frauen und Angehörige religiöser Minderheiten. Von Daniel Kreuz Das 17-jährige Mädchen hatte keine Chance. Angefeuert von der umstehenden Menschenmenge prügelten und traten acht bis neun Männer auf offener Straße eine halbe Stunde lang auf Du’a Khalil Asward ein, beschimpften sie, zogen ihr den Rock aus und steinigten sie. Als einer der Täter, darunter auch Verwandte des Opfers, das Mädchen mit einem Betonklotz erschlug, jubelte der Mob. In seinen Augen hatte Du’a Khalil Asward die Familienehre beschmutzt, weil sie als Angehörige der kurdischsprachigen Minderheit der Jesiden eine Liebesbeziehung mit einem jungen sunnitischen Muslim eingegangen war. Die Täter filmten die Steinigung im nordirakischen Bashika mit
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einem Handy und stellten die verwackelten Bilder später ins Internet. Darauf sind auch Sicherheitskräfte zu erkennen, die jedoch nicht eingreifen. Der Mord an Du’a Khalil Asward am 7. April 2007 war selbst für irakische Verhältnisse ein besonders grausames Verbrechen. Doch das Verhalten der Sicherheitskräfte ist symptomatisch. Trotz verbesserter Gesetze im kurdischen Norden erhalten Frauen im Irak nur in seltenen Fällen Schutz, wenn sie Opfer von häuslicher Gewalt, Verbrechen im Namen der »Ehre« oder Zwangsheiraten werden. All zu häufig haben Polizisten Verständnis für die Täter. Die Gesetze bestätigen sie noch in dieser Ansicht: Im Zentral- und Südirak kann ein Mörder, der erklärt, »aus Gründen der Ehre« gehandelt zu haben, mit sechs Monaten Gefängnis davonkommen. Ehemänner haben nichts zu befürchten, wenn sie ihre Ehefrauen schlagen. Die Gesetze schließen bei einer solchen »Disziplinierung« eine Strafverfolgung aus.
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Im Irak kann der Mörder einer Frau, der erklärt, »aus Gründen der Ehre« gehandelt zu haben, mit sechs Monaten Gefängnis davonkommen. »Die Iraker leben in einem Klima ständiger Angst« Frauen und Mädchen droht jedoch nicht nur in den eigenen vier Wänden Gefahr. Auch auf den Straßen sind sie nicht sicher. Denn obwohl die Gewalt in den vergangenen zwei Jahren zurückgegangen ist, werden noch immer jeden Monat Hunderte Zivilisten bei militärischen Operationen und Anschlägen getötet oder verstümmelt. Die Täter stammen aus den Reihen der irakischen Sicherheitskräfte, der US-Armee oder privater Sicherheitsfirmen. Doch für die meisten Morde sind bewaffnete Gruppen verantwortlich, wie schiitische Milizen oder der »Islamische Staat Irak«, ein Ableger des sunnitisch dominierten Terrornetzwerks Al-Qaida. Angeheizt durch Anschläge von Osama Bin Ladens Gefolgsleuten drohte der Irak 2006 und 2007 an der Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten zu zerbrechen. Zumindest diese Gefahr scheint heute gebannt. Doch nach wie vor versuchen bewaffnete Gruppen mit Anschlägen wahllos möglichst viele Zivilisten zu töten, um das Vertrauen in den Staat zu erschüttern. Sie nehmen aber auch gezielt einzelne Gruppen ins Visier. Besonders gefährdet sind Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Angehörige religiöser Minderheiten, Frauen, Homosexuelle und Flüchtlinge. Dies dokumentiert ein im April veröffentlichter Bericht von Amnesty International. »Die Iraker leben in einem Klima ständiger Angst«, sagt Amnesty-Experte Carsten Jürgensen. »Regierung, Polizei und Justiz tun zu wenig, um potenzielle Opfer zu schützen und um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.« Jürgensen fordert, alle Milizen zu entwaffnen und die gesetzlichen Ausnahmeregelungen wegen »ehrenhafter Motive« abzuschaffen. Zudem sollten Ausweise keine Angaben mehr über die religiöse Zugehörigkeit enthalten. Eben diese Praxis wurde 23 Jesiden im April 2007 zum Verhängnis. Nach der Steinigung von Du’a Khalil Asward waren Gerüchte laut geworden, dass das Mädchen vor seinem Tod zum Islam konvertiert sei. Sunnitische Extremisten schworen Rache. Zwei Wochen nach der Steinigung stoppten sie auf der Straße zwischen Mosul und Bashika einen Bus. Anhand der Pässe identifizierten sie die jesidischen Passagiere, zwangen sie auszusteigen und erschossen sie.
»Ein Irak ohne Christen wird wie Afghanistan unter den Taliban sein« Auch die irakischen Christen sind Opfer religiös motivierter Gewalt. Der Amnesty-Bericht verzeichnet für den Zeitraum zwischen Mitte 2004 und Ende 2009 mindestens 65 Anschläge auf Kirchen mit Dutzenden Toten. Allein im Februar 2010 wurden
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irAk
in Mosul acht Christen ermordet. Eine 58-jährige Christin berichtete gegenüber Amnesty von einem Übergriff in der Stadt vom Februar 2007. Vier maskierte Männer waren in ihr Haus eingedrungen, hatten sie mit einer Pistole bedroht und ihren Ehemann geschlagen und getreten. Das Ehepaar bekam 24 Stunden Zeit, entweder zum Islam zu konvertieren oder sein Haus zu verlassen. »Direkt am nächsten Tag nahmen wir früh morgens ein Taxi und fuhren nach Syrien. Wir ließen einfach alles stehen und liegen.« Der chaldäisch-katholische Erzbischof von Kirkuk, Louis Sako, warnte im Januar 2010: »Ich habe große Sorge um unsere Zukunft. Ein Irak ohne Christen wird wie Afghanistan unter den Taliban sein.« Schon seit langem tragen viele nicht-muslimische Frauen aus Angst vor militanten Islamisten ein Kopftuch oder einen Ganzkörperschleier. Dass diese Angst berechtigt ist, zeigt die südirakische Stadt Basra. Hier wurden in den vergangenen Jahren Dutzende Frauen ermordet. Neben einigen Leichen hatten die Killer Zettel hinterlassen: die Frauen seien wegen angeblich »unislamischen« Verhaltens getötet worden. Am 19. April 2010 verkündete Premier Nuri Al-Maliki persönlich, dass zumindest der Terror von Osama bin Ladens Netzwerk im Irak bald ein Ende haben werde. Auf einer Pressekonferenz hielt er Fotos der Leichen der beiden irakischen Al-Qaida-Führer in die Kameras. Abu Ajjub al-Masri und Abu Omar al-Baghdadi waren bei einem Anti-Terror-Einsatz von irakischen und USamerikanischen Soldaten getötet worden. Ob dies wirklich der Untergang Al-Qaidas im Irak ist oder ob sich die Organisation von diesem Schlag erholen wird, muss sich erst noch zeigen. Der Verlust ihrer Doppelspitze dürfte sie zumindest geschwächt haben. Doch die brutale Antwort auf den Tod ihrer Anführer ließ nicht lange auf sich warten. Vier Tage nach der Pressekonferenz erschütterten sechs Explosionen die Hauptstadt Bagdad und töteten mindestens 63 Menschen. Die meisten von ihnen waren Schiiten, die sich zum Freitagsgebet versammelt hatten. Damit waren wieder einmal hauptsächlich Zivilisten die Opfer. Wie so oft im Irak. Der Autor ist Volontär beim Amnesty Journal. Den vollständigen englischsprachigen Amnesty-Bericht finden Sie auf www.amnesty.de
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»Inguschetien lässt mich nicht los« Sie war Chefredakteurin des einzigen oppositionellen Mediums in der russischen Teilrepublik Inguschetien, nun lebt sie im Pariser Exil. Ein Porträt der Künstlerin und Journalistin Rosa Malsagova. Von Matthias Sander Beim Aussteigen aus der Metro am Pariser Börsenplatz fällt unter all den Anzugträgern eine Person sofort auf: Mit einer bäuerlich anmutenden Strickjacke und einem Kopftuch gekleidet bahnt sie sich entschlossen ihren Weg durch die Menge. Die Frau dreht sich um: Ja, es ist Rosa Malsagova, 53 Jahre alt, die russische, genauer gesagt inguschetisch-tschetschenische Künstlerin und Journalistin. Der Börsenplatz mit seinen eindrucksvollen Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert ist eine fast surreale Kulisse, wenn man die von Kriegen und Gewalt geprägte Geschichte von Rosa Malsagova kennt. Ihren schnellen Schritten kommt man kaum hinterher. Sind sie ein Zeichen der Entschlossenheit und Zielstrebigkeit dieser Frau, die in ihrem Pariser Asyl nie heimisch geworden ist? Oder angesichts von Todesdrohungen und Abhörmaß-
2005 versuchte sie, Brechts »Mutter Courage« auf die Bühne zu bringen. Das Stück wurde aus politischen Gründen abgelehnt. 54
nahmen schlicht Vorsicht? Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Im Gespräch ist Rosa Malsagova ruhig, aber bestimmt. Sie spreche wie eine Schauspielerin, sagt die Dolmetscherin. Auch Malsagovas Gestik lässt erahnen, dass sie 20 Jahre lang Schauspielerin, Regisseurin und Intendantin eines Puppentheaters in Grosny war, der tschetschenischen Hauptstadt. Während des ersten Tschetschenienkrieges floh sie nach Nasran, der größten Stadt der westlichen Nachbarrepublik Inguschetien, die sehr viele Flüchtlinge aus Tschetschenien aufnahm. Malsagova bringt es dort zur Regisseurin des Nationaltheaters. »Ich war von der Politik weit entfernt«, sagt sie über ihre Theaterkarriere. »Wenn, dann fand das Politische in mir seinen Ausdruck im Theater, in den Stücken, aber nicht außerhalb der Bühne.« Mit dem Berliner Regisseur Peter Krüger versuchte sie 2005, Brechts »Mutter Courage und ihre Kinder« in Inguschetien auf die Bühne zu bringen. Inzwischen regierte der ehemalige KGB-Mann Murat Sjasikow mit autoritären Methoden die Teilrepublik. »Das Stück wurde aus politischen Gründen abgelehnt. Ich habe dafür gekämpft, dass es doch gezeigt wird.« Das Stück kann schließlich zwei Mal aufgeführt werden, doch das Fernsehen verweigert die zugesagte Übertragung. Als sie 2006 in Berlin ein Filmfestival besuchte, bei dem ein mit Krüger gedrehter Film gezeigt wurde, verabschiedete sich Malsagova von ihrem bisherigen Selbstverständnis: »Da habe ich endgültig den Weg des Politischen eingeschlagen.« Sie habe verstanden, welche Freiheiten man hierzulande genieße: »Die Leute konnten zeigen, was sie wollten, Ausstellungen, Fotos, Filme.« Wie anders die Situation in Inguschetien: Das Theater in Nasran hatte sie zuvor fristlos entlassen – wegen einer negativen Äußerung über die politischen Machthaber. Was sie gesagt hatte? »Ich habe wenig Vertrauen in die Regierung und die Politiker. Ich glaube weder, dass sie in der Lage sind, noch den Wunsch haben, unser Leben zu verbessern.« Von der Harmlosigkeit dieser Sätze abgesehen: Was soll eine Frau mit ihren Erfahrungen anderes sagen? Malsagova stand in ihrer Heimat vor dem Nichts, zog nach Moskau und wurde Journalistin. Zwei Jahre lang schrieb sie dort
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Foto: Amnesty France
Heimkehr in weiter Ferne. Rosa Malsagova floh vor der Regierung, jetzt erhält sie Drohungen von Islamisten.
für die kaukasische Zeitschrift »Dosch«, die Aktivisten der Organisation »Memorial« sowie andere Menschenrechtler beschäftigt. Parallel wurde Malsagova Chefredakteurin des einzigen oppositionellen Mediums in Inguschetien, der Webseite ingushetiya.ru. Für das Portal schrieben anonyme Autoren, die oft aus den Schaltzentralen der Macht über die Auswüchse des »Kampfes gegen den islamistischen Terror« berichteten. Auch kritische Stimmen gegen den damaligen Präsidenten Murat Sjasikow kamen zu Wort. Die Arbeit von ingushetiya.ru wurde jedoch immer wieder stark behindert. Im Juni 2008 verbot ein Moskauer Gericht die Seite wegen »Verbreitung von extremistischen Ansichten«, »Versuchs nationaler Spaltung« und »Verleumdung des Staatsoberhaupts«. Am 31. August 2008 wurde der Betreiber der Seite, Magomed Jewlojew, in Nasran erschossen. Dann blockierte der Provider die Internetadresse, die daraufhin umzog und sich ingushetiyaru.org nannte. Rosa Malsagova befand sich bereits seit dem 5. August 2008 auf Anraten von Freunden in Paris. Anfangs führte sie die Webseite mit Hilfe von »Reporter ohne Grenzen« weiter. Im Oktober 2008 übernahm Junus-Bek Jewkurow das Präsidentenamt in Inguschetien. Auch viele Mitarbeiter von ingushetiya.ru setzten Hoffnungen in die neue Regierung. Malsagova hält ihm zugute, dass er, anders als seine Vorgänger, zunächst nicht auf Gewalt setzte. Seit jedoch im Juni 2009 ein Anschlag auf Jewkurow verübt wurde, bei dem er schwer verletzt
porträt
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wurde, ist die Situation bedrohlicher als je zuvor. Laut »Maschr«, einer Organisation für Opferangehörige, gab es 2009 insgesamt 260 Tote, sowohl Zivilisten als auch Milizangehörige. Die Internetseite kavkaz-uzel.ru spricht gar von 319 Toten allein durch Bombenanschläge. Auch für Malsagova kommt jetzt die Bedrohung von anderer Seite: Islamisten drohen ihr mit dem Tod. Die martialischen Ankündigungen der Moskauer Regierung nach den Anschlägen vom 29. März, bei denen zwei Selbstmordattentäterinnen aus der nordkaukasischen Teilrepublik Dagestan in der Moskauer U-Bahn 40 Menschen töteten, überraschen sie nicht: »Der Nordkaukasus stand schon vor den Anschlägen vor einem offenen Krieg«, sagt Malsagova. Die erträumte Heimkehr liegt für Malsagova derzeit in weiter Ferne. Doch auch in Frankreich, dessen Sprache sie nicht spricht, ist sie nicht richtig angekommen: Sie wohnt in einem Hotel und hat keine Aufenthaltsgenehmigung, weil sie dafür regelmäßig arbeiten müsste. Dies ist aber wegen ihrer drei minderjährigen Kinder kaum möglich. Sie wird auf Podiumsdiskussionen eingeladen, im Januar etwa von der französischen Amnesty-Sektion, die das von offizieller Seite veranstaltete »französisch-russische Jahr« kritisch begleitet. Inguschetien lässt die Journalistin nicht los: »Körperlich bin ich in Paris, aber mit meinem Kopf in Inguschetien«, sagt Rosa Malsagova. Der Autor ist freier Journalist und berichtet regelmäßig aus Frankreich.
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Bildstörung Auch ein Jahr nach der umstrittenen Präsidentenwahl wird die Opposition im Iran mit Gewalt unterdrückt. Dabei versucht die Regierung, spektakuläre Fernsehbilder zu vermeiden. Von Ruth Jüttner
Foto: Panos Pictures
Die letzten großen Demonstrationen, bei denen landesweit Hunderttausende Iraner und Iranerinnen auf die Straße gingen, fanden Ende Dezember 2009 anlässlich des religiösen AshouraFestes und der Beerdigung des regierungskritischen Großayatollahs Hosseinali Montazeri statt. Wieder gingen die Sicherheitskräfte mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen die Protestierenden vor. Es kam einmal mehr zu Toten und Verletzten. Erneut wurden Hunderte Iraner und Iranerinnen festgenommen, teilweise direkt bei den Demonstrationen. Viele Oppositionelle, Menschenrechtsverteidiger und Journalisten wurden aber auch in ihren Häusern festgenommen oder nach Vorladungen vor Gericht in Haft überstellt. Seither berichten die internationalen Medien kaum noch über die andauernde Repression gegen Kritiker der Regierung im Iran. Es scheint, als hätten Polizei, Geheimdienste und Justiz
Öffentlicher Protest wird selten. Szene im Dezember 2009 in Teheran.
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ihr Ziel erreicht, jeglichen öffentlichen Protest im Keim zu ersticken. Alle Versuche der Opposition, Demonstrationen zu den nationalen Feiertagen wie dem Jahrestag der islamischen Revolution im Februar oder dem iranischen Neujahrsfest im März zu organisieren, werden durch ein massives Aufgebot der Sicherheitskräfte bereits im Ansatz gewaltsam unterdrückt. Gleichzeitig werden diejenigen, die verdächtigt werden, die Proteste zu organisieren, häufig im Vorfeld von erwarteten Aktionen festgenommen. So erging es dem Studentenaktivisten Payam Jahangiry, der zwei Tage vor den landesweiten Studentenprotesten Anfang Dezember in seiner Wohnung in Shiraz festgenommen wurde. Sechs Wochen war er ohne Kontakt zu einem Rechtsanwalt in Haft. Für seine Freilassung musste seine Familie eine hohe Kaution in Form von Besitzurkunden von zwei Wohnungen der Justiz übergeben. Solche Kautionen, die bei einigen Oppositionellen bis zu mehreren 100.000 Euro betragen, sind ein subtiles Mittel der iranischen Behörden, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. Denn bei erneuter öffentlicher Kritik oder Festnahme droht der Verlust der Wohnung der Familienangehörigen. Weniger subtil gehen die iranischen Sicherheitsdienste gegen Menschenrechtsverteidiger vor. Mehrere Dutzend Aktivisten wurden in den vergangenen Wochen und Monaten festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt völlig isoliert inhaftiert und schweren Verhören unterzogen. Besonders betroffen sind Mitglieder der Menschenrechtsorganisation »Committee of Human Rights Reporters«. Mehrere wurden seit Ende 2009 festgenommen, darunter auch die Journalistin und Mitgründerin des Komitees Shiva Nazar Ahari. Sie befindet sich seit vier Monaten ohne Anklageerhebung und ohne Zugang zu einem Rechtsanwalt in Einzelhaft. Im Februar berichtete Shiva Nazar Ahari ihrer Familie telefonisch, dass sie in eine käfigartige winzige Zelle verlegt wurde, in der sie ihre Beine und Arme nicht bewegen kann. Sie wird in den Verhören massiv unter Druck gesetzt, die Vorwürfe gegen sie zu »gestehen«. Nachdem die öffentlichen Schauprozesse vom August 2009, in denen die Angeklagten nach monatelanger Isolationshaft vor laufenden Kameras vorgeführt wurden, lautstarke internationale Kritik hervorgerufen hatten, fanden die jüngsten Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der ohnehin schon eingeschränkte Zugang zu den Prozessen wurde im März durch die Einrichtung eines Sondergerichts auf dem Gelände des EvinGefängnisses erheblich verschlechtert: Anwälte berichten, dass sie und die Familien der inhaftierten Angeklagten keinen Zugang zu den Richtern dieses Sondergerichts erhalten. Die iranischen Behörden wenden große Mühe auf, um die massiven Verletzungen der Menschenrechte hinter dicken Gefängnismauern zu verstecken. Darum ist es umso wichtiger, dass Menschenrechtsorganisationen, die Öffentlichkeit und die internationale Gemeinschaft einen langen Atem beweisen und die Verantwortlichen im Iran an den Pranger stellen. Und dies nicht nur zu den symbolträchtigen Anlässen wie dem ersten Jahrestag der Präsidentschaftswahlen am 12. Juni. Die Autorin ist Referentin für den Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika der deutschen Amnesty-Sektion
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die menschenrechte. ich schĂźtZe sie – sie schĂźtZen mich Der Amnesty International Report 2010 liefert Daten und Fakten zum aktuellen Stand der Menschenrechtssituation in 159 Ländern der Welt. Er ist ein Appell an die WeltĂśffent lichkeit, nicht die Augen zu verschlieĂ&#x;en, sondern Menschen rechtsverletzungen aktiv entgegenzutreten.
edition menschenrechte Verschwunden: In geheimer Haft – Urs M. Fiechtner Broschur, 160 Seiten Art.-Nr. 09308 | 12,90 Euro
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Die unerhÜrte Wahrheit – Armut und Menschenrechte.
Folter: Angriff auf die Menschenwßrde – Urs M. Fiechtner
Irene Khan, Amnesty-Generalsekretärin des Internationalen Sekretariats in London bis Dezember 2009, analysiert in ihrem Buch den Zusammenhang zwischen Armut und Menschen rechts verletzungen. Mit einem Vorwort von Kofi Annan.
Broschur, 144 Seiten Art.-Nr. 09008 | 12,90 Euro Todesstrafe: Auge um Auge – Kazem Hashemi
Broschur, 320 Seiten | S.Fischer Verlage/Amnesty 2010 | Art.-Nr. 08010 | 22,95 Euro
Broschur, 128 Seiten Art.-Nr. 09108 | 12,90 Euro Kinder: Ausgegrenzt und ausgebeutet – Reiner Engelmann
Frauen, Gewalt und Armut. Vom Nachteil, eine Frau zu sein.
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Nach Schätzungen der UNO sind mehr als 70% der Menschen in Armut weiblich. Wie kommt es dazu? Die Broschßre gibt Antworten und Beispiele aus mehreren Ländern. Broschßre, DIN A4, 20 Seiten, 1 Stßck Art.-Nr. 21510 | 3,00 Euro
Wer? Wie? Was? Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte fßr Kinder Broschßre, 48 Seiten, 14 x 14 cm, Illustration: Yayo Kawamura
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Amnesty macht Schule Unterrichtsvorschläge zu den Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte fßr die Klassen 5–13 und fßr verschiedene Unterrichtsfächer. Broschßre, DIN A4, 146 Seiten | Art.-Nr. 51008 | 6,00 Euro
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Datum, Unterschrift
E-Mail (fĂźr RĂźckfragen)
Foto: Sven Torfinn / laif
Entscheidung vertagt. Viele Südsudanesen, wie hier in Juba, hoffen, dass ihnen das Referendum im Januar 2011 dauerhaften Frieden bringt.
Angeklagter lässt sich wählen Nach der Wiederwahl des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir zeichnet sich keine Lösung im Darfurkonflikt ab. Die Flüchtlinge in der Region sind weiter auf internationalen Schutz angewiesen. Von Nadine Völker Im Sudan sind schon kleine Fortschritte eine Meldung wert: Die Wahlen Mitte April liefen ohne größere Zwischenfälle ab. Geändert hat sich dadurch in dem flächenmäßig größten Land Afrikas wenig. Der Amtsinhaber Omar al-Bashir wurde mit 68 Prozent der Stimmen als Präsident bestätigt. Gegen ihn hatte 2009 der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl wegen der Massenmorde und Vertreibungen in Darfur erlassen. Niemand hatte an seinem Sieg gezweifelt, schon weil die meisten Oppositionsparteien ihre Kandidaten für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zurückgezogen hatten. Sie befürchteten Wahlbetrug. Doch auch wenn die Wahlen in Teilen manipuliert waren, so verfügt Bashir doch über eine erhebliche Anhängerschaft. Den Haftbefehl aus Den Haag wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verkaufte er sogar erfolgreich als Kampagne des Westens gegen den Sudan. Außerdem nutzte Bashir den Haftbefehl als Vorwand, um drei sudanesische Menschenrechtsorganisationen zu schließen und 13 internationale Organisationen aus dem Land zu werfen. Amnesty International wird ohnehin seit Jahren die Einreise verweigert. Es deutet nichts darauf hin, dass eine neue Regierung unter Bashir mehr Respekt vor den Menschenrechten ihrer Bürger zeigen und eine unabhängige Kontrolle zulassen wird. Entscheidend wird für die Zukunft des Sudan sein, wie sich der Friedensprozess zwischen Bashir und der Regierung im teilautonomen Süden weiterentwickelt. Am 9. Januar 2005 hatten die sudanesische Regierung und die südsudanesische Rebellenbewegung SPLM/SPLA einen Friedensvertrag geschlossen. Das
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Abkommen beendete einen Bürgerkrieg, der etwa zwei Millionen Tote gefordert hatte. Ein wichtiger Eckpunkt des Abkommens ist die politische Autonomie für den Südsudan während einer sechsjährigen Übergangsperiode. Festgeschrieben wurden auch ein Referendum im Januar 2011, in dem die Menschen im Süden über ihre Unabhängigkeit entscheiden können. Nach seiner Wiederwahl erklärte Bashir, er stehe zum Friedensvertrag und werde das Ergebnis des Referendums akzeptieren. Doch die Verteilung der Erdöleinnahmen birgt ein Konfliktpotential, das die Angst vor einem neuen Krieg nährt. Die Fördergebiete liegen fast alle im Süden, während bisher die Regierung in Khartoum die Einnahmen kontrolliert. Auch die Pipeline, durch die das Öl exportiert wird, führt durch den Norden. Noch labiler ist die Situation in Darfur, der Provinz im Westen des Landes, wo 2003 der Konflikt zwischen Oppositionsgruppen und der Zentralregierung eskalierte. Damals gingen Reitermilizen unterstützt durch Regierungstruppen gegen die dort ansässigen Bauernfamilien vor. Hunderttausende Menschen wurden bei Bombenangriffen und Überfällen getötet, ganze Dörfer niedergebrannt, Menschen vertrieben, Familien auseinandergerissen, tausende Frauen vergewaltigt. Immer noch leben zwei Millionen Menschen in Flüchtlingslagern in Darfur, 260.000 weitere im angrenzenden Tschad, notdürftig beschützt von UNO–Truppen. Im Sudan sind diese schlecht ausgerüstet, im Tschad will der Präsident die internationalen Truppen loswerden (siehe Seite 59). Doch die Flüchtlinge sind weiter auf internationalen Schutz angewiesen. Denn anders als im Konflikt zwischen Nord- und Südsudan, wo eine halbwegs friedliche Koexistenz möglich scheint, fehlt ein Konzept zur Lösung des Konflikts in Darfur völlig. Die Autorin arbeitet in der Sudan-Gruppe der deutschen Amnesty-Sektion.
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Schutz für Flüchtlinge ist nicht willkommen Ehemänner oder sogar durch humanitäre Helfer, wie im Fall der 22-jährigen Mariam. Sie kam vor mehr als sechs Jahren als Flüchtling in das Lager Gaga. Vor vier Jahren begann sie, für eine internationale Hilfsorganisation zu arbeiten. Als ihr Ehemann nicht zu Hause war, nutzte ein tschadischer Kollege diese Situation aus. Mariam wurde in ihrem eigenen Haus vergewaltigt – mitten am Tag. Die Erinnerung daran lässt sie nicht los: »Ich mache meine Arbeit weiter. Aber meine Gedanken sind nicht hier, sie kommen nicht zur Ruhe.« Mariam hat die Tat angezeigt, aber auch vier Monate später konnte ihr niemand sagen, ob die Polizei irgendetwas unternommen hat, um den Täter zu fassen. Es fehlt an rechtlichen Grundlagen, an Justizpersonal sowie an politischem Willen, um solche Fälle aufzuklären. Vor diesem Hintergrund stellt der Abzug der MINURCATTruppen ein zusätzliches Risiko dar. »Hunderttausende von Flüchtlingen würden den Angriffen bewaffneter oppositioneller Gruppen, krimineller Banden oder von Teilen der tschadischen Armee ausgesetzt sein, wenn die MINURCAT abzieht«, befürchtet der stellvertretende Leiter des Afrika-Programms von Amnesty International, Tawanda Hondora. Der tschadische Präsident Deby will aber lieber eigene Truppen entlang der Grenze zum Sudan einsetzen. Hondora glaubt allerdings nicht, dass sich dadurch die Lage der Flüchtlinge verbessert: »Die tschadische Regierung hat die Pflicht, ihre eigene Bevölkerung und Personen, die auf ihrem Territorium leben, zu schützen. In der Vergangenheit hat sie sich jedoch vor allem im Osten des Tschad unfähig und unwillig gezeigt, dieser Pflicht nachzukommen.«
Auch Monate danach fiel es Aisha schwer, darüber zu sprechen. Die 26-Jährige war mit ihrem Sohn auf dem Weg zurück in das Flüchtlingslager Bredjing, als sie im September 2008 von zwei bewaffneten Männern angegriffen wurde. Als sie versuchte, sich zu wehren, schlug einer der Männer mit seiner Waffe auf sie ein und vergewaltigte sie. Erst Stunden später wurde sie von anderen Bewohnern des Lagers gefunden. Rund 260.000 sudanesische Flüchtlinge und 180.000 tschadische Flüchtlinge leben in zwölf Lagern entlang der Grenze zum Sudan. Sie sind in den vergangenen sechs Jahren vor den Kämpfen und Massakern in der sudanesischen Region Darfur geflohen. Doch sicher sind die Flüchtlinge auch im Tschad nicht. Vor allem Frauen müssen ständig fürchten, Opfer von Vergewaltigungen oder anderer sexueller Gewalt zu werden. Eine Einheit der tschadischen Polizei, die DIS (Détachement Intégré de Sécurité), soll für die Sicherheit in den Lagern sorgen. Sie wird von den Soldaten und Polizisten der MINURCAT (Mission in der Zentralafrikanischen Republik und im Tschad) unterstützt und ausgebildet. Seit 2008 ist die internationale Truppe im Einsatz. Das Mandat wurde auf Drängen des UNO-Sicherheitsrats und Organisationen wie Amnesty International schon einmal verlängert. Ab Mitte Mai sollen nun die Truppen nach Die Autorinnen sind Mitglieder der Tschad-Ländergruppe der deutschen dem Willen des tschadischen Präsidenten Idriss Deby abziehen. Amnesty-Sektion. Doch die Einheiten der DIS allein werden die Flüchtlinge nicht schützen können. »Der Einsatz der MINURCAT ist absolut notwendig«, sagt Susannah Sirkin, von der Organisation »Physicians for Human Rights« (Ärzte für die Menschenrechte). »Ein Justizsystem existiert kaum und die Polizeieinheiten sind schwach. Zudem fehlen weibliche Sicherheitskräfte, die mit der allgegenwärtigen Gewalt gegen Frauen umzugehen wissen.« In einigen Fällen sind es tschadische Polizisten selbst, die Gewalttaten an Flüchtlingen begehen. Vor allem aber fürchten die Einheiten um ihre eigene Sicherheit, wenn sie Flüchtlinge außerhalb der Lager begleiten sollen. So berichteten Frauen im Flüchtlingslager Gaga im Mai 2009 gegenüber Amnesty International, dass sie den Schutz der DIS gar nicht mehr ersuchen. Ihre Bitten würden sowieso abgelehnt. Die Übergriffe werden vor allem durch organisierte Banden und teilweise durch Mitglieder der tschadischen Armee begangen, zum Beispiel, wenn Frauen das Lager verlassen, um Feuerholz oder Wasser zu holen. Doch auch innerhalb der Lager kommt es zu Gewalt, zum Beispiel durch Gemeinsamer Einsatz. Polizisten der DIS und ihre UNO-Kollegen in einem Flüchtlingslager.
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Foto: Olivia Grey Pritchard / UN
Frauen und Mädchen in den Flüchtlingslagern im Osten des Tschad sind ständig von sexuellen Übergriffen bedroht. Mit der UNO-Mission MINURCAT begann sich die Situation zu bessern. Doch der Tschad will die internationale Truppe loswerden. Von Sonja Altrock-N’cho und Lena Guesnet
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Kultur
Befreite Kunst Kunst befreit. Besucher des Pilorama-Festivals in Perm, Russland. Foto: Menschenrechtsbeauftragte der Region Perm
62 Festival im Gulag: Pilorama 66 Porträt: Die Autorin und Schauspielerin Rayhana 68 Usbekische Künstlerin: Verurteilt 70 Foto: Das israelische Kollektiv ActiveStills 72 Bücher: Von »Die unerhörte Wahrheit« bis »Die Armenierfrage in der Türkei« 74 Film & Musik: Von »Lebanon« bis »Shouka« 61
Rock der Aufklärung. Juri Schewtschuk, einer der beliebtesten, aber im Fernsehen nur selten zu sehenden Musiker Russlands.
Kunst im Gulag Bürgerrechtler haben das einstige Lager Perm 36, in dem zu Sowjetzeiten Dissidenten und kritische Künstler inhaftiert waren, zum Museum umgebaut. Dort findet seit sechs Jahren jeden Sommer ein politisches Kunstfestival statt: das Pilorama. Von Maria Sannikova und Peter Franck
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uch das ist Russland heute: Die Flagge der Vereinten Nationen weht über dem Gulag-Lager »Perm 36« im Ural. Der ukrainische Dissident Walerij Martschenko hätte das für eine Fata Morgana gehalten, als er 1977 in dem Lager Säcke nähte. Er war 1973 vom Bezirksgericht in Kiew wegen »verleumderischer Schriften zur Untergrabung der staatlichen Autorität« und Kritik an der sowjetischen Politik gegenüber der Ukraine zu sechs Jahren Lagerhaft mit strengem Regime und zu zwei Jahren Verbannung verurteilt worden. Amnesty
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International setzte sich 1977 für Martschenko ein, indem er zum »Gefangenen des Monats« erklärt wurde: Daraufhin wandten sich Menschen von überall auf der Welt in Briefen an den Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breschnew, und forderten die Freilassung des Dissidenten. Auch der ukrainische Dichter Wassyl Stus, der Anfang der Achtzigerjahre Insasse dieses Lagers war, hätte das nicht zu träumen gewagt. Im Oktober 1980 war das Mitglied der ukrainischen Helsinki-Gruppe zu zehn Jahren Lagerhaft und fünf Jahren Verbannung verurteilt worden. Kurz nachdem ihn unter anderem Heinrich Böll für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen hatte, kam er 1985 in »Perm 36« auf bis heute ungeklärte Weise ums Leben. Unter den Vorzeichen von »Glasnost« und »Perestroika« änderten sich die Verhältnisse. 1987 – Michail Gorbatschow war längst Generalsekretär der KPdSU – wurde »Perm 36« aufgelöst. Kurze Zeit später wurden auch sämtliche Sicherheitseinrichtungen entfernt – nichts sollte mehr an das Lager erinnern. Anfang der Neunzigerjahre setzten sich Bürgerinnen und Bürger aus
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Vor der Bühne. Zum Pilorama 2009 kamen mehr als 10.000 Besucher.
der Region, vor allem aber die Bürger- und Menschenrechtsorganisation Memorial für eine Rekonstruktion des Lagers und die Einrichtung eines Museums ein. »Ohne ein Verstehen der Vergangenheit gibt es keine Zukunft«, sagt Viktor Schmyrow, Direktor des Gulag-Museums. »Vor allem die jungen Leute müssen verstehen, was Totalitarismus bedeutet, um zukünftigen Versuchungen widerstehen zu können.« Gegen das Verdrängen und Vergessen anzuarbeiten ist die Motivation der Menschen, die 1993 mit der Rekonstruktion des Lagers begannen, das in der Nähe des Dorfes Kutschino in der Region Perm liegt, etwa hundert Kilometer entfernt von der gleichnamigen Hauptstadt. Sie haben auf dem Lagergelände und in den angrenzenden Wäldern Gebäudeteile, Gefängnistüren und Sicherheitsanlagen gefunden und zusammengetragen. Was fehlte, wurde nach Angaben früherer Gefangener und des Bewachungspersonals ergänzt. Im Sommer finden regelmäßig internationale Jugendcamps statt. Dann arbeiten Jugendliche – aus Deutschland unter anderem entsandt von der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste – mit großem Engagement am Aufbau des Museums. »Ohne das Engagement dieser jungen Menschen und ohne die finanzielle Unterstützung durch ausländische Stiftungen aber auch durch die Permer Gebietsadministration wäre das alles nicht zu schaffen gewesen«, sagt Schmyrow. 1995 war soviel wiederhergestellt, dass ein Teil des Lagergeländes offiziell als Museum eröffnet werden konnte. Seitdem werden Jahr für Jahr weitere Teile des Lagers rekonstruiert. »Perm 36« ist damit der einzige Ort in der
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PILORAMA
Fotos: Menschenrechtsbeauftragte der Region Perm
Russischen Föderation, der heute noch einen – zumindest ungefähren – Eindruck davon vermittelt, was der Archipel Gulag bedeutete. »Natürlich wollen wir Menschen über staatlichen Terror aufklären«, sagt Robert Latypow, Ko-Vorsitzender der Jugendorganisation von Memorial in Perm. »Die Menschen sollen aber vor allem aktiv und bewusst daran mitwirken, sich die Erinnerung zu erarbeiten und sie dann zu festigen. Nur so können die Auswirkungen der Geschichte auf die heutige Gegenwart erkannt und – soweit das notwendig ist – auch überwunden werden.« Das Gulag-Museum »Perm 36« sollte aber von Anfang an nicht nur ein Ort des Erinnerns sein. »Uns kommt es darauf an, dass sich dort Menschen aus verschiedenen Generationen und Ländern begegnen, sich über Fragen der Geschichte austauschen und sich vor diesem Hintergrund der gemeinsamen Verantwortung für Gegenwart und Zukunft bewusst werden«, sagt Tatjana Kursina, die Geschäftsführerin des Museums. Und so kommt es, dass inzwischen die UNO-Flagge über dem früheren Lager weht. Seit 2005 findet jeweils an einem Wochenende im Sommer auf dem Gelände von »Perm 36« das internationale Forum Pilorama, zu Deutsch Sägewerk, statt. Der Name des Forums weist auf das Sägewerk hin, das sich im Lager befand und in dem die Häftlinge arbeiten mussten. Während anfangs neben ehemaligen Insassen des Lagers vor allem diejenigen kamen, die sich für den Wiederaufbau eingesetzt hatten, wurde das Festival mit seinen Diskussionsrunden, Kunstausstellungen, Konzerten, Film- und Theateraufführungen in den
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Zwanglos. Alexander Kalich, Vorsitzender von Memorial in Perm, und Arsenij Roginski, Vorsitzender von Memorial International, im Gespräch (rechts).
Folgejahren zu einer festen Institution in der Region. 2009 fand es – erstmals auch von der deutschen Amnesty-Sektion unterstützt – zum fünften Mal statt und zog mehr als 10.000 Menschen an. Den Besuchern, von denen viele in einem Zeltlager am nahe gelegenen Fluss Tschussowaja übernachteten, bot sich ein breites Spektrum an Veranstaltungen. Die beiden Hauptthemen lauteten »Krieg und Frieden« sowie »Mensch und Gefängnis«. So diskutierten unter anderem der frühere Insasse des Lagers Sergej Kowaljow, der frühere polnische Dissident und heutige Publizist Adam Michnik, sowie Dirk Hebecker, aufgewachsen in der DDR und jetzt im Büro der Hochkommissarin der Vereinten Nationen in Moskau tätig, über die Zeit nach dem Mauerfall. Das Forum bot engagierte Diskussionen über den Sinn von
Haftstrafen und die dabei einzuhaltenden Standards, über Europa und über die Permer Region: Welche Chancen liegen in einem Austausch mit dem Westen, welche Gefahr ist mit einer möglichen Abwanderung von Jugendlichen verbunden? Aber es war auch Raum für Ungeplantes: In einer spontan organisierten Diskussionsrunde diskutierten Menschenrechtler aus Abchasien die Lage nach dem Krieg zwischen Georgien und Russland. In einer Baracke des Lagers drängten sich die Menschen, um Kurzfilme zu sehen, die das Goethe-Institut dort unter dem Titel »Frei und gleich geboren« zeigte. In einem Pavillon las Natalja Gorbanewskaja aus ihrem neuesten Gedichtband. Sie gehörte zu jenen Dissidenten, die am 25. August 1968 auf dem Roten Platz Flugblätter gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die damalige CSSR verteilten.
Kunst statt Knast. Graffito im einstigen Gulag »Perm 36«.
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Als Publikumsmagnet erwiesen sich aber die Konzerte. Neben einem der berühmtesten russischen Liedermacher und Dramatiker, dem früheren Dissidenten Juli Kim, der zu Zeiten der Sowjetunion nur im Untergrund auftreten konnte, schlug Juri Schewtschuk alle in seinen Bann. Schewtschuk, einer der bekanntesten Rock-Musiker des Landes, kommt in russischen Rundfunk- und Fernsehanstalten heute praktisch nicht mehr vor. Er ist sowohl vor tschetschenischen Rebellen als auch vor in Tschetschenien stationierten russischen Soldaten aufgetreten und hat auf dem Schlossplatz in St. Petersburg im Mai 1993 mit seiner Rock-Band DDT vor 120.000 Menschen gespielt. Seit Sowjetzeiten ist er sicher die Stimme derer, die sich glaubwürdig gegen jeglichen Missbrauch von Macht einsetzen, unter welchen Vorzeichen sie auch immer ausgeübt wird. Nach dem Konzert beim Forum Pilorama trat er in einer Haftanstalt vor Gefangenen auf, die lebenslängliche Freiheitsstrafen verbüßen. Im Sommer 2010 startet das Pilorama nun zum sechsten Mal. Unter dem Thema »Die Welt der Unfreiheit und die Kultur« soll es um Kultur unter den Bedingungen der Diktatur und die Verantwortung von Kulturschaffenden gehen. Das zweite Hauptthema ist die »Tragödie des russischen Dorfes«. 80 Jahre nach dem Beginn der Zwangskollektivierung wird der Frage nachgegangen, wie es um das russische Dorf heute steht, welche Faktoren für den Niedergang verantwortlich sind und ob es Handlungsoptionen für eine Zukunft dieses Lebensraums gibt. Aber auch andere Themen sind vorgesehen. So wird der Film »Der Sturm«, der den Amnesty-Filmpreis der Berlinale 2009 erhalten hat, in einer russisch untertitelten Fassung beim Festival laufen und sicher für viele Diskussionen sorgen. Die Pläne der beiden Hauptorganisatoren Tatjana Kursina und Viktor Schmyrow gehen jedoch über 2010 hinaus: »Wir wollen hier eine internationale Werkstatt aufbauen. Darin sollen vor dem Hintergrund der Geschichte dieses Ortes unterschiedliche Erfahrungen eingebracht werden, um Ideen zu entwickeln, wie man Totalitarismus verhindern und die Demokratie stärken kann.« Ihre Bemühungen, diesen Schatz unterschiedlicher Erfahrungen zu heben und für die Zukunft nutzbar zu machen, verdienen jede Unterstützung!
perm 36 1936: Einrichtung eines Besserungslagers 1946: Beginn des Lagerbetriebs als »Arbeitsbesserungsanstalt« Nr. 6 (ITK-6). Teil des Gulag-Systems. bis 1953: Technisierung des Lagers, Ausstattung mit Sägewerk und Schmiede. Im Lager verbüßen sowohl wegen »normaler« Straftaten Verurteilte als auch politische Gefangene ihre Strafen. ab 1954: Nach dem Tod Stalins 1953 gibt es keine politischen Gefangenen mehr im Lager. Ausbau der Sicherheitsstandards. Anfang der Siebzigerjahre: Im Zuge des harten Vorgehens gegen Dissidenten kommen wieder politische Gefangene in das Lager, das 1972 die interne Bezeichnung VS-389/36 erhält (daher später: Perm 36). Ab 1980: Einziges Lager in der Sowjetunion, in dessen »besonderes Regime« (besonders harte Haftbedingungen) ausschließlich politische Häftlinge aufgenommen werden. Bis zur Schließung des Lagers sind dort 56 Häftlinge, von denen nach offiziellen Angaben mindestens sieben in der Haft sterben. 1987: Schließung von Perm 36 1993: Beginn der Arbeiten für ein Gulag-Museum und der jährlichen Sommercamps für Jugendliche 1995: Eröffnung eines Teils des Lagers als Museum 2005: Erstes internationales Forum Pilorama auf dem Gelände des Museums
Maria Sannikova war von 1998 bis 2001 Projektkoordinatorin im Zentrum zur Förderung von Nicht-Staatlichen Organisationen in Perm, heute ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag. Peter Franck ist Sprecher der Ländergruppe Russland der deutschen Sektion von Amnesty International.
Permer Eindrücke. Die Dissidenten Sergej Kowaljow und Adam Michnik vor einem Foto der ermordeten Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa.
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Die Raucherin
Foto: Olivier Aubert
Weil sie als Feministin in Algerien in Todesgefahr schwebte, war die Schauspielerin, Choreographin und Theaterautorin Rayhana nach Frankreich gefl체chtet. Auf ihre Meinungsfreiheit will sie nicht verzichten, auch nicht nach einem gegen sie gerichteten Brandanschlag in Paris. Von Rudolf Balmer
L채sst sich nicht einsch체chtern. Rayhana, die sich selbst als Atheistin aus dem muslimischen Kulturkreis bezeichnet.
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ayhana ist ein rothaariges Energiebündel voller Witz und Ideen. Doch wenn sie erzählt, was ihr Anfang des Jahres in Paris passierte, wird sie ernst. Ihre Stimme bebt vor Wut, als sei es erst gestern geschehen: Zwei ihr unbekannte Männer stürzten sich am 12. Januar auf sie und übergossen sie mit Benzin. Dann warf einer der beiden eine glühende Zigarette auf sie. Zum Glück fing sie nicht Feuer, sonst wäre Rayhana an jenem Tag wohl bei lebendigem Leib verbrannt, wie eine »Hexe« oder eine »Ketzerin« des Mittelalters. In genau solchen Kategorien scheinen die Angreifer zu denken, die Rayhana als »ungläubige Hure« beschimpften. Ihren barbarischen Überfall verübten sie mitten in Paris, gegenüber dem genossenschaftlichen »Haus der Metallarbeiter« im elften Stadtbezirk. Dort wurde seit Dezember Rayhanas Theaterstück »A mon age je me cache encore pour fumer« – auf Deutsch: »In meinem Alter verstecke ich mich noch, wenn ich rauche« – aufgeführt, das zum Teil autobiografisch ist. Der Zusammenhang zwischen Anschlag und Schauspiel ist unübersehbar. Einige Tage zuvor war Rayhana bereits von Unbekannten auf der Straße als Gotteslästerin beschimpft worden. Ihr Stück spielt in einem algerischen Hamam. In dem Bad diskutieren, tratschen, schimpfen oder klagen acht sehr verschiedene Frauen mit einer Ungezwungenheit, die ihnen nur dieser exklusiv weibliche Rahmen geben kann. Es geht um die Männer, um geliebte oder gehasste Gatten, Verlobte, Väter und Brüder, auch um Gewalt und um patriarchalische Traditionen und religiöse Fanatiker, die ihr frauenfeindliches Gesetz mit Gewalt durchsetzen wollen. Die Dialoge zwischen den archetypischen Figuren (die Hamam-Masseurin, eine Islamistin, eine Atheistin, eine Kupplerin, eine Studentin, eine heimgekehrte Emigrantin, eine Mutter auf der Suche nach einer Braut für ihren Sohn, eine unverheiratete Schwangere) sind oft sehr witzig, doch die vermeintliche Komödie endet tragisch: Der Bruder der jungen Unverheirateten, die ein Kind erwartet und damit angeblich die »Familienehre« verletzt, kommt, um seine Schwester zu erschießen, doch er trifft aus Versehen eine andere. Dieses Stück über den Ehrenmord ist das erste, das die 45jährige Algerierin auf Französisch geschrieben hat. Sie erklärt, dass in ihrem Land allein schon wegen einer Zigarette eine Frau, und erst recht ein unverheiratetes Mädchen, als »Nutte« betrachtet und verachtet wird. Sie selbst sei als Jugendliche deswegen zu Hause hart bestraft worden, sagt sie – und inhaliert schweigend, aber mit rebellisch funkelnden Augen demonstrativ den Tabakrauch in ihre Lungen. Rayhana trinkt zwischendurch einen Schluck Whisky. Ostentativ, als wolle sie ihren anonymen Widersachern den Fehdehandschuh vor die Füße werfen. Rayhana bezeichnet sich als »Atheistin aus dem muslimischen Kulturkreis«. Sie habe gerade darum den Koran studiert, um mit jenen zu diskutieren, die hinter ihrem frommen Gehabe letztlich nur pure Ignoranz verbergen würden oder indoktriniert worden seien. »Oft heißt es, ein guter Muslim tut dies oder das nicht. Und auf die Frage, wer denn das sage, kommt die Antwort, das stehe doch im Koran. Doch kaum jemand macht sich die Mühe, das auch nur zu überprüfen.« Über ihre eigene Kindheit mag sie nicht sprechen. Sie sagt nur, ihr einst so strenger Vater sei nach Paris gekommen, um sich das Theaterstück anzuschauen. Wie ihr in Deutschland lebender Bruder sei auch er jetzt stolz auf sie. Aus Angst vor Repressalien gegen ihre Angehörigen bleibt sie wortkarg. Man erfährt nur, dass sie aus einer Arbeiterfamilie stammt und vor ungefähr 45 Jahren im Quartier Bab-el-Oueb von Algier geboren
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rAyhAnA
wurde. Rayhana ist ein Pseudonym, in ihrem Land war sie als Schauspielerin bekannt und wurde mit mehreren Preisen für ihre Bühnenrollen ausgezeichnet, bevor sie dann auch als Dramaturgin und Autorin arbeitete – bis sie Mitte der Neunzigerjahre um ihr Leben fürchten musste. Zwei der prominentesten Persönlichkeiten der algerischen Theaterszene, Abdelkader Alloula und Azzedin Medjoubi, wurden damals von islamistischen Terroristen ermordet, der zweite buchstäblich vor ihren Augen. Später fiel auch der Regisseur Ali Tenkhi, mit dem sie für den Kinofilm »Le papillon ne volera plus« zusammengearbeitet hatte, einem Anschlag der »Bärtigen«, wie Rayhana die Extremisten der islamistischen »Heilsfront« nennt, zum Opfer. Damals habe sie jede Nacht in einer anderen Wohnung verbringen müssen. An ein Auftreten in der Öffentlichkeit war nicht zu denken. Nur dank der Poesie des Dichters Kateb Yacine habe sie es moralisch überlebt, von Leuten aus dem eigenen Volk angespuckt zu werden, und die Flucht nach Frankreich, das Exil, durchgestanden. Rayhana ließ sich weder davon noch von der Aggression in Paris einschüchtern. Noch nach Benzin riechend ging sie am Abend des Attentats wieder auf die Bühne, um ihre Rolle als eine der neun Frauen zu spielen. Den unbekannten Tätern ließ Rayhana in ihrer Pressekonferenz ausrichten, sie habe keine Angst vor ihnen. Sie hat Strafanzeige erstattet. Da die Polizei islamistische Fanatiker als Urheber verdächtigt, wurde die Antiterrorabteilung mit der Aufklärung beauftragt. Diese hat angeblich bisher noch keine heiße Spur, nur vage Mutmaßungen. Gegenüber des Tatorts befindet sich eine Moschee, die auch von Fundamentalisten besucht wird. Die französische Regierung hat sich mit dem Opfer solidarisiert. Rayhana lehnte aber Einladungen von Regierungsmitgliedern dankend ab. Ein Treffen unter Frauen mit der Familienministerin Nadine Morano hätte sie sich indes vorstellen können. Der feige Anschlag auf Rayhana ist über Frankreich hinaus bekannt geworden, weil das Opfer im Rampenlicht steht. Er verdeutlicht aber auch, dass der Hass auf den todesmutigen Kampf algerischer Frauen für ihre elementarsten Rechte das Mittelmeer überquert hat. Aus diesem Grund hat Rayhana auch wenig Sympathie für falsch verstandene Toleranz gegenüber religiös begründeten Praktiken und Provokationen auf Kosten der Emanzipation der Frau. Sie hält aber viel von einem pädagogischen und, wenn möglich, humorvollen Vorgehen. Als nächstes möchte sie in Frankreich ein Buch über die Weiblichkeit in der islamischen Welt publizieren. Denn ihrer Meinung nach haben nicht nur die Islamisten vieles falsch verstanden oder ganz einfach vergessen, weil es nicht in ihre reaktionäre Ideologie passt, auch in Europa seien eben viele Aspekte, nicht zuletzt die weibliche Erotik des Morgenlands, weitgehend unbekannt. Rayhana hat nicht die geringste Lust, zur Märtyrerin zu werden. Sie hat aber zu viele Opfer gebracht und zu viel Unrecht erlebt, um aufzugeben. Darum will sie ihren kulturellen und politischen Kampf für die Freiheit und die Rechte der Frauen in Algerien und in Frankreich weiterführen. Die Frage, ob sie in Paris jetzt unter Polizeischutz lebe, verneint sie. Aber sie müsse aufpassen, sagt sie. Aus Angst, von Islamisten erkannt zu werden, nehme sie nur das Taxi und nie die Metro. Nach dem Anschlag tauchte sie bei einem Freund in einer unauffälligen Reihenhauswohnung unter. Aufgrund ihrer Vorsichtsmaßnahmen könnte man fast meinen, sie werde von der Polizei gesucht und nicht von ihren Angreifern. Der Autor lebt als freier Korrespondent in Paris.
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Harmlos, aber gefährlich Menschenrechtsaktivisten und unabhängige Journalisten müssen in Usbekistan schon seit langem vorsichtig sein. Sie werden bedroht, geschlagen, verhaftet und inhaftiert. Viele mussten das Land verlassen. Nun richtete sich die Repression erstmals gegen eine Künstlerin. Von Imke Dierßen
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ie Fotografien zeigen Menschen vor beeindruckenden Landschaften oder in ihrem Alltag: Kinder spielen auf der Straße, Männer und Frauen in traditioneller Kleidung beten, feiern oder unterhalten sich, Menschen mähen Getreide oder fegen die Straße, Ware liegt zum Verkauf aus. Es ist zumeist das einfache Landleben, das gezeigt wird. Manch einem mögen diese Bilder zu folkloristisch sein, bei anderen wecken sie vielleicht ein Interesse an Usbekistan. Die Obrigkeit jedoch betrachtet diese Fotos neuerdings als Politikum und hat die Künstlerin vor Gericht gestellt. Die Fotografin und Filmemacherin Umida Ahmedova veröffentlichte die Bilder bereits 2007 in dem Band »Männer und Frauen: von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang«. Für ihre Arbeiten erhielt sie internationale Anerkennung. Ihr Fotoband wurde damals aber auch in Usbekistan offiziell präsentiert und von den Medien positiv aufgenommen. Im Januar 2010 wurde sie jedoch wegen Beleidigung und Verunglimpfung des usbekischen Volkes angeklagt. Die Anklage bezieht sich nicht nur auf den Fotoband, sondern auch auf den Dokumentarfilm »Die Last der Jungfräulichkeit«. Darin setzt sich Umida Ahmedova kritisch mit der Tradition auseinander, wonach Frauen in ihrer Hochzeitsnacht ihre Jungfräulichkeit unter Beweis stellen müssen und damit, welche Benachteiligungen sie erleiden, wenn sie dies nicht können. Die Dokumentation wurde schon 2008 produziert, der breiten Öffentlichkeit jedoch bisher nicht gezeigt. Auf Veranlassung der staatlichen Presse- und Informationsagentur wurden gegen Umida Ahmedova im Dezember 2009 strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet und eine sogenannte Expertengruppe eingesetzt. Die »Experten« kamen zu dem Schluss, dass Fotoband und Film das Ansehen Usbekistans beschädigen, nationale Traditionen schlecht machen und geistige und moralische Werte untergraben würden. Der Fotoband zeige bewusst die »dunklen Seiten des Lebens in Usbekistan«. Die Arbeiten von Umida Ahmedova dürften nicht mehr öffentlich gezeigt werden, lautete die Empfehlung. Die Vorwürfe von staatlicher Seite kamen für Umida Ahmedova überraschend. »Auf meinen Fotos und in meinen Filmen zeige ich ganz normale Menschen. Manche leben so, andere anders. Das ist die Realität. Daran ist doch nichts Negatives, das
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beleidigt doch das Land nicht«, sagte die Künstlerin in einem Interview mit der ARD. »Und jetzt soll ich ins Gefängnis gehen, nur weil einige Leute – aus welchen Gründen auch immer – denken, meine Bilder zeigten ein negatives Bild von Usbekistan. Das ist völlig absurd.« Umida Ahmedova muss zwar nicht ins Gefängnis, sie ist nun aber vorbestraft. Im Februar wurde sie von einem Gericht in Taschkent schuldig gesprochen, gleichzeitig jedoch vom Vorsitzenden Richter begnadigt. Das überrascht ein wenig. Das staatliche Fernsehen hatte vor der Verhandlung eine Diskussionsrunde ausgestrahlt, in der insbesondere der Film heftig kritisiert und für die 54-Jährige die Höchststrafe von drei Jahren gefordert wurde. Andererseits hat der Fall international viel Empörung hervorgerufen. Dies mag eine Erklärung dafür sein, dass Umida Ahmedova auf freiem Fuß blieb. Während die Bilder von Umida Ahmedova das Alltagsleben einfacher Leute zeigen, möchte sich Usbekistan als modernes, prosperierendes Land darstellen. Die usbekische Botschaft in Berlin wirbt mit hohen Wachstumsraten und einer gut ausgebauten Verkehrsinfrastruktur. Tatsächlich verfügt das Land über erhebliche Uran- und Goldvorkommen, Erdöl und Erdgas. Auch die Baumwollproduktion ist von Bedeutung. Allerdings profitiert nur eine kleine Elite von den wirtschaftlichen Ressourcen des Landes, auch die Familie des Präsidenten Islam Karimow ist darunter. Die große Mehrheit der Bevölkerung lebt in Armut. Insbesondere im ländlich geprägten Ferghana-Tal birgt diese Situation ein Unruhepotential. Der usbekischen Regierung ist nicht daran gelegen, den Blick darauf zu lenken. Umida Ahmedova ist bei Weitem nicht die Einzige, die in Usbekistan wegen ihrer Meinung mit dem Staat Probleme bekommen hat. Es ist aber das erste Mal, dass sich eine Künstlerin wegen ihrer Kunst vor Gericht verantworten musste. Menschenrechtsaktivisten und unabhängige Journalisten müssen in Usbekistan schon seit langem vorsichtig sein. Sie werden wegen ihrer Haltung bedroht, geschlagen, verhaftet und inhaftiert oder sie mussten das Land verlassen. Seit der blutigen Niederschlagung von Protesten in der Stadt Andischan im Ferghana-Tal im Jahr 2005 hat sich die Menschenrechtslage verschlechtert. Damals eröffneten Sicherheitskräfte das Feuer auf mehrheitlich friedliche Demonstranten. Mehrere Hundert Menschen starben. Anlass des Protests war ein Verfahren gegen 23 angesehene Unternehmer der Region. Die meisten Redner bei der Demonstration kritisierten das wirtschaftliche Elend und zu hohe Steuern. Die Ereignisse in Andischan sind bis heute nicht von unabhängiger Seite aufgeklärt worden. Diejenigen, die sich darum bemühen, sind gefährdet. Menschenrechtsverteidiger und Journalisten wurden festgenommen und in unfairen Gerichtsverfahren zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Erst durch internationalen Druck kamen manche unter Auflagen frei. Insge-
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Fotos: Umida Ahmedova
Tatbestand Foto. Wegen dieser Bilder wurde die Künstlerin Umida Ahmedova zu sechs Monaten Haft verurteilt – und begnadigt.
samt blieb der internationale Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen in Usbekistan jedoch halbherzig und die usbekische Regierung lässt sich nicht beirren. Mindestens zehn Menschenrechtsverteidiger sitzen weiterhin unter menschenunwürdigen Bedingungen im Gefängnis. Der Kontakt zu ihren Angehörigen und Anwälten ist ihnen nur eingeschränkt erlaubt. Auch sollen sie gefoltert und misshandelt worden sein. Im vergangenen Jahr verurteilten usbekische Gerichte mindestens drei Menschenrechtsverteidiger zu langen Gefängnisstrafen, um sie vor allem für ihre Aktivitäten zur Verteidigung der Rechte von Bauern zu bestrafen. Auch die beiden Menschenrechtler Azam Farmonov und Alisher Karamatov sind immer noch in Haft. Im Juni 2006 wurden sie zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatten sich für die Rechte von Bauern stark
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umidA AhmedovA
gemacht, die sich über Amtsmissbrauch, Erpressung und Korruption der Behörden beklagt hatten. Beide sind gefoltert worden. Alisher Karamatov hat im Gefängnis fast die Hälfte seines Körpergewichts verloren und ist an Tuberkulose erkrankt. Aktivisten, die sich für die Rechte der Bevölkerung einsetzen und Unrecht anklagen, leben schon seit Jahren nicht mehr sicher. Neuerdings werden nun auch Künstler, die sich selbst als unpolitisch wahrnehmen, von den Machthabern verfolgt. Das Gerichtsverfahren gegen Umida Ahmedova ist vielleicht eine Warnung an andere Künstler. Sie selbst möchte weiter fotografieren und Filme drehen, muss dabei aber jetzt vorsichtig sein. Die Autorin ist Referentin für Europa und Zentralasien der deutschen Amnesty-Sektion.
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Die Auslöser Das internationale Fotografen-Kollektiv ActiveStills macht mit seiner Arbeit in Israel auf Menschenrechtsverletzungen im israelisch-palästinensischen Konflikt aufmerksam. Von Nina Schulz
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dyllisch wirkt die Momentaufnahme, fast friedlich. Weiße und pinkfarbene Blumen umsäumen den Plastikrasen einer Verkehrsinsel, aus deren Mitte ein alter Olivenbaum ragt. Im Hintergrund schmiegen sich sandfarbene, mehrstöckige Häuser an einen Hügel. Wären da nicht die grauen, meterhohen Betonstreben der Grenzmauer. Hinter der Mauer liegt das palästinensische Dorf Anata, im Westjordanland nahe Jerusalem. Vor der Mauer die israelische Siedlung Pisgat Ze’ev. »Das ist eines meiner Lieblingsbilder«, sagt Oren Ziv, Mitglied des Fotografenkollektivs ActiveStills aus Israel. »Es ist sehr symbolisch. Alle Aspekte des Konflikts spiegeln sich darin wider. Aber es ist statisch. Dort sind keine Soldaten zu sehen, die auf Menschen schießen«, kommentiert er. Ansonsten ist die Arbeit von ActiveStills alles andere als statisch. Ihr Name ist Programm. »Wir sind professionelle Fotografen und nutzen das Mittel der Fotografie als eine Form des Aktivismus. Mit unserer Fotografie versuchen wir, Dinge zu verändern. An objektive Fotografie glauben wir nicht«, erklärt Oren. Oren Ziv und Yotam Ronen sind gerade in ihre Wohnung in einem belebten Stadtteil Tel Avivs zurückgekehrt. Sie waren im Negev, um die Lebenssituation der Beduinen in deren nicht anerkannten Siedlungen fotografisch festzuhalten. Ob es um eine Demonstration gegen die Grenzmauer geht, ein Gerichtsverfahren gegen palästinensische Aktivisten, die Situation sudanesischer Flüchtlinge oder Paraden für Rechte von Lesben und Schwulen: ActiveStills sind vor Ort, mitten im Geschehen. »Wenn Grundrechte verletzt werden, versuchen wir darüber zu berichten. Das ist unsere Art, Rechtsverletzungen zu zeigen«, sagt Yotam Ronen. »So möchten wir Menschen zum Handeln auffordern, zur Unterstützung der Unterdrückten.«
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Vordergründige Idylle. Mauer zwischen dem palästinensischen Dorf Anata und der
Angefangen hat alles in dem kleinen Dorf Bil’in in der Westbank 2005. Jeden Freitag treffen sich dort Aktivisten aus aller Welt, um gegen den Grenzzaun zu demonstrieren. Der trennt dort mehr als 60 Prozent des Ackerlands, das überwiegend mit Olivenbäumen bepflanzt ist, von seinen Bewohnern. Bil’in wurde zum Symbol für den Protest gegen die Grenzanlagen. »Dort haben wir uns getroffen. Und dort entstand die Idee für ein unabhängiges Kollektiv für Dokumentarfotografie«, erläutert Yotam. Elf Fotografen und Fotografinnen zwischen 20 und 35 Jahren aus Israel, Argentinien und Frankreich, die in Tel Aviv, Bethlehem und Jerusalem leben, arbeiten heute im Kollektiv mit. Außerdem kooperieren ActiveStills mit einer palästinensischen Fotografin aus dem Gaza-Streifen. »Wir sehen uns als Teil der verschiedenen Kämpfe und versuchen sie mit Hilfe der Fotografie zu unterstützen.« So beschreibt Oren den Ansatz von ActiveStills. »Über viele Proteste wird in den etablierten Medien nicht berichtet«, sagt er. Für das Kollektiv bedeutet das zweierlei: »Auf der einen Seite dokumentieren wir die täglichen Demonstrationen, Aktionen oder Proteste. Und dann widmen wir uns anderen Themen. Vielleicht findet in dem Zusammenhang noch kein täglicher Protest statt, aber wir gehen dorthin und dokumentieren das Thema. Entweder weil wir denken, dass dort ein Protest starten sollte oder weil wir der Meinung sind, dass Menschen auf das, was dort passiert, aufmerksam gemacht werden sollten«, erklärt Oren. In der Auseinandersetzung um Aufmerksamkeit für bekannte und unbekannte Proteste und Probleme sind ActiveStills kreativ. Sie tragen die Demonstrationen von der Straße zurück in die Straße. Sie plakatieren: Ihre Bilder finden sich an Mauern, Hauswänden und Gebäuden im öffentlichen Raum. Auch für die Stra-
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Fotos: ActiveStills.org
israelischen Siedlung Pisgat Ze’ev.
Im Auge des Betrachters. Ein Passant vor ActiveStills-Fotos.
ßen-Ausstellungen war Bil’in der Auslöser. Zwar konnten ActiveStills ihre Arbeiten zu Bil’in in einer Galerie in Tel Aviv aushängen, »aber wer besucht eine Ausstellung noch nach der Eröffnung«, fragt Yotam. So werde nur ein bestimmtes Publikum erreicht. Außerdem seien solche Ausstellungen immer kostspielig. »Für das gleiche Geld können wir zahlreiche, gute Laserausdrucke in Farbe machen und sie öffentlich plakatieren. Ohne offizielle Genehmigung, versteht sich. Das machen wir nachts«, berichtet Yotam und grinst. Die Fotografinnen und Fotografen wollen direkt mit der Öffentlichkeit kommunizieren. »Menschen müssen es einfach sehen. Und dann reagieren sie. Einige reißen die Fotos ab, zerkratzen sie oder schreiben etwas darauf. Das sind für uns Kommentare zu unserer Arbeit. Die Fotos aus den militärisch besetzten Gebieten werden schnell abgerissen. Am längsten haben die Fotos zur Situation der sudanesischen Flüchtlinge in Israel gehangen«, sagt Yotam. Auch das Internet spielt eine wichtige Rolle in der Arbeit von ActiveStills. »Wir versuchen täglich im Internet zu veröffentlichen, bevor Prozesse zu Ende gehen. Viele machen Dokumentationen, die erst ein Jahr später veröffentlicht werden, wenn die Menschen bereits von ihrem Land vertrieben wurden oder der Zaun fertig gestellt ist«, so Oren. ActiveStills ist es wichtig, Vorgänge zu beeinflussen, während sie stattfinden. Obwohl sich ActiveStills auf alternative Verbreitungsformen konzentrieren und ihre Bilder auch NGOs zur Verfügung stellen, sehen sie auch die Macht der Mainstream-Medien. Schließlich arbeitet ein Teil des Kollektivs für die etablierte Presse. »In Israel sehen Aktivisten die Medien anders als in Europa. Hier wird die Presse zu Aktionen eingeladen. Für palästinensische Aktivisten ist es besonders wichtig, dass Kameras vor Ort sind. Manchmal
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Active stills
bedeutet das weniger Gewalt von Seiten der israelischen Armee«, sagt Oren. Und manchmal sind ActiveStills auch Verbindungsglied. »Wenn es um geheime Aktionen geht, werden wir angerufen«, sagt Yotam. »Aber viele Agenturen schätzen es nicht, dass wir Fotografie als ein politisches Mittel sehen und nicht nur als ökonomisches oder künstlerisches«, fügt er hinzu. An Demonstrationen teilzunehmen ist nicht immer ungefährlich. »Mitglieder unseres Kollektivs sind verhaftet und verletzt worden«, erläutert Yotam. Damit seien in der Westbank und den militärisch besetzten Gebieten alle Fotografen konfrontiert, besonders die palästinensischen. Auf dem Regal hinter ihm liegt eine Gasmaske. »Die brauchen wir tatsächlich. Wenn die Armee Tränengas versprüht, kannst du kaum noch atmen«, erzählt er und greift sich an den Hals, »geschweige denn fotografieren.« In den täglichen Herausforderungen haben ActiveStills eine Vision: »Uns ist es wichtig, eine Verbindung zwischen Palästinensern und Israelis herzustellen. Täglich. Nicht nur als Fotografen, sondern auch als Aktivisten. Vor einigen Jahren war es nicht üblich, dass Israelis sich mit Palästinensern zusammentun und von der palästinensischen Seite kommen, um gegen die Teilung zu protestieren. So hoffen wir, ein wenig die Abgrenzungspolitik bekämpfen zu können«, erklärt Oren. Mitte März sprach die israelische Regierung ein Demonstrationsverbot für Bil’in aus. ActiveStills sind trotzdem wieder vor Ort und drücken auf die Auslöser. www.activestills.org/; www.flickr.com/photos/activestills/ Die Autorin ist freie Journalistin und lebt in Hamburg.
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Foto: Enrique Castro-Mendivil
Risiko Schwangerschaft. Peru hat die höchste Müttersterblichkeitsrate in Lateinamerika – betroffen sind vor allem indigene Frauen.
Rechte statt Almosen Wer die Armut bekämpfen will, der muss die Rechte der Armen stärken. Diese These vertritt Irene Khan in ihrem Buch »Die unerhörte Wahrheit«. Von Ferdinand Muggenthaler
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rene Khan hat ein umfassendes Plädoyer für den Einsatz der Menschenrechte im Kampf gegen die Armut geschrieben. Die ehemalige internationale Generalsekretärin von Amnesty International hält sich dabei nicht mit abstrakten völkerrechtlichen Herleitungen auf. Sie beginnt mit einer Episode aus ihrer Kindheit in Bangladesch und gibt damit den persönlichen Ton des Buches vor. Irene Khan, aus einer wohlhabenden Familie stammend, spielte als Kind mit dem gleichaltrigen Fajal. Als Sohn des Hausmädchens ihrer Großmutter wird er von den Mitschülern gehänselt. Nach einem Jahr verlässt er die Schule und seine Mutter schickt ihn in eine Fabrik zum Arbeiten. Als er später gegen die Privatisierung seines Werks protestiert, wird er entlassen. Während Irene Khan im Ausland studiert, bleibt Fajal in einem Teufelskreis der Armut gefangen. Fajals Geschichte führt zur zentralen These von Irene Khan: Armen Menschen fehlt nicht einfach das Geld. Sie sind arm, weil sie ungerecht behandelt werden. Und weil sie arm sind, werden ihnen ihre Rechte verweigert. Diese Wechselbeziehung führt die Juristin an vielen Beispielen aus. Eines davon ist Peru. Zwar sank dort die Müttersterblichkeit in den vergangenen Jahren, dies ist jedoch nur auf eine bessere Versorgung wohlhabender Frauen zurückzuführen, während gleichzeitig immer mehr arme Frauen bei der Geburt oder als Folge der Geburt starben. Dies liegt nicht nur daran, dass arme Frauen häufig unterernährt sind, sondern auch an einem diskriminierenden Gesundheitssystem. So investierte Peru 2005 dop-
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pelt soviel Geld in das Gesundheitssystem wohlhabender Regionen wie in das armer Gegenden. 2000 starben in Perus ärmster Region, in der vor allem Indigene leben, 89 von 1.000 Säuglingen, während es in der reichsten Region, in Lima, nur 17 waren. Viele indigene Frauen bringen ihre Kinder lieber zu Hause zur Welt, zum einen wegen der schlechten Ausstattung der Krankenhäuser vor Ort, aber auch, weil sie sich dort diskriminiert fühlen und die Ärzte ihre Sprache nicht sprechen. Eine Geburtsurkunde für ein zu Hause geborenes Kind zu bekommen, kostet jedoch Geld, das die Familien nicht haben. Also wachsen die Kinder ohne Urkunde auf und haben so keinen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem. Das Recht, das den armen Frauen in Peru verweigert wird, ist das Recht auf Gesundheitsversorgung. Es gehört zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten. Irene Khan plädiert in ihrem Buch auch dafür, diese Rechte endlich als gleichberechtigt neben den bürgerlichen und politischen Menschenrechten wahrzunehmen. Sie begründet damit auch noch einmal, warum sich Amnesty International unter ihrer Leitung verstärkt für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte einsetzte. Dabei lässt sie nie das Missverständnis aufkommen, dass die politischen Freiheitsrechte für die Armutsbekämpfung unwichtig seien. Im Gegenteil: Khan weist überzeugend nach, dass Armutsbekämpfung nur dann funktioniert, wenn die Armen ihre Interessen selbst vertreten können. Und wie soll das in Ländern möglich sein, »in denen die Presse einen Maulkorb trägt und Bürger, die eine abweichende Meinung äußern, hinter Gittern enden?« Irene Khan: Die unerhörte Wahrheit. Armut und Menschenrechte. Aus dem Englischen von Jürgen Bauer, Fee Engemann und Edith Nerke. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010, 320 Seiten, 22,95 Euro
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Armenische Aufklärung
Lust an der Katastrophe
Unlängst erklärte der türkische Staatschef Erdoğan, dass Muslime des Völkermords nicht fähig seien. Mit dieser recht hilflosen rhetorischen Figur war er nicht nur um neue Freunde im Sudan bemüht, sondern wollte vor allem die Hardliner im eigenen Land befrieden: Es sollten all die widerlegt werden, die von einem türkischen Völkermord an den Armeniern sprechen. Dennoch – und diesem Prozess widmet die Turkologin und Journalistin Sibylle Thelen ihre leicht lesbare Studie – dennoch ist die Verständigung zwischen den Opfern und den Tätern längst im Gange. Thelen umreißt nicht nur die historischen Ereignisse von 1915 und die Geschichte ihrer Tabuisierung. Sie präsentiert auch diejenigen, die aktuell für eine Öffnung der Diskussion sorgen: Wissenschaftler, Schriftsteller und Journalisten, die Geschichten von Zeitzeugen ausgraben, die den überlebenden, heute hochbetagten, Frauen ihr Ohr leihen und darüber den Mord an Hunderttausenden (verlässliche Zahlen existieren nicht) in Erinnerung halten – ohne dabei den türkischen oder armenischen Nationalisten das Wort zu reden. Die von Thelen vorgestellten Intellektuellen streiten für eine europäische Öffentlichkeit, die nicht einfach anklagt, sondern im Wissen um die Sensibilität des Themas vorsichtig die verdrängten Stimmen in das historische Gedächtnis einträgt. Ihr besonderer Respekt gilt dabei Hrant Dink, dem türkisch-armenischen Chefredakteur, dessen Kommentare aufrüttelten und der 2007 in Istanbul auf offener Straße erschossen wurde. Doch selbst dieser Mord hat die Aufklärer gestärkt und nicht geschwächt.
»Hat man jetzt überlebt?« will die irritierte Radiohörerin wissen, doch niemand antwortet. Trotzig setzt sie nach: »Aber wir lassen uns die Freude nicht kaputtmachen, die Freude, dass es uns noch gibt.« Kathrin Rögglas neues Buch nimmt das stete Katastrophengerede in den Medien und damit in den Wohnzimmern auseinander. Wie immer steht nicht die Handlung, nicht der Plot im Mittelpunkt ihrer politischen Prosa, sondern die Art, wie über Ereignisse oder Personen gesprochen wird. Mit viel boshaftem Witz und noch größerer Lust am Sprachspiel und an der Übertreibung führt Röggla in dieser Textbaustein-Collage vor, wie Katastrophendiskurse organisiert sind, welches Vokabular sie zum Einsatz bringen und mit welchen Wörtern sie die prinzipiell mögliche Empathie des Medienkonsumenten verhindern. So lässt sie eine Gruppe »Desaster-Touristen« über Stunden auf einen leeren Parkplatz starren, in der Hoffnung, vermeintliche Flüchtende aus nächster Nähe beobachten zu können. Doch niemand flüchtet. Auch der Asphalt will einfach nicht aufreißen. So wie die Sätze ins Leere laufen und Dialoge in Form eines endlosen Monologs wiedergegeben werden, so laufen auch die Erwartungen der Protagonisten ins Leere: »Nun, er könne ebenfalls Menschen prinzipiell nicht brauchen, die in ihrer Fluchtbewegung erstarrten, denn wo komme man denn da hin?« Die Katastrophe der anderen dient der Unterhaltung der neugierigen Ignoranten. Kathrin Röggla: die alarmbereiten. S. Fischer Verlag,
Sybille Thelen: Die Armenierfrage in der Türkei.
Frankfurt am Main 2010, 188 Seiten, 18,95 Euro
Wagenbach, Berlin 2010, 96 Seiten, 9,90 Euro
Macht und Armut In Pakistan ereignen sich Bombenanschläge mit einer grauenhaften Regelmäßigkeit. Der islamistische Terror geht weiter, wie auch der Kampf dagegen, und der Westen blickt mit Sorge auf die Atommacht. Über den Alltag in Pakistan, der von Korruption und Armut geprägt ist, ist hingegen wenig bekannt. Das gilt auch für das Landleben, das bis heute feudalen Regeln folgt und jedem seinen gesellschaftlichen Platz zuweist. In seinem Buch »Andere Räume, andere Träume« erzählt der pakistanische Autor Daniyal Mueenuddin in acht ineinander verwobenen Kurzgeschichten von Dienern und ihren Herren, von Macht und Korruption, von Liebe und Abhängigkeiten. Im Zentrum steht die einflussreiche Familie Harouni. Da ist der alte K.K. Harouni, der mit der jungen Husna eine Liebesaffäre beginnt. Husna träumt von Reichtum, doch als Harouni stirbt, werfen seine Töchter sie aus dem Haus. Er erzählt von Jaglani, dem Verwalter, der sich bereichert und in die Politik einsteigt. Aus der Perspektive Lilys schildert Mueenuddin die Partyszene Islamabads, wo alles möglich ist, wenn man nur Geld hat. In den brillant erzählten Geschichten macht sich immer wieder Unglück breit. Mueenuddin hält für seine Figuren kein Happy End bereit: Er lässt ihre Träume zerplatzen, nicht zuletzt an den inneren Barrieren der Gesellschaft.
Der Hunger der Straßenkinder Bilderbücher eignen sich nicht nur für Kinder im Vorschulalter. Gerade um schwierige Themen zu vermitteln, hilft die spezifische Verknüpfung von Text und Bild dieses Mediums im Schulunterricht. Etwa das Bilderbuch »Wenn der Löwe brüllt«, mit dem sich über Kinder- und Menschenrechte ins Gespräch kommen lässt. Die Kinderbuchautorin Nasrin Siege, seit vielen Jahren in Afrika für Straßenkinder-Organisationen tätig, schildert einen Tag im Leben zweier Straßenkinder. Emanuel und Bilali haben keine Eltern, leben auf der Straße und müssen für sich selbst sorgen. Täglicher Antrieb ist ihr Hunger, veranschaulicht als ein sie ständig begleitender Löwe. Sie betteln, werden vertrieben und verdienen ein wenig Geld beim Autowaschen, das ihnen von einem groben Jungen wieder abgeknöpft wird; schließlich stehlen sie aus Verzweiflung ein Brot. Der Löwe schnurrt behaglich, aber gut fühlt sich der Diebstahl trotzdem nicht an. Zum Glück laden andere Kinder sie am Abend an ein wärmendes Feuer zum Schlafen ein. Die Illustratorin Barbara Nascimbeni übersetzt den Weg der Kinder zwischen Anfeindung, Bedrohung und Hilfsbereitschaft in farbintensive Bilder. Ihre bemalten Collagen aus dynamischen, aus allerlei Papiersorten geschnittenen Formen bringen den konzentrierten Text zum Leuchten. Nasrin Siege: Wenn der Löwe brüllt. Bilder: Barbara
Daniyal Mueenuddin: Andere Räume, andere Träume.
Nascimbeni. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2009,
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 289 Seiten, 19,90 Euro
32 Seiten, 15,90 Euro, ab 5 Jahre
Bücher: Ines Kappert, Sarah Wildeisen, Sonja Ernst kultur
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Politisches Bollywood
Die Stimme der Sahrauis
Der politische Film mit den Mitteln des Bollywood-Kinos: Der wahrscheinlich beliebteste Filmstar der Erde, der indische Schauspieler Shah Rukh Khan, hat sich der Entwicklung der internationalen Beziehungen nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 angenommen. In »My Name is Khan« spielt er den in den USA lebenden, indischstämmigen Moslem Rizvan Khan. Dieser leidet am Asperger-Syndrom, einer Form der autistischen Krankheit. Der jeglichem Sarkasmus abholde Mann hat sich verliebt – in Mandira. Die beiden heiraten, eine wichtige Aufgabe scheint damit erfüllt: Hat doch Rizvan einst seiner Mutter versprochen, glücklich zu werden – endlich mal eine vernünftige Elternforderung! Dann bringen die 9/11-Anschläge alles durcheinander. Die Welt polarisiert sich schlagartig. »Ich heiße Khan und ich bin kein Terrorist« – zu diesem Statement ist Rizvan jetzt aufgrund seines muslimischen Hintergrunds gezwungen. Rizvan sieht sich genötigt, einmal quer durch die USA zu reisen, er hat nun dringenden Gesprächsbedarf – beim US-Präsidenten. Ideologien seien zwar gut und schön, aber man müsse ja nicht den ganzen Tag dran denken, kontert Schauspieler Khan jene Kritiken, die dem Film eine gewisse Naivität unterstellen. Sein Medium sei das Kino, ihm gehe es um wunderbare Unterhaltung, sagt der wunderbare Entertainer. Und die diene dem friedvollen Zusammenleben.
Mariem Hassan verbindet den traditionellen Gesang der Westsahara, Haul genannt, mit moderner Poesie und gegenwärtigen Themen. Auf »Shouka« erzählt sie von Flucht und Exil, kultureller Selbstbehauptung und weiblichem Leid. Eine erdige Bluesgitarre begleitet ihren Klagegesang mit spröde dahinrollenden Rhythmen, ab und zu stimmen Percussion, Flöte und Bass mit ein. So bewegend ist die raue und ungeschliffene Aufnahme, dass sie im April von europäischen Radiojournalisten an die Spitze der Weltmusik-Charts gewählt wurde. Die Biografie der 52-jährigen Mariem Hassan ist eng verknüpft mit dem Befreiungskampf der Sahrauis – erst gegen die spanische Kolonialherrschaft, die 1975 endete, dann gegen Mauretanien und Marokko. Das Land hält bis heute den größten Teil der Westsahara besetzt, während die Rebellen der »Frente Polisario« das Hinterland kontrollieren. Seit 1991 herrscht ein Waffenstillstand, alle Pläne, eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region abzuhalten, verliefen bisher aber im Sande. Der Titelsong »Shouka«, zu Deutsch: der Dorn, ist ein langer Kommentar auf eine Rede, die Felipe Gonzales 1975 hielt, lange bevor er 1982 Ministerpräsident Spaniens wurde. Aus seinen Versprechungen, sich für die Sahrauis einzusetzen, wurde nichts, daran erinnert die über zehnminütige Klangcollage, in der sich Ausschnitte aus seiner Rede mit zornigem Gesang, schrillen Trillern und wütenden Gitarrenparts mischen. Das historische Gedächtnis der Sahrauis reicht weit zurück. Mariem Hassan gibt ihm eine Stimme.
»My Name Is Khan« IND 2010. Regie: Karan Johar, Darsteller: Shah Rukh Khan, Kajol. Start: 10. Juni 2010
Mariem Hassan: Shouka (Nubenegra / Megaphon)
Soziale Apartheid Am 11. Juni beginnt in Südafrika die Fußballweltmeisterschaft. Das erste Mal findet sie auf dem afrikanischen Kontinent statt. So wichtig dieses Ereignis auch ist, man sollte darüber doch die soziale Realität des Landes nicht vergessen – dies ist die Idee des Dokumentarfilms »Im Schatten des Tafelberges«. Denn für den Sport müssen die Leute vor Ort bezahlen. Und so erzählt der Film das Leben der Kapstädter Ashraf, Zoliswa und Arnold, die in den Armenvierteln auf unterschiedliche Art und Weise ums Überleben kämpfen. Die Stadtgebiete sind von der baulichen Umgestaltung – neudeutsch: Gentrifizierung – betroffen. Ganze Areale müssen geräumt werden. Dahinter scheint die Absicht zu stehen, dass keine Armensiedlung an den Hauptverkehrsadern den Blick der Touristen stören soll. Droht eine neue, dieses Mal eine soziale Apartheid? »Hier in den Häusern am Fuße des Berges lebt die Mittel- und Oberklasse. Früher war das hier ›Nur für Weiße‹. Heute ist es ›Nur für Reiche‹«, sagt ein Aktivist mit Blick auf die besseren Stadtviertel. Die Protagonisten sind Mitglieder der »AntiEviction Campaign«. Sie setzen sich gegen Zwangsräumungen und Wassersperrungen ein. In Workshops vermitteln sie den Bewohnern das nötige Wissen: Zum Beispiel, wie man die gesperrte Wasserleitung knackt. Ein wichtiger Film über die Kehrseite jener Gesellschaft, die diesen Sommer im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit steht.
Angesagter Kwaito Die Fan-Tröte Vuvuzela wird bei der Fußball-WM in Südafrika den Ton angeben. Aber was wird außerhalb der Stadien zu hören sein? Kenner der südafrikanischen Musikszene tippen auf Kwaito, das mit seinen bollernden House-Beats zum coolen Sprechgesang in Zulu, Xhosa und Township-Englisch längst zum populärsten Genre des Landes aufgestiegen ist. Nach dem Ende der Apartheid drückte sich in dieser Party-Musik das neue Selbstbewusstsein der schwarzen Bevölkerungsmehrheit aus. Sie ist überall zu hören: im Radio, Fernsehen, auf Hochzeiten, im Sammeltaxi oder Ghettoblaster auf der Straße. Der Sampler »Ayobaness« gibt Einblick in die Szene, die ständig neue Stars wie DJ Clock oder DJ Sumsthyn Black hervorbringt. »Ayobaness« heißt ein Hit, der in den vergangenen Jahren die Tanzflächen von Johannesburg bis Durban beherrschte und der von Pastor Mbhobho stammt – einem Radio-Comedian, der sich gerne im Priesterkostüm, mit Afro-Perücke und dickem Goldschmuck präsentiert. Der Titel geht auf »Ayoba« zurück – einen Ausruf der Begeisterung. Politik und Sozialkritik waren zu Zeiten von Miriam Makeba und Hugh Masekela ein Markenzeichen der südafrikanischen Musik. Im Kwaito von heute sucht man sie vergeblich, dort geht es ums Feiern und um Liebe. Das zeigt, was sich im Land zum Besseren verändert hat.
»Im Schatten des Tafelberges«. D 2010. Regie: Alexander Kleider und Daniela Michel.
Ayobaness! The Sound of South African House
Kinotermine: http://dok-werk.com
(Outhere)
Film: Jürgen Kiontke | Musik: Daniel Bax 74
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Endzeitapparate
Foto: Centralfilm
»Lebanon« ist ein weiterer Film aus Israel, der den Libanonfeldzug der israelischen Armee im Jahr 1982 kritisch und künstlerisch radikal in Szene setzt. Von Jürgen Kiontke
Auf der Suche nach Verstecken des Feindes. Szene aus »Lebanon«.
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er Krieg in Brennglasoptik: In seinem Film »Lebanon« verengt Regisseur Samuel Maoz den Blick auf die dramatischen Vorgänge auf ganz drastische Weise: Durch das Zielfernrohr eines Panzers versetzt Moaz den Zuschauer in die Lage junger Soldaten während des Gefechts. Diesen Blickwinkel wird dieses Waffenkammerspiel erst am Schluss verlieren. Der Film spielt im Jahr 1982, die israelische Armee hat ihren Feldzug im Libanon gestartet. Die naiven Soldaten kommen gerade aus der Ausbildung – bisher hätten sie nur auf Fässer geschossen, beklagt sich der Panzerschütze. Und nun finden sie sich wieder in einem Feld voller Sonnenblumen am Rande des Krieges. Gemeinsam mit einem Trupp Infanteristen sind sie auf der Suche nach Verstecken der Palästinensischen Befreiungsfront. Blitzschnell kommen die Befehle herein, sofort muss reagiert werden. Bei ihrem Einsatz macht die unerfahrene Crew grundsätzlich alles falsch, was falsch zu machen ist: Während einer Geiselnahme greift die Mannschaft trotz dringender Aufforderung nicht ein. Paralysiert vom Leid der Opfer ist keinem klar, welcher Knopf der Maschinerie zu drücken ist. Als alles vorbei ist, legt die Einheit jedoch das Gebäude in Schutt und Asche. Und die Geiseln gleich mit. »Lebanon«, das ist ein Antikriegsfilm, der aus den Vorgängen jenes Libanon-Feldzugs ein allumfassendes Bedrohungs-
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film & musik
szenario herausfiltern soll. Er stellt Fragen nach Moral, Überforderung und universellen Menschenrechten in kriegerischen Situationen. Dafür entwirft Maoz eine klaustrophobische Situation, in der jede Entscheidung falsch ist. Er benutzt eine radikal reduzierte Bildsprache, die sich ganz auf die Geschehnisse in und um die Kriegsmaschine herum konzentriert. Maoz verwendet Einstellungen und Elemente des sinnentleerten Horrorfilms in der Machart von »The Cube«, die er auf ein lebensechtes Szenario überträgt. Der Panzer, das ist hier ein rostiger Endzeitapparat, ein apokalyptischer Sarg. Er vermittelt Tod nach innen wie nach außen. 20 Jahre habe er gebraucht, um ein Drehbuch zu verfassen, so der Regisseur. Er sagt, er habe selbst an diesem Krieg teilgenommen, dort Menschen getötet. Ob solcher Aussagen überkommt einen nicht nur Beklemmung: Der Soldat dreht einen Film über sich selbst im Krieg, die Opfer der Kämpfe tauchen nur kurz vor dem Zielfernrohr auf. Sollte ausgerechnet dieser Film auch noch preisverdächtig sein? Bei den Filmfestspielen von Venedig ließ sich die Jury um Ang Lee im Jahr 2009 von dieser Authentizität beeinflussen: Film, entschied sie, müsse radikal sein. Und vergab den Hauptpreis, den Goldenen Löwen, an Maoz für sein Erstlingswerk. »Lebanon«. ISR 2009. Regie: Samuel Maoz, Darsteller: Yoav Donat, Italy Tiran u.a. Start: Herbst 2010
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Tag fĂźr Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Hautfarbe oder Herkunft inhaftiert, ermordet, verschleppt oder man lässt sie ÂťverschwindenÂŤ. Amnesty internAtionAl verĂśffentlicht regelmäĂ&#x;ig an dieser Stelle drei Einzelschicksale, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzu pran gern und zu beenden. Sie kĂśnnen mit Ihrem persĂśnlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, hĂśflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen BehĂśrden des Landes. Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie bitte eine Kopie an Amnesty internAtionAl.
Amnesty internAtionAl Postfach, 53108 Bonn Tel.: 0228 - 98 37 30, Fax: 0228 - 63 00 36 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de Spendenkonto Bank fĂźr Sozialwirtschaft (BfS), KĂśln Konto: 80 90 100, BLZ: 370 205 00 oder Postbank KĂśln Konto: 22 40 46 - 502, BLZ: 370 100 50
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Foto: Amnesty
briefe gegen dAs vergessen
rumänien romA-gemeinschAft Etwa 75 Roma sind seit Jahren gezwungen, in Metallcontainern und selbst errichteten HĂźtten direkt neben einer Kläranlage in der PrimaveriistraĂ&#x;e in Miercurea Ciuc (CsĂkszereda) zu leben. Die Container sind vĂśllig Ăźberbelegt, feucht und schĂźtzen nicht genĂźgend gegen die Kälte. Die Gemeinschaft verfĂźgt Ăźber zu wenige Toiletten und Duschen und hat keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser. AuĂ&#x;erdem hängt ständig ein Gestank nach Kloake in der Luft. Die Roma fĂźrchten, dass die unmittelbare Nähe zum Klärwerk ihrer Gesundheit schadet. 2004 vertrieb die Stadtverwaltung etwa 100 Roma durch Zwangsräumung aus einem städtischen Gebäude, das sie seit den 1970er Jahren bewohnten. Damals hieĂ&#x; es, der Umzug an die Kläranlage diene ihrer Sicherheit und sei nur vorĂźbergehend. Bis heute haben die Ăśrtlichen BehĂśrden keine konkreten Pläne fĂźr eine angemessene Unterbringung vorgelegt. Etwa ein Viertel der Betroffenen lehnte es damals ab, in die Container an der Kläranlage zu ziehen. Sie errichteten HĂźtten in der Nähe der städtischen MĂźllhalde, auf der sie Altmetall sammeln und zur Wiederverwertung verkaufen. Bei der Vertreibung der Gemeinschaft 2004 befolgten die BehĂśrden nicht die im VĂślkerrecht vorgesehenen SchutzmaĂ&#x;nahmen. Die Roma erhielten keine MĂśglichkeit, den Räumungsbefehl anzufechten, und wurden nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen. Entgegen den Bestimmungen im rumänischen Recht setzte man sie nicht frĂźhzeitig in Schriftform Ăźber die Zwangsräumung in Kenntnis. Bitte schreiben Sie hĂśflich formulierte Briefe an den BĂźrgermeister von Miercurea Ciuc (CsĂkszereda) und fordern Sie ihn auf, eine echte Konsultation mit den Roma an der Kläranlage in der PrimaveriistraĂ&#x;e und denen, die neben die MĂźllhalde gezogen sind, zu beginnen; ein Gelände zu suchen, auf das die Gemeinschaft ziehen kann und fĂźr eine angemessene Unterbringung zu sorgen. Schreiben Sie auf gutem Rumänisch, Englisch oder auf Deutsch an: RĂĄduly RĂłbert KĂĄlmĂĄn Mayor of CsĂkszereda Municipality of CsĂkszereda VĂĄr tĂŠr 1. 530110, CsĂkszereda Harghita County RUMĂ„NIEN Fax: 0040 - 266 37 11 37 E-Mail: radulyrobert@szereda.ro (korrekte Anrede: Dear Mayor) Standardbrief Luftpost bis 20 g: â‚Ź 0,70 Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft von Rumänien S.E. Herrn Lazăr Comănescu Dorotheenstr. 62–66, 10117 Berlin Fax: 030 - 21 23 93 99 E-Mail: office@rumaenische-botschaft.de
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Fotos: privat
Foto: privat
sAudi-ArAbien suliAmon olyfemi
mexiko cArlos guZmån ZúùigA und josÊ luis guZmån ZúùigA
Der Nigerianer Suliamon Olyfemi ist in Gefahr, in Saudi-Arabien hingerichtet zu werden, nachdem er 2004 in einem unfairen Verfahren zum Tode verurteilt wurde. Er gehĂśrt zu einer Gruppe von StaatsbĂźrgern aus mehreren afrikanischen Staaten, die im September 2002 festgenommen wurden, nachdem ein Polizist in einem vermeintlichen Streit mit Arbeitsmigranten ums Leben kam. Suliamon Olyfemi beteuert nach wie vor seine Unschuld. Nach seiner Festnahme wurde er gezwungen, seine FingerabdrĂźcke auf Dokumenten zu hinterlassen, die in Arabisch verfasst waren – einer Sprache, die er nicht versteht. MĂśglicherweise dienten die FingerabdrĂźcke als Unterschrift. Die Dokumente wurden im Prozess gegen ihn verwendet. Das Gerichtsverfahren wurde auf Arabisch gefĂźhrt, ohne dass fĂźr Olyfemi gedolmetscht wurde oder er eine Ăœbersetzung der Gerichtsunterlagen erhielt. Dem Angeklagten stand zudem kein Rechtsbeistand zur Seite. Ende 2004 wurde er zum Tode verurteilt. Im Jahr 2007 gab die Menschenrechtskommission von SaudiArabien bekannt, dass das Todesurteil gegen Suliamon Olyfemi vom Kassationsgericht aufrecht erhalten und vom Obersten Justizrat bestätigt worden war. Demnach hat der Betroffene alle ihm zur VerfĂźgung stehenden Rechtsmittel ausgeschĂśpft und kann jederzeit hingerichtet werden. In den ersten drei Monaten des Jahres 2010 sind in Saudi-Arabien mindestens acht zum Tode Verurteilte hingerichtet worden, unter ihnen ein ausländischer StaatsbĂźrger.
Am 14. November 2008 wurden die BrĂźder Carlos GuzmĂĄn úùiga und JosĂŠ Luis GuzmĂĄn Zúùiga in Ciudad JuĂĄrez im Z mexikanischen Bundesstaat Chihuahua von Soldaten und Po lizisten aufgesucht. Die Sicherheitskräfte fĂźhrten die beiden Männer in Handschellen ab und fuhren mit ihnen weg. Seither fehlt von ihnen jede Spur. Noch am selben Tag machte sich ihr Vater Javier Antonio GuzmĂĄn MĂĄrquez auf die Suche nach ihnen. In einer Militärkaserne des 20. Regiments der Motorisierten Kavallerie, einer Polizei wache und mehreren Haftzentren erhielt er die Auskunft, man wisse nichts Ăźber den Verbleib von Carlos und JosĂŠ Luis GuzmĂĄn Zúùiga. Die Eltern der beiden haben seither u.a. bei der Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Beschwerde eingereicht, aber ohne Erfolg. Eine Untersuchung durch die staatliche mexikanische Menschenrechtskommission (ComisiĂłn Nacional de los Derechos Humanos, CNDH) kam im Juli 2009 zu dem Schluss, dass das 20. Regiment der Motorisierten Kavallerie fĂźr die willkĂźrliche Inhaftierung und das ÂťVerschwindenÂŤ der BrĂźder verantwortlich sei. Doch die CNDH unternahm nichts gegen die Untätigkeit der Generalstaatsanwaltschaft, die behauptet hatte, ihr läge der Fall nicht vor. Obwohl die CNDH den mexikanischen BehĂśrden nahegelegt hat, den Verbleib der BrĂźder zu ermitteln, weiĂ&#x; die Familie immer noch nicht, was aus ihnen geworden ist.
Bitte schreiben Sie hĂśflich formulierte Briefe an den saudi arabischen KĂśnig und fordern Sie, dass Suliamon Olyfemis Todesurteil umgewandelt wird. Schreiben Sie bitte auch an die nigerianischen BehĂśrden mit der Bitte, den Fall bei den saudiarabischen BehĂśrden vorzutragen und auf die Umwandlung des Todesurteils zu dringen.
Bitte schreiben Sie hÜflich formulierte Briefe an den Generalstaatsanwalt und fordern Sie ihn auf, umgehend unparteiische und zielfßhrende Ermittlungen zu dem Verbleib von Carlos Guzmån Zúùiga und JosÊ Luis Guzmån Zúùiga durchzufßhren. Dringen Sie darauf, die Familie ßber die Entwicklungen des Falls zu informieren und sie darin zu unterstßtzen, zu dessen Aufklärung und Strafverfolgung beizutragen.
Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch an: King Abdullah of Saudi Arabia Office of His Majesty the King Royal Court Riyadh SAUDI-ARABIEN (korrekte Anrede: Your Majesty) Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch an: His Excellency Oluyemi Adeniji Minister of Foreign Affairs Maputo Street, Zone 3, Wuse District PMB 130 Abuja, Federal Capital Territory NIGERIA (korrekte Anrede: Your Excellency) Standardbrief Luftpost bis 20 g: ₏ 1,70 Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft des KÜnigreichs Saudi-Arabien S.E. Herrn Prof. Dr. med Ossama Abdulmajed Ali Shobokshi Tiergartenstr. 33–34, 10785 Berlin
briefe gegen dAs vergessen
Schreiben Sie in gutem Spanisch, Englisch oder auf Deutsch an: Lic. Arturo ChĂĄvez ChĂĄvez Procurador General de la RepĂşblica ProcuradurĂa General de la RepĂşblica Av. Paseo de la Reforma nÂş 211–213 Col. CuauhtĂŠmoc, Del. CuauhtĂŠmoc MĂŠxico DF, CP 06500 MEXIKO Fax: 0052 - 55 - 53 46 09 08 E-Mail: ofproc@pgr.gob.mx Standardbrief Luftpost bis 20 g: â‚Ź 1,70 Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft der Vereinigten Mexikanischen Staaten S.E. Herrn Francisco N. GonzĂĄlez DĂaz KlingelhĂśferstr. 3, 10785 Berlin Fax: 030 - 26 93 23 - 700 E-Mail: mail@mexale.de
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Foto: Bernd Hartung
AMNESTY AKTUELL
Vertrauen aufbauen. Amnesty-Mitarbeiter Mohamed Lotfy mit Bewohnern der Al Me’adessa Straße in Kairo.
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Amnesty journAl | 06-07/2010
ÂťmAcht sie nicht obdAchlos!ÂŤ Jedes Jahr unternimmt Amnesty etwa 120 Ermittlungsreisen in 80 Länder oder Regionen. Ein Gespräch mit dem Amnesty-Rechercheur Mohamed Lotfy Ăźber seinen Aufenthalt in Ă„gypten. Wie lange waren Sie in Kairo? Ich war zwei Monate dort, es war eine lange Mission. Normalerweise dauern unsere Untersuchungsreisen nicht länger als einen Monat. Doch dieses Mal wollten wir einen grĂźndlichen Einblick in die Âťinformellen SiedlungenÂŤ im GroĂ&#x;raum Kairo gewinnen. Das sind oft ganze Stadtviertel, die ohne Genehmigung gebaut wurden. In Teilen dieser Viertel, den Âťunsicheren GebietenÂŤ, bedrohen Steinschlag und Schlammlawinen das Leben der Bewohner. Mit wie vielen Menschen haben Sie gesprochen? Ich habe sie nicht gezählt. Ich war in fĂźnf Slums in Kairo und in zwei DĂśrfern am Stadtrand. AuĂ&#x;erdem habe ich noch eine Siedlung der Bewässerungsarbeiter im Norden Kairos besucht. Die Familien leben seit Generationen dort. Jetzt fĂźrchten sie, geräumt zu werden, weil die ursprĂźnglich ländliche Gegend ein begehrter Teil der Stadt geworden ist. War es schwer, das Vertrauen der Bewohner zu gewinnen? Ich war nie allein unterwegs, es sei denn, ich kannte die Bewohner einer bestimmten StraĂ&#x;e schon. Zum Beispiel war ich in Manshiyet Nasser, einer sehr groĂ&#x;en informellen Siedlung mit mindestens einer Million Einwohnern zuerst mit einem Anwalt vom Ägyptischen Zentrum fĂźr das Recht auf WohnenÂŤ unterwegs. Er stellte mich einigen Bewohnern vor. Später, als sich Vertrauen aufgebaut hatte, stellten sie mir ihre Nachbarn vor oder fĂźhrten mich zu anderen, die Probleme hatten. Haben Sie auch mit Vertretern der Regierung gesprochen? Ja, gemeinsam mit meinem Amnesty-Kollegen Malcolm Smart. Er leitet die Abteilung fĂźr den Mittleren Osten und Nordafrika im Internationalen Sekretariat in London und kam fĂźr unsere Lobbygespräche, zum Beispiel mit dem Wohnungsbauminister und dem Entwicklungsfonds fĂźr informelle Siedlungen beim Premierminister, nach Kairo. Wie wurden Sie dort empfangen? Die Politiker und Beamten waren sehr diplomatisch und respektvoll. Sie wollten ihre Version der Politik im Bezug auf die ÂťunsicherenÂŤ informellen Siedlungen darstellen. Wir haben sinngemäĂ&#x; gefordert: Räumt die Leute nicht mit Gewalt! Macht sie nicht obdachlos! Kommt nicht Ăźberfallartig und werft sie aus unsicheren Gebieten ohne Vorwarnung und Konsultation raus! Zwingt sie nicht, an Orte zu ziehen, an die sie nicht wollen! Kurz, wir haben immer wieder auf das Konzept der aktiven Beteiligung gedrungen. Aber die BehĂśren haben das GefĂźhl, das wĂźrde ihre Politik schwächen und die notwendigen Räumungsaktionen verzĂśgern. Ist diese Verbindung von Recherche und Lobbying typisch fĂźr eine Amnesty-Mission? Ja, wir betreiben Lobbying auf der Grundlage dessen, was wir vor Ort erfahren und schnell verarbeiten kĂśnnen. Dies hat manchmal einen unmittelbaren Nutzen. So haben wir in Kairo
Amnesty Aktuell
davon gehĂśrt, dass ÂťImbebaÂŤ, eine sehr groĂ&#x;e informelle Siedlung, ÂťaufgewertetÂŤ werden solle. Wir haben den Wohnungsbauminister direkt danach gefragt und haben konkrete Informationen Ăźber die Pläne bekommen, die wir dann an das BĂźrgerkomitee von Imbeba weitergeben konnten. Ein anderes Beispiel: Mit dem Gouverneur von Kairo sprachen wir Ăźber die 200 Familien in der Al Me’adessa StraĂ&#x;e, fĂźr die wir eine Eilaktion gestartet hatten. Die Familien dort leben in der unmittelbaren Gefahr eines Felssturzes und forderten deshalb von den BehĂśrden Wohnungen an einem sicheren Ort. Andererseits hatten wir beobachtet, wie Leute aus dieser StraĂ&#x;e in der informellen Siedlung Manshiyet Nasser ohne jede Vor warnung zwangsweise geräumt wurden. Einige erhielten zwar vorläufig Ersatzwohnungen, andere gingen aber leer aus. Wir haben im Amnesty Journal Ăźber diesen Fall berichtet. Ja, das ist die StraĂ&#x;e, die wir zusammen mit dem Fotografen besucht haben, der fĂźr das Amnesty Journal fotografiert hat. Ich sprach dort mit einem Mann, der seine Werkstatt im Erd geschoss eines Hauses hat. DarĂźber, im ersten Stock, wohnen er und seine Schwester in zwei getrennten Zimmern. Das Haus steht genau unter einem FelsĂźberhang, die Felsen kĂśnnen sie jeden Moment erschlagen. Trotzdem wollte der Mann das Haus nicht verlassen und versuchte, die Risse in der Felswand mit Holzbrettern zu verbergen. Er hatte Angst, dass er bei einer Räumung seine Werkstatt und damit seine Einkommensquelle verliert. Einige Wochen später rief mich seine Schwester an. Sie sagte: ÂťIch muss Sie dringend sprechen!ÂŤ Also kam ich zurĂźck und sie erzählte mir, dass sie unbedingt das Haus verlassen will. ÂťSie mĂźssen mir hier raushelfen! Ich habe Angst, dass die Felsen auf uns fallen und wir sterben.ÂŤ Während ich mit ihr sprach, kam ihr Bruder und fragte sie ärgerlich: ÂťWarum hast du ihn angerufen?ÂŤ Ich versuchte den beiden zu erklären, dass sie in einer lebensgefährlichen Situation leben und hier wegmĂźssen. Ich sagte ihnen aber auch, dass sie in einer Weise umgesiedelt werden mĂźssen, die ihre Rechte nicht verletzt. Das heiĂ&#x;t auch, dass der Mann eine Entschädigung fĂźr seine Werkstatt bekommen muss. Solche Situationen entstehen, weil die BehĂśrden nicht mit den Betroffenen kooperieren wollen. Es ist sicher nicht einfach, mit einer solchen Situation umzugehen. Amnesty kann ja auch nicht garantieren, dass die Regierung wirklich eine angemessene Entschädigung bietet. Genau. Das ist noch härter, wenn mir jemand erzählt: ÂťMein Haus wird morgen abgerissen. Was soll ich tun?ÂŤ Ich weiĂ&#x;, das bedeutet, dass er morgen obdachlos ist. In der konkreten Situation kann ich ihm nur den Kontakt zu einem Menschenrechtsanwalt vermitteln. Denn um solche Situationen zu verhindern, muss sich die Politik ändern. Was wird aus dem Material, das Sie in Kairo gesammelt haben? Wir brauchen etwas Zeit, um alle Informationen zu verarbeiten, die wir in den zwei Monaten gesammelt haben. Dann schreiben wir ein Memorandum an die Regierung. Wenn sie darauf antwortet, dann werden wir die Antwort in unseren Ăśffentlichen Bericht aufnehmen, der vermutlich im August erscheinen wird. Fragen: Ferdinand Muggenthaler
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Foto: Amnesty
AKTIV FĂœR AMNESTY
Erfolgreicher Protest. Veranstaltung gegen das Todesurteil fĂźr Troy Davis, BrĂźssel Oktober 2008.
ein themA, viele länder Amnesty-Gruppen bieten regelmäĂ&#x;ig Aktionsvorschläge zu bestimmten Menschenrechtsthemen an. Von Gudula Dinkelbach Was haben Troy Davis aus den USA, die Iranerin Gilan Mohammdi und der Mongole Buuveibaatar gemeinsam? Sie alle waren zum Tode verurteilt. In allen drei Fällen haben AmnestyUnterstĂźtzer gegen ihre drohende Hinrichtung protestiert. Und alle sind der Hinrichtung entgangen: Das Verfahren von Davis wird neu aufgerollt. Mohammdi sprachen die Richter in einem neuen Verfahren frei. Buuveibaatars Todesurteil wandelte der mongolische Präsident in eine Haftstrafe um und kĂźndigte an, die Todesstrafe in der Mongolei ganz abschaffen zu wollen. Niemand kann sagen, wie groĂ&#x; im Einzelfall der Beitrag der Aktionen von Amnesty International zu diesen Erfolgen war. Sicher ist jedoch, dass der Trend zur Abschaffung der Todesstrafe anhält, seit die Organisation vor Ăźber 30 Jahren ihre Kampagne gegen diese grausame und sinnlose Strafe gestartet hat. Fast ebenso lang beschäftigt sich auch in Deutschland eine Amnesty-Gruppe mit dem Thema. Die Todesstrafe ist eines der Menschenrechtsthemen, zu denen sich in der deutschen Amnesty-Sektion eine sogenannte Koordinationsgruppe gebildet hat, wie es sie auch zu einzelnen Ländern gibt. Folter, Meinungsfreiheit und Menschenrechtsverletzungen an Frauen sind weitere Themen, um die sich spezielle Gruppen kĂźmmern. Auch das Thema ÂťHeilberufeÂŤ wird in dieser Weise bearbeitet. Es geht dabei um Heilberufler als Opfer von Menschenrechtsverletzungen und um Therapieangebote fĂźr Folteropfer. Doch weist die Gruppe in ihren Ăśffentlichen Veranstaltungen auch darauf hin, dass Ă„rzte und Psychologen nicht selten an Folter und Misshandlungen beteiligt sind. Seit Mai 2010 bieten viele dieser Amnesty-Gruppen ÂťAktionsnetzwerkeÂŤ an. Wer sich fĂźr ein bestimmtes Thema interessiert,
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kann sich dort anmelden und bekommt regelmäĂ&#x;ig Aktionsvorschläge zu aktuellen Fällen oder Anliegen zugesandt. Wer sich beispielsweise beim ÂťNetzwerk KinderrechteÂŤ anmeldet, erhält einmal im Monat einen Musterbrief oder einen Link zu einer Onlineaktion zum Thema Recht auf Bildung, Kinder im Krieg oder zur Todesstrafe an Minderjährigen. Die Autorin ist Mitglied der Fachkommission Ă–ffentlichkeitsarbeit der deutschen Amnesty-Sektion. Mitmachen: Zur Anmeldung einfach eine E-Mail mit dem Betreff ÂťAnmeldungÂŤ an das jeweilige Netzwerk senden. Aktionsnetzwerke haben sich bisher zu folgenden Themen gebildet: Rechte fĂźr Frauen (netzwerk-frauen@amnesty.de) Gewerkschaften (netzwerk-gewerkschaften@amnesty.de) Heilberufe (netzwerk-heilberufe@amnesty.de) Kinderrechte (netzwerk-kinderrechte@amnesty.de) Polizei (netzwerk-polizei@amnesty.de) Todesstrafe (netzwerk-gegen-todesstrafe@amnesty.de) Menschenrechte und sexuelle Identität (netzwerk-mersi@amnesty.de) Siehe auch www.amnesty.de/netzwerke-fuer-die-menschenrechte
AKTIV FĂœR AMNESTY Amnesty-Mitglieder geben den Opfern von Menschenrechtsverletzungen eine Stimme und tragen somit einen unentbehrlichen Teil zur Arbeit von Amnesty International bei. Mehr Ăźber Aktionen, Veranstaltungen und Seminare auf www.amnesty.de/aktiv-vor-ort und www.amnesty.de/kalender
Amnesty journAl | 06-07/2010
Sie werden verfolgt, misshandelt oder ermordet. In vielen Ländern weltweit leben Gewerkschafter gefährlich. Mitglieder von Amnesty International in Deutschland nutzten daher den Tag der Arbeit, um fĂźr die UnterstĂźtzung verfolgter Gewerkschafter zu werben. So sammelte die Celler Amnesty-Gruppe am 1. Mai während eines Festes auf dem Brandplatz Unterschriften fĂźr die Freilassung der beiden Gewerkschafter Tran Quoc Hien aus Vietnam und Mansour Ossanlou aus dem Iran. Die Männer sind allein deshalb im Gefängnis, weil sie ihr Recht auf freie MeinungsäuĂ&#x;erung wahrgenommen haben. Auf die Situation von Ossanlou machten auch Mitglieder der Amnesty-Gruppe Recklinghausen aufmerksam. Sie nahmen an einer Fahrradtour zur UnterstĂźtzung iranischer Gewerkschafter und Journalisten teil, die am 1. und 2. Mai von Essen Ăźber Recklinghausen nach Dortmund fĂźhrte. Initiiert wurde die Tour von dem iranischen JournalistenEhepaar Mehrnaz Asadi und Mojtaba Davari.
celle/recklinghAusen
fAir plAy fĂźr frAuen
erlAngen Anlässlich des Weltfrauentages machte der
mnesty-Arbeitskreis ÂťMenschenrechtsverletzungen an A Frauen verhindernÂŤ mit einer Kundgebung auf die Lage der Frauen in SĂźdafrika aufmerksam. Während des Demonstrationszuges vom Erlanger Rathausplatz zum Hugenottenplatz protestierten die Amnesty-Mitglieder unter dem Motto ÂťFair Play fĂźr FrauenrechteÂŤ gegen die schlechte Gesundheitsversorgung, die zu einer hohen MĂźttersterblichkeit fĂźhrt, und gegen die häusliche Gewalt in dem Land. In einer Petition an die sĂźdafrikanischen BehĂśrden forderten Teilnehmer und Passanten einen besseren Schutz vor Gewalt und eine umfangreiche gesundheitliche Versorgung fĂźr Frauen. Der Arbeitskreis ÂťMenschenrechtsverletzungen an Frauen verhindernÂŤ gehĂśrt zur Erlanger Amnesty-Gruppe. Er informiert jedes Jahr zum Internationalen Frauentag am 8. März bei einer Aktion in der Innenstadt Ăźber Frauenrechte. Der Arbeitskreis arbeitet eng mit dem Erlanger Frauenhaus zusammen. In der Vergangenheit sammelte er auĂ&#x;erdem Unterschriften und Spenden fĂźr ein Frauenhaus in Erlangens tĂźrkischer Partnerstadt BeĹ&#x;iktaĹ&#x; und unterstĂźtzte ein Beratungszentrum fĂźr Frauen im albanischen Tirana.
MONIKA LĂœKE ĂœBER DIE
FUSSBALL-WM
Zeichnung: Oliver Grajewski
solidArität mit verfolgten gewerkschAftern
Die SĂźdafrikaner ďŹ ebern dem Beginn der Weltmeisterschaft entgegen. Als ich nach Ostern SĂźdafrika besuchte, begegnete mir in jedem Haus und jeder HĂźtte die Frage ÂťWer wird FuĂ&#x;ballweltmeister?ÂŤ. Ob Politiker, Medien oder die Jugendlichen im Township Khayelitsha in Kapstadt, das ich besuchte – alle sind stolz darauf, die WM im eigenen Land zu haben. Als ich allerdings nach Menschenrechten fragte, hieĂ&#x; es: ÂťDas ist etwas ganz anderes.ÂŤ Doch das ist es nicht! GroĂ&#x;e Sportveranstaltungen sind immer politisch und haben häuďŹ g einen direkten Menschenrechtsbezug. Bei den Olympischen Spielen in Peking vor zwei Jahren war das offensichtlich, als im Vorfeld der Spiele politische Gegner mundtot gemacht, aus der Stadt geschafft oder inhaftiert wurden. Aber auch vor der WM 2006 in Deutschland haben wir uns an der ÂťAbpďŹ ffÂŤ-Kampagne gegen Zwangsprostitution beteiligt. Amnesty International will und wird kein Spielverderber sein. Aber wie es eine sĂźdafrikanische Amnesty-Kollegin ausdrĂźckte: Guter FuĂ&#x;ball benĂśtigt eine ordentliche Verteidigung, SĂźdafrika braucht Menschenrechtsverteidiger, die besser arbeiten kĂśnnen. Damit sich die Zustände in den Gefängnissen verbessern, damit HIV-InďŹ zierte nicht diskriminiert werden und damit Menschen aus afrikanischen Nachbarstaaten nicht nur bei der WM willkommen sind. FuĂ&#x;ball bietet auch eine Chance fĂźr die Menschenrechte. Es ist unsere Aufgabe, Regierungen, Sportfunktionäre und Spieler daran zu erinnern. Auch 2011. Dann ďŹ ndet die FuĂ&#x;ballweltmeisterschaft der Frauen in Deutschland statt. Monika LĂźke ist Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion.
impressum Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn, Tel.: 0228 - 98 37 30, E-Mail: Info@amnesty.de, Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redaktion Amnesty Journal, Postfach 58 01 61, 10411 Berlin, E-Mail: journal@amnesty.de (fĂźr Nachrichten an die Redaktion) Redaktion: Bernd Ackehurst, Markus N. Beeko, Daniel Kreuz, Ferdinand Muggenthaler (V.i.S.d.P.), Larissa Probst Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Ali Al-Nasani, Sonja Altrock-N’cho, Rudolf Balmer, Dawid Bartelt, Daniel Bax, Leonie von Braun, Alexander BĂźhler, Imke DierĂ&#x;en, Gudula Dinkelbach, Sonja Ernst, Peter Franck, Lena Guesnet, Knut Henkel, Ruth JĂźttner, Ines Kappert, JĂźrgen Kiontke, Michael Krämer, Sabine KĂźper, Maja Liebing, Monika LĂźke, Wera Reusch, Nina Ritter, Matthias Sander, Maria Sannikova, Uta von Schrenk, Nina Schulz, David Gordon Smith, Wolf-Dieter Vogel, Nadine VĂślker, Sarah Wildeisen, Jessica Zeller
Aktiv fĂźr Amnesty
Layout und Bildredaktion: Heiko von Schrenk / schrenkwerk.de Druck: Johler Druck GmbH, Gadelander Str. 77, 24539 Neumßnster Bankverbindung: Amnesty International, Kontonr. 80 90 100, Bank fßr Sozialwirtschaft (BfS), KÜln, BLZ 370 205 00 Das Amnesty Journal ist die Zeitschrift der deutschen Sektion von Amnesty International und erscheint sechs Mal im Jahr. Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Nichtmitglieder kÜnnen das Amnesty Journal fßr 30 Euro pro Jahr abonnieren. Fßr unverlangt eingesandte Artikel oder Fotos ßbernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder. Die Urheberrechte fßr Artikel und Fotos liegen bei den Autoren, Fotografen oder beim Herausgeber. Der Nachdruck von Artikeln aus dem Amnesty Journal ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt. Das gilt auch fßr die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Mailboxen, fßr die Verbreitung im Internet oder fßr Vervielfältigungen auf CD-Rom.
ISSN: 1433-4356 | Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Recyclingpapier.
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unsere wm-elf
dAs teAm, in dem nur verteidiger spielen mitspielen: www.amnesty.de/wm2010
mexiko
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verteidig
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peru
clAudiA lemA Claudia Lema kämpft gegen die hohe Müttersterblichkeit in Peru. Sie betreibt Gesundheitsaufklärung für indigene Frauen in armen ländlichen Gebieten und unterrichtet medizinisches Personal in den traditionellen Entbindungsmethoden der indigenen Bevölkerung.
verteidiger
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kAmerun
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verteidiger
südAfrikA
›p‹ (Anonymous) P. möchte gern anonym bleiben und betreibt eine Hilfseinr ichtung für HIVinfizierte Frauen. P. ist eine von vielen Aktivistinnen, die ma rginalisierten Frauen helfen. Ihre Arb eit bleibt oft unsichtbar, denn sie haben kaum Geld zur Verfügung und we rden in weiten Kreisen der Gesellscha ft angefeindet.
verteidiger
serbien
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d klärt ist Anwältin un Nataša Kandic Zerfalls s de nd re en wäh Kriegsverbrech en hr auf. in den 90er Ja Jugoslawiens chte der Re sich für die Sie engagiert die Täter ss da t dafür, Opfer und sorg Sie wurde stellt werden. vor Gericht ge it angebe s für ihre Ar schon mehrmal t. oh dr Leben be griffen und ihr
verteidiger
isrAel / besetZte gebiete
irAn
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shAdi sAdr
Sami ist Aktivist aus einer Gemeinde im Westjordanland. Ohne Erlaubnis der israelischen Besatzungsarmee hat Sami mit den Dorfbewohnern einen Kindergarten und andere öffentliche Einrichtungen aufgebaut. Alle diese Projekte sind gefährdet, durch die israelische Armee zerstört zu werden.
verteidiger
Die Anwältin setzt sich seit Jahren für die Gleichberechtigung von Frauen im Iran ein. Für ihr Engagemen t saß sie zweimal in Haft. 2009 musste sie ins Exil gehen. Auch im Ausland kämpft sie weiter gegen Menschenr echtsverletzungen im Iran.
verteidigerrussl And mukhmed gAZdiev Mukhmed Gazdievs Sohn wur de 2007 in Inguschetien festgenomm en und ist seitdem verschwunden. Gaz diev versucht sein Verschwinden auf zuklären. Seitdem setzen ihn die russisc hen Behörden unter Druck, schikan ierten ihn bei einer Demonstration und durchsuchten »versehentlich« sein Haus.
verteidiger
chinA (tibet)
dhondup wAngchen
keniA
wilter nyAbAte
sitzende des Wilter Nyabate ist Vor ppe, die sich Gru er ein , Soweto Forum in Kibera, für die Menschenrechte s einsetzt. nia Ke dem größten Slum . gegen u.a h sic rt gie Nyabate enga mu räu ngen und rechtswidrige Zwangs d HIV-infizierte unterstützt Waisen un Menschen.
verteidiger
pAkistAn
AminA jAnjuA Amina Janjuas Ehemann wird vermutlich seit fünf Jahren in geheimer Haft festgehalten. Sie kämpft für seine Freilassung und hat die Organisation »Defence For Human Rights« gegründet, die Angehörige von Verschwundenen unterstützt.
verteidiger
Der tibetische Filmema cher wurde 2009 wegen »Separatismu s« zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er wurde gefoltert und erhält keine mediz inische Behandlung für seine Hepathi tis. Er hatte den Film »Leaving Fear Be hind« gedreht, in dem sich Tibeter kri tisch über die chinesische Führung äußerten.
verteidiger
stAnd up united April 2010. index Act 30/002/2010. fotonachweis im uhrzeigersinn von oben: © Amnesty international, © privat, © jorn van eck / Amnesty international, © Amnesty international, © filming for tibet, © privat, © Amnesty international, © Amnesty international, © candice feit/wpn, © salud sin limites, © martha izquierdo
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