Amnesty Journal April / Mai 2012: "Für eine kugelsichere Waffenkontrolle"

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DAS MAGAZIN FÜR DIE MENSCHENRECHTE

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AMNESTY JOURNAL

04/05

2012 APRIL/ MAI

FÜR EINE KUGELSICHERE WAFFENKONTROLLE

PAKT DES SCHWEIGENS Spanien und das Erbe der Franco-Diktatur

DIE KUNST DES AUFSTANDS Kreativer Protest gegen Putins Russland

ASERBAIDSCHAN: 0 POINTS Eurovision Song Contest und Menschenrechte


Illustration: André Gottschalk

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Anton Landgraf ist Redakteur des Amnesty Journals

Foto: Mark Bollhorst / Amnesty

EDITORIAL

MILLIONEN SUCHEN JOSEPH KONY, … … den Anführer einer obskuren Gruppe namens Lord’s Resistance Army, die ursprünglich in Uganda gegründet wurde. Die Kampagne »Kony 2012« hat in wenigen Wochen eine enorme Resonanz im Internet erfahren. Wohl selten haben sich außerhalb Afrikas so viele Menschen über Kindersoldaten und Kriegsverbrechen informiert – obwohl diese Themen in Uganda und den angrenzenden Ländern seit Jahrzehnten dominierend sind. So begrüßenswert das Interesse ist, so dringend stellt sich die Frage, was zum Beispiel geschieht, wenn Kony nicht bald verhaftet wird. Vieles deutet darauf hin, dass er nicht schnell zu fassen ist. Denn für Aufklärung und Strafverfolgung von Kriegsverbrechen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen ist ein langer Atem nötig. Lange Zeit schien eine internationale Strafverfolgung nur eine Utopie naiver Weltverbesserer zu sein. Dann wurde der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag gegründet. Seine Arbeit ist langwierig und kompliziert, scheinbar endlos ziehen sich die Prozesse hin. Nun fällte das Gericht Mitte März das erste Urteil: Gegen den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga, der Kindersoldaten rekrutiert und eingesetzt hat. Auch wenn die internationale Strafgerichtsbarkeit noch nicht perfekt ist, so gibt es doch erste nachhaltige Erfolge. Wie wichtig dieser Prozess ist, zeigt sich auch in Ländern, die ihre dunkle Vergangenheit scheinbar schon lange hinter sich gelassen haben. Brasilien, mittlerweile eine der größten Wirtschaftsmächte der Welt, kämpft immer noch mit dem Erbe seiner langjährigen Militärdiktatur. Die Generäle gaben zwar bereits Mitte der achtziger Jahre die Macht an eine zivile Regierung ab. Die Angehörigen der Opfer warten aber bis heute auf Aufklärung (S. 44). Auch in Europa liegt die Zeit der faschistischen Diktaturen in manchen Ländern gerade mal eine Generation zurück. So wie in Spanien. Dort kündigen die Enkel der Opfer jetzt den »Pakt des Schweigens« auf und fordern Aufklärung über die Verbrechen, die während der Diktatur geschehen sind (S. 50). Über diese und viele andere interessante Themen können Sie auf den nächs ten Seiten lesen. Falls Sie jedoch gerade keine Hand frei haben, sollten Sie zumindest in die Ausgabe reinhören. Texte aus dem Amnesty Journal gibt es nun auch als Podcast. Sie können ihn unter www.amnesty.de/journal/podcast einfach anklicken. Oder Sie abonnieren den Amnesty Journal Podcast direkt bei iTunes. Viel Spaß beim Hören!

EDITORIAL

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INHALT

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Das Titelbild wurde gezeichnet von Gabriel Holzner. Er lebt und arbeitet als freischaffender Illustrator und Designer in München.

THEMA 20 Historischer Vertrag Von Katharina Spieß

22 Goldene Regel Keine Waffen für Gräueltaten. Amnesty International setzt sich für ein internationales Abkommen zur Kontrolle des Waffenhandels ein. Von Mathias John

26 Der Kunde ist König

RUBRIKEN 06 Reaktionen 07 Erfolge 10 Panorama 12 Nachrichten 13 Porträt: Parastou Forouhar 15 Interview: Nivedita Prasad 17 Kolumne: Heike Kleffner 77 Rezensionen: Bücher 78 Rezensionen: Film & Musik 80 Briefe gegen das Vergessen 82 Aktiv für Amnesty 83 Wolfgang Grenz über Kleine Erfolge

Saudi-Arabien schließt milliardenschwere Waffengeschäfte mit den USA und Europa. Auch deutsche Firmen liefern Kriegsgerät an den Golf – die kritische Menschenrechtslage wird von der Politik ausgeblendet. Von Hauke Friederichs

31 Dunkle Geschäfte Eine größere Transparenz im internationalen Waffenhandel kann die Korruption bekämpfen und demokratische Strukturen stärken. Von Bernhard Moltmann

32 Der Tod aus dem Schwarzwald Mexiko gehört zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Für Waffenproduzenten wie die deutsche Firma Heckler & Koch ist es hingegen ein gefragter Absatzmarkt. Von Wolf-Dieter Vogel

36 Entwicklungsziele unter Beschuss Bewaffnete Konflikte kosten Menschenleben und zerstören Entwicklungschancen. Unverantwortliche Rüstungstransfers tragen erheblich dazu bei. Von Robert Lindner

38 »Wir müssen Druck aufbauen« Interview mit Helen Hughes, Expertin für Rüstungskontrolle bei Amnesty International. Fotos oben: Gabriel Holzner | Florian Kopp | Bodo Marks | Denis Sinyakov / Reuters

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BERICHTE

KULTUR

44 Hoffen ist Folter

66 Die Kunst des Protests

Noch immer ignoriert Brasilien die Verbrechen, die während der Militärdiktatur begangen wurden. Bis 2014 soll nun eine Wahrheitskommission ermitteln. Von Andreas Unger

50 Wo das Gras am höchsten wuchs Geschätzte 150.000 Opfer der Franco-Diktatur liegen in Spanien nach wie vor in anonymen Massengräbern. Der »Pakt des Schweigens« hat eine ganze Generation zum Verstummen gebracht. Von Shelina Islam

54 Die Angst der anderen In der Türkei kommt es immer wieder zu tödlichen Angriffen auf Schwule, Lesben und Transsexuelle. Von Amke Dietert

58 »Niemand wird als Soldat geboren« Wer in der Türkei den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert, wird verfolgt und inhaftiert. Von Amke Dietert

60 Nach dem Boom Um sich als aufstrebende Wirtschaftsmacht zu behaupten, setzt China auf eine pragmatische Wirtschaftspolitik. Von Kristin Kupfer

62 »Wir bleiben hartnäckig« Der palästinensische Rechtsanwalt Raji Sourani unterstützt Opfer von Menschenrechtsverletzungen und deren Angehörige vor Gericht. Derzeit kümmert er sich vor allem um die Aufarbeitung der israelischen Militäroperation »Gegossenes Blei«, bei der mehr als 1.400 Menschen im Gazastreifen getötet wurden.

INHALT

Viele russische Künstler und Publizisten engagieren sich in der Anti-Putin-Bewegung und nehmen dafür Repressionen in Kauf. Von Barbara Oertel

68 »Nicht zu viele Illusionen machen« Ein Gespräch mit der preisgekrönten Literatin Alissa Arkadjewna Ganijewa über das Engagement russischer Künstler gegen Putin.

70 Rassismus wird spürbar »Csak a szél – Just the Wind« heißt der diesjährige Gewinner des Amnesty-Filmpreises. Ein dichter und außergewöhnlicher Spielfilm über die Situation der Roma in Ungarn. Von Jürgen Kiontke

72 Nicht im Sinne der Behörden Vor dem Eurovision Song Contest gibt sich Aserbaidschan als liberales und kunstsinniges Land. Das sehen Künstler und Menschenrechtler in dem Land anders. Von Bernhard Clasen

74 Der Klang der Freiheit Aus Anlass des 50-jährigen Engagements von Amnesty International covern über 80 Künstler Songs von Bob Dylan. Von Osia Katsidou

76 Schwarz-weiße Liebe in Schwarz-Weiß »Kafka für Afrikaner« ist eine gelungene Graphic Novel über die Schwierigkeiten eines westafrikanischen Asylbewerbers im westeuropäischen Alltag. Von Maik Söhler

79 Nicht allzu ernst Die Folk-Rock-Band Zdob şi Zdub aus Moldawien ist in Osteuropa beliebt. Nun wagt sie sich mit ihrem neuen Album in den Westen vor. Von Daniel Bax

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ISRAEL / BESETZTE PALÄSTINENSISCHE GEBIETE Amnesty International ruft den israelischen Verteidigungsminister auf, die völkerrechtswidrigen Pläne zur Vertreibung beduinischer Gemeinschaften östlich von Jerusalem zurückzunehmen. Die israelische Armee plant, rund 2.300 Personen zwangsweise umzusiedeln. Die meisten von ihnen gehören zum beduinischen Stamm der Jahalin und leben in der Umgebung der großen israelischen Siedlung von Ma’ale Adumin im besetzten Westjordanland östlich von Jerusalem. Ihre Vertreibung soll Platz machen für den – völkerrechtswidrigen – Ausbau der Siedlung. Die israelische Armee hat vor, die Jahalin-Beduinen in die unmittelbare Nähe der Abfalldeponie von Jerusalem umzusiedeln. Die betroffenen Gemeinschaften wurden in die Pläne nie einbezogen und wehren sich dagegen.

TÜRKEI

IRAN

Amnesty International zweifelt daran, dass die türkischen Behörden die Bombardierung von Zivilisten in der Provinz Şırnak sorgfältig und unparteiisch untersuchen. Im vergangenen Dezember wurden im Südosten der Türkei 34 Zivilisten, darunter 18 Minderjährige, bei Luftangriffen getötet. Zeugen gehen davon aus, dass die Soldaten wussten, dass es sich um Zivilisten handelte. Menschenrechtsorganisationen, die den Vorfall untersuchen wollten, berichteten, ihre Delegierten seien von Soldaten daran gehindert worden, den Ort der Bombardierung zu besuchen. Außerdem haben die Staatsanwälte keine Ermittlungen am Tatort durchgeführt und keine Zeugenaussagen aufgenommen.

Amnesty International verurteilt das politisch motivierte Urteil gegen den Menschenrechtsanwalt Abdolfattah Soltani und fordert seine sofortige Freilassung. Ein Teheraner Gericht verurteilte ihn Anfang März zu 18 Jahren Haft. Soltani wurde am 11. September 2011 verhaftet. Die iranischen Behörden warfen ihm »Propaganda gegen das System« und »Gefährdung der nationalen Sicherheit« vor. Zudem habe er mit dem Nürnberger Menschenrechtspreis 2009 einen »illegalen Preis« entgegengenommen. Soltani ist einer der bekanntesten Menschenrechtsanwälte im Iran.

Ausgewählte Ereignisse vom 15. Januar 2012 bis 14. März 2012.

INDIEN

HONDURAS Die honduranischen Behörden müssen den Brand im Comayagua-Gefängnis unabhängig untersuchen lassen, bei dem mehr als 300 Gefangene getötet wurden und viele weitere schwere Brandwunden erlitten. »Es ist äußerst wichtig, dass die Überlebenden sowie die Hinterbliebenen der Opfer die Wahrheit darüber erfahren, was geschehen ist und wie es zu so vielen Toten kommen konnte«, sagte Esther Major, Zentralamerika-Verantwortliche bei Amnesty International. Es ist nicht das erste Mal, dass Häftlinge bei einem Gefängnisbrand in Honduras umkommen – im Jahr 2004 wurden bei einem Brand im Gefängnis von San Pedro Sula mehr als hundert Personen getötet.

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UGANDA Sollte es zu einer Verhaftung Joseph Konys kommen, des Anführers der Lord’s Resistance Army (LRA), müssen dabei geltende Menschenrechtsstandards beachtet werden. Daran hat Amnesty International erinnert angesichts der »Kony 2012«-Kampagne, die eine Welle der öffentlichen Aufmerksamkeit für Joseph Kony und die LRA ausgelöst hat. Ferner forderte Amnesty die Verhaftung und Überstellung Konys an den Internationalen Strafgerichtshof entsprechend des bestehenden internationalen Haftbefehls. Kony werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Amnesty International hat die Behörden des ostindischen Staates Orissa aufgefordert, 47 Bewohner aus dem Dorf Rengopalli freizulassen. Diese wurden Ende Januar festgenommen, weil sie friedlich gegen die Verschmutzung ihres Wohngebietes durch die Bauxit-Raffinerie der Firma Vedanta Aluminium Lanjigarh protestiert hatten. Die Dorfbewohner versuchten, Vedanta davon abzuhalten, eine der zwei Zufahrtsstraßen zu ihrem Dorf in Beschlag zu nehmen. Die Straße ist der direkte Weg sowohl zum Dorf als auch zu einem 60 Hektar umfassenden Auffangbecken für den Rotschlamm der Raffinerie. Das Becken ist eine von zwei Deponien, in denen Vedanta giftigen Müll ablagert, der bei der BauxitVerarbeitung anfällt.

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Foto: Evert-Jan Daniels / AP / ddp images

ERFOLGE

»Einsatz von Kindersoldaten weltweit ächten.« Thomas Lubanga vor der Urteilsverkündung in Den Haag, 14. März 2012.

HISTORISCHES URTEIL Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat Thomas Lubanga Dyilo schuldig gesprochen, in der Demokratischen Republik Kongo von 2002 bis 2003 Kindersoldaten rekrutiert und in bewaffneten Konflikten eingesetzt zu haben. Es ist der erste Schuldspruch, den der Gerichtshof seit seiner Einrichtung 2002 gefällt hat. Die Verkündung des Strafmaßes steht noch aus. »Das Urteil ist ein Meilenstein in der internationalen Rechtsprechung«, sagte Leonie von Braun, Expertin für internationales Strafrecht bei Amnesty. »Es bringt Genugtuung für die Opfer, insbesondere für die ehemaligen Kindersoldaten, die in dem Prozess als Nebenkläger aufgetreten sind.« Lubanga war Mitgründer und Präsident der »Union kongolesischer Patrioten«

DAS MITTELMEER IST KEINE MENSCHENRECHTSFREIE ZONE

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat den Flüchtlingsschutz entscheidend gestärkt. Die Richter gaben im Februar einer Klage von 24 Flüchtlingen aus Eritrea und Somalia statt, die mit rund 200 anderen Bootsflüchtlingen im Mai 2009 von Libyen aus nach Italien aufgebrochen waren. Auf hoher See wurden sie von der italienischen Küstenwache aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht. Die Richter waren der Meinung, dass Italien damit die Menschenrechte der Flüchtlinge verletzt habe. In der Begründung des Urteils hieß es, dass niemand der Folter oder einer unmenschlichen Strafe ausgesetzt werden dürfe. In Libyen sind vor allem Flüchtlinge aus Ländern südlich der Sahara weiterhin in Gefahr, willkürlich inhaftiert, gefoltert

ERFOLGE

(UPC) sowie Kommandeur der »Patriotischen Kräfte zur Befreiung des Kongo« (FPLC). Hunderte von Kindersoldaten wurden unter seiner Führung auf dem Gebiet der DR Kongo eingesetzt. Bei dem Konflikt, der von 1998 bis 2003 dauerte, kamen schätzungsweise drei Millionen Menschen ums Leben. Noch immer werden im Nordosten und Osten der DR Kongo Kindersoldaten von kongolesischen und ausländischen Gruppen rekrutiert. »Wir hoffen, dass durch dieses Urteil eine Dynamik entsteht, die den Einsatz von Kindersoldaten weltweit ächtet und zur Festnahme und Verurteilung weiterer Kriegsherren führt«, sagte Leonie von Braun. »Das gilt auch für Joseph Kony, gegen den bereits ein Haftbefehl des Strafgerichtshofs vorliegt.«

oder misshandelt zu werden. Ihnen droht oftmals die Abschiebung in ihre Herkunftsländer wie Somalia und Eritrea. Zudem wurde den Flüchtlingen die Möglichkeit genommen, Rechtsmittel bei den italienischen Behörden gegen ihre Abschiebung einzulegen. »Damit verstößt das italienische Vorgehen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention«, sagte Franziska Vilmar, Asylrechtsexpertin bei Amnesty. Mit dem Urteil hat der Gerichtshof unterstrichen, dass Regierungen auch in internationalen Gewässern verpflichtet sind, Menschenrechtsstandards einzuhalten und Flüchtlingen nicht ihr Recht auf Asyl aberkennen dürfen. »Amnesty fordert die EU-Mitgliedsstaaten nach diesem Urteil auf, Schutzbedürftigen endlich sicheren Zugang nach Europa und Recht auf Asyl zu gewähren«, so Franziska Vilmar.

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Foto: Fars News Agency / UPI / laif

NACHRICHTEN

Verurteilt zu Haft und »internem Exil«. Ahmand Zeidabadi (rechts) während einer Verhandlung vor einem Revolutionsgericht in Teheran, August 2009.

»WIR HABEN DEN BEFEHL, DICH ZU ZERSTÖREN« Im Iran hat sich die Situation für Blogger, Menschenrechtsverteidiger und andere Regierungskritiker verschärft. Vor den Parlamentswahlen gab es zahlreiche Verhaftungen. Die Nutzung von E-Mails, sozialen Netzwerken und Online-Medien gehört für viele von uns zum Alltag. Doch im Iran macht sie Menschen schnell verdächtig. Der Amnesty-Bericht »We are ordered to crush you: Expanding Repression of Dissent in Iran« zeigt, dass das Internet im Iran zunehmend schärfer überwacht wird. Elektronische Medien gelten der iranischen Regierung als Bedrohung, da sie den freien Meinungs- und Informationsaustausch erleichtern. Anfang 2012 wurden Besitzer von Internetcafés aufgefordert, neue Überwachungssysteme einzurichten. Außerdem werden »Vergehen« im Internet härter bestraft. So wurde die Frauenrechtlerin Fereshteh Shirazi, die sich für die rechtliche Gleichstellung von Frauen einsetzt, im Oktober 2011 zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Die Behörden werfen ihr vor, sie habe in ihrem Blog »Lügenpropaganda« verbreitet und damit »Un ruhe in der Gesellschaft« gestiftet.

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Vor den Parlamentswahlen im März kam es zu einer Verhaftungswelle gegen Blogger, die gegen ein neues Gesetz zur Bekämpfung von Internetkriminalität verstoßen haben sollen. Auch Menschenrechtsverteidiger, Studierende, Anwälte und Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten sind von Festnahmen und staatlicher Unterdrückung betroffen. Eine neue Richtlinie stellt den Kontakt zu bestimmten Nichtregierungsorganisationen unter Strafe. »Sobald man Teil eines sozialen Netzwerks im Internet wird, eine NGO gründet, ihr beitritt oder einfach nur seinen Widerstand gegen den Status Quo deutlich macht, kann man im Gefängnis landen«, sagte Ann Harrison, stellvertretende Leiterin des Amnesty-Programms für den Mittleren Osten und Nordafrika. Der Journalist Ahmad Zeidabadi wurde zu sechs Jahren Haft und fünf Jahren »internes Exil« verurteilt, weil er angeblich »Propaganda gegen den Staat« verbreitet und »Unruhe in der Gesellschaft« gestiftet hat. Zeidabadi ist Generalsekretär einer Organisation von Universitätsabsolventen, die sich in der Vergangenheit für die Menschenrechte einsetzte. »Wir haben den Befehl, dich zu zerstören«, sagten ihm iranische Sicherheitskräfte in

einem Verhör. Im März 2012 wurde der Menschenrechtsanwalt Abdolfattah Soltani wegen »Propaganda« und der »Gründung einer illegalen oppositionellen Gruppierung« zu 18 Jahren Haft verurteilt. Soltani hatte 2009 den Nürnberger Menschenrechtspreis erhalten. Amnesty fordert die sofortige Freilassung von Abdolfattah Soltani, Fereshteh Shirazi, Ahmad Zeidabadi und anderen, die inhaftiert sind, weil sie öffentlich ihre Meinung äußerten. Zudem werden die Behörden aufgefordert, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Rechte auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu respektieren. Dass sich der Einsatz für die Menschenrechte lohnt, zeigt das Beispiel der Ärzte Kamiar Alaei und Arash Alaei, die 2010 und 2011 freikamen. Sie wurden inhaftiert, weil sie die Gesundheitspolitik der iranischen Regierung kritisiert hatten. In einem Brief an Amnesty schrieben sie nach ihrer Entlassung: »Dass wir heute frei und in Sicherheit sind, ist das Ergebnis eurer Unterstützung. Wir möchten uns von ganzem Herzen dafür bedanken, dass ihr für unsere Freiheit gekämpft habt.« Text: Michelle Trimborn

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»Der Schrecken offenbart sich erst, wenn man genauer hinsieht.« Parastou Forouhar.

PORTRÄT

PARASTOU FOROUHAR

Die iranische Künstlerin Parastou Forouhar kämpft seit Ende der neunziger Jahre für die Aufklärung der politischen Morde an ihren Eltern. Kann man Liebe für ein Land empfinden, in dem die Bevölkerung bevormundet und unterdrückt wird, regierungskritische Meinungen zensiert werden und Oppositionelle in Haft kommen? »Wenn ich an den Iran denke, fühle ich eine Zerrissenheit zwischen Liebe und Zorn«, sagt Parastou Forouhar. »Liebe für meine Kindheitserinnerungen und die Menschen, die auf ihr Recht beharren und – wie meine Eltern – dafür kämpfen. Zorn für die brutale Diktatur und Bevormundung, die auch den kleinsten Teil des Lebens im Iran bestimmen.« Parastou Forouhar ist eine der prominentesten iranischen Künstlerinnen. Sie wurde 1962 in Teheran geboren, seit 1991 lebt sie in Deutschland. Viele ihrer Fotoarbeiten, Zeichnungen und Installationen spiegeln die ambivalente Beziehung zu ihrem Heimatland wider. Wenn Parastou Forouhar die bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse kritisiert, dann mit Ironie und Feingefühl. Eines ihrer jüngeren Werke zeigt eine Serie von gezeichneten Schmetterlingen. Bei näherem Blick entpuppen sie sich als Ornamente aus einzelnen Personen, die sich krümmen, aneinanderklammern und die Hände in die Höhe reißen. »Der Schrecken offenbart sich erst, wenn man genauer hinsieht«, sagt Forouhar. Die Schmetterlinge tragen Namen wie »Evin«, das bekannteste Gefängnis im Iran, oder »Khavaran«, ein Massengrab im Südosten Teherans. Ein Schmetterlingsbild ist nach dem Todestag ihrer Eltern benannt. In der Nacht des 21. November 1998 wurden sie in ihrem Haus in Teheran von Mitarbeitern des Informationsministeriums mit zahlreichen Messerstichen ermordet. Dariush und Pervaneh Forouhar waren führende Oppositionspolitiker, die sich für mehr Demokratie einsetzten. Sie forderten Meinungs-

NACHRICHTEN

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PORTRÄT

Foto: Ralf Rebmann / Amnesty

ZWISCHEN LIEBE UND ZORN freiheit und eine Trennung von Staat und Religion. Die Tat war Teil der sogenannten »Kettenmorde« im Iran, einer politisch motivierten Mordserie, der in den neunziger Jahren vor allem linke Oppositionelle zum Opfer fielen. »Politische Verbrechen hinterlassen eine Aufgabe. Eine Verantwortung, die getragen werden muss, bis jene als solche benannt und lückenlos aufgeklärt worden sind«, schreibt Parastou Forouhar in ihrem 2011 erschienenen Buch »Das Land, in dem meine Eltern umgebracht wurden. Liebeserklärung an den Iran«. Darin schildert sie auch einige ihrer Reisen in den Iran und das Gerichtsverfahren, das sie und andere Angehörige der Opfer angestrengt haben, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Als »Ausnahmezustand« bezeichnet Parastou Forouhar die Zeit, in der sie die Prozessakten, darunter Vernehmungsprotokolle der Geheimdienstmitarbeiter, einsehen konnte. »Mit einem bürokratischen Selbstverständnis sprachen die von ›physischer Liquidierung‹, obwohl es um Menschen ging«, sagt sie. »Diese Phase war die größte Zerreißprobe für mich. Wie kann es sein, dass bei solchen ungeheuerlichen Verbrechen der Alltag weitergeht?« Das Gerichtsverfahren führte trotz aller Bemühungen nur teilweise zum Erfolg. Einzelne Täter wurden verurteilt, doch die mutmaßlichen Drahtzieher des Verbrechens, hohe Staatsbeamte, wurden nicht belangt. Dennoch: Parastou Forouhar bleibt beharrlich. »Wir haben alles versucht, aber keinen Erfolg erzielt. Stattdessen haben wir aber erreicht, dass in der Bevölkerung ein Bewusstsein und eine kollektive Erinnerung für diese Taten entstanden sind.« Parastou Forouhar fährt jedes Jahr zum Todestag ihrer Eltern in den Iran: Nicht nur um zu trauern, sondern auch, um dafür zu sorgen, dass die Ermordung ihrer Eltern nicht in Vergessenheit gerät. Text: Ralf Rebmann

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Zeichnung: Gabriel Holzner

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Thema: Waffenhandel

Vom Kampfpanzer bis zur Kalaschnikow: Der Handel mit Rüstungsgütern ist ein überaus lukratives Geschäft. In Ländern wie Syrien oder Sudan trägt er jedoch zu schweren Menschenrechtsverletzungen bei. Ein Waffenhandelskontrollvertrag könnte diese unverantwortlichen Exporte unterbinden. Davon müssen sich große Rüstungslieferanten wie Russland und China aber erst überzeugen lassen. Doch auch deutsches Kriegsgerät ist sehr gefragt. Zum Beispiel in Mexiko und Saudi-Arabien.

Alle Zeichnungen und Illustrationen auf den Seiten 18 bis 39 stammen von Gabriel Holzner (www.gabedesigns.com).

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Goldene Regel: Keine Waffen für Gräueltaten. Amnesty International setzt sich für ein wirksames internationales Abkommen zur Kontrolle des Waffenhandels ein. Von Mathias John

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ystematische Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen, Mord, Vergewaltigungen und schwerwiegende Verletzungen sind seit Jahren die fatale Folge eines unverantwortlichen und häufig unkontrollierten weltweiten Rüstungshandels. Waffenlieferungen heizen nicht nur Konflikte an, sie gefährden auch die Millenniums-Entwicklungsziele der UNO, wie z.B. die Bekämpfung der Armut. Was mit den – in der Regel völlig legal – exportierten Rüstungsgütern geschieht, zeigte sich besonders drastisch während des »Arabischen Frühlings« Anfang 2011: Seit Jahrzehnten hochgerüstete Regime versuchten mit ihren Waffen, die Proteste zu unterdrücken und nahmen dabei einen hohen Blutzoll in Kauf. Dies setzt sich bis heute fort, wie die täglichen Schreckensmeldungen aus Syrien zeigen. Auch die Lieferanten scheinen kaum etwas gelernt zu haben – so liefert Russland trotz andauernder Menschenrechtsverletzungen weiter Waffen an Syrien. Seit mehr als drei Jahrzehnten drängt Amnesty International nun schon Regierungen, die EU und internationale Organisationen, bessere Rüstungsexportkontrollen einzuführen, um die verhängnisvollen Auswirkungen des globalen Waffenhandels auf die Menschenrechte zu unterbinden. Im Laufe der Jahre gab es dabei durchaus einzelne Verbesserungen. So wurde beispielsweise ein europäischer Verhaltenskodex für den Waffenhandel entwickelt, der ein umfassendes Menschenrechtskriterium enthält und mittlerweile als sogenannter »Gemeinsamer Standpunkt« der Europäischen Union verbindlich ist. Das sogenannte »Wassenaar-Arrangement« der EU, benannt nach dem niederländischen Verhandlungsort, soll verantwortliche Rüstungsexportkontrollen und mehr Transparenz schaffen. Ein UNO-Aktionsprogramm richtet sich gegen den unrechtmäßigen Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen. Am Ende blieb aber die bittere Erkenntnis, dass viele Einzelaktivitäten nicht zu einem besseren Menschenrechtsschutz geführt haben. Daher fordert Amnesty seit Mitte der neunziger Jahre ver-

THEMA

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WAFFENHANDEL

bindliche internationale Regelungen zur Rüstungsexportkontrolle, die mindestens die folgenden drei Eckpunkte enthalten müssen: a Als zentrales Element die »Goldene Regel«, die alle Rüstungstransfers verbietet, mit denen Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen verübt werden könnten oder die die Armutsbekämpfung gefährden a Umfassende Anwendung auf alle konventionellen Rüstungsgüter wie Waffen(systeme), Munition, Komponenten, Rüstungselektronik und Überwachungstechnik, Technologien und Know-how a Konsequente Umsetzungsvorgaben mit strikten Kontrollen und Transparenzvorgaben für alle Rüstungstransfers Seit 2003 setzt sich Amnesty gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen im Rahmen einer weltweiten Kampagne für ein UNO-Abkommen über den Handel mit konventionellen Rüstungsgütern (»Arms Trade Treaty«, ATT) ein – mit Erfolg: Schon im Jahr 2006 setzte die UNO-Generalversammlung eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines ATT ein. Schließlich begann 2009 der formelle Verhandlungsprozess, um das Abkommen zu erarbeiten. Im Juli 2012 sollen diese Verhandlungen auf einer großen UNO-Staatenkonferenz mit einem Vertragstext abgeschlossen werden, der anschließend der Generalversammlung vorgelegt werden soll. Angesichts der katastrophalen Auswirkungen auf die Menschenrechte ist es höchste Zeit, dass sich die internationale Staatengemeinschaft zu ihrer Verantwortung bekennt und wirksame Kontrollen verabredet – schließlich liegt die primäre Verantwortung für den globalen Handel mit Waffen, Munition und anderen Rüstungsgütern bei den Staaten: Grundsätzlich benötigen Rüstungsfirmen für Exporte der von ihnen produzierten Waffen eine Genehmigung der jeweiligen Regierung. Häufig sind die Rüstungsunternehmen sogar in staatlicher Hand oder staatlich

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beeinflusst – damit ist auch die Produktion von Waffen letztlich in der Hand der Regierungen. Bei fast allen Rüstungsexporteuren ist eine skrupellose Exportpraxis an der Tagesordnung, denn Waffenlieferungen sind meist ein lukratives Geschäft und oft auch ein wichtiges Mittel der Außenpolitik. Verletzungen der Menschenrechte werden dabei gerne ignoriert oder sogar billigend hingenommen. Geliefert wird alles, was die Arsenale moderner Waffentechnik hergeben, einschließlich ganzer Produktionsanlagen und der für die Rüstungsproduktion notwendigen Lizenzen. Ergänzt wird die »Hardware« durch Überwachungselektronik und Fortbildungen für Militärs und andere Sicherheitskräfte. Angesichts der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bedeutung von Rüstungstransfers ist es nicht verwunderlich, dass der bisherige Verhandlungsprozess zum ATT von teilweise tiefgreifenden Differenzen zwischen Unterstützern und Skeptikern gekennzeichnet war. Insbesondere die Frage der Einbeziehung von Menschenrechten führte zu heftigen Diskussionen, so dass hier noch weitere Überzeugungsarbeit zu leisten ist, um die »Goldene Regel« in einem künftigen ATT abzusichern. Ein weiterer Streitpunkt ist der Anwendungsbereich eines ATT. Während die skeptischen Staaten wie z.B. China oder die USA nur wenige Waffensysteme einbeziehen wollen, fordert Amnesty die Anwendung des Abkommens auf alle konventionellen Rüstungsgüter und Technologien, einschließlich der sogenannten Sicherheitstechnologie, die auf dem Weltmarkt angeboten werden. In der Regel unterscheidet man zwischen konventionellen Großwaffen und denjenigen, die verharmlosend als Kleinwaffen und leichte Waffen bezeichnet werden. Großwaffen umfassen im Wesentlichen Waffensysteme wie Kampfund Schützenpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, Artilleriesysteme, Raketenwerfer und Raketen, Militärflugzeuge und -hubschrauber sowie Kriegsschiffe. Die sogenannten »Kleinwaffen« und »leichten Waffen« umfassen Pistolen, Revolver, Maschinenpistolen und Schnellfeuergewehre bis hin zu Maschinengewehren, Mörsern, tragbaren Raketenwerfern und Panzerfäusten – definitionsgemäß alles Waffen, die von ein oder zwei Personen verwendet und transportiert werden können. Ein weiteres Handelsgut auf dem weltweiten Rüstungsmarkt sind Produkte und Technologien, die sowohl für zivile als auch für militärische

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Zwecke eingesetzt und verwendet werden können – sogenannte »dual-use«-Güter. In diesen Bereich fallen viele Komponenten, die in der zunehmend arbeitsteiligen Rüstungsproduktion dem Endprodukt Waffensystem zugeliefert werden, z.B. ein Motor, der Landmaschinen oder Schützenpanzer antreiben kann. Ebenfalls umstritten ist die Frage von Regelungen zur Umsetzung, Dokumentation und Transparenz des ATT. Amnesty fordert, stringente und nachvollziehbare Umsetzungsmaßnahmen in das Abkommen aufzunehmen, die tatsächlich die notwendigen Exportkontrollen und Endverbleibsregelungen sicherstellen. Zudem müssten die Staaten zukünftig auch umfassend über die Exporte berichten, um die Anwendung der Regelungen auch für die Öffentlichkeit transparent zu machen. Dann würde vielleicht auch endlich das ganze Ausmaß des internationalen Waffenhandels besser zu erfassen sein. Denn bisher wird die notwendige umfassende Transparenz durch die strenge Geheimhaltung der genehmigenden Staaten und der beteiligten Rüstungsfirmen verhindert, aber auch durch die Händler, die überwiegend im Graubereich zwischen legalen und illegalen Rüstungstransfers tätig sind. Genaue Zahlen zu Produktion, Handelsströmen, Empfängern und »Endverbrauchern« fehlen. Insbesondere Transfers von sogenannten »dual use«-Gütern, die Bereitstellung von Produktionslizenzen oder Know-how, Ausbildungshilfen und andere Aspekte der Rüstungszusammenarbeit und militärischen Unterstützung bleiben weitgehend im Dunkel. Größenordnungen und Trends, wie sie beispielsweise das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI für konventionelle Großwaffen oder der »Small Arms Survey« in Genf für sogenannte »Kleinwaffen« veröffentlichen, sind allerdings erschreckend. So ist nach Angaben von SIPRI der weltweite Handel mit Großwaffen zwischen 2001 und 2010 um rund ein Drittel gestiegen. Unter den sechs größten Waffenexporteuren weist China mit 185 Prozent die größte Steigerungsrate auf. Deutschland konnte seine Exporte in dem besagten Zeitraum um 175 Prozent steigern, die USA um 46 Prozent. Deutschland belegt in den SIPRI-Statistiken der vergangenen Jahre konstant den dritten Platz der weltweiten Rüstungsexporteure für Großwaffen. Aber auch beim Handel mit sogenannten »Kleinwaffen« und »leichten Waffen«, die besonders häufig bei Menschenrechtsverletzungen

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WAFFEN UNTER KONTROLLE Unter diesem Motto startete Amnesty bereits 2003 gemeinsam mit Oxfam International und dem »Internationalen Aktionsnetzwerk zu Kleinwaffen« in mehr als 60 Ländern eine Kampagne gegen unkontrollierten Waffenhandel. Vorrangiges Ziel war damals bereits die strikte Kontrolle und Transparenz aller Rüstungstransfers durch ein rechtlich verbindliches internationales Abkommen (»Arms Trade Treaty«, ATT). Die Kampagne »Waffen unter Kontrolle« besteht als zivilgesellschaftliches Bündnis für einen umfassenden ATT bis heute fort. Einen Höhepunkt der Kampagne bildete die öffentliche Übergabe der größten Foto-Petition aller Zeiten an den damaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan. Eine Million Menschen aus mehr als 160 Ländern forderten darin eine verbindliche Kontrolle des Waffenhandels (Aktion »Eine Million Gesichter«). Die Petition wurde am 26. Juni 2006 in New York überreicht. Der erste große Erfolg der Kampagne war der Beginn eines formellen Prozesses zur Prüfung eines ATT 2006. Im Dezember 2009 beschloss die UNO-Vollversammlung die Aufnahme von formalen Verhandlungen zu einem ATT.

Rüstungstransfers zu verankern. Die letzten Vorbereitungsgespräche im Februar 2012 haben gezeigt, dass noch viele Hindernisse zu überwinden sind, um einen Wettlauf zum kleinsten gemeinsamen Nenner zu verhindern. Umso wichtiger ist die öffentliche Unterstützung für ein Abkommen, das den notwendigen breiten Anwendungsbereich, die notwendigen Umsetzungsmaßnahmen und Transparenzregeln und vor allem die »Goldene Regel« zum unmittelbaren Schutz der Menschenrechte enthält. Umfassender öffentlicher Druck kann entscheidend dazu beitragen, dass im Juli alle Delegierten ihre Hände für einen umfassenden ATT heben und damit den internationalen Schutz der Menschenrechte bei Rüstungstransfers verankern. Der Autor ist Sprecher der Themengruppe Wirtschaft und Menschenrechte der deutschen Sektion von Amnesty International.

Zeichnungen: Gabriel Holzner

eingesetzt werden, spielt Deutschland eine unrühmliche Rolle: Der »Small Arms Survey« zählt die Bundesrepublik zu den acht größten Exporteuren dieser Waffenkategorien. Aus den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung lässt sich ablesen, dass Deutschland zwischen 2005 und 2010 die Genehmigungen für Exporte von Handfeuerwaffen verdoppelt hat. Von den sechs führenden Rüstungsexporteuren stehen mindestens drei (USA, Russland und China) einem Vertrag skeptisch bis ablehnend gegenüber. Großbritannien und Frankreich äußern sich zurückhaltend. Umso erfreulicher ist es, dass sich Deutschland bislang nachdrücklich für einen umfassenden und wirksamen ATT einsetzt. Allerdings muss sich die Bundesregierung fragen lassen, warum sie trotz ihres Einsatzes für einen ATT und trotz eines grundsätzlichen Bekenntnisses zu einer verantwortlichen Genehmigungspraxis menschenrechtlich kritische Exporte genehmigt, wie Schnellfeuergewehre für Mexiko, Maschinenpistolen für Ägypten und Bahrain oder Überwachungstechnologie für Saudi-Arabien. Die Bundesregierung sollte auch im Sinne einer Unterstützung des ATT mit gutem Beispiel vorangehen und endlich ihre Genehmigungspraxis ändern – sie muss alle Rüstungstransfers verbieten, die Menschenrechte gefährden, über ihre Entscheidungskriterien öffentlich Rechenschaft ablegen und alle Transfers umfassend offenlegen. Dazu sollte sie auch ein transparentes System der Risikoabschätzung bezüglich der Menschenrechte einführen, wie es beispielsweise Amnesty vorgeschlagen hat. Die Berichte von Amnesty und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen zeigen, dass Waffenlieferungen in vielen Staaten zu einem Teufelskreis aus Militarisierung, Eskalation und Repression führen, der mit systematischen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen einhergeht. Um das zu verhindern, muss die internationale Gemeinschaft endlich angemessene Rahmenbedingungen für strikte Rüstungsexportkontrollen schaffen. Zu oft werden bei Rüstungsexportentscheidungen Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht nur nachrangig berücksichtigt. Mit der UNO-Staatenkonferenz für ein internationales Abkommen über den Handel mit konventionellen Rüstungsgütern im Juli dieses Jahres besteht die historische Chance, endlich weltweit verbindliche, umfassende Standards zur Kontrolle von

THEMA

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WAFFENHANDEL

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Berichte

44 Brasilien: Aufarbeitung der Militärdiktatur 50 Spanien: Francos Erbe 54 Türkei: Gewalt gegen Homosexuelle 58 Türkei: Widerstand gegen Militärdienst 60 China: Menschenrechte und Wirtschaftspolitik 62 Interview: Raji Sourani, Palästinensischer Anwalt

Idyll des Grauens. Ruine des Gefängnisses »Colônia Penal Cândido Mendes« auf der Ilha Grande nahe Rio de Janeiro. Hier hielt das brasilianische Militär-Regime seine Gegner in Haft. Foto: Florian Kopp

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»Niemand wird als Soldat geboren« Wer in der Türkei den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert, wird verfolgt und inhaftiert. Häufig werden die Verweigerer sogar mehrfach wegen des gleichen Delikts verurteilt. Doch in der Gesellschaft regt sich langsam Widerstand gegen den obligatorischen Militärdienst. Einer der führenden Aktivisten ist der Kriegsdienstverweigerer Halil Savda. Von Amke Dietert »Das Töten abzulehnen, ist kein Verbrechen«, sagt Halil Savda. Weil er den Kriegsdienst ablehnt, wurde er schon zahlreiche Male festgenommen. Bis heute verbrachte er insgesamt 17 Monate in Haft und wurde dabei schwer misshandelt. Seine letzte Inhaftierung erfolgte am 24. Februar 2012. Er wurde zu 100 Tagen Gefängnis verurteilt, weil er im Jahr 2006 eine Solidaritätsaktion mit Kriegsdienstverweigerern in Israel organisiert hatte. In der Türkei ist eine Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen nicht möglich und ein ziviler Ersatzdienst nicht vorgesehen. Auch wer sich für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung einsetzt und Solidarität mit verfolgten Verweigerern zeigt, gerät ins Visier der türkischen Justiz. Grundlage dafür ist Artikel 318 des türkischen Strafgesetzbuches, der die »Entfremdung der Bevölkerung vom Militärdienst« unter Strafe stellt und mit Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren belegt. Bereits Anfang der neunziger Jahre formierte sich eine zivilgesellschaftliche Bewegung gegen den obligatorischen Militärdienst. Bekannt wurde sie vor allem durch den Kriegsdienstgegner Osman Murat Ülke, der seit 1996 immer wieder wegen seiner Verweigerung inhaftiert wurde. Nach jeder Haftentlassung wurde er erneut zum Militärdienst verpflichtet. Er weigerte sich abermals und wurde wieder inhaftiert – eine sogenannte Kettenbestrafung. 2006 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Türkei im Fall Ülke wegen unverhältnismäßiger Strafverfolgung. Dennoch bekommt Osman Murat Ülke weiterhin Einberufungsbefehle und ist in Gefahr, inhaftiert zu werden. Im Anschluss an die Entscheidung des EGMR forderte das Ministerkomitee des Europarats die Türkei auf, das Urteil bis Ende 2011 umzusetzen und die Gesetzgebung entsprechend zu ändern. Im November 2011 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erneut über die Klage eines Wehrdienstverweigerers. In diesem Fall war der Kläger ein Zeuge Jehovas, der sich auf seine religiöse Überzeugung berief. Das Gericht urteilte, dass die Türkei den Kläger durch den Zwang zum Militärdienst ohne einen zivilen Ersatzdienst in seinem Recht auf Gewissensfreiheit verletzt habe. Die Türkei ist also aufgefordert, die Kettenbestrafungen für Wehrdienstverweigerer abzuschaffen und die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen zuzulassen. Innerhalb der

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türkischen Regierung gibt es jedoch erhebliche Differenzen diesbezüglich. Im November 2011 kündigte der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arınç an, man wolle einen Zivildienst nach europäischem Vorbild einrichten. Verteidigungsminister İsmet Yılmaz dementierte dies jedoch umgehend und erklärte, man werde lediglich das Urteil des EGMR von 2006 umsetzen und die Strafverfolgung von Kriegsdienstverweigerern auf ein Mal begrenzen. Auch Ministerpräsident Erdoğan sprach sich gegen jegliche Lockerung bei der Wehrpflicht aus. Die türkische Regierung ist aber unter Druck geraten und wird von ihrer harten Position etwas abrücken müssen. Denn auch in der türkischen Gesellschaft hat die Bewegung der Kriegsdienstverweigerer Erfolge erzielt. Während früher der Wehrdienst unantastbar war, wird heute in vielen Medien auch positiv über das Anliegen der Verweigerer berichtet. Einer der derzeit führenden Aktivisten der Verweigererbewegung ist Halil Savda. Neben der Verurteilung, die zu seiner jüngsten Inhaftierung führte, laufen gegen ihn drei weitere Verfahren nach Artikel 318. Dabei geht es um Solidaritätsaktionen für den Kriegsdienstverweigerer Enver Aydemir. Anlässlich einer Gerichtsverhandlung gegen Aydemir hatte Halil Savda eine Erklärung verlesen, während eine Gruppe von Demonstranten Slogans rief wie: »Niemand wird als Soldat geboren, alle Menschen werden als Babys geboren«. Er spielt auf einen anderen bekannten Spruch an: »Ein Türke wird als Soldat geboren«. Im Dezember 2011 beobachtete ein Mitglied der Türkei-Koordinationsgruppe der deutschen Sektion von Amnesty International den Prozess gegen Halil Savda und andere Personen im Zusammenhang mit dieser Demonstration. Die Verteidigung hatte drei Frauen als Zeuginnen laden lassen, die vor Gericht aussagten, sie hätten Kinder zur Welt gebracht und könnten deshalb bestätigen, dass sie keine Soldaten geboren hätten, sondern Babys. Darüber wurde auch in der türkischen Presse berichtet – mit einer Fotomontage von einem Baby mit Stahlhelm. Enver Aydemir wurde inzwischen aufgrund von »antisozialen, psychischen Störungen« als »ungeeignet für den Militärsdienst« befunden. Ebenso wurde auch bei Halil Savda und anderen Kriegsdienstverweigerern, wie zum Beispiel Mehmet Bal und Inan Süver, verfahren. Damit wird in Fällen, die in der öffentlichen Diskussion sind, eine eigentlich notwendige gesetzliche Regelung umgangen. Gleichzeitig werden die politischen, ethischen oder religiösen Motive der Kriegsdienstverweigerer ignoriert. Besonderen Schikanen sind homosexuelle Wehrpflichtige ausgesetzt. Da Homosexualität als Krankheit und »psychosoziale Störung« definiert wird, was an sich schon eine Diskriminierung darstellt, werden schwule Wehrpflichtige als untauglich eingestuft. Dafür müssen sie aber ihre Homosexualität »beweisen«, was mit entwürdigenden Prozeduren verbunden ist. Sie müssen Fotos vorlegen, die sie beim gleichgeschlechtlichen Se-

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trachtet werden, muss mit Diskriminierung und Misshandlungen durch andere Wehrpflichtige und Vorgesetzte rechnen. Doch eventuell bahnt sich eine erste Lösung an: In einer weiteren Verhandlung gegen Halil Savda und weitere Angeklagte im Februar 2012 kündigte der Richter an, er wolle Artikel 318 dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorlegen. Nach der türkischen Verfassung haben internationale Abkommen, die die Türkei unterzeichnet hat, Vorrang vor dem nationalen türkischen Recht. Da der Artikel 318 gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verstößt, könnte eine solche Prüfung zur Aufhebung des Artikels führen. Falls das Verfassungsgericht anderer Meinung ist, werden Halil Savda und andere Aktivisten der antimilitaristischen Bewegung noch viel Zeit im Gefängnis verbringen müssen.

Foto: Michael Sawyer / Amnesty

xualverkehr zeigen, zudem können Analuntersuchungen angeordnet werden. Auch Zeugenaussagen können eingeholt werden, was insbesondere Männer, die ihre Homosexualität vor ihrer Familie oder ihrem sonstigen Umfeld verheimlicht haben, zusätzlichen Gefahren aussetzt. Wer sich diesen Prozeduren nicht aussetzen will oder nicht als untauglich eingestuft wird, weil die »Beweise« als nicht ausreichend be-

»Antisoziale Störung.« Halil Savda bei einer Amnesty-Aktion, Dezember 2011.

BERICHTE

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TÜRKEI

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Tag für Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Hautfarbe oder Herkunft inhaftiert, ermordet, verschleppt oder man lässt sie »verschwinden«. AMNESTY INTERNATIONAL veröffentlicht regelmäßig an dieser Stelle drei Einzelschicksale, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und zu beenden. Sie können mit Ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, höflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen Behörden des Landes. Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie bitte eine digitale Kopie an AMNESTY INTERNATIONAL.

AMNESTY INTERNATIONAL Postfach, 53108 Bonn Tel.: 0228 - 98 37 30, Fax: 0228 - 63 00 36 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de Spendenkonto Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln Konto: 80 90 100, BLZ: 370 205 00 oder Postbank Köln Konto: 22 40 46 - 502, BLZ: 370 100 50

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Foto: privat

BRIEFE GEGEN DAS VERGESSEN

BAHRAIN 14 OPPOSITIONELLE 14 Oppositionelle sind von einem Militärgericht zu Freiheitsstrafen zwischen zwei Jahren und lebenslanger Haft verurteilt worden, nachdem sie im März und April 2011 an regierungskritischen Protesten teilgenommen hatten. Nach der Festnahme wurden sie an einen unbekannten Ort gebracht, wo man sie wochenlang ohne Kontakt zur Außenwelt festhielt. Viele der Männer haben angegeben, während der Verhöre in den ersten Tagen ihrer Haft von Angehörigen des Staatssicherheitsdienstes gefoltert worden zu sein. Amnesty International fordert die sofortige Freilassung aller gewaltlosen politischen Gefangenen. Am 22. Juni 2011 wurden die Angeklagten ohne ein faires Gerichtsverfahren verurteilt. Die Anklagepunkte gegen die 14 Oppositionellen sind sehr vage formuliert und entsprechen keiner Handlung, die nach dem internationalen Strafrecht geahndet wird. Sieben der Aktivisten – Hassan Mshaima’, Abdelwahab Hussain, ’Abdulhadi al-Khawaja, Dr. Abdel-Jalil al-Singace, Mohammad Habib al-Miqdad, Abdel-Jalil al-Miqdad und Sa’eed Mirza al-Nuri – sind zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Gegen die Angeklagten Mohammad Hassan Jawwad, Mohammad ’Ali Ridha Isma’il, Abdullah al-Mahroos und Abdul-Hadi ’Abdullah Hassan al-Mukhodher ergingen jeweils 15-jährige Freiheitsstrafen. Ebrahim Sharif (Foto) und Salah ’Abdullah Hubail al-Khawaja wurden zu jeweils fünf Jahren und Al-Hur Yousef al-Somaikh zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die Urteile gegen alle 14 Aktivisten sind am 28. September 2011 von einem militärischen Berufungsgericht bestätigt worden. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den König von Bahrain, in denen Sie Ihre Sorge darüber zum Ausdruck bringen, dass die Männer von einem Militärgericht verurteilt wurden, ohne davor ein faires Gerichtsverfahren erhalten zu haben. Fordern Sie ein faires Verfahren für die Aktivisten vor einem zivilen Gericht. Dringen Sie auf die sofortige und bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen, die sich lediglich in Haft befinden, weil sie von ihrem Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht haben. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch an: Shaikh Hamad bin ’Issa Al Khalifa Office of His Majesty the King P.O. Box 555 Rifa’a Palace Manama, BAHRAIN (korrekte Anrede: Your Majesty / Majestät) Fax: 009 73 - 17 66 45 87 (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft des Königreichs Bahrain S.E. Herrn Ebrahim Mohmood Ahmed Abdulla Klingelhöfer Str. 7, 10785 Berlin Fax: 030 - 86 87 77 88 E-Mail: info@bahrain-embassy.de oder über www.bahrain-embassy.de/kontakt

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Azimjan Askarov ist Direktor der unabhängigen Menschenrechtsorganisation »Vozdukh«. Viele Jahre lang dokumentierte er Fälle von Misshandlungen durch die Polizei in der Region Dschalal-Abad im Süden Kirgisistans. Im August 2010 wurde er wegen des Lagerns von Munition und der Beteiligung an einem Mord angeklagt und später von einem Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Amnesty International betrachtet ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen, der allein wegen seiner legitimen Menschenrechtsarbeit in Haft gehalten wird. Azimjan Askarov wurde am 10. Juni 2010 festgenommen, nachdem er gewaltsame Zusammenstöße zwischen ethnisch kirgisischen und usbekischen Gruppen dokumentiert hatte. Seinen Angaben zufolge wurde er in den ersten drei Tagen der Haft brutal geschlagen. Er soll gezwungen worden sein, den Mord an einem Polizisten »zu gestehen« und andere Personen zu belasten. Im November 2010 brachte man ihn ins Krankenhaus, nachdem er aufgrund der Misshandlungen im Gefängnis zusammengebrochen war. Als ihn im Juni 2011 eine Delegation von Amnesty International im Gefängnis besuchte, erklärte Azimjan Askarov: »Ich sollte nicht hier sein. Sie haben mir und meiner Frau alles genommen, was uns lieb und wert war. Sie haben mein Büro niedergebrannt. Und meinen Bruder so brutal geschlagen, dass er jetzt behindert ist. Meine Frau ist krank und meine Söhne halten sich meist versteckt.« Der Oberste Gerichtshof von Kirgisistan hat im Dezember 2011 die lebenslange Gefängnisstrafe bestätigt. Amnesty International ist in großer Sorge um Azimjan Askarov, weil er sich in schlechter gesundheitlicher Verfassung befinden soll und nicht die erforderliche medizinische Versorgung erhält. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den Präsidenten von Kirgisistan und fordern Sie die sofortige und bedingungslose Freilassung des Menschenrechtlers Azimjan Askarov. Amnesty International betrachtet ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen. Schreiben Sie in gutem Kirgisisch, Russisch, Englisch oder auf Deutsch an: Almazbek Atambaev President Government House Bishkek 720003 KIRGISISTAN Fax: 009 96 - 312 62 50 12 (korrekte Anrede: Dear President / Sehr geehrter Herr Präsident) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft der Kirgisischen Republik S. E. Herrn Dr. Bolot Otunbaev Otto-Suhr-Allee. 146, 10585 Berlin Fax: 030 - 34 78 13 62 E-Mail: info@botschaft-kirgisien.de

BRIEFE GEGEN DAS VERGESSEN

Foto: NTV

Foto: privat

KIRGISISTAN AZIMJAN ASKAROV

RUSSISCHE FÖDERATION ISLAM UMARPASHAEV Islam Umarpashaev wurde am 1. Dezember 2009 aus der Wohnung seiner Familie in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny verschleppt. Am 2. April 2010 kam er wieder frei. Kurz vor seiner Entführung hatte Islam Umarpashaev einen wütenden Kommentar über die tschetschenische Polizei im Internet veröffentlicht. Islam Umarpashaev zufolge wurde er im Keller eines Gebäudes festgehalten, das der tschetschenischen Polizeisondereinheit OMON gehört. Nach seinen Angaben wurde er während der Verhöre geschlagen, misshandelt und bedroht. Amnesty International fordert, dass die Verantwortlichen für die rechtswidrige Inhaftierung und Misshandlung vor Gericht gestellt werden. Islam Umarpashaev kam aufgrund einer einstweiligen Anordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte frei. Den Antrag hatte die russische Menschenrechtsorganisation »Anti-Folter-Komitee von Nischni Nowgorod« beim Gerichtshof eingereicht. Seit seiner Freilassung leben Islam Umarpashaev und seine Familie aus Angst um ihre Sicherheit nicht mehr in Tschetschenien. Angehörige des Ermittlungsteams, das den Fall aufklären soll, sind von der tschetschenischen Polizei bedroht worden. Bitte schreiben Sie höflich formulierte Briefe an den Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, in denen Sie die laufenden Ermittlungen des Ausschusses zum Fall Islam Umarpashaev begrüßen. Weisen Sie darauf hin, dass die Ermittler in der Lage sein müssen, ihre Arbeit uneingeschränkt und ohne Einschüchterungen ausüben zu können. Dringen Sie darauf, dass sie umfassend geschützt werden. Fordern Sie, dass die Verantwortlichen für die Entführung, rechtswidrige Inhaftierung und Misshandlung von Islam Umarpashaev ermittelt und vor Gericht gestellt werden. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch an: Chairman of the Investigation Committee Aleksandr Ivanovich Bastrykin Investigation Committee of the Russian Federation Tekhnicheskii pereulok, dom 2 105005 Moskau RUSSISCHE FÖDERATION (korrekte Anrede: Dear Chairman / Sehr geehrter Herr Vorsitzender) Fax: 007 - 499 265 90 77 oder 007 - 499 265 97 75 (Standardbrief Luftpost bis 20 g: € 0,75) Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an: Botschaft der Russischen Föderation S. E. Herrn Vladimir M. Grinin Unter den Linden 63–65, 10117 Berlin Fax: 030 - 229 93 97 E-Mail: info@Russische-Botschaft.de

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Foto: Ralf Rebmann / Amnesty

AKTIV FÜR AMNESTY

Zeichen des Protestes. Aktionstag in Berlin vor dem Brandenburger Tor, 11. Februar 2012.

GLOBALER AKTIONSTAG FÜR DIE MENSCHENRECHTE

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Zahlreiche Passanten zeigten sich interessiert und unterschrieben unsere Petition, einige von ihnen stellten sich sogar spontan zu der Gruppe und ließen sich mit ihr fotografieren, darunter mehrere Ägypter. Auch in anderen Ländern beteiligten sich Amnesty-Aktivisten an dem Aktionstag. So fanden beispielsweise in London eine Großdemonstration und in Bern eine Luftkunstaktion statt. Text: Christopher Schwarzkopf

Foto: Susanne Keller / Amnesty

Am 12. Februar 2012 jährte sich zum ersten Mal der Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak. Amnesty International hatte aus diesem Anlass zu einem weltweiten Aktionstag aufgerufen, um auf die nach wie vor besorgniserregende Menschenrechtssituation in Ägypten und anderen Ländern des Mittleren Ostens und Nordafrikas aufmerksam zu machen. In Berlin versammelten sich am 11. Februar rund 30 Amnesty-Aktivisten vor dem Brandenburger Tor und forderten auf Bannern und Plakaten ein Ende der Militärgerichtsverfahren gegen Zivilpersonen in Ägypten. Als Zeichen ihres Protests hatten sie sich Aufkleber auf den Mund geklebt: »Ich sage nein zu Militärprozessen gegen Zivilisten!« In Ägypten wurden allein zwischen Februar und August 2011 mehr als 12.000 Zivilisten vor Militärgerichten angeklagt und in unfairen Schnellverfahren teilweise zu langen Haftstrafen verurteilt. Viele von ihnen hatten lediglich friedlich für politische Reformen und die Einhaltung der Menschenrechte demonstriert. Mit der Aktion, die von der Ägypten-Kogruppe und dem Berliner Bezirk organisiert worden war, sollte die deutsche Öffentlichkeit für das Problem sensibilisiert werden. Sie war aber auch als Zeichen der Solidarität für die Menschen gedacht, die sich in Ägypten für ihre grundlegenden Rechte einsetzen und dabei ihre Freiheit oder sogar ihr Leben riskieren. Die Forderungen nach Abschaffung der Militärgerichtsverfahren waren daher nicht nur in deutscher, sondern auch in arabischer Sprache zu lesen.

»Befreiung«. Amnesty-Aktion auf dem Münsterplatz in Bern.

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MÜNCHEN Am 22. Februar 1943 wurden die Mitglieder der

Widerstandsgruppe »Weiße Rose«, die Geschwister Hans und Sophie Scholl, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Anlässlich ihres 69. Todestages stellten am 24. Februar zwei Amnesty-Gruppen aus München mehrere Kurzfilme vor, in denen sich zahlreiche Münchner Prominente für die weltweite Ächtung der Todesstrafe einsetzen. An den Filmen beteiligten sich neben Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, der Regisseur Michael Verhoeven, der Musiker Konstantin Wecker, die Kickbox-Weltmeisterin Christine Theiss, der Fußballprofi Bastian Schweinsteiger sowie die Band Blumentopf, die bei der Premierenfeier spielte. Das Statement der Musiker: »Amnesty schafft es immer wieder, Todeskandidaten weltweit einen Namen und eine Geschichte zu geben und für ihre Rechte zu kämpfen.« Die Kurzfilme sind in Kooperation mit Amnesty und dem Regisseur Hendrik von Bentheim entstanden und in Münchner Kinos und auf YouTube zu sehen.

AKTIV FÜR AMNESTY

Durch ganz unterschiedliche Veranstaltungen geben Amnesty-Mitglieder den Opfern von Menschenrechtsverletzungen eine Stimme. Diese Aktionen vor Ort sind ein unentbehrlicher Teil der Arbeit von Amnesty International. Mehr Informationen darüber finden Sie auf www.amnesty.de/aktiv-vor-ort und www.amnesty.de/kalender

IMPRESSUM Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn, Tel.: 0228 - 98 37 30, E-Mail: Info@amnesty.de, Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redaktion Amnesty Journal, Postfach 58 01 61, 10411 Berlin, E-Mail: journal@amnesty.de (für Nachrichten an die Redaktion) Redaktion: Bernd Ackehurst, Markus N. Beeko, Anton Landgraf (V.i.S.d.P.), Larissa Probst, Ralf Rebmann Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Daniel Bax, Bernhard Clasen, Amke Dietert, Hauke Friederichs, Wolfgang Grenz, Shelina Islam, Mathias John, Osia Katsidou, Jürgen Kiontke, Heike Kleffner, Kristin Kupfer, Robert Lindner, Bernhard Moltmann, Barbara Oertel, Wera Reusch, Wolfgang Roth, Uta von Schrenk, Christopher Schwarzkopf, Maik Söhler, Katharina Spieß, Michelle Trimborn, Andreas Unger, Wolf-Dieter Vogel, Sarah Wildeisen Layout und Bildredaktion: Heiko von Schrenk / schrenkwerk.de Druck: Hofmann Druck, Nürnberg Vertrieb: Carnivora Verlagsservice, Berlin Bankverbindung: Amnesty International, Kontonr. 80 90 100, Bank für Sozialwirtschaft (BfS), Köln, BLZ 370 205 00 Das Amnesty Journal ist die Zeitschrift der deutschen Sektion von Amnesty International und erscheint sechs Mal im Jahr. Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Nichtmitglieder können das Amnesty Journal für 30 Euro pro Jahr abonnieren. Für unverlangt eingesandte Artikel oder Fotos übernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder. Die Urheberrechte für Artikel und Fotos liegen bei den Autoren, Fotografen oder beim Herausgeber. Der Nachdruck von Artikeln aus dem Amnesty Journal ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt. Das gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Mailboxen, für die Verbreitung im Internet oder für Vervielfältigungen auf CD-Rom.

ISSN: 1433-4356

AKTIV FÜR AMNESTY

WOLFGANG GRENZ ÜBER

KLEINE ERFOLGE

Zeichnung: Oliver Grajewski

PROMINENTE GEGEN DIE TODESSTRAFE

Zweimal habe ich bisher persönlich mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gesprochen. Das erste Mal im Juni vergangenen Jahres. Auf einer Podiumsdiskussion forderte ich von ihm, Flüchtlinge aus Nordafrika aufzunehmen. Es ging um Menschen, die schon zweimal geflohen waren: Erst vor Verfolgung aus dem Sudan, aus Somalia und Eritrea nach Libyen, dann vor den Kämpfen in Libyen nach Tunesien und an die Grenze zu Ägypten. Dort hausten sie unter elenden Bedingungen in Lagern. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hatte ihre Fälle schon geprüft und suchte dringend Aufnahmeländer. Aber für Friedrich kam die Aufnahme nicht infrage. Menschenrechtsarbeit ist oft das Bohren dicker Bretter. Manchmal sind Erfolge erst nach Jahren oder Jahrzehnten zu erkennen. Die Abschaffung der Todesstrafe ist so ein Fall. Als wir 1977 die Kampagne zur Abschaffung begannen, töteten noch die meisten Staaten wie selbstverständlich im Namen des Rechts. Nur 16 hatten die Todesstrafe abgeschafft. Heute sind es 140 Staaten. Zum Glück müssen wir nicht auf jeden Fortschritt so lange warten. Immer wieder können wir kleine Verbesserungen erreichen, immer wieder können wir einzelnen Menschen schnell helfen. Ein solcher kleiner Erfolg zeichnete sich ab, als ich nach vier Monaten zum zweiten Mal mit dem Bundesinnenminister sprach. Noch immer suchte das UN-Flüchtlingshilfswerk dringend Aufnahmeplätze für die in Nordafrika gestrandeten Flüchtlinge. Zusagen wollte Friedrich immer noch nicht machen, aber der Ton hatte sich geändert. Und tatsächlich: Einen Monat später sagte Deutschland dem UNHCR in den kommenden drei Jahren jeweils 300 Plätze zu. Auch einigen Flüchtlingen, die immer noch an den Grenzen zu Libyen festsitzen, wird damit geholfen. Ein kleiner Erfolg. Es ist noch nicht das dauerhafte Aufnahmeprogramm, das Amnesty seit Jahren fordert. Und schon drängen die ersten Bundesländer darauf, das Programm nach den drei Jahren nicht zu verlängern. Eine beschämende Haltung. Andere Staaten stellen dem UNHCR seit Jahren deutlich mehr Plätze für bedrohte Flüchtlinge zur Verfügung. Trotzdem: Ein kleiner Erfolg, der für 900 Menschen eine große Hoffnung bedeutet. Wolfgang Grenz ist amtierender Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion.

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