Ein wanderbares Kunstprojekt in Bad Kleinkirchheim
„Es hat wenig Sinn, unsere Schritte in den Wald zu lenken, wenn sie uns nicht darüber hinaus führen.“ Henry David Thoreau [1817–1862] Amerikanischer Natur-Philosoph
Das im Jahr 2013 gestartete Kunstprojekt nock.art setzt auf zeitgenössische Kunst und ihre Auseinandersetzung mit der Landschaft, den in ihr lebenden Menschen und dem Wandern.
Therme, Bewegung und Kunstgenuss nock.art liegt die Idee zugrunde, Wandern in einem ganzheitlichen Sinn weiterzuentwickeln und das Sport- und Naturerlebnis um eine zusätzliche Dimension zu bereichern. Betrachtet man das kontemplative Wesen des Gehens in der Landschaft und die Thermalquellen als logische Einheit, dann fehlt nur ein Element, um zur antiken Badekultur zu gelangen: seelische Zerstreuung in Form von Kunst und Kultur. Vor mehr als 2.000 Jahren bildeten diese drei Bausteine das Fundament für Regeneration von Leib und Seele. nock.art besinnt sich dieser Tradition und schafft eine mutige Neuinterpretation der Qualitäten des Dorfes Bad Kleinkirchheim.
Die Welt ins Dorf holen Arbeiten international renommierter Künstler setzen bei nock.art ungewöhnliche Impulse in der Natur, evozieren Perspektivwechsel beim Betrachter und inspirieren zu neuem Denken.
Wandern auf hohem Niveau Der hohe Qualitätsanspruch ist jedoch nicht nur auf künstlerischer Ebene allgegenwärtig. Die schönsten Touren der Region werden für Wanderer mit sechs speziellen nock.art Wanderwegen noch attraktiver gestaltet. Lesen Sie in der wunderbaren Landschaft der Nockberge und des Kirchheimer Tales wie in einem offenen Buch, tauchen Sie ein, in die Geschichten der Menschen aus der Region und folgen Sie den markanten Orientierungspunkten zielsicher bis zum Endpunkt Ihrer Wanderung. Unvergessliche Erlebnisse wünscht Ihr Stefan Heinisch
„Wenn Berge da sind, weiß ich, dass ich da hinaufgehen kann, um mir von oben eine neue Perspektive vom Leben zu holen.“ Hubert von Goisern
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Das Projekt
Land Art, ursprünglich ein Phänomen der 1960er und 1970er Jahre, hat, wie die Kunst selbst, in den letzten Jahrzehnten eine immense Begriffserweiterung erfahren, der nock.art auch Rechnung trägt.
In Österreich ist Bad Kleinkirchheim als Heilbad, Luftkurort und Skigebiet bekannt. Zukünftig will sich der Ort am Fuß des Nationalparks Nockberge mit dem Kunstprojekt nock.art auch auf der kulturellen Landkarte verorten: Namhafte, internationale, zeitgenössische Künstler werden in einem auf mehrere Jahre angelegten Projekt Kunstwerke – Land Art – im weiteren Umraum der Gemeinde realisieren. Durch Projekte sowie durch einen begleitenden Diskurs, in Form eines interdisziplinären Symposiums, soll Bad Kleinkirchheim nachhaltig als ein Ort für diese Kunstrichtung etabliert werden.
Das Spektrum der beteiligten Künstler reicht deshalb von klassischen Positionen künstlerischer Auseinandersetzung mit der Natur, explizit im Spannungsfeld Naturraum und Museum/ Galerie [Hamish Fulton und Andy Goldsworthy] bis zu – ausgehend von einem erweiterten Naturbegriff – neuen und alternativen Strategien und Handlungsformen. Diese sind oft partizipativ und performativ [AO&], manchmal auch kritisch bis anarchisch [Roman Signer] und haben in der Regel soziale, ökonomische und ökologische Hintergründe [Lois Weinberger]. Zu erwarten sind Kunstwerke, die einerseits den Begriff Skulptur in verschiedene Richtungen öffnen, anderseits als ephemere Eingriffe in die Landschaft oder temporäre Aktionen einer zeitgenössischen Interpretation von Land Art entsprechen. An den unterschiedlichsten Orten entlang der sechs sogenannten „Premium Wanderwege“, die sich auf einer Gesamtlänge von 50 Kilometern erstrecken, entstehen Kunstprojekte. Diese schaffen in der Landschaft Orte der Ruhe und Besinnung, der Konzentration und Meditation, der Irritation und des Nachdenkens.
– AO& | A – Gottfried Bechtold | A – Hamish Fulton | GB – Andy Goldsworthy | UK – Daniel Knorr | RO – Roman Signer | CH – Michael Strasser | A – Ingeborg Strobl | A – Not Vital | CH – Lois Weinberger | A
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Teilnehmende Künstler Stand April 2013
Alle Künstler werden nach Bad Kleinkirchheim eingeladen um Projektideen für 2013 und die nachfolgenden Jahre zu ent wickeln. Diese werden sukzessiv nach Maßgabe der Finanzier barkeit realisiert.
Das Kollektiv arbeitet mit unterschied lichsten Gegebenheiten die es kurz- oder längerfristig verändert. Dabei werden Settings, Raumfolgen und Abläufe ent wickelt, durch die sich außergewöhnliche Bedingungen für Aufenthalt, Kommu nikation und Produktion ergeben.
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AO&
Künstlerkooperative: Philipp Furtenbach * 1975 Feldkirch Philipp Riccabona * 1979 Linz Thomas A. Wisser * 1978 Innsbruck Die Künstler leben in Wien und realisieren ortsspezifische Projekte im urbanen und ländlichen Raum.
AO& haben seit 2008 eine Vielzahl an Projekten im In- und Ausland verwirklicht und bewegen sich dabei in den Feldern Bildende Kunst, Performance, Architektur und Orts-, bzw. Regionalentwicklung. Sie versuchen Kunst und Leben, zu verbinden und verstehen Kunst als Handlungsform. Hinter der Fassade vielseitiger „Dienstleister“ verbirgt sich der aufklärerische Impuls, sowohl Defizite, Potentiale und Fehlentwicklungen von Orten und Räumen aufzuzeigen, als auch Alternativen vorzuschlagen, besser noch solche vorzuführen.
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Vom 29. August 2008 bis zum 20. September 2008 realisierten AO& das Projekt „Leben und Sterben in den Bergen“ im Großen Walsertal, Vorarlberg. Diese Aktion ist exemplarisch, weil in ihrem Verlauf ein breites Spektrum künstlerischer Handlungsformen eingesetzt wurde: Lutzschwefelbrunnen | 2012 Großes Walsertal | Vorarlberg [mit Martin Mackowitz]
– Schaffung eines temporären Lebensraumes und Veranstaltungsortes auf einer Waldlichtung, sowie einer Unterkunft für 25 Personen – Installation eines Wärmespeichers, eines Ofens und eines Kochplatzes, einer Komposttoilette und sanitärer Installationen, eines Fotovoltaik Generators zur Stromerzeugung für Beleuchtung und Sound Systeme – Einladung von Künstlern zu Performances, von akademischen und lokalen Experten zu den Themen Geologie, Biologie, Landwirtschaft, Geschichte und Regionalentwicklung
Die Anlage an der Lutz steht an festgelegten Tagen und Wochen im Jahreskreis für Waschungen und Tauchbäder zur Verfügung. Das heilkräftige Schwefelwasser kommt aus den Buchbodener Trinkwasserquellen und wird durch einen eigens entwickelten Holzofen auf bis zu 40 Grad erhitzt. Das Becken fasst ca. 3000 Liter und bietet Platz für 8 bis 10 Personen. Die runde Liege- und Sitzfläche ist mit dem Becken verbunden und wird ebenfalls mit dem Ofensystem beheizt. Ein zentrales Anliegen der Gruppe ist die Stimulation von Kommunikation. Dabei spielen Herstellung und Verkauf regionaler Lebensmittel [etwa Butterschmalz] und die Zubereitung von Essen eine wichtige Rolle. Das kulinarische Angebot reicht von einfachster Verköstigung bis zu raffinierten 20-gängigen Menüs. Es werden ausschließlich Erzeugnisse und Ingredienzen lokaler Herkunft verwendet.
Mit dem Thema Wasser und der Neuinterpretation von historischer, lokaler Badekultur soll das Walsertal als Aufenthaltsort und Naherholungsgebiet gefördert und gestärkt werden: www.wassertal.at
– Veranstaltung der ersten großen Bürgerversammlung des großen Walsertals – Durchgehende kostenlose Verpflegung [gesponsert] für hunderte Besucher aller Altersstufen und sozialen Klassen www.aound.net 12 | 13
Gottfried Bechtold gehört zu den heraus ragenden Künstlerpersönlichkeiten Öster reichs. Seit mehr als 40 Jahren b eschäftigt er sich im Wesentlichen mit d er Erweiterung des Kunstbegriffs, vor allem im Bereich des Skulpturalen. Seine künstlerischen Wurzeln liegen in der Tradition europäischer und amerikanischer Kunst der 1960er und 1970er Jahre.
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Gottfried Bechtold * 1947 in Bregenz, lebt und arbeitet in Hörbranz und Bregenz im urbanen und ländlichen Raum.
Seit den späten 1960er Jahren hat er sich in Auseinandersetzung mit Land Art, Minimal und Conceptual Art von traditionellen Gestaltungs- und Präsentationsformen gelöst. Er sucht stets den Bezug zur Realität, zu Menschen, zu alltäglichen Prozessen, zu allgemein verständlichen physikalischen Regeln und zu den entscheidenden Faktoren seines Werks, zu Zeit und Raum. Das heißt, dass seine Aktionen, Skulpturen, Filme, Objekte und Textarbeiten immer auf den Betrachter und Benutzer ausgerichtet sind. Er nahm 1972 an der Documenta 5, in Kassel teil. Im Anschluss daran folgten längere Arbeitsaufenthalte und Gastprofessuren im In- und Ausland.
Für das Austria Center Vienna schuf er 1986 mit Monolithen aus fünf Kontinenten, die durch einen sich im Tagesablauf verändernden Laserstrahl verbunden sind, die „Interkontinen tale Skulptur“.1987 wurde diese ohne den Künstlerzu verständigen abgebaut und dabei beschädigt, was zu heftigen aber letztlich ergebnislosen öffentlichen Auseinandersetzungen und bis heute nicht entschiedenen Urheberrechtsstreitigkeiten führte.
Die ursprünglich primär symbolische Ebene seiner Arbeit wird deshalb nicht gänzlich eliminiert – Monolithe aus fünf Erdteilen sind auch in einer Tourismusregion eine verständliche Metapher. Die Steine werden jetzt wieder vor allem als Naturmaterial wahrgenommen, ihre „Individualität“ als Stellvertreter von Kontinenten geht in der Komposition einer Monumentalskulptur auf, die ein weithin sichtbares Zeichen für das Projekt nock.art werden soll.
Mit den seither im Lager liegenden Steinen beabsichtigt er nun für Bad Kleinkirchheim eine Skulptur zu formen, indem er diese, klassisch bildhauerischen Prinzipien folgend, tragend, lastend und stützend zusammenführt. Ihre vorher immaterielle Verbindung mit Laserstrahlen wird in eine sozusagen körperliche übergeführt.
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Fulton, eine solitäre Position in der zeitgenössischen Kunst, unternimmt seit etwa 30 Jahren auf allen fünf Kontinenten ausgedehnte „Walks“. Die daraus resultierenden Erfahrungen verarbeitet er in Werken auf der Grundlage von Aufzeichnungen und Fotos, die er auf den Wanderungen gemacht hat. „No Walk, no Art“, beschreibt er seine Arbeitsweise. Sein Anliegen ist es, die Erscheinungsvielfalt ursprünglicher und unmittelbarer Beziehungen des Menschen zur Erde in einer allgemeingültigen künstlerischen Form zu verdichten. Jede seiner Wanderungen führt zu einem Werk oder Werkkomplex für Museen und Galerien.
Max Reine Claude | 2006
Personale Kunsthaus Bregenz | 2006
Bechtolds eleganten Abstraktionen menschlicher Torsi erweisen sich bei näherer Betrachtung als Objets Trouvées, als aus Bäumen geschnittene, entrindete und geglättete Naturstücke. Er relativiert damit die Begriffe natürlich und künstlich, in noch gesteigerter Form mit den polierten Abgüssen.
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Hamish Fulton * 1946 London, lebt und arbeitet in Canterbury, England.
Bechtolds Haltung der Natur gegenüber ist grundsätzlich die eines aufmerksamen, aber passiven Beobachters, wie man aus dem Zustand der Umgebungen seiner Wohn und Arbeitsstätten schließen darf, einer gleichzeitig friedlichen und kunstvollen Symbiose zwischen Zivilisation und Natur. Steinlager des Vaters [Steinmetz] und des Onkels [Bildhauer] im Garten des Künstlers.
Schon die Wanderung selbst freilich begreift er als Werk. Es konstituiert sich in den Polen von Anspannung und Entspannung, von Konzentration und Ablenkung, von Anstrengung und Erholung, von Erfahrung und Erlebnis. Hamish Fulton sucht Einsichten, nicht Aussichten.
www.gottfriedbechtold.at 16 | 17
„Meine Kunst ist ein passiver Protest gegen urbane Gesellschaften, die Menschen der Natur entfremden.“ Hamish Fulton
Das Wandern wird zur Vergewisserung der eigenen Person. Deshalb stellt er sich immer wieder neue Aufgaben. Einmal bewegt er sich mit meditativer Gelöstheit tagelang durch Schottland, ein anderes Mal geht er im Himalaya durch Wochen an seine körperlichen Grenzen oder er zählt mit der Genauigkeit des Landvermessers jeden Schritt eines Tages: 33 210 am 10. Oktober 1991 um den Berg Hiei in Japan – eine Wanderung, die er später in ein dichtes Bild aus ebenso vielen Punkten übersetzt. Seine vielfältigen Erfahrungen gibt der Künstler bei exakt geplanten und choreographierten thematischen „Walks“ auch an das Publikum weiter.
Man hat Fulton zur „Land Art“ gezählt, jener Kunst, für die im Nichts einer Wüste ein paar Steine neu arrangiert werden oder auch tonnenweise Sand und Erde umgewälzt, bis neue Landstriche entstehen. Doch Fulton rührt nicht an der Welt. Land Art, sagt er, ist der Natur gegenüber respektlos. Er will nichts verändern, weigert sich, irgendetwas zu bewegen oder gar Fundstücke mit zurückzubringen, um sie in einer Galerie, zu Ornamenten arrangiert, auszustellen. „Natur ist Natur, und meine Kunst ist meine Kunst“, sagt er.
Hamish Fulton am Himalaya Untitled 2011 Giclee-Druck Edition 4 50,36 x 44,5 cm Alle Abbildungen Courtesy Galerie Häusler Contemporary Zürich
Hamish Fulton Limmat Art Walk 23. Juni 2012 Einer seiner wenigen Public Walks im Rahmen von „Art and The City“ Zürich www.hamish-fulton.com 18 | 19
Andy Goldsworthy ist ein außerordentlich innovativer britischer Künstler, durch dessen Kollaboration mit der Natur einzigartige, persönliche und intensive Kunstwerke entstehen. Mit einer unendlich scheinenden Auswahl an Naturmaterialien – Schnee, Eis, Blätter, Rinde, Felsen, Tonerde, Federn, Blütenblätter, Zweige – erschafft er Freiland Skulpturen, die einen empathischen Kontakt mit der Naturwelt offenbaren. Bevor die Arbeiten verschwinden, und sehr oft verschwinden sie, hält er sie in Farbfotographien fest.
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Andy Goldsworthy * 1956 in Cheshire, England, lebt und arbeitet in Penpoint, Schottland. Einer der international profiliertesten Vertreter der Land Art.
Ganz bewusst entwickelt er die Spannung seiner Arbeiten aus den Materialien und Gegebenheiten die er an Orten vorfindet. Er lässt sich nicht davon abschrecken, dass sie sich verändern, etwa durch Wetterschwankungen, die einen spektakulären Eisbogen wegschmelzen lassen oder ein delikates Grasgebilde wegwaschen könnten.
© Andy Goldsworthy Courtesy of Jupiter Artland
Auch wenn es nicht seine primäre Absicht ist Markierungen in der Landschaft zu hinterlassen, schafft der Künstler neben poetischen Werken auch eindrucksvolle Demonstrationen des Aufeinandertreffens von Gegensätzen und Kräften der Natur, wenn sich etwa tonnenschwere Steine in den Stämmen des Niederwalds verkeilen [Stone Coppice] oder Mutter Erde im perfekt gebauten Steinhaus die Haut bis auf den nackten Fels vom Leibe gerissen wird [Stone House – Bonnington].
„Im besten Fall kann ich durch eine Berührung in das Herz der Natur sehen; an den meisten Tagen komme ich nicht einmal in die Nähe davon.“ Andy Goldsworthy 20 | 21
Daniel Knorrs konzeptuelle, im weitesten Sinn bildhauerische Arbeit zeichnet sich durch inhaltliche Komplexität, Materialvielfalt und formalen Erfindungsreichtum aus. Sie folgt keinen stilistischen Vorgaben, sondern entwickelt sich reaktiv aus unterschiedlichsten Gegebenheiten und Situationen in Kunsträumen, im öffentlichen Raum oder in freier Natur. Daniel Knorr vertrat 2005 Rumänien bei der Biennale in Venedig. Er realisierte zahlreiche Arbeiten im öffentlichen Raum und hatte repräsentative Ausstellungen in renommierten Häusern.
Goldsworthy realisiert Ausstellungen und Werke in der ganzen Welt. Er arbeitet sowohl in Naturparks [1998, „Water Cairns“, eine Strecke mit Steinmalen im Wasser in Dignes Les Bains, Frankreich; 2009, Schutzhütten für Wanderer mit Skulpturen im Inneren, über eine Strecke von 150 km verteilt, im Naturschutzgebiet Haute Savoie, Frankreich] als auch in Außenräumen von Museen und in Skulpturenparks [2008, Yorkshire Sculpture Park; 2008 „Spire und Wood Line“ im Parc Presidio, San Francisco].
| Skulptur Andy Goldsworthy im Royal Botanic Garden in Edinburgh | Scotland © J Brew Commons.Wikimedia.org
Andy Goldsworthy's sheepfolds Crook | Lake District | 2006 Wenn der Baum wächst, bricht der Felsbrocken. © Dave Bleasdale Commons.Wikimedia.org
Daniel Knorr * 1968 Bukarest, lebt und arbeitet in Berlin.
Explosion | 2012 in Wien realisiert ist ein prägnantes Beispiel für Knorrs Verständnis von Skulptur und Materialität, aber auch für des Künstlers Sensorium für gesellschaftliche und politische Realitäten einer globalen Welt: das Motiv explizit antiskulptural, das Material feine Stahlwolle, das Thema hochaktuell.
www.goldsworthy.cc.gla.ac.uk 22 | 23
Zitat
Die Zeichenhaftigkeit und klare Form seiner Werke kontrastieren in der Regel mit seinem dicht geflochtenen Bedeutungshintergrund. So ist beispielsweise sein
Der Vorschlag Daniel Knorrs für Bad Kleinkirchheim besteht in einem, vom Material Hohlziegel angeregten, Werktypus mystischer Höhlen und Kammern. Die Begriffe „natürlich“ und „künstlich“ verschwimmen in den effektvollen Strukturen dieser Arbeiten, die durch gezieltes Aufbrechen der Ziegelkammern erzeugt werden.
„Bonhomme“ einerseits ein Archetyp des „lustigen Gesellen“ oder des monumentalen, aber gemütvollen Wächters, andererseits eine Metapher für Vergänglichkeit, den Wechsel der Jahreszeiten und der Zyklen unseres Lebens. Die vielfach an verschiedensten Orten in unterschiedlichen, dort vorgefundenen Materialen und Größen variierten „Bonhommes“ sind zu einer Art Markenzeichen des Künstlers geworden, der sie auch als Mahnmale des Klimawandels versteht. www.danielknorr.com 24 | 25
Signer gehört seit seinen Teilnahmen an der Dokumenta 8 in Kassel [1987 „Papierwand“, Abschlussaktion der Dokumenta], der Ausstellung Skulptur.Projekte in Münster [1997] und der Biennale Venedig [1999] zu den bedeutendsten europäischen Gegenwartskünstlern. Ausgangspunkt seines eigenwilligen Oeuvres ist ein erweiterter Skulpturenbegriff, wie ihn Harald Szeemann in seiner legendären Ausstellung „When Attitudes Become Form“ 1968 erstmals zur Diskussion gestellt hat.
„Wir sind mit der Gravitation verbunden, das ist unser Schicksal.“ Roman Signer
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Roman Signer * 1938 Appenzell, lebt und arbeitet in St. Gallen, CH; Bildhauer, Zeichner und Konzeptkünstler
An Stelle klassischer Materialien treten in seinem Werk Sand, Wasser, Wind, Dynamit und einfache Gebrauchsgegenstände wie Tische, Fässer, Boote, Fahrzeuge, etc., die in Räumen und Landschaften komplexen Transformationsvorgängen und überraschenden Ereignissen ausgesetzt werden. Im Zusammenspiel von exakter Planung und Zufall entstehen ästhetische und poetische, makabre und komische Momente. Die Untersuchung von [kleinen] Ursachen und [großen] Wirkungen elementarer Kräfte ist der Kern von Signers bildhauerischer Arbeit in Raum und Zeit.
Roman Signer, Stiefel | 2006 Installation, Kleingöpfritz Niederöstereich | AT Courtesy Galerie Martin Janda
Roman Signer, Engpass, Hamburg | 2000 Farbfotografie, 2-teilig, je 26.3 x 34.4 cm Courtesy Galerie Martin Janda 26 | 27
Roman Signer Im steirischen Wald 2004, Ein-Kanal-Videoprojektion Farbe, Ton, 9:08 Min. Edition 10 + 2 E.A. Courtesy: Galerie Martin Janda
Vom Medium Photographie ausgehend, changiert seine Arbeit heute zwischen Photographie, Installation, Skulptur und Performance.
Signer ist einem breiteren Publikum vor allem durch seine spektakulären Aktionen mit Sprengstoff bekannt. Die präzis geplante Sprengung von Löchern in Form einer Doppelspirale auf einem asphaltierten Wendeplatz für Fahrzeuge im Forstgebiet eines Steirischen Schlosses ist ein frappantes temporäres, skulpturale Formen erzeugendes Event. Die Pflanzung von Bäumen in den Sprenglöchern ist der erste Schritt zur Rückgewinnung des Ortes für die Natur.
Im großen Radius seiner künstlerischen Praxis interveniert Michael Strasser sowohl in institutionellen als auch privaten Räumen und Gebäuden. Durch Aneignung und Transformation vorgefundener Architektursituationen legt er kulturelle und institutionelle Repräsentationssysteme offen und erweitert seine architekturkritischen Untersuchungen zu anthropologischen Fragestellungen, in dem er die Faktoren Mensch, Raum und Architektur fortwährend analysiert, zueinander in Beziehung setzt und inszeniert.
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Michael Strasser
* 1977 in Innsbruck, lebt und arbeitet in Wien und Niederösterreich.
„Ich bin kein Bildhauer der Formen kreiert, es ist eine Kunst des Erlebnisses, es geschieht etwas.“ Roman Signer
Seine Arbeit wurde durch Stipendien und Preise, wie dem österreichischen Staatsstipendium für künstlerische Fotografie 2008, ausgezeichnet und ist in vielen Gruppen- und Einzelausstellungen im Inund Ausland zu sehen. Darunter finden sich Institutionen wie die Factory der Kunsthalle Krems [2012], die Julia Stoschek Collection in Düsseldorf [2010] oder das Austrian Cultural Forum New York [2009].
www.romansigner.ch 28 | 29
Fundstücke aus dem Haus Serdica 75: Röntgenaufnahme eines gebrochenen Knochens, Familienbild
„Solitaire“, Abtragung und Transformation eines Gebäudes in Serdica, Slowenien, 1. Juni bis September 2012 „Solitaire“ ist ein prozessuales Werk. Der erste, architekturarchäologische Arbeitsschritt des Künstlers umfasste die Dekonstruktion und Analyse eines hundert Jahre alten, seit dreißig Jahren verlassenen Gebäudes durch Freilegung und stückweiser Abtragung. Dieser Prozess eröffnete Einblicke in die Geschichte dieses Ortes und seiner Bewohner und war Teil einer politischhistorischen Recherche zur Gegend des heutigen Naturparks Raab. Rein formal wurde dem einstigen Wohnhaus der Wohnraum entzogen, es auf seine Masse und Materialität reduziert. Im zweiten Schritt wurde das Puzzle des gesamten Materials Teil für Teil auf den ursprünglichen Fundamenten zu einer massiven Skulptur, zu einem metaphorischen Erinnerungsbild zusammen gefügt.
www.michaelstrasser.net 30 | 31
Ingeborg Strobl ist nicht primär mit der Hervorbringung herkömmlicher Kunstartefakte für das Ausstellungswesen oder den Handel befasst. Dessen ungeachtet wurde sie mehrfach mit Preisen ausgezeichnet und ihr Werk ist fester Bestandteil der jüngeren österreichischen Kunstgeschichte.
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Ingeborg Strobl
Skulptur in der Kulturlandschaft Paasdorf, NÖ | 1999 Das zwei Meter hohe Monument thematisiert den Verlust von Vielfalt und lokaler Eigenständigkeit am Beispiel der Rinderhaltung. Der schlichte, glatt polierte Kubus wurde aus Donaukalkstein errichtet. Eine in den Stein gemeißelte Schrift nennt die zu verschiedenen Zeiten gehaltenen Rinderarten.
* 1949 in Schladming, Steiermark. Lebt und arbeitet in Wien. Ihr multimediales Oeuvre umfasst Werke im öffentlichen Raum, Installationen im Ausstellungskontext, Fotografie, Künstlerbücher und Video.
Die konzeptionell vorgehende Künstlerin verwehrt sich ausdrücklich gegen jede Form von Produktionszwang und Konsumwahn. Sie reflektiert unsere heutige Welt und deren prekäres Verhältnis zu Natur und Umwelt auf ironisch humorvolle Weise, ohne dabei die harten Fakten zu verschweigen.Immer aber scheut sie Pathos, bleibt reduziert und subtil in ihren Ausdrucksmitteln. Unter den vielen verwendeten Medien spielt ihre sehr eigenständige Fotografie zunehmend eine zentrale Rolle.
Die drei schwarzen Darstellungen von Teichfrosch, Zauneidechse und Kreuzotter auf der Fassade des Gebäudes basieren auf Abbildungen in historischen Fachbüchern. Per Siebdruck wurden sie auf der gläsernen Außenhaut über einem Hintergrundornament von weißen Skeletten und Amphibien, das die gesamte Fassade einfasst, angebracht. Fassadengestaltung im UnterWasserReich in Schrems, NÖ | 2006 © Margherita Spiluttini 32 | 33
Die inhaltliche Bandbreite des Werks von Strobl reicht von konkret gesellschaftskritischen Aussagen zu überraschenden Naturbildern, von seltsam irritierenden Verfremdungen und Materialfetischismen zu abstrakten Formfindungen.
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Not Vital
Not Vital ist ein Wanderer zwischen den Kulturen. Nach Jahrzehnten des Lebens und Arbeitens an den Peripherien der Welt – hat er seine Denk- und Handlungsweisen sehr bewusst aus der alleinigen Verankerung in der euro-amerikanischen Zivilisation gelöst.
* 1948 in Sent, Graubünden [CH]. Lebt und arbeitet in New York [USA], Lucca [I], Sent [CH], Peking [China] und Agadez [Niger]
Wie lässt sich die Erweiterung/Überwindung des romantischen, zweckund leistungsorientierten Konsums von Natur thematisieren? Mein Ansatz ist nicht eine Verstärkung dieser Tendenzen [Nature in Fun] sondern eine Hinwendung zur Wahrnehmung von Natur per se ohne Eingriffe und Besitzansprüche. Es geht um Respekt, Rücksichtnahme und Einfühlung, um Ehrfurcht und gleichzeitig um das Wissen der Unberechenbarkeit und Unvorhersehbarkeit – Natur lässt sich nicht folgenlos besitzen und beherrschen. Ingeborg Strobl
In Not Vitals Werk, das von poetischer und zeitloser Qualität ist, fesselt den Betrachter die Spannung zwischen organischen Formen und unorganischen Materialien, wie Silber, Gold, Gips, Bronze und Marmor. Oft transportiert er Bilder einer „heißen“ Kultur in eine „kalte“ Umgebung. 2001 bei der Biennale in Venedig legte er Kamelköpfe aus Aluminium unter Wasser, so dass sie nur bei Ebbe sichtbar wurden. Um eine Abteilung für Brandverletzungen eines Kinderhospitals in Katmandu zu finanzieren legte er eine Edition von Bronzegüssen von Fladen Schweitzer Kühe auf [in Nepal ist Kuhdung das wichtigste Heizmaterial, die meisten Brandverletzungen haben Kleinkinder]. Das sind nur zwei Beispiele des virtuellen Koordinatennetzes das Not Vital zwischen Ländern und Kulturen, zwischen Bildern biographischer Ursprungs und aktueller Ereignisse spannt. Die Kräfte der Natur, ihre Prozesse des Entstehens, Wandelns und Vergehens sind ein Generalthema seines Werks. 34 | 35
„Ich habe genug von Problemen, ich verwende das Wort ,Problem‘ nicht mehr, seit ich in Afrika war, denn dort hört man es nie. Ich fragte einen Freund: warum verwendest Du nie das Wort ,Problem‘? Weil wir keine haben, sagte er. ,Wenn ich zehn Kinder habe und nur eine Schale Reis, das ist ein Problem.‘ Es macht mich deshalb krank und verdrießt mich hier immer wieder zu hören: Das Problem ist das und das... Wir haben keine Probleme.“ Not Vital
In seinen für Außenräume konzipierten Werken befasst sich Not Vital vor allem mit begehbaren Strukturen wie Brücken und Treppen sowie Bauten, die nicht nur von außen betrachtet, sondern auch von innen erlebt werden sollen. Dabei ist es speziell der Archetypus Haus, der ihn fesselt und den er denkend und bauend umkreist: als schlafendes Haus, als versenkbares Haus, als Haus oder Turm – für den Wind oder um den Sonnenaufgang oder -untergang zu betrachten.
Theater Bühne Pforte zur Hölle und Fenster zum Paradies Chamonna spannada
So baut er in mehreren Erdteilen, nicht selbst, das kann und will er nicht, sondern mit den jeweiligen Bewohnern, deren Fähigkeiten und Kenntnisse nützend und von ihnen lernend. In Sent mit Holz, in Agadez mit Lehm und Stroh, in Peking mit Beton und Stahl.
www.notvital.ch 36 | 37
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Lois Weinberger arbeitet an einem poetisch-politischen Netzwerk, welches den Blick auf Randzonen lenkt und Hierarchien unterschiedlicher Art in Frage stellt. Er versteht sich als Feldarbeiter und beginnt in den 1970er Jahren mit ethnopoetischen Arbeiten. Sie bilden die Basis für die – seit Jahrzehnten voran getriebene – künstlerische Auseinandersetzung mit dem Natur-und Zivilisationsraum. In seiner Gesamtheit umkreist das Werk die großen künstlerischen Fragestellungen vom Werden und Verwandeln, von Vergänglichkeit und Tod.
„Ich spreche durch meine Arbeit, die mir brisant genug erscheint – oder ist – nicht als organisierter Aktivist. Wenn ein Käfig mit Wildwuchs da steht, tritt dieser eine ganze Lawine von kontroversen Diskussionen los. Ich betreibe Kunst nicht als Artenschutz, doch sind meine Handlungen in diesem Sinn wirksam.“ Lois Weinberger
Lois Weinberger * 1947 in Stams, Tirol, lebt in Wien und Gars am Kamp, NÖ.
Ruderal-Pflanzen [Unkraut] und Neopyten [nicht heimische Pflanzen] die in vielen Bereichen unser Leben tangieren, sind sein bevorzugter Ausgangs-und Orientierungspunkt für Notizen, Zeichnungen, Fotos, Skulpturen, Objekte, Texte, Filme und Arbeiten im öffentlichen Raum. 1991-92 entwirft Weinberger den „Wild Cube“ eine monumentale TorstahlEinfriedung im Zentrum Innsbrucks von 40 Meter Länge, in der die Aufforstung durch Spontanvegetation erfolgt – ganz ohne menschliches Zutun. Eine „Ruderal Society“ okkupiert eine Lücke im urbanen Raum.
Wild Cube | Stand 1998 Sozial-und wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck Rippentorstahl, Spontanvegetation 37 x 4 x 3,70 m
Gleichzeitig beginnt Weinberger mit subversiven Pflanzentransfers in angeeigneten Gebieten des Stadt- oder Landschaftsraums, wie „Brennen und gehen“ von 1993. Er reißt im Sommer während der Festspielzeit am Platz vor der Szene Salzburg den Asphalt auf und überlässt ein 8 x 8 Meter großes, eingefriedetes Gebiet sich selbst, beziehungsweise den Kräften der Natur. 38 | 39
1997 wird diese Werktopos zur documenta X auf dem Parkplatz des Kulturbahnhofs und 1998 in Tokio erneut installiert. Ebenfalls zur documenta X bepflanzt Weinberger ein stillgelegtes Bahngleis von 100 Metern mit Neophyten aus Süd-und Südosteuropa, eine Arbeit die zur Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit wurde und mit ihren poetisch-politischen Bezügen noch weit darüber hinausweist. Der documenta Beitrag wurde international viel beachtet und hat die neue Debatte zu „Kunst und Natur“ in den 1990er Jahren bis heute maßgeblich mitbestimmt.
„Das Bedürfnis sich mit diesen Themen [Natur/Kultur] zu befassen – auch im Zuge der globalen wirtschaftlichen Entwicklung – ist in der Gesellschaft sehr groß und spiegelt sich in der Kunst wieder.“ Lois Weinberger
Cut | 1999 Vorplatz Universität Innsbruck Länge 100 m www.loisweinberger.net 40 | 41
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Kurator Edelbert Köb im Gespräch mit Roland Gruber und Roland Wallner über die Verknüpfung von Kunst, Landschaft und Landschaftskunst, die Geschichte der Land Art, die ganz speziellen Eigenheiten der Künstler und Konkretes über das Projekt nock.art in Bad Kleinkirchheim.
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Hier bin ich, hier sind wir, in dieser unendlichen Welt Mit Edelbert Köb haben die Organisatoren des nock.art-Kunstprojektes einen der renommiertesten Kuratoren für zeitgenössische Kunst gewinnen können. Der 1942 in Vorarlberg geborene Künstler, Kunstvermittler, Gründungsdirektor des Kunsthaus Bregenz und ehemalige Rektor der Akademie der bildenden Künste Wien, Präsident der Wiener Secession sowie Direktor des Museum für Moderne Kunst Sammlung Ludwig in Wien ist ein Garant für die Qualität der geplanten künstlerischen Arbeiten. Seit Sommer 2012 fungiert er als Brückenbauer zwischen Bad Kleinkirchheim und Künstlern aus aller Welt. Er arbeitet daran, das touristisch geprägten Dorf am Rande des Nationalparks Nockberge auch als einen Ort der Kunst zu positionieren.
nock.art: Wir vermuten, dass der touristische Hintergrund, besonders die Lage Bad Kleinkirchheims abseits der KunstHot-Spots sowie die Tatsache, dass man am Beginn eines langen Weges steht, der in absolutes Neuland führt, ja nicht unbedingt die idealen Voraussetzungen dafür sind, um international renommierte Künstler für das Projekt zu begeistern. Wie kann man sich das Leben als Kurator eines Land ArtKunstprojektes in den Kärntner Nockbergen vorstellen? Edelbert Köb: Es geht neben persönlichen Beziehungen um zwei Dinge: um Wahrheit und Vertrauen. Dem englischen, in Schottland lebenden Künstler Andy Goldsworthy hat beispielsweise gefallen, dass wir von Anfang alle Karten auf den Tisch legten. Wir haben kein Idealbild von unberührter Natur vorgaukelt, sondern das Bild eines Ortes gezeichnet, der zwar jene tollen Landschaftsräume hat, die wir aus den Tourismusprospekten kennen. Der aber auch über heterogene Rand- und Übergangszonen zur Natur, über eine ausgebaute touristische Infrastruktur und über weniger attraktive Bereiche verfügt. Wahrheit ist das Eine und das Andere ist das Vertrauen in die Qualität des Gesamtprojektes. Sehr wichtig sind natürlich die ersten zwei, drei internationalen Künstler, die es zu überzeugen gilt. Wenn ich schon sagen kann, die und die sind dabei, dann denken sie, okay, da bin ich in guter Gesellschaft. Das heißt nicht, dass Berühmte nur mit Berühmten arbeiten, sondern neben der Qualität auch die Mischung aus jungen, regionalen und internationalen KünstlerInnen stimmen muss. 44 | 45
nock.art: Wie haben sie Andy Goldsworthy letztendlich davon überzeugt, nach Bad Kleinkirchheim zu reisen und hier ein Projekt zu entwickeln? Ist das so, wie man sich das vorstellt? Der sitzt in seinem Haus irgendwo in Schottland. Nach langer Reise kommt man bei ihm an, er arbeitet und zeigt einem was er macht, im Haus und in der Natur rundherum, es wird viel gesprochen und gegessen und zum Schluss sagt er: Okay, ich bin dabei. Edelbert Köb [lacht]: So ungefähr ist es. Aber zeitlich konnte oder wollte er sich wegen seines übervollen Kalenders nicht festlegen und, wie eigentlich alle Künstler, hat er vorbehaltlich eines „Lokalaugenscheins“ in Bad Kleinkirchheim zugestimmt. Es ist natürlich wichtig, das Vertrauen der Künstler zu gewinnen, dafür gibt es aber kein Rezept, jeder ist anders. Goldsworthy hatte gerade sein Haus um gebaut und er zeigte alles, was er dort mit viel Liebe an eigener Gestaltung, subtil in der Fassade und in Details eingearbeitet hat. Danach gingen wir in Gummistiefel durch die Landschaft mit ihren wunderbaren sanften Formen, alles war mit Reif überzogen. Er zeigte mir den Platz am Bach, an
dem er vor hatte eine seiner vergänglichen Eisskulpturen zu machen. Später durchwanderte ich allein ein Tal, wo sich vier Arbeiten von Goldsworthy an einem Flusslauf entlang befinden. Von denen fand ich dann aber nur zwei, weil keine Wegweiser existieren. nock.art: Wie haben sie persönlich seine Kunst in der Landschaft wahrgenommen? Edelbert Köb: Ich habe die Landschaft auf mich wirken lassen, um zu verstehen, warum der Künstler dort oben in der Abgeschiedenheit lebt. Ich bin in das einzige Gasthaus weit und breit gegangen,
das gleichzeitig das Postamt ist und über fünf Tische verfügt, an denen nur Einheimische sitzen. Ich habe dort gegessen, um die Atmosphäre zu spüren und seine Lebenssituationen zu verstehen. Es gibt Künstler, die machen naturbezogene oder asketische Kunst, leben aber sehr urban, bürgerlich und opulent. Bei Andy Goldsworthy sind Kunst und
Leben absolut ident. nock.art: Die Position von Goldsworthy zählt nicht zu den Anfängen der Land Art in den USA der 1960er Jahre, gilt aber als einer der Großen dieser Kunstform. Wie sahen die Anfänge aus, wie hat sich Land Art international entwickelt? Edelbert Köb: Die Kunstform Land Art entstand als Gegenbewegung zum etablierten Kunstbetrieb in den 1960er Jahren in den USA und war vor allem gegen die klassischen Galerien, Museen und Kunstinstitutionen gerichtet. Künstler gingen hinaus in die Natur – dort gibt es ja noch riesige menschenleere Landschaften – und haben mit dem gearbeitet, was sie vorfanden. Es ging Ihnen um materielle Unabhängigkeit und neue Regeln. Sie erließen sogar Abbildungsverbote, die Arbeiten in der Landschaft sollten für den Betrachter nur live erlebbar sein. nock.art: Und was wurde dann im Museum ausgestellt? Edelbert Köb: Anfänglich vor allem die vorbereitende zeichnerische Konzeption und die nachträgliche Dokumentation der Werke, später auch Materialien. Viele haben begonnen selbst zu fotografieren und zu filmen. So hat sich parallel zur Arbeit in der Landschaft auch Museumsarbeiten entwickelt.
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nock.art: Wie klein oder groß waren die Kunstprojekte in der Landschaft? Uns sind ja durch die Literatur eher die großen „Trümmer“ bekannt. Edelbert Köb: Die Zeit, das darf man nicht vergessen, war damals von der Minimal Art, einer sehr formalistischen Kunst, geprägt, bei der es um Material, Raum, Masse und Maße ging. Künstler übertrugen diesen Geist der Zeit in die Landschaft, indem sie, wie beispielsweise Robert Smithson mit „Spiral Jetty“, in einem See eine riesige Spirale aus Fels brocken anlegten. Die Kunst ist in der Folge immer größer geworden und für ihre Land Art Projekte haben die Künstler dann schon mit Caterpillar und Lastwagen gearbeitet.
Klar, dass sich dazu eine Gegenbewegung entwickelte, nämlich „Gehen wir wieder zurück und machen einfache, bescheidene Dinge in der Natur.“ nock.art: Mit den, nennen wir sie mal einfach „RucksackKünstlern“ rückt sozusagen das Thema Gehen/Wandern mehr in den Fokus, was auch sehr gut zum nock.art Projekt hier in Bad Kleinkirchheim passt.
nock.art: Wie war es möglich, diese Dimension der Arbeiten zu finanzieren? Edelbert Köb: Ihr Hang zur Monumentalität trieb die Künstler wieder zurück in die Arme der Galeristen und Museen. Die Möglichkeit, etwas Großes zu machen führte auch dazu, dass diese Kunst sehr populär wurde. Arbeiten von Künstlern wie Michael Heizer [*1944] sorgten für Aufsehen. Für sein Projekt „Double Negative“ [1969–1970] bewegten 30 Caterpillars rund 218.000 Tonnen Gestein, um einen imaginären, über einem Tal liegenden Kubus mit beiden Enden in Bergflanken eintauchen zu lassen. Zu sehen ist nur eine Negativform von gigantischem Ausmaß.
Edelbert Köb: Ja, schon in den 1970er-Jahren rückte das Soziale in den Vordergrund. Oder auch das Intime und Poetische. Also weg von der großen Dimension, weil ja – wie bereits erwähnt – die Idee darin bestand, sich unabhängig von Technologien, vom Markt und von Museen zu machen. Die wichtigsten Proponenten dieser Gegenbewegung kommen aus Europa, vorwiegend aus England. In Europa entstand parallel dazu die Arte Povera, die sich einfachster Dinge wie Abfall, alter Fetzen oder eben auch der Natur bediente. Die englischen Künstler, eigentlich die echten Land Art-Künstler, weil sie wirklich mit dem Rucksack in der Gegend unterwegs sind, schaffen ihre Arbeiten ohne technische Hilfsmittel nur aus den in der Natur vorhandenen Materialien. Wir haben es hier mit Künstlern zu tun, die Einfachheit, 48 | 49
Ruhe und Stille suchen, in der Natur ihre Erfahrungen machen und diese ins Museum transferieren, wobei der Gegensatz vom White Cube des Museums und Natur einen wesentlichen Aspekt darstellt. Diese Ruhe bzw. Stille ist es, die diesen Grundantrieb beim Menschen auslöst, in der Verlassenheit weiter Landschaften Zeichen zu setzen. So wie
die frühen Menschen, die irgendwann damit begannen, Steine aufzurichten, um damit auszudrücken: „Hier bin ich, hier sind wir, in dieser unendlichen Welt.“ nock.art: Wenn wir das richtig verstehen, dann erhalten diese Arbeiten ihren künstlerischen Wert also durch den Akt des Nacherzählens, des Festhaltens im Bild oder der Dokumentation. Wenn wir ehrlich sind, an manchen Arbeiten würde man aufgrund ihrer Unscheinbarkeit als Wanderer einfach vorbeigehen. Edelbert Köb: Klar. Es gibt aber auch anonyme Steinmandln am Rosennock und Sandburgen an der Adria. Zeitgenössische Kunst kann in vielen Bereichensehr leicht mit Alltag verwechselt werden. nock.art: Aber was unterscheidet dann den „echten anerkannten Künstler“ von dem Alltagswanderer, der aus einem Bedürfnis die Steinmanderln am Rosenock baut? Edelbert Köb: Die intensive Auseinandersetzung mit einem Thema, dass ein Werk dahinter steht.
Der Künstler vertieft sich, probiert aus, verwirft, taucht immer tiefer in die Materie ein und erarbeitet ein Ergebnis in einem sehr langwierigen Prozess. Es geht nicht nur um das spektakuläre Endergebnis, sondern um Erkenntnisse. Mit dem scheinbar Einfachen in der Kunst verhält es sich genau so.
nock.art: Wie kann man sich nun das Kunstprojekt hier in Bad Kleinkirchheim vorstellen, das im Rahmen von nock.art Wirklichkeit werden soll und im Idealfall viele Interessierte in den Ort bringt, um den den touristischen Aspekt nicht zu vergessen? Edelbert Köb: Nun, zunächst muss ich einmal festhalten, dass sich der klassische Land Art-Begriff seit den 1980er-Jahren, also seit der „Rucksack-Künstler Gegenbewegung“ zu den „Catapillar Künstlern“ abermals gewandelt hat. Es geht jetzt viel mehr
um eine kritische Auseinandersetzung mit allen Aspekten eines breiteren Naturbegriffs. Es kommt auch jene Natur in den Fokus, die von der Zivilisation geprägt wird. Gibt es doch in Europa keinen Quadratmeter mehr, der nicht von der Wirtschaft oder vom Tourismus auf irgendeine Weise schon okkupiert ist. Alles ist Kulturlandschaft, also vom Menschen gestaltete Landschaft geworden. nock.art: Nennen Sie uns bitte ein konkretes Beispiel? Edelbert Köb: Der Projektvorschlag von Lois Weinberger für Bad Kleinkirchheim verdeutlicht die Intention recht gut. Er hat in Innsbruck einen riesigen, leeren Käfig gebaut, der sich mit Flugsamen gefüllt hat. Im Käfig breitete sich das aus, was wir normalerweise als Unkraut und Wildwuchs bezeichnen und, obwohl heimisch, sofort ausrotten.
Ein unreguliertes Stück Natur wird als Fremdes vorgeführt, wie Wildtiere im Gitterkäfig. Für Bad Kleinkirchheim dreht er diesen Gedanken, der auch eine soziale und gesellschaftliche Dimension aufweist, um. Im metaphorischen Sinn haben wir ja ebenfalls in der Natur Immigranten. Es gibt einen ständigen Zuzug, manche assimilieren sich, 50 | 51
andererseits aber auch das nötige Vertrauen sowohl von den Unternehmern und Tourismusverantwortlichen als auch von den Gästen selbst. nock.art: Wo sehen Sie Bad Kleinkirchheim in zehn Jahren, wenn alles gut läuft? andere gehen unter, wieder andere bleiben Fremdkörper etc. Wir kennen das von exotischen Sträuchern bzw. Bäumen in all den Parks und Vorgärten, von denen wir die meisten heute als integriert betrachten. Und da kommt der Künstler Lois Weinberger mit großen Taschen, den berühmten karierten Ein-Euro-Taschen. Die füllt er mit Erde und gibt ortsfremde Pflanzen hinein. Die Taschen verrotten nach zwei, drei Jahren. Die verbliebenen fünf, zehn, hundert oder auch mehr Pflanzen bilden eine exotische Insel. Irgendwo da oben, in einer Schlucht, auf einer Anhöhe, im Wald oder auf einer Almwiese. Der Ort ist noch nicht fixiert. nock.art: Wie passt das mit dem Bild zusammen, das die Touristiker – weltweit – in der Regel den Gästen vermitteln möchte? Hier steht immer nur die schöne Seite im Vordergrund. Edelbert Köb: Wichtig ist, dass die Leute nicht das Gefühl haben, zum Narren gehalten zu werden.
Edelbert Köb: Ich sehe nock.art als eine große Chance für den Ort, weil man sich durch so ein Projekt zwangsläufig verändert und mit Sicherheit eine Öffnung in mehrere Richtungen stattfinden wird. Das ist ein positives Signal nach innen und außen. Etwas von diesem neuen Spirit kann man heute schon im Projektteam erleben. In den nächsten Jahren sollen auch Einheimische und Gäste davon angezogen und inspiriert werden. Ich persönlich möchte dann auf eine Reihe von spannenden Symposien mit Künstlern und Persönlichkeiten ebenso zurückblicken, wie auf jene zehn bis fünfzehn umgesetzten Projekte, die wir derzeit konzipieren. Den angemessenen Ort im Dorf, den die Kunst und die künstlerischen Aktivitäten verlangen, wird man dann, hoffentlich, in die Entwicklung des neuen Dorfzentrums schon längst integriert haben. Von einem pulsierendes Zentrum für das Kulturleben mit weitreichender Strahlkraft wird man zumindest träumen dürfen.
Die Projekte müssen nicht jedem gefallen, sie müssen auch nicht gleich verstanden werden, sie müssen aber Neugier und Interesse wecken. Es muss außerdem gelingen zu vermitteln, dass da Menschen am Werk sind, die zwar aus einer anderen Welt kommen, aber es auf ihre Weise ernst meinen. Das ist ganz zentral und dafür braucht es einerseits viel Überzeugungsarbeit, 52 | 53
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Das Dorf
Das 1.700-Einwohner-Dorf Bad Kleinkirchheim liegt auf 1.087 Meter Seehöhe inmitten der Gurktaler Alpen in Österreichs südlichstem Bundesland Kärnten. Der nördliche Teil des Gemeindegebietes ist Teil des Biosphärenparkes Nockberge, dessen charakteristische kuppenartige und grasbewachsene Berggipfel bis auf 2.331 Meter aufragen.
Die Geschichte des heute vor allem als Tourismus-Destination bekannten Ortes reicht weit zurück. Neben der reizvollen Landschaft lockt die Thermalquelle, deren Entdeckung auf den Pfalzgraf Poto im Jahr 1055 n. Chr. zurückgeht, Gäste aus Österreich und der Welt ins Tal.
Die zum Schutz der Quelle im Jahr 1492 direkt darüber errichtete spätgotische Wallfahrtskirche zeugt von der Wertschätzung dieser natürlichen Ressource und ist mit ihrer heilenden Augenquelle bis heute von zentraler Bedeutung für Einheimische und Gäste. Bereits im 17. Jahrhundert setzte der Badebetrieb ein – der Tourismus nahm seinen Anfang und prägte fortan die Identität des Ortes.
Mit der Errichtung des ersten Kärntner Skilifts im Jahr 1956 wurde Bad Kleinkirchheim schließlich Ganzjahres-Tourismus-Gemeinde und stieg in die Liga der zwanzig meistbesuchten Tourismusdestinationen Österreichs auf
Bis weit ins 20. Jahrundert war das Tal bäuerlich geprägt. Mit der Gründung des Biosphärenparks Nockberge, einer Modellregion für nachhaltige Entwicklung, setzte eine Rückbesinnung auf die lange Tradition des Bauerntums ein. Besonderes Augenmerk richtet sich auf die Erhaltung der ursprünglichen Natur- und Kulturlandschaft. Dank der Renovierung zahlreicher, historischer Bauernhäuser und „Troadkasten“ [Getreidespeicher] trifft man immer wieder auf Zeugen dieser alten bäuerlichen Kultur, die auch in der Kulinarik ihre Spuren hinterlassen hat. Regionaltypische Gerichte wie die „Kärtner Laxn“ mit regionalen Wildspezialitäten zählen dazu. Auf kulturellem Gebiet zeichnet sich Bad Kleinkirchheim durch eine Mischung aus bewusst gepflegtem Brauchtum und lustvollem Einlassen auf Neues aus. Mit der Neugestaltung des Römerbades durch das renommierte Architekturbüro Behnisch & Partner machte der Ort in der jüngeren Vergangenheit von sich Reden.
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www.nockart.at Impressum Herausgeber © 2013 | Bad Kleinkirchheimer Tourismus Marketing GmbH Dorfstraße 30 9546 Bad Kleinkirchheim Kärnten – Austria www.badkleinkirchheim.at Text & Konzept Julia Aßl, Ana Berlin, Roland Gruber, Stefan Heinisch, Brigitte Kaplenig, Edelbert Köb, Roland Wallner Lektorat Charlotte Richter Gestaltung Heidrun Kogler Bilder Johannes Puch … Bildbearbeitung | Druckvorstufe Boris Bonev Druck und Bindung Druckerei Theiss
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde in den Texten auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Bezeichnungen gelten für beiderlei Geschlecht.
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Bad Kleinkirchheimer Tourismus Marketing GmbH DorfstraĂ&#x;e 30 | 9546 Bad Kleinkirchheim Telefon +43 (0) 4240/82 12 Fax +43 (0) 4240/85 37 info@badkleinkirchheim.at www.badkleinkirchheim.at