"Behandelt uns endlich wie Menschen"

Page 1

»BEHANDELT UNS ENDLICH WIE MENSCHEN« ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR


2 / ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR

»Bitte helfen Sie uns, unsere Firma … zahlt uns seit vier Monaten keinen Lohn. Wir haben kein Geld für Essen. Wenn wir zu den Behörden gehen, verlieren wir vielleicht unseren Job. Bitte leiten Sie diese Mail an jemanden weiter, der uns helfen kann.« Diese E-Mail erhielt Amnesty International im Juli 2013 von Arbeitern in Katar.

In Katar arbeiten gut 1,46 Millionen ausländische Staatsangehörige mehrheitlich aus asiatischen Ländern wie Bangladesch, Indien, Nepal, Pakistan, den Philippinen und Sri Lanka. Damit sind rund 94 Prozent aller Arbeitskräfte des Landes Arbeitsmigranten. 1 Die Bevölkerung des Landes wächst beachtlich, vor allem weil Arbeitsmigranten zu Niedriglöhnen an-

geheuert werden, um Infrastrukturprojekte umzusetzen. Dieser Trend wird vermutlich noch zunehmen, da sich Katar als Austragungsort auf die Fußballweltmeisterschaft 2022 vorbereitet. Vor diesem Hintergrund sind wirksame Gesetze, Mechanismen und Praktiken zum Schutz der Menschenrechte von Arbeitsmigranten wichtiger denn je.

EINIGE DER WICHTIGSTEN HERKUNFTSLÄNDER DER ARBEITSMIGRANTEN IN KATAR

Arbeitsmigranten in Katar sind einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen durch ihre Arbeitgeber ausgesetzt. Die Amnesty-Recherchen haben ergeben, dass Arbeitsmigranten im Bausektor weitverbreiteter Ausbeutung durch ihre Arbeitgeber ausgesetzt sind. Die hohe Zahl der Hilfsgesuche bei den Botschaften der Herkunftsländer in Katar lässt

Foto oben: Elf Männer aus Indien und Sri Lanka warten im Justizministerium Katars darauf, Dokumente zu unterzeichnen, in denen fälschlicherweise behauptet wird, dass sie bezahlt worden seien. Nur dann erhalten sie die Papiere, die sie zum Verlassen des Landes benötigen. Die Männer wurden seit acht Monaten nicht für ihre Arbeit bezahlt, wollten aber dennoch unbedingt nach Hause. Sie berichteten Amnesty International, dass sie seit zwei Tagen nichts gegessen hätten und es in ihren Unterkünften weder Strom noch sauberes Wasser gebe. Doha, 2013. © Amnesty International 1

Die Farben zeigen lediglich an, wer die Verwaltungskontrolle über ein Territorium innehat, und sind kein Ausdruck der Haltung von Amnesty International zu umstrittenen Landesgrenzen. © Amnesty International

Wir verwenden im Folgenden durchgehend die männliche Schreibweise für Arbeitsmigranten, da im Bausektor überwiegend Männer beschäftigt sind. In dem Abschnitt, in dem die Lage der Hausangestellten untersucht wird, verwenden wir durchgehen die weibliche Schreibweise, da in diesem Sektor der Anteil der Frauen überwiegt.


ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR / 3

darauf schließen, dass eine erhebliche Anzahl von Hausangestellten unter schlechten und menschenrechtsverletzenden Bedingungen arbeitet. In manchen der von Amnesty International untersuchten Fälle geht es um Zwangsarbeit und Menschenhandel. In Katar angekommen stellen einige Arbeitsmigranten fest, dass die Art der Tätigkeit, die Entlohnung, die Zahl der Arbeitsstunden und die Arbeitsbedingungen ganz anders aussehen, als ihnen von den Vermittlungsagenturen zugesagt wurde. Viele Arbeitsmigranten erhalten ihren Lohn entweder verspätet oder gar nicht. Gleichzeitig kann die ihnen vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Unterkunft einen erschreckend schlechten Zustand aufweisen. Das katarische Sponsorengesetz (siehe dazu unten) räumt den Arbeitgebern eine Machtposition ein: Sie können verhindern, dass ausländische Arbeitnehmer den Arbeitsplatz wechseln oder das Land verlassen. So sind Arbeitsmigranten unter Umständen buchstäblich im Land gefangen. Wenn Arbeitgeber nicht sicherstellen, dass die Aufenthaltsgeneh-

migungen der Arbeitsmigranten verlängert werden, riskieren diese bei Polizeikontrollen auf der Straße festgenommen zu werden, weil sie dann als »illegale« Arbeiter gelten.

angestellte gilt es von vornherein nicht. So werden Arbeitgeber, die sich menschenrechtswidrig verhalten, nur selten zur Verantwortung gezogen.

Die mangelnde Achtung der Rechte von Migranten in Katar kann ausländische Beschäftige und ihre von ihnen abhängigen Familien im Herkunftsland in eine ernste und dauerhafte Notlage bringen. Amnesty International hat Arbeiter getroffen, die nicht ausreichend zu essen hatten und unter menschenunwürdigen Bedingungen lebten, ohne Strom und sauberes Trinkwasser oder angemessene sanitäre Einrichtungen. Für viele Menschen, mit denen Amnesty International gesprochen hat, endet der Alptraum auch nicht mit der Rückkehr in ihr Herkunftsland. Denn sie kehren, nachdem sie monate- oder jahrelang im reichsten Land der Welt gearbeitet haben, ohne ihren Lohn und verschuldet zurück.

Die katarische Regierung hat in der Vergangenheit immer wieder Absichtserklärungen zum Schutz von Arbeitsmigranten abgegeben – zuletzt Mitte Mai 2014. Die angekündigten Reformen bleiben jedoch hinter den notwendigen grundlegenden Änderungen und den geltenden internationalen Standards zurück. Auch wurde kein konkreter Zeitplan genannt, wann die angekündigten Maßnahmen umgesetzt werden.

Das Arbeitsgesetz, das Arbeitsmigranten vor solch einer Ausbeutung schützen soll, wird nur sehr unzureichend durchgesetzt und für bestimmte Arbeitnehmer wie Haus-

Die vorliegende Broschüre geht auf zwei besonders gefährdete Gruppen ein: Bauarbeiter und Hausangestellte. Wir legen dar, wie die gesetzlichen Bestimmungen in Katar Arbeitsmigranten der Gefahr des Missbrauchs aussetzen und Menschenrechtsverstöße durch Arbeitgeber begünstigen. Amnesty-Experten haben Katar besucht und Interviews mit Arbeitsmigranten und ihren Unterstützern, Arbeitsagenturen, einstellenden Firmen und Regierungsvertretern geführt. Auf der Basis der Ermittlungs-


4 / ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR

ergebnisse fordert Amnesty International die Behörden von Katar auf, eine Reihe von grundlegenden Empfehlungen umzusetzen, um die Menschenrechte aller in Katar arbeitender Migranten zu schützen.

DAS SPONSORENGESETZ »Das Sponsorensystem an sich erhöht die Abhängigkeit der Arbeitsmigranten von Sponsoren und setzt sie der Gefahr verschiedener Arten der Ausbeutung und des Missbrauchs aus.« Abschließende Beobachtungen des UN-Ausschusses für die Beseitigung jeder Form rassistischer Diskriminierung, Katar, März 2012.

Ausländische Arbeitnehmer unterliegen ausnahmslos den Bestimmungen des Sponsorengesetzes von 2009.

Das Sponsorensystem bindet Arbeitsmigranten an einen einzigen »Sponsor«, der auch der Arbeitgeber sein muss – eine Person oder eine Firma mit Sitz in Katar. Im Rahmen dieses Gesetzes können Arbeitgeber verhindern, dass die bei ihnen beschäftigten Menschen die Stelle wechseln oder das Land verlassen. Arbeiter erhalten ohne die Kooperation ihres Arbeitgebers weder eine unter der Bezeichnung »ID« bekannte Aufenthaltserlaubnis noch eine Verlängerung derselben. Eine Aufenthaltserlaubnis muss pünktlich verlängert werden. Wenn ein Arbeitgeber dies nicht tut, droht die Verhängung einer Geldstrafe. Um aus Katar ausreisen zu können, muss die Geldstrafe beglichen sein. Ist der Arbeitgeber nicht willens oder in der

Lage, die Geldstrafe zu bezahlen, muss der Arbeitsmigrant sie begleichen, um das Land verlassen zu können. Arbeitsmigranten ohne diese Aufenthaltserlaubnis laufen ständig Gefahr, festgenommen zu werden. Die Arbeitgeber müssen den bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmern den Pass wieder aushändigen, sobald sie die Aufenthaltserlaubnis für sie erhlten haben. Doch die überwiegende Mehrheit der Arbeitgeber behält die Pässe der Migranten ein, was einen Verstoß gegen das Sponsorengesetz darstellt. Laut Innenministerium können die Betroffenen Anzeige erstatten, wenn der Arbeitgeber ihren Pass rechtswidrig einbehält. Doch in vielen Fällen beschleunigt sich die Rückgabe des Passes nicht durch eine Anzeige beim Ministerium.


AMNESTY INTERNATIONAL

ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR / 5

Arbeitsmigranten an einem Freitag, ihrem freien Tag, in Dubais Industriegebiet, 2013. © Amnesty International

Das Prozedere zur Ausreise, wenn der Arbeitgeber die schriftliche Zustimmung zur Ausreise nicht erteilen will oder kann, ist undurchsichtig, kompliziert und langwierig. Selbst Mitglieder der katarischen Regierung haben bereits öffentlich eingeräumt, dass es unhaltbar ist, dass der Arbeitgeber der Ausreise eines Arbeitsmigranten zustimmen muss. Das Nationale Menschenrechtskomitee von Katar hat bei Sponsoren »negative Praktiken« festgestellt, »die Beschäftigten grundlos das Recht auf eine Ausreiseerlaubnis verweigern«. Dennoch wurde dieses System bei der jüngsten Reform des Sponsorengesetzes im Jahr 2009 nicht geändert.

KEINE AUSREISE OHNE ZUSTIMMUNG DER ARBEITGEBER Das Sponsorengesetz schreibt vor, dass Arbeitsmigranten eine schriftliche Zustimmung ihrer Arbeitgeber zur Ausreise vorweisen müssen, um das Land verlassen zu können. Das bringt Beschäftigte in ein Abhängigkeitsverhältnis zu dem Arbeitgeber, der dadurch willkürlich verhindern kann, dass Arbeitsmigranten in ihrem Jahresurlaub oder nach Ende des Vertrags nach Hause reisen. Diese Vorgabe ermöglicht es Arbeitgebern zudem, die Beschäftigten unter dem Vorwand, die Vorbereitung zu ihrer Ausreise liefen bereits, weiterarbeiten zu lassen. Dass der Arbeitgeber der Ausreise zustimmen muss, hält zudem viele Arbeiter davon ab, im Fall von Missbrauch gegen ihre Arbeitgeber vorzugehen.

Amnesty International ist der Ansicht, dass das Erfordernis der Ausreiseerlaubnis seitens des Arbeitgebers eine Verletzung des Rechts auf Bewegungsfreiheit darstellt und die Verletzung von Arbeitnehmerrechten begünstigt.

DAS ARBEITSGESETZ UND DER ZUGANG ZUM RECHTSSYSTEM Das katarische Arbeitsgesetz von 2004 und die dazugehörigen Erlasse gewähren Beschäftigten bedeutenden rechtlichen Schutz. Doch mehrere große Gruppen von Arbeitsmigranten, unter ihnen die Hausangestellten, sind explizit davon ausgenommen. Die von den Bestimmungen ausgeschlossenen Beschäftigten genießen keinen Schutz, was die Länge des Arbeitstages, das Recht auf Urlaub und freie Tage, die medizinische Versorgung und eine angemessene Unterkunft sowie den Zugang zu Beschwerdeverfahren im Fall von Menschenrechtsverletzungen angeht.

Doch auch für die darin erfassten Beschäftigten enthält sowohl das Arbeitsgesetz als auch seine Umsetzung gravierende Mängel. So wird zum Beispiel die Durchsetzung des Gesetzes durch den Mangel an Arbeitsinspektoren und die zu geringen Strafen bei schweren Verstößen der Arbeitgeber verhindert. Durch das Gesetz geschützte Beschäftigte, die Beschwerden gegen ihre Arbeitgeber vorbringen, können sich mit ihren Beschwerden an das Arbeitsministerium wenden, das den Fall seinerseits an ein Gericht weiterleiten kann. Doch bis vor Gericht ein Urteil gefällt wird, können viele Monate vergehen, und in dieser Zeit werden die klageführenden Beschäftigten möglicherweise mehrmals aufgefordert, Anhörungen beizuwohnen, die viele Kilometer von ihrem Wohnort entfernt stattfinden. Die vielleicht größte Hürde für Beschäftigte, die Gerechtigkeit vor dem Arbeitsgericht suchen, besteht jedoch in der regelmäßig erhobenen Gebühr für ein Expertengutachten. Sie beläuft sich auf rund 600 Rial (etwa 165 US-Dollar) und entspricht dem Monatsgehalt eines Bauarbeiters. Diese Summe aufzubringen stellt für die meisten Arbeitsmigranten eine schier unüberwindbare Hürde dar, insbesondere dann, wenn Anzeige wegen unterlassener Lohnzahlungen erstattet wird. Amnesty International hat mit vielen Arbeitnehmern gesprochen, die berichteten, dass sie ihre Anzeige fallen ließen, wenn sie aufgefordert wurden, diese Gebühr zu entrichten. Dies sind entscheidende Faktoren, die die Arbeitsmigranten – die in ihrer Mehrheit bis zum Prozessende keinen Lohn erhalten – daran hin-


6 / ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR

Bhupendra, ein Arbeitsmigrant aus Nepal. Katar, März 2013. Nach einem schweren Arbeitsunfall im Juni 2011, durch den er eine bleibende Behinderung davontrug, lebte er ohne Bezahlung in Katar, während er versuchte, mittels der katarischen Justiz eine Entschädigung für seine Verletzung zu erhalten. Im Juli 2013 wurde er schließlich entschädigt und konnte Katar verlassen. © Omar Chatriwala

dern, ein Gerichtsverfahren anzustrengen oder zu Ende zu bringen. Beschäftigte, die bis zum Ende durchhalten, müssen in der Regel mögliche Ersparnisse aus ihrer Zeit in Katar für den Prozess aufwenden oder Geld von Freunden leihen, um Essen kaufen und die Kosten des Gerichtsverfahren begleichen zu können, da es keinerlei Prozesskostenbeihilfe gibt. Das Arbeitsgesetz gestattet es Arbeitsmigranten nicht, Gewerkschaften beizutreten oder sie zu gründen.

Die Regierung soll Berichten zufolge zurzeit die Einrichtung eines Ausschusses in Erwägung ziehen, der Arbeitnehmer und Arbeitgeber »dabei unterstützen soll, ihre im katarischen Arbeitsgesetz verbrieften Rechte wahrzunehmen«. Doch offenbar können nur Staatsangehörige Katars Mitglied des Ausschusses werden. Arbeitsmigranten hätten zwar das Recht zu wählen, könnten sich aber nicht als Ausschussmitglieder zur Wahl stellen lassen. Ein solcher Ausschuss entspräche nicht den internationalen Standards für Vereinigungsfreiheit.

EIN BEISPIELFALL: BAUPROJEKT HOCHSCHULE IN RAS LAFFAN »Ich möchte meine Enttäuschung über die Behandlung von fast 100 indischen Arbeitern zum Ausdruck bringen, die voller Träume nach Katar kamen. Sie haben ihnen nicht nur monatelang den Lohn vorenthalten, sondern sie sogar dazu genötigt, Geld aus Indien zu erbitten, um die Geldstrafe bezahlen und nach Indien zurückkehren zu können.« Brief des stellvertretenden Leiters der indischen Botschaft in Doha an eine Baufirma, 21. Mai 2013.

Die kürzlich erbaute Hochschule für Sicherheit und Gefahrenabwehr in Ras Laffan liegt etwa 50 Autominuten entfernt im Norden der Hauptstadt Doha. Der Gebäudekomplex ist hochmodern, und die katarischen Behörden sind zu Recht stolz darauf. Doch für einige der Arbeitsmigranten aus Indien, Nepal und Sri Lanka, die den Campus mit erbaut haben, wurde die Arbeit zu einer lange währenden Tortur fortgesetzter Menschenrechtsverletzungen. Der Gegensatz zwischen dem, was sie als Arbeiter geleistet haben, und ihrer Behandlung könnte größer

nicht sein. Mitte 2012 stellte die Firma die Entlohnung der Männer ein, die daraufhin nicht wussten, wie sie ihr Essen und die zum Leben notwendigen Dinge bezahlen sollten. Im November 2012 stellten die Männer nach Monaten ohne Bezahlung die Arbeit ein und versuchten, das Land zu verlassen. Die Versprechungen der Fima, dass die Männer Katar verlassen könnten, wurden nicht eingehalten. Die Arbeiter bekamen weder Flugtickets noch eine Ausreiseerlaubnis und ihre Pässe erhielten sie ebenfalls nicht zurück. Das Unternehmen hatte zudem bei den meisten der Arbeiter nicht dafür gesorgt, dass diesen eine gültige Aufenthaltserlaubnis ausgestellt wurde. Deshalb drohten den Arbeitern hohe Geldstrafen und die Festnahme, wenn sie es wagten, sich über die Schwelle ihrer Unterkunft hinauszubegeben. »Die Firma hat meinen Pass. Sie geben ihn mir nicht, solange ich nicht zur Einwanderungsbehörde gehe … dort muss ich 3.000 Rial [etwa 824 US-Dollar] Strafe für

meine im Februar 2011 abgelaufene Aufenthaltserlaubnis bezahlen. Das Unternehmen hat gesagt: ›Bezahle die Geldstrafe, wenn du das Land verlassen willst.‹« Arbeitsmigrant, März 2013.

Die Arbeiter wandten sich mit der Bitte um Unterstützung wiederholt an eine ganze Reihe katarischer Institutionen, darunter auch an das Arbeitsministerium, doch ohne Erfolg. Anfang 2013 saßen zahlreiche Arbeiter immer noch ohne Bezahlung in Katar fest und konnten nicht nach Hause reisen. Als Amnesty International im Februar 2013 mit ihnen


AMNESTY INTERNATIONAL

sprach, waren die Arbeiter sehr verzweifelt. Die psychische Belastung, teils aufgrund ihrer verfahrenen Situation, teils aber auch, weil es vielen Männern nicht mehr möglich war, ihre Familien zu Hause zu unterstützen, war ihnen deutlich anzumerken. »Meine Frau weint jeden Tag und sagt, ich soll nach Hause kommen … Wir haben große finanzielle Schwierigkeiten. Auch meine Kinder fragen jeden Tag, wann ihr Vater nach Hause kommt.« 44-jähriger indischer Schweißer, ehemals bei einer Baufirma angestellt, im Mai 2013.

ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR / 7

Im Februar 2013 wandte sich Amnesty International an das Außenministerium, das Arbeitsministerium und das Innenministerium von Katar sowie an das Nationale Menschenrechtskomitee. Amnesty forderte die Behörden auf, umgehend etwas zu unternehmen, um eine Lösung für die schwierige Lage der Arbeiter zu finden. Anfang März 2013 konnten endlich etwa 30 bis 40 Männer nach Hause zurückkehren. Die meisten mussten eine Geldstrafe und ihr Flugticket selbst bezahlen. Ehe die Firma die Pässe herausgab, verlangte sie von vielen Arbeitern, Papiere zu unterschreiben, denen

zufolge die Männer den gesamten Lohn und weitere Zahlungen erhalten hätten, die die Firma ihnen schuldig war. Das verlangte das Unternehmen, obwohl nur ein geringer Teil der Arbeiter zum Zeitpunkt der Abreise einen Teil der seit Mitte 2012 ausstehenden Löhne erhalten hatte. Die letzten drei Arbeiter konnten erst im Juli 2013 nach Hause zurückkehren, ein Jahr nachdem die Lohnzahlungen an sie eingestellt worden waren.


8 / ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR

3

1 Eine Baustelle in Doha im März 2013. © Amnesty International

1

2 Arbeitsmigranten auf dem Al-Attiyah-Markt in Dohas Industriegebiet an einem Freitagnachmittag im Oktober 2012. Arbeitsmigranten haben normalerweise einen Tag in der Woche frei, in der Regel den Freitag. © Amnesty International 3 Dohas Finanzviertel im März 2013. Die Zeitschrift Forbes veröffentlichte 2012 eine Statistik, in der Katar gemessen am Pro-Kopf-Einkommen das reichste Land der Welt ist. © Amnesty International

4

4 Wohnquartiere von Arbeitsmigranten in Doha. © Richard Messenger 5 Arbeitsmigranten in Dohas Industriegebiet im Oktober 2012. Die meisten Arbeitsmigranten leben in Katar in Camps, weit entfernt von den wichtigsten Geschäfts- und Wohnvierteln. Vielen werden von der katarischen Gesellschaft tief verwurzelte Vorurteile entgegengebracht. © Amnesty International

2

6 Bauarbeiter in Doha. In der boomenden Bauindustrie Katars sind über eine halbe Million Arbeitsmigranten beschäftigt. © Richard Messenger 7 Arbeitsmigrant vor seiner Unterkunft in einem Arbeitscamp, Oktober 2012. Unter Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen nutzte der Arbeitgeber den Bereich vor der Küche und den Schlafräumen der Arbeiterunterkunft zur Lagerung alter Farbe und Baumaterialien. © Shaival Dalal

5


AMNESTY INTERNATIONAL

ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR / 9

6

7


10 / ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR

Unten: Müll stapelt sich in einer Unterkunft für Arbeitsmigranten in Dohas Industriegebiet, März 2013. Das fragliche Unternehmen bezahlte die Müllabfuhr nicht und teilte Amnesty International mit, es habe finanzielle Probleme. © Amnesty International Mitte: Ein Arbeitsmigrant in seinem Schlafquartier mit zur Abreise in sein Herkunftsland gepackten Taschen. Katar, 2012. Die extreme Überbelegung der Arbeiterschlafräume ist üblich. © Shaival Dalal Rechts: Ausländische Bauarbeiter in Doha, März 2013. © Amnesty International

BAUARBEITER Die Schätzungen schwanken, doch man geht davon aus, dass der Bauboom der nächsten zehn Jahre ein Volumen von über 220 Milliarden US-Dollar umfassen wird. Laut der jüngsten Erhebung gab es 2010 insgesamt 2.519 Baufirmen in Katar. Sie beschäftigten zusammen 503.518 ausländische Staatsangehörige, 500.674 Männer und 2.844 Frauen. Bei vielen Großprojekten in Katar ist eine Institution Auftraggeberin, die entweder Teil der Regierung ist oder die enge Verbindungen zur Regierung unterhält. Die Dubaier Wochenzeitschrift The Middle East Economic Digest schätzt, dass die Regierung von Katar zwischen 2012 und 2020 Ausgaben in Höhe von 117,5 Milliarden US-Dollar für Projekte tätigen wird, die der Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2022 dienen, dazu gehören Stadien und grundlegende Infrastrukturprojekte. Das Ausmaß der Bauvorhaben zieht in komplexen Zulieferungsketten neben katarischen Unternehmen auch Firmen aus der ganzen Welt an, um die sehr engen Fristen zur Realisierung der Projekte einhalten zu können.


AMNESTY INTERNATIONAL

Bauarbeiter sind häufig schlechten Lebens- und gefährlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Der Leiter der Trauma-Intensivstation im größten Krankenhaus von Doha erklärte im Februar 2013, dass jedes Jahr mehr als 1.000 Personen mit Verletzungen eingeliefert werden, die sie sich bei Unfällen auf Baustellen zuziehen, rund zehn Prozent der Verletzten trägt dabei eine dauerhafte Behinderung davon. Obwohl die katarischen Behörden Standards für die Unterbringung von Arbeitsmigranten festlegen, sieht die Realität der meisten Beschäftigten ganz anders aus. Überbelegung beispielsweise ist ein weitverbreitetes Problem, so schlafen häufig 10 bis 15 Arbeiter in einem kleinen Raum. Fehlende oder nicht funktionierende Klimaanlagen stellen angesichts von Temperaturen bis zu 45° Celsius eine weitere schwere Belastung dar. Überlaufende Abflüsse und nicht abgedeckte Klärgruben gehören zu häufig festgestellten Missständen. Nicht angemessen sauber gehaltene Wohnanlagen, das Fehlen einer Müllabfuhr und schlecht gewartete Badezimmer und Küchen stellen schon an sich ein Problem dar, führen aber auch zu Insektenbefall und damit Krankheitsgefahren.

ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR / 11

Darüber hinaus tragen verspätete Lohnzahlungen und die negativen Effekte des Sponsorengesetzes dazu bei, dass viele Bauarbeiter unter extrem ausbeuterischen Bedingungen leben und arbeiten. Dem schlechten Umgang mit den Bauarbeitern liegen manchmal kaum verhehlte Vorurteile zugrunde. Amnesty-Mitarbeiter schnappten auf, wie sich der Manager eines Subunternehmens auf ein Schreiben der nepalesischen Beschäftigten in arabischer Sprache mit den Worten »der Brief von den Tieren« bezog. Die Mehrzahl, jedoch nicht alle der Amnesty International gemeldeten Menschenrechtsverletzungen wurden bei den bei kleinen Subunternehmen mit 50 bis 200 Beschäftigten angestellten Arbeitnehmern festgestellt. Amnesty International ist besorgt darüber, dass einige Projektverantwortliche und große Bauunternehmen, darunter auch in Katar tätige multinationale Baufirmen, keine Verantwortung für die Behandlung der auf ihren Baustellen beschäftigten Menschen übernehmen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass internationale Firmen und katarische Organisationen wie das Organisationskomitee der WM 2022 ihre Subunter-

nehmen wirkungsvoll kontrollieren und Menschenrechtsverletzungen unterbinden, die im Rahmen ihrer Bauprojekte geschehen.

EINE AUFSCHLUSSREICHE STATISTIK

90%

der im Baugewerbe beschäftigen Migranten wurde die Rückgabe ihres Passes von ihrem Arbeitgeber verweigert.

56%

hatten keine staatliche Krankenkassenkarte, die nötig ist, um staatliche Krankenhäuser aufsuchen zu können.

21%

erhielten ihren Lohn »manchmal, selten oder nie« pünktlich.

20%

erhielten nicht den ihnen zugesicherten

Lohn.

15%

arbeiteten in anderen als den ihnen zugesicherten Jobs. Quelle: Erhebung unter 1.189 Niedriglohnbeschäftigten in Katar im Rahmen einer vom Nationalen Forschungsfonds Katar 2012 durchgeführten Studie.


12 / ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR

HAUSANGESTELLTE »Was ich sagen würde, wenn ich eine Bitte äußern könnte? Behandelt uns wie Menschen.« Hausangestellte in einem Gespräch mit Amnesty International einen Monat nachdem sie ihre Arbeitgeberin verlassen hatte, Doha, Oktober 2012.

Rund 132.000 Menschen, darunter etwa 84.000 Frauen, waren laut der Volkszählung 2010 in Haushalten beschäftigt. Die Kombination von Sponsorengesetz, Ausschluss von den Bestimmungen im Arbeitsgesetz und physischer Isolation durch das Arbeiten im Haushalt der Arbeitgeberin erhöht das Risiko von Menschenrechtsverletzungen für Hausangestellte. Zudem sehen sich Hausangestellte in noch größerem Maße als andere Arbeitsmigranten Hindernissen gegenüber, wenn es darum geht, Zugang zur Justiz zu erhalten oder sich aus einer von Missbrauch geprägten Situation zu befreien. »Wir haben bei unseren Untersuchungen unter Hausmädchen und Fahrern, die von ihren Sponsoren weggelaufen sind, festgestellt, dass Misshandlung, häusliche Gewalt,

Überarbeitung (während des Ramadan) und Siebentagewochen einige der häufigsten Fluchtgründe sind.« Leiter der für die Untersuchung und Verfolgung von Verstößen gegen das Sponsorengesetz zuständigen Abteilung im Innenministerium 2011.

Hausangestellte werden häufig, manchmal auf Grundlage detaillierter Verträge, mit der Zusicherung angeworben, im Achtstundentag und in einer Sechstagewoche gegen einen guten Lohn Kinder zu betreuen. Doch in Katar angekommen, sehen sich die Frauen unter Umständen einer ganz anderen Realität gegenüber: extrem langen Arbeitstagen an sieben Tagen pro Woche, Putzen, Kochen und die Betreuung von vielen Kindern zu einem viel geringeren Lohn. Viele Hausangestellte berichten auch über eine erniedrigende und unmenschliche Behandlung durch ihre Arbeitgeber. Ein besonderes Problem, dem sich in Privathaushalten arbeitende Frauen gegenübersehen, ist geschlechtsspezifische Gewalt, darunter auch sexualisierte Gewalt. Hausangestellte sind in überdurchschnittlichem Ausmaß von der Kriminalisierung außerehelicher sexueller Beziehungen im Straf-

gesetzbuch betroffen. Das geht so weit, dass gegen manche Frauen, die den Behörden eine Vergewaltigung anzeigen, Ermittlungen wegen »außerehelicher Beziehungen« aufgenommen werden. Eine Frau berichtete Amnesty International sogar, dass sie im Februar 2012 die Polizei gerufen hatte, unmittelbar nachdem ein Einbrecher sie im Haus ihrer Ar-

GRACE, 20 JAHRE, AUS EINEM AFRIKANISCHEN LAND Die 20-jährige Afrikanerin Grace (der Name wurde geändert) kam 2012 nach Katar, um bei einer europäischen Arbeitgeberin als Hausangestellte zu arbeiten. Sie berichtete Amnesty International, dass sie mit ihrer zukünftigen Arbeitergeberin gesprochen habe, ehe sie ihr Heimatland verließ, und diese ihr 800 Rial (etwa 220 US-Dollar) Monatslohn und einen freien Tag pro Woche zugesichert hatten. Doch als sie in Katar ankam, teilte ihre Arbeitgebe-

rin ihr mit, dass sie ihr nur 730 Rial (etwa 200 US-Dollar) bezahlen werde und sie keinen freien Tag habe. Ihr wurde zwischen August 2012 und März 2013 nur zweimal gestattet, das Haus zu verlassen, um zur Kirche zu gehen. Als Amnesty International im März 2013 mit Grace sprach, hatte sie Lohn für nur drei der sieben Monate erhalten, die sie gearbeitet hatte. Sie hatte ihre Arbeitgeberin mehrfach

gefragt, ob sie nach Hause zurückkehren könne. Doch ihre Arbeitgeberin hatte ihr gesagt, sie werde sie nur gehen lassen, wenn sie ihr die mehr als 700 US-Dollar bezahle, die ihr Flug nach Katar gekostet hatte. Da die Arbeitgeberin ihren Lohn einbehalten hatte, konnte sie diese Summe nicht aufbringen. Die Arbeitgeberin hielt zudem immer noch die Aufenthaltserlaubnis und den Pass von Grace zurück und drohte ihr darüber hinaus mit physischer Gewalt.


AMNESTY INTERNATIONAL

ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR / 13

Links: Arbeitsmigrantinnen in Indonesien auf dem Weg in den Mittleren Osten, Juni 2011. Hausangestellte werden häufig hinsichtlich der zu erwartenden Bezahlung und Arbeitsbedingungen getäuscht. © Reuters / Beawiharta Unten: Eine Arbeitsmigrantin zeigt die ihr von der Arbeitgeberin zugefügten Verletzungen, 2013. Sie berichtete Amnesty International, dass ihre Arbeitgeberin in den 17 Monaten, die sie für sie arbeitete, wiederholt gewalttätig geworden war. © Amnesty International

geber kann fast jeden Aspekt des Lebens einer Hausangestellten kontrollieren, solange sie in Katar ist. Vielen ist es untersagt, das Haus, in dem sie arbeiten, überhaupt zu verlassen. Mehrere Hausangestellte berichteten, dass sie eingesperrt werden, wenn die Arbeitgeberin das Haus verlässt. »In den meisten Fällen gestatten wir es Hausangestellten nicht, ein Mobiltelefon zu besitzen. Wenn die Frauen aus Sri Lanka oder Indonesien ankommen, nehmen wir ihnen die Handys weg. Wenn du ohne Erlaubnis ein Handy kaufst und die Sponsorin erwischt dich mit dem Mobiltelefon, dann glaubt sie, dass du einen Freund hast.« beitgeberin vergewaltigt hatte. Man beschuldigte sie »außerehelicher Beziehungen« und brachte sie für fast vier Monate ins Gefängnis. Im Juli 2013 erfuhr Amnesty International, dass die betroffene Frau immer noch strafrechtlich verfolgt wurde. Eine ordentliche Untersuchung ihrer Vergewaltigungsvorwürfe hatte nach Kenntnis von Amnesty International nicht stattgefunden. Die in den Philippinen für Katar angeworbenen Hausangestellten berichten regelmäßig über falsche Lohnangaben bei der Anwerbung. Eine in Doha lebende Person, die philippinische Migrantinnen in Not unterstützt, berichtete Amnesty International: »Der Vertrag über 400 US-Dollar wird selten eingehalten. Stattdessen wird ihnen ein Ersatzvertrag auf Arabisch vorgelegt und es werden verschiedene Summen abgezogen, zum Beispiel ›Anwerbungsgebühren‹ und

›Gebühren für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis‹.« Zudem berichteten betroffene Frauen, dass die Arbeitsstunden und die Art der Tätigkeit ganz anders waren, als zuvor abgesprochen. Eine derartige Täuschung kann schwere psychische Folgen haben. Mitarbeiterinnen der psychiatrischen Abteilung des Hamad-Krankenhauses teilten Amnesty International mit, dass Angstzustände und Depressionen infolge einer Täuschung hinsichtlich der Arbeitsstelle in Katar die Hauptursache für die Aufnahme von Arbeitsmigranten in dieser Abteilung seien. Jedes Jahr werden rund 30 weibliche Hausangestellte in der Abteilung aufgenommen, mehr als aus jedem anderen Beruf. Der häufigste Grund für die Aufnahme ist ein vorangegangener Suizidversuch. Viele Hausangestellte berichteten, dass sie Erniedrigung und Missbrauch ausgesetzt seien. Der Arbeit-

Vertreterin einer privaten Arbeitsvermittlung in Doha, März 2013.

Wenn Hausangestellte der Arbeitgeberin gegenüber die Bitte äußern, das Arbeitsverhältnis zu beenden, kann dies große Probleme nach sich ziehen. Aus diesem Grund verlassen viele Hausangestellte ihre Arbeitgeberin ohne deren Einverständnis. Dies betrachten die Behörden als »Flucht«. »Als ich sagte, dass ich die Stelle wechseln wolle, erwiderte [meine Arbeitgeberin]: ›Ich bringe dich um, wenn du versuchst, mein Haus zu verlassen‹. Und andere Male, wenn ich sagte, dass ich gehen wolle, weil Madam mich anschrie oder schlug, sagte Madam: ›Wenn du versuchst zu gehen, lasse ich dich zehn Monate ohne Lohn arbeiten.‹« Hausangestellte aus den Philippinen, 2013.

Hausangestellte, die vor dem Missbrauch ihrer Arbeitgeberinnen flüchten, kommen mit größerer Wahr-


14 / ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR

Ein Arbeitscamp der Arbeitsmigranten ohne Strom in al-Khor, März 2013. Der Strom des Arbeitscamps war am selben Tag abgestellt worden, weil der Arbeitgeber die Stromrechnung nicht bezahlt hatte. Im Hintergrund erleuchten Flutlichter das nahe Fußballstadion. In al-Khor sollen zur WM 2022 Gruppenausscheidungsspiele stattfinden. © Amnesty International

MARIA, 24 JAHRE, AUS DEN PHILIPPINEN Die 24-jährige Maria (der Name wurde geändert) reiste 2012 nach Katar, um dort als Hausangestellte zu arbeiten. Sie hatte bei einer Arbeitsvermittlungsagentur in den Philippinen einen Vertrag unterschrieben, der ihr ein Gehalt von monatlich 1.450 Rial (etwa 400 US-Dollar) zusicherte. Als Maria in Katar ankam, wurde ihr mitgeteilt, dass sie nur 800 Rial (etwa 220 US-Dollar) monatlich erhielte. Die Familie, die sie eingestellt hatte, teilte ihr des Weiteren mit, dass sie den Lohn bis zum Vertragsende einbehalten werde. Eine Mitarbeiterin der Einwanderungsbehörde nahm Maria gleich bei ihrer Ankunft in Katar den Pass weg und händigte ihn der privaten Arbeitsagentur aus, als Agenturmitarbeiter Maria am Flughafen abholten. Ihr Mobiltelefon, die Aufenthaltserlaubnis und andere Dokumente wurden ihr bei Ankunft im Haus der Arbeitgeberin weggenommen. Nicht einmal ihre Kleidung durfte sie behalten. Sie musste zu jeder Zeit eine Uniform tragen. Maria erhielt die Anweisung, nicht mit den anderen Hausangestellten zu sprechen und auch mit niemandem zu reden, wenn sie ihre Arbeitgeberin außer Haus begleitete. Alle 14 Tage durfte sie ca. 20 Minuten mit ihrer Mutter telefonieren.

Marias Aufgabe bestand in der Betreuung von drei kleinen Kindern, der Verrichtung von Gartenarbeit und dem Putzen des Hauses. Ihr Arbeitstag begann morgens um 5.30 Uhr und endete um Mitternacht. Sie hatte keinen freien Tag und durfte nicht zur Kirche gehen. Als Ende des Jahres eine der Hausangestellten, ohne Lohn erhalten zu haben, flüchtete, wurde die Arbeitgeberin gegenüber Maria und einer weiteren Angestellten gewalttätig. »Sie war auf das Mädchen wütend, das das Haus verlassen hatte. Sie drückte meinen Kopf in die Toilette und zog mich an den Haaren. Sie sagte, ›steh auf, ich schicke dich zur Agentur‹. Das andere Mädchen weinte ebenfalls. Madam bedrängte auch sie mit Gewalt. Als das Mädchen versuchte wegzugehen, bedrängte die Haushaltsverwalterin sie. Das Mädchen rief, ›Nein, nein!‹ Die Verwalterin bedrängte sie dennoch weiter. Ich habe mich mit den Kindern in der Küche versteckt, denn ich hatte Angst.« Als Maria sich entschloss zu flüchten, arbeitete sie schon fast vier Monate ohne Lohn in diesem Haushalt. Sie berichtete, dass die Agentur ver-

ärgert darüber war, dass sie ihre Arbeitgeberin verlassen hatte, und ihr außerdem mitgeteilt hatte, dass die Arbeitgeberin entschieden habe, sie nicht auf die Philippinen zurückreisen zu lassen. »Sie sagten, dass das Problem sei, dass die [Sponsorin] weder bereit sei, mir ein Ausreisevisum auszustellen noch zu bezahlen. Daraufhin meinte ich, bezahlen Sie das Ticket von meinem Gehalt, aber sie erwiderten, ›Du hast deinen Vertrag nicht erfüllt – du hast nur vier Monate gearbeitet‹ … Sie sagten‚ ›du kannst zwar für jemand anderen arbeiten, aber du hast noch Schulden‹. Ich erwiderte, ich will mein Geld nicht, ich will nur nach Hause.« Als Amnesty International im März 2013 mit Maria sprach, hatte die ehemalige Arbeitgeberin ihr noch immer nicht ihre Sachen und ihre Ausweispapiere ausgehändigt. »Meine Agentur meint, ich solle für eine andere Arbeitgeberin arbeiten, dann bekäme ich meinen Lohn und meinen Pass … Letzte Woche bin ich beim Abschiebezentrum gewesen. Sie haben gesagt, dass ich ohne Pass nicht ausreisen kann.«


AMNESTY INTERNATIONAL

scheinlichkeit in Haft oder werden abgeschoben, als dass sie Unterstützung erfahren. Die große Mehrheit der Frauen in Katars Abschiebezentrum sind ehemalige Hausangestellte. Viele wenden sich an ihre Botschaft. Eine Botschaftsangehörige eines Herkunftslandes berichtete Amnesty International, dass die Hausangestellten »sich in großer Not an die Botschaft wenden und normalerweise darum bitten, in ihr Heimatland zurückkehren zu können, manche bitten aber auch darum, sie bei einem Arbeitsplatzwechsel zu unterstützen«. In der Vergangenheit, zuletzt im Jahr 2010, haben Regierungsvertreter in Katar die Einführung eines Gesetzes angekündigt, dass die »Rechte und Pflichten« von Hausangestellten klären soll. Entscheidende Schritte in diese Richtung sind bislang jedoch nicht bekannt geworden.

EMPFEHLUNGEN Die Regierung von Katar muss: a Das Sponsorengesetz überarbeiten, um der Kontrolle der Arbeitgeber über die von ihnen beschäftigten Arbeitsmigranten ein Ende zu setzen. Dazu gehört, dass Arbeitsmigranten das Land zu dem Zeitpunkt verlassen können, an dem sie es wünschen; a die Arbeitsrechte von Hausangestellten im katarischen Recht festschreiben, indem der Geltungsbereich der Schutzbestimmungen des Arbeitsgesetzes auf sie ausgeweitet wird; a die Schutzbestimmungen im Arbeitsgesetz aktiv in die Tat um-

© Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V. August 2014 V.i.S.d.P. Markus N. Beeko

ARBEITSMIGRANTEN UND -MIGRANTINNEN IN KATAR / 15

ZWANGSARBEIT UND MENSCHENHANDEL Amnesty International hat in Katar mehrere Fälle dokumentiert, bei denen Personen über die Art und Bedingungen der Arbeit getäuscht wurden und nicht aus freien Stücken arbeiteten. Ihre Arbeitgeber benutzten verschiedene Methoden, um dies zu erreichen: das Nichtbezahlen von Löhnen; Einbehaltung von Ausweispapieren und anderem wertvollen persönlichen Eigentum; Täuschung oder falsche Versprechungen über die Art der Arbeit und die Arbeitsbedingungen; die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und das Einsperren am Arbeitsplatz; die Verweigerung der Ausreiseerlaubnis durch den Sponsor. Amnesty International hat ebenso verschiedene Formen von Drohungen der Arbeitgeber gegen Beschäftigte dokumentiert: so zum Beispiel eine finanzielle Bestrafung, wenn nicht gearbeitet wird, oder die Drohung, geschul-

setzen, um Arbeitgeber davon abzuhalten, Arbeitsmigranten zu missbrauchen und auszunutzen und diejenigen zur Verantwortung ziehen, die dies tun.

Das Organisationskomitee der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar und die großen im Land operierenden Baufirmen müssen: a sich öffentlich verpflichten, die Menschenrechte zu wahren und effektive Mechanismen einzuführen, die sicherstellen, dass Missbrauch von Arbeitsmigranten auf ihren Baustellen oder in ihrem Zuständigkeitsbereich erkannt und verhütet wird – dies muss Fälle von Miss-

Redaktion: Mascha Rohner Gestaltung: Heiko von Schrenk / schrenkwerk.de Art. Nr. 11514 Titelbild: Arbeiter in einem Arbeitscamp in Dohas

deten Lohn nicht auszuzahlen; Denunziation bei den Behörden und Abschiebung sowie körperliche Gewalt. Im Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), dessen Vertragsstaat Katar ist, werden zwei grundlegende Elemente der Zwangsarbeit definiert: unfreiwillige Arbeit und die Androhung von Strafe. Das von Katar ratifizierte PalermoProtokoll (UN-Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, insbesondere Menschenhandel) führt Täuschung über die Art und die Bedingungen der Arbeit als Schlüsselelemente von Menschenhandel und Zwangsarbeit auf. In einigen Fällen kommen die Art und das Ausmaß der von Amnesty International dokumentierten Menschenrechtsverletzungen an Arbeitsmigranten der im Völkerrecht definierten Zwangsarbeit oder dem Menschenhandel gleich.

brauch durch andere Akteure, wie Subunternehmen und Zulieferfirmen, einschließen; a umgehende Maßnahmen ergreifen, um Missbrauch zu beenden, wo er stattfindet.

Die Regierungen der Herkunftsländer der Arbeitsmigranten müssen: a ihre Staatsangehörigen vor rücksichtslosen privaten Arbeitsvermittlungsfirmen schützen, die Arbeitsmigranten mit dem Ziel täuschen, dass diese mit falschen Erwartungen Arbeitsangebote in Katar annehmen.

Industriegebiet, März 2013. © Amnesty International Übersetzung der Broschüre »›Treat us like we are human.‹ Migrant workers in Qatar«, November 2013, verbindlich ist das englische Original.


AMNESTY INTERNATIONAL Sektion der Bundesrepublik Deutschland e. V. . Zinnowitzer Straße 8 . 10115 Berlin T: +49 30 420248-0 . F: +49 30 420248-488 . E: info@amnesty.de SPENDENKONTO 80 90 100 . Bank für Sozialwirtschaft . BLZ 370 205 00 BIC: BFS WDE 33 XXX . IBAN: DE 233 702050 0000 8090100

AMNESTY INTERNATIONAL setzt sich auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte für eine Welt ein, in der die Rechte aller Menschen geachtet werden. Die Stärke der Organisation liegt im freiwilligen und finanziellen Engagement von weltweit mehr als 2,7 Millionen Mitgliedern und Unterstützern unterschiedlicher Nationalitäten, Kulturen und Altersgruppen. Gemeinsam setzen sie Mut, Kraft und Fantasie für eine Welt ohne Menschenrechtsverletzungen ein. Amnesty erhielt 1977 den Friedensnobelpreis. Auch Sie können sich engagieren: www.amnesty.de/mitmachen Amnesty International finanziert sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Regierungsgelder lehnt Amnesty ab, um finanziell und politisch unabhängig zu bleiben. Menschenrechtsarbeit ist nicht umsonst. Unterstützen Sie Amnesty! Spendenkonto 80 90 100 Bank für Sozialwirtschaft BLZ 370 205 00 BIC: BFS WDE 33 XXX IBAN: DE 233 702050 0000 8090100

Insbesondere arbeitet Amnesty • für die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen und die Bestrafung der Täter/innen • gegen Folter, Todesstrafe, politischen Mord und das »Verschwindenlassen« von Menschen • für die Freilassung aller gewaltlosen politischen Gefangenen, die aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Religion oder Überzeugung inhaftiert sind • für den Schutz und die Unterstützung von Menschenrechtsverteidiger/innen • für den Schutz der Rechte von Flüchtlingen • für den Schutz der Menschenrechte in bewaffneten Konflikten und für wirksame Kontrollen des Waffenhandels • gegen Rassismus und Diskriminierung • für den besonderen Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen • für die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.