ANDREAS FALKINGER
KABARETT
von A bis Z Kritiken aus den Jahren 1997 bis 2014
Michi Altinger - Django Asül - Lizzy Aumeier - Angelika Beier Biermösl Blosn - De Drei - Alfred Dorfer - Gerd Dudenhöffer - Eisi Gulp Ottfried Fischer - Lisa Fitz - Andreas Giebel - Günter Grünwald Josef Hader - Dieter Hildebrandt - Bernhard Hoëcker - Jörg Hube Bruno Jonas - Luise Kinseher - Han‘s Klaffl - Wolfgang Krebs Mike Krüger - Michael Lerchenberg - Gabi Lodermeier - Mark‘n‘Simon Francesca de Martin - Meixner & Nullinger - Rolf Miller Alfred Mittermeier - Monaco Bagage - Holger Paetz - Erwin Pelzig Sissi Perlinger - Maria Peschek - Gerhard Polt - Alf Poier - Urban Priol Andreas Rebers - Hagen Rether - Georg Ringsgwandl - Richard Rogler Maxi Schafroth - Helmut Schleich - Werner Schneyder Georg Schramm - Peter Schreiner - Monika Schwarzmann Simone Solga - Torsten Sträter - Nessi Tausendschön - Weber & Kreß Sigi Zimmerschied - Stephan Zinner
Zum Geleit Seit mehr als 15 Jahren schreibe ich Kabarettkritiken. Mehr oder minder gelungene Kritiken über mehr oder minder gelungene Kabarettprogramme. Zu meiner Freude sind die gelungenen in der Überzahl. Programme meine ich. Was die Kritiken betrifft, haben Sie das schon selbst zu entscheiden. Was bin ich bescheiden. Auch wenn’s so aussieht – hier geht’s in erster Linie nicht um mich. 15 Jahre Kabarett – und doch ist es nicht an der Zeit Bilanz zu ziehen. Zwischenbilanz vielleicht, eine Art Rechenschaftsbericht womöglich. 15 Jahre Kabarett – und was ist geblieben, was hat sich und was hat das Kabarett verändert? Verändert hat sich viel, doch Kabarett wenig. Kabarett spiegelt die Zeitgeschichte, Kabarett unterhält – und verändert nichts. Gar nix. Was Ende der 90er, Anfang der 2000er noch aufregte, nehmen wir heute längst hin. Gegen den gläsernen Bürger und den undurchsichtigen Politiker wurde geätzt – heute kehren wir freiwillig unser Innerstes auf Facebook nach außen. Über die Bildungsferne des Privatfernsehens wurde geklagt – heute überreichen uns die Öffentlich-Rechtlichen täglich „Rote Rosen“, täglich tobt der „Sturm der Liebe“, wenn irgendeine Rosalie irgendeinen Michael beeindruckt und irgendeine Lilly sich als Escort-Lady entpuppt. Den medialen Kackequirl konnte das Kabarett nicht stoppen. Den real existierenden Sozialabbau – konnte Kabarett nicht stoppen. Noch nicht mal zu Guttenberg konnte Kabarett stoppen. Da brauchte es schon einen Doktor. Seit Jahrzehnten arbeiten sich Kabarettisten an Angela Merkel ab – doch die ist im besten Kohlschen Sinne unstoppbar. Da sorgt allein schon die ach so sympathisch-ahnungslose Piraten-Realsatire mit einer künftigen betonierten großkoalitionären Alternativlosigkeit für. Nein, Kabarett erreicht im wirklichen Leben gar nichts. Zumindest im Paralleluniversum der Unterhaltung spielt es seine Rolle zuverlässig. Aber um wie viel weniger kann dann Kabarettkritik bewegen? Die vorliegende Sammlung ist also Rechenschaftsbericht und Dokumentation journalistischen Scheiterns. Eines vergnüglichen Scheiterns, wie ich hoffe. Ich wünsche mir und vor allem Ihnen, dass Sie den Spaß, den ich beim Schreiben mancher Lobeshymne und manches Verrisses hatte, zumindest halbwegs nachempfinden können. Haben Sie Spaß! Unterstützen Sie Kabarettisten. Lachen Sie beim Denken und denken Sie beim Lachen. Das wünscht Ihnen
Andreas Falkinger 25. April 2012
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Wer? Was? Wo?
Michi Altinger Meine heilige Familie Das Ende vom Ich Django Asül Hämokratie Autark Hardliner Fragil Paradigma Paradigma Lizzy Aumeier Männerträume Lizzy Aumeier & Ottfried Fischer Elefantentreffen Angelika Beier FrühReif – Das Abenteuer Frau Biermösl Blosn Abschiedstour Im Sternenzelt mit Gerhard Polt De Drei Frauenf(r)eindlich Alfred Dorfer Bisjetzt Gerd Dudenhöffer Kosmopolit Eisi Gulp Guten Tag, ich bin der Wahnsinn Ottfried Fischer Wo meine Sonne scheint Lisa Fitz Super plus! Tanken und Beten Andreas Giebel Im Sammelbecken der Leidenschaft Das Rauschen in den Bäumen Günter Grünwald Glauben Sie ja nicht, wen sie da vor sich haben Gestern war heute morgen Gestern war heute morgen Da sagt der Grünwald Stop! Josef Hader Hader muss weg Hader spielt Hader Dieter Hildebrandt Vater unser – gleich nach der Werbung Ich kann doch auch nichts dafür Bernhard Hoëcker WikiHoëcker Jörg Hube Sugardaddy Bruno Jonas Classix Nicht wirklich – nicht ganz da Bis hierher und weiter Es geht weiter Luise Kinseher Einfach reich Han‘s Klaffl Restlaufzeit – Unterrichten bis zum Denkmalschutz Wolfgang Krebs Wolfgang Krebs & Die Bayerischen Löwen Drei Mann in einem Dings Mike Krüger Is‘ das Kunst oder kann das weg Michael Lerchenberg Donner und Blitz auf dem Nockherberg Gabi Lodermeier Sätisfäktschn Francesca de Martin Guckt ja keiner Mark‘n‘Simon MusiComedy Meixner & Nullinger Scherzinfarkt-Tour Rolf Miller Tatsachen Alfred Mittermeier Sündenbockerei Monaco Bagage Plays Fredl Fesl Holger Paetz Auch Veganer verwelken Erwin Pelzig Worte statt Taten Sissi Perlinger Gönn‘ dir ne Auszeit Maria Peschek Und wer ist schuld? Weihnachtsspäschel Gerhard Polt Polt pur Alf Poier Zen Urban Priol Täglich frisch Andreas Rebers Ich regel das Hagen Rether Liebe Georg Ringsgwandl Untersendling Richard Rogler Ewiges Leben Maxi Schafroth Faszination Allgäu Helmut Schleich Nicht mit mir Werner Schneyder Ich bin konservativ Georg Schramm Thomas Bernhard hätte geschossen Meister Yodas Ende Peter Schreiner Einmal Deutschland und zurück Monika Schwarzmann So schee kons Lebn sei Simone Solga Bei Merkels unterm Sofa Torsten Sträter Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben Nessi Tausendschön Frustschutz Weber & Kreß Radikal alt Sigi Zimmerschied Klassentreffen Diddihasi Scheißhaussepp Hirnrisse Zeitgeister Stephan Zinner Family Business Der Fluch des Pharao Zinner & Rosenmüller Lesung mit Musik
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Fortsetzung folgt.
Wir Bayern essen nicht, bis wir satt sind, wir essen bis wir gewonnen haben.
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Vom Kuckuckskindlein in der Krippe „Meine heilige Familie“: Unbesinnlich-Saukomisches von Michi Altinger zur staaden Zeit
Meine heilige Familie – Trostberg, Postsaal, im September 2011
Tief verschneite Berglandschaft, es wird scho glei dumpa, Kerzenschein in den Stuben, o Tannenbaum, Fest der Liebe. Das ganze Programm. Und natürlich die leuchtenden Kinderaugen nicht zu vergessen. Gaanz wichtig. Dazu gaanz besinnlich die Weihnachts-CD von Peter Alexander eingelegt oder die von Heintje, wenn’s hardcoremäßig weihnachtlich werden soll – das „Last Christmas“Dauergedudel von Wham im Radio hält ja kein Schwein aus –, dann ist der Mensch angekommen in der staaden Zeit. Dann hat er endlich Muße, die schwelenden innerfamiliären Konflikte offen auszutragen. Bis der Mann tot unterm Baum liegt. Kann passieren. Zumindest wenn man Michi Altingers Programm „Meine heilige Familie“, das er im voll besetzten Postsaal aufgeführt hat, glauben möchte. Der Kabarettist nähert sich o der Fröhlichen, o der Seligen bisweilen auf eine leicht abseitige Weise. Er macht sich Gedanken drüber, wie das wohl gewesen wäre, wenn die Maria nach der Entbindung eine Bettnachbarin gehabt hätte – „Was? Nur 45 Zentimeter? Haben’s geraucht in der Schwangerschaft?“. Oder wie der Josef auf das wohl berühmteste Kuckuckskindlein der Menschheitsgeschichte reagiert hat. Immerhin. Der war Zimmerer. Der nimmt das nicht auf wie – sagen wir mal – ein Friseur: „Jetzt mach ich noch ein paar Strähnchen und dann werd‘ ich aber so richtig sauer.“ Da hatte der Erzengel Gabriel bestimmt einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. Heute hätte man schon andere Möglichkeiten. Eine DNS-Analyse und schon wüsste man, wie der aussieht, der Heilige Geist. Und die Jungfrau? Die hatte ja gar keine Chance. „Gegrüßet seist du Maria voll der Gnaden, der Herr ist mit dir, ob‘st magst oder ned.“ Spaßig schaut sich Altinger die Weihnachtsgeschichte an, aus dem modernen Blickwinkel. Er hat ja auch schon 40 Weihnachtsfeste erlebt, von frühester Kindheit an. Das prägt. Er kennt das – und wer kennt das nicht? Deshalb rät er, vor Weihnachten nicht wie sonst alles auf den letzten Drücker zu erledigen. Mit bestem Beispiel geht er voran. Der Einkauf ist minutiös geplant, weil er die ziellose Sucherei nicht mag. Man rennt von Pontius zu Pilatus, auch wenn das im Zusammenhang mit Weihnachten grundsätzlich ja ein Zeitfenster von rund 30 Jahren öffnen würde, und wenn man gar nichts findet, dann geht man halt zum „Vom Fass“. Das ist nicht Altingers Art, dafür hat er keine Nerven. Das tut er sich nicht an. Er geht gleich zum „Vom Fass“. Da
gibt’s Weine, Liköre, Öle für die Lieben. Wird alles abgefüllt, in der selbst gewählten, eigenwilligen Flaschenform. Die Freunde fragen schon immer vorm Auspacken: „Fürn Salat oder zum Saufen?“
„Du freust dich ja gar nicht gescheit“, dann ist es völlig gerechtfertigt zu sagen: „Ja was soll ich denn noch machen? Soll ich einen Salto schlagen oder was? Mensch, behalt doch dein Zeug.“
Der Geschenkkauf, generalstabsmäßig geplant, kann in fünf Minuten erledigt sein. Am besten besorgt man bereits im Geschäft eingepackte Präsente. Es sei denn, da steht ein Azubi und fragt mit Augen, in denen groß das Flehen um eine Verneinung zu lesen ist, ob er’s als Geschenk einpacken soll. Den lässt der Altinger dann schon gern ran. Sternstunden der Feinmotorik sind das.
Es wäre falsch, Weihnachten nur unter dem Aspekt des Schenkens, des Geldausgebens zu sehen. Da gibt’s doch auch die wunderschönen bairischen Bräuche vor und zu Weihnachten – die Martinszüge, das Klopfersingen, und natürlich der urbayrischste Brauch überhaupt: das gute, alte, boarische Halloween. „Da haben sich die Kelten um riesige Lagerfeuer versammelt und gemeinschaftlich drüber beratschlagt: Herrgott, wie könnten wir jetzt in der Vorweihnachtszeit den Einzelhandel nochmal ankurbeln? Und dann sind sie von Haustür zu Haustür gezogen und haben geschrien: ,Süßes oder Saures!‘ Und die Hausleute haben spontan geantwortet: ,Schleicht’s eich, es Deppen!‘ Und dann haben sie ihnen noch hinterhergeschrien: ,Das könnt ihr vielleicht mit ein paar Blöden machen.‘ Und deshalb sind dann ja die Kelten auch ausgewandert nach Amerika.“ Allgemeinbildung.
Man muss einfach mal weg vom Konsumzwang. Wo wir doch nächstes Jahr alle arm wie Kirchenmäuse sein werden, wenn die Griechen, Iren, Portugiesen und Spanier endlich erfolgreich unseren Euro ruiniert haben. Wichtig ist doch nur, was man sich beim Schenken gedacht hat. Seine Frau beispielsweise weiß immer: „Er hat sich gedacht: Herrgott, was krieg jetzt ich für drei Euro?“ Und er weiß, was sich seine Frau gedacht hat, als sie ihm im letzten Jahr einen Jogginganzug, ein Aftershave und einen Brockhaus unter den Baum gelegt hat. Das war das klare Signal: „Schatz, du bist ein stinkender Fettsack ohne Bildung.“ Also weg vom Konsumzwang. Das birgt natürlich wieder neues Konfliktpotenzial. Der Beschenkte muss seine Freude wohl dosieren. Nicht zu viel, aber auch keinesfalls zu wenig. Das trainiert man vorsichtshalber schon mal vor dem Fest. Wenn man beispielsweise einen Rasierer bekommt, dann ist es womöglich unangemessen, so zu reagieren: „Ahh äähh. Das ist ja genau der Rasierapparat, den ich mir gewünscht hab. Super, super, super. Fünffachklinge, Doppelschwingkopf, Rock and Roll.“ Das richtige Maß der Freude ist gefragt. „Es bringt ja überhaupt nichts, wenn man komplett ausflippt, als hätte man die Uefa-Champions-League gewonnen hätte, und man stürzt sich auf den Christbaum, reißt ihn aus der Verankerung, schwenkt ihn wie eine Eckfahne, die Frau springt auf dich drauf, reißt dich zu Boden, die Kinder drüber, die Großeltern, Franz Beckenbauer betritt das Wohnzimmer und sagt: ,Ja guttäh, sicherlich, wer das ganze Jahr über so konstante Leistungen bringt, der hat auf alle Fälle einen Rasierapparat verdient.‘“ Das ist dann doch des Guten zu viel. Altinger hat sich seine Freude exakt zurechtgelegt: Den Schenker an beiden Schultern nehmen, Bussi links, tiefer Blick in die Augen und „Danke!“ Wenn dann die Frau immer noch sagt:
Ganz und gar kein urbayrischer Brauch ist der heiße Stein, laut Altinger genauso schlimm wie Fondue oder Raclette. „Da verreck ich immer halb an der Reizflut.“ Im Ur-Gen des Bayern sei nämlich verankert, dass er beim ersten Anblick seiner Mahlzeit abschätzen können will, wann er fertig ist. Der heiße Stein biete ein Übermaß, das Futterneid zur Übersprungshandlung werden lässt: „Es interessiert uns nicht, ob viel genug da ist, wir essen nicht, bis wir satt sind, wir essen bis wir gewonnen haben. Wenn der Bayer sagt, er habe es sich gut gehen lassen, dann weiß man: Er hat hinterher gschbiem.“ Altinger spielt, er singt, dass es eine Lust ist, die Zuschauer haben völlig zurecht ihre Gaudi. Ein großer Sänger wird er zwar wahrscheinlich nicht mehr, aber das hat mancher Kritiker auch von Bob Dylan gesagt. Beide können immerhin auf eine hervorragende Band zurückgreifen – der eine auf „The Band“ oder „Grateful Dead“, der andere auf Martin Julius Faber. Ein bisserl dünn für eine Band? Überhaupt nicht. Faber an der Gitarre oder am Keyboard reicht völlig aus. Es ist ja staade Zeit. Und auch im Saal: Im Zuschauerraum fallen während der zwei Stunden nur sechs Bierflaschen um, was ein deutlicher Indikator für die Qualität des Programms ist – bei Grünwald waren’s letztens knapp unter 20 Flaschen, bei Bruno Jonas nur eine. Und die war ein Weinglas.
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Michi Altinger pulverisiert Freud
„Das Ende vom Ich“: Freunde findet Facebook, Bücher sucht Amazon aus und ElitePartner erledigt den Rest
© FalkingerPresse
Das Ende vom Ich – Trostberg, Postsaal, im November 2013
War’s das? Haben Freud und sein Drei-InstanzenModell ausgedient? Offenbar. Ich, Es, Über-Ich – weg damit. Warum? Weil Michael von Altinger, Freiherr von und zu Strunzenöd, sich wieder einmal nach der Lektüre eines guten Buches von seinem Sofa erhoben hat, um anschließend wahnsinnig bedeutungsschwanger und literarisch wertvoll schonungslos die Probleme unserer Zeit zu analysieren. Ergebnis: „Das Ende vom Ich“, wie sein Programm heißt, das der letzte Intellektuelle der Wasserburger Provinz im Postsaal gespielt hat. Und wenn das Ich am Ende ist, wozu braucht’s dann noch Es und Über-Ich?
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Was waren wir in den letzten Jahren doch individi…, invidu… Total verschieden halt. Zuerst das Auto – um keinen Preis durfte es dem des Nachbarn gleichen. Zierstreifen hier, da ein Spoiler, verchromtes Endrohr dort. Gut, das hatte bald auch wieder jeder. Dann eben die Kinder: Johannes und Veronika waren nicht mehr gut genug, ein Jason (sprich: Djäisn) oder eine Velvet mussten es schon sein. Gut, auch der Trend schwappte auf randständige soziale Gruppen über. Dann eben Designermöbel. Bis sie alle hatten. Danach entdeckte das Individuum die Kulinarik: Man kochte mit Knoblauch und seinem Spezl, dem Ingwer, formte Gnocchi und briet Zucchini. Kurz drauf übten sich auch die anderen an besagten Gnotschi und Sutschini. Gehörte man zu den Schönen und Reichen, dann trank man Aperol mit Prosecco, den Spritz, später Hugo. Bis das alle taten, manche halt Aperol mit Prosetschio. Mann und Frau von Welt knabberten nicht mehr Chips und Flips, sondern Wasabi-Erdnüsschen. Wegen der Verdauung. Brennt wie Sau,
und zwar zwei Mal, schmeckt vor lauter scharf nach gar nichts. Und schon gab’s Wasabiknabberzeug bei Aldi. Ach, es ist so schwer, ein Trendsetter zu sein, ein Individuum, ein Ich. Doch davon haben wir uns verabschiedet. Sagt der Altinger. Sollen sie sich doch alle tätowieren lassen, sollen sie sich doch alle einen kompletten TrixMetallbaukasten durch die Haut stecken, sich ganz individuell uniformieren. Das Ich ist am Ende. Weil wir kapituliert haben. Jeder bläst seinen Lebensstil, seinen Style in die Welt hinaus, egal, ob der irgendeinen auch nur im Ansatz interessiert. Alles muss raus. Facebook, ganz individuell. Die eine postet Standfotos ihrer Lieblingsszene aus ihrer Lieblingsserie BBT. „Lach!!!“ Für die Älteren unter Ihnen: BBT ist die Fernsehserie „The Big Bang Theory“ und allenfalls im Bewegtbild lustig. Der andere schreibt einfach nur „Frühstück“. Oder „Ich will grillen“. Oder „So ein geiles Wetter“. Ganz wichtig. Superscheißwichtig, so ein Facebook-Eintrag. „Ich denke, also bin ich“ war gestern. Vorgestern. Heute heißt‘s noch nicht mal mehr: „Ich poste, also bin ich.“ Nur noch: „Posten, posten.“ Und darauf hoffen, dass das ganz, ganz viele liken. Und teilen. Wir teilen alles. Wir sind wir, mia san mia. Wer braucht da noch ein Ich, wenn er in der Wir-Suppe abtauchen kann? Freunde? Wählt Facebook aus. Bücher? Wählt Amazon aus. Halloooo??? Bücher? Ja klar, natürlich Hörbücher. Das mit dem Lesen, das mag nicht jeder. Selbst für die Partnersuche, was für ein romantisches Wort, fast so romantisch wie Arterhaltung. Geht in dieselbe Richtung. Jedenfalls brauchen wir dafür auch den Computer. Parship, FriendScout, eDarling.
Und ElitePartner. Für uns Akademiker und Singles mit Niveau. „Mein Leben ist wirklich toll. Aber mit der richtigen Frau wär’s einfach traumhaft.“ So ist das, studiert, aber zu blöd zum Anbandeln. Das macht nicht mehr das Individuum, das erledigt die Agentur. Oder die Software. „Wenn man sich um nichts und niemanden mehr bemühen muss, dann ist das das Ende vom Ich.“ Altinger bringt’s richtig lustig, aber lustig ist das nicht. Ja, traurig eigentlich. Aber der Altinger, der lockert das schon immer rechtzeitig auf bei seinem Stelldichein der guten Launä. Da wird’s dann kurz eisig im Saale, silbereisig. Mit anderen Worten: Lustig und fidel. Dann singt der Altinger ein Liederl, ohne Rücksicht auf Reime, Metrik oder andere Verluste, wacker begleitet von seiner Band Martin Julius Faber, der einem leidtun kann. Sitzt die ganze Zeit auf der Bühne, lässt sich von seinem Chef schmähen und muss sich anhören, was der aus seiner Musik macht. Aber ganz im Sinne des Programms stellt Faber sein Ich hinten an. Pfeif auf Freud. Bei dem entspricht das Ich dem bewussten Denken des Alltags, dem Selbstbewusstsein. Diese beiden sind längst getrennt von Tisch und Bett. Selbstbewusstsein ist auch ohne Denken möglich. Paris Hilton, Boris, Loddar. Das Ich vermittle zwischen den Ansprüchen des Es, des Über-Ich und der sozialen Umwelt mit dem Ziel, psychische und soziale Konflikte konstruktiv aufzulösen. Der psychisch gesunde Mensch setze so an die Stelle des Lustprinzips das Realitätsprinzip. Der Freud, die gute, alte Wursthaut. Realität. „Strahlende Augen, modische Outfits – Sie stehen doch unter Zalando-Einfluss!“ So schaut sie aus, die Realität 2013. Wer braucht da noch ein Ich?
Wenn Altinger die glaslose Brille aufsetzt, wirkt er besonders intellektuell, behält aber trotzdem den Durchblick.
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Metten, Brannenburg und Hohlmeier
Hämokratie – Trostberg, Postsaal, im November 2000
Durchwachsen: Irgendwo zwischen Spitzen-Kabarett und Uralt-Witzen Die Glasfront des Trostberger Postsaals ist Django Asül nach eigenen Worten zuerst aufgefallen, als er sich am Nachmittag vor seinem Auftritt im Ort umgesehen hat. „Was kostet denn so was? Eine Million? Doch wohl nicht mehr? Zehn Millionen? Eine für den Bau und neun für den Architekten, damit er Ruhe gibt“, analysierte der niederbayerischtürkische Kabarettist. Oft ist Django Asül in letzter Zeit im Fernsehen aufgetreten. Bei Harald Schmidt war er, im „Quatsch Comedy Club“ gab er Ausschnitte aus seinem Programm zum Besten, die „7 Tage – 7 Köpfe“Mannschaft hat er schon einige Male komplettiert und auch beim „Scheibenwischer“ durfte er neben Dieter Hildebrandt und Bruno Jonas glänzen. So unterschiedlich die Qualität der Sendungen, so unterschiedlich war auch die Qualität der „Hämokratie“Programmpunkte. Nicht zuletzt wegen Asüls derzeitiger Medienpräsenz war der Postsaal ausverkauft. Man kennt sie, seine bairisch-türkischen Vorträge, seine Eulenspiegeleien, seine Wortspiele. Klassiker des Programms
„Hämokratie“ fehlten natürlich auch im Postsaal nicht: Das Gespräch am Bankschalter mit der alten Frau, die das orientalische Aussehen des Niederbayern nicht mit seinem Dialekt in Einklang bringen kann. Die Zwiegespräche mit dem urbairischen Bettnachbarn in der Augenklinik, den er von seiner Harmlosigkeit trotz ausländischen Namens durch die Tatsache überzeugen kann, dass auch er Wurstsemmeln isst. Der Dialog mit den beiden Autobahnpolizisten, denen er durch seine valentinesk-klaren Antworten auf ihre diffusen Fragen in Anbetracht seines fremdländischen Namens nur eine Möglichkeit lässt: ihn fahren zu lassen. Mit betont biertischgetränktem Bairisch machte sich Django Asül über die Engstirnigkeit mancher Zeitgenossen lustig. Doch gerade hier wird er oft von der Realität rechts überholt. Die Sprüche bayrischer Scheuklappenträger waren schon derart authentisch, dass die Diskrepanz zwischen dem Darsteller und dem Dargestellten kaum mehr spürbar war. Für Kabarett hat er das Thema Fremdenfeindlichkeit zu wenig bissig aufbereitet, und für Comedy eignet es sich mit Sicherheit nicht.
Erschreckend muss es für den wachen Kabarettisten sein, wie die Konsumenten manchmal reagieren. Klar, Django Asül ist berühmt, bei seinen Vorstellungen ist von einem hohen Spaßfaktor auszugehen. Aber wenn mancher im Publikum gerade bei den sarkastischeren Passagen losprustet, als seien die hohlen Phrasen des Stammtischbruders höchst erfreuliche Ergüsse, dann muss man sich fragen, ob die Botschaft des Kabarettisten angekommen ist. Durchwachsen war’s also, sein Programm. UraltWitze mit schlohweißen Bärten wechselten sich in schöner Regelmäßigkeit mit Spitzenkabarett ab. Ein Niederbayer sollte den Beruf des Entwicklungshelfers ergreifen, weil er dann nicht weit zur Arbeit hat. Spitzenwitz. Letzter herzhafter Lacher: um 1972. Aktuellere Themen traf er aber besser. Das Mordkomplott in Metten, das Attentat in Brannenburg, der Amoklauf von Bad Reichenhall – die Amerikanisierung der Jugend greift nachhaltig um sich. So was hätt’s früher nicht gegeben. So was gibt’s erst, seit Monika Hohlmeier Kultusministerin im Freistaat ist. Das ist Kabarett.
Wenn Patrick Lindner den Weg weist Ist für den Niederbayern Django Asül Deutschland schon Ausland und Jugend im Degenerationskonflikt? Türken und Griechen sind nicht zwangsläufig die allerbesten Freunde – aus historischen Gründen. Da kann’s schon mal vorkommen, dass einen im türkischen Restaurant der Zorn des Wirts trifft, wenn man unbedacht ein Gyros bestellt. Da kann’s dann auch mal Narben geben. Überm Auge. Paradox ist es, wenn so etwas einem Türken passiert. Einem niederbayerischen Türken zwar. Oder einem türkischen Niederbayern. Dem Django Asül, um genau zu sein.
Autark – Trostberg, Postsaal, im März 2002
Das nächste Paradoxon: Nach dieser Vorgeschichte nennt der Kabarettist sein Programm „Autark“. Und das kommt bekanntlich aus dem Griechischen. Na, der traut sich. Wegen so was hat der doch schon mal eine eingeschenkt bekommen. „Autark“ heißt so viel wie „sich selbst genügend, auf niemanden angewiesen, vom Ausland unabhängig“. Doch was ist für Django das Ausland? Ist es die Türkei? Oder ist für den Niederbayern Deutschland – zumal nach Einverleibung der DDR – das Ausland? Auf diesem Dilemma baut der Kabarettist sein Programm auf.
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Django Asül will also autark werden. Und dazu setzt er alles ein, was die niederbayerische Realität zu bieten hat. Navis, Passivhaus-Bauweise, Bankgeschäfte. Aber gerade das Navigationssystem hilft ihm bei seinen Autarkie-Bestrebungen nur bedingt weiter. In das hat sich nämlich Patrick Lindner oder zumindest dessen Stimme eingeschlichen. Wenn einem der den Weg weist, wo soll das hinführen? Dann hat man mit 30 einen Ehemann und ein russisches Adoptivkind. Aber nicht, dass man Django verkehrt versteht. Er hat nichts gegen Russen. Auch wenn der Krieger- und Veteranenverein seiner Heimatgemeinde Hengersberg jeden Sonntag nach dem Gottesdienst mit einer im Russlandfeldzug erbeuteten Hammerund-Sichel-Flagge ums Haus der Hengersberger
Russlanddeutschen zieht. Ausländerfeindlichkeit ist für den türkischen Niederbayern selbstredend kein aktiv praktiziertes Thema. Auch wenn’s – natürlich kabarettistisch überzeichnet – den Anschein haben könnte. Aber er erklärt das ganz anschaulich am Beispiel Beckstein. Der sei nämlich auch kein Bayer, sondern ein Franke und damit allerhöchstens ein Underdog der Bayern. Da sei es doch klar, dass sich Beckstein andere Underdogs sucht, die Ausländer nämlich, die die Franken womöglich nach historischem Vorbild (kleiner Exkurs in die Geschichte zum Einfall der Hunnen) aus ihrem angestammten Lebensraum verdrängen. Beckstein ist also keinesfalls Ausländerfeind – er hat nur Angst vor Verdrängung. Django nimmt nicht nur die Staatsregierung aufs Korn. Da ist es, das völkerverbindende Element: Ärger mit der Obrigkeit. Django ist der letzte in seiner Familie mit türkischem Pass. Deshalb soll er in der Türkei an der Waffe dienen. Das jedenfalls erklärt ihm der Vizekonsul in München. Aber Django macht diesem schnell deutlich: Das diente nicht der inneren Sicherheit der Türkei. Dass allerdings Djangos Schwester einen Einberufungsbescheid vom Deggendorfer Kreiswehrersatzamt bekommt, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Türkei – Niederbayern – Deutschland. Ein dynamisches Dreigestirn voller Möglichkeiten zur totalen Verwirrung. Was wär‘ das gewesen, wenn sich Deutschland statt mit der DDR mit der Türkei vereinigt hätte. Dann könnten die Türken im eigenen Land arbeiten und die Deutschen im eigenen Land Urlaub machen. Aber so – Chance vertan. Dann muss man sich halt den heimatlichen Mikrokosmos so gestalten, um autark leben zu können. Django baut sich ein Haus in Hengersberg und lässt seine Familie drin wohnen. Auch nicht einfach – als einziger Türke unter Deutschen, als echte Rand-
gruppe. Da ist es schon deprimierend, wenn er von der Tournee nach Hause kommt und an seiner Tür ein „Ausländer raus“-Aufkleber pappt. Wenn ihm das Haus nicht gehörte – sein Vater hätt‘ ihn längst rausgeschmissen. Django macht sich auf der Suche nach Autarkie Gedanken, wo das hinführen soll mit Deutschland. Die Jugend wird immer dicker, immer fauler, immer dümmer. Befindet sie sich in einem Degenerationskonflikt? Django setzt auf Disziplin: „Vor ein, zwei Jahren begnügte man sich, die Bildungsreform durch die Erschießung von Lehrern voranzutreiben. Das hatte nur begrenzt Erfolg. Vielleicht brauchen wir einfach mehr Disziplin in der Schule. Beispiel: Benito Mussolini, der große italienische Demokrat, war von Beruf Lehrer. Was haben wir entgegenzusetzen? Frau Bulmahn als Bildungsministerin hat eine Ausstrahlung wie jemand, der als Kind zu wenig Schokolade bekam und viel zu selten von den Eltern geschlagen wurde. Und selbst wir in Bayern müssen uns mit der Strauß-Tochter Hohlmeier als Kultusministerin begnügen, die ihre eigenen Kinder auf die Waldorfschule schickt und somit ein Verhältnis zur Bildungspolitik hat wie Rudolf Scharping zu Linienflügen.“ Django Asül schöpft aus dem Vollen: Als niederbayerischer Türke ist er unverdächtig, ausländerfeindlich zu sein – eine moralische Witzblockade braucht bei ihm nicht zu greifen. Wenn sich ein Ausländer über Ausländer lustig macht – und das auch noch im breitesten Niederbairisch –, dann muss sich der Deutsche nicht zurückhalten. Er darf lachen, lauthals, hemmungslos. „Autark“ – ein Spaßkatalysator höchsten Ranges? Oder hält uns dieser Türke frech den Spiegel vor? Sind wir nicht tief im Innersten doch fremden Kulturen gegenüber wenig aufgeschlossen, argwöhnisch, überheblich? Hoffentlich hat er nur Spaß gemacht.
Was ist sinnlose Gewalt? Wenn man dem Söder eine Watschn gibt. Weil da schon der Söder sinnlos ist.
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Ein Mundwerk wie ein Krummsäbel Hardliner Django Asül erklärt Terror, sinnlose Gewalt und den Filialleiter-Job Ugur Bagislayici hat‘s bestimmt nicht leicht gehabt. In Hengersberg ist er geboren, am Eingang zum Naturpark Bayerischer Wald. Wobei seine Mama damals, am 19. April 1972, natürlich nicht vor dem Tor zum Wald entbunden hat. Nein, Hengersberg wirbt auf seiner Internetseite damit, ältester Markt Altbayerns und eben Eingang zum Bayerischen Wald zu sein.
Hardliner – Trostberg, Postsaal, im Mai 2007
Ugurs Jugend war sicher beinhart. Zumindest wenn die Hengersberg-Homepage auf die Mentalität des Hengersbergers rückschließen lässt. Da wird – wie selbstverständlich – die Einwohnerzahl aufgeschlüsselt in Deutsche, Ausländer und Gesamt. Von 7703 Hengersbergern sind 425 Ausländer. Ob diesen Anteil der Hengersberger als hoch empfindet? Naja, wenn er‘s aufdröselt... Auf jeden Fall ist Ugur Bagislayici dem Namen nach ganz klar der Gruppe der Fremdländer zuzuordnen. Obwohl man vorsichtig sein sollte, da gibt’s die Herren Chmielewski und Nadolny zum Beispiel – nein, das sind keine Polen, aber auch Exoten: die beiden Quoten-SPDler im Hengersberger Gemeinderat (Stand Mai 2007). Ugur Bagislayici ist das Ergebnis einer ungewollten Schwangerschaft. „Jedenfalls: I wollt ned.“ Schon die mütterliche Umgebung hat ihm nicht gepasst – 39 Grad Außentemperatur, hohe Luftfeuchtigkeit, diese unerträgliche Enge. Pränatal traumatisiert wächst der kleine Türke im Mittleren Osten Bayerns auf. Trotz dieser widrigen Umstände schafft er sein Abitur, schließt er eine Banklehre ab, könnte er ein bürgerliches Leben führen, im Fitnessstudio Privat- und Berufsleben in Einklang bringend auf dem Spinning-Rad schwitzen: treten, aber nicht vom Fleck kommen. Macht er aber nicht. Ugur Bagislayici ist ein Einzelkämpfer, hart gemacht von harter Jugendzeit – ein
Hardliner. Fortan nennt er sich Django. Django Asül. Auf der Bühne seziert er Politik, Gesellschaft, Spießbürgertum, Fehlleistungen und Dummheit. Djangos Waffe ist sein Mundwerk, ein Mundwerk wie ein Krummsäbel, geführt von einem scharfen, analytischen Geist. Er scheut sich nicht, die Synapsen auch mal falsch zusammenzuschalten. „Die Legende vom Sankt Martin ist ja so was wie eine Vorschau auf das geeinte Deutschland: Mantel geteilt, kurz drauf sind Martin und Bettler erfroren.“ Die Lacher sind programmiert. Martialisch kommt er daher in seinem Camouflage-T-Shirt, das die Bizepse kaum bändigen kann. Angriffslustig ist er – „Aha. Presse is aa do. Für wen schreibst‘n? - „Für‘s Tagblatt.“ - „Und do kummst bei der Nacht!?“ Haha. Lustig. Finden aber auch nur die anderen. Alle anderen. Ähnlich geht’s einem Industriemechaniker im Publikum, den Django Asül spontan in die Kabelbaumschule verortet. Wenigstens hat der an allen richtigen Stellen gelacht – unter passiver aber freundlicher Mithilfe seiner Freundin. Und die Lacher auf der Seite der Zuschauer und weniger auf seiner hat auch ein junger Getränkemarktfilialleiter, der ob seines Berufsbildes offensichtlich genügend Zeit hat, sich einen Platz in der ersten Reihe zu sichern. Er ist – trotz aller Härte gegen sich und andere – einer, der die Welt erklärt. Thema des Hardliners ist selbstredend der Terror. „Ein Terrorist will dem Staat Schaden zufügen. Zum Beispiel: Wenn jemand Ulla Schmidt entführt... Blödes Beispiel.“ Jeder weiß jetzt, was Terror ist. Django Asül kennt die feinen Abstufungen – wie die sinnlose Gewalt, „wenn man beispielsweise dem Söder eine Watschn gibt. Weil da schon der Söder sinnlos ist.“
Ganz starke Momente hat er, wenn er in die Rolle des radebrechenden türkischen Vaters oder Onkels schlüpft. Mit wohlgesetzter Bauernschläue deckt er die Fehler im System auf, lässt anscheinend einfache Menschen in einer anscheinend fremden Sprache anscheinend einfache Weisheiten kundtun. Alles lacht – und das mit Recht. Wie das Merkel dem Türken die „piriviligierte Partnerschaft“ anbietet. Die piriviligierte Partnerschaft, so was wie Homoehe, dem Türken! Da kann man schon mal das Lebensgefühl eines Israeli entwickeln, der mit einer Schweinshaxe in der Hand auf dem Teheraner Marktplatz steht.
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Ein Kabarettist von fragilem Gemüt Django Asüls Erkenntnisse: Vom Euro-Rettungsschirm über Integration bis hin zur vhs-Doktorarbeit
Fragil – Traunreut, k1, im Mai 2011
Haben Sie das Prinzip des Euro-Rettungsschirms durchschaut? Nein? Dann wären Sie besser mal am Mittwochabend ins k1 gegangen. „Das ist so, als hätten Sie zehn Millionen Euro Schulden und sie gehen zu Ihrer Hausbank und sagen: ,Ich möcht‘ für meinen Nachbarn bürgen, weil: der hat 100 Millionen Euro Schulden.‘“ Transparenter kann man aktuelle Währungspolitik nicht erklären. Und Ugur Bagislayici muss es wissen. Er ist zwar kein Volkswirtschaftler, hat aber bei der Sparkasse gelernt. Nun gut, bei der Sparkasse Hengersberg. Und das liegt bekanntlich in Niederbayern. Aber immerhin: Horst Köhler war auch mal bei der Sparkasse – und hat’s bis zum Bundespräsidenten gebracht. Bundespräsident wird Bagislayici wahrscheinlich nicht mehr werden. Das hat zwei Gründe: Stellen Sie sich vor, Jörg Schönenborn müsste in seinem ARDDeutschlandTrend regelmäßig verkünden, Ugur Bagislayici sei der beliebteste Politiker. Den Namen kann doch keiner unfallfrei aussprechen. Obwohl Bagislayici das Problem halbwegs locker umschifft hat: Er nennt sich Django Asül. Spricht sich leicht, aber „Asül“ ist für manchen auch nicht ganz unproblematisch. Und der zweite Grund? Django Asül ist Türke. Immer noch. Sein Vater nicht mehr, er schon noch. Trotz bayerischem Abitur, bayerischer Banklehre und bairischem Dialekt. Nun gut, niederbairischem. Zumindest scheint Bagislayici halbwegs sozialisiert. Sofern man beim Niederbayern von Sozialisation sprechen mag. Für den Nockherberg hat’s jedenfalls nicht gereicht. Und der ist – neben dem politischen Aschermittwoch in Passau – immer noch das Maß aller Dinge. Der Vater Türke mit deutscher, er Niederbayer mit türkischer Staatsbürgerschaft – natürlich steckt Django Asül in einer Identitätskrise. „Als Ausländer darf ich ja nicht wählen. Wenn ich mal Deutscher bin, brauch i ned wählen.“ Wer sich mit solchen Problemen rumschlagen muss, dessen Gemütszustand ist fraglos zerbrechlich, fragil – und so heißt
das Programm, mit dem Asül seit zwei Jahren unterwegs ist. Das bedeutet aber nicht, dass Asül jahrelang jeden Abend dasselbe erzählt. Natürlich haben sich zentrale „Fragil“-Programmpunkte gehalten. Zunächst nimmt er den Vertreter der örtlichen Presse aufs Korn. Traditionell. Wie vor zwei Jahren fragte er: „Für wen schreibst’n?“ Konterte er damals auf die Antwort „Fürs Tagblatt“ mit „Und do kimmst bei der Nacht?“, ist es diesmal nach „Für den Traunreuter Anzeiger“ das denunziatorische Moment im Zeitungstitel, über das er sich lustig macht. Und wie damals entlockt er einem Zuschauer – dem Chef eines Blumengeschäfts, der Einzelhandelskaufmann in Sachen Eisen, Sanitär und so gelernt hat – wesentliche Details seines beruflichen Werdegangs. Nach wie vor schildert er seine düstersten Momente, in denen es ihn überkommt, sich eventuell einbürgern zu lassen. Weil er das mit dem TürkischSein nicht richtig hingekriegt hat. Das ist so, als mache jemand eine Ausbildung zum Kaufmann in Eisen, Sanitär und so – und lande doch nur in einem Blumenladen. Oder als wolle man Deutscher werden – und ende als Österreicher. Und immer noch gibt er den Provinz-Fußballtrainer, der die migrationshintergründige Dorfjugend in die Gesellschaft integriert – mit gelebter „Präventivität“, und zwar vorher. Weil man den Zorans, Abduls, Mehmets und Victors, die nicht automatisch gestörter sind als ihre einheimischen, iPad-verkabelten Altersgenossen, einfach eine vernünftige Alternative zur Realität bieten muss. Und auch Zeitgeistiges findet immer noch den angestammten Platz in „Fragil“, wenn Asül den Wellness-Unternehmer über „Darmkur Europa“ referieren lässt, vertrieben von der Firma darmreinigung. net. Das Frappierende daran: Die gibt’s wirklich. Eine Monatspackung Darmkur Europa mit Quellpulver und Reinigungstabletten samt Naturhaarbürste kostet 92 Euro. Was die Bürste mit Darmreinigung
zu tun hat, mag man sich gar nicht vorstellen. Aber das steht wohl in der dankenswerterweise im Preis inbegriffenen Anleitung. Diese „Fragil“-Szenen sind stark, aber seine ganze Stärke spielt Asül aus, wenn er tagesaktuell Kabarett macht. Boshaft seziert er den schwarz-gelben Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Atomausstieg. Seehofer, Dobrinth, Söder – keiner kommt ungeschoren davon. Um 17.55 Uhr meldete gestern Focus-Online, die Uni Konstanz habe der StoiberTochter Veronika Saß den Doktortitel aberkannt – und um 20 Uhr hat’s Django Asül im Programm. Der Ex-Landesvater sei ins Grübeln geraten. Ob Veronika überhaupt seine Tochter ist. Oder etwa doch die seines Chauffeurs? Damit holt er natürlich Silvana Koch-Merin mit ins Programm. Und die Mutter aller Doktorarbeiten, Karl Theodor zu Guttenberg, sowieso. Über Dr. Westerwelle gelingt es Asül elegant, „Fragil“ Lokalkolorit zu geben. Was hat der NochFDP-Chef mit Zentralsüdostoberbayern zu tun? Ganz einfach: Westerwelle hat seinen Doktor an der Fernuniversität Hagen gemacht. „Der ist noch nicht mal hingegangen! Fernuni Hagen. Das hört sich doch schon an wie Volkshochschule Trostberg!“ Für das k1 und Traunreut findet der Kabarettist warme Worte: Weil Traunreut halt ganz was anderes ist als beispielsweise Traunstein. Viel mondäner. In der wahren Hauptstadt des Landkreises nimmt sich der Tourist Asül gern mal zwei Minuten Zeit, die Altstadt zu besichtigen. Und das k1? Da macht die Chiemgauhalle keinen Stich. Obwohl die schon auch was hat: „Da kann’s sein, dass an einem Tag ein Symphonieorchester drin spielt – und am nächsten Tag ist dort Zuchtviehversteigerung.“ Nein, Bundespräsident wird Asül wohl nicht mehr. Überhaupt: Berlin ist für Kabarettisten derzeit kein lohnendes Pflaster. Weil ein Kabarettist aus dem Traunreuter Stadtgebiet die Bundeshauptstadt längst unter Kontrolle hat. Gegen Ramsauer ist doch jeder andere Komiker chancenlos.
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Piriviligierter Partner von das Merkel: Ugur Bagislayici
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Wer einen Paradigmenwechsel fordert, der verlangt, dass sich etwas ändert – und zwar die anderen.
„Traunreut ist wie Venedig ohne Gondeln“ Django Asüls Programm „Paradigma“: Europäischer Wirtschaftswahnsinn und die Last der Verantwortung Brauchen wir einen Paradigmenwechsel? Die Schweizer Bankenwelt braucht einen im Umgang mit Steuerflüchtlingen. Fordern wir. Bei den Nachtspeicheröfen braucht’s auch einen. Fordert die FDP, warum auch immer. Der Verfassungsschutzpräsident fordert einen, der EU-Agrarpolitik wird einer verordnet. Alle wollen Paradigmen gewechselt sehen. Grund genug für Django Asül, sich mit dem Phänomen auseinanderzusetzen. Folgerichtig heißt sein neues Programm, das er vor mehr als 400 Zuschauern im k1 vorgestellt hat, „Paradigma“. Im k1 übrigens, weil der K2 nur ein Steinhaufen im Himalaya ist und k3 sich saublöd anhören würde.
Paradigma – Traunreut, k1, im September 2012
Also, brauchen wir, braucht Traunreut einen Paradigmenwechsel? Laut Asül-Analyse eher nicht: Traunreut ist die Stadt der Sieger. Der Niederbayer im Allgemeinen und Asül im Besonderen blickt mit Neid auf diese Stadt, die kulturelle Bastion des Chiemgaus, Bayerns, des Abendlandes. „Traunreut, das ist für mich wie – Venedig ohne Gondeln.“ So wird Traunreut von außen wahrgenommen, die Stadt „mit dem beliebtesten Bürgermeister Bayerns“, wie der Kabarettist das Landratskandidatenroulette mit einem Satz abhandelt. Die Stadt, aus deren Villenviertel einer der begnadetsten Pianisten stammt, dessen Mutter ergriffen gesagt hat, als sie damals das Kind Klavier spielen hörte: „Der wird mal Verkehrsminister.“ Warum soll diese Stadt einen Paradigmenwechsel benötigen?
stammt. Jedenfalls hat Django Asül vor eineinhalb Jahren seinen türkischen Pass zurückgegeben, ist jetzt Deutscher. Vorbei ist’s mit der türkisch-niederbayrischen, spöttischen Distanz zu den Themen unserer Zeit. Jetzt spürt er sie wie wir, die historische Verantwortung, die auf die kollektive deutsche Schulter drückt.
kurzfristigen Unsinn, hin zum langfristigen Irrsinn – „Europa zwischen Inflation und Explosion“. Die Griechen sollen gefälligst ihr Defizit abbauen, dann kommen sie unter den Rettungsschirm – „ganz nach dem Prinzip: ,Dein Schnitzel bekommst du erst, wenn du nachweisen kannst, dass du Vegetarier bist.‘“
Vorbei ist’s mit der südländischen Leichtigkeit des Seins. Hinterfragen ist angesagt, das Suchen nach Asüls Platz in dieser Welt, Sinnsuche und Selbstzweifel bestimmen seinen Tag. Und während er so grübelte, musste er feststellen, „dass mir das Auftreten vor Leuten gar nicht liegt“. Dieses egozentrische Für-sich-Sein auf der Bühne, dieses ewige Sich-Produzieren, ohne inneren Bezug zum Publikum. Was weiß man denn als Kabarettist von seinem Publikum? Nichts. Das geht nicht. Wo wir doch Verantwortung übernehmen müssen. Nachhaltige, biodynamische, basisdemokratische, umweltbewusste Verantwortung. Nein, so geht’s nicht weiter. Ein Paradigmenwechsel muss nicht nur her, er muss gelebt werden.
In EU-Fragen darf man als Deutscher keine Beschwerden beim Nicken haben. Das ist Django Asül im Zuge seiner Einbürgerung schnell bewusst geworden. Die Paradigmen hat er verinnerlicht, Paradigmen in der Übersetzung „Vorurteile“. Damit spielt der Kabarettist, wie man’s von ihm kennt. Nicht immer elegant, nicht immer ganz neu, aber meist treffend. Dass Kanzlerin Merkel keinen Standpunkt vertritt und Seehofer immer deren zwei hat – einen als Ministerpräsident und einen als CSU-Chef, das ist altbekannt. Aber man hört’s immer wieder mal gern im Kabarett.
Paradigma. Laut Duden bedeutet das Beispiel und Muster. Wikipedia ergänzt die Bedeutungen „Vorbild, Abgrenzung, Vorurteil, Weltsicht und Weltanschauung“. Egal, welche Übersetzung man präferiert: Wer einen Paradigmenwechsel fordert, der verlangt, dass sich etwas ändert – und zwar die anderen. Die Welt soll sich ändern, damit man selbst der Alte bleiben kann. Globale Flexibilität zum Zwecke des eigenen Machterhalts, der eigenen Besitzstandswahrung.
Nein, braucht’s nicht. So souverän, wie man sich als größte Stadt des Kreises gegen die Große Kreisstadt behauptet – „Traunreut und Traunstein, das ist ja ein bisserl wie Nord- und Südkorea“. Traunreut gewinnt. Immer. Das sieht man doch allein schon am k1, an dessen Manager. Der Magister Kazianka, aus der – im Vergleich zu Traunreut –kulturellen Diaspora Salzburg kommend, hatte laut Asül die Wahl zwischen Barcelona, Buenos Aires und Traunreut. Und wofür hat er sich entschieden? Gegen Barcelona, weil die Spanier eh kein Geld haben, und gegen Buenos Aires, weil ihm das zu weit weg war. Traunreut, den strahlende Stern am bayerischen Kulturfirmament hat er sich erwählt. Nein, Traunreut, die Stadt mit der wahrscheinlich jüngsten Altstadt Bayerns, hat einen Paradigmenwechsel nicht nötig.
Paradigma kommt aus dem Griechischen. Wenn Asül seinem Programm einen griechischen Titel gibt, dann hat das durchaus etwas Quasi-Ökumenisches. Hätte gehabt, wäre er noch Türke und von der griechisch-türkischen Rivalität vorbelastet. Ein Schritt hin zum Nachbarn. Gut, der Aspekt ist ihm ein wenig verloren gegangen. Er ist ja jetzt Deutscher ohne Berührungsängste zumindest griechischen Fremdwörtern gegenüber. Aber Django Asül teilt nun natürlich qua Pass das deutsche Misstrauen der griechischen Fiskalpolitik gegenüber. Das historisch gewachsene ist dem finanziellen Feindbild gewichen. Was ein Paradigmenwechsel.
Und der Django Asül muss das wissen, der kennt sich damit aus, hat er doch selbst grad einen durchgemacht. 39 Jahre lang war er Migrationshintergründler, wobei nicht ganz geklärt ist, ob dieser Hintergrund von seinen türkischen Wurzeln oder vom prägenden Lebensumfeld Niederbayern
Genauso wie die Einsicht, dass Schulden abgebaut werden müssen. Mit noch mehr Schulden. Marode Staaten retten marode Banken, die dann ihrerseits die maroden Staaten retten sollen, was sie natürlich nicht tun. Die wollen ja weg von den Miesen. Django Asül erklärt, wie sie läuft, die Krise. Weg vom
Seine stärksten Szenen hat Django Asül, wenn in seiner programmatisch bedingten Nabelschau die Perspektive wechselt, wenn er in die Haut des türkischen Freundes seines Vaters schlüpft und schildert, wie der die Welt sieht. Feinste Stammtischanalysen, die den Vorteil haben, dass sie nicht die vereinfachende Stammtischsicht schildern, sondern einen gleichsam internationalisierten Aspekt – vom Wulffschen „Streichzapfen“ bis hin zu Gauck, den die evangelische Merkel nicht mag, weil der protestantisch und ein Ossi ist, der in der DDR aufgewachsen ist. Oder wenn Asül ein Saunagespräch mit dem Tennisspezl spielt, der ihn aufgrund seiner Einbürgerung weg vom orientalisch geprägten hin zum emanzipierten Frauenbild coacht. Da tut sich für den gebürtigen Macho natürlich neue Welten auf, wenn er das hört: „Was ist der Mann von heute? Der Bub von gestern. Was ist der Bub von heute? Der Depp von morgen. Weil er das Weibliche an sich von Anfang an als Besatzungsmacht erlebt.“ Da wird man doch gern metrosexuell. Genau, man muss sich mehr kümmern, seine weibliche Seite zulassen – auch als Mann. Ein kleiner Paradigmenwechsel für die Menschheit, aber ein großer für das Individuum. Der, den Django Asül durchgemacht hat, war eher ein kleiner. Nach wie vor schießt er gegen Dobrindt (der sich von der Körperfülle her seinen intellektuellen Möglichkeiten angepasst hat) & Co. Nach wie vor nimmt er Wirtschaft, Politik und anwesende Journalisten aufs Korn. Nein, seine Paradigmen hat der Kabarettist letztlich nicht gewechselt. Braucht’s auch gar nicht. Das Programm „Paradigma“ braucht’s dagegen schon.
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Historische Bedeutung Trostbergs erfasst Django Asül staunt über die Digitalisierung des Eingeborenen – Heimatkunde und andere Vorurteile Welchen Eindruck muss der Django Asül vom Trostberger haben! Kommt auf die Postsaalbühne und sieht als erstes sechs freie Plätze in der ersten Reihe, schön auffällig mittig. Sonst ist alles voll. Hat sich keiner hingetraut. Das kommt dabei raus, wenn der Trostberger freie Platzwahl hat. Bespaßen lassen will er sich, aber mit dem Kabarettisten auf Tuchfühlung gehen oder gar in sein Programm einbezogen werden? Gwieß ned. Sicherheitsabstand. Weil er misstrauisch ist, der Trostberger. Dass dann Teile der zweiten automatisch zur ersten Reihe werden, hat er nicht bedacht.
Paradigma – Trostberg, Postsaal, im Januar 2013
Etwaige Sorgen sind eh unbegründet. Zum einen, weil in der ersten Reihe traditionell das Journalistenpack sitzt – und das ist schon immer Django Asüls bevorzugter Ansprechpartner. Und zum anderen weiß er natürlich um die Bedeutung der Stadt und die Aufbauleistung der Eingeborenen – „wo doch Trostberg quasi die Hauptstadt des Landkreises Traunstein ist“. Von weit her kommt das Publikum ins kulturelle Zentrum Altbayerns – ein Student ist aus München angereist, ein Ehepaar hat gar aus einem völlig anderen Kulturkreis den weiten Weg in die fremde Stadt auf sich genommen, vorher gar nicht wissend, dass es Trostberg überhaupt gibt, wie Asül in einem Gespräch vor der Vorstellung erfahren haben will. „So eine tolle Stadt!“ – „Ja, wo sind S‘ denn überhaupt her?“ – „Aus Altenmarkt.“ Schmäh. Aber er hat schon Recht: „Trostberg ist gelebte Historie. In Sachen Handel und Industrie hat das eine jahrhundertelange Tradition. Tuchmacherei zum Beispiel war da mal ein ganz großes Thema. Der Hugo Boss, der soll ein Trostberger gewesen sein.“ Heimatkunde mit Django. Sachen erfährt man da. Schon im Mittelalter hätten Weltkonzerne in Trostberg ihren Anfang genommen – „Edeka, Degussa, BASF, lauter Trostberger“. Überhaupt, der Chiemgau. Eine ganz angenehme Gegend. Im September war Asül in Traunreut, auch sehr angenehm. „Der Traunreuter ist ein bisschen wie der Traunsteiner – bloß ein bisserl außerhalb.“ Vollends eingenordet ist der Kabarettist, als er dessen gewahr wird, dass gleich drei Zeitungen über sein Postsaal-Gastspiel berichten. Trostberger Tag-
Was ist der Mann von heute? Der Bub von gestern. Was ist der Bub von heute? Der Depp von morgen.
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blatt, Traunreuter Anzeiger und Traunsteiner Tagblatt. Ein Presseaufkommen in Zentralsüdostoberbayern, wie es sich sonst nur München, Hamburg oder Berlin leisten. „Da sieht man: Trostberg ist halt schon ganz oben angelangt. Da wundert’s mich auch nicht mehr, dass da inzwischen auch schon Leute von Altenmarkt herfahren.“ „Tagblatt, Anzeiger – die einen kommen nur tagsüber und der andere ist der Anzeiger. Muss ich da juristische Konsequenzen befürchten, wenn da einer vom Anzeiger herinsitzt? ,Erst schreib i mit, und dann zoag i’n oo.‘“ Dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Blättern eindeutig politischer Natur sind, hat Asül sofort erfasst: „Die einen sind CSU, die anderen eher konservativ.“ Während die Traunsteiner Kollegin als Auslandskorrespondentin identifiziert wird, ordnet Asül den Schreiberling Ihrer Lokalzeitung als Nebenerwerbler mit Hauptberuf Sozialpädagoge oder Bahnhofsimbissbetreiber ein. G’feid oder droffa? Eher g’feid. Und als er dann auch noch spitzkriegt, dass die Journaille geschlossen mit Digitalkameras angerückt ist, weiß er: Er ist im Zentrum der Technisierung angekommen. „Und i hob mir gedacht, Ihr wärt’s eher noch analoge Typen. So wie wir Niederbayern halt auch!“ Kannst mal sehen. So ist das mit den Paradigmen. Beispiel und Muster, Vorbild, Abgrenzung, Vorurteil, Weltsicht und Weltanschauung heißt „Paradigma“ übersetzt. Der Trostberger rückständig!? Wieder ein Vorurteil, das Django Asül über Bord werfen kann. Aber das macht er ja auch zu seinem Programm. „Paradigma“ heißt’s und das kommt aus dem Griechischen. Und schon wieder hat er mit einem Vorurteil aufgeräumt: Von wegen die Türken können nicht mit Griechen. Ein Türke, der seinem Werk einen griechischen Titel verpasst – das hat doch schon beinah was Ökumenisches. Stimmt ja gar nicht. Weil der Django Asül doch gar kein Türke mehr ist. Nein, er hat sich einbürgern lassen. Er ist jetzt nicht mehr nur Niederbayer, er ist Deutscher. Mit allen Konsequenzen. War er früher als Türke den Griechen gegenüber aus historischen
Gründen misstrauisch, misstraut er nun als Deutscher der griechischen Fiskalpolitik. So schaut der Prototyp des Paradigmenwechsel aus: Man bewahrt sich das Feindbild, aber wechselt die Gründe. Apropos Feindbild. Selbstverständlich kommen auch die wankelmütige Merkel und der bis zum nächsten Satz standhafte Seehofer zu Ehren, genauso wie Dobrindt, der seine Körperfülle seinen intellektuellen Fähigkeiten angeglichen habe, der fähige Wowereit und sein aufgrund eines Praktikums bei Beck am Nürburgring bestens vorbereitete und noch fähigere Platzeck. Wobei Asül die Aufregung um den Flughafen Berlin nicht nachvollziehen kann. Auslöser war eigentlich ein einfacher Zahlendreher. Für 2310 war die Eröffnung geplant. „Wenn dann definitiv in diesem Jahrtausend der Berliner Flughafen fertig wird, steht sein Name wenigstens schon fest: Edmund-Stoiber-Airport. Weil der Seehofer dem Wowereit vorgerechnet hat, dass der Flughafen wegen des Länderfinanzausgleichs jetzt schon Bayern gehört.“ Der Name passe hervorragend, wo doch „die Berliner Verkehrsbetriebe ausgerechnet hätten, dass man vom Flughafen in die Stadt zehn Minuten…“ So haut Asül seine Pointen raus, eine nach der anderen. Um Paradigmen im Sinne von Vorurteilen geht’s, wenn er die Perspektive wechselt und den türkischen Freund seines Vater treuherzig radebrechen oder einen Saunakumpel über die Rolle des Mannes im metrosexuellen Matriarchat schildern lässt. Da erfährt man alles über Wulffs „Streichzapfen“ und über die Rolle des Ex-Machos, der der Bub von gestern ist, wohingegen der Bub von heute, der das Weibliche von Anfang an als Besatzungsmacht erlebt, der Depp von morgen ist. So ist das, wenn einem ein niederbayerischer neudeutscher Ex-Türke die Welt erklärt. Eigentlich harmlos. Warum diese sechs Plätze in der ersten Reihe freigeblieben sind, ist unklar. Aber auch für dieses Problem hat Asül eine Lösung: „Da bräuchte man einen professionellen Ordner, der die Leute quasi mit Waffengewalt nach vorne treibt. Anderswo machen das Leute, die tagsüber beim ukrainischen Inkassoservice arbeiten.“
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In einer umfangreicheren Verpackung ist halt auch mehr drin.
Der Mann als labyrinth-kluge Ratte
Lizzy Aumeier seziert Psyche der Herren der Schöpfung: Kabarett mit Selbstironie, Schwung und Charme
Männerträume – Traunreut, k1, im September 2011
Wenn eine Frau auf der Bühne über Sex spricht, dann ist sie ordinär. Wenn ein Mann dagegen seine Frau betrügt, mit seinem Gschpusi ein Kind zeugt und die beiden sitzen lässt – dann wird er bayerischer Ministerpräsident. Das Leben ist ungerecht, zur Frau im Allgemeinen sowieso. Zur Frau im Speziellen auch. Zur Frau Aumeier. Weil deren Programm „Männerträume“ heißt. Würde sie da auf der Bühne nicht über Sex reden, bliebe sie zwar auf unordinärem Terrain, sie würde das Thema aber halbherzig abhandeln. Doch halb ist bei der Aumeier überhaupt gleich gar nix. Lizzy Aumeier hat sich die Spezies Mann zur Brust genommen. Der Mann als labyrinth-kluge Ratte in Lizzys Labor. Bahnbrechend Neues haben ihre intensiven Feldforschungen ja nicht ergeben. Das liegt wohl weniger an der Qualität von Aumeiers Recherchen denn an der Qualität der Versuchstierchen. Da hat sich zugegebenermaßen in den letzten Dekaden, ach was: Jahrhunderten, nicht viel entwickelt. Eigentlich seit Adam nicht mehr. Der konnte zumindest auf Evas Frage „Liebst du mich?“ nicht lügen. Wen denn sonst? Seither kann frau auf besagte Frage nicht unbedingt eine ehrliche Antwort erwarten. Von Ministerpräsidenten eh nicht. Nein, die Erkenntnisse, die Aumeier vorträgt, sind wahrlich nicht neu. Ihre Forschungsarbeit hat eher guttenbergschen Symbolcharakter. Alles Wesentliche haben andere schon gesagt, geschrieben. Aber sie hat es gesammelt, ein Kompendium erstellt, ein Nachschlagewerk für jede, die wissen will, wie das Männchen tickt. All die Klischees vom wehleidigen, wortkargen, sich selbst überschätzenden, Potenz strotzen wollenden, keinen Sinn für Romantik habenden, einparken aber nicht zuhören könnenden und doch allwissenden Herrn der Schöpfung, all die Klischees, die der in seiner Rolle festhängende Mann unwillkürlich bestätigt – die hat Aumeier inihrem Programm verarbeitet, neu verknüpft und so-
gar den ältesten Schoten neuen Witz eingehaucht. Auch wenn der eine oder andere Vertreter des männlichen Geschlechts möglicherweise nicht ganz ohne mehr oder minder sanften Druck der Partnerin ins k1 gekommen war: Von „Männerträume“ haben sich mit Sicherheit die meisten amüsieren lassen. Weil die Oberpfälzerin keine Turbo-Emanzen-Abende gestaltet. Sie schafft den Grenzgang zwischen leichter Unterhaltung und Brüskierung spielend und spielerisch, gerät gar nicht in Gefahr, das männliche Publikum zu beleidigen. Weil sie sich selbst nicht im Ansatz ernst nimmt. Sie kennt sich und ihre Unzulänglichkeiten und gibt sie – zumindest die, die eh jeder sieht – schonungslos preis. Aumeier ist nicht gertenschlank, sie nähert sich dem 40. Geburtstag, aber aus der anderen Richtung. Zellulitis an den Oberschenkeln kennt sie nicht, nur Hagelschaden. In einer auf Äußerlichkeiten, auf optische Schlüsselreize konditionierten Männerwelt kann sie so nicht punkten. Sie macht das anders. Mit Witz, Charme, Schwung, mit entwaffnender Körperlichkeit. Aumeier steht für Inhalte, nicht für die Hülle: „In einer umfangreicheren Verpackung ist halt auch mehr drin“, sagt sie von sich selbst. Recht hat sie. Einiges ist da drin. Als erste Frau hat sie am Meistersinger-Konservatorium Nürnberg im Fach Kontrabass examiniert, mit „sehr gut“ natürlich. Und dann hat sie noch Jazz studiert. Und als Kabarettistin reüssiert. Das weiß Aumeier geschickt zu verbinden: Immer wieder streut sie musikalische Elemente ein, unterstützt von Tatjana Shapiro am Flügel. Die Psyche des Mannes entschlüsseln die beiden mit „Schneeflöckchen, Weißröckchen“-Neuinterpretationen, die Verehrer der Kabarettistin gewidmet haben. Die Ukrainerin ist knochentrocken in ihren Kommentaren zum Programm ihrer Chefin, gibt Steilvorlagen, die Aumeier erbarmungslos verwandelt. Erbarmungslos ist sie, was den Kontakt zum Publikum angeht. Den sucht sie nicht. Nein, das ist
kein vorsichtiges Herantasten. Der Zuschauer wird einbezogen, ohne ihm eine Chance zu lassen sich zu entziehen. Die Willis und Thomasse der ersten Reihen müssen permanent damit rechnen, kabarettistische Nebendarsteller zu werden. Aumeier befragt schonungslos und hat auch dann noch die bessere Antwort parat, wenn der Zuschauer meint, lustig geantwortet zu haben. Immer wieder wird er direkt angesprochen. Wenn’s nur das wär: Von Thomas aus Reihe 5 erfährt man nicht nur, dass er in der Lage ist, am Stück zehn Kilometer Rad zu fahren und zu joggen, sondern auch, dass er als Physiotherapeut in Bischofswiesen arbeitet und er mit einer Freundin seiner Frau ins k1 gekommen ist. Thomas‘ halbe Biografie wird ausgebreitet und auf Männerklischees abgeklopft. Doch damit nicht genug: Auf die Bühne muss er. Weil er sich als Fachmann für romantische Liebesfilme outet. Er muss die „Titanic“-Szene an der Reling nachspielen. Aumeier nicht als Eisberg, sondern als Rose DeWitt Bukater alias Kate Winslet. Und Thomas als so etwas wie Jack Dawson alias Leonardo DiCaprio. Zart umfasst er Roses Taille. „Zehn Zentimeter höher und du bist tot. Zwanzig Zentimeter tiefer und ich bin schwanger.“ Aber Thomas meistert die Situation souverän. Als Physiotherapeut ist er Dienstleister genug. Und er hatte noch Glück: Im Auditorium hatte er „Dirty Dancing“ als Liebesfilm ins Spiel gebracht. An der Hebefigur wäre er zerbrochen. Aber es wird der Tag kommen, so prophezeien Aumeier und Shapiro, da werden die Männerträume erfüllt sein. Die Ehefrau, die Geliebte, die Mutter, die Töchter, die Nachbarinnen, Bäckereifachverkäuferinnen und Bundeskanzlerinnen werden dank plastischer Chirurgie alle aussehen wie Claudia Schiffer. Weil der Mann schnell gelangweilt ist, wird ihm das bald zum Halse heraushängen. Und dann, ja genau dann kommt ihre Zeit: „Des sitz ma aus.“
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Dünn war nur das Programm
„Elefantentreffen“ von Ottfried Fischer und Lizzy Aumeier: Massig, sonst eher mäßig Auf Dauer ist das halt schon ein bisserl dünn. Wobei: „Dünn“ ist vermutlich nicht das erste Wort, das einem einfällt, wenn’s um Ottfried Fischer und Lizzy Aumeier geht. Dennoch. Ihr gemeinsames Programm, mit dem sie am Donnerstagabend im k1gastierten, ist – trotz des Titels „Elefantentreffen“ – bestenfalls dünn. „Aumeier und Fischer sind die lustigsten Stoffwechselstörungen auf deutschen Bühnen“, hieß es in der Ankündigung der adipösen Kabarettisten. Das mag stimmen. Zwischen den eher unlustigen Diabetes, Morbus Hunter und Mukoviszidose sind AumeierFischer womöglich tatsächlich die lustigste Stoffwechselstörung. Aber muss man deswegen gleich auf die Bühne?
und Sängerin Aumeier. Da überrascht der Niederbayer: Er hätte eine durchaus angenehme Singstimme, wenn er nur eine höhere Frequenz, die richtigen Noten zu treffen, aufbringen könnte. Geschenkt, das ist ein Kabarett- und kein Konzertabend. Er singt ja nicht nur – er tanzt und spielt auch. Und er kann zeigen, dass die Kritik, als Schauspieler habe nur einen Gesichtsausdruck drauf, nicht greift. Aber auch die Liedauswahl ist eher tragikomisch motiviert. „Schöner Gigolo, armer Gigolo, denke nicht mehr an die Zeiten, wo du als Husar, goldverschnürt sogar, konntest durch die Straßen reiten.“ Natürlich nimmt der Zuschauer das symbolisch fürs Fischersche Schicksal. „Vorüber rauscht die Jugendzeit in langer, banger Einsamkeit. Mein Herz ist schwer
und trüb mein Sinn, ich sitz‘ im gold‘nen Käfig drin.“ Das „Wolgalied“ von Franz Lehar ist nicht uneingeschränkt Ausdruck ewiger Freude. Und auch Meat Loafs „Bat Out Of Hell“ ist kein Paradebeispiel für ein lebensbejahendes Stück Musik. Kratzt man allen zur Verfügung stehenden Mitleidsbonus zusammen, dann sind diese Programmpunkte zumindest ergreifend. Ansonsten ist das Elefantentreffen wie ein Unfall. Man mag’s gar nicht sehen, aber hinschauen muss man dann doch.
Ihre ganz große Stärke ist die Selbstironie, heißt’s immer. Offensiv gehen die beiden mit ihren Schwächen um, mit ihrer beider Volumen und seiner Krankheit. Sie reißen Witze auf ihre eigenen Kosten. Aber ist das wirklich bahnbrechend selbstironisch? Wenn Aumeier ihre Konfektionsgröße mit 76 beziffert, weil sie daheim einen 80 Zentimeter breiten Fernseher hat und ihr Mann nur noch zwei Zentimeter links und rechts sieht, wenn sie davorsteht? Das mag ein, zwei Mal funktionieren. Aber den ganzen Abend lang? Mei, man kann’s ja sehen, dass sie ein paar Kilo zu viel auf die Waage bringt. Da sind Späßchen übers Übergewicht schnell abgegriffen. Oder wenn Fischer seine ungelenke Trippeldrehung „Parkinsonpirouette“ nennt, ist das selbstironisch? Wenn er sich von seiner Bühnenpartnerin den Speichel vom Kinn wischen lässt, ist das selbstironisch? Dass er an Parkinson leidet, ist hinlänglich bekannt. Dass er versucht, das so leicht wie möglich zu nehmen, ist so verständlich wie ehrenhaft. Aber als Kernthema eines Kabarettabends taugt Parkinson so wenig wie Adipositas. Die Selbstironie und Lockerheit, die Aumeier und Fischer zugeschrieben wird, wirkt schnell aufgesetzt bis penetrant.
Elefantentreffen – Traunreut, k1, im Juni 2013
Viele der Gags, die Aumeier zum Besten gibt, kennt man schon aus ihrem Soloprogramm „Männerträume“. „Elefantentreffen“ ist für sie eine Art Wiederverwertunsganlage mit Beistellfischer. Wieder einmal weist sie darauf hin, dass das an ihren Oberschenkeln keine Cellulite, sondern ein Hagelschaden ist. Wieder liefert sie sich am Kontrabass mit ihrer Pianistin Tanja Shapiro ein bayerisch-russisches Musikgefecht. Alles schon dagewesen.
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Das Neue sind die nachsichtigen Gespräche mit Fischer, mit denen sie seine Kalauer- und SparwitzSequenzen einleitet. Sie die besorgte Alten- und Krankenpflegerin, er der Leidende, der noch einmal Bühnenluft schnuppern will. Ja sicher, er hat Parkinson. Aber er ist doch nicht grenzdebil. Diese Haspelei, nur um zu zeigen: Humor ist, wenn man trotzdem lacht, auch wenn’s Siechtum um sich greift – das nervt. Fischer lässt sich nicht am Nasenring durch die Manege ziehen, er zieht sich selbst. Wenn das sein letztes Bühnenprogramm sein sollte, dann hat er den richtigen Zeitpunkt abzutreten verpasst. Schon sein Programm „Wo meine Sonne scheint“ war nicht wirklich homogen, aber „Elefantentreffen“ ist nur noch eine mehr oder minder willkürliche Aneinanderreihung von bärtigen Witzversuchen. Das hat Fischer nicht nötig. Dass er es durchaus kann, zeigen die musikalischen Einlagen mit der Pianistin Shapiro und der Bassistin
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SchÜner Gigolo, armer Gigolo: Seine stärkeren Momente hat das Elefantentreffen, wenn Aumeier und Fischer singen.
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Die geistige Nabelschau einer Liesl
FrühReif – Das Abenteuer Frau – Trostberg, Postsaal-Gewölbe, im Oktober 2009
Angelika Beier arbeitet Klimakterium und Jugendwahn leidlich lustig auf Wahre Schönheit oder Ware Schönheit, in Würde oder in Windeln altern, Männleins Rolle im bevorstehenden Matriarchat – das also sind die Themen, die Frau bewegen. Zumindest, wenn es nach der Kabarettistin Angelika Beier geht, die am Donnerstagabend im Postsaalgewölbe mit ihrem Programm „FrühReif – Das Abenteuer Frau“ gerade dem männlichen Teil des Publikums nur ganz vereinzelte Schmunzler abringen konnte. Frauen und Kabarett – ein schwieriges Verhältnis. Da sind auf der einen Seite Dieter Hildebrandt, Bruno Jonas, Hagen Rether, Urban Priol, Erwin Pelzig, Georg Schramm, Gerhard Polt, Gerd Dudenhöffer, Andreas Giebel, Dieter Nuhr, Volker Pispers, Richard Rogler, Django Asül, Alfred Dorfer, Josef Hader – und auf der anderen Seite Lisa Fitz, Monika Gruber und – ja und? Vielleicht Monika Schwarzmann und Sissi Perlinger, eventuell Simone Solga und Anka Zink. Aber das war‘s dann schon ziemlich. Beier jedenfalls wird sich nicht mit Macht in diese Riege einreihen, geschweige denn nachhaltig in die Männerdomäne Kabarett eindringen. Zu bieder, zu wenig überraschend ist „FrühReif“. Wobei sich schon der Titel des Programms während der Vorstellung nicht wirklich erschließt. Warum frühreif? Nur weil Beier als Ü-50-jährige bisweilen in die Rolle der 80-Jährigen schlüpft, eine früh Gereifte quasi? Ihre kabarettistischen Spitzen sind nicht früh-, allenfalls reif – weil in Würde ergraut, oder weil sie vor langer Zeit vom Baum der Erkenntnis im Garten anderer Humorwerktätiger gefallen sind. Immer wieder amüsant: die Geschichte, wa-
rum der Lebensabend auf einem Kreuzfahrtschiff dem in einem Altersheim vorzuziehen ist – besserer Service, besseres Essen, bessere ärztliche Betreuung, besseres Preis-Leistungsverhältnis; zum letzten Mal gehört am 30. August bei einem Geburtstagsfest eines 70-Jährigen in Engelsberg, vorgetragen von einem 80-Jährigen. Das zündet erst richtig, wenn man‘s von einer Kabarettistin im Postsaal noch mal erzählt bekommt. Zumal der Text seit etwa fünf Jahren regelmäßig im Internet auftaucht. Ganz originell Beiers Einfall, sich Männernamen nicht mehr merken zu wollen. Lohnt sich nicht. KarlHeinz, Arnold oder Robert – wo ist der Unterschied? Sind doch alles nur Willis. Und fortan zieht sich Willi als rotes Fädlein durchs Programm von Frau Beier. Angelika Beier, Geli Beier, Kabarettistin Beier. Aber warum sollte sich das Publikum eigentlich die Namen von Kabarettistinnen merken? Sind doch alles nur Liesls. Und das Lieserl auf der Gewölbebühne müht sich ab mit leidlich lustigen, krawallig kritischen, demonstrativ derben Gschichterln. Das Publikum erfährt, ohne das wirklich zu wollen, dass Schwaben und Neger den längsten haben, dass die Japaner den ihren quer tragen und die Schweden den beweglichsten Unterbauch haben. Wenn das die kabarettistische Krone der Emanzipation sein sollte, muss man auch ernstlich über einen Literaturnobelpreis für Charlotte Roche nachdenken. Liesls Themen sind abgenudelt. Am Schönheitswahn hat sich die Liesl Perlinger abgearbeitet. Da hilft Liesl Beiers zerebrale Narzissmus-Stimulation samt Botox-Behandlung und Face-Lifting auch nicht
weiter. Die Kritik am moralversauenden Privatfernsehen? Zigmal gehört, von den Willis Hildebrandt, Zimmerschied und Jonas zum Beispiel. Und das prämenstruelle, intermenstruelle oder postmenstruelle Syndrom Liesl Beiers ist auch nicht programmtragend. Ob sie gerade wechselt, demnächst wechselt oder die Wechseljahre längst hinter sich hat – das ist in etwa so bewegend wie die Frage, wie der Japaner sein Schwänzlein trägt. Mit demselben Tiefgang beantwortet Liesl transzendentale Fragen: „Gibt es ein Leben nach dem Tod?“ - „Ja, den Musikantenstadl.“ Was ein Brüller. Auch noch nie gehört. Gar nicht gut: Bisweilen scheint Liesl ihre eigenen Pointen zu übersehen. Der finale Lacher zum Gag war längst da – und Liesl schiebt noch zwei, drei Sätze nach, schießt wie einst Willi Ben Johnson übers Ziel hinaus. Überpaced wie Willi Ulle bei der Tour de France. Da fehlt‘s am Timing – oder an der richtigen Dosierung der Dopingsubstanzen. „FrühReif“ ist weniger ein Kabarettprogramm als die Nabelschau Liesl Beiers. Sie verarbeitet Themen, die sie bewegen. Klimakterium, Regelblutung und Menopause mögen sie umtreiben – aber als tragendes Thema eines Kabarettprogramms taugt das nicht. Kritik am Privatfernsehen mag zum guten Kabarettton gehören – aber sollte sich diese Liesl als ehemalige Co-Autorin des inhaltlicher Qualität unverdächtigen ARD-Endlosmachwerks „Marienhof“ hier aus dem Fenster lehnen? Eines jedenfalls hat Liesl geschafft: Die Vorfreude auf richtiges Kabarett – zum Beispiel von Willi Dudenhöffer alias Willi Becker am 23. Oktober im Postsaal – hat sie gesteigert. Merci Liesl, Dein Willi.
Überpaced wie Willi Ulle bei der Tour de France: Angelika Beier
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Wer soll denn diese Lücke schließen?
Biermösl Blosn gibt ihren Abschied von den Chiemgauer Bühnen: Publikum feiert die Well-Brüder Freilich ist das wahr. Ich hab’s doch selber gesehen. Selbstverständlich. Ich war ja dabei. Natürlich hat er geklatscht. Gelacht hat er sogar, man ist fast versucht zu sagen: Es hat ihn richtiggehend gebeutelt. Und zwar bei der Klausur vom Landtagsabgeordneten und möglichen Landratskandidaten Klaus Steiner mit Finanzminister Markus Söder. Im ministerpräsidialen Enddarm. Doch, durchaus: Der Erste Bürgermeister und mögliche Landratskandidat Franz Parzinger konnte sich eines leichten Amüsements nicht erwehren.
Das soll’s also gewesen sein. Schluss, aus, fertig. Die haben doch bestimmt wieder keinen gefragt. Den Gerhard Polt zum Beispiel. Oder wenigstens Innenminister Joachim Herrmann. Hören einfach auf. Immer machen die, was sie wollen. Keine Lust mehr, nach 35 Jahren. Ja sagt’s mal, geht’s noch? Der Stefan Mross hat doch auch noch seine Homepage mit der von Stefanie Hertel verlinkt. Das sind Professionelle. Nehmt’s Euch doch mal ein Beispiel an Euren Kollegen. Auch wenn privat nix mehr läuft, kann man doch beruflich weitermachen. Wer soll denn diese Lücke schließen? Wer soll denn jetzt Volksmusik in höchster Vollendung mit kritischen, intelligenten, witzigen, geistreichen, den Blick öffnenden Texten verbinden? Hertel und Mross scheiden aus, jetzt sowieso.
Kreisverkehre, Gewerbegebiete, Landwirtschaft, CSU – die Biermösl Blosn zelebriert ihre Lieblingsthemen. Das ist zwar nicht neu, aber immer wieder gern gehört. Weil sie’s einfach können. Und was sie auch können: Aktuelle Themen vertexten sie mit leichter Hand und immer ins Zentrum treffend. Sie schaffen es sogar, die Finanzkrise samt Schmähungen ihrer inkompetenten Akteure so in ein lateinisches Kirchenlied zu verpacken, dass man das auch ohne fundierte Lateinkenntnisse versteht. Flöte, Dudelsack, Harfe, Zither, Akkordeon, Tuba, Horn, Bachtrompete, Trompete, Alphörner, Saxofon, Gitarre, Okarina, Laute, Löffel, Dudelsack, Banjo, Rainmaker und Glachter – ein ganzes Orchester könnte das Trio ausstaffieren. Könnte, kann aber nicht. Weil die Brüder das alles selber brauchen.
Wobei ihr Dreigsang allein schon begeistert. Spätestens wenn Stopherl die Bachtrompete ansetzt, wird’s mucksmäuserlstill im Zuschauerraum. So muss das Instrument gespielt werden. So und nicht anders. Der ist nicht gut, der ist virtuos. Sagenhaft. Der Respekt steht im Saal, greifbar. Der gibt den ätzenden Spottliedern auf Filz und Lug und Unvernunft gleich noch mehr Gewicht. Nein, Musikclowns sind sie nicht, keine Kaschperl. Sie haben es in den vergangenen 35 Jahren geschafft, Volksmusik wieder von Volkstümelei zu separieren, ihr den Muff von 1000 Jahren auszutreiben. Sie sind Erneuerer und Bewahrer zugleich. Mit ihrer 35-jährigen Mission haben sie es geschafft, dass Bayern vom den Bayern und dem Rest der Republik nicht nur als das Land des ewig schwarzen, ewig jodelnden und fensterlnden Bergvolks wahrgenommen wird. Sogar die Grade-noch-Volkspartei, die es der Gruppe nicht leicht gemacht hat, folgte nach über drei Jahrzehnten mancher Argumentation der Gebrüder Well – die Schwarzen geben sich jetzt fast noch grüner als die Grünen. So gesehen kommt der Rückzug von der Bühne wahrscheinlich zum rechten Zeitpunkt. Schad ist es trotzdem. Weil sie immer auch im Kleinen was bewirkt haben: Im k1 beispielsweise verhalfen sie Bürgermeister Parzinger zu einer tragenden Rolle. Er durfte Hans Wells beim Musizieren unterstützen: Er schulterte das Alphorn. Eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen die CSU der Biermösl Blosn unmittelbar und wissentlich geholfen hat.
Nein, so richtig wahrhaben wollte eigentlich gar keiner im k1, dass die Biermösl Blosn im Gäu nicht mehr zu sehen sein wird. Gar nicht von der Bühne lassen wollte das Publikum den Stopherl, den Michael und den Hans. Zweieinhalb Stunden waren offenbar zu wenig. Keine Minute brauchen die Gebrüder Well, um die Zuschauer einzufangen. Erst die Grüße von der Staatsregierung, dann die Drohung vom Hagebaumarkt: Wenn der BayWa-Markt gebaut wird, würde man eine Sprengung Traunreuts in Erwägung ziehen. Die Biermösl Blosn schiebt massiv Lokalkolorit hinterher: das Geschäftssterben in der Innenstadt,
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Abschiedstour – Traunreut, k1, im Dezember 2011
Es ist auch gar nichts dabei. Alle haben’s gelacht, am Donnerstagabend im k1. Da kommst nicht aus. Das Bild ist zu absurd, das die Biermösl Blosn von Seehofers Innenleben gezeichnet hat. Steiner, dem die Gebrüder Well immerhin Größe attestieren – zumindest wenn er zwischen zwei Gartenzwergen steht –, und der beliebteste fränkische Minister seit Guttenberg samt Kabinett im Seehoferschen Verdauungstrakt. Man mag es gar nicht glauben, dass der ein solches Format hat. Und man mag es sich gar nicht vorstellen. Das bekommt man nicht mehr aus dem Kopf. Was mag die Herrschaften nur dazu bewogen haben reinzuschlüpfen? Hmm. Da steckt man nicht drin. Gottlob.
die blauen Plastikschwammerl, die statt der Kastanien auf dem Rathausplatz stehen, ein bisserl Ramses der Schöne hinterher. Und weil’s der letzte Auftritt in der Gegend war und sich die Drei hervorragend vorbereitet haben, wird auch das Umland bedacht. Der Trostberger Stadtpfarrer, über den man sich nur wundert – kommt der aus dem 15. oder kommt er aus dem 16. Jahrhundert? Matzing, Traunwalchen, Traunstein, Übersee, Altötting, Tuntenhausen – Absonderlichkeiten der Region werden abgearbeitet. Und natürlich erinnern sie an ihren Auftritt zum 30-jährigen JuZ-Bestehen in der Pertensteiner Reithall: Zwei Zehen habe sich Hans Well abgefroren. Aber das kann in dieser „herrlich geschmückten Mehrzweckhalle“ nicht passieren.
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Bösartigkeiten in Perfektion
Biermösl Blosn und Gerhard Polt im Bad Reichenhaller Sternenzelt glänzend aufgelegt
Bad Reichenhall, Sternenzelt, im Mai 1997
Wenn drei Vollblut-Musikanten das Beste geben und dem Conferencier, der griesgrämig und unbeteiligt daneben hockt, das Gesicht immer länger wird, wenn er dann das Stück lapidar mit „Ja mei, wem’s g’fällt“ kommentiert, obwohl das Publikum vor Begeisterung schier rast, dann kann das nur heißen, dass die Biermösl Blosn und der Kabarettist Gerhard Polt auf der Bühne stehen. Dass es sich bei den zwei Vorstellungen im Sternenzelt nicht um Konzerte für eine volkstümlich beleckte Zielgruppe handelte, wäre auch einem gänzlich Unbeteiligten aufgefallen. Während mit oft bösartigen Texten versehene Volksmusik in höchster Vollendung aus den Lautsprecherboxen schallte, lachten, glucksten und prusteten mit Trachtenanzügen oder Lederhosen bekleidete Zuhörer genauso wie Punks mit aufgestellten Haaren. Was die Biermösl Blosn da inszenierte, hat den Begriff Volksmusik im eigentlichen Wortsinn verdient. Nicht vielen gelingt es im Zeitalter der Vermusikantenstadelung dieser Gattung, das weiterzuführen,
was Volksmusik eigentlich ausmachte. Die Wellküren gehören dazu, der Bairisch Diatonische JodelWahnsinn, und nahezu in Perfektion die Biermösl Blosn. Die Gebrüder Well kennen da keine Tabus. Den bayerischen Sonderweg im Abtreibungsrecht setzen sie musikalisch um, genauso Innenminister Becksteins Vorgehensweise gegen bosnische Flüchtlinge. Sie legen die Finger in die Wunden, und zwar so, dass es eigentlich schmerzen müsste. Es schmerzt ja auch, aber nur diejenigen, die zuhören. Polt ergänzt ideal das Programm der Biermösl Blosn, das stark von der politischen Tagesaktualität geprägt ist. Der Kabarettist geht weg von diesen Spezialfällen und Schildbürgerstreichen der großen Politik und hat den allgemeinen Geisteszustand des Bürgers zum Ziel seiner Pointen gemacht.
kann, wandelt sich dynamisch zum Wutausbruch, in dem er auch vor unflätigsten Beschimpfungen nicht zurückschreckt. Was muss die auch immer ins Spiel hineinplärren „Oliver, pass auf, er spielt longline!“? Bei einer kulinarischen Abenteuerreise nach Tasmanien will der „Vatti“ mal was Ausgestorbenes essen, was allerdings scheitert, weil das Viech schon ausgestorben ist: „Das letzte Stück hat ein Freilassinger Zahnarztehepaar vor drei Monaten verzehrt“, sagt der Reiseführer. Dafür wird der Vatti aber von den Meneaters entschädigt, die setzen ihm Menschenfleisch vor. Geschmacklos? Ein bisschen. Aber lustig allemal. Und jeder, den es angeht, könnte sich Gedanken darüber machen, ob er mit seiner Urlaubsreise unbedingt den Nachbarn übertrumpfen muss.
Fast wie im richtigen Leben geht‘s zu in seinen Monologen. Köstlich ist die Szene Polts, in der er den besorgten Vater eines aufstrebenden Tennissprösslings beim Match mimt. Sein weltmännisches Auftreten, mit dem er der Mutter des Gegenspielers entgegentritt, deren Coaching er nicht ertragen
Das wäre der Idealzustand, würde das Publikum zum Nachdenken gebracht. Aber so ist das halt im Kabarett – diejenigen, die‘s anginge, gehen da gar nicht erst hin. Also werden Polt und die Biermösl Blosn wieder einmal kein Umdenken bewirkt haben, aber ein Mordsspaß war‘s trotzdem.
Fleisch gewordener Herrenwitz
De Drei im Postsaal mit seit Jahrzehnten immer wieder mit rasender Begeisterung gehörten Pointen
„Frauenf(r)eindlich“ – Trostberg, Postsaal, im Januar 2010
Das hat man nicht oft. So wenig Publikum und doch so viele alte Bekannte. 25 Zuschauer hatte der Auftritt der Musikkabarettisten De Drei am Samstagabend im Postsaal. „Frauenf(r)eindlich“ heißt deren Programm – und das besteht im wesentlichen aus besagten alten Bekannten: Die Lieder zum Beispiel. Aber auch die Witze. Seit Jahrzehnten immer wieder gern gehört.
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Aus „Schuld war nur der Bossa Nova“ von Manuela aus dem Jahr 1963 wird bei den Dreien „Schuld war nur der flotte Ober“, haha, Bata Ilićs „Mit verbundenen Augen“ von 1968 wird zu „Mit verschwollenen Augen“, in dem der Mann wegen eines längeren Wirtshausaufenthalts samt Flirt von der Angetrauten ein Veilchen verpasst bekommt. Häusliche Gewalt, zum Lachen. Cab Calloways „Minnie the Moocher“ heißt bei den Dreien „Minnie, die Mutter“. Minnie kämpft beim Aldi um Leggins – ein immer wieder gern genommenes Betätigungsfeld für Kabarettisten, ebenso wie die Tupperparty, die auch ihr Fett wegbekommt. Wenig kabarettistisch ist die Schnulze „Du kanntst mei Herz reparier’n“, eigentlich „Some Broken Hearts Never Mend“ von Don Williams, dermaleinst gecovert von Telly Savalas und unnötigerweise bereits 1979 von Johnny Hill („Kann Liebe alles verzeih’n“) und 1986 von Peter Alexander („Wenn auch die Jahre vergeh’n“) ins Deutsche übertragen. Doppelt recycelt ist „I bin a Gigolo“, das 1928 als „Schöner Gigolo“ von Leonello Casucci und Julius Brammer geschrieben wurde und 1929 von Irving Caesar als „Just A Gigolo“ weltberühmt wurde. „My Baby Left Me“ von Arthur „Big Boy“ Crudup, bekannt durch die Interpretationen von Elvis Presley und Creedence Clearwater Revival, heißt bei den Dreien „Mei Oide nervt mi“, aus dem 1965er Hit der Nilsen Brothers „Aber dich gibt’s nur einmal für
für mich“ wird – ganz originell – „Aber mich gibt’s nur einmal für dich“. Ein zündender Einfall, den Volksfesthupenkollege Atze Schröder vor zehn Jahren auch schon mal hatte. Ganz heiß wird’s im „Frostberger“ Postsaal – was ein Wortspiel, Gratulation an die Truppe aus Mülldorf und Burgkriechen – mit dem 1970er MungoJerry-Hit „In The Summertime“. Der heißt jetzt „Geh in d’Sauna nei“ und glänzt mit der Zeile „jeder Spanner kimmt, weil hier die Mischung aus Brust und Keule stimmt“. Ein richtiges Mitmachlied. Vor allem, wenn’s Publikum so zahlreich ist. Die Männer machen Aufguss mit „tsch – tsch-tsch“ und die Frauen stöhnen „aah“. Da rührt sich einiges im Saal. Wobei die musikalische Leistung von Harald Kotschi (Gitarre), Rainer Schratt (Keyboard) und Walter Frank (Bass) wenig Anlass zur Klage geben. Das ist durchaus gelungen, wenn sie dreistimmig Bläsersätze imitieren. Überhaupt: Als Vokalisten sind de Drei hervorragend aufeinander abgestimmt. Aber diese
ungustiösen Zoten. Wenn das alles tatsächlich Kabarett ist, dann muss Fips Asmussen dessen König sein. Es gibt eigentlich keinen roten Faden, zu Anfang wird wortreich Schaufensterpuppe Christina reingeschleppt, die dann während des gesamten Programms keine Rolle mehr spielt, aber mehr oder minder dekorativ auf der Bühne rumsteht. Ansonsten wird Zote an Zote gereiht. Aber so sind ausgefeilte Kabarettprogramme halt mal: Die Wampe heißt „Feinkostgewölbe“, es wird philosophiert über Zink, Zinken und den Johannes des Mannes, Lebensweisheiten werden vermittelt – wie „Essen ist der Sex des Alters“. Und einer der drei Akteure vergleicht sich mit einer Mikrowelle: Nach zwei Minuten ist er heiß und dann macht’s „bing!“. Ja, und ganz schön: Die Ehefrau heißt hier noch „Oide“. Mit dieser Oidn lassen sich ganz trefflich Pointen landen: „Jetzt weiß ich auch, warum die nicht in den Himmel kommt – sie passt mit ihrem Hintern nicht durchs Ozonloch.“ Ein Schenkelklopfer. Was haben wir gelacht. De Drei mit „Frauenf(r)eindlich“ – der Fleisch gewordene Herrenwitz.
Wieso kann Descartes sagen: „Ich denke, also bin ich“ – und mein Nachbar existiert dennoch?
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Der Rollkragenpullover des Kabaretts Alfred Dorfer ist auf dem Weg zum Klassiker – auch ohne Rolli
Bisjetzt – Traunreut, k1, im Juni 2011
Er ist ein Klassiker. In Intellektuellen-Kreisen. Ganz besonders in Schwarz. Und er ist so praktisch: Hat ihn einer an, dann geht die Schublade auf, dann weiß man: Der Rolli-Träger ist ein Existenzialist. Oder anderweitig ein Philosoph. Irgendeiner, der sich fürs Nachdenken über Gott und die Welt bezahlen lässt, ansonsten aber für die menschliche Gesellschaft nicht von weiterem Nutzen ist. Nein, so einer ist er nicht, der Alfred Dorfer. Davon konnten sich über 300 Gäste am Donnerstagabend im k1 überzeugen. Nun gut, Dorfer denkt auch über Gott und die Welt nach und lässt sich dafür bezahlen. Er ist Kabarettist, Satiriker – fürs wirtschaftliche Fortkommen der Gesellschaft also auch nicht weiter von Nutzen. Aber er trägt keine Rollkragenpullover, schon gar keine schwarzen. Ein Geburtstrauma hindert ihn daran. Und wer schon mal im Geburtskanal stecken geblieben ist, kann das sicher nachvollziehen. Ansonsten sprechen aber alle Indizien dafür, dass Dorfer ein Intellektueller ist, ein Philosoph mit einem Hang zum Absurden, Komischen, Morbiden und Abseitigen. Sehr zum Vergnügen der k1-Besucher natürlich. „Bisjetzt“ heißt das Programm des österreichischen Paradekabarettisten. Das klingt nach Rückschau auf bislang geleistetes – und das ist auch so. Und es ist gut so. Seit 1984 steht er auf der Bühne – da hat sich einiges angesammelt, worauf zurückgeblickt werden muss. „Best of“ heißt so etwas Neudeutsch – und normalerweise tragen in solchen Nummernrevuen Künstler kurz vorm Abhalftern ihre Lebensleistungsperlen zusammen und hoffen darauf, sie
1:1 noch einmal versilbern zu können. Macht er natürlich nicht, der Dorfer. Weil der Klasse hat. Er nimmt ein paar besagter Perlen und verbindet sie zu einer plausiblen Geschichte, macht dramaturgisch etwas Neues draus. Die Mittel dazu hat er – als Kabarettist sowieso, aber er ist obendrein auch noch ein vorzüglicher Schauspieler.
heit subjektiv wäre – wieso weiß dann jeder, der vor einer Pissrinne steht, dass er nicht am Damenklo ist? Das ist eine seiner Methoden: Abgehobenes wird sofort geerdet. „Wenn‘s mich am Hintern juckt und ich kratz mich nicht, aber es hört trotzdem zum Jucken auf, wer hat mich gekratzt? Ein höheres Wesen?“ Gottesbeweis auf Österreichisch.
Das zeigt er in der ersten Hälfte des Programms als Satiriker, in der zweiten als Darsteller. Man erfährt das Wesentliche von ihm oder dem, der er vorgibt zu sein. Schon immer hat er philosophische Probleme gewälzt, ganz im Sinne der Sokratiker: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Mit der kartesischen Sichtweise hat’s Dorfer eher nicht so: „Wieso kann Descartes sagen: ,Ich denke, also bin ich‘ – und mein Nachbar existiert dennoch?“ Und auch das vorsokratische „Der Weg ist das Ziel“ ist seine Sache nicht. Er zerpflückt mit leichter Hand das Lebensmotto des Orientierungslosen, der – unfähig, sich ein klares Ziel zu stecken – den Weg zum etwaigen Ziel zum Sinn seines Lebens überhöht: „Wenn der Weg das Ziel ist, ist das Ziel dann weg?“ Nicht der Lebensweg bestimmt „bisjetzt“, es sind die Haltestellen, die das Programm prägen: Geburtskanal, Kindheit im Gemeindebau, Schule, Kaserne und Studentenbude.
Staubtrocken und unerwartet kommen seine Pointen. Gewürzt wird das alles durch musikalische Zwischenspiele seiner „Buben“, Peter Herrmann, Günther „Gunkl“ Paal, Experte für eh alles und Geist der 70er Jahre, und Lothar Scherpe, die er an Akkordeon, Gesang und Gitarre bisweilen tatkräftig unterstützt. Die Herren rocken das k1 sogar, wenn sie ansatzweise Volkstümliches spielen. Eine ideale Begleitung für den gescheiterten Rockstar und Musiklehrer Robert Brenneis aus dem Film „Freispiel“, den Dorfer nach der Pause gibt. Nur ein pragmatisierter Lehrer ist ein guter Lehrer. Dorfer respektive Brenneis ist natürlich nicht pragmatisiert. Der Weg seines Scheiterns ist gepflastert mit zynischen Weisheiten. Wobei die immer optimistisch daherkommen – und dann doch ins Fatale abdrehen. Optimismus ist halt doch nur eine Form von Informationsmangel.
Seine lebenslange Sinnsuche breitet der Kabarettist aus: Ist die einzige Gemeinsamkeit von Mann und Frau, dass man voneinander nichts weiß? Wenn etwas ganz offensichtlich nichts ist und es entwickelt sich, entwickelt sich dann etwas oder entwickelt sich nichts? Wenn die Zeit relativ ist, vielleicht ist dann die Wahrheit subjektiv. Aber wenn die Wahr-
„Bisjetzt“ ist Dorfer in Höchstform. Mit sichtlichem Spaß verteilt er seine wohl ziselierten Seitenhiebe auf Gesellschaft, Politik und Kirche, ein Spaß, den das Publikum uneingeschränkt teilt. Nicht umsonst würde Hildebrandt Dorfer am liebsten einbürgern: Er ist auf dem Weg des Rollkragenpullovers. Der wird ein Klassiker.
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Großkariert ist nur Heinz Beckers Hemd Wer richtet größeren Schaden an – der Terrorist oder der Bankkaufmann?
Kosmopolit – Trostberg, Postsaal, im September 2010
Wissen Sie, was uns diese Milliarden-Rettungspakete kosten? Millionen. Mil-li-o-nen! Und wozu das Ganze? Wenn einer aus dem Flugzeug fällt, dann kann man dem noch so viele Fallschirme hinterherwerfen – das hilft dem nix mehr. Hinterher kann man ihn höchstens noch damit zudecken. Genau so ist das mit dieser Weltwirtschaftskrise und den Hilfspaketen. Der Mann auf dem Gartenstühlchen hat eine klare Meinung. Zu allem. Weil er die großen Zusammenhänge sieht. Der Kosmopolit.
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Die Wirtschaftskrise hat er genau verstanden. Zu der ist es gekommen, weil die Bank Ihnen Geld geliehen hat, das sie nicht hatte und das sie sich von einer anderen Bank geliehen hat, die das Geld auch nicht hatte. So einfach ist das. Die Zeche zahlt natürlich, wie immer, der kleine Mann. Aber die kleine Frau schon auch. „De Leit“ zahlen’s – daher auch die Bezeichnung „Leitzins“.
Zusammenhänge, die sich von selbst erschließen, wenn man gewissenhaft seinen Stammtisch besucht, Vereinsleben und Vorgarten pflegt. Heinz Becker lässt sich den Blick nicht verstellen von politischen Spiegelfechtereien und ökonomischem Krisenerklärungsgeschwurbel. Von der Wirkung direkt zur Ursache – das ist der Weg, den der Kabarettist Gerd Dudenhöffer seinen Protagonisten in äußerster Konsequenz gehen lässt – auf abenteuerlichen Abkürzungen, wenn’s sein muss. Und das muss fast immer sein. Ein Weg, der dem Zuschauer des öfteren das Lachen im Halse steckenbleiben lässt.
Wie ist er gleich wieder aufs Thema Krise gekommen? Über den Vorgarten, ganz klar. Is ja logisch. Weil er doch ein Verlängerungskabel braucht, um seinen Mirabellenbaum zu beschneiden. Der Schwiegervater hätte damals ja eins in der Garage gehabt. Aber schon der hat gesagt, man müsse Geliehenes zurückgeben, wenn man es nicht mehr braucht. Wobei das beim Hilde nicht funktioniert hat. Wegen dem Stefan wahrscheinlich. Der ist sechs Monate nach der Hochzeit zur Welt gekommen. Dass da offenbar schon vor der Ehe was gelaufen ist, war dann aber für die Verwandt- und Nachbarschaft nur noch ganz schwer auszurechnen.
Da sitzt er also, der Heinz Becker. Das einzig Großkarierte an ihm ist sein Hemd. Er hat’s nicht leicht, der miefige Spießbürger. Als Ernährer der Familie ist es sein Job, den Überblick zu behalten über Familie und Freunde, Politik und Weltgeschichte. Und weil seine Frau, „‘s Hilde“ wohl noch einfacher gestrickt ist als er, besteht einiger Erklärungsbedarf. Erklären kann er, der Heinz, sobald er etwas verstanden zu haben glaubt. Da schreckt er auch vor Fremdwörtern nicht zurück. Oder zumindest vor Fremdwortfragmenten. Weil die im gemütlichen saarländischen Dialekt nicht immer ganz geschliffen über die Lippen kommen.
Aber was ist diese läppische familiäre Unordnung gegen das Chaos in der Welt? Gar nichts. Dieser Sextourismus beispielsweise, im Zuge dessen deutsche Männer nach Thailand oder Kuba reisen und dort Devisen lassen müssen. Und was tun die Ausländer? Die kommen zu uns und machen sich an die deutsche Frau heran, ohne dafür zu zahlen. Womöglich läuft das mit den Guantanamera-Häftlingen, die wir jetzt aufnehmen, auch so. Die schicken dann ihre Brut in Terroristenausbildungslager oder lassen sie eine Bankkaufmannlehre machen. Wer den größeren Schaden anrichtet? Man weiß es nicht.
„Wir bräuchten mal wieder einen, der für Ordnung sorgt.“ Da ist er, der Satz der dumpfbackigen Ewigvorgestrigen, mit denen sie die Lufthoheit über den Stammtischen verteidigen. Aber Dudenhöffer löst die politisch unkorrekte Spannung, die dieser Satz bei politisch Korrekten auslöst, elegant auf: „Nicht wie Führer, äh, früher. Man müsste halt das Beste von damals nehmen.“ Ohne die Verkleidung und mit Menschenrechten. Er lötet die Büchse der Pandora, die er mit dem Dosenöffner aus der Spießbürgerküche aufgemacht hat, sofort wieder zu. „Ich kenn einen, der hat seinen Schäferhund Bedolf genannt…“ Mit Finesse geht Dudenhöffer Ressentiments und Vorurteile an, zieht sie ins Lächerliche und nimmt seine Figur dabei überhaupt nicht aus der Schusslinie. Ganz großes Kabarett. Dabei überzeugt er nicht nur textlich, sondern auch schauspielerisch. Es sind die kleinen Gesten: Wenn er anhebt etwas zu erklären, dann markiert er scheinbar logische Folgen mit kurzen Handkantenschlägen auf dem Oberschenkel. Kommt er zum Kern, beugt er sich vor, stützt sich auf den Oberschenkel und nickt bauernschlauernsthaft-wissend. Und wenn er sich dann selbst überzeugt hat, lehnt er sich selbstzufrieden zurück. Das macht er so überzeugend, dass den Zuschauer bisweilen leise Zweifel beschleichen, ob der da oben das alles nicht doch ernst meint. Dudenhöffer schaut dem Volk aufs Maul – und dem Volk bleibt nur übrig zu hoffen, dass der Kabarettist krass überzeichnet. Denn wär alles so, wie’s der Becker sieht, dann wäre der Weltenlauf tatsächlich vorgezeichnet: „Wenn der Mensch so weitermacht, dann richtet er die Welt zugrunde – aber als Nichtraucher.“
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Wenn der Mensch so weitermacht, dann richtet er die Welt zugrunde – aber als Nichtraucher.
Der personifizierte Wahnsinn Guten Tag, ich bin der Wahnsinn – Trostberg, Club Stiege, im September 1998
Eisi Gulp im „Club Stiege“: Entertainer, Komiker, Gesichtsakrobat und Pädagoge „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben sich fürs Leben entschieden“, begrüßt Entertainer Eisi Gulp sein Publikum im ,,Club Stiege“. Mutterseelenallein liegt die Fernbedienung zu Hause, keiner da, um damit herumzuzappen. Fernsehen ist Stagnation, Eisi Gulp dagegen ist Leben? Da Iädt er sich einen hohen Anspruch auf. Der Wahnsinn. Jetzt sitzt aber der gemeine Zuschauer vor der Bühne auf seinem Stuhl und will sich amüsieren, will sich berieseln lassen – eigentlich kein großer Unterschied zum Fernsehen. Und das soll Leben sein? Im Prinzip nein – wenn da Eisi Gulp nicht wäre. Der macht dem Konsumwilligen einen Strich durch die Rechnung. Vor allem dann, wenn der Konsument in der ersten Reihe sitzt. Da hat er zwar viel zu lachen, aber auch der Rest des Publikums kann sich hervorragend amüsieren – auf Kosten des Vornsitzenden. Gulp macht das Publikum zu einem Teil seines Programms, nimmt auf den Arm, stellt bloß. Bösartig eigentlich. Aber die Betroffenen können mitlachen. AIso doch nicht so bösartig. Dass es aber auch immer wieder Leute gibt, die während der Vorstellung auf die Toilette müssen? Leute, die sich freiwillig zur Zielscheibe des Kabarettisten machen. GuIp spricht unverblümt, Blasenleiden hin, mangelnde Körperbeherrschung her – die Lacher hat er. Außerdem: GuIp würde sich ja dem Dialog stellen. Wer einen Mund hat zu sprechen,
könnte sich wehren. Aber der auf der Bühne ist der Profi, er ist frecher, hat auf alles eine Antwort, da lässt man sich doch nicht auf ein Gespräch ein. „Wo war ich stehengeblieben?“ – „Vor mirl“ Und da ist‘s passiert. Eisi Gulp ist aus der Bahn geworfen. Schießt da eine der Zielscheiben aus der ersten Reihe zurück. Also hat der Zuschauer doch eine Chance gegen den Profi. „Guten Tag, ich bin der Wahnsinn.“ So heißt das Programm des Komikers. Ein Fall für den Psychiater, für die geschlossene Abteilung, dieser Eisi Gulp? Seine Darbietungen lassen so einen Schluss beinahe zu. Gulp grimassiert, verstellt seine Stimme, ist jung, alt, Mann, Frau, Kind in rasender Folge. Schizoid. Sein Gebaren steht im Widerspruch zu Normen und Erwartungen des sozialen und kulturellen Systems, dem Gulp angehört. Eine wesentliche Voraussetzung für Wahnsinn scheint erfüllt. Woran leidet er denn, der Eisi? „Ich bin der Wahnsinn“, sagt er. Wie meint er das? Wahnsinnig witzig? Oder ist er hirnorganisch bedingt krank? Oder ist er die personifizierte Psychose? Die Psychose des Zuschauers, der Menschheit? Gulp beobachtet genau. Menschliche Schwächen, unmenschliche Verfehlungen sind sein Material. Mann und Flau, Mann und Auto, Mann und Macht, Mann, Sex und Gewalt. Wahnsinn. Tabus kennt
Gulp kaum. Dafür ist er auch Künstler. Er konfrontiert sein Publikum mit Trieben. Die gehören doch ins Kämmerlein und nicht auf die Bühne. Hier wirkt Eisi Gulp pädagogisch, aber nicht oberlehrerhaft. Und das ist die ganz große Leistung, die das Programm wirklich sehenswert macht. Der Zuschauer lacht über die niederen Instinkte, ohne falsche Scham, ohne sich von ihnen distanzieren zu müssen. Eine Gummipuppe aus dem Beate-Uhse-Shop auf der Bühne, ein menschenunähnliches Ding, das manche Geschlechtskollegen Gulps begatten, ja gehört sich denn das? Das ist doch Wahnsinn. Noch wahnsinniger ist es allerdings, dass diese ,,lebensechten“ Dinger gekauft werden. Von kranken Hunden, armen Säuen – ohne die Tierwelt beleidigen zu wollen. Wo will Gulp mit diesen Ausführungen hin? Mann, Sex und Gewalt, dieses untrennbare Dreigestirn – darauf will er hinaus. Puppen fühlen wenigstens keinen Schmerz. Gulp legt den Finger in Wunden, er spricht Themen an, die wehtun. Gulp fordert Achtung vor dem Mitmenschen, zeigt aber auch, dass man über den Mitmenschen lachen darf, aber nur solange dieser mitlachen kann. Das macht einen großen Komiker aus. Leben ist Wahnsinn, Wahnsinn ist Gulp. Die Entscheidung für Gulp – und das hat er in der ,,Stiege“ bewiesen – ist die Entscheidung fürs Leben.
Herzlichen Glückwunsch, Sie haben sich fürs Leben entschieden.
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OTTFRIED FISCHER
Es gibt ein Leben nach dem Tod: Das Leben der anderen!
Silbereisen ist nicht zu stoppen
Heimatabend: Ottfried Fischer stellt der Volkstümelei Philosophie und Strafrecht entgegen – vergeblich
Wo meine Sonne scheint – Trostberg, Postsaal, im Februar 2009
Pack ma‘s. „Warum bist du beim Trachtenverein?“ – Achtung, Pointe: „Weil ich für die Feuerwehr zu blöd war.“ Blacky Blanco, der Gaudi-Gigant, weiß genau, wie er eine Bierzelt-Besatzung zum Toben bringt. Und auch den knapp 300 Zuschauern im Postsaal hat der Gaudi-Gigant – Ottfried Fischers Alter Ego in dessen aktuellem Bühnenprogramm „Wo meine Sonne scheint...“ – am Montagabend schon auch Lachsalven mit ebenerdigem Witz entlockt. Wobei sich der Kabarettist dabei als würdiger Zyniker erwies: Er lässt seine Fans nicht darüber im Ungewissen, was er von jenen hält, die diese Zoten goutieren: „Dann noch ein paar todsichere Brüller schweinischer Natur, Endspurt über Ehefrauen, Schwule und Alkohol. Gage einkassieren und weg, bloß nicht mehr an die Masse der unterhaltenen Arschlöcher denken.“
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Heimat – darum dreht sich Fischers „Wo meine Sonne scheint...“. Heimat definiert sich über die Landschaft, über die Gepflogenheiten der Menschen, die diese Landschaft besiedeln, über deren Mentalität. „Qualitativ verkaufe ich Schrott, das weiß ich. Macht mir aber nichts aus, solange es den Menschen gefällt.“ Blacky Blanco gibt sich da keinerlei Selbsttäuschung hin – in Zeiten, in denen schon der Tellerrand für die meisten ein Hochgebirge ist. „Heimat ist für alle da, von Hitler bis zum Papst“, sagt Blacky Bianco. Weil sich auch der Deutsche im Allgemeinen und der Bayer im Speziellen seine Heimat nicht aussuchen konnte. Aber man kann – auch als Bayer – immer versuchen, das Beste draus zu machen. Der Kabarettist erweist sich in diesem Streben als heimatverbundener Moralist. Um den Heimatbegriff zu deuten, bemüht er schon mal Aristoteles und Heidegger. Das Phänomen „Volkstümliche Musik“ versucht er mit Platons Höhlengleichnis zu entzaubern – und muss feststellen, dass Platon hier scheitert. „Abkehr von der Hitparade der Volksmusik – das schafft ja nicht einmal ein Auftritt von Hansi Hinterseer, geschweige denn ein Philosoph.“ Auch strafrechtlich sei der musikalischen Volkstümelei nicht beizukommen. Also müssen wir weiterhin Kollateralschäden an Menschenverstand und Trommelfell hinnehmen. Zumindest ist Fischers Wille, das Beste aus seiner Heimat zu machen, augenfällig. Was allerdings einen Florian Silbereisen oder einen Andy Borg leider nicht stoppen kann.
Heimat ist überbewertet. „Seit der Sippe ist es dem Menschen in die Hirnrinde gestanzt: Du bist Jäger und Sammler. Doch der Mensch ist gar nicht sesshaft – wir haben bloß bis vor ein paar Jahre kein Navi gehabt.“ Fischer schlägt die großen Bögen, um Heimat zu erklären. Von Adam und Eva über Deutschlandfahnen schwenkende Fußballfans zu Ratzinger, vom gefühlten Heimatbegriff über seine Auswüchse bis hin zu seinem Gegenteil. Das Gegenteil von Heimat? Nicht Heimatlosigkeit – Flucht ist das Gegenteil von Heimat. 200 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht – „und da sind die Holländer jeden Sommer noch gar nicht mitgerechnet“, die alljährlich das Fliehen vor dem großen Polkappenschmelzen üben. Der fliehende Holländer eben. Fischer versteht es, ernsten Themen humoristische Wendungen zu verpassen. Da hat er als Kabarettist seine guten Momente. Als solcher greift er natürlich angesagte Kabarettthemen auf, den Papst, den Irakkrieg und – natürlich – die Bürokratie. Seine Bühnenfigur Blacky Blanco ist als Heimatexperte Mitglied der Kommission zur Vorbereitung des Bundesheimatschutzgesetzes, kurz BHSG-Vorbereitungskommission genannt. Der vorgeschaltet ist natürlich die „Verfassungsänderungskommission für ein Grundrecht auf Heimat unter Berücksichtigung einer grundsätzlichen Grundwertedebatte im christlichen Sinne, mit integriertem Gottesbezug“. Die BHSG-Vorbereiter liegen im Clinch mit der Stoiberschen Bürokratieverhinderungskommission: „Die hat sofort 1500 Planstellen geschaffen, um die Voraussetzungen zu regeln für eine Kommission zur Zusammenlegung einer Grundrecht-auf-Heimat-Kommission mit der BHSG-Vorbereitungskommission zur Schaffung einer Gesamt-Vorbereitungskommission einer Grundrecht-auf-Heimat-Kommission in Verbindung mit einer BHSG-Kommission zur Vorbereitung einer Grundrechts auf Heimat sowie gesetzlicher Ausführungsbestimmungen.“ So treffend Fischer seine Beobachtungen pointiert – so schwer macht er es dem Zuhörer oft, den intellektuellen Rundflügen zu folgen: Bei seinen typischen Schnellfeuer-Sprecheinlagen, bei seinen mit einem Atemzug ausgespuckten Schachtelsätzen neigt er zum Nuscheln. Und das macht‘s dem Publikum nicht leichter.
Weiteres Manko: So diskussionswürdig – oder gar hirnrissig – die Vergabe eines „Courage-Bambi“ an Tom Cruise ist: Inzwischen ist die nächste BambiVerleihung ins Land gezogen. Mit Tagesaktualität glänzt „Wo meine Sonne scheint...“ nicht. Der Papst wird gewürdigt – Williamson wird ignoriert. Glos‘ Demission – keine Silbe dazu. Abwrackprämie, 500-Milliarden-Hilfspaket – nichts. „Mich reizt die Tagespolitik nicht so sehr. Mich interessiert mehr das Allgemeine, die Moral hinter dem Ganzen.“ Das sagte Fischer kürzlich in einem Interview. Das Salz in der Kabarettsuppe aber ist die Tagespolitik. Hier verschenkt Fischer viel Potenzial; hier haftet er allzu sehr am Text, der Mitte 2008 leidlich aktuell war. Der rote Faden des Programms ist schon sehr fein gesponnen, das Fädchen ist der Bierzeltunterhalter Blanco. Die Bühnenfigur lässt sich bisweilen nur schwer vom real existierenden Ottfried trennen. Deshalb wabert „Wo mir die Sonne scheint...“ auch bisweilen scheinbar ziellos auf seiner Heimatsuche. Doch mit seinen klugen Sätzen schafft es Fischer immer wieder, das Publikum auf einen tragfesten moralischen Unterbau zu stellen. Fischer will mit seinem Heimatabend einen philosophischen Überbau fernab zufälligen Zeitgeschehens schaffen – doch dieses Ziel verbaut er sich bisweilen selbst, wenn er die Ebene des allgemein gültigen heimatlichen Bodensatzes verlässt, um Erkenntnisse mit realen Ereignissen zu illustrieren. Dafür ist eine Bambi-Gala des Jahres 2007 nicht mehr geeignet. Da bleibt Fischer dem Grundtenor seines Programms treu: „Mia san mia und schreib‘n damma uns uns.“ Genau. Mit den respektablen Kernaussagen seines Programms wartet Fischer selbstredend erst am Ende des Abends auf: Es gibt ein Leben nach dem Tod. Das Leben der anderen. Und: „Der Mensch braucht einen Kultur- und Lebensraum, der ihm eine gewachsene Weltanschauung aus humanen und sittlichen Werten vermittelt: Nur dann ist er frei in Freiheit und Respekt, seine Wurzeln da zu schlagen, wo es für ihn gut ist. So wird er ein kosmopolitischer Weltbürger, Globalpatriot, der für alle das Grundrecht auf Heimat akzeptiert.“ Amen. „Dahoam is dahoam“ ist halt doch mehr als eine mehr oder minder mindersinnige Daily Soap. Also pack ma‘s.
„Ich bin diese Katastrophen-La-Olas leid“ Lisa Fitz analysiert Befindlichkeiten des Menschen im Allgemeinen und des Bayern im Besonderen
Super plus! Tanken und beten – Pertenstein, Marstallsaal, im Juli 2009
„Politiker erhöhen sich ihre Diäten – dem dummen Volk bleibt – tanken und beten.“ Ja wo is‘ er denn, der zivile Ungehorsam? Mei, dick is‘ er geworden und bequem. Wie wir. Jedes dritte, vierte Kind ist übergewichtig. Von den Erwachsenen gar nicht zu sprechen. Wir kommen einfach nicht mehr rauf auf die Barrikaden. Das jedenfalls hat Lisa Fitz bei ihrem Auftritt in Pertenstein als einen Grund für das gesellschaftliche Phlegma ausgemacht. Im Orff-Festpielhaus hat sie es mit ihrem Programm „Super plus! Tanken und beten“ untermauert: Sie gilt zu Recht als beste deutsche Kabarettistin. Wo andere auf ausgefahrenen Comedy-Schienen auf der Suche nach sicheren Lachern durch die Lande gleiten, lässt‘s Fitz rumpeln. Messerscharf und augenzwinkernd analysiert sie die Befindlichkeiten des Menschen im Allgemeinen und des Bayern im Besonderen. „Der bairische Mensch war ein Revoluzzer, lasst sich degradiern zum Luftverschmutzer, mit blöde Plaketten ohne zu protestiern – wart nur, na pappma‘s da aa no aufs Hirn.“ Die landestypische Gemütlichkeit ist‘s, die dem Bayern eingibt, Ruhe sei die erste Bürgerpflicht. Allein der Jahreslauf lässt dem Homo bavaricus laut Fitz kaum eine andere Wahl: Los geht’s mit dem Silvesterrausch, der sich schon mal zehn Tage halten kann, dann ist Fasching, Grippe 1, Starkbierzeit, Ostern, Pfingsten, Biergarten, Sommerferien, Sommergrippe, Herbstferien, Grippe 2, Weihnachten, Silvester mit dem obligatorischen Rausch - „Mei, is des Jahr wieder schnell rumgangen“. In aller Gemütlichkeit. Da bleibt kein Raum aufzubegehren. Alles lassen wir über uns ergehen: Jugendwahn? Machen wir willfährig mit. Finanzkrise? Die Kleinen leiden, die Großen treiben‘s munter weiter. Weil sie es können. Weil wir sie lassen. Das mediale Spiel mit Ängsten? Wir spielen mit und fürchten uns – vor Ozonloch, Klimawandel, Waldsterben, Gammelfleisch, Sars, Aids, Vogelgrippe, Schweinepest, Terror – und ganz neu: vor der Schweinegrippe.
„Ich bin diese Katastrophen-La-Olas leid.“ Die beständige Angstkulisse muss aufrecht erhalten bleiben, damit wir im Sinne „der da oben“ funktionieren. Das jedenfalls bringt die Fitz glaubhaft rüber. Wie sonst wäre die kurze Halbwertszeit der „Lebensbedrohungen“ zu erklären? Die Männerwelt hat es der 58-Jährigen natürlich besonders angetan – die liefert aber auch Steilvorlagen. 14 Milliarden Euro gibt das starke Geschlecht jährlich im Rotlichtmilieu aus. „Ja, meine Damen, das geht ihnen alles vom Haushaltsgeld ab.“ Und jeder vierte Mann geht fremd. Dass dazu meist auch Frauen vonnöten sind, verschweigt die Fitz allerdings geflissentlich. Natürlich dient Horst Seehofer als Paradebeispiel: Der Ministerpräsident und Parteivorsitzende hat „jetzt zwei Ämter und eine Frau. Vorher war’s anders herum.“ Eine weitere Männerwelt kommt selbstredend nicht ungeschoren davon: der Vatikan. 3000 Exorzisten will Papst Benedikt XIV. ausbilden lassen: Die Angst vor dem Teufel – eine weitere Drohkulisse für den kleinen Mann – sei für den Katholizismus essenziell. Ernste Themen, wichtige Themen, bisweilen beklemmende Themen – doch Lisa Fitz argumentiert kabarettistisch, bisweilen derb und krachert, immer direkt, aber nie unter der Gürtellinie. Auch wenn‘s oder gerade weil‘s politisch nicht korrekt sein darf, gibt’s fürs Publikum ausgiebig Gelegenheit zu lachen. Nicht nur die Conferencen der Kabarettistin sind stark – auch als Liedermacherin weiß sie zu glänzen. Der Heimatstadt München hat sie ein Lied gewidmet – der Weltstadt mit Herz mit ihrem Stau auf dem Mittleren Ring, der Bussi-Gesellschaft, den Großkopferten. Eine reine Liebeserklärung ist das nicht – „München, manchmal möcht‘ ich dich lynchen“. Weil sich‘s aber auch so schön reimt. Da besingt sie die Ausbeutung der Dritten Welt auf die Melodie von „Tulpen aus Amsterdam“: „Zum Muttertag für wenig Geld – Blumen aus der Dritten Welt“ lautet eine Zeile aus „Rosen aus Ecuador“.
Und wieder wird deutlich: Wir machen das Rattenrennen nur allzu gern mit. Weil das nicht schön ist, darf das Publikum immer wieder mal mitsingen: „Je lauter und je greisliger Sie singen, desto befreiender ist es.“ Auch die Frauen bekommen ihr Fett weg, allen voran die Kanzlerin. 100 Millionen Euro Steuergelder seien für ihren G-8-Klimagipfel in Scheinheiligendamm ausgegeben worden, bei dem sich die Spitzenpolitiker drei Tage zum Essen getroffen haben. Wozu das Ganze, „wenn ein 30-minütiges Telefonat die gleichen Ergebnisse gebracht hätte“? Weibliche Nöte liegen der Fitz natürlich nahe. Die dicken Kinder und ihre Mütter, die erdulden müssen, dass die Quengelware an der Kasse in Augenhöhe der lieben Kleinen aufgebaut ist. Aber Lisa Fitz hat Trost für die Mütter: „Die Soldaten, die jungen Burschen passen nicht mehr in ihre Uniformen. Also wenn Sie nicht wollen, dass Ihr Bub nach Afghanistan geht, dann futtern‘S ihn sauber raus.“ Wenn der Schönheit mal auf die Sprünge geholfen werden muss: „Sie können sich das Gesicht ablaugen lassen. Da schauen Sie dann drei Tage lang wie ein Pavianarsch aus, aber dafür nachher wie ein Babypopo. Sie können das Gesicht auch abschleifen lassen, mit einer Art Schmirgelpapier. Botox geht auch, aber da ist natürlich die Gefahr der Gesichtslähmung. Am zuverlässigsten ist das klassische Lifting mit dem Messer. Drei Mal im Leben kann man das machen lassen. Drei Mal. Danach schaut man dann langsam aus wie ein chinesischer Lampenschirm.“ Und dieses Gesicht führt die Schauspielerin natürlich postwendend vor. Wehrt euch. Hinterfragt die Entscheidungen der Großkopferten: Wem nützt das? Das sind die Botschaften, die Lisa Fitz ihren Zuschauern mitgibt. Und das Wissen darum, was die Welt am Laufen hält: „Langsam kapierst du den Fluss der Moneten: Das Öl verkaufen – oder tanken und beten.“
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Je lauter und je greisliger Sie singen, desto befreiender ist es.
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Von wegen bairischer Quadratschädel
Im Sammelbecken der Leidenschaft – Trostberg, Postsaal, im März 2010
Kabarettist, Schauspieler und Philosoph Andreas Giebel mit „Sammelbecken der Leidenschaft“
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Nat King Cole, Chuck Berry, die Rolling Stones sind eng mit dem amerikanischen Symbol für Freiheit und für die gute alte Zeit verbunden – und jetzt auch Andreas Giebel. Die einen haben die „Route 66“ besungen, der Münchner Kabarettist hat sie am Freitagabend in den Postsaal geholt. Beinah jedenfalls. Chicago, St. Louis, Missouri, Oklahoma City, Flagstaff und L.A. sind die Stationen der einen, Frühlokal, DVD-Laden, Stehausschank und Nagelstudio sind Giebels Etappenziele. Trockentraining in München für die große Reise in die USA. Wobei Trockentraining den Kern der Sache nicht wirklich trifft. Giebels Bühnen-Alter-Ego, geerdet und mit einem gerüttelt Maß Skepsis den alltäglichen kleinen Fährnissen gegenüber ausgestattet, hat einen Plan: Mit seinem leicht cholerischen Freund, dem Weinhändler Herbert, will er die berühmteste Straße der Welt befahren und an jeder Kneipe anhalten, um einen zu heben. Das bedarf selbstredend akribischer Vorbereitung. Die Route 66 wird im verkleinerten Maßstab abgeklappert, 3939,67 Kilometer komprimiert auf die Landeshauptstadt, von Kneipe zu Kneipe. Jede steht für einen US-Bundesstaat. Doch die gute alte Zeit war früher auch schon mal besser. Wo einst das Frühlokal gestrandeten Nachtschwärmern die Reparaturhalbe kredenzte, ist heute ein 24-Stunden-DVD-Verleihshop. Wo der Stehausschank half, die lästige Zeit bis zum Feierabendbier zu überbrücken, ist heute ein Nagelstudio. Der Niedergang der Kneipenkultur ist allgegenwärtig. Da kann dem Herbert schon mal die Galle überlaufen. Auch eine Leidenschaft. „Im Sammelbecken der Leidenschaft“ heißt folge-
richtig Giebels Soloprogramm. Darin erweist er sich als akkurater Beobachter seiner Zeitgenossen. Den Grantler, den unausgelasteten Frührentner, den gönnerhafte Besserwisser, ja sogar einen ganzen Mütterstammtisch – Montessori, Waldorf, städtisch – bringt Giebel auf die Bühne. Er erschafft Typen, Charaktere – und er füllt sie alle aus. Überraschend eigentlich: Das Erscheinungsbild des Kabarettisten scheint ihn auf den ersten Blick auf Metzger-, Hausmeister- oder Möbelpackerrollen zu limitieren. Massig, der typische bairische Quadratschädel, stur. Ein Büffel. Weit gefehlt – wenn Giebel Muttis die Namen ihrer selbstverfreilich höchstbegabten Kinderlein Kevin, Angelina und Leon flöten lässt, dann ist er ganz Mutti. Und gibt er den fränggischen Dr. Manfred Porzner, dann ist er der selbstgefällige Akademiker, der seinem Umfeld mit aufgesetzter Leutseligkeit auf die Senkel geht. Giebel kreiert nicht nur Typen, er stellt sie glaubwürdig dar. Dieser Kabarettist ist Schauspieler. Doch dieser Kabarettist ist auch Philosoph. Seine feinen Beobachtungen mitmenschlicher Untiefen integriert er ins Sittengemälde der Jetztzeit. Mit einer Handvoll Charaktere erklärt er Gegenwart. Das tut er nicht plump belehrend, er erzählt Geschichten. Lustige Geschichten, die schlaglichtartig die Befindlichkeiten im Biotop München beleuchten und problemlos über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus transferiert werden können. Dabei stehen die einzelnen Episoden nicht unbedingt im Zusammenhang, obwohl er immer wieder mit Running Gags auf vorher Erzähltes verweist – und doch ergeben sie in Summe ein rundes Bild. Giebel hat ein Konzept, auch wenn er es nicht hinausposaunt.
Diese Episoden sind für sich genommen humoristische Miniaturen mit höchstem Unterhaltungswert. Zum Beispiel jene von seinem Freund Ferdinand, der in Australien Kuckucksuhren verkaufen will, aber auf dem Flug wegen eines falsch getakteten Herzschrittmachers stirbt. Seine Verwandten wollen Ferdinands letzten Wunsch erfüllen und seine Asche über dem Ayers Rock verstreuen. Doch die Bodenluke des Flugzeugs wird zu hastig geöffnet und ein Teil der Asche weht zurück ins Flugzeug. „Und des Zeug kriegt man nicht mehr heraus. Seitdem ist der Ferdinand interkontinental unterwegs.“ Von der Kochshow mit „riesigen, achteckigen Tellern für Ehepaare ohne Kinder“ über den Kundenkartenwahn an Kaufhauskassen bis hin zum Messie, der seinen Keller gar nicht so schnell ausmisten kann, wie das Zeug angeblich „von unten“ nachwächst – Giebel nimmt sich des Zeitungeistes an. Womöglich wäre dieser Giebel eine Lösung für den Nockherberg. Einer, der Typen erschafft, wo keine sind. Das ist doch die Alternative für die ohne Ecken und Kanten zur Mitte strebenden Politdarsteller, die beleidigt sind, wenn sie Wahrheiten gesagt bekommen. Wenn Giebel sich die vornimmt, dann werden sie in seiner Bearbeitung vielleicht die Typen, die zu sein ihnen im wirklichen medialen Leben verwehrt bleibt. Aber wahrscheinlich tut er sich das nicht an. Und wandert weiter mit dem Herbert, vom Westpark über die Theresienhöhe in die Schwanthalerstraße, wie einst die Easy Riders auf der Route 66. Born to be wild hoid.
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Wie einst die Easy Riders auf der Route 66. Born to be wild hoid.
Wenn Friedman nach innen gekehrt lächelt
Das Rauschen in den Bäumen – Trostberg, Postsaal, im November 2012
Giebels „Das Rauschen in den Bäumen“: Alles Wesentliche über Notdurftkomparsen und Synchronkonsum Zu vierzehnt war er. Mindestens. Das Fräulein Lydia und die kasachische Zugehfrau Anna Mossulow. Dann der gescheiterte Kunstmaler Max Glogowatz, die Doktoren Pereintner und Müller, der Professor Jenewein, der für zehn Euro und drei kleine Wein-Cola-Mixgetränke Reden schreibt, lektoriert, laminiert und gar kein Professor ist. Der Staudinger Helmut war auch da. Und noch der Kioskbesitzer Josef Döderlein, der Drogist Schönegger, der Bestatter Jan Kubizky, der Penner-Klaus, die Frau Bürkle und der Antonio Grazianio. Alle waren’s da. Er selbst natürlich auch, der Andreas Giebel. Im Postsaal mitsamt dem „Rauschen in den Bäumen“. Ist das noch Kabarett? Oder schon Kammerspiel? Egal, es ist komisch, nicht plump lustig, ganz fein sogar im Unfeinen. Giebel führt seine Bühnencharaktere behutsam ein, zeichnet ihre Kanten mit schnellem, sicherem Strich, einen nach dem anderen. Ruckzuck kennt der Zuschauer das Inventar des Karl-Dingshammer-Platzes, das Biotop für Münchner Wunderlinge, die Parkbank, die Linde, die Drogerie, das Atelier im ehemaligen Tengelmann, den Kiosk, den Blumenladen. Giebel macht sein Publikum vertraut mit den seltsamen Gestalten, wechselt die Stimmlage, das Gschau, die Gestik. Und dann geht’s immer schneller, immer absurder wird das Zusammenspiel der 14 Gestrandeten. Alles hängt mit allem zusammen. Tempo, Witz, Präzision, ein bisserl Melancholie, wenn sie passt – das zeichnet Giebel aus. Der Dingshammerplatz ist der Nabel seiner Welt. Nein, er ist seine Welt. Das Leben bleibt überschaubar, dort ist sein Rückzugsraum. Wenn er Kontakt sucht, findet er ihn, beim Schoppen im „Wesereck“, beim Penner-Klaus auf der Parkbank, in der Drogerie des frisch von Frau und Hund verlassenen Herrn Schönegger, beim Modellstehen für den Pointillis-
ten Glogowatz oder beim Herrn Doktor Pereintner. Aber eigentlich mag er es lieber distanziert. Er schaut zu, was die so treiben. Da deckt sich die Bühnenfigur mit dem Schauspieler Giebel: Er muss schon ganz genau beobachtet haben, damit er sie so hinbekommt, die Anna, den Kubitzky, die Lydia, den Antonio. Körperkontakt mag er nicht so gern. Drum geht er auch nicht zum Dr. Müller, wo er nicht so lang warten müsste, der ihn aber beim Untersuchen anfasst. Da spürt er Körperteile und Organe, von denen er nicht wusste, dass er sie hat und dass sie krank werden können. Nein, er bleibt lieber im Kassenpatientenwartezimmer von Dr. Pereintner. Der schaut ihn an und verschreibt ihm was für sein Medizinregal im Bad, eingeteilt in „lang abgelaufen“, „abgelaufen“ und „schau ma moi, obst‘as no verdrogst“. Für Arzneimittelsammler das höchste. Er ist aber auch krank, der Giebel. Magersucht hat er. Man sieht’s ihm nicht an, weil er diszipliniert dagegen ankämpft. Man muss sich selbst überlisten, durch Synchronkonsumieren in den Werbepausen. Schokoriegel und Tütensuppen, Tiefkühlpizza und das rustikale Filetpfännchen – zu jedem Spot die passende Mahlzeit. Dazwischen den beworbenen WC-Dufterfrischer eingehängt, dazu Radeberger und Rotkäppchensekt, zum Glück gibt’s immer wieder mal Werbung für Sodbrennpastillen und Kopfwehtabletten. Ein Fernsehabend mit Giebel scheint interessant zu sein. Was er mit Monatsbinden macht, möchte man nicht wissen. Eigentlich schreibt er einen Roman. Will er jedenfalls. Irgendwas mit viel Gefühl und Schicksal und dem ganzen Zeugs. Dafür hört er den anderen zu, sammelt Sätze wie „Es ist deine Entscheidung, Heike“. Anfangssatz allerdings hat er noch keinen,
Schlusssatz auch nicht. Er schaut halt zu, wie die Geschichte von der Mitte aus zuwächst. Und holt sich weiter Inspiration. Vom Italiener Antonio Graziano, einer Mischung aus Brando und de Niro. Der weiß, wie’s im Männerkopf ausschaut: Ist wie einsamer Angler in Ruderboot auf ruhigem See. Dagegen der Frauenkopf, ein Kreuzfahrtschiff und Frau ist nicht auf Sonnendeck sondern in Maschinenraum. Das sind Erkenntnisse. Wenn das nicht das Zeug für einen Groschenroman hat. Es hat zwar den Anschein, der verhinderte Autor habe sich ganz eingewoben auf seinem Dingshammerplatz. Aber er ist ein Mann von Welt. Immerhin war er bei der Oscar-Verleihung Notdurft-Komparse. Auch Stars müssen mal – und da springen sie ein, die Brunz-Komparsen, besetzen die leeren Plätze. Wie kommt er nur drauf? Ja, weil man mit dem Bestatter Kubitzky nicht würfeln kann, logisch. Alle zwei Minuten muss der aufs Klo. Das wär keiner für eine Talkshow. Bei der Maischberger oder so. Aber die tragen ja eh alle Windeln. Ist nach einem emotionalen Ausbruch plötzlich das nach innen gekehrte Lächeln des Michel Friedman zu sehen, dann weiß man: Jetzt hat er’s wieder laufen lassen. So geht’s dahin, mitten in München. Alle trudeln’s um ihn rum und er trudelt mit, durch „Wesereck“, Drogerie und Supermarkt. So is Leb’n. Der eine stirbt tragisch, der andere findet keinen Titel für seinen Roman. „Wind der Hoffnung“, „Umweg ins Glück“, „Morgen ist die Ewigkeit“, alles schon gebraucht von Pilcher, Danella, Schönauer. Macht nix. „Der Förster von der Hafenkante“. Taugt nix. Bleibt ja immer noch der Vorschlag vom Penner-Klaus. „Das Rauschen in den Bäumen.“ Und ein georgischer Trinkspruch zum Abschied: „Wir trinken auf unseren Sarg, gezimmert aus 100-jährigen Eichen, die wir morgen pflanzen werden.“
Antonio Graziano – irgendwo zwischen Brando und de Niro.
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„Ja, bin i denn der Rucksacksepp?“
Glauben Sie ja nicht, wen Sie da vor sich haben – Trostberg, Postsaal, im März 2007
Ganz der Mensch, mit dem niemand bekannt oder verwandt sein möchte Was sind das nur für Menschen, die zum Grünwald gehen? Männer, denen das Weißbierglas schon früh in die Hand eingewachsen ist? Frauen, die zwar zu Hause ein scheinbar ähnliches Exemplar im Fernsehsessel sitzen haben, darüber aber nicht lachen können oder dürfen? Oder andere gebeutelte Kreaturen? Jeder ist ja irgendwie vom Leben gezeichnet – so verwundert‘s auch nicht weiter, dass der Postsaal am Donnerstag proppenvoll war. Der arme Günter Grünwald. Schon seinen ersten Satz kann er kaum vollenden, weil er ständig von Heiterkeitsausbrüchen des Publikums unterbrochen wird. Das Gewieher, beim Rossmetzger kaum eindringlicher zu hören, erreicht neue Gipfel nach Grünwalds lustig-rhetorischer Frage ,,Ja, bin i denn der Rucksacksepp?“. Ein BrüIler. Offensichtlich. Da kündigt sich ein Highlight der internationalen Kabarettszene an. Nein, Kabarett wird von Grünwald auch gar nicht erwartet. Da geht man hin, um sich zu amüsieren, um abzulachen – ohne Rücksicht auf politische Korrekt- oder Unkorrektheiten. Grünwald befriedigt sein Publikum, manchmal mit langbärtigen Witzen. Er will die Zuschauer nicht zu geistigen Höhenflügen mitnehmen – da würden sie womöglich auch gar nicht mitfliegen wollen. Auf der Bühne stellt der Ingolstädter oft den Menschen dar, den niemand im Kino neben sich sitzen haben, den niemand in seiner Verwandtschaft oder Bekanntschaft wissen will. Und doch – jeder hat genau so einen in der Verwandt- oder Bekanntschaft.
Oder er ist selbst so einer. Auf alle Fälle kennt man den Charakter da vorn auf der Bühne. Und das ist – zugegebenermaßen – bisweilen doch ganz witzig. Grünwald veranstaltet eine wilde Jagd durch die Themen, die die Welt bewegen. Da ist er Meister der Überleitungen. Nahtlos gelangt er vom Einkauf in seinem Elektronikgroßmarkt - Payback kann er der Kassierin nicht bieten, aber eitrige Pusteln (wieher!) – über das Sicherheitspersonal (,,Willst du in die Fresse?“) zum Thema Schmerz und Kinderkrankheiten, die er alle durchlitt. Und über den Schmerz schafft er die Biege zur Verwandtschaft. Die schaut aus, wie Swingerclub-Besucher im Privatfernsehen. Wobei die allerdings meist sächseln: ,,Vierzch Johr sin wa beschissn woddn. Ünd nü wolln wia ooch mol oddentlich was wegpflüggn!“ Und schon sind wir beim Solidaritätszuschlag – ,,Kommt neulich mein Steuerberater zu mir und sagt: ,Jetzt gehört Ihnen Dresden‘.“ Aber er regt sich ja nicht mehr auf, weil ihm das sein Arzt geraten hat, ihm, der ja nie krank war – auch keine Kinderkrankheiten. Und deshalb regt er sich auch nicht auf, wenn er mit der Dame seines Herzens im Restaurant diniert und am Nebentisch einer eine Zigarre ansteckt, die stinkt wie die angezündete Unterhose eines Nichtsesshaften. Wer würde da nicht am liebsten aufstehen und auf Gesichtshöhe seinen Darm entlüften? Nicht Grünwald, er regt sich erstens nicht mehr auf, zweitens ist er zu feig und drittens hat er so was wie Restanstand und Kultur. Kultur? Schon sind wir im Museum, genauer im Ingolstädter Spielzeugmuseum, wo ein Besucher
auf Schneewittchens Apfel einredet. Wobei solche Menschen sich angeblich ansonsten immer den Grünwald zur Lebensbeichte suchen. Weil er ein Deppenmagnet ist. In keiner Relation zu seiner Parforce-Jagd durch den Themenkatalog steht die Körpersprache des Akteurs auf der Bühne. Im Wesentlichen kommt er mit vier Gesten aus: Eine Hand wedelt in der Luft, beide Hände liegen auf dem Ränzlein, die Arme hängen phlegmatisch runter, oder eine Hand ist fest im Schritt. Das war‘s so ziemlich. Mimisch ist Grünwalds Performance ausgefeilter: Bauernschläue, Trunkenheit, Halb- und Volldeppengschau – das hat er voll drauf. Wobei er seine reduzierte Gestik einmal erweitert – krampfhaft schwingen die Arme imaginäre Skistecken. So schildert er sein Trauma, das er während der Landesgartenschau in Burghausen erlitten hat: Die Alten, die früher ruhig gewartet haben, bis es sie ,,vom Stangerl pfeffert“, bisweilen beige und grau gekleidet Kaffeefahrten im Siechen-Bus unternommen haben, sind heutzutage aktiv. In Burghausen schoss eine Horde Rentner, gewandet in quietschbunte Joggingklamotten, mit Stecken bewaffnet an ihm vorbei und walzten - wummswumms, wummswumms – durch die Gartenschau. Nordic Walking – ,,Wenn ma schon Steckerl zum Gradauslaufen braucht…! Aber Nordic Walking ist ja so gesund, überhaupt das Allergesündeste. Da bin ich doch lieber krank!“ Außerdem: ,,Nordic Walking ist eine Art letztes Aufbäumen, bevor man in die Grube fährt.“
Gewitzelt wird knapp über der Grasnarbe
Gestern war heute morgen – Trostberg, Postsaal, im Juli 2009
Günter Grünwald derb-komisch im ausverkauften Postsaal – Ein Schenkelklopfer hetzt den anderen
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Gestern war heute morgen. Dann war morgen gestern übermorgen. Wobei vorgestern gestern morgen war. Was das alles mit Günter Grünwald zu tun hat, weiß er wahrscheinlich selber nicht. Jedenfalls heißt das Programm, das er am Mittwochabend im voll besetzten Postsaal zum besten gegeben hat: „Gestern war heute morgen“. Da hat er älteres mit neuem Material durcheinander gemischt, dass es eine Lustbarkeit war. Jedenfalls hatte das Publikum genau das bekommen, was es wollte: Zwei Stunden lang ablachen, quietschen, Schenkel klopfen über teils schon sehr bodennahe Witze. Aber eines erreicht der Komiker damit auf alle Fälle: Er wird problemlos verstanden. Quietschfidel kam das Publikum nach Dauer-MassivGaudi aus dem Saal. Ob‘s der Saal – und da namentlich das Parkett – gut überstanden hat? Das muss eine Inspektion bei Tageslicht klären. Denn zumindest in einer Hinsicht gab‘s einen Rekord: Noch nie wurden bei einem Kabarettisten oder Komiker so viele Flaschen umgeworfen wie am Mittwochabend bei Grünwald. An dem Biersee hätten der Schaumburger Wig und der Jodelsepp ihre Freude. Der Grünwald Günter dann doch weniger. Der rät den Flaschenkindern, ihre Gebinde mit beiden Händen festzuhalten. Hilft aber nichts. Die Flaschen purzeln weiter – nach dem Motto: Beim Fernsehschau‘n hau i mir ja aa zwoa, drei Hoibe eine. Do sogt no ned amoi mei Oide wos. Genau. Prost.
Nicht, dass Grünwald nur bierselige, feuchtfröhliche Zeitgenossen erheitern könnte. Aber Menschen in diesem Zustand erleichtern ihm die Sache schon ein wenig. Wie sonst käme ein derartiger Brüller zustande, wenn er den „Rucksacksepp“ nur erwähnt? Der Brüller wird sofort ins Infernalische gesteigert, weil Grünwald ein zünftiges „Geh, leck mich doch am Arsch“ hinterherschickt. Bah, der traut sich was. Und das in aller Öffentlichkeit. Ein Hund ist er schon. Reschbeggd.
Natürlich spricht Grünwald auch relevante Themen an. Bedient wird das Klischee von der von jeder Verantwortung befreiten, vom Wohlstand verwahrlosten Jugend, deren wichtigstes Utensil das Handy ist, mit dem weniger sinnlos telefoniert als sinnlos fotografiert wird. Weil die Jugend nichts mit sich anzufangen weiß, weil‘s ihr immer soo langweilig ist. Das hätt‘s früher nicht gegeben. „I hob mein Papa oamoi in meim ganzen Leben gfragt: ,Papa, mir is langweilig, was soll i machen?‘ Drauf hat mei Papa gsogt: ,Wenn da langweilig is, Bua, dann ziag di nackad aus und pass aufs Gwand auf!‘“ Ja früher. Da hat‘s auch nur drei Fernsehprogramme gegeben. Die haben gereicht. Heute hat Grünwald 400 Sender zur Auswahl. Da sieht er „total versaute Girls“ und „Gays in deiner Umgebung“, die er alle nicht kennt und die er trotzdem anrufen soll. Gays in Lederhosen – Trachtler sind das nicht. Lederschwule in seiner Umgebung. Wo sein Dorf noch nicht mal einen Bäcker, Metzger oder eine Postfiliale hat.
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Gestern war heute morgen. Aber morgen wird gestern schon vorgestern sein. Heute wär‘ dann jedenfalls vorbei. Wobei in der Vergangenheit das meiste besser war. In Grünwald-Vorstellungen geht man aber immer in der Gegenwart. Schade eigentlich. Gestern wär‘s wahrscheinlich besser gewesen.
Mit oft derbem Humor nah beim Volk
Grünwald präsentiert „Gestern war heute morgen“ zum zweiten Mal im ausverkauften Postsaal
Und gelacht haben sie, die 400 Zuschauer. Ausgiebig. Da war der Ingolstädter Kabarettist mit seinem volksnahen Humor ganz bei den Leuten. Er erklärt die Welt, wie sie der geneigte „Bild“-Leser kennt. Oder besser noch der RTL-„Explosiv“-Seher. „Explosiv“ ist die „Bild“ für Leute, die nicht lesen können. Dieses eher vereinfachte Weltbild transportiert Grünwald in seinem Programm. Dabei ist es nebensächlich, ob er das wirklich meint, was er da von sich gibt, ob er den „Bild“-Leser karikiert oder Programm für den „Explosiv“-Seher macht. Wesentlich ist, dass eine Pointe die nächste bedingt. Und so rauscht Grünwald quer durch den Gemüsegarten. Jedenfalls macht er klar, dass alles mit allem zusammenhängt. Der Mensch lebt nicht für sich allein, auch wenn er seine Ruhe haben will. Wenn zum Beispiel der Sepp den Alois beim „Schutterwirt“ in Ingolstadt nach dessen Toilettenbesuch darauf aufmerksam macht, dass sein Hosenstall offensteht und er diesen schließen soll, weil sein Gemächt bis zum Stammtisch riecht, dann kann das die Flaggen produzierende Industrie im Nahen Osten nachhaltig beeinflussen. Dann nämlich, wenn am „Schutterwirt“ ein Muslim vorbeigeht, der statt „Alois“ „Allah“ versteht. Und schon brennen die SchutterwirtFlaggen im Nahen Osten. Weil die da unten immer
die abstrusesten passenden Fahnen parat haben, wenn sie dem Westen beleidigt sind. Im Fahnenladen stellt sich nur noch die Frage: „Zum Mitnehmen oder zum Da-Anzünden?“ Der Botschafter des guten Geschmacks ist also auch ein Kämpfer für Toleranz. Natürlich ist er für freie Religionsausübung. Aber leise soll sie sein. Weil er daheim in Ingolstadt nicht von einem Muezzin geweckt werden will, beispielsweise. Ob die Gefahr besteht, dass dort ein Minarett errichtet wird, sei dahingestellt. Aber immerhin war das ja nach dem Volksentscheid in der Schweiz auch bei uns Thema. Also, Pointerl draufgesetzt und weiter geht’s im Sauseschritt. Weil Toleranz wichtig ist, sind dann die Jugendlichen dran. Die schauen immerzu in ihre Handys oder machen damit sinnlose Bilder von ihren pickligen Altersgenossen. Und wenn sie die Handys schon mal versehentlich als Telefon nutzen, dann sind’s sinnlose Gespräche mit pickligen Altersgenossen, die sie entweder grad in der Schule gesehen haben oder die sie dann gleich im Café „Hodenlos“ treffen, wo sie dann nicht miteinander kommunizieren, sondern wieder stumpfsinnig in ihre Handys starren. Oder sinnlose Fotos machen. So ist sie, die Jugend. Genau. Verantwortungslos, freizeitorientiert, stumpfsinnig. Aber wenigstens schiebt Grünwald eine nicht unwesentliche Erkenntnis nach: Blöde Kinder haben immer depperte Eltern. Andersgläubige – abgehakt. Jugendliche – abgehakt. Dann kann Grünwald jetzt ja zur „Medienkritik“ übergehen. Früher haben drei Fernsehprogramme gereicht, jetzt müssen’s 400 sein. Da muss man nächtens dann „total versaute Girls“ und „Gays in deiner Umgebung“ schauen. 46 Lederschwule im
Grünwalds Nachbarhaus? Das wüsste er aber. Wo sein Dorf noch nicht mal Metzgerei, Bäckerei und geschweige denn eine Postagentur hat. Und was sagt denn da der Dorfpfarrer dazu? Wahrscheinlich ist er mitten drunter. Schon sind wir von der Medien- zur Kirchenkritik gelangt. Selten lustig – das Rotationsprinzip der katholischen Kirche: Wenn ein Pfarrer in seiner Pfarrei an den Ministranten „rumschraubt“, dann greift die Kirche hart durch und versetzt ihn in die nächste Pfarrei, wo er dann an den dortigen Ministranten rumschraubt. Weil’s so einem Pfarrer wahrscheinlich schnell langweilig wird, wenn er immer an denselben Ministranten rumschrauben muss. Gscheid lustig. Was haben wir gelacht. Wenn er Ingolstadt einmal verlassen müsste und er hätte die Wahl, in Heidelberg oder in Trostberg leben zu müssen, dann zöge Grünwald an die Alz. Weil Trostberg authentischer ist, schmutziger als Heidelberg allemal. „In Heidelberg hast du das Gefühl, jetzt bringt dir gleich einer vom Fremdenverkehrsamt die Pantoffeln, damit du nichts dreckig machst.“ Außerdem hatte er in Heidelberg ein prägendes Erlebnis – und das ist die eigentliche Sternstunde des Programms: Unversehens ist er in eine NPD-Versammlung geraten, lauter Glatzen. Um die Stimmung aufzulockern fragt er sie, ob das eine Versammlung der Friseurinnung ist. Das finden die Amöbenhirne nur bedingt lustig. Todesmutig nimmt Grünwald die Brille ab, reißt sein NotfallGewebeband raus, um damit den Baseballschläger abzuwehren. Kann nicht funktionieren. Er reißt ein Stückchen ab, klebt es sich unter die Nase und fertig ist der große Diktator. In allerfeinster Chaplin-Manier sauerkrautet sich Grünwald durch den Sketch. Spätestens jetzt wird klar: Gestern war nicht alles besser. Aber immerhin war gestern heute morgen.
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Gestern war heute morgen – Trostberg, Postsaal, im April 2010
Gestern war heute morgen. Dieselbe Erkenntnis hat Günter Grünwald im vergangenen Juli schon mal im Postsaal unters Volk gebracht. Und trotzdem: Der Saal war am Dienstagabend erneut so gut wie ausverkauft. Und wie schon im letzten Jahr hat Grünwald sein 20. Bühnenjubiläum gefeiert. Wobei er eigentlich schon seit 22 Jahren auftritt. Aber wer druckt schon alle zwei Wochen ein neues Plakat? Egal, die Hauptsach ist: Spaß muss sein. Sonst würd ja keiner lachen.
Blöde Kinder haben immer depperte Eltern. 25
Gleich das ganze Dreckskaff unterkellert
Günter Grünwald verpasst Traunreut eine U-Bahn – Geschichten aus dem Alltag eines Deppenmagneten
Es ist ja nicht so, dass man es als bodenständiger bayrischer Kabarettist notwendig hätte, beim Kollegen abzukupfern. Bahnhof nachbauen, pah. Lächerlich. Ein Flughafen sollt’s dann schon sein. Und zwar eine exakte Kopie des klassizistisch-gotisch-barocken Riem. Wer ko‘, der ko‘. Und der Grünwald fliegt dann mit einer Cessna direkt auf die Bühne ein. War alles schon fix und fertig. Aber dann hat das Grünwaldsche Schicksal wieder zugeschlagen – das Prinzip vom Deppen, „der oiwei scho do is“. Da besetzt der Star den Tower mit einem Bühnenarbeiter, dem zufällig das Standardwerk „Fluglotse in 14 Tagen“, das in keinem Tower fehlen sollte, in die Hände fällt. Plötzlich fühlt der Kerl so was wie eine Fluglotsenehre und lässt den Grünwald nicht landen, weil der keinen Flugschein hat. Und der Kabarettist kreist sieben Stunden lang in der Warteschleife über der Bühne. Das kann man einem Publikum doch nicht zumuten, schon gar nicht dem Traunreuter, das den k1-Saal vollständig gefüllt hat. Deswegen: Flughafen gestrichen. Aber das mit dem standesgemäßen Auftritt ist nicht vom Tisch. Ein U-Bahnhof soll’s dann wenigstens sein. Und der Grünwald hat einen U-Bahnhof nachbauen lassen, dass man sagt, is des ein U-Bahnhof. Eine Röhre für die einfahrenden Züge, eine Röhre für ausfahrende Züge, ein Bahnsteig, Fahrplantafeln, das ganze Zeugs halt. Und eine Rolltreppe, die 20 Meter in die Höhe führt. Einziges Manko: Im k1sieht das keiner. U-Bahn. Untergrund. Aber jeder Gast ist eingeladen, sich das
Werk nach der Vorstellung anzuschauen. Oder besser noch: gleich mit der U-Bahn heimzufahren. „Weil wir eh grad am Schaufeln waren, haben wir g’sagt: Unterkellern wir doch gleich Euer ganzes Dreckskaff.“ Und der Ramsauer war noch nicht mal bei der Einweihung. Jedenfalls wird’s wieder nichts mit dem standesgemäßen Auftritt. Sogar der mannshohe Günter-ohneh-Grünwald-Schriftzug mit den Glitzerbuchstaben und dem eingebauten 3D-Effekt – Fehlanzeige. Weil der Tournee-Sattelschlepper nicht mehr rechtzeitig abgeladen werden konnte. Firlefanz? Da sagt der Grünwald „Stopp“. Braucht er alles nicht. Eine UBahn-Bühne, die man nicht sieht, und er. Das reicht. Gefühlte Jahrzehnte war Grünwald mit dem Programm „Gestern war heute morgen“ unterwegs, einer Wiederaufbereitungsanlage für alte Brachialwitze und -Sketche, bartert allesamt. Bärtig. Man mocht‘ schon gar nicht mehr hinhören. Aber mit „Da sagt der Grünwald Stop“ hat er auch Stopp gesagt zum Wiederkäuen zu oft gehörter Witzerl. Und – er kann’s: Rausgekommen sind über zwei Stunden bösartige Komik und komische Bösartigkeiten. Da darf der Grünwald gern Stop sagen. An der Frische seiner Bühnenpräsenz hat er erfolgreich gearbeitet, an seiner Methodik nicht. Das hat’s auch gar nicht gebraucht. Denn die funktioniert. Er greift wahllos hinein in den unüberschaubaren Deppenpool– wir erinnern uns an das Prinzip vom Deppen, „der oiwei scho do is“ –, nimmt eine Alltagssituation mit Trottel, wie wirklich jeder sie kennt, und entwickelt sie konsequent weiter. Ist die Ausgangslage an sich schon abstrus (aber leider realistisch), wird die Geschichte von Schritt zu Schritt folgerichtig und zwangsläufig immer irrwitziger. Und wenn er dann die ultimative Pointe erreicht hat, nimmt Grünwald sie zum Aufhänger für die nächste Chaosgeschichte aus dem Deppenland. Damit hat er einen stabilen roten Faden, an dem er sich durchs Programm zieht – zum außerordentlichen Vergnügen des Publikums. Weil jeder vor seinem geistigen Auge einen Deppen
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Da sagt der Grünwald Stop! – Traunreut, k1, im April 2013
Fast hätte Traunreut einen eigenen Flughafen bekommen. Traunreut/Riem. Weil nichts über einen standesgemäßen Auftritt geht. Hat sich der Günter Grünwald von Mario Barth abgeschaut. Es gibt ja nicht allzu viel, was man sich von dem abschauen könnte. Das mit dem standesgemäßen Auftritt schon. Dieser Mario Barth lässt für seine Gastspiele einen Bahnhof auf die Bühne klotzen und fährt dann mit einem Waggon ein. Und deshalb verfügt Traunreut seit Donnerstagabend über eine U-Bahn.
Grünwald hat das Prinzip vom Deppen, der oiwei scho do is, entdeckt. 26
aus der näheren Bekanntschaft oder dem alltäglichen Erleben sieht, dem der Grünwald da vorn auf der Bühne ein adäquates Denkmal setzt. Man denke nur an den Mann, der um eine halbe Sekunde schneller am Pfandrückgabeautomaten im Supermarkt steht. Pflichtbewusst bringt man seine Flaschen in relativ kurzen Abständen zurück, um der Aufgabe in etwa einer halben Minute ledig zu sein. Kennen Sie das? Haut das hin? Nein, es haut nicht hin. Weil eben jener Depp, der immer schon da ist, um einen Wimpernschlag schneller am Gerät ist, der seine Plastikflaschen ebenfalls regelmäßig einlöst. Nur in einem anderen Turnus wie der vernunftbegabte Mensch. Einmal im Jahr. Der hat dann zwei, drei Einkaufswagerl um sich versammelt, zehn Klappboxen, 25 Plastiktüten und drei Müllsäcke. Alles voll mit Pfandgut. Und das stopft er rein in den Automaten, auch wenn es im Laufe der Lagerzeit seine Form so grundlegend verändert hat, dass es als Flasche beim besten Willen nicht mehr zu identifizieren ist. „Diese Flasche gehört nicht zum Sortiment des Marktes“ wird ignoriert, immer und immer wieder stopft dieser impertinente Mensch den Klumpen in das Loch – „Des gibt’s doch ned, die hob i doch do herin kafft!“. Es sind die Alltagsdeppen, die Grünwald würdigt. Und natürlich die außerordentlichen Deppen wie die bekannteste Deutsche. Nein, nicht Angela Merkel. Weil die Daniela hinter den beiden künstlichen Bergen noch viel bekannter ist als sie. Die Katzenberger. Da hätte er den Glööckler auch gleich noch verarzten können. Wobei man natürlich nicht jede Minderbegabung an den Pranger stellen muss. Dafür darf der Zuschauer mit dem Kabarettisten Bundesbahn fahren. Einmal von Ingolstadt nach Köln, einmal von Ingolstadt nach München, Hbf. Auch da ist man mit Menschen konfrontiert. Und selbst, wenn die Deppenquote nicht so hoch wäre wie sie nun mal ist, gäb’s kein Entrinnen. Der Depp wäre schon da, wenn Grünwald einsteigt, weil er oiwei scho do is. Da kann der Grünwald noch so lang Stop sagen.
KABARETT
meinungsvielfalt Statt Einfalt
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Wann der Haider wieder ans Ruader kommt, dann ramt er auf mit eich!
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Hader macht sich weg…
… und kommt als sechs andere wieder: Kabarett oder großes Theater?
Hader muss weg – Trostberg, Postsaal, im September 2007
Beim besten Willen - Kabarett ist das keins. Bist du deppad. Nicht dass da nur die Schublade nicht passen würde –das ganze Möbel samt Wohnung drumherum ist zu klein. ,,Hader muss weg“ ist ganz großes Kino – ganz ohne Film. Ein Stück Theater, für die Kleinkunstbühne viel zu groß. Nicht weniger als sieben Charaktere, alle mit mehr oder weniger Charakter gesegnet oder gestraft, spielt Josef Hader. Und das mit so viel Charakter, dass dem Trostberger Postsaal-Publikum am Samstag bisweilen die Spucke wegblieb.
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Wenn‘s ,,hadern“ nicht schon gäbe, man müsst‘s erfinden, mit erweitertem Bedeutungsspektrum. Sprachlich-dialektisches Höchstniveauschimpfen ist Haders Hadern. Manchen Hadern haut er der Gesellschaft dabei um die Ohren. Er hat sie alle auf dem Radar – den Spießbürger, den auf eindimensional karikierten Besitzstandswahrer, den allzeit telefonmobilen Kommunikationsunfähigen. In der Selbstreflexion fördert er gesellschaftliche Untiefen zutage, tragikomisch-trostlos, aber zum Kugeln. Alles hat was zu bedeuten. Kaum ein Lacher ist so dahinprovoziert. Punktgenau wird jeder noch so nebensächlich scheinende Witz wieder und wieder aufgegriffen. War‘s beim ersten Mal noch ein Witz – nach dem zweiten und dritten Mal ist das Wesen des Betroffenen betoniert. Hader reduziert sich und seine Protagonisten zu Stereotypen. Er selbst – ein selbstgerechtes Ekel. Ein selbstgerechtes, großartiges Ekel, ein strahlender Stern am Kabarett- und Schauspielfirmament, der allerdings nicht lange strahlt, weil er sich auf einer nachtschwarzen Vorstadtstraße voller Gebrauchtwagenhändler bewegt und überhaupt relativ schnell umgebracht wird. Von einem Tankstellenbetreiber, der so braun wie
blank ist. ,,Wann der wieder ans Ruader kommt, dann ramt er auf mit eich!“, hofft er auf Haiders Wiedergang. Der ,,unsympathischste Fisch“ der gesamten belebten Natur taucht ja auch immer wieder auf, der ,,Freund aller Kinder“. Wie die Hupe, die Flipper einst rief, Iacht der Werner, ein blasenkranker, gehemmter Kurzzeitsingle, ein hämorrhoidaler Skoda-Fahrer, der statt seiner selbst die 20-Kilo-Katze seiner ,,Haselmaus“ Cornelia den 202 Meter hohen Millenniumstower hinabstürzen würde, der aber durch einen Verlegenheitsmord in den Augen seiner Ex wieder derart gewinnt, dass die beiden in Bonnie-und-Clyde-Romantik wohl ihr weiteres Dasein fristen werden. Außerdem spielen ein falcoesker Barpianist und ein russischer Zuhälter – Vorurteile müssen bedient werden – mit, sowie eine kasachische Prostituierte, die ,,Bei Männern, welche Liebe fühlen“ vorträgt. Um den schizoiden Aspekt noch weiterzutreiben: Das ist ein Duett aus Mozarts „Zauberflöte“. Hader singt nicht nur die Prostituierte, er ist auch noch Pamina und Papageno gleichzeitig. Jeden Einzelnen hat Hader fein gezeichnet, jedem ist ein Gesicht, eine Stimme, ein Dialekt, eine Geisteshaltung und seine ganz persönliche Trostlosigkeit zugeordnet. Da gibt‘s auch kein Vertun. Hader ist Cornelia, Zuhälter, Prostituierte, Werner, Falco, Tankstellenbesitzer, Hader, Männer, Frauen, alles zugleich – da schwingt schon was Blasphemisches mit, wenn er singt: ,,Nichts edler‘s sei, als Weib und Mann. Denn Mann und Weib und Weib und Mann, die reichen an die Gottheit an.“ Dieser Lästerung im Ansatz geht eine Publikumsbeschimpfung voraus. Hader und sein Techniker ge-
ben einen Defekt vor – ein Dimmer ist kaputt. Das Publikum geht erst einmal von der Richtigkeit dieser Behauptung aus. Elegant überspielt der gewiefte Kabarettist die Verzögerung, im Parlando scheint er die Zeit zu überbrücken, geht mit dem Techniker hinter die Bühne. Noch nimmt der Zuschauer die Panne für bare Münze. Aber dann schaltet Hader ,,versehentlich“ die Überwachungskamera ein – und das Publikum wird via Großleinwand Zeuge, wie der Techniker sich gnadenlos besäuft und der Kabarettist sich auf sein Naserl Kokain vorbereitet und nebenbei das Provinzauditorium schmäht. Im Vorbeigehen erklärt er noch die Eigenschaften der Franzosen und Österreicher, zeigt auf, dass anhand einer Betrachtung von Gartenmöbeln in Baumärkten der Stand der Faschismusaufarbeitung untrüglich aufgedeckt werden kann. Außerdem enttarnt Hader die ,,Feigheit des Konjunktivs“: ,,Ich würde sagen, dass…“ – warum nicht gleich ,,Ich sage, dass…“? Oder noch besser: Gar nicht ankündigen, sondern gleich sagen. Hader schimpft frisch von der Leber weg. Wie er die Handlungsstränge, die Schicksale seiner glorarmen Sieben zusammenwebt, ist große Handarbeit, ist Kunsthandwerk, Kunst. Fein ziselierte Ironie, prügelharter Sarkasmus, pulverisierender Zynismus sind sein Werkzeug. Ein Rätsel, wie er es schafft, seine Synapsen so falsch zu schalten, dass er derart schlüssige Assoziationen finden kann. Da muss schon ein Mentalsystem in toto kollabieren. Mit ,,Hader muss weg“ hat sich Hader selbst neu erfunden. Wenn er nicht weg müsste, sollte er bleiben. Pardon, keine Konjunktive. Hader soll bleiben. Klare Aussage. Punkt.
Sokrates‘ Schnitzel & Platons Rindsgulasch Mit Josef Hader vom Humanismus direkt zur Hölle in zweieinhalb Stunden
Hader spielt Hader – Traunreut, k1, im März 2010
Geht dahin. Vom Humanismus zur Hölle in zweieinhalb Stunden. Auf direktem Weg über Scheidung, Leben auf dem Lande, das traurige Leben einer Topfpflanze, Tod und Beisetzung in der im Workshop selbstgetöpferten Urne. So schnell kann’s gehen. Jo eh. Keine leichte Kost, die Josef Hader im fast ausverkauften k1 serviert hat. Da könntest eigentlich scho a bisserl depressiv werd’n. Na, eh net. Es ist ja der Hader, der da auf der Bühne steht. Melancholisch heiter ja, depressiv – nein. Definitiv. „Best of“ heißt das, was der Österreicher mit „Hader spielt Hader“ präsentiert. Die besten Nummern aus fünf Programmen. Da kommt sein fulminantes „Hader muss weg“ noch nicht mal vor! 16 Jahre hat beispielsweise „Privat“ auf dem Buckel – und trotzdem gilt vieles von dem, was Hader damals entwickelt hat, heute noch. A bisserl upgedated halt. Das spricht für die Qualität des Kabaretts Haderscher Prägung. Eine runde Sache wird „Hader spielt Hader“, weil er die Nummern ineinander verschränkt, er greift Pointen auf, baut sie ein und aus – und es passt. Was ja auch kein Wunder ist. Weil Hader Hader spielt. Weil sich der Zuschauer auf den einen Protagonisten einlassen kann.Ob der mit dem privaten Hader gleichzusetzen ist? Eh wuascht. Aber wahrscheinlich nicht. So misanthropisch-fatalistisch-morbid kann einer allein gar nicht sein. Auch wenn er in Wien lebt. Achtung, Vorurteil. Wobei Vorurteile laut Hader ja eine echte gesellschaftliche Errungenschaft sind. Ohne wenigstens 50 Vorurteile durch den Tag zu kommen – ein schier übermenschliches Unterfangen wäre das. Schlüsselreiz Franzos‘ zum Beispiel: frisst, will keine Fremdsprachen lernen und ist unfreundlich. Schublade auf, Eindruck rein, muss man nicht mehr drüber nachdenken. Feine Sache. Das Leben wird leichter. Das mit dem Nachdenken ist eh so eine Sache. Und das mit dem Nachdenken übers Nachdenken gleich zweimal. Angefangen haben mit dem Blödsinn die alten Griechen. Humanismus heißt man das. Huma-
nismus – wissen’s eh. Bringt nichts. Humanismus bringt nix. Zum Beispiel der Vater vom Goebbels war Lehrer für Altgriechisch. Trotzdem sollte man sich immer wieder mit Humanismus beschäftigen – vielleicht hilft’s beim nächsten Mal. Wos waaß ma? Jedenfalls müssen wir uns seit den alten Griechen ein bisserl beschäftigen mit den Fragen, die wir alle verdrängen: Woher kommen wir, was sind wir eigentlich, wohin gehen wir – nachher essen? Sokrates beispielsweise. Der war mal ganz schlecht essen in Athen. Das Essen im alten Griechenland war nicht so besonders – vor allem das alte Essen im alten Griechenland. Sokrates hat sich beschwert: „O Ober, das Schnitzel ist kalt.“ Und der Ober sagt, auf Wienerisch natürlich, weil nur der Wiener den Dienstleistungsgedanken adäquat in Worte fassen kann: „Herr Sokrates, wann’s bei uns was Warmes wollen, dann müssen’s ein Bier bestellen.“ Und Sokrates legt daraufhin die Gabel weg, schaut eahm an… endlose Pause... und… hat nix mehr gsogt. Jo, der war baff. Dem is einfach nix eingfallen. Also, eine sehr nette Geschichte über die Grenzen der Philosophie. Platon dagegen – ein uneheliches Kind mit dem entsprechenden gesellschaftlichen Renommee –, der ging das Denken übers Denken pragmatischer an. Eher sprachphilosophisch. Als der mit schnippischem Unterton gefragt wurde: „O Platon, was ist dein Vater?“, da antwortete der laut Hader: „Mein Vater isst Rindsgulasch.“ Also bisserl eine andere philosophische Schule als der Sokrates. Eher diese Schule, dass man jeden Blödsinn sagt, wann er einem einfällt. Eher die Schule, der sich auch Hader zuordnet. Während der Sokrates eher diese Abteilung ist: si tacuisses, net oiso, hoit de Bappn, dann waaß kaaner, dass’d bläd bist. Womit haben sich die Griechen eigentlich sonst noch so beschäftigt? Knabenliebe stand ganz oben auf der Liste. Da freut sich der Katholik: „Gott sei Dank, wir haben’s nicht erfunden.“ So ist das. Humanismus, eine lieb gewordene Tradition.
Überhaupt: Hader glaubt, „dass Tradition fuachtbar vui Kraft gibt“, innerhalb der dörflichen Struktur zum Beispiel. Sie schlogn die Kinder, aber die werdn tüchtig. In Amstetten sperren sie’s 24 Jahre in den Keller ein, Familienanschluss garantiert. „Aah, i find des klass. Am Land, denk i mir, da möchte ich gern wieder mal a Zeitlang leben. Oder wenigstens in einer Vorstadt. In einer Gemeindebauwohnung, auf einer kackbraunen Kunstledergarnitur, ein verschwitztes Feinrippunterhemd an, eine Bierflaschn in der Hand, ,Wetten dass…?!‘ im Fernsehen, und die Frau steht daneben und bügelt. I glaab, des sind die grodn, klaren, einfachen Sachen, die wir so verlernt haben. Dass Frauen bügeln können.“ Political correctness sucht man bei Hader vergeblich – aber wer will das schon? Kinder sind ein „can“, aber kein „must“. Sich nur wegen der paar Tage Weihnachten Kinder anschaffen? Nein, dann lieber ein Flascherl Wein. Der Effekt ist eh derselbe: am nächsten Tag Schädelweh. Dann lieber einen Geländewagen kaufen, anständig fahren, etwas Rucola, ein nachwachsendes Zanderfilet mit Pinot Grigio vom Biobauern. Und trotzdem kommt Hader in die Hölle. Oder genau deshalb? Jedenfalls trifft er dort Reinhold Messner, der da ist, weil er da noch nie war. Hader kommt selbstverständlich wieder raus aus der Hölle. Weil er mit dem Teufel, mit dem „Luzi“ einen Pakt schließt. Das faustische Element im Programm des Schauspielers Hader. Er spielt „Stoascheißr Koarl“ – Steinscheißer Karl. Ein Tabuspiel. Wer „wer“ fragt, wird gschossn. Der Hader hat sich verbal im Griff. Der Teufel nicht. Was dem Zuschauer die Sicherheit gibt: Es geht weiter mit Hader. Mit dem grandiosen Kabarettisten, dem großartigen Schauspieler, dem Sänger. Das Leben verliert dadurch, dass man es kennenlernt. Sagt Hader. Das Leben gewinnt dadurch, dass man eine Hader-Vorstellung besucht. Das gleicht sich aus. Panta rhei. Der Panther und das Reh. Eh wuascht.
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Si tacuisses – oiso: Hoit de Bappn, dann waaß kaaner, dass’d bläd bist.
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Dieter Hildebrandt live aus der Containershow „Old Brother“.
in memoriam
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Dieter Hildebrandt († 20. November 2013 in München)
Action live im Come Together Vater unser – gleich nach der Werbung – Trostberg, Postsaal, im September 2003
Dieter Hildebrandt zieht gegen Fernsehen, Zeitgeist und Anglizismen zu Felde
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Es ist schon erstaunlich. Da kommt ein Mann, der zwei Stunden lang im Postsaal seine Wahrheiten vorträgt, und das Publikum rast förmlich vor Begeisterung. Wahrheiten über Gesellschaft, Politik, Fernsehen, Staat, Dummheit. Und keines dieser Themen schließt das andere aus. Im Gegenteil. Die Dummheit ist die große Klammer, die alles zusammenhält. Daraus macht Dieter Hildebrandt keinen Hehl. Staat ohne Dummheit – das geht nicht. Dummheit ist staatstragend. Ach ja, und morgen ist Landtagswahl. Er ist gekommen aus seinem aktuellen Buch „Vater unser – gleich nach der Werbung“ zu lesen. Wenig spannend eigentlich, wäre er nicht der schon seit Jahrzehnten die Richtung vorgebende Kabarettist. Selbstredend arbeitet Hildebrandt Tagesaktualität in sein Programm ein. Das nimmt ordentlich Raum in Anspruch. Dafür liebt das Publikum Hildebrandt. Zu Recht. Er spricht die Themen an, die die Zuschauer bewegen: Der flurbereinigte Stoiber, der pünktlich zur Bundestagswahl von diversen Persönlichkeitstrainern ent-ääht wurde. Ist aber schon wieder vorbei, „jetzt ääht er wieder, Gott sei Dank!“ Stoibers letztjähriges Kompetenzteam, das so unverbrauchte Gesichter wie die Lothar Späths und Kurt Biedenkopfs zutage förderte. Fehlten eigentlich nur noch Hildebrandt selbst – „Das Alter hätte ich“ –, Hans Filbinger, Leni Riefenstahl und Ernst Jünger. Die CSU, die
sich morgen wieder verzweifelt gegen die drohende Zweidrittelmehrheit stemmen wird. Völler, der mit minimalem Wortschatz maximale Wirkung erzielt. Mit Hilfe der Medien, des Fernsehens. Der von „Bild“ gemachte Homunculus Küblböck, der stimmund sinnfrei sein Innerstes nach außen kehren und ungestraft dem Betrachter zeigen darf, dass er innen auch nichts Interessanteres zu bieten hat. Und wir sind beim Thema. Mitten in der Lesung. Unbemerkt beinahe. „Vater unser“ ist Medienkritik. Hildebrandt lässt sich und seine Flau Renate vom Fernsehen vermarkten. Das alternde Ehepaar lebt sein Privates öffentlich – in der Containershow „Old Brother“, mit allen Konsequenzen. An seiner Person und an der seiner Gemahlin zeigt Hildebrandt die Sinnentleertheit, den Mindersinn aktueller Fernsehunterhaltung, die Glorifizierung pubertärer Coolness. Gnadenlos. Er prangert ihn an, den Zeitgeist, der ohne unnötige Anglizismen nicht mehr existieren kann, der aus dem Wohnzimmer ein „Come Together“ macht, der Leben nur noch nach dem Wort „Action“ wahrnimmt. Hildebrandt balanciert auf der Grenze: Er kanzelt die Spaßkultur ab und macht dem Zuschauer damit erst richtig Spaß. Das Publikum ist begeistert, applaudiert, lacht wie befreit. Wie geht eigentlich das zusammen? Warum entfesselt der Schnellsprecher, der atemlos von einem gesellschaftlichen Schlaglicht zum nächsten hetzt, stammelt, haspelt, sich verheddert, sein Pub-
likum derart? Ist es Mitleid des behäbigen Verwurzelten mit dem Heimatvertriebenen? Ist es die unverhohlene Bewunderung dessen, der die Bandbreite seiner Gemütszustände im Wesentlichen mit „Ja“, „Naa“ und „Woaß ned“ auszudrücken vermag, für den Wortgewandten, den grammatikalischen Spitzfinder, den Wortklauber, den großartigen Redner? Ist es die diebische Freude des verschlagenen bajuwarischen Volksstamms über den Hofnarren, der „denen da oben“ ungestraft gehörig die Leviten liest, über den kleinen niederschlesischen Don Quichotte, der verzweifelt gegen die Beamten-Mühlen anrennt? Oder liegt die Begeisterung seines Publikums in der Tatsache begründet, dass Hildebrandt 23 Jahre lang als Scheibenwischer der Nation präsent war – der muss ja lustig sein? „Wir glauben nur, was wir sehen. Und darum glauben wir alles, seit es das Fernsehen gibt“, hat er selbst einmal gesagt. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Und dazu kommen noch die Wahrhaftigkeit, die Redlichkeit und die Lauterkeit der Motive des Kabarettisten. Er ist ein Kämpfer gegen die Dummheit. Das gefällt dem Zuschauer – tritt er nicht auch selbst oft genug gegen die Hohlheit in den Köpfen an und das meistens erfolglos? Wir finden uns in Hildebrandt wieder, das freut uns, wir ahnen Seelenverwandtschaft zur „roten Sau, die Grün gewählt hat“. Kann aber auch täuschen. Ach ja, und morgen ist Landtagswahl.
Wie viel muss man für die WM hinblattern? Scharf beobachtet, scharf nachgedacht und scharfzüngig ausgeteilt – Alter schützt vor Klarsicht nicht
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Ich kann doch auch nichts dafür – Trostberg, Postsaal, im Dezember 2010
„Der Modergeruch, der das ganze Land durchzieht, kommt von der Leiche des Kabaretts, das zwar schon 1000 Mal gestorben ist, aber immer nur oberflächlich verscharrt wurde. Es hätte sich längst erledigt, wenn Sie nicht immer zur Beerdigung kommen würden.“ Er jedenfalls kann nichts dafür. Das Publikum ist schuld. Wäre es weniger beharrlich, sich verhältnismäßig unwirksam die Welt erklären lassen zu wollen, müsste sich ein 83-Jähriger nicht auf die Bühne stellen; er könnte es sich im Endlager Deluxe, einer Seniorenresidenz gemütlich machen. Aber so? Es besteht nach wie vor Erklärungsbedarf. Und einer wie Dieter Hildebrandt erfüllt seinen kulturellen Auftrag. Mit Bravour. „Ich kann doch auch nichts dafür“ heißt das Programm, mit dem der Grandseigneur des Kabaretts im ausverkauften Postsaal die Scheiben seiner Zuhörer gewischt hat. Da hatte sich inzwischen einiges an Schmutz und lästigen Insekten angesammelt. Schwarz-Gelb und Eurokrise, Atomausstiegausstieg und Merkel, Fußball-WM in Katar und Stuttgart 21, BayernLB und Cindy aus Marzahn – das kann einem den Blick schon trüben. Nicht aber den Blick Hildebrandts. Seit Jahrzehnten beobachtet er die Hampeleien der Politdarsteller, er beobachtet scharf, denkt scharf nach und angemessen scharfzüngig gibt er seinen Senf dazu. Natürlich hat das keinen nachhaltigen Einfluss auf die Politkultur. Hatte Kabarett nie. Es dient ausschließlich dazu, dem Wahlvolk mehr oder minder humorvoll das zu sagen, was es selbst humorvoll zu formulieren nicht in der Lage ist. Weil es für den passiv Beteiligten nicht immer einfach ist, den nötigen Humor aufzubringen. Da kann doch der Hildebrandt nichts dafür. Politkultur. Was ist das? Nach Hildebrandts Definition wahrscheinlich ein Oxymoron. Eine rhetorische Figur, bei der eine Formulierung aus zwei gegensätzlichen, einander widersprechenden oder sich gegenseitig ausschließenden Begriffen gebildet wird. So wie stummer Schrei. Oder Fifa-Ethikkommission. „Wie viel muss ein Land hinblattern, um die Fußball-WM zu bekommen?“ Hildebrandt hat seine eigene rhetorische Figur geprägt – den sinnstiftenden Verhaspler. Wenn er sich scheinbar in
den Fallstricken der Vokale und Konsonanten verheddert, dann ist das keine gedankliche Unsortiertheit. Die Pointe kommt bestimmt. Manchmal braucht sie etwas Zeit – aber sie kommt. Und meistens kommt sie dann auch noch mit zielgerichteter Wucht. Da kann er sehr wohl was dafür. Und das ist auch gut so. „Ich kann doch auch nichts dafür“ ist das Programm, das jedem Kabarettisten zur Ehre gereichen würde. Da wäre es zu kurz gesprungen, würde man Hildebrandt gönnerhaft auf die Schulter klopfen und faseln, er hätte trotz seiner stolzen 83 nichts von seinem Biss verloren. Warum sollte er auch? Nur weil er inzwischen vermutlich die Dritten trägt? Oder weil man bei einem 83-Jährigen demente Tendenzen stillschweigend voraussetzt? Nichts davon. Der sieht sich den politischkulturellen Betrieb so aufmerksam wie eh und je an und betreibt dann öffentlich Psychohygiene. Da kann er nicht nur was dafür, das ist ein echter Mehrwert fürs Publikum. Wobei man das so eigentlich nicht schreiben darf. Bei dem Verhau, den die Mehrwertsteuer-Gesetzgebung angerichtet hat, kommt vielleicht noch jemand in maßgeblicher Position auf den Gedanken, den Steuersatz für Kabarettprogramme anzuheben. Doppelter MWSt-Satz bei Hildebrandt. Dann aber auch halber bei Comedy: „Am Samstag kommt immer die dicke Cindy aus Marzahn, die da live die Überreste ihres Denkvermögens verschleudert. Wenn die Kamera ins Publikum geht, dann sieht man 7000 von außer sichenen Menschen. Da fiel mir jäh ein: Mein Gott, die wählen ja alle.“ Hildebrandt wendet sich mit Grausen. Bisweilen wendet er sich aber auch ohne Grausen, eher mit Vergnügen. Nehmen wir mal den „vorübergehenden Außenminister Westerwelle: Er wird ja vermutlich bald abgewählt – von seiner eigenen Partei. Die Partei wird vier Prozent haben und sich dann spalten. Was für eine Freude noch zum Jahresende…“ Es sind die kleinen Freuden des Alltags, die das Leben auch ohne Endlager Deluxe erträglich machen. Da muss er noch nicht hin, er lebt noch daheim. Sein Haus kann man übrigens bei Google Streetview sehen. Weil’s sinnlos gewesen wäre zu intervenie-
ren. Ein Haus schaut wie das andere aus – „unser Architekt hatte in seinem Leben nur einen Einfall“. Ließe Hildebrandt sein Heim schwärzen, dächten Einbrecher, da wäre was zu holen. So kommen nur Fans vorbei. Und die sind auch immer schlechter zu Fuß. Trotz der zahllosen Walking-Gruppen, die Hildebrandt Angst machen, mit ihren forsch dahinstöckelnden, nordic-talkenden Teilnehmerinnen. Ausdauersport beschert Endorphin-Ausschüttung. Doch Ausdauersport ist im Wesentlichen mit zwei negativen Komponenten verbunden: mit Ausdauer und mit Sport. Deshalb ist man, wie Hildebrandt beobachtet hat, dabei, dem Phänomen Glück anderweitig Herr zu werden. Der BR beispielsweise ist die Sache hoch wissenschaftlich angegangen und hat einen Glücksforscher bemüht. Dessen Weisheit in dem Satz gipfelte: „Geld allein macht nicht glücklich.“ Eine Quintessenz, auf die ohne akribische Forschungsarbeit kaum jemand gekommen wäre. Derselbe Experte rät zur Glückssuche in Gruppen – da gäb’s beispielsweise Lachgruppen. Der Lachgruppenführer animiert die Teilnehmer zum Lachen ohne Anlass, einfach so. Lach-Yoga nennt sich das, wirklich wahr. „Da gibt’s Literatur dazu, richtige Bücher.“ Von Christoph Emmelmann, der die erste Lachschule Deutschlands mit eigenem Ausbildungssystem in München gegründet hat und Mitglied bei Humorcare Deutschland e.V. und autorisierter Ausbilder im Verband der deutsche Lachyoga-Therapeuten ist. Kein Witz. Emmelmann rät seinen Lesern, morgens beim Duschen ihren Brausekopf zu fragen: „Wie heißt du denn?“ Dann soll man ihm einen Namen geben, zum Beispiel Annemarie, und ihm befehlen: „Lass Wasser, Annemarie!“ Da fällt einem das Lachen doch leicht. „Wer lachen kann, der hat es gut, ihn schützet stets ein Sonnenhut.“ Emmelmann verbreitet seine Thesen auch noch in Versform. Hildebrandt kontert: „Wer da noch lacht, auch ohne Grund, der ist bekloppt und bleibt gesund.“ Dem modernen Mindersinn sind kaum Grenzen gesetzt. Da kann der Hildebrandt doch nichts dafür. Aber Gottlob hat er’s bemerkt. Sollte im Postsaal die Leiche des Kabaretts beigesetzt worden sein, dann war’s ein fröhlicher, ein gehaltvoller Leichenschmaus. Und hoffentlich gräbt Hildebrandt den Kadaver wieder aus. Immer wieder.
Am Samstag kommt immer die dicke Cindy aus Marzahn, die da live die Überreste ihres Denkvermögens verschleudert.
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Wikipedia und andere Irrtümer Bernhard Hoëcker lässt sein Publikum mitarbeiten – Komik mit Erkenntnisgewinn: Selberdenken macht Spaß – Wilde Jagd der Assoziationsketten Wikipedia ist ein Internet-Projekt zum Aufbau einer Enzyklopädie aus freien Inhalten in allen Sprachen der Welt. Humorlos wie ein Telefonbuch. Es wurde Zeit, dass sich ein Komiker dem angeblich schlechthinnigen Informationsportal der Gegenwart widmet, den Mythos des basisdemokratischen, selbstregulierenden Nachschlagewerks entzaubert. Und das ist Bernhard Hoëcker im Postsaal gelungen. Gründlich. Weil er ein heller Kopf ist. Der kleine Mann gönnt sich einen bombastischen Auftakt. Die Nebelmaschine faucht, die Bühne ist in blaues Licht getaucht, das Orchester setzt ein. Hatte ein Mann von überschaubarer Gestalt im weißen Rüschenhemdchen je einen derart pathetischen Auftritt mit „Nessun dorma“, der Arie des Prinzen Kalaf aus dem dritten Akt der Oper Turandot von Giacomo Puccini? Wikipedia: „Am 9. Juni 2007 trat Paul Potts (…) in Simon Cowells britischer Castingshow Britain’s Got Talent beim Sender ITV in Cardiff auf. Er präsentierte eine von ihm selbst bearbeitete Version der Arie Nessun dorma…“ Ja, is schon recht. Potts hat’s geschmettert. Nun gut, von Schmettern kann man bei Hoëcker nicht wirklich reden. Aber auch Potts ist kein Jonas Kaufmann, kein José Carreras. Hoëckers „Nessun dorma“ ist der Weckruf zu seinem Programm „WikiHoëcker“ – „Keiner schlafe“. Nur heißt’s bei ihm „Suchst du nach Wissen, such nicht weiter. Lies keine Bücher, sei gescheiter.“ Warum sich mit Wissen belasten? Ran an die Kiste, Stichwort eingegeben – und schon hat man die Antwort. Die Wikipedisierung der Gesellschaft schreitet voran.
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Wikipedia ist humorlos wie ein Telefonbuch. Hoëcker nicht. 32
Natürlich zieht Hoëcker seinen roten Faden durch den Abend. Aber er lässt Abweichungen nicht nur zu, er fordert sie. Aus den Antworten seines Publikums zieht er Situationskomik, die nicht nur vom Publikum kräftigst belacht wird. Bisweilen schüttelt es ihn selbst ordentlich durch. Und sei’s nur, weil ein Zuschauer aus einem Ort stammt, der für überregionale Ohren wie der Name eines RotlichtEtablissements auf dem Lande klingt. Die Tittmoninger haben’s nicht leicht an diesem Abend. Oder weil die Zuschauerin aus der zweiten Reihe, die sich der Grammatik erfolgreich verweigert, ihr Brot als Deutschlehrerin an einem Münchner Gymnasium verdient. Ob schon mal jemand im Zuschauerraum von Wikipedia abgeschrieben hat, will Hoëcker wissen. Ein
Hoëcker schildert seine Erfahrungen mit der Plattform. So einer will nicht nur konsumieren – er will mitmachen, ein Teil der Wissenscommunity sein. Der Wikipedia-Eintrag zum Thema Ayurveda beispielsweise erscheint ihm zu sehr auf Wellness gebürstet. Wo er doch weiß, dass beim Ayurveda schädliche Substanzen über die nächstgelegene Körperöffnung ausgeleitet werden, durch wässerige oder ölige Kräutereinläufe, Abführen, in manchen Fällen durch therapeutisches Erbrechen und Schwitzen. Kein Wort davon im Wikipedia-Artikel. Dieses Hoëckersche Wissen muss er natürlich ergänzen – unter dem Pseudonym „Joachim Bublath“. Was User „Mumpitz“ so natürlich nicht stehen lassen kann. Der löscht nach acht Minuten die wichtige Ergänzung Hoëckers. Selbstregulierend. Jener gibt nicht auf und editiert den Artikel neu – diesmal mit Quellenangabe und Verlinkung. Endlich steht die ganze Wahrheit über Ayurveda im Netz. Für zwei Minuten. Weil „Mumpitz“ erneut reguliert. Und „Bublaths“ Zugang sperrt. Woraufhin der sich als „Mutter Teresa“ einloggt und Ayurveda erneut bearbeitet. Aber auch vor Gutmenschen macht „Mumpitz“ nicht halt. Hoëcker kämpft seither mit wechselnden Identitäten gegen Mumpitz für eine kritische Würdigung von Ayurveda. Täglich. Von Ayurveda ist’s nur ein kleiner Schritt zur Homöopathie. Die hat zwar nicht direkt mit Wikipedia zu tun, ist für Hoëcker aber eine andere Form der Wahrnehmungsverzerrung. Einfache Frage: Hat der Transport eines sieben Mal rituell in Richtung Erdmittelpunkt geschüttelten Globulus in einem Kleinlaster über eine Landstraße mit ihren Schlaglöchern tatsächlich keinerlei Auswirkung auf die Wirksamkeit des Medikaments? Weitere Frage: Wenn es möglich ist, durch Bekämpfung von Ähnlichem mit Ähnlichem zu heilen, warum ist dann Hunger nicht durch Essensentzug zu stillen? Oder sollte ein abgetrennter Finger durch das Abhacken des Unterarms heilbar sein? Mit wehendem Haar, wenn er denn welches hätte, eilt Hoëcker von Assoziation zu Assoziation, von Mythos zu Mythos, er erklärt, dass Erkältungen nicht durch ungeeignete Kleidung, sondern durch Bakterien und Viren ausgelöst werden, er lehrt sein Publikum, wie es richtig Hände wäscht, garniert alles mit ganz viel unnützem Wissen, kommt vom Hundertsten ins Tausendste und greift auf dem Weg dorthin wirklich jede Pointe ab. Intelligente, witzige Unterhaltung, die die Zeit verfliegen lässt, und die die Erkenntnis reifen lässt, dass es zwar bequem ist, alles bei Wikipedia nachschauen zu können. Aber wirklich Spaß macht das Selberdenken. Applaus! Wikipedia: „Beifall (ursprünglich in der Bedeutung ,Zustimmung‘, vgl.: ,einer Meinung beifallen‘!) ist der Ausdruck der Billigung oder des Gefallens einer Darbietung.“ Humorlos wie ein Telefonbuch. Wikipedia natürlich, nicht der Hoëcker.
WikiHoëcker – Trostberg, Postsaal, im November 2010
Es wird dunkel im Postsaal. Für Sekunden. Das Licht geht an und Hoëcker steht da – ohne Rüschen, im Holzfällerhemd. Wer sich geistig auf Comedyberieselung eingestellt hat, sieht seine Erwartungen nicht bestätigt. Auch das Saallicht ist eingeschaltet. Das Publikum muss mitarbeiten. Hoëcker sucht den direkten Kontakt zum Zuschauer. Und findet ihn. Nicht – wie im Genre oft üblich – die vorgestanzten Antworten sucht er, den erweiterten Monolog. Nein, er lässt sich auf den Dialog ein, er will’s wissen, er fragt nach, bohrt weiter. Und haut dem Zuhörer die Pointen aus dem eben Gehörten um die Ohren, spontan, in wahnwitziger Geschwindigkeit, wenn’s sein muss, dann auch gereimt und in Liedform. Ist das eigentlich ein vorbereitetes Programm oder schon Improtheater?
unvorsichtiger Tittmoninger meldet sich. Für ein Erdkundereferat habe er die Online-Enzyklopädie bemüht. Welche Note er für die unfehlbaren Kenntnisse der Internetgemeinde erhalten habe? Eine Drei. Der unbedingte Glaube an das demokratische und selbstregulierende Informationsportal ist also schon mal angekratzt.
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Seine Lebensversicherungspolice liegt nicht mehr in seiner Schublade, sondern in ihrem Safe.
Warum Frauenhirn billiger ist
Jörg Hube und Beatrix Doderer mit ,,Sugardaddy“ im Postsaal: Schauspieler grandios aufgelegt
Sugardaddy – Trostberg, Postsaal, im September 2007
In Amerika gibt‘s einen Laden, der Gehirne verkauft. Im rechten Regal Männerhirne zu 50, links Frauenhirne zu 30 Dollar. Warum sind Frauenhirne billiger? Nur eine der bewegenden Fragen, die Jörg Hube und Beatrix Doderer am Donnerstagabend im Postsaal erschöpfend beantwortet haben. In einem Kabarettprogramm, das ein Theaterstück ist. Oder umgekehrt; fulminant so oder so. Wobei auch nicht klar wird, ob das Stück wegen der beiden hervorragend aufgelegten Komödianten überzeugt, oder ob die Schauspieler derart glänzen, weil die Dramatik des Stücks überzeugt. Ist auch egal – das Resultat ist für den Zuschauer gleichermaßen erfreulich.
in memoriam Jörg Hube († 19. Juni 2009) war Schauspieler, Regisseur und Kabarettist.
,,Sugardaddy“ hat alle Qualitäten eines SpitzenKabaretts: Es ist witzig, kritisch, sprachgewaltig, temporeich, es lässt Raum für Tagesaktuelles und Lokalkolorit. Es hat alle Qualitäten eines hervorragenden Zwei-Personen-Theaterstücks : geschliffene Dialoge, gepflegtes Aneinandervorbeireden, eine dramatische Entwicklung und Protagonisten, die einiges zu sagen und zu singen haben – nur nicht einander. Und am Schluss stirbt einer. Hube ist Sugardaddy, ein berühmter Kabarettist, der zynisch das menschliche Gewusel um sich herum beobachtet, der wertet ohne teilzunehmen, der ätzt und denen vor den Kopf stößt, denen etwas an ihm liegt. Ihm liegt nur etwas daran, seinen Intellekt zu präsentieren, zu glänzen, zu spotten und zu spötteln. Er respektiert nur sich; dem Respekt vor anderen entwöhnt, geht ihm auch die Selbstachtung sukzessive verloren. Sugardaddy war ein Lebemann. In seinen späten 50ern hat er sich ein Groupie angelacht, hat es an sich gebunden mit dem Versprechen, aus der jungen Frau einen Gesangsstar zu machen. Doch Hildegard singt nur noch daheim, für ihren Sugardaddy, dessen Liebe sie ihr Eigen nennen möchte. Doch der übergewichtige Egomane kommt aus seinem Bett kaum raus, lässt sich
bedienen und erklärt ihr wie die Welt ist. In seinen Augen. Rente, Bildung, Politik. Pauli, Schnappauf, Vogelgrippe. Desaströs. Sugardaddy ätzt sich durch die Aufschwungsmarktwirtschaftsheuschreckenkulturniedergangwelt. Hildegards Welt spielt keine Rolle. Pause. Sugardaddy ist 65. Immer noch im Bett. Mit Pflegestufe. Chansonette Hildegard ist nur noch Schwester Hildegard. Wo vorher Leidenschaft für ihren Sugardaddy war, schafft sie ihm jetzt Leiden – sie blickt kalt-distanziert auf die Welt und vor allem auf deren Zentrum: Sugardaddy. Was bringt ihr der Alte, der sie jahrelang drangsaliert hat? Emotional bislang wenig. Monetär nur etwas nach seinem Ableben – die Lebensversicherungspolice liegt nicht mehr in seiner Schublade, sondern in ihrem Safe. Drum Schuss und Tod und beinah Schluss. Beinah, weil Sugardaddy Mitmachtheater nicht ausstehen kann. Die Leiche muss fortgeschafft werden, Hildegard bittet das Publikum um Mithilfe. Da geht der Hube lieber selber, der tote. Wobei seine Antipathie dem Mitmachtheater gegenüber vorher noch nicht so ausgeprägt war. ,,Wann wurde Mozart geboren? Ja, du da mit der Kamera!“ Aus der Nummer komm ich nicht raus. Immer gern auf die Hörner genommen: der örtliche Berichterstatter. Sag ich jetzt: ,,2006 war das Mozartjahr, 250 Jahre Mozart. Ich rechne: Ja, 1756“, sagt er wahrscheinlich: ,,Gscheidhaferl, bildungsbürgerIiches.“ Also, Maul halten. Auch verkehrt. Pisa, hurra, wir verblöden. Wie du‘s machst... Und heut geh ich zum Hader. Die nächste Watschn. Ansonsten ist Journalist aber ein schöner Beruf. Danke der Nachfrage.
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Ach ja. Warum Frauenhirne preiswerter sind, wollen Sie noch wissen? Preisreduzierte Mängelexemplare, vielleicht? Weit gefehlt, Doderer gibt die Antwort: ,,Weil sie gebraucht sind.“ Finden Männer nur halb so lustig, nach einigem Nachdenken.
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Ja, der Edmund. Den Edmund mag man einfach, der kann sagen, was er will.
Einarmiger Bandit im Kopf
Classix – Trostberg, Postsaal, im März 2001
Bruno Jonas stellte seine „Classix“ vor: Vom Nationalstolz und der Bedeutung Niederbayerns
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„Fahr zua!“ Wenn Claus E. Rosstäuscher ungeduldig durch den B-3-Verkehr drängelt, weiß der Radiohörer: Jetzt verknüpfen sich in Bruno Jonas‘ Hirn wieder Synapsen, die so nicht zusammen gehören, meist mit höchst ansprechendem Ergebnis. Noch erfreulicher weil abendfüllend ist das Programm des Passauer Kabarettisten, das er am Donnerstag im Trostberger Postsaal aufgeführt hat. „Jonas Classix“ – wer fürchtet, in diesem Programm lediglich Altbackenes zu hören, ist auf dem falschen Dampfer. Breiten Raum nimmt die NationalstolzDebatte der Union ein: Unions-Fraktionschef Meyer sagt den Satz, den Neonazis auf ihre Jacken nähen, weil man ihnen nicht zutraut, ihn fehlerfrei auszusprechen; Bundespräsident Rau will nur auf selbst Geleistetes stolz sein, was dem CSU-Generalsekretär Thomas Goppel eindeutig zu wenig ist. Goppel kommt gar nicht gut weg. Jonas vermutet, dass der anstelle des Gehirns einen einarmigen Banditen im Kopf hat – und dabei ziemlich viel Pech im Spiel. Da komme ganz selten was raus.
Stolz könne die CDU allemal sein. Auf ihre kreative Parteienfinanzierung zum Beispiel. Und derweil beklage Westerwelle den Verfall der Sitten und des Anstands im Bundestag. Wo doch beispielsweise die CDU durch ihr Schröder-Plakat ihren hohen Grad an Sittlichkeit bewiesen habe. Dass Stoiber die Politik Künasts mit „Reichsnährstandsideologie“ und „Agrarnationalismus“ vergleicht, sei dann auch nicht mehr so schlimm: „Ja, der Edmund. Den Edmund mag man einfach, der kann sagen, was er will.“ Neben der Bundespolitik nimmt die Jugend Jonas‘ breiten Raum im Programm ein. Seine Jugend im weithin unterschätzten Niederbayern. Wo Noah mit seiner Arche auf dem Arber strandete – und nicht wie überliefert auf dem Ararat. Wo der große Philosoph Sokrates die Worte „Nix G‘wiss woaß ma ned“ prägte, was dann mit „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ übersetzt wurde. In diesem Klima weltgeschichtlicher Bedeutsamkeit konnte nur ein großer Geist erwachsen – auch wenn sein Vater immer fragte, von wem der Bub das habe. Das Publikum
darf seine ersten musikalischen Schritte am Schifferklavier, seine musikalische Revolution an der Hopf-Gitarre im Zimmer mit der psychedelischen Tapete miterleben. Ein musikalischer Höhepunkt im Programm ist das Lied ,,Corruptiland“, das vor der Münchner Justiz vorgetragen nur bedingt Erfolg hat. Und wenn auf einem bayerischen Polizeirevier sich ein Schuss aus einer bayerischen Dienstwaffe löst und ein Kurde genau ins Projektil springt, dann ist das für Staatsanwalt Jonas schon ein Grund, genau zu ermitteln, für seinen Oberstaatsanwalt Dr. Scholz aber eher, das Spiel für Jonas vorzeitig abzupfeifen. Jonas ist meilenweit vom Comedy-Flachsinn entfernt, auch wenn er nicht ausschließlich politisches Kabarett macht. Seine Geschichten sind oft zutiefst privat, zeigen dennoch geistige Schieflagen der Gesellschaft. Jonas ist ein grandioser Entertainer – sprachlich, gesanglich, schauspielerisch. Und er ist rücksichtslos komisch. Stundenlang.
Zurückgebliebene Fußkranke
Bruno Jonas in Höchstform: Edmund stammelt, Gerhard tönt und der Glos hat die „Maschin‘“ Er ist stark gefährdet. Hoch intelligent und höflich – ein typischer Schläfer. Wahrscheinlich muss er jetzt mal ein Auto klauen. Damit er die Rasterfahnder endlich loswird. Ist der Mann paranoid? Nein, er ist Kabarettist, und was für einer. Bruno Jonas heißt er, und das Publikum im ausverkauften Postsaal hatte er am Samstag voll im Griff. Und zwar von Anfang an.
Nicht wirklich – nicht ganz da – Trostberg, Postsaal, im Februar 2002
Zwei Zuschauer kommen etwas zu spät. Dumme Sache. Das mag der Jonas nicht. Es setzt den ersten Anschiss. Dann macht der Vertreter der lokalen Presse den Fehler, zu fotografieren. Mit Blitz. Das mag der Jonas auch nicht. Zweiter Anschiss. Der Ton passt hinten und vorne nicht. Schuld ist natürlich der Tontechniker. Auch das mag der Jonas nicht. Folge: Anschiss Nummer drei. Mit dieser positiven Grundstimmung startet sich‘s doch viel leichter ins Programm. „Nicht wirklich – Nicht ganz da“ heißt es zwar, aber Jonas ist von der ersten Sekunde an voII da. Er taucht ab in die virtuelle Welt des World Wide Web, taucht unvermittelt wieder auf, integriert tagesaktuelle Politik in seine Ausführungen. Jonas ist ein Multiplaver. Auf allen Ebenen – virtuell oder real – ist er präsent, 100-prozentig. Am Thema Kanzlerkandidatur kommt der kabarettistische Hochkaräter natürlich nicht vorbei. Haben Friseure die Frage „Merkel oder Stoiber?“ entschieden? Beim Stoiber scheint ja etwas Luft im Haar zu sein, toupiert beinahe. Bei Merkel eher weniger. Die Frage lautete demgemäß „Aufbauen oder hängen lassen?“. Und da musste sich die Union selbstredend für den Aufbau entscheiden. Wobei es allerdings auch sein könnte, dass der Kandidat ausgewattet worden ist. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Glos, mit seinem eigenwilligen Mienenspiel könnte laut Jonas die Kür entschieden haben. Wie der immer zwinkert und die Lippen vorschiebt – da könnte schon der Eindruck entstehen, er würde die „Maschin‘“ andeuten. Obwohl er meistens gar nichts hat.
Außer ein Tempolimit beim Reden. Da kann man als Fernsehzuschauer auch durchaus mal zum Bieseln gehen und versäumt trotzdem nichts, weil der Glos dafür, was andere in zwei Minuten sagen, zehn Minuten braucht. Trotzdem – Kanzlerkandidat ist jetzt der Stoiber. Und nach dessen Auftritt bei Sabine Christiansen – so glaubt Jonas – wird der bayerische Landesvater als „Edmund der Stammler“ in die Geschichte eingehen. Wer „Gerhard der Getönte“ ist, sollte sich von selbst ergeben. Jonas ist nicht nur in der Bundespolitik zu Hause. Auch im Internet kennt er sich aus. Im Chatroom trifft er sogar manchmal seine Familie. Sein Sohn heißt dann „Magic Dragon“, seine Tochter „Vamp“, ganz lustig ist seine Gemahlin, die sich „Hausfrau“ nennt oder „Gespielin“, wobei Jonas es bezweifelt, dass das wirklich seine Frau ist. Man weiß es halt nicht so genau. Im Chatroom verkehrt ja jeder unter Pseudonym. Dabei allerdings bemüht sich Jonas um Originalität und Witz. Er nennt sich beispielsweise Stoiber. Weil man da „jeden Scheiß reden kann und dich trotzdem jeder ernst nimmt“. Große Sorgen bereitet dem niederbayrischen Kabarettisten die Bevölkerungsentwicklung. „Wer ist denn heute noch bereit, seinen Samen für die Rente einzusetzen? Wie sollen wir denn einen steuerzahlenden Nachwuchs bekommen, wenn ihr alle übers Ziel hinausschießt?“ Wenn‘s da den Boris Becker mit seinen gelegentlichen Besenkammer-Aufenthalten nicht gäbe. Aber wenn‘s so weiter geht, wagt Jonas die Prognose und zeigt, dass auch seine Versprecher Klasse haben, dann ernährt im Jahr 2015 ein Erwerbsloser vier Rentner. Ein Erwerbstätiger ist natürlich gemeint, aber das tut dem Witz keinen Abbruch. Überhaupt, die Jugend von heute. Die Pisa-Studie hat‘s ja bewiesen. Die jungen Leute können Zusammenhänge nicht mehr erfassen. Woher kommt‘s? Schnell waren die Lehrer als Schuldige ausgemacht. Doch die streiten jede Verantwortung ab. Ja, ja –
Zusammenhänge nicht erfassen zu können, das ist nicht nur ein Manko der Jugend. Für geschichtlich Interessierte bietet das Programm von Bruno Jonas allerlei Wissenswertes. Da werden Zusammenhänge hergestellt, da wird Wissen vernetzt. Woher kommt der Bayer? Als gegen 480 n. Chr. das Römische Reich zerfiel, blieben einige Römer auf heutigem bayerischen Gebiet – die Zurückgebliebenen. Von Böhmen her kamen Stämme ins Gebiet südlich der Donau herunter. Diese Heruntergekommenen vermischten sich mit den Zurückgebliebenen. Die Franken merkten, dass der Limes kein Hindernis mehr war und sie kamen herüber. Die Rübergekommenen vermischten sich nun mit den heruntergekommenen Zurückgebliebenen und den zurückgebliebenen Heruntergekommenen. AIs sich dann während der Völkerwanderung auch noch Stämme, die sich beim Wandertag zwischen Endmoräne und Limes die Füße ruiniert hatten, ansiedelten, vervollkommnete sich die Mischung: Rübergekommene, heruntergekommene, zurückgebliebene Fußkranke – kurz gesagt, der Bayer war entstanden. Ohne Zuwanderung gäbe es unser Volk also gar nicht. Da ist es schwierig, sich selbst zu definieren, seine Identität zu finden. Da bleibt nur das Mantra, das sich der Bayer seit Urzeiten vorsagt: „Mia san mia.“ Überhaupt hat der Bayer seine eigenen Methoden, mit der Realität – ob virtuell oder handfest – fertig zu werden. Der von seiner Angebeteten zurückgewiesene Bayer sagt schicksalsergeben: „Dann hoid ned.“ Der Schwabe merkt die Zurückweisung schon beim Geständnis seiner Liebe und gesteht seinem Schatz Bedenkzeit zu. Der Franke – und das hätte der Trostberger Bürgermeister Walther Heinze, der sich während des Programms mutwillig als Mittelfranke outete, wissen müssen – reagiert so: „Wenn du so bisd, hädd i di aa ned wollln.“ Fäkal löst das „bayerische Abfallprodukt“, der Österreicher, das Problem. Diese Lösung ist allerdings ist hier nicht zu zitieren.
Kultur Le be n
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D ie aktuellen Veranstaltungen finden Sie unter w w w.trostberg.de und w w w.inn-salzach-ticket.de
Beim Denken kann man blöd werden Mitreißender Bruno Jonas begeistert mit seinem Programm „Bis hierher und weiter“
Bis hierher und weiter – Trostberg, Postsaal, im Februar 2009
Wenn das Treffen Meeting heißt, das feierabendliche Besäufnis Event, wenn einer Spezlwirtschaft Networking nennt und er nicht ins Flugzeug einsteigt, sondern boardet, dann ist die Richtung klar. Schwafelt er dann über Boot-strapping und Cost-cutting, dann wissen wir endgültig Bescheid. Es riecht nach Erfolg. Da steht einer vor uns, der wichtig ist. Wahrscheinlich sogar very important. Ein Lenker. Ein Entscheider. Ein Businessman. Ein Hubert Unwirsch, Vorstand der Munich Consulting Company 2000, kurz MCC. Ein Niederbayer, dessen seelische Grundformatierung der Katholizismus ist, auf die man alles draufkopieren kann – Buddhismus, zur Not auch Hinduismus, auf alle Fälle aber Steuerhinterziehung und Korruption. Also eine rundum sympathische Gestalt? Aber sicher. Weil da nicht wirklich ein Consultant einen Workshop im ausverkauften Postsaal gibt, sondern Bruno Jonas die Untiefen von Moral und Wirtschaft auslotet. Die Erkenntnis ist nicht neu. Aber in Zeiten der Finanzkrise bekommen wir sie mit Wucht aufs Auge geknallt. Wenn Stefan Jentzsch, Ex-Chef der Dresdner Kleinwort, nach einem Verlust von 2,2 Milliarden mit acht Millionen Euro abgefunden wird, wenn sich der Vorstand der Mittelstandsbank IKB auf dem US-Hypothekenmarkt verzockt, Vorstandschef Stefan Ortseifen dann entlassen wird und er sich weigert, Bonuszahlungen in Höhe von 805 000 Euro zurückzuerstatten, spätestens dann steht fest: Moral und Wirtschaft haben keine gemeinsame Schnittmenge. Da ist kein Platz für Anstand und Bescheidenheit. Wie Jonas das auf der Bühne umsetzt – so lustig wie beängstigend – ist schlicht brillant. Wirtschaftsethik – diese Wortschöpfung ist nach Jonas‘ Programm „Bis hierher und weiter“ nur noch eins: ein Paradoxon, nein, ein Oxymoron gar, ein Widerspruch in sich. „Wenn einer weiß, dass er nichts wissen kann, und trotzdem so tut, als könnte er was wissen, dann ist er ein Depp. Oder ein Berater.“ Jonas‘ Unwirsch ist ein Wirtschaftslotse, der den Nachen durch die Fährnisse der rauen See steuert. Natürlich steht er nicht am Ruder seines eigenen Kahns – er ist ja Berater. Einer, der geholt wird, wenn‘s nicht sonderlich läuft im Betrieb. Einer, der ein bisschen rumstudiert und nichts abgeschlossen hat und aufgrund dieses imposanten Erfahrungsschatzes anderen sagt, wo‘s eigentlich langginge. Erst werden Bilanzen gewälzt, es folgt eine PowerPoint-Präsentation für die Geschäftsleitung – drei Informationen, sorry: bullet points pro Folie, keinesfalls mehr –, danach noch ein paar Brocken broken Economy-English, das ganze Ritual. Dann endlich kann er die Empfehlung aussprechen, deretwegen er für gutes Geld
engagiert wurde: Arbeitsplätze abbauen, dringend! Die Lüge, die Hinterlist, die Täuschung sind gängige Verhaltensmuster. Wussten wir schon vor der Finanzkrise. Anders ist Erfolg im Geschäftsleben laut Unwirsch gar nicht möglich. Die Evolution will das ja auch genau so: Alle Lebewesen sind aufeinander angewiesen. Sie müssen sich gegenseitig ernähren. Wenn sich in der freien Wildbahn zwei Geschöpfe anschauen, dann ist das meist nicht Liebe. Das ist Hunger. Stand in der „Nature“, Unwirschs Lektüre in der Boarding-Wartezeit. Unwirsch ist erfolgreich. Weil er sich evolutionskonform verhält. Wie die Teufelsmantis. Diese Sonderform der Gottesanbeterin tarnt sich als Orchidee. Wenn ein vorbeischwirrendes Insekt die vermeintliche Blüte anfliegt – mein Gott, dann wird’s halt gefressen. In den oberen Chefetagen steht eine Orchidee neben der anderen. Sehen schön aus – Mehdorn verortet Unwirsch allerdings eher ins Segment der Stinkmorcheln –, sind vertrauenerweckend, charmant und einnehmend. Und wenn sich das Opfer in Sicherheit wiegt, schnappen sie zu. Weil sie das Problem des modernen Menschen überwunden haben. Sie haben sich durch Erziehung nicht kulturell verbilden lassen: Beißhemmung kennen sie nicht. Deshalb ist Unwirsch überlegen. Er ist der Tiger, in der Nahrungskette ganz oben. Glaubt er jedenfalls. Gegen Ende des Abends allerdings stellt er fest, dass Plautus‘ Sinnspruch „homo homini lupus“, der Mensch ist des Menschen Wolf, auch aus der Opferrolle heraus interpretiert werden kann. Vorstandskollege Harald Strohmaier setzt sich mit Unwirschs Gattin Trudilein nach Brasilien ab. Wenn sich Strohmaier und Trudilein gegenüberstehen, dann ist das offenbar weniger Hunger denn Liebe. Außerdem ist‘s nach erfolgreicher Unterschlagung auch zweckmäßig, sich nach Brasilien abzusetzen. Ja, dieser Strohmaier. Vielleicht kennen Sie den Typus: Erst schüttelt er dir die Hand, dann packt er dich am Unterarm, schüttelt dich durch, dann umarmt er dich. Wenn er dir dabei auf den Rücken klopft, dann ist das nicht herzlich. Er ertastet die Schwachstelle, wo er dir gleich das Messer reinrammt. Ein Hund halt, wie der Bayer gern bewundernd konstatiert. Kein Hund ist Unwirschs anderer Vorstandskollege Bernd Qualig. Der ist eine ehrliche Haut, wie der Bayer gern mitleidig konstatiert. Als MCC-Finanzvorstand deshalb eine glatte Fehlbesetzung. Der ist so ehrlich, dass man ihm jeden Versuch einer Lüge postwendend ansieht. Der ruft seine Frau schon vor dem Puffbesuch an, um ihr zu beichten. Walter We-
sendonk ist der vierte, der alte Mann im Vorstand. Im operativen Geschäft nicht mehr zu gebrauchen, aber als Firmengründer nicht einfach abzusägen. Er hat gnadenhalber ein Büro in der Vorstandsetage bekommen und wirkt als Ratgeber, dessen Rat keiner braucht. Deshalb heißt er intern auch nur „Grundgeräusch“. Jonas beweist mit „Bis hierher und weiter“, dass seine Zunge auch nach 30 Bühnenjahren nichts an Schärfe eingebüßt hat. Atemberaubend rast er mit punktgenau gesetzten Pointen durch die Welt der Großfinanz. Da erklärt er nebenbei der Gattin eines Mannes, den er wegrationalisiert hat, dass Arbeitslosigkeit auch positive Seiten hat: „Der Papa wird jetzt erst einmal mehr Zeit für die Familie haben. Das ist doch auch schön!“ Er erzählt, wie er das im Sanitätbereich tätige, gesunde Unternehmen Grotte kaputtsaniert und dadurch dank internationaler Solidarität 2000 Jobs in China geschaffen hat. Lokal handeln, global denken. Unwirsch ist ein Networker. Er denkt vernetzt. Er verbindet das Hundertste mit dem Tausendsten. Kant wandelt er praktikabel ab: „Wage nicht deinen Verstand zu gebrauchen, denn du wirst blöd dabei!“ Mit Hilfe des Niederbairischen vermittelt er Sloterdijk: „Es is a so oda a so.“ Dichotomie. Zweiteilung. So war die Welt mal zu erklären. So oder so. „Wenn‘s so ned is und so aa ned, nacha muass anders sei. Weil‘s des sonst ned gibt.“ So gelangen wir zur Polyvalenz – die Wirklichkeit ist heute nicht mehr zweigeteilt, sie ist mehrwertig. Jonas erklärt schwierige Zusammenhänge ganz einfach. So ist er, der Niederbayer. Klar strukturiert. Knapp zweieinhalb Stunden bestreitet Jonas auf der Postsaalbühne. Jede Sekunde ist er präsent. Jede Flasche, die im Publikumsraum umfällt, bezieht er ins Programm ein. Und an diesem Abend fallen viele Flaschen um. Als er von einem vorlauten Zuschauer darauf hingewiesen wird, die Sanitärfirma heiße nicht Grotte, sondern Grohe, folgt ein Traktat zum Thema „Kunstkniffe im Kabarett“ – da nennt man nicht immer alles und jeden beim Namen. Glänzend aufgelegt parliert sich Jonas durch den Abend. Ganz nebenbei noch ein Ausflug in die Musiktheorie: Wagners Walkürenritt ist nichts anderes als der Bayerische Defiliermarsch in Moll. Und Smetanas „Moldau“ ist eigentlich „Alle meine Entchen“, ebenfalls in Moll. Passt auch thematisch, Ente, Moldau. Wenn Sie‘s nicht glauben, probieren Sie‘s aus. Brummen Sie mal „Alle meine Entchen“ in Moll. Sie werden‘s schon sehen. Pardon, hören. Ein Earcatcher, würde der erfolgreiche Businessman sagen.
Wenn einer weiß, dass er nichts wissen kann, und trotzdem so tut, als könnte er was wissen, dann ist er ein Depp. Oder ein Berater.
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Braucht eigentlich irgendjemand dieses Mecklenburg-Vorpommern? Wo bei uns ein Stadtrat reicht, da spielen die Parlament.
Korruption ist praktizierte Nächstenliebe Es geht überragend mit „Es geht weiter“ weiter: Hubert Unwirsch im Einsatz gegen Meinungseinfalt
Es geht weiter – Pertenstein, Marstallsaal, im Oktober 2010
Heute wird nicht mehr gesprochen, heute wird getalkt. Jeder talkt das, was er meint, dass die Gläubigen vor ihrem Full-HD-Altar im Wohnzimmer bei der Abendandacht hören wollen. Was er wirklich meint, das talkt er dann vorsichtshalber lieber nicht. Bei Will, Kerner, Plasberg, Lanz & Co herrscht das Diktat der meinenden, aber leider nicht wissenden Masse. Meinungseinfalt. Da ist der Hubert Unwirsch genau der Richtige, wenn ein Experte die vorherrschende Meinung zum Thema Korruption wiedergeben soll. Weil der Unwirsch, Ex-Vorstand der Munich Consulting Company 2000, durch seine niederbayerisch-katholische Grundformatierung für Korruption, Spezlwirtschaft und Steuerhinterziehung geradezu prädestiniert ist. Bruno Jonas macht in seinem neuen Programm „Es geht weiter“ da weiter, wo er bei „Bis hierher und weiter“ aufgehört hat. Beim überragenden Kabarett. Mehr als zwei Stunden lang durfte das Publikum im ausverkauften Marstallsaal in Pertenstein den wunderlichen Assoziationsketten des Passauers lauschen. Und zur Überzeugung gelangen, dass es sich lohnt, durch Unwirschs Brille einen Blick auf die unendlichen Weiten der politischen Landschaft zu richten. Der Consultant lässt sich seinen Blick nicht verstellen von political correctness und Gutmenschgehabe. Korruption hat einen faden Beigeschmack – warum eigentlich? Zum einen hat jeder seinen Preis, zum anderen bewegt man sein Gegenüber durch Zuwendungen dazu, Wohlwollen zu entwickeln. Der Umgang miteinander wird doch gleich viel entspannter, freundlicher, ja fröhlicher gar. Seien wir doch ehrlich: Korruption ist nichts anderes als praktizierte Nächstenliebe. So was gehört doch nicht ins StGB! Genau. Diese humanistische Sichtweise auf gesellschaftspolitische Stigmata macht Unwirsch zum idealen Gast für die Talkshow „Wortreich“. Valeska Wortreich hat ihn eingeladen, aber die Aufnahmen verzögern sich. Weil das Team in der Kantine sitzt. Also macht Unwirsch quasi den Warm-Upper. Ein
schönes Wort, zumal es beinahe englisch klingt. Nicht so schön wie Boot-Strapping, Cost-Cutting und Networking. Aber deutlich profaner: Ein Warmupper ist ein quirliger und total spontaner Fernsehmacher, der vor einer TV-Show das Publikum in die passende Stimmung versetzt. Was im Falle „Wortreich“, „Hart aber Fair“, „Anne Will“ und „Maybrit Illner“ natürlich gar nicht nötig ist, weil da in der Regel immer die mitreißenden Meinungshülsenvertreter Roger Köppel, Hans-Olaf Henkel, Alice Schwarzer, Gregor Gysi, Gisela Friedrichsen und Christian Lindner sitzen, omnikompetent in Sachen Hartz IV, Stuttgart 21, defekte Klimaanlagen in ICEs und Sarrazin-Bücher. Natürlich hat Unwirsch auch zum Kampf der Kulturen eine Meinung. Weil er zum einen über besagte katholische Grundformatierung und zum anderen über ein profundes Geschichtswissen verfügt. Wie soll man auf der Basis der abendländischen Leitkultur dem Islam begegnen? So, wie das Bundespräsident Christian Wulff macht – „Der Islam ist ein Teil Deutschlands“ – oder doch mehr christlichhistorisch orientiert? Wo da der Unterschied liegt? 732, Karl Martell schlägt die Mauren in der Schlacht von Tours und Poitiers zurück. 14. Oktober 1529, die Erste Türkenbelagerung Wiens wird beendet. 1683, Zweite Türkenbelagerung Wiens, die osmanischen Truppen ziehen sich nach der Schlacht von Kahlenberg zurück. Drei Ereignisse, bei denen sich die abendländische Leitkultur nicht von christlicher Nächstenliebe leiten ließ. Auch zum ganz speziellen Fall von priesterlicher Nächstenliebe in der katholischen Kirche hat Jonas‘ Unwirsch eine Meinung. Weil er den Menschen kennt und die Naturkraft der Libido. Ein bisserl weltfremd waren’s halt schon, die Kirchenoberen: die Libido mit dem Keuschheitsgelübde zudecken zu wollen. Das kann ja nicht gutgehen. Genauso wenig wie der bundesrepublikanische Föderalismus. Europa versucht sich zu einigen und wir leisten uns Bundesländer wie das Saarland, Bremen
und Meckpomm. 16 verschiedene Lehrpläne, 16 verschiedene Lehrerausbildungen, 16 verschiedene Schulsysteme, 16 Kultusminister, Innenminister, Wirtschaftsminister, Ministerpräsidenten... und Finanzminister. „Der ist ganz wichtig, denn der muss jährlich das Defizit ausrechnen, das dieser ganze Verwaltungswahnsinn kostet.“ Braucht eigentlich irgendjemand dieses Mecklenburg-Vorpommern? Das hat in etwa so viele Einwohner wie München. „Wo bei uns ein Stadtrat reicht, da spielen die Parlament.“ Können wir uns dieses Ländchen nicht einfach sparen? Oder Bremen, oder Hamburg? Unterbrochen werden die höchst erhellenden Betrachtungen des Talkgastes nur von diversen Telefonaten Unwirschs mit seiner Lebensabschnittspartnerin Dr. Regina Hartmuff, die kurz „Zwetschge“ genannte Vorsitzende Richterin am Landesgericht, und mit seiner Immer-Noch-Ehefrau Trudilein, die mit seinem Compagnon Harald in „Bis hierher und weiter“ nach Brasilien durchgebrannt ist. Natürlich gibt’s da ein paar Verwicklungen privater Natur samt einer philosophischen Abhandlung über Nutzen und Nutzer von Brustvergrößerungen. Im Wesentlichen beschränkt sich Unwirsch aber auf die wirklichen, die großen Themen unserer Zeit. Wie man beispielsweise Nokia zuerst in einem strukturschwachen Gebiet beispielsweise in Nordrhein-Westfalen ansiedelt, Landes-Subventionen kassiert, danach feststellt, dass in Rumänien die Produktion deutlich billiger wäre, für den dortigen neuen Standort rumänische Subventionen kassiert und sich den Umzug von NRW nach Rumänien dann mit EU-Subventionen finanzieren lässt. Das kann der Consultant natürlich aus dem Effeff. Falsch ist, dass die Provision für seine Beratertätigkeit aus einer Nokia-Schwarzgeldkasse auf ein Schweizer Nummernkonto hinterlegt worden ist. Den Prozess hat der Unwirsch gewonnen. Unter dem Vorsitz seiner Zwetschge. Was? Korruption? Das ist höchstens ein gschlampertes Verhältnis. Auf alle Fälle ist das Nächstenliebe. Oder geht das jetzt zu weit? „Es geht weiter“ – unbedingt anschauen!
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Wiederkäuen heißt, sich mit dem abzufinden, was man hat.
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Der transzendente Urklang Mmmmmuuh! Luise Kinseher nimmt sich an der der Kuh ein Beispiel und Abschied vom elektrischen Mangoschäler
Einfach reich – Trostberg, Postsaal, im März 2012
Mmmmmuuh. Hören Sie das, spüren Sie das? Dieses tiefe, inbrünstige Vibrieren der Bruststimme? Da sind mongolische Obertongesänge, polyphone Gesänge tibetischer Mönche doch ein Dreck dagegen. Der ganze Yoga-Klangschalen-Räucherstäbchen-Esoterik-Krampf da. Das Glück dieser Erde liegt auch nicht auf dem Rücken der Pferde. Der Schlüssel zur Glückseligkeit ist – die Kuh. Gut, das ist nicht uneingeschränkt die Conclusio von „Einfach reich“, dem Programm, das Luise Kinseher am Donnerstagabend im Postsaal gespielt hat. Das wäre zu einfach. Aber trotzdem: Gegen das alpine Muh ist das mantrische Om chancenlos.
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Der Inder ahnt das vermutlich, die Kuh ist ihm heilig. Die Kuh als Sinnbild für Genügsamkeit, Ruhe, Gelassenheit. Das hat Luise Kinseher verinnerlicht. Weil’s so nicht weitergehen kann. Der ewige Wachstums- und Fortschrittsglaube, der uns von einer Krise in die nächste taumeln lässt und der längst vom westlichen zum globalen Problem geworden ist. Sogar besagter Inder möchte jetzt Auto fahren. Mit unserem Benzin! Dabei müsste doch lange Zeit unterprivilegierten Menschen der Verzicht viel leichter fallen. Weil die’s gewohnt sind. Die Kabarettistin hat das schon glasklar analysiert. Wobei Kabarett der Realität wieder einmal um Häuserreihen unterlegen ist. Weil diese Inder jetzt nicht nur unseren Sprit verfahren, sondern plötzlich auch noch zwei Mal täglich essen: „Wenn die plötzlich doppelt so viel Nahrungsmittel verbrauchen als sie das früher gemacht haben und dann auch noch 100 Millionen Chinesen beginnen Milch zu trinken, dann verzerren sich natürlich unsere gesamten Milchquoten und vieles andere.“ Nein, klingt zwar so, ist aber keinem Kabarettisten eingefallen. Sondern unserer Kanzlerin.
So ist das mit dem Überfluss. Hat der eine viel, geht’s dem anderen ab, auch wenn er es gar nicht bräuchte. Die zweite Mahlzeit zum Beispiel. Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr. Maßhalten wäre das Gebot der Stunde. Drum geht die Kinseher mit gutem Beispiel voran: Der Porsche wird verschnalzt, die Kabarettfirma aufgelöst, eine Alm in den Schweizer Bergen gekauft. Eine Hütte, ein Ofen, eine Kuh. Das reicht. Sie hat ihre Mitte gefunden, mit Muh-Meditation. Man muss es nur ausprobieren: Wenn sich das Muh, ausgehend vom Zwerchfell, durch den Brustkorb Bahn bricht in den Kehlkopf und dort leicht in die Kopfstimme schnackelt. Das ist befreiend. Wie der transzendente Urklang Om eben. Fast wie Jodeln. Und auch das braucht sie, um sich mit der alten Heidi – ja, mit Johanna Spyris Heidi – auf der Nachbarsalm unterhalten zu können. Jodeln, eine Kuh, eine Alm. So schaut’s aus, das künftige Leben der Kinseher. Weil sie ins existenzielle Vakuum gefallen ist, mit ihrer ererbten Gründerzeitschrankwand, ihrem elektrischen Mangoschäler, dem Handy, dem Computer und dem ganzen Wohlstandsmüll. „Almkas und an Kantn Brot.“ Der Kas kommt von der Kuh. Von der sinnstiftenden Kuh. Von der Kuh, die sogar die Reproduktion des Menschen sichert. Weil sie uns zwar keine Eier, aber Milch und Käse spendet, außerdem dem Mann das Steak und der Frau den Talg für Lippenstift und andere Kosmetika, die wiederum eine nicht unmaßgebliche Rolle im Paarungsverhalten einnehmen. Drum: Wenn ihr nicht werdet wie die Kühe, so werdet ihr nicht eintreten in das Himmelreich. Maßhalten! „Wiederkäuen heißt, sich mit dem abzufinden, was man hat“, sagt die Kinseher. Werdet Wiederkäuer. Beim Fernsehverhalten und beim Wählen funktioniert’s doch schon.
Geld allein macht nicht glücklich. Geld verdirbt aber auch nicht den Charakter. Der war schon verdorben, bevor Geld erfunden war. Obwohl: Kinsehers Mitstreiterinnen auf der Postsaalbühne, selbstverständlich von ihr selbst gespielt, sind schon von der Finanzwirtschaft korrumpiert. Die fränkisch-fleißigpenible Brigitte Rösch, die hysterisch-shoppingsüchtige Gitti Lachner, die hanseatisch-buchhalterische Helga Frese und die dauerbetrunkene Ex-Milliardärin Maria, formerly known as Mary from Bavary. Mit Hilfe weniger Handgriffe und noch weniger Utensilien springt Luise Kinseher von einem Charakter in den anderen. Traumwandlerisch. Eine ausgezeichnete Kabarettistin, die eine begnadete Schauspielerin ist. Die Inszenierung der Maria – großartig: Stocknüchtern eine Betrunkene zu spielen, das wirkt oft aufgesetzt. Hier nichts davon. Und frappierend ihre Helga Frese: Da hat sie mit sich selbst deutlich weniger Ähnlichkeit als mit der Knef. In „Einfach reich“ kann sie mit ihren Facetten spielen, kann damenhaft sein, natürlich oder ordinär. Man nimmt ihr alles ab. Gleichzeitig vernachlässigt sie das Publikum nicht, bleibt in Kontakt. Auch mit der zweiten Reihe, mit dem Franzl, der nur Franz oder Hans heißen kann, von Beruf „Zimmermann oder so“ ist, einen Mercedes hat, die 300 Meter zum Postsaal aber trotzdem mit dem Rad gefahren ist. Ja, auch das ist Genügsamkeit. Oder einfach mal die Erwartungen runterschrauben. Hat die Kinseher auch gemacht, als sie hörte, sie solle in Trostberg auftreten. „Trost-Berg, da kann doch Jammer-Tal nicht weit weg sein.“ Und dann wurde es doch nett. So nett, dass sie zum Schluss dem Publikum ihre Liebe erklärte. Mit der allerinnigsten Innigkeit, die ein Niederbayer aufzubringen in der Lage ist: „Mechst schmusn? Oiso mir waar’s wurschd.“ Mmmmmuuh!
Vom langsamen Verfall des Lehrkörpers
Han’s Klaffl mit „Restlaufzeit“ im ausverkauften k1: Kaberettprogramm mit gesundem Menschenverstand
Restlaufzeit - Unterrichten bis der Denkmalschutz kommt – Traunreut, k1, im Januar 2013
Jetzt passen S‘ halt auf. Für mich ist auch sechste Stunde. Nachher weiß wieder keiner, was ich geschrieben hab. Mei, mir kann’s ja egal sein. Ich weiß es, ich war ja dabei. Aber Sie!? Wenn das beim nächsten Mal abgefragt wird, stehen Sie da und sind wieder blank. Konzentration jetzt! Für das Leben lernen wir! Vielleicht. Hoffentlich. Wahrscheinlich nicht. Jedenfalls nicht, wenn man Han’s Klaffl glauben darf. Und dem muss man leider glauben, ist er doch seit 36 Jahren Gymnasiallehrer. Gut, Musiklehrer ist er. Musik. Das ist ein Fach wie Kunsterziehung oder Sport. Nimmt doch keiner ernst. Da regeneriert man oder macht MatheHausaufgabe. Irgendwas Sinnvolles halt. Nein, Musik ist ein Luxusproblem, bestenfalls. Da stellt sich dieser Klaffl vor ausverkauftem Haus auf die k1-Bühne und kabarettisiert über den Schulalltag. Der weiß doch nur vom Hörensagen, wie ätzend organische Chemie, wie grenzwertig Infinitesimalrechnung, wie relativ der Ablativus absolutus ist. Nun, immerhin sitzt er an der Quelle. Im Lehrerzimmer. Und er/ihn beschäftigt dasselbe Material wie die Lehrer ernsthafter Fächer. So gesehen kann man ihm glauben. Nein, natürlich ist auch Musik ein wichtiges Schulfach. Wenn man dann als Schüler nicht nur einen Lehrer, sondern auch noch einen Pädagogen vorgesetzt bekommt wie Klaffl augenscheinlich einer ist, dann darf das als unverzichtbarer Beitrag zur Menschwerdung des Heranwachsenden gewertet werden. Der Mann kann offenbar zuhören, Wissen vermitteln – und unterhalten. Das macht er mit seinem zweiten Soloprogramm „Restlaufzeit – Unterricht bis der Denkmalschutz kommt“. Ein Riesen-Spaß. Und gleichzeitig auch ein bisserl beängstigend, wie und was Politik und Pädagogik der Zukunft des Landes angedeihen lassen. 36 Jahre Lehrer – da hatte Klaffl ausgiebig Zeit, den Schulalltag umfassend zu studieren. 36 Jahre lang Wandertage, Feueralarme, große Pausen, Personalausflüge und Bundesjugendspiele – ein an kulturellen Höhepunkten nicht armes Berufsleben. Und
dann die politischen Rahmenbedingungen: Er hat die Entwicklung im Kultusministerium, die sich nicht zuletzt an den Namen der zuständigen Minister festmachen lässt, hautnah miterlebt. Erst die Steigerung Maier-Zehetmair-Hohlmeier. Danach flickte Schneider am Gymnasium rum, und heute fallen da, wo gehobelt wird, Spaenle. Fünf Kultusminister und die dazugehörenden Staatssekretäre. Wobei sich Klaffl in dieser Hinsicht nicht optimal vorbereitet hat. Da muss er nachsitzen, der Herr Lehrer: Marcel Huber, ehemals Kultusstaatssekretär, ist zwar Veterinärmediziner und als solcher fürs Kultusministerium hervorragend gerüstet, er hat aber nicht über die Schweinezucht promoviert, obwohl er danach als Facharzt für Schweine und als Leiter des Schweinegesundheitsdienstes arbeitete. Die Doktorarbeit des Ampfingers und heutigen Gesundheitsministers hat den Titel „Untersuchungen über Klauenparameter an Jungbullen in den bayerischen Eigenleistungsprüfungsanstalten“. Soll selbstverständlich nicht heißen, dass Huber wegen seiner Beschäftigung mit Rindern weniger kompetent in Sachen Unterricht und Kultus war. Keinesfalls. Politiker können ja eh alles und überall. Rechtschreibreform zum Beispiel. Das können die. Drum heißt der Hans Klaffl jetzt Han’s. Weil die Kommission 1996 den „Deppenapostrophen“ hoffähig gemacht hat. Nachdem jeder Willi seine Würstelbude und jede Rosi ihren Frisiersalon im Zuge der Verenglischung mit einem abgetrennten Genitiv-S versehen hat, sahen sich die Schreibwächter wohl außer Stande, den Apostrophenwildwuchs einzudämmen. Drum ist Willi’s Würstelbude inzwischen geduldet. Noch nicht erlaubt sind – obwohl gern gelesen – „Bahnhof’s Toilette“ und „Schweinesteak’s“. Aber das kommt noch. Wo wir laut Pisastudie in der Lesekompetenz auf Platz 17 stehen. Und wenn’s dann endlich kommt, dann ist Hans, Pardon, Han‘s vorbereitet. So geht Klaffl an die Probleme ran: Er beobachtet, macht sich seinen Kopf und raus kommt ein Kabarettprogramm. Da hat der Wahnsinn Methode. Seltsam eigentlich, dass angewandter gesunder Men-
schenverstand als Kabarett daherkommen muss, damit er wahrgenommen wird. Fürs Publikum – nicht nur für die zahlreich anwesenden Lehrer – ist das dennoch höchst erfreulich. Spröden Meldungen, die der Nachrichtenkonsument zur Kenntnis nimmt, gibt der Kabarettist eine Gestalt. Wenn es heißt, die deutsche Lehrerschaft sei überaltert und ausgebrannt, dann ist das zwar nicht schön, aber doch nur eine Randnotiz. Klaffl zeigt, was das bedeutet: Er spielt den Lehrer Gütlich, der seinem neuen Hobby frönt – dem Bandscheibenvorfall. Oder den Gmeinwieser, der ein neues Hüftgelenk sein Eigen nennt. Und der körperliche Verfall des Lehrkörpers ist noch das Positivste an der Bildungsdemographie. Dass diese Herrschaften die Fotokopie für ein neues Medium halten, weil sie mit Hektographie groß geworden sind, wundert da keinen. Und die Maus hat zwei Tasten, eine linke und eine rechte, wer hätt’s gedacht? Selbst wenn die Kollegen, die Klaffl auf die Bühne bringt, knallhart karikiert werden – ein Nestbeschmutzer ist er nicht. Weil er’s menschenfreundlich macht. Weil’s im Bildungssystem wie im wirklichen Leben ist: Einiges läuft schief, aber der Rest, der ist nicht perfekt. Davon lässt sich Klaffl leiten. Lehrer sind nicht perfekt, Schüler nicht, Eltern nicht, Kultusminister – halt. Kultusminister natürlich schon. Klaffls Spannungsbögen sind weit und auf dem Punkt – das Gefühl des Musikers dafür ist untrüglich, seine Protagonisten zeichnet er liebevoll und detailreich. Er lamentiert nicht über die faule Jugend, das hat Sokrates vor 2400 Jahren auch schon vergeblich versucht: „Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte.“ Schüler waren vor 30 Jahren genauso wenig Ausbünde an Engagement wie heute, die zur Verfügung stehenden Mittel der Ablenkung waren nur andere. Und immerhin: Fortschritt ist doch auch, wenn man beim Wandertag keinen Schüler verliert, weil man sie mit den Ohrhörern ihrer iPods zusammengestöpselt hat. So, wir sind fertig. Bitte noch die Stühle raufstellen.
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So geht Klaffl an die Probleme ran: Er beobachtet, macht sich seinen Kopf und raus kommt ein Kabarettprogramm.
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Mit Gleitsicht und Wut ins Wahljahr
Oder doch mit Stoibers Weitsicht und Glut? Kabarettist Wolfgang Krebs bringt Misterpräsente nach Palling
So a Riesen Gaudi – Palling, Festzelt, im Juli 2012
Die beiden, wie Stoiber mal sagte, die beiden – also er selbst, Strauß und Waigel – haben die CSU und Bayern stark gemacht. Wieder zwei – Stoiber, Beckstein und Seevogel – die sind es gewesen, die in Palling am Donnerstag im Bierzelt mit einer Stimme gesprochen haben. Zu den Pallingerinnen und Pallonen. Die ganze Kompetenz, Wortfindungs-äh-dings und Meinungsvielfalt geballt, die Dreifaltigkeit, die drei Misterpräsenten in einer Person. Der Person Wolfgang Krebs. Bei den Pallonen.
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Präsenz zeigen, näher am Menschen sein – das ist die Aufgabe der CSU in Palling, wo sie nicht die sonst übliche Zweidrittelmehrheit im Gemeinderat hält und mit Bürgermeister Josef Jahner noch nicht mal ein Schwarzer Bürgermeister ist. Denn das Pallinger Umland ist wichtig für die CSU, das muss die Botschaft des Kabarettisten Krebs sein, der nicht nur drei Ministerpräsidenten, sondern mit Christian Ude als Handpuppe auch noch einen Spezialdemokraten mitgebracht hatte. Denn das Pallinger Umland ist praktisch das Frankenland des Südens. Wenn Sie meinen, was ich verstehe. Dort die Pufferzone gegen die Preußen, hier die gegen die Österreicher. Franken und Palling – Bayerns Gazastreifen. Hier wird der Freistaat verteidigt. Zu verteidigen ist viel – Bayern wird bedroht: Im nächsten Jahr sind Landtagswahlen. Der Bauernbub, der bei der Mama wohnt und permanent das Casting zu „Bauer sucht Frau“ versäumt auf der einen Seite, der ewige Oberbürgermeister, der durch ein SBahntunnelnetz von einem „O’zapft is“ zum nächsten touren will, auf der anderen. Von Aiwanger und Ude will sich der Horstl nicht in die Zange nehmen
lassen. Da kann der sich deutlich schönere Sandwiches vorstellen. Drum reaktiviert nicht nur die CSU, sondern auch Krebs den Edi als Wahlkämpfer. Nicht nur in Passau, auch in Palling. Weil der in solchen Zeiten Gleitsicht und Wut mitbringt. Weitsicht und Glut. Und die Rechnung geht auf: Krebs‘ Stoiber ist so präsent ist wie der Misterpräsent selbst. Das Festzelt tobt. Das Köpfchen erst schief gehalten, um ihn dann mit gespitztem Mund nach vorne zucken zu lassen, als ob er einem imaginären Gegner ins Gesicht picken möchte, dazu Hackbewegungen mit der linken Hand – das ist keiner, der Stoiber imitiert. Krebs ist Stoiber, der Ministerpräsident der Herzen. Es sind nicht nur die Stimmen, der Tonfall, die sprachlichen Eigenheiten – Krebs hat die drei Unionsgranden offenbar penibel analysiert, ihre Körpersprache, die Gestik, die Mimik. Wer weiter als 20 Meter von der Bühne entfernt sitzt, könnte meinen, die Originale stünden auf der Bühne. Wobei Krebs‘ Stoiber die beiden anderen um Längen überragt. Da bedarf es nur noch eines kleinen Sprühens sozusagen in die gludernde Lot, in die gludernde Flut, dass die Zuschauer japsen. In die lodernde Flut, wenn ich das sagen darf. Gut, ab und zu übertreibt Krebs die Stoibersche Haspelei. Schniprikabratzel, Schnaprikabritzel, Piprikaschnapsel, Paprikaschnipsel. Da überdreht er. Hat Stoiber aber auch getan. Als Seehofer kann Krebs dessen Lebensmotto „Entweder konsequent oder inkonsequent“ noch so konsequent auf die Bühne bringen. Das Format seines blonden Fallbeils erreicht der nicht, zumal er nicht weiß, was er denkt, solange er es noch nicht gesagt hat. Nicht umsonst ist Stoiber Ritter und Ordensträ-
ger wider das ernsthafte Tier und nicht der Seeigel. Oder gar Beckstein, die ministerpräsidiale Randnotiz. Der über einen Satz über zwei Mass Bier und die Weigerung seiner Marga, für die Wiesn ein Dirndl anzuziehen, gestolpert ist. In Bayern! Der drückt sich jetzt in Männerkochkursen und Selbsthilfegruppen für unterdrückte Ehegatten rum. Und für Nackttöpfern in der Toskana ist er auch schon angemeldet. Dass der dem Freistaat nach Stoiber nicht die nötige Orientierung geben kann, hätte eigentlich klar sein müssen. Stoiber ist ja die personizierte Orientierung. Wenn der in Waschington vom Waisenhaus weggeht, dann weiß er immer, wo er ist. Weil er Straßenschilder lesen kann, ist doch selbstverständlich. Auch die bunt beleuchteten an der Ecke Walk-Dontwalk. Er ist im Bilde, immer. In der Amberger Puppenschachtel sowieso, diesem großartigen Pallinger Theatergebäude, in dem er inmitten der Bamberger Siphonbläser der Augsburger Puppenkiste zum 65. Geburtstag gratulieren will. Nein, Stoiber ist nicht am falschen Ort. Er hat auch nicht die falsche Rede dabei. Er spricht vor dem falschen Publikum: „Da müsste ich eigentlich Bayern retten, und jetzt bin ich im Kasperltheater.“ Dass die Siphonbläser eigentlich die Bayerischen Löwen sind, irritiert den Ministerpräsidenten des ehemaligen Bayern nicht wirklich. Die sind eine ausgezeichnete Brassband, hervorragende A-cappella-Sänger und Instrumentalisten. Die übersetzen Queen und AC/DC in Blech, dass es nur so scheppert. Nur ihre Texte sind bisweilen arg für Bierzelte ausreichend qualitativ. Den Applaus der Pallingerinnen und Pallonen jedenfalls haben sich Krebs und Bayerische Löwen trotzdem redlich verdient. Im südostbayerischen Gazastreifen.
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Die ganze Kompetenz, Wortfindungs-äh-dings und Meinungsvielfalt geballt, die Dreifaltigkeit, die drei Misterpräsenten Beckstein, Seevogel und Stoiber. In einer Person. In der Person Wolfgang Krebs.
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Beckstein ist der Vollständigkeit halber dabei. Am stärksten ist Krebs aber als Stoiber.
Krebs entfacht Stoibers gludernde Lot
Drei Mann in einem Dings – Traunreut, k1, im Februar 2013
Kabarettist brilliert als Ex-Ministerpräsident – Manchen der acht Bühnencharaktere hätt’s nicht gebraucht Es geschehen noch Weichen und Zunder, meine sehr verehrten Damen und Herrn, lassen Sie mich das sagen. Man hätte es sozusagen nicht für möglich gehalten, aber letzten Endes hat es sich – äh – bewahrheitet, das Zitat aus unserem Land der Dirndl und Denker, und – im weitesten Sinne – von Laptop und Lederhosen, von diesem – äh – Goethe: „Von Zeit zu Zeit seh‘ ich den Alten gern.“ Und welch eine glorreiche Auferstehung! Zum Bayerischen Präsidenten hat es ihn gewählt, das k1-Publikum, zum Präsidenten – über dem Ministerpräsidenten und knapp unter Uli Hoeneß. Stoiber ist zurück. Und nicht nur er, auch Beckstein und Horst Seehofer, der zugegebenermaßen noch nicht mal weg war. Und alle auf einmal, in der Gestalt von Wolfgang Krebs.
Bundeskanzlerin, und Ude, also der schöpft aus dem Vollen. So voll nun auch wieder nicht.“
Ja, da war sie wieder, die gludernde Lot, die er entfacht, wenn er seine geschliffenen Reden hält, die glodernde Lut, die ludernde Flut, die nur noch eines kleinen Sprühens sozusagen bedarf, um das Publikum mitzureißen. Im Kabarettisten Krebsgang Wolf hat er sein ideales Sprachrohr gefunden, das ist der Stoiber, wie er leibt und lebt.
Acht Rollen füllt Krebs in seinem aktuellen Programm aus. Ob’s das braucht? Eher nicht. Während der Kostümwechsel – und derer gibt’s viele – spielt er Werbespots ein, man befindet sich ja auf einer Art Kaffeefahrt. Da darf ein osteuropäisches Beerdigungsinstitut für seine Leistungen werben – „Hier liegen Sie richtig“, was schon sehr stark an Michael Herbig und Christian Tramitz als „Pavel und Bronko“ erinnert. Aus „Seitenbacher“ wird „Seidenspinner“, wobei zweifelhaft ist, ob man die RadioWerbung von Willi Pfannenschwarz („Woisch, des isch des Müsli von dem Seitenbacher“), die schlecht genug ist, noch persiflieren muss. Nicht jede Pointe ist ein Treffer.
Hier hat Krebs seine stärksten Szenen. Sein Seehofer mit dem sonoren, kaum gekünstelten Lachen, der auf dem 58 Meter langen Weg vom Eingang der Dreiländerhalle in Passau bis zum Rednerpult seine Meinung mindestens zweimal ändert, ist zweifelsohne treffend karikiert: „Meine Devise ist immer: konsequent oder inkonsequent, aber nicht das dauernde Hin und Her.“ Der unter der Fuchtel seiner Marga existierende Beckstein muss der Vollständigkeit halber dabei sein. Wie würde Edi sagen? „Wer wie Krebs ein Trio am Start hat mit Stoiber, Seehofer und die anderen Politiker – den Beckstein und äh dazu noch die Merkel, die
Das macht er, der Krebs. „Drei Mann in einem Dings“ heißt sein Programm, mit dem er sein Publikum zum Wahlfang auf dem Schoner „M.S. Wolfratshausen“ mitnimmt. Geschont wird da keiner – nicht die ehemaligen und amtierenden Minsterpräsenten, nicht die Bandeskunzlerin, nicht der Herausforderer Christian „Ozapft is“ Ude. Den spielt Krebs in seiner bräsigen Behäbigkeit schon ziemlich perfekt. So gesehen wäre Ude ministerpräsidiabel – ein kabarettistisches Vakuum wäre– rein hypothetisch – bei einem etwaigen Wahlsieg des OBs der Münchnerinnen und Münchner nicht zu befürchten, meine lieben Leserinnen und Leser.
Auch den Schlagersänger Meggy Montana („Wenn die Bouzouki weint in Montepulciano“) und die Lebensberaterin Waldemarie Wammerl braucht’s eigentlich nicht. Die beiden würden eine gelb-blaue Kreuzfahrt sicher bereichern, weil sie offenbar zum
neuen Markenkern der Liberalen, zum Herrenwitz ein inniges Verhältnis haben. „Es gibt Frauen, die können anziehen, was sie wollen – denen steht einfach nichts. Aber es gibt Männer, die können ausziehen, was sie wollen – denen geht es genauso.“ Wammerls Lebensweisheiten sind halt nur so mittellustig. Laut Krebs sind Ähnlichkeiten mit der Ex-Wiesn-Chefin Gabriele Weishäupl nicht zufällig. Deutlich mehr Parallelen weist Wammerl allerdings zur Dame auf, die Gerhard Polt einen KulinarikUrlaub bei den Maneaters verbringen lässt. Auch der Ortsvereinsvorsitzende Schorsch, der den klimaneutralen Franz-Josef-Strauß-Gedächtnis-Waschbetonkübel von 1979 gegen den Ortssozi mit einem gepflegten Haberfeldtreiben bis zu dessen Selbstmord verteidigt, scheint Sprache und Körpersprache nach dem Poltschen Panoptikum entsprungen. Da ist’s halt schon so: Polt-Persiflagen sollte man Polt überlassen. Doch letztlich findet Krebs immer zu seinem kabarettistischen Sahneschnittchen zurück – zum Schadund Problembären Edi. Den lässt er gegen den Länderfinanzausgleich wettern, den – tatsächlich! – kein Geringerer als Stoiber selbst ausgekartelt hat. Sogar die Fehler musste Stoiber damals selbst machen! Natürlich hatte der Kauf der Hypo-Alpe-Adria sein Gutes – dieses Geld musste nicht diesen faulen Bundesländern für irgendwelche Flughäfen in den Rachen gestopft werden. Da hat er schon Recht, der Stoiber. Das mit den Almosen muss aufhören. Für 3,7 Milliarden bekäme man zwei Transpirat! Transrapid. Dafür könnte man den Berliner Hauptbahnhof locker an den Franz-Josef-Strauß-Flughafen anbinden. Nicht in zehn Minuten, aber immerhin. Wer so was fordert, muss Präsident des Freistaats werden. Unter Uli Hoeneß natürlich.
Krebs‘ Bühnencharaktere, aufgereiht von überflüssig (ganz links) bis notwendig (ganz rechts).
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Bis zur Unkenntlichkeit verkleidet steht Mike Krüger da und intoniert Lieder, die komplett ohne Sinn funktionieren.
Nicht wirklich Kunst, kann ruhig weg
Mike Krügers Scherze flach wie die norddeutsche Tiefebene – Erschreckende Brüller im Viertelminutentakt
Is‘ das Kunst, oder kann das weg? – Trostberg, Postsaal, im Februar 2011
Er ist die große Konstante der Komiker-Szene. Wenn man’s positiv sehen will. Für weniger Wohlmeinende: Entwickelt hat sich da kaum was. Seit 36 Jahren bespaßt er sein Publikum, lässt Walther vor der Himmelspforte stehen und Bodo baggern und den Nippel durch die Lasche ziehen. Dazwischen kalauert er sich durchs Programm, eine Kamelle nach der anderen. Seit 36 Jahren. Mit dem Konzept hatte Mike Krüger aber auch sein Publikum im Postsaal im Griff.
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Erschreckend eigentlich, wenn man sie alle wieder hört. Scherze, über die man Mitte der 70er, Anfang der 80er lachte. Für diejenigen, die die Gnade der späten Geburt genießen: Das war die gar lustige Zeit, als Hallervordens „Palim-Palim“ und Ottos Jodler ausreichten, um ganz Fernseh-Deutschland vor Lachen vom Stuhl fallen zu lassen. Als „Piratensender Powerplay“ mit Krüger und Thomas Gottschalk für die Krone bundesrepublikanischer Kinokomödien gehalten wurde. Ach ja. Man hatte ja sonst nicht viel zu lachen, so kurz nach dem Krieg. Wahrscheinlich, weil’s nur – unvorstellbar – fünf Fernsehsender gab. Ehrlich. Ganz arm. Wobei RTL mit diesem Spaßansatz noch immer gut fährt – da wird heute noch mit Humor-Flachwurzlern wie Mario Barth, Cindy aus Marzahn und Ralf Schmitz Quote gemacht – und deren Programme unterscheiden sich nur unwesentlich von denen eines Mike Krüger. Der jedenfalls hätte es beinahe geschafft, so etwas wie einen roten Faden durch „Is‘ das Kunst oder kann das weg“ zu ziehen. Wollte man dem Bühnenbild glauben. Das spiegelt vor, Krüger ziehe gerade um. Umzugskartons, wohin das Auge schaut. Natürlich nicht irgendwelche Kartons.
„Hagebau“ steht laut und deutlich auf jedem geschrieben – Krüger macht auch im weitestgehend baumarktfreien Trostberg sein Ding. Er und seine Frau sind kürzlich von Quickborn nach Hamburg umgezogen – angeblich der Auslöser fürs Programm. Wann soll man sich denn vom Ballast trennen, wenn nicht beim Umzug? Und jetzt hat er den Krempel in den Kisten – eine Acryl-Säule für seine Teilnahme bei der „Großen Show der Naturwunder“ der ARD, eine kleine Skulptur für seine Auftritte in der ZDF-„Hitparade“… „Is‘ das Kunst, oder kann das weg?“, fragt er bei jedem Gegenstand sein Publikum. Zwei Frisbee-Scheiben fliegen in den Saal. Geschenke! Keine Kunst, können weg. Damit hat er den Titel seines Programms weitestgehend abgearbeitet. Sie spielen zwar keine Rolle mehr, die Hagebau-Kartons stehen aber weiterhin werbewirksam auf der Bühne. Können bleiben, sind wahrscheinlich Kunst. Und dann breitet er sein Leben aus, der Michael Friedrich Wilhelm Krüger. Sein Bühnenleben. Gleich nach der Geburt wäre er fast vertauscht worden. Die Krankenschwester hat seinen Vater aber dabei erwischt. Ein Brüller. Die Kindheit war schwer, die ersten Kontakte mit dem anderen Geschlecht unerfreulich, das Leben eines der härtesten. Weil’s wenig zu essen gab, hat er geheiratet. Bei der Hochzeit würde mit Reis geworfen, hatte er gehört. Brüller im Viertelminutentakt. Was man halt so Brüller nennt. Für den hartgesottenen Fan ausreichendes Brüllpotenzial jedenfalls. Dann erzählt er von seinem Grundwehrdienst. Für die Nachgeborenen: Da lernten die jungen Männer,
ihr Vaterland zu lieben, zu schießen, zu grüßen und alles olivgrün anzustreichen. Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Krüger kratzt vereinzelt aktuelle Themen an – Dioxin-Ei und MatthäusScheidung. Lothar Matthäus ist ein ehemaliger Fußballstar, ein gelernter Raumausstatter, der seinen Beruf nicht mehr ausüben darf. Wegen dieser staatlichen Verordnung, dass der IQ des Raumausstatters höher zu sein hat als die Raumtemperatur. Massiv wird’s, wenn er singt. Also, wenn er versucht, melodiös Geräusche ins Mikro zu machen. Stimmlich schlagen die 60 Lenze durch, gerade bei den höheren Passagen. Das macht der Tontechniker aber locker wett: Da wird mit Macht und Konserven auf den Zuhörer eingeprügelt. Alle Regler nach rechts und ab geht die Post. Besonders schlimm: „Ein Korn, der deinen Namen trägt“ ist auch ohne Krügers Zutun in der Ötzi-Version als benamster Stern schon unerträglich genug. Bei den – ähem – musikalischen Darbietungen beweist Krüger seine unwahrscheinliche Wandelbarkeit und greift auf seine schauspielerischen Supernasen-Erfahrungen zurück: Bei „Bodo mit dem Bagger“ setzt er einen Bauhelm auf, bei „Schiri, ich weiß nicht wo mein Auto steht“ eine Fanmütze, bei „Im Wagen vor mir sitzt der Arsch Alonso“ eine Ferrari-Kappe, bei Marie-France“ eine Baskenmütze. Bis zur Unkenntlichkeit verkleidet steht er da und – ähem – singt Lieder, die komplett ohne Sinn funktionieren. Er brennt ein Comedy-Feuerwerk ab, heißt das im PR-Jargon. Humor so flach wie die norddeutsche Tiefebene auf Höhe der Dümmer-Geestniederung. Is‘ das Kunst? Nein, kann weg. Muss aber nicht. Offenbar hat der Haudegen seine Fans. Dann soll’n sie doch. Nächste Woche kommt Andreas Rebers. Gottseidank.
Auch aufs Geistesblitzerl folgt ein Donner Donner und Blitz auf dem Nockherberg – Altenmarkt, Rossstall im Baumburger Gutshof, im Oktober 2011
Michael Lerchenberg liest aus seiner „Starkbier-Biographie“: Einblick in die Abgründe des Politzirkus Donner entsteht durch die plötzliche Ausdehnung der Luft, nachdem sie von einem Blitz extrem erhitzt worden ist. Ursache das eine, Wirkung das andere, ganz klar. Erst Blitz, dann Donner. Naturgesetz. „Donner und Blitz auf dem Nockherberg“ hat Michael Lerchenberg sein Buch genannt, mit dem er Rückschau auf über ein Vierteljahrhundert Starkbieranstich hält und aus dem er beim Baumburger Kultursommer gelesen hat. Erst der Donner und dann der Blitz? Nein, Lerchenberg hebt keine Naturgesetze auf. Aber schon mit dem Buchtitel weist er auf das Paradoxon hin: Als Barnabas donnerte er von der Kanzel, bevor es dünnhäutige Politiker blitzen ließen. Das Donnerwetter für Lerchenberg folgte auf dem Fuße. Es hatte direkt bei ihm eingeschlagen. Mit Karacho. Lerchenberg hatte seinen Barnabas nicht als politische Witzerl machenden Starkbierkasperl angelegt, sondern als Fastenprediger klassischer Prägung. Kräftig hatte er den Regierungsparteien in Land und Bund eingeschenkt – da ein bisserl über die BayernLB, dort ein bisserl davon, wie man die Gemeinden ausbluten lässt, und geendet hatte das Ganze mit einem apokalyptischen „Und der Tag des Zorns wird kommen“. Die Rede sprühte vor Witz, Ironie, Satire, Sarkasmus – aber Schenkelklopfer war sie für die versammelte Politprominenz keiner. Lerchenberg erinnert sich: „Der Applaus ist spärlich, und wer in diesem Augenblick als Beobachter dabei ist, wüsste gerne, was die angesprochenen Politiker wirklich denken. Sagen sie sich, der Mann hat recht, wir müssen uns bessern? Anzeichen hierfür gibt es keine. Oder schießt ihnen durch den Kopf: Was für ein Schmarrn, das stimmt doch hinten und vorne nicht! Oder, noch bündiger: Der muss weg, der Depp!“ Letzteres war der Fall. Lerchenberg lässt seine Zuhörer im ehemaligen Baumburger Rossstall teilha-
ben an der Dramatik, am Skandal, der dieser erfolgreiche Angriff auf die Meinungs- und Kunstfreiheit de facto ist. Und das nicht nur aus seiner Perspektive. Für das Buch hat er sich einen Co-Schreiber gesucht, der die Außensicht schildert. Mit dem SZ-Redakteur und Streiflicht-Mitverantwortlichen Wolfgang Görl fand er eine wahre Edelfeder. Gemeinsam beleuchten sie Lerchenbergs 26 Jahre auf dem Nockherberg. Mit Schwung und Witz gewähren sie Blicke hinter die Kulissen des Politikerderbleckens, zeichnen einen Stoiber, wie ihn nur wenige kennen. Diesen Schwung, diesen Witz nimmt Lerchenberg mit ans Lesepult. Doch er liest eigentlich gar nicht viel, fünf Stellen nur hat er ausgesucht. Den Rest erzählt er in freier Rede, frank und frei. Und genau das ist es, was den Abend so mitreißend macht. Lesen kann jeder für sich selbst, aber etwas lebendig erzählt zu bekommen, an den Gefühlen teilhaben zu dürfen – das macht die Lesung zum Erlebnis. Spätestens im Laufe des Abends wird klar: Auch hier folgte der Donner dem Blitz und nicht umgekehrt. Wegen der Wahrheiten, die Barnabas gepredigt hatte, war er kaum angreifbar. Aber weg musste er trotzdem, der Depp. Probates Mittel in der Politik: Man wartet auf einen misslungenen historischen Vergleich, und schon ist er weg, der Politiker. Wenn er nicht eh grad eine Doktorarbeit abgeschrieben hat. Dann kann es der Nachschreiber immerhin noch zum Vordenker in einer amerikanischen Denkfabrik bringen. Jedenfalls glaubte Charlotte Knobloch, damals noch Präsidentin des Zentralrates der Juden, einen solchen misslungenen Vergleich gefunden zu haben. Und das wurde unters Volk gebracht. Endlich waren die beleidigten Politiker legitimiert, Barnabas‘ Auftritt für völlig daneben zu halten. Der Rücktritt Lerchenbergs war nicht mehr aufzuhalten.
Ursächlich für Lerchenbergs und jedem nachfolgenden Donner war aber natürlich – ein Blitz. Ein Geistes-Blitzerl. „Spätrömische Dekadenz“ hatte Außenminister Westerwelle Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfängern vorgeworfen. Auch ein interessanter historischer Vergleich – gegen den sich vermögende Altrömer aus Altersgründen nicht mehr wehren konnten. Und Hartz-IV-Empfänger sowieso nicht. Mit spätrömischer Dekadenz verbindet man Sauf- und Fressgelage, deren Teilnehmer sich mit Federn am Gaumeln kitzeln, um sich das Genossene durch den Kopf gehen zu lassen und so im Magen Platz für weitere Delikatessen zu schaffen. Dabei sind Hartzler noch nicht beobachtet worden. Dieses schiefe Bild nun riss Lerchenberg seinerseits zu einem historischen Vergleich hin: „Der Herr Guido schwingt seine sozialpolitische Abrissbirne. Alle Hartz-IV-Empfänger sammelt er in den leeren, verblühten Landschaften zwischen Usedom und dem Riesengebirge, drumrum ein großer Stacheldraht – des hamma schon mal ghabt. Zweimal am Tag gibt’s a Wassersuppn und einen Kanten Brot, statt Heizkostenzuschuss gibt’s zwei Pullover von Sarrazins Winterhilfswerk, und überm Ausgang, bewacht von jungliberalen Ichlingen im Gelbhemd, steht: ,Leistung muss sich wieder lohnen‘. Der KZ-Vergleich war zu viel. Mit dem Lager für Arbeitsscheue würden sechs Millionen jüdische Opfer der NS-Vernichtungslager verhöhnt, interpretierte Knobloch vor und die anderen interpretierten munter nach. Eigentlich hatten Lerchenberg und sein Mitautor Christian Springer aber etwas völlig anderes ausgedrückt: Wehret den Anfängen. Faschistoides Gebaren beginnt immer mit der Ausgrenzung und Verächtlichmachung gesellschaftlicher Gruppen. Im März 2010 war die politisch korrekte Empörung groß, das Kind schon in den Brunnen gefallen. Mit seinem Buch hat Lerchenberg die Gelegenheit genutzt, das richtigzustellen. Großartig.
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... und überm Ausgang, bewacht von jungliberalen Ichlingen im Gelbhemd, steht: „Leistung muss sich wieder lohnen“.
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Eigenheiten der Muttersprache
Gabi Lodermeier liest Episoden aus ihrem Tagebuch: Vom Schlüssel zur christkatholischen Hölle
Sätisfäktschn – Trostberg, Club Stiege, im November 1998
Des Menschen Lebenslauf ist zwangsläufig. Zumindest jener von Gabi Lodermeier. Bei der Erziehung, die die höhere Tochter genossen hat, blieb der Münchnerin nur dieser Beruf, den sie mit Hingabe und meisterlicher Sprachbetrachtung zur Berufung macht. Kabarettistin ist sie geworden, und was für eine. Das haben auch die rund 100 Zuschauer im Trostberger „Club Stiege“ gemerkt, denen Lodermeier ihr Tagebuch öffnete. Angefangen hat alles im Schuhgeschäft. Da musste die kleine Gabi feststellen, dass einige Wörter zweideutige Inhalte wiedergeben. Die Mutter hat ihr schnell beigebracht, dass es Schuhe mit „Schnoin“ nicht gibt, weil Schnallen ein schlecht beleumundetes Berufsbild haben. „Schließe“ muss das heißen. Diese Episode determiniert den Werdegang Lodermeiers in zweifacher Hinsicht: Zum einen halten sich die verfemten und deshalb interessanten Schnoin vor Theatern auf, was die Faszination fürs Theater begründet. Zum anderen wird die parodistische Ader der Gabi geweckt. Schnoin muss fürderhin durch Schließe ersetzt werden – Gürtelschließe, den Schulpack anschließen, die Skier abschließen. Und nach der Eingewöhnungsphase kommt beim aufgeweckten Kind die Trotzphase – das Phänomen wird umgekehrt. Da kommen dann – zwangsläufig – Goaßlschließzer und geschnallte Anstalten raus. Die Eigenheiten der Muttersprache prägen den Vortrag Lodermeiers. Das ist kein gewöhnliches Kaba-
rettprogramm, kündigt sie an, mehr eine Lesung, und zwar aus dem Tagebuch. Trotzdem ist die Vorstellung nicht steif, da ist Platz genug für Grimassen, Verrenkungen, vielsagende Blicke. Ihr schauspielerisches Talent lebt sie auch bei einer Lesung aus. Mit Dialekten, vor allem bairischen, tut sie sich leicht. Hou, hou – soviel Oberpfälzerisch kann im Publikum noch jeder. Den sprachakrobatischen Tiraden des ehemaligen Hausmädchens Thea, die Lodermeier zitiert, kann dann aber keiner mehr folgen.
Kinder. Aber am Samstag kann man ja beichten. Der Reiz zu fluchen wird – wieder zwangsläufig – umso größer, je klarer es verboten wurde. Dann wird man ruchlos, das Wort „Kruzifix“ könnte ewige Verdammnis nach sich ziehen, zumal am Montag gebraucht die samstägliche Beichte in weiter Ferne ist und es genügend Gelegenheiten unter der Woche geben könnte, sein sündiges Leben auszuhauchen. Aber mit vier „billigen Vaterunsern“ werden solche Sünden aus der Welt geschafft.
Der Zuschauer begleitet Klein Gabi durch die Kindheit, die Schulzeit mit ihren Fährnissen samt Orffschem Schulwerk und Klavierunterricht. Dazu gehört auch das Teppichwälzkoma ihres Bruders Hans-Ernst, der der mathematisch unbeleckten Gabi ein bisschen Nachhilfe geben muss. Wie‘s so ist mit der Geduld der großen Brüder – Gabis beständige Verweigerung der geistigen Nahrungsaufnahme fügte ihr Schmerzen zu: „Pferdekuss fällig, oder wos?“ Lodermeier rotiert, ihren verzweifelten, bebindestrichten Gynäkologen-Bruder Hans-Ernst imitierend, im Lehnstuhl. Die Nöte des Wissenden werden sichtbar.
Lodermeier erreicht, was vordergründig gar nicht so auffällt. Der Zuhörer erlebt Zweifel mit und stellt seit langem unangetastete Instanzen deshalb wieder einmal in Frage. Schulbetrieb, Sprachverhunzung, Manipulation. Bei allem Witz, bei allem vordergründigen Gelächter, das Programm Lodermeiers hat Substanz, da steckt auch noch was dahinter.
Wer hat ihn, den Schlüssel zur christkatholischen Hölle? Natürlich die Gabi, überreicht von der Religionslehrerin. Wenn man was über Todsünden lernt, muss der Lehrer das illustrieren. Was für Todsünden können Neunjährige verstehen? Am Sonntag nicht in die Kirche zu gehen, zu fluchen, beim Abendmahl die Hostie zu zerbeißen, das sind die Todsünden der
Wen‘s im Publikum bis jetzt noch nicht zerrissen hat vor Lachen, der ist bei der Episode dran, als Gabi ihr erstes Klavier-Vorspielen vor Publikum hat und sie wegen ihres Lampenfiebers vom Otto abgefüllt wird. Schnaps, Stuhl, Umhängetasche, kleiner Finger und Beethovens Albumblatt ,,Für Elise“ werden ihr zum Verhängnis, das Vorspielen wird ein Desaster, allerdings nur rein musikalisch. Denn Fehlinterpretationen seitens der Zuhörer dürfen nicht außer Acht gelassen werden: „Solche Patzer muss man erst mal zusammenbringen!“ Die kleinen Dramen sind es, die den Menschen aus der oder in eine andere Bahn werfen.
Der Kampf der Geschlechter
Guckt ja keiner – Trostberg, Club Stiege, im Oktober 1998
Francesca de Martin brillierte im „Club Stiege“
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Die deutschen Männer haben ein gestörtes Verhältnis zur Weiblichkeit. Das ist die deutsche Grundproblematik, wie die italienische Kabarettistin Francesca de Martin im Trostberger „Club Stiege“ deutlich machte. Begründet liegt das Missverhältnis der Geschlechter in der deutschen Grammatik. Das Kind, das Mädchen, das Fräulein, die Frau, der Drache. Menschen femininen Geschlechts machen im Laufe ihres Lebens einen Genus-Wechsel durch, der sich in der Psyche niederschlagen muss. Wie rächt sich die Frau? Mit Feminismus.
in memoriam Francesca de Martin († 23. Dezember 2009 in Bremen)
sein. Die ist naiv genug, sich einen italienischen Fernseher ins Rheinland schicken zu lassen, damit sie RAI empfangen kann. Das kostet die Oma das Leben. Francesca de Martin lässt sich Videos mit italienischen Nachrichten schicken, die nach dem neunwöchigen Postweg nicht so ganz up to date sind. Aber die Oma glaubt, was sie sieht. Sie erfriert im November leichtbekleidet im Park, weil RAI Sommer meldet.
In Italien ist das alles ganz anders. In Italien werfen die Männer nonverbale Gratulationsblicke auf die weibliche Brust, wodurch diese an Volumen gewinnt. Gemessen wird in der Einheit „Greif“ – ein Greif, zwei Greif und so weiter. Deutsche Männer kennen diesen Blick nicht – deshalb hat sich Francescas Oberweite schon auf einen halben Greif reduziert. Dramatisch.
Partnersuche ist eines der großen Themen de Martins. Klar, 16 Jahre fern der Heimat, da muss der Geschlechtstrieb mit dem Material, das zur Verfügung steht, bedient werden. Da hat‘s die Italienerin prinzipiell leichter als deutsche Konkurrentinnen, die den fatalen Drang hat, ihre Nachteile zu betonen, und sich im niedlichen Versuch, die Männer zu verstehen, verlieren. De Martin scheitert aber dennoch – am deutschen Mann.
Francesca de Martin spielt in ihrem Programm ,,Guckt ja keiner“ mit dem Spannungsfeld Beziehung. Dabei kann sie ihr immenses schauspielerisches Potenzial ausleben – stimmlich, pantomimisch, gestisch. Intensive Studien der deutschen Seele und der deutschen Sprache geben ihr einen unerschöpflichen Fundus, den Deutschen liebevoll zu karikieren. Sie bedient sich der Gestalt ihrer Oma, den typisch italienischen Standpunkt zu schildern. Und der Oma kann man ja nicht böse
Die Deutschen sind so ernst. Liegt wahrscheinlich wieder an der Sprache, die klingt ja wie eine Halskrankheit. Wie einst Charlie Chaplin im „Großen Diktator“ knödelt und krächzt de Martin deutsche Wortbrocken und schaut dabei auch noch drein wie Hitler. Spätestens hier atmet die Vorstellung große Schauspielkunst. Zum Feiern reichte es in der „Stiege“ allerdings nicht ganz. An Francesca lag‘s aber nicht. 30 zahlende Gäste sind für triumphale Auftritte einfach zu wenig.
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Bemüht, aber mehr auch schon nicht
Mark’n’Simon: Gastmusiker können nicht von deutlichen Schwächen des Programms ablenken Da fehlt’s. Nicht an allen Ecken und Enden, aber schon deutlich. Irgendwann ist so eine Nummer mal durch. Mark Nicholas aus Wales und Simon Elmore aus Irland touren seit rund drei Jahrzehnten mit ihrer „Musicomedy“ durch die Lande. Seit 30 Jahren machen sie ihre harmlosen musikalischen Späßchen, seit 30 Jahren pflegen sie als Bühnensprache „Dschinglisch“, eine Mischung aus Deutsch und Englisch. Beim Baumburger Kultursommer hat man sie vor drei Jahren schon einmal gesehen – und das deutlich stärker als am Freitagabend an gleicher Stelle. Natürlich haben sie Potenzial, sonst hätten sie’s kaum 30 Jahre lang geschafft zu touren. Natürlich hat das Charme, wenn sie zweistimmig wie Simon und Garfunkel singen und durch die jüngere Musikgeschichte kalauern. Aber ob man’s auf Dauer sehen will, ist fraglich. Da ist kaum noch Entwicklung drin. Wer das Programm vor drei Jahren gesehen hat, den kann das Programm 2012 kaum überraschen. Gut, Mark zieht sich den roten BH an, um die Shakira in Baumburg zu geben. Hat er vor drei Jahren noch nicht gemacht. Im gleichen Outfit gibt er
dann Nicole Kidman oder Nancy Sinatra mit seinem Duettpartner Simon als Robby Williams oder Frank Sinatra. So genau weiß man’s nicht. Zumindest singen sie „Somethin‘ Stupid“. Und so ist auch ihr Programm über weite Strecken. Sie spüren vermutlich selber, dass das auf Dauer nicht mehr trägt. Drum bringen sie musikalische Gäste mit. Den Saxofonisten, Klarinettisten und Flötisten Ray King zum Beispiel. Oder diesmal zusätzlich „The Professor“ Trevor Coleman aus Neuseeland, einen preisgekrönten Musiker, Musikproduzenten und Multiinstrumentalisten. Coleman war als Komponist drei Mal für den Emmy nominiert, schrieb und produzierte mehr als 80 Soundtracks. Das ist grundsolide, was der an Keyboards, Trompete und Akkordeon abliefert. Aber er macht sich als Musikclown schon auch zum Deppen. Bierpritscheln und ein offener Hosenstall, das ist an Komik-Elementen für drei Stunden halt ein bisserl dünne. Man könnte es ahnen: Als Referenzen geben Mark’n‘Simon an, dass Entertainer wie Thomas
Gottschalk und Alfred Biolek zu ihren bekennenden Fans zählen. Das atmet ein wenig 80er, 90er Jahre. Biolek darf noch ab und an auf den Dritten rumleckern, Gottschalk entscheidet demnächst neben Bohlen, dem Titanen des guten Geschmacks, wer ein Supertalent mit der Halbwertszeit von zwei Monaten ist. Entsprechend spritzig ist das Programm von Mark und Simon. Ein bisschen viel Sparwitze, ein bisschen viel lustige Hüte, falsche Gebisse und komische Kostüme. Das hat den Charme einer Karnevalsstunksitzung. Stört nicht, braucht aber auch keiner. Sie haben ihre starken Momente – die Klassiker kommen immer an. Simon als Joe Cocker oder Simon als Mick Jagger und Mark als Keith Richards. Aber auch da sagt der ausgewählte Song vieles: „Anybody Seen My Baby?“ von der 1997er Scheibe „Bridges to Babylon“. Alte Schinken halt. Und Marks Parodie auf einen Schlagerstar vom Format eines Howard Carpendales – das braucht doch auch keiner mehr. Der kann ja noch nicht mal mehr als musikalisches Feindbild herhalten. Da fehlt’s. Mindestens an der Frische.
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Mark und Simon als Nancy und Frank Sinatra oder Nicole Kidman und Robbie Williams. So genau weiß man‘s nicht. Jedenfalls passt der Song: „Somethin‘ Stupid“.
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„Da unten ist es. Mein Gott, so winzig.“ Nullinger hat das Niveau der Veranstaltung gefunden und Meixner mag kaum hinschauen.
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Der lange Kollaps des Altherrenwitzes
Meixner & Nullinger auf „Scherzinfarkt“-Tour: Da erstrahlt sogar Grünwald als Lichtgestalt des Feingeists
Scherzinfarkt-Tour – Trostberg, Postsaal, im März 2011
Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Wenn dieser Satz stimmt, dann ist am Freitagabend Humor im Postsaal epidemisch aufgetreten. Da wurde in einem fort geprustet, gewiehert, gegackert, gekichert, gegrunzt und schenkelgeklopft – und zwar obwohl und trotzdem. Obwohl Mike Hager und Stefan Meixner auf der Bühne weit jenseits der Scherzgrenze gezotet haben, beutelte es weite Teile der Zuschauerschaft trotzdem auf das heftigste.
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Die trauen sich was. Wörter nehmen die in die Münder, richtige Verbalanarchisten sind das: Vom Brunzen übers Soacha und ein Dutzend anderer Synonyme für Urinieren bis hin zum Wegstellen einer Stange Wasser haben die alles im Programm. Wobei – Programm ist ein bisschen hoch gegriffen. Die beiden erzählen und spielen halt Witzerl. Oder das, was man vor 30, 40 Jahren dafür hielt. Ein Abend mit einer qualitativ ähnlich hochwertigen Ansammlung von Altherrenwitzen bekäme man wohl nur dann hin, wenn man zwei Stunden lang aus dem Frühwerk Fips Asmussens zitieren würde. Die einzige Schwierigkeit, die die beiden zu bewältigen hatten, als sie ihre Gag-Parade zusammenstellten: Sie mussten die Zeit zwischen den weißbärtigen schlechten Witzen mit angemessen schlechten Überleitungen füllen. Das Resultat lässt einen Günter Grünwald wie einen Feingeist, wie die Lichtgestalt des guten Geschmacks erstrahlen. Hager und Meixner nennen das, was sie als Programm verkaufen, „Scherzinfarkt“-Tour. Damit ist eigentlich alles gesagt. Was ist ein Herzinfarkt? Gefäße, die im Laufe der Zeit verfettet, verhärtet und verkalkt sind, verursachen einen Kollaps. Eine wenig spaßige Angelegenheit. Analog dazu: Beim Scherzinfarkt kollabiert also der alte, verfettete, verhär-
tete, verkalkte Scherz. Und ebenfalls analog dazu: eine wenig spaßige Angelegenheit. Ein Brüller ist allein schon die Erscheinung Hagers alias Studiotechniker Josef Nullinger: Unter den grauen Arbeitsmantel hat er eine Wampenprothese geschnallt. Gscheid lustig. Er nuschelt sein gschertestes Bairisch unter seinem braunen, abgegriffenen Kordhut hervor, grad so, wie sich der Saupreiß seit Franz Josef Strauß den Bayern vorstellt. Hager verkörpert das Klischee vom stiernackigen, bauernschädligen, bierseligen, die Lebensfunktionen ausschließlich mit Leberkäs, süßen Senft, Schweinshaxn und Knödel aufrechterhaltenden Bajuwaren. Warum das der Bayer lustig finden soll? Keine Ahnung. Tut er aber offenkundig, wenn man die Geräusche im Postsaal richtig deutet. Was heißt da Postsaal? Für Meixner und Hager ist der die „Trostberger Olympiahalle“. Das einzige rote Fädelein in der freigeistigen Abendveranstaltung, die grob fahrlässig „Programm“ genannt wird. Ist auch zu lustig. Postsaal – Trostberger Olympiahalle. Darüber kann man sich innerhalb von zwei Stunden doch locker drei Mal wegschmeißen. Was haben wir gelacht. Nein, in Bausch und Bogen kann man die Darbietung der beiden „Antenne Bayern“-Aushängeschilder nicht in die Tonne kloppen. Weil sie ansatzweise einen lichten Moment haben. Aus dem Off, scheinbar nicht für den Zuhörer gedacht, unterhalten sie sich nach der Pause darüber, dass sie für den zweiten Teil des Abends eigentlich kein Programm mehr haben. Wohl wahr. Dabei ignorieren sie, dass sie die Tatsache, auch für den ersten Teil keines gehabt zu haben, nicht vom Auftritt abgehalten hat. Ein zumindest ansatzweise lichter Moment.
Und so wird der Bespaßungswillige Zeuge eines Gesprächs am Pissoir, Gliedvergleich inbegriffen. Wenn schon unter der Gürtellinie, dann richtig. Gottlob hat Meixner vor der Vorstellung einer Besucherin in der ersten Reihe eine Fahne in die Hand gedrückt, die für alle sichtbar zu schwenken ist, wenn Nullinger wieder eine seiner L.M.A.A.I.D.G.Pointen absetzt. Damit das Publikum weiß, wann zu lachen ist. L.M.A.A.I.D.G.? „Leck mi am Arsch, i dastick glei“ – das steht für ein Niveau weit, weit unterhalb der Grasnarbe. Besagte Zuschauerin hat ihre Aufgabe hoffentlich grob vernachlässigt. Ansonsten leidet sie fürderhin an einer chronischen Sehnenscheidenentzündung. Bei einem Sketchversuch verliert Meixner ob der sensationellen schauspielerischen Leistung seines Gegenübers den Faden, er schüttelt sich vor Lachen, der Text ist weg. Nun gut, die beiden sind ja erst seit etwa vier Jahren auf Scherzinfarkt-Tour. Da kann man schon mal der komplexen Dramaturgie verlustig gehen. Wer’s glaubt. Der Versuch wird natürlich unfallfrei wiederholt. Wie lustig. So schlimm kann’s doch gar nicht gewesen sein? Sie wollen’s ja nicht anders: Meixner erzählt von seinem Techtelmechtel mit Mandy aus Sachsen, mit der er sogar Güterverkehr hatte. „Der war aber güt, der Vakehr“, sagt die Mandy aus Sachsen. Eine Nacht mit dem gwamperten Nullinger wäre dagegen Schwerlastverkehr. Haha. Wobei dessen Bauch nur das Pressluftreservoir für seinen Hammer ist. Spitzenwitz. Oder die schlechte Nachricht des Abends, die Nullinger verkündet: „Die Trostberger Wandervögel haben sich getrennt. Der eine Teil wollte nur noch wandern.“ Der Wahnsinn. Überflüssig zu erwähnen, dass Nullinger Vorstandsvorsitzender des anderen Teils ist. So eine Humor-Qualität. Ach was, vergessen sie das „ität“.
Meinungsgrobmotoriker mit Wortfindungsdings
Rolf Miller einwandfrei: Verbrezelte Pointen und Halbwahrheiten aus dem zerebralen Fleischwolf
Tatsachen – Traunreut, k1, im Februar 2012
Die einen haben Rücken. er hat Wortfindung. Äh, Wortfindungsdings. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent. Mindestens 100 Prozent, wahrscheinlich deutlich mehr. Wortfindungsstörung. Und Rücken hat er wahrscheint‘s auch. So wie der zwei Stunden lang auf seinem Stuhl hockt, breitbeinig langgestreckt, mit dem Hintern ganz vorn an der Kante. Es ist eigentlich mehr ein Zwischenstadium zwischen Liegen und Stehen, sein Sitzen. Wahrscheint’s fällt ihm das Stehen im Sitzen leichter, dem Rolf Miller. Kann er sich voll auf seinen Dings konzentrieren. Auf seinen Text. Und auf seine Lücken. Seinen Lückentext. Das sind Tatsachen. So heißt auch sein Programm, dass er im ausverkauften k1 präsentiert hat. Einwandfrei. Miller macht die Bühne zu seinem Stammtisch. Typisch für ihn, dass er den Tisch weglässt. Ein Stuhl, eine Wasserflasche, ein Miller. Reicht. Sein BühnenIch hat alleinige Lufthoheit. Meinungsfreudig ist es. Bei völliger Ahnungslosigkeit. Das Motto von Millers Alter Ego: Es reicht nicht, absolut keine Ahnung zu haben, man muss auch noch unfähig sein, sie auszudrücken. Er gibt den geerdeten Dampfplauderer, der langsam denkt, umso schneller wertet und die Umwelt ungefragt und postwendend an seinen Erkenntnissen teilhaben lässt. Setzt der unaufhaltsame Denkprozess erst einmal ein, steht die Schublade schon offen und die Meinung ist längst gesagt. Miller spielt den Typen, der eigentlich nur schwer zu ertragen ist. Einen Meinungsgrobmotoriker. Er schnappt Wahrheiten und Halbwahrheiten auf, dreht sie durch seinen zerebralen Fleischwolf und spuckt ohne Unterlass den rohen Sinn-Hackepeter aus. Rücksichtslos. Tatsache. Bastelt sich die Welt, wie sie ihm gefällt. Einwandfrei. Da wird doch der Hund in der Pfanne... Dings... gebraten.
Es sind genau diese vorgestanzten Phrasen, diese alltäglichen Redewendungen, diese dümmlichen Binsenweisheiten, mit denen der Mensch nichts sagen muss, aber doch dauernd reden kann. Mit diesen Phrasen fängt er sie alle ein. Weil jeder weiß, was kommen muss. Müsste. Im letzten Augenblick fehlt es dann, das richtige Wort, der erwartete Abschluss. Pause. Und dann kommt es, das falsche Wort, das den eh schon übersichtlichen Sinn ins Aberwitzige dreht. Das funktioniert traumwandlerisch – bei Erzählungen über seine Freunde Jürgen und Achim, bei politischen Meinungsäußerungen und sogar bei Witzen, die er als gestandener Stammtischbruder einstreut. Nicht dass er die Pointen versemmeln würde, nein, er verbrezelt sie: Grundsätzlich verknotet er die mit einem schwungvollen Schlenker, bis der Witz zerbröselt. Mit vielen knappen Worten reduziert Miller seine Aussagen aufs Unwesentlichste. Mit Sinnlosem stiftet er Sinn. Weil er den Leuten offensichtlich exakt aufs Maul schaut. Den Leuten, wie sie jeder kennt. Bei denen man schon die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte, wenn man ihrer gewahr wird. Auweh, jetzt sagt der gleich wieder was. Mein Gott, es spricht. Im Fall Miller kann man es im Gegensatz zur tatsächlichen Konfrontation ohne Reue genießen. Man hat ja dafür bezahlt, während es außerhalb der Bühne nur gerecht wäre, wenn der betreffende Einfaltspinsel dafür bezahlen müsste. Es sind nicht Millers Formulierungen allein. Er unterfüttert sie mit beredten Blicken, mit minimalistischer Mimik und Gestik. Er lässt so den Zuschauer an seinem Denkprozess unmittelbar teilhaben. Der nächste Satz, Halbsatz, zumindest das nächste Wort ist seinem Gesicht schon abzulesen, wenn er noch gar nicht zu einem Resultat gelangt ist.
Dabei strahlt er immer das Bild vom Kerl aus, der seiner selbst gewiss bauernschlau zentral im Leben steht. Da gibt’s kein Rütteln und kein Vertun. Miller ist, also ist er. Zipfelg’sichter sind immer die anderen. Und eine Frau wo schweigt, soll man nicht unterbrechen. Der Francesco Schettino zum Beispiel, der Kapitän, der „Costa Concordia“, der ins Rettungsboot gefallen ist. „Liegt schon im Schlauchboot und schreit: ,Frauen und Kinder zuerst!‘.“ Zipfelg’sicht. Oder der Rösler – „die erscht Ratte, wo I kenn, wo zum sinkenden Schiff hinschwimmt“. Wenn die FDP bei der nächsten Wahl null Prozent haben will, dann ist sie mit dem Rösler auf dem besten Weg. Zipfelg’sicht. Das sind Tatsachen. Und die muss man doch mal im Dorf lassen dürfen. Genau wie das mit dem Atom. Nur wegen dieser Katastrophe in dem Japan sind dann plötzlich alle gegen… Dings. Erdbeben. „Wenn wir die Erde nicht ganz lassen, dann geht sie kaputt!“ Wer hätte das gedacht? Uns wird das Brustmesser aufs Dings gesetzt und wir schrauben alle Energiesparlampen ein. Damit die Welt in 5000 Jahren zwei Wochen später als vorgesehen untergeht. Nein, Rolf Miller hat Humor. Muss er auch. Er hat mal Verwaltungswissenschaft studiert. Da braucht man eine verlässliche Basis soliden Humors. Zum Glück für sein Publikum hat er sich von seinem Studienfach abgewendet. Woher wüsste man denn sonst beispielsweise, dass der Audi A 6 serienmäßig kein Abblendlicht eingebaut hat? Oder dass Frauenfußball heute technisch schon so gut ist, dass er mit Frauenfußball nichts mehr zu tun hat. Das sind Erkenntnisse, wo man teilen muss. Frühzeitig. Denn was Hänschen nicht lernt, braucht Hans nicht vergessen. Tatsachen. Einwandfrei.
Wenn wir die Erde nicht ganz lassen, dann geht sie kaputt!
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Sparwitzparade und Sündenbockmist
Alfred Mittermeier startet mit „Sündenbockerei“ nicht enden und zünden wollenden Pointenbeschuss Was ein schöner Abend. Für Nostalgiker. Da waren endlich wieder mal all die Pointen zu hören, von denen man jahrzehntelang gar nicht wusste, dass man sie vermisst hat. Der – nun ja – Kabarettist Alfred L. Mittermeier hat sie gesammelt und im k1 alle wieder ausgeschüttet bei seinem Programm „Sündenbockerei“. Danke, ganz lieb.
Sündenbockerei – Traunreut, k1, im Oktober 2011
Schön hat er das erkannt: Kaum jemand ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Geschickt ist derjenige, der den Sündenbock parat hat, schon bevor er einen Fehler macht. Mäh. Die Null-Bockwurde von der Sündenbock-Generation abgelöst. Mäh. So viel zum gesellschaftskritischen Unterbau des Programms. Den Überbau allerdings bleibt Mittermeier schuldig. Darüber kann auch die UpTempo-Pointiererei nicht hinwegtäuschen. Nur weil Schlag auf Schlag Witz auf Witz folgt, ist ein Programm nicht zwangsläufig Kabarett oder gar abendfüllend. Wem „Sündenbockerei“ nicht gefällt, der ist selber schuld, schreibt Mittermeier in seiner Programmankündigung ganz im Sinne der Verantwortungsschieberei. Da hat er Recht. Auf so einen Abend muss sich der Zuschauer halt einlassen. Er muss Verantwortung für die sachgerechte Freizeitgestaltung übernehmen. Wer ins Kabarett geht, sollte damit rechnen, dass es was zu lachen gibt. Dann muss aber auch gelacht werden. Sonst führt man so eine Veranstaltung ja ad absurdum. Oberstes Gebot: Beim ersten Witz sind die Schenkel zu klopfen – auch wenn’s ein Sparwitz ist. Wer sich erst über die Qualität der Pointe Gedanken macht, verpasst den Einstieg, wodurch die Lachbereitschaft nicht unbedingt wächst. Und schon ist’s vorbei. Der Kabarettist hampelt sich vorn einen ab, und für den Bespaßungsresistenzling ist der Zug abgefahren. Der bockt. Selber schuld. Mäh.
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„Geniale Wortspiele und witzige Doppeldeutigkeiten“ haben Kritiker im Programm erkannt. Beispiel gefällig? Szene Heiratsantrag, der Jüngling bittet den Schwiegervater in spe um die Hand seiner Tochter. Dessen Antwort: „Nur die Hand? Nimm sie doch ganz, die Gans.“ Praktisch tagesaktuelles Kabarett, so kurz vor Kirchweih. Ein Gänsewitz auf derart hohem Niveau war seit Heinz Erhardts „großem weißen Vogel“ aus dem Jahre 1970 nicht mehr zu hören. Geniales Wortspiel. Und in punkto Tagesaktualität genauso genial weil mehrfach verwendbar. Zu Sankt Martin und zu Weihnachten etwa. Und in der Ganstagsbetreuung. Oder wann haben Sie das letzte Mal die Geschichte erzählt bekommen, dass sich ein Wissenschaftler und ein Model gekreuzt haben, in der Hoffnung, ein Kind mit dem Hirn des
Vaters und dem Körper der Mutter zu zeugen, dabei aber überraschenderweise ein Balg mit dem Körper des Vaters und dem Intellekt der Mutter herauskommt? Das ist doch ein Spitzenwitz. Seit Jahren. Mittermeier arbeitet sich ab am Themenkreis Religion – Moses holt die zehn Gebote auf der SinaiAlm ab, Beichterlebnisse eines Zehnjährigen, die Zeugen Dschehovas, du sollst nicht begehren deinen nächsten Ministranten, Minarette mit integriertem Windpark in Mecklenburg-Vorpommern und Islam. Von dort ist es ein kleiner Schritt zur Integrationsproblematik. Erziehung samt Watschn zur rechten Zeit und die Kultur der Präventionscourage, in der U-Bahn bewusst hinschauen, wenn wieder mal ein Rentner zusammengeschlagen wird, Gaffen für Fortgeschrittene als Ausdruck der Zivilcourage. Und schuld sind immer die anderen. Lauter so Zeug halt, oft zotig, meist nur halb so lustig. Ein richtiger Tabubrecher ist er gar, der Alfred L. Mittermeier, so wie es sich für einen wack‘ren Kabarettisten gehört. Da wird sich eine Zahnbürste auf die Oberlippe gedrückt, ein bisserl rumgehitlert und schon macht man ganz kritisches politisches Kabarett. Ähnliches kennt man von Günter Grünwald – der verwendet statt der Zahnbürste ein Isolierband fürs Diktatorenbärtchen. Wahrscheinlich ist der schuld. Mäh. Und für Mittermeiers Sprechweise könnte Django Asül verantwortlich gemacht werden. Mit geschlossenen Augen hört man den Hengersberger – nur wegen Stimme und Betonung, nicht der Inhalte wegen wohlgemerkt. Bisweilen drängt sich der Verdacht auf, Alfred L. trüge die abgelegten Gags seines Bruders auf. Dann wäre der Sündenbock für die nicht zünden wollenden Scherze ja auch ausgemacht: Der Mittermeier Michael ist schuld. Was ein Sündenbockmist. Bäh.
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Nur weil Schlag auf Schlag Witz auf Witz folgt, ist ein Programm nicht zwangsläufig Kabarett oder gar abendfüllend.
Scharfe Pfeile verschießt Mittermeier gegen die Bussi-Bussi-Gesellschaft. Von deren Existenz haben wir auf dem Lande ja erst 1986 durch Baby Schimmerlos erfahren, als Helmut Dietl und Patrick Süskind den Kir Royal zum Mischgetränk der Saison machten. Ein knappes Vierteljahrhundert später taugt Bussi-Bussi offenbar immer noch zum Kabarettstoff. Das hätt‘ doch keiner geglaubt, wäre da nicht der Mittermeier gekommen. Der Kabarettist, der Alfred Ludwig, wohlgemerkt. Nicht sein kleiner erfolgreicher Bruder, der Comedian, der Michael. Dass er Kabarettist ist, betont er schon, der Alfred L. Zumindest kennt er den Unterschied zwischen dem deutschen Kabarett, wo nach Möglichkeit tagesaktuell anständig viel Gesellschaftskritik geübt wird, und dem französischen Cabaret, der sinnenfreudigen Revue, wo unanständig viel Haut gezeigt wird. Bei der einen Kunstform käme es mehr auf üppigen Inhalt, bei der anderen eher auf spärliche Verpackung an. In der Theorie ist das dem großen Bruder durchaus bekannt. Immerhin. Indes – an den Inhalten mangelt es.
Monaco Bagage plays Fredl Fesl. Wahrscheinlich ist das witzig. Oder soll es zumindest sein.
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Grundgrummeln beim Gaudiabend Monaco Bagage „plays“ Fredl Fesl: Pointenkonstruktion auf wackeligen Stelzen
Monaco Bagage plays Fredl Fesl – Pittenhart, Hilgerhof, im März 2012
Es hat keinen Taug nicht. Mit einem unbestimmten Grundgrummeln, einem diffusen Missbehagen Kulturgut in höchster Vollendung über sich ergehen zu lassen, das hat einfach keinen Taug. Danach zwidert man rum, weiß nicht so recht warum. Weil die‘s doch nur gut gemeint haben. Aber wie’s so ist: gut gemeint ist meistens ungut gemacht. Nein, nicht schlecht. Ganz nett. Aber ungut. Angefangen hat’s schon mit dem Titel. „Alles, außer Gitarre. Monaco Bagage plays Fredl Fesl“. Plays Fredl Fesl. Aha. Ja habedere. Da gibt’s doch was vom Verein Deutsche Sprache. Der verleiht für besonders bemerkenswerte linguistische Fehlleistungen den Titel „Sprachpanscher des Jahres“. Da sind Leutchen wie der Freiflug-Wowi für sein „Be Berlin“, Ex-Hauptstellwerker Mehdorn für seine „service-points“ und der Ex-Intendant des hippen Power-Jugendsenders ZDF, Schächter, für „Kiddie contests“ ausgezeichnet worden. Plays Fredl Fesl. Wahrscheinlich ist das witzig. Oder soll es sein. Ist vermutlich eine Anspielung auf irgendwelche Tribut-Scheiben. „Kennedy plays Bach“, „Perlman plays Beethoven“. Nachvollziehbar, dass die da nicht „spielt“ draufschreiben, wenn die ihre CDs weltweit verkaufen wollen. Aber eine Münchner Formation, die in Oberbayern Lieder des Niederbayern Fesl interpretiert? Warum um Himmels Willen playt denn die? Schön playt. Genau. Und diese Grundstimmung in ein Konzert mitzunehmen, das ist nicht förderlich. Da können 99 Leute beim Kulturbredl im Hilgerhof um einen
rumsitzen, die die höchste Gaudi haben. Es bleibt dieses diffuse Rumzwidern. Und dann kann die Bagage machen, was sie will: Ein Haar nach dem anderen fällt in die Suppe. Jene mag noch so schmackhaft zubereitet sein, aber irgendwann macht’s keinen Spaß mehr, Haare aus dem Schlund zu husten. Ein Markenzeichen Fesls sind die langen Vorreden vor seinen Liedern. Die sind witzig, unterstützen die Pointen. Einen Nachteil haben sie: Sie sind alle schon erzählt, hinlänglich bekannt bis Volksgut. Diese Geschichten eins zu eins nachzuerzählen bringt nix. Der Drops ist gelutscht. Ohne Vorreden sind manche Stücke aber noch nicht mal mehr die Hälfte wert. Doch der Bagage, der is des wurscht, die hat sich einfach eigene gmacht. Mit neuen Pointenkonstrukten auf altbekannte Pointen hinzuführen, das ist schon sehr gezwungen. Da muss dann der arme Schorsch aus dem Publikum herhalten, den vierten Musketier – am Hute trug er Wicken – zu spielen. Überhaupt, die vier Musiker inszenieren die Lieder gern. Nur sind die Vier halt Musiker und keine Schauspieler. Und schon wird aus einer von Fesl mit seinem untrüglichen Gefühl für Tempo, Satzbau und Betonung gezirkelten Vorrede ein hölzerner, gestelzter Sketch, bei dem beispielsweise der Klarinettist Andy Arnold vorgibt, auf einen Baum zu klettern, indem er auf einen Stuhl steigt und hinter einer abgebrochenen Astgabel hervorlugt, während unten Geiger Martin Deubel und Bassistin Miene Costa wortlos, aber gestenreich das Liebespaar mimen und Akkordeo-
nist Johann Bengen den Text von „Das Vogelnest“ singt. Da laufen drei Filme gleichzeitig ab, aber nicht wirklich synchron. Es holpert klamaukig. Genauso holpert’s, wenn Deubel und Bengen den „Preiss’n-Jodler“ als Übersetzungswettstreit anlegen. Es ist lustig, wenn der Niederbayer Fesl das Lied erst im Dialekt singt, um es dann ins Hochdeutsche zu übertragen. Zumindest war’s das 1978. Wenn aber der gebürtige Dortmunder Deubel Hochdeutsch singt – wo ist dann der Witz? Abstrus wird’s beim „Glockensong“. Den trägt Miene Costa in Bairisch mit amerikanischem Akzent vor. Warum? Keine Ahnung, man weiß es nicht. Weil sie ihn, nun ja, beherrscht. Costa ist eine gebürtige Münchnerin, Tochter einer Ostpreußin und eines Portugiesen, die mal in New York Tanz studiert hat. Gibt’s eine Verbindung „Glockensong“ – New York? Textlich nicht. Inhaltlich nicht. Musikalisch nicht. Gar nicht. Na gut, sie steppt dazu. Aber das ist alles nicht stimmig. Musikalisch ist ja eigentlich nicht viel einzuwenden gegen diese Fesl-Huldigung. Natürlich hat’s der Fredl verdient, mit seinen niederbayrischen Heimatliedern aus seiner niederbayrischen Heimat Niederbayern. Dafür sei der Monaco Bagage auch gedankt. Aber einen Abend nur mit Fesl zu gestalten – das kann sie nicht schultern ohne zu künsteln und zu konstruieren. Und damit sind sie ganz weit weg von Fesl. Drum dieses Grundgrummeln, dieses diffuse Missbehagen. Alles ganz nett. Aber ungut.
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„Nur Fleisch konnte auf Dauer das Hirn von Seehofer hervorbringen.“ Ein Argument für oder wider den Fleischgenuss?
Magen „völlig überqualifiziert für Tofu“
„Auch Veganer verwelken“ von Holger Paetz: Sprachwitzige Argumentationshilfe für und wider Fleischgenuss
Auch Veganer verwelken – Trostberg, Postsaal, im Februar 2014
Jetzt ist dieses Jahr 2014 noch keine zwei Monate alt, aber taugen tut’s nicht viel. Nicht für den Kabarettisten Holger Paetz. Gut, für Hans-Peter Friedrich ist es bislang auch eher ein gebrauchtes Jahr. Vom Drohnen-Debakler de Mazière wurde ihm der Innenministerposten weggeschnappt und ihm blieb lediglich das Milch- und Weinköniginnengrüßministeramt. Und dann darf er nicht mal mehr das. Warum eigentlich? Das kann sich Paetz nicht so recht erklären. „Wegen Geheimnisverrats? Was kann das schon für ein Geheimnis sein, wenn’s sogar der Friedrich kennt?“
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Doch das ist es nicht allein. Paetz leidet, nicht „wie ein Hund“ im Stoiberschen Sinne. Der bekommt wenigstens sein Fleischi in den Napf. Der Hund, nicht der Stoiber. Paetz leidet offensiv, er leidet angriffslustig-bösartig-komisch. Galgenhumorig. Ist ja auch verständlich. Wer will jetzt noch über Fipsi Rösler oder Rainer Brüderle herzhaft lachen? Oder über Guido Westerwelle? Ein mitleidiges Lächeln ist das höchste der Gefühle, wenig geeignet für die Kabarettbühne. Aber der Wähler hat nun mal beschlossen, Paetz einen Teil seiner Lebensgrundlage zu entziehen. Gerade Brüderle, Rösler und vor allem Westerwelle, den er über Jahre beim Nockherberg-Singspiel dargestellt hat, beherrscht Paetz aus dem Effeff. Doch die will keiner mehr sehen. So etwas kann einem wackren Kabarettisten schon auf den Magen schlagen. Das treibt ihm das Purin in die Fingergelenke. Ja, Gicht halt. Die FDP macht sogar noch krank, wenn sie schon weg ist. Welches Gegenmittel hat in solchen Fällen der Hausarzt parat? Ein Gegenmittel gegen Gicht, nicht gegen FDP natürlich. Das wäre redundant. Es nimmt doch auch keiner Pillen gegen Pest oder Dinosaurier. Langfristig hilft gegen Gicht eine gesunde Lebensweise samt richtiger Ernährung. Und schon sind wir mitten im Glaubenskrieg. Was um Himmels willen ist eine richtige Ernährung? Damit setzt sich Paetz im unverdientermaßen nur überschaubar gefüllten Postsaal auseinander: „Auch Veganer verwelken“ heißt sein Programm.
Der Mensch ist ein Omnivore. Das macht ihn zum Schwein, zur Ratte unter den Zweibeinern. Er frisst einfach alles, Getreide, Gemüse, Obst – und Fleisch. Zu viel Fleisch, heißt es. Unter ernährungsphysiologischen Aspekten wohl wahr, aber die Fleischverächter führen dazu noch ethische Gründe ins Feld, um den Omnivoren ihr Fleisch madig zu machen. Fünf Millionen Jahre lang haben wir an unserem Magen-Darm-Trakt herumevolutioniert – und jetzt soll das ein Irrweg gewesen sein? „Mein Verdauungsapparat ist völlig überqualifiziert für Tofu!“, beklagt sich Paetz über sein ungeliebtes Asketentum. Er soll Körner fressen und dabei neidisch auf die Whiskas-Dose schielen? „Die Katze pfeift auf vegetarisch. Die frisst Gras nur, wenn sie kotzen will!“ Der Mensch ist, was er isst. Und er ist zu dem geworden, weil er Fleisch gegessen hat, sagt Paetz. „Nur Fleisch konnte auf Dauer das Hirn von Seehofer hervorbringen.“ Auch Ilse Aigners Hirn, das bei Lanz Kuhmägen Heu und Gras zu laktosefreier Heumilch verarbeiten lässt. „Teflonpfanne, Atombombe, Berliner Großflughafen – das alles wäre ohne Fleisch nicht denkbar. Gut, der Flughafen vielleicht doch.“ Mit der Jagd hat der Mensch seinen Horizont erweitert, Fleischgenuss war für Entwicklung ursächlich. Am Anfang war das Licht? Von wegen! Am Anfang war das Fleisch. Und jetzt? Sollte die Entwicklung abgeschlossen sein? Nur weil sechs Prozent der Bevölkerung dem Rest allein durch mahnende Anwesenheit den Genuss vermiesen? Wo bleibt das Recht auf Leberkässemmel? Nicht Schweinefleisch – Verzicht macht aggressiv. „Sie müssen dringend rüber in den basischen Bereich!“, rät in solchen Fällen der vegane Ökotrophologe. Der vernünftige Umgang mit dem eigenen Körper wäre ein Argument. Aber dazu kommt besagte ethische Komponente. Die Sojasprossenreligion verweigert sich dem Braten, weil die vorletzten Glieder der Nahrungskette nicht human gehal-
ten und schon gar nicht human getötet würden. Human! Also menschlich. Wie soll das ausschauen? Pay-TV im Hühnerstall, Trimm-dich-Pfad auf der Rinderweide? Und wenn das Kotelett an Altersschwäche gestorben ist, darf man’s dann in die Pfanne schmeißen? „Schmeißen, weil das Fett muss spritzen!“, fordert Paetz. Er pfeift aufs Schmauen – Schmecken und Kauen. Das archaische Schlingen, das ist’s, wie der Kopenhagener Zoo-Löwe, der seine Zähne in den Leib der Giraffe schlägt. Alles völlig natürlich. Und trotzdem, das Zipperlein quält das Menschlein schon arg. Vielleicht geht’s ja doch mit weniger oder sogar ohne Fleisch? Paetz probiert’s, kauft beim Metzger nur noch für die gichtfreie Gemahlin ein, wird von der Metzgereifachverkäuferin bemitleidet. Auch keine erstrebenswerte Situation, zumal daraus ein Leberkässemmelrückfall erwächst. Aber eben nur ein Rückfall. Mit Willenskraft kämpft sich der Kabarettist ins Lager der Schweineversteher. Das sagt sich so leicht: „Lager der“. Als ob das eine homogene Gemeinschaft wäre. Da gibt’s Vegetarier, Lactovegetarier, Ovovegetarier, Ovo-Lactovegetarier, Pescetarier. Und die Frutarier, die unterm Baum stehen und warten, bis der Apfel freiwillig runterfällt. Oder die Pudding-Vegetarier, die sich ausgewogen von Fertigprodukten und Süßigkeiten ernähren. Und natürlich die Veganer, die eigentlich nicht mal Flaschenbier trinken dürfen, weil der Leim fürs Etikett Kasein beinhaltet. Paetz ist spitzfindig und sprachwitzig, er entlarvt in seinem Programm vorgeschobene, unausgegorene und wohlfeile Argumente pro und contra Fleischlosigkeit. Doch das Schöne daran ist: Er will nicht missionieren – weder für die eine, noch für die andere Seite. Fleischverzicht ist Privatangelegenheit. Keiner soll sich für seine Entscheidung rechtfertigen müssen. Das ist die Botschaft. Paetz sorgt dafür, dass der Konsument die Argumente hört, von Esskultur bis Tierquälerei, von Lebensmittelskandal bis Regenwaldzerstörung. In was er beißt, ist seine Sache. Guten Appetit.
Deutschland – ein Droddeldraum
Erwin Pelzig verschenkt Aktien: „Wenn man schon nichts erreicht, soll man wenigstens stören“ Ein guter Tag! Über 400 Leute haben am Sonntagabend im Postsaal ein Gschäftli gmacht. Drei Kabarettisten zum Preis von einem – bezahlt haben sie für Frank Markus Barwasser alias Erwin Pelzig. Bekommen haben sie Pelzig, Hartmut und Dr. Göbel. Das ist Marktwirtschaft, das ist Wachstum! Es geht wieder aufwärts mit dem Standort Deutschland. Acht Zuschauer haben dabei einen besonders guten Schnitt gemacht. Pelzig macht seinem Publikum nämlich immer Gschenkli. Die aktuelle Pelzig-CD für Sebastian, weil er sich für 15 Euro beleidigen ließ. Und Hans, Ingrid, Sabrina, Nick, Barbara, Walter und Marianne sind jetzt Neu-Aktionäre der Sero Entsorgungs AG. Die Fünf-Mark-Aktie ist zurzeit zwar nur mit 25 Cent notiert. Doch damit nähert sie sich langsam ihrem Jahreshoch – sie war schon auf vier Cent runter. Also Glückwunsch! Doch es geht ja gar nicht um Gewinnmaximierung. Es geht drum, dass der Kleine mitspielen darf im Konzert der Großen. Auch wenn er den Ton nicht unbedingt trifft auf der Klaviatur von Bossen und ihren Genossen. Die sieben Glücklichen dürfen jedoch wenigstens das, was Pelzig besonderen Spaß bereitet – stören. Und zwar bei der Hauptversammlung. Als Kleinaktionär mit Rederecht. Brunnsverreck nochamal. Pelzigs Botschaft ist einfach: Der Markt regiert. Obwohl wir ihn nicht gewählt haben. Was sollen wir gegen den übermächtigen Markt ausrichten, wir kleinen Pelzigs, Hartmuts, Dr. Göbels, Schröders, Stoibers? Die Zügel haben die Ackermanns und Schrempps fest in Händen, alle anderen sind doch nur mehr oder weniger willige Zug- und Lasttiere, deren höchstes Glück es ist, in Lohn und Brot zu stehen, zu konsumieren und mit 67 aus dem Job zu scheiden, den sie mit 50 schon verloren haben. Besonders erfreulich scheint ein Abend mit Pelzig nicht zu sein, diesem Wirtschaftspessimisten, diesem Polit-Anarcho. Aber weit gefehlt. Aufgemerkt, nein – aufgemuckt! Nicht in der Ruhe, im Stören liegt die Kraft. Es ändert sich zwar nichts, aber es
befriedigt und amüsiert. Er schaut aus wie Biedermann mit Hüüdli, Drachdenanzügli, rotkariertem Hemdli und Herrenhanddäschli, aber eigentlich ist er ein Bangg – ein Punk, für diejenigen, die das frränggische Idiom nicht verstehen. Aber nicht nur das, er ist auch rülpsender Voll-Proll und behäbigspontaneitätsfreier Akademiker. Nicht der Pelzig natürlich, aber die anderen Charaktere der multiplen Bühnenpersönlichkeit Barwasser: Der Hartmut, der alle Klischees des früher Manta fahrenden Biertrinkers bedient, der Männerwitze erzählt und dessen geistiges Fassungsvermögen Dreiwortsätze gerade mal so aufnehmen kann. Und der Dr. Göbel, der die Probleme dieser Welt in Elfenbeinturm-Manier so lange durchleuchtet, bis sie die seinen werden, und zwar ausschließlich die seinen. Er ist ein schmallippiger Sauertopf, der seinen Deckel im Cord-Hüüdli Pelzigs findet. Der stellt Göbels Erdung mit seinen unberechenbaren Gedankengängen wieder her. Oder er beschleunigt mit seinen unberechenbaren Gedankengängen Dr. Göbels Selbstfindung im Selbstmitleid. Warum diese Drei eigentlich freundschaftlich verbunden sind, ist nicht nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar ist für den Zuschauer auch, wie rasend schnell Barwasser zwischen seinen drei Brodagonisden wechselt. In Sekundenbruchteilen vollzieht sich die Verwandlung. Beine verklemmt zusammengedrückt, Mundwinkel nach unten, steifes Kreuz – Dr. Göbel sitzt auf der Bühne. Er fällt in sich zusammen, fletzt sich auf den Stuhl, breitbeinig, sich des Vollbesitzes seiner Körperfunktionen bewusst: Hartmut spricht. Mundli gespitzt. Stimme ein Oktävli rauf, treu-doofer bis bauernschlauer Blick, die Gedankensprünge schlagen sich auf direktem Weg auf die Mimik nieder: Pelzigs Mentalsystem kapriolt. Messerscharf analysiert er die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft. Und damit das auch alle verstehen, übersetzt er in Bilder, denen wir folgen können. Der Staat ist ein Bus und der Kanzler ist der Fahrer. Wir, die Bürger, sind die Fahrgäste und warten vier Jahre drauf, dass er endlich losfährt. Das macht er
zwar nicht, aber wenigstens erzählt der Lenker lustige Gschichtli. Nach vier Jahren wechselt vielleicht der Fahrer und der Bus fährt immer noch nicht los. Aber wenigstens gibt‘s jetzt neue lustige Gschichtli. Das reicht uns. Wir sind jetzt ja eine Informationsgesellschaft. Außerdem sind wir im Internet: „Noch nie haben in so kurzer Zeit so viele Idioten so viel Schwachsinn so schnell verbreitet.“ Deutschland – ein Droddeldraum (Trotteltraum, Anm. d. Red.) Information und Schwachsinn – diese beiden Schlagworte verknüpft Pelzig im Handumdrehen zur Geschäftsidee. Pelzig wird Marktforscher. Er spioniert seine Mitmenschen aus und gibt die gewonnenen Erkenntnisse an die Wirtschaft weiter. So bekommt Göbel Dauerbesuch von Wintergarten- und Versicherungsvertretern sowie diskrete Gratisproben von Hautcremes gegen Genitalpilz. Was den neuen Kleinaktionären Hans, Ingrid, Sabrina, Nick, Barbara, Walter und Marianne ins Haus steht, ist noch nicht absehbar. Pelzig hat sie – ganz nebenbei – zu Beruf, Auto, Familienstand und Hobbys befragt und aus den Antworten Verbraucherprofile gestrickt. Vielleicht kann sich Paul – Ingrids Gatte und Vater ihrer beiden Töchter, eher zurückhaltend, sich in seine von Frauen dominierte Welt einfügend – demnächst vor Baumarkt-Prospekten nicht mehr retten. Irgendwann muss der ja mal ausflippen und mit der eben erstandenen Kettensäge erst das selbstgebastelte Salzteignamensschild und dann womöglich noch was anderes durchschneiden. Wir verstehen jetzt die Mechanismen der Wirtschaft, der Marktforschung. Pelzig ruft uns auf, seiner Lebensphilosophie zu folgen. Stören heißt die Devise. So wird‘s gemacht: Ab heute jeden zweiten Tag um 9 Uhr bei der Kaufhof Warenhaus AG in Köln, Tel. 0221/2230, anrufen und einen hydraulischen Nussknacker verlangen. Spätestens in einem halben Jahr wird der auf den Markt geworfen. Und dann – jetzt kommt‘s – dann dürfen wir den Nussknacker auf gar keinen Fall kaufen. Da werden sie schauen, die Marktforscher.
das k1
raum für das besondere Mit dem k1 gibt es seit Anfang 2010 ein großes, modernes Veranstaltungszentrum für die Region Südostbayern. In Traunreut, im Herzen der Ferienregion Chiemgau gelegen, bietet das k1 „raum für das besondere“. 51
Düsenjäger im Kopf
Gönn‘ dir ne Auszeit – Trraunreut, k1, im November 2011
„Gönn‘ dir ne Auszeit“: Sissi Perlinger bringt ihren Tinnitus temporeich auf die Bühne Die Kult-Diva. Der Allround-Derwisch. So lässt sie sich ankündigen, die Sissi Perlinger. Doch das hat sie nicht verdient. Bei ihrem Auftritt hat sie gezeigt, dass sie sich auf diese Klischees nicht festnageln lassen muss. Die Perlinger ist auf der Bühne vor allem eines: die Perlinger. Mit allen Facetten. „Ich spiele mir für Euch den Arsch ab“, kündigte die 47-Jährige ihr Programm „Gönn‘ dir ne Auszeit“ an. Da hat sie nicht zu viel versprochen.
extravagant – aber unnahbar? Sie hat Launen – aber wer hat die nicht? Und schikaniert hat sie in Traunreut auch niemanden – noch nicht mal die Männer in der ersten Reihe, die von ihren Frauen als Begleitung ins k1 dienstverpflichtet wurden. Aber sie gibt unheimlich viel von sich preis in ihrem Programm. Bisweilen schonungslos und niemals divenhaft.
„Kult-Diva“ – warum ist das völlig daneben? Das Attribut „Kult“ ist abgegriffen. Spätestens seit Bayern 3 jeden abgehalfterten Musiker als „Kultrocker“ rausbläst und jedes Liedchen als „Kult-80er“, das schon vor 25 Jahren extrem uncool war. Kult ist verbraucht, Kult ist verbrannt. Kult sollte dahin zurück, wo er herkommt: in die religiöse Ecke. Wer Heilige verehren will, soll sich seine Heiligen suchen. Künstler sind keine Heiligen, auch die Perlinger nicht. Sie ist Mensch, wie man auf einer Bühne nur Mensch sein kann – verletzlich, selbstkritisch, freundlich, fröhlich. Sie hat zahllose Facetten, und die lässt sie zu, die lässt sie raus. Vollgas, mit leichtem Hang zum Hyperaktiven.
Kabarettisten und Komödianten haben immer ein Alter Ego auf der Bühne, auch wenn sie unter eigenem Namen und nicht als Heinz Becker, Oberstleutnant Sanftleben, Horst Schlämmer oder Atze Schröder auftreten. Sie streifen sich einen anderen Charakter über, sind Kunstfigur und halten Distanz zwischen sich und dem Publikum. Das macht die Perlinger nicht. Sie erzählt aus ihrem Leben, legt den Seelenstrip hin, sie erzählt, wie sie in ihre Krise reingeschlittert und wie sie wieder rausgekommen ist. Natürlich nimmt sie sich die Freiheit, zu verkürzen, zu überspitzen. Aber sie erzählt ihre Geschichte, von ihrem Tinnitus, ihrem Burn-out. Das ist an für sich kein Stoff, der besonders humorig scheint. Aber: „Humor ist die intelligenteste Form Probleme zu lösen.“ Das ist ihr Motto.
Und was ist falsch an „Diva“? Diven sind unnahbar, abgehoben, launisch, schikanieren ihr Umfeld, geben nichts von sich preis, höchstens dem „Goldenen Blatt“, wenn die Gage stimmt. Die Perlinger ist
Perlinger spielt Perlinger – ist das auf Dauer nicht dröge? Nein, ist es nicht. Weil sie in Rollen schlüpft, wenn sie ihr Umfeld beschreibt – das Zimmermädchen im Hotel, ihre Therapeutin, Aushilfsguru Her-
man the German, Alt-68erin Olga, die Meditationshelferin in Indien, deren Tochter. Sie grimassiert, singt, spielt Gitarre und gleichzeitig Schlagzeug, sie lacht, leidet, ist die Rastlose, die nicht jahrelang nicht schlafen kann, weil ihr Düsenjäger mit Höllenlärm durch den Kopf rasen. Sie ist das kleine Mädchen, das sie vor 40 Jahren war, und die Frau, die sie in zehn Jahren sein wird. Wenn sie sich in den quietschneonfarbenen Fettanzug zwängt und die Perücke aufsetzt, ist sie mehr Cindy aus Marzahn als es diese Cindy je sein könnte. Wenn sie sich die graue Perücke aufsetzt und auf Oma macht, müssten Waltraud und Mariechen eigentlich zum Weinen gehen. Sissi Perlinger ist eine großartige Schauspielerin. Aber das ist ja spätestens seit 1997 bekannt, als sie den Adolf-Grimme-Preis in Gold bekommen hat. Larifari geht anders. Und so zeigt sie sich auch in „Gönn‘ dir ne Auszeit“ als gewissenhafte, fleißige Arbeiterin. Da sitzt jede Geste, jeder Blick, jede Bewegung. Sie bringt Tempo rein, nimmt Tempo raus, exakt choreographiert. Keine Sekunde gönnt sie sich Leerlauf, alles muss stimmen. Sie wechselt die Kostüme hinter einer Art Paravent direkt auf der Bühne, spielt dabei weiter – ihr Programm ist Auszeit fürs Publikum, für sie ist es Applauszeit. Nein, Attribute wie „Allround-Derwisch“ und „Kult-Diva“ braucht sie nicht. Sie ist ganz einfach – Die Perlinger.
Humor ist die intelligenteste Form Probleme zu lösen.
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Beim gemeinsamen Malerlebnis lässt sich Maria Ängste zurufen, die sie dann auf eine Leinwand bannt. Und als Mike Shame versteigert sie im Anschluss das Werk.
Die Galionsfigur des Frauenkabaretts Maria Peschek – meist sensibel, manchmal hinterfotzig, immer treffend
Und wer ist schuld? – Traunreut, k1, im Januar 2010
„Herrlich frech und vorlaut mit süßen und fröhlichen Melodien eroberten Lizzy und die weißen Lilien das vollbesetzte k1 im Sturm.“ Beinahe hätten Sie so etwas in der Art hier lesen können. Können Sie aber nicht. Und wer is schuld? Lizzy Aumeier. Weil die am Freitagnachmittag k1-Leiter Thomas Kazianka angerufen hatte. Dafür reichte ihre Stimme grade noch. Jedenfalls sagte Aumeier krankheitsbedingt ab – fünf Stunden vor ihrem Auftritt. Wie Kazianka und sein Team den Abend gerettet haben, das ist schon aller Ehren wert: Kurz vor knapp konnte die Münchner Kabarettistin Maria Peschek verpflichtet werden. Und die ist beileibe mehr als nur Ersatzfrau. Seit einem Vierteljahrhundert ist Maria Peschek als Paula Pirschl unterwegs. Immer mit Kittelschürze, manchmal auch mit Besen. Mit ihrer Paula führt sie die Münchner Ratschkathl-Tradition der Volksschauspielerinnen Elise Aulinger, Ida Schumacher, Liesl Karlstadt und Kathi Prechtl fort. Wobei ihre Auftritte nichts mit der alten Wochenzeitung „Münchner Ratschkathl – Unterhaltungsblatt für gemüthlichen Verkehr“ (1889-1921) zu tun haben. Weil die Paula ganz schön „ungemüthlich“ werden kann. Zumal sie die falschen Präsente unter den Christbaum gelegt bekommen hat. Wer verschenkt aber auch eine Waage zu Weihnachten? Eine Waage, die das Gewicht nicht nur anzeigen, sondern es auch noch laut und vernehmlich aussprechen kann. Das muss Liebe sein. Als sie vor 25 Jahren die Figur Paula schuf, die sich seither als scharfzüngige Mittfünfzigerin zwischen Stiegenhaus und Straßenbahn über mitmenschliche Unzulänglichkeiten auslässt, da war Maria Peschek
31 Jahre alt. Jetzt spielt die Mittfünfzigerin eine Mittfünfzigerin – da ist sie schauspielerisch nicht mehr ausgelastet. Deshalb streift sie diesen Charakter rasch ab und schlüpft sie in ihrem Programm „Und wer is schuld?“ in neue Rollen. Ein Leichtes für die gelernte Schauspielerin. Weg mit der Kittelschürze. Jetzt sieht man die bei eBay ersteigerte rote Bluse auch viel besser. Ja, die Peschek kann auch Internet. An der Bluse musste sie nur Ärmel, Kragen und Ausschnitt ändern – ansonsten passt sie wie angegossen. Genauso wie ihr neuer Taucheranzug, den ihr ihr Mann ersteigert hat. Weil der jetzt auch Internet kann. Nur mit dem Tauchsport hat sie leider so rein gar nichts zu tun. Peschek wird auf der Bühne zum nebeneinander alt gewordenen Ehepaar, das sich mit eingefahrenen Verhaltensmustern beharkt. Und wenn ihr die Dummheit, Engstirnigkeit und Intoleranz ihrer Mitmenschen allzu dominant werden, dann streift sie sich ein weißes Nachthemd über, legt die Flügel an, greift sich das Schwert und setzt den Helm auf. Als Racheengel liest sie den Bornierten die Leviten. Wobei die Peschek nicht auf Krawall gebürstet ist. „Und wer ist schuld?“ ist ein Programm der Zwischentöne, bisweilen leise, meist sensibel, manchmal hinterfotzig, immer treffend. Ihr Publikum hat sie im Griff – kein Wunder: Mit einer vor ihr sitzenden, kichernden Menschenansammlung kann die gelernte Kindergärtnerin von Berufs wegen hervorragend umgehen. Aus ihrer Berufserfahrung kann sie auch Wesentliches zur Gewaltprävention beitragen: Wenn demnächst die Rente mit 70 oder 77 kommt, dann werden Oma-
Kindergärtnerinnen die Kleinen trösten und ihnen Toleranz beibringen, während die jüngeren Kolleginnen mit den Kindern basteln, singen und sie aufs Abitur vorbereiten. Geprägt werden die Kinder aber von der Oma-Kindergärtnerin. In der U-Bahn heißt’s dann: „Hey Alder, tust mal aufstehn für die Oma da.“ Die Angst vor Jugendgewalt thematisiert sie genauso wie die Terrorangst, das Lampenfieber und die Angst vor Altersdemenz. Aber sie geht auch auf die Sorgen der Zuschauer ein: Beim gemeinsamen Malerlebnis lässt sie sich Ängste zurufen, die sie dann auf eine Leinwand bannt. Kinderarmut, Schweineund Ziegengrippe, Klimawandel, Nacktscanner und Steuerlast verewigt sie im k1. Bei jedem Auftritt entsteht ein neues Bild. Praktischerweise ist die Peschek nicht nur Paula, Racheengel und Ehepaar, sie ist auch Mike Shame. Der trägt eine Leopardenhose und eine Lederjacke, übt aber trotzdem einen hochanständigen Beruf aus: Er ist Auktionator. Als solcher verscheppert er postwendend meistbietend die in fernerer Zukunft eminent wertvollen Gemälde. 60 Euro bringt das Bild in Traunreut. Peschek führt die so erzielten Erlöse einem wohltätigen Zweck zu. Maria Peschek ist eine „Galionsfigur des Frauenkabaretts“ – so hat sie die Jury des Kabarettpreises der Landeshauptstadt München im vergangenen Jahr bezeichnet und ihr den Preis selbstverständlich zuerkannt. Als diese Galionsfigur durfte das Traunreuter Publikum sie unverhofft kennenlernen. Und das auch noch umsonst. Der Aumeier-Auftritt wird im März nachgeholt, die Karten behalten ihre Gültigkeit.
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Die Dynamik des Hundskrüppels Gerhard Polt im Spannungsfeld zwischen Dialekt und Dialektik
Polt pur – Trostberg, Postsaal, im Oktober 2004
Host du des glesn? Host du ned glesn, was der Zeidungsschmierer do reigschriebn hod? Der schreibd des nei! Dabei stimmt hint und vorn nix. Aber reigschriem hod as. Lauter so Schmarrn wia „FäkaIKomik“ und „Spannungsfeld zwischen Dialekt und Dialektik“. Ja ehrlich. Dabei brauchat‘s ja nur mi fragn. I war ja dabei. I war dabei! Säbbfaschdändlich. Aber jetzt mal von vorn: Zehn Jahre EnergieWende e.V. galt es zu feiern – was lag da näher, als ein pures Energiebündel zu engagieren? „Polt pur“ hieß das Programm am Freitag im Postsaal, und Polt pur brachte Gerhard Polt auf die Bühne. Polt lässt es ruhig angehen. Vor der Pause liest er aus seinem Buch „Hundskrüppel – Lehrjahre eines Übeltäters“. In der Tradition eines Ludwig Thoma lässt er seine Lausbubenstücke erstehen. Das Buch ist amüsant. Mehr nicht. Aber wenn Polt daraus vorliest, bekommen die Geschichten Dynamik. Er zeigt sich als Meister des Dialekts, des Hinterkünftigen, des Bauernschlauen. Er schwelgt in Jugenderinnerungen, nicht immer appetitlich, wie Kindergeschichten eben so sind, oft eng an die anale Phase gebunden. Dass bei „Der Ratz“ und „Der Regenwurm“ rein thematisch von vornherein auch gar kein gustiöses Gefühl zu erwarten ist, ist klar. Einige Male steigt Polt in die Niederungen der Fäkal-Komik hinab – die Scheißwurscht auf dem Fahrersitz und der Bubi, der ins Salzfass kackt. Das ist zwar nicht schön, tut dem Amüsement aber kaum Abbruch. Bei weitem emotionaler – und auch hygienischer geht‘s nach der Pause zu. Polt schauspielert, gibt
das Urviech, führt vor Augen, was den Bayern der Restrepublik so sympathisch und so unsympathisch macht. Polt stammelt sich artistisch durch das Gestrüpp von Halbsätzen und Ausrufen, stets geradlinig auf dem gewundenen Weg zur Pointe. Säbbfaschdändlich. Als konservativer Konservator zeigt er den abendländischen Zentralstaat Bayern mit all seinen bewahrenswerten Werten. Die zu bewahren ist schwierig genug, wo doch der Freistaat von Abendländern umzingelt ist. Er beklagt das Comeback der Wandalen – „Wo die in der Zwischenzeit waren, weiß ich nicht“ –, Polt poltert über den Schlingensief-Schauspieler, der in die Königsloge des Cuvilliés-Theaters uriniert. Das Publikum klopft sich auf die Schenkel vor Freude, hat es doch auch schon mal was Negatives über den SkandalRegisseur gehört oder gelesen. Polt bestätigt mit seinen Geschichten Vorurteile; ob der Konsument diese kabarettistische Provokation reflektiert, bleibt unerforscht. Dieses Zweifeln kann man sich in Bayern ja auch leisten. „Wir in Bayern leisten uns Sachen – sogar eine Opposition.“ Und die folge dem Prinzip Angebot und Nachfrage. Das Angebot wäre schon da. Bayern ist überhaupt Dreh- und Angelpunkt des Poltschen Universums: Der weißblaue Himmel, die grünen Matten, die Kühe (natürlich nicht die schwarzbunten Monster), die Berge, die Idylle. „Sagen Sie selbst: Ein Neger passt da einfach nicht hinein.“ Rein optisch natürlich. Wir Bayern sind halt
doch ein kunstsinniger Menschenschlag. Bei dieser Nabelschau findet Polt seinen Fixpunkt: Bayern; hier setzt er den Hebel an. Und folgt dem archimedischen Prinzip – er hebt die Welt aus den Angeln. Mit Fistelstimme schwadroniert er als Mutter gegen das bayerische Schulsystem. „Heute ist wichtiger, was man gelernt hat, als das, was man kann.“ Schule kann aber doch nicht alles sein: „Der Hitler ist aus jeder Schule rausgeflogen. Der war einfach stinkfaul Und doch hat es der Hitler zu was gebracht.“ Wenn es notwendig wäre, könnte „Polt pur“ bayrisches Lebensgefühl vermitteln. Das ist dem Publikum aber sowieso zueigen. Dennoch hat es unbändige Freude an Polts schon beinahe universitär anmutenden Kurs durch die freistaatliche Lebensart – immer im Spannungsfeld zwischen Dialekt und Dialektik. Schwarzhumorig zerschneidet Polt ganze Stammtische – und verdient sich dabei das Prädikat „sprachkünstlerisch wertvoll“. Aus dem nicht versiegen wollenden Born von Lebensweisheiten wird der Zuhörer beschenkt: „Man muss im Leben auch mal wegschauen können“, auch wenn ein Nichtschwimmer beim Ersaufen zehnmal um Hilfe schreit. Da stellt sich schon eher die Frage, warum man den See nicht zugeschüttet und einen Parkplatz gebaut hat. Wo doch auf einem Parkplatz noch nie ein Nichtschwimmer ersoffen ist. Das müsste doch jedem klar sein, oder? Säbbfaschdändlich!
Die Welt erklärt, wie sie nicht ist
Poiers Einführung in den Zen-Buddhismus: Lachen ohne Reue bei preisgekröntem Nonsens-Kabarett A sou liab. Wenn jemand den Zen-Buddhismus erklärt, dann könnte das eine hoch religionsphilosophische Angelegenheit sein. Wenn das aber ein Steirer macht, der auch noch Alf Poier heißt, dann wird aus Philosophie schnell philosophischer Nonsens, verschusselter Dadaismus gar. A sou liab halt.
Zen – Trostberg, Postsaal, im April 2001
Ein hageres Männlein schlenkert seine dünnen Extremitäten über die Bühne. Sein spärliches Haar – „ein schönes Gesicht braucht Platz“ – hat er zu einem dünnen Pferdeschwanz zusammengebunden und unter einer Baskenmütze versteckt. Kein Wässerchen scheint er trüben zu können. Glaubt man seinem sparsamen Gesichtsausdruck, bereitet ihm auch das Zählen bis drei ungeahnte Schwierigkeiten. Aber weit gefehlt. Der Österreicher ist ein wahrer Denker.
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Poier erklärt nicht nur Zen, er erklärt auch die Welt, wie sie nicht ist. Er zerhackstückelt, setzt neu zusammen – und siehe da: alles sinnlos. Wer das versteht, ist erleuchtet. Aber nicht nur der, eigentlich sind alle a priori Erleuchtete. Sagt Buddha. Nur hinsetzen müsst‘ man sich, damit man’s auch in aller Seelenruhe erkennt. Wenn man also in Poiers Programm sitzt und keinen tieferen Sinn im Denken und Handeln des Steirers finden kann, dann hat man’s verstanden – nur weiß man das halt nicht. Dabei erfährt das Publikum ganz wichtige Dinge. Wie man subversiv sein kann zum Beispiel. Man geht einfach am Sonntag zum Einkaufen in den Supermarkt, auch wenn er nicht aufmacht. Das ist
subversiv. Man erfährt, dass es auf der Sonne immer Tag ist. Sonntag. Darum leben dort auch keine Menschen. Weil sonntags die Geschäfte zu haben. Poiers Masche ist das Chaos. Der Bühnenaufbau ist chaotisch. Schachteln und Kisten türmen sich hinter einem Schlagzeug, auf dem eine ausgestopfte Eule sitzt. Überall liegen Bastelarbeiten, Mappen voller Zeichnungen, die scheinbar unvermittelt ins Programm integriert werden. Chaotisch ist Poiers Vortrag, nervös, planlos, hyperaktiv und zerstreut ist er, alles scheint er gleichzeitig heraussprudeln zu wollen. Scheinbar verlegen amüsiert sich Poier dann über sich und seine Verhaspler, und das Publikum erliegt seinem steirischen Charme. Poiers Werkzeug ist die Sprache, der er eine Logik aufzwingt, die er nicht mit der Mehrheit der Menschen teilt, der aber diese Mehrheit folgen kann. Der Kabarettist gebiert Absurditäten, Eulenspiegeleien, Chaos. Dabei singt er, spielt dazu gleichzeitig Schlagzeug und Gitarre, kommt mit zwei Akkorden aus und erweckt dennoch – oder grad deswegen – den Eindruck, als stünden Rammstein auf der Bühne. Das Lied ist übrigens dem ersten bekannten Suizidfall der deutschen Literatur gewidmet: dem Suppenkaspar. Zwischendurch macht Poier auf Kaffeefahrt. Tolle Sachen, die keiner braucht, bietet er dem wenn nicht erleuchteten so doch inzwischen zen-buddhistisch halbgebildeten Zuschauer an: Carefree Suppeneinlagen, die man schnell verzehren muss, weil
sie sonst die ganze Suppe aufsaugen. Parkerbsen. Lewis Stretch-Windeln, die mit dem Kind mitwachsen. Oder die Erdal-Sonnencreme: Erdal bräunt ideal. „Schaut zwar gschissn aus, aber is eh wurscht.“ Nicht zu schlagen sind Poiers Grafiken. Ein BrennEsel ist da zu sehen, eine Kami-Katze stürzt sich vom Himmel, die stärkste Frau der Welt ist im Sortiment – die muskelbepackte Anna Polika – und ihr Haustier, ein ebenso bepackter Muskel-Kater. Ganz besonders hat es Poier aber die Jagd angetan und hier speziell die Jagd auf Rehe. Deshalb gibt der Steirer auch demnächst eine eigene Jagdzeitschrift heraus, die analog zu „Covergirl“ „Cover-Reh“ heißen wird. Interessante Reh-Ports aus der Reh-Publik Österreich und Bilder von Kartoffelpü-Reh, Reh-Gal und Hur-Reh werden zu reh-duzierten Preisen angeboten. Poier macht kein politisches Kabarett, er bewegt sich ausschließlich im Unsinn. Das ist aber kein Manko. Zwei Stunden Unbeschwertheit garantiert sein Programm, zwei Stunden Hintersinn und Lachen ohne Bitterkeit, zwei Stunden „Erleuchtung“. Die allerdings scheint in Trostberg kaum jemand nötig zu haben. Der Postsaal war beim Auftritt Poiers am Donnerstag noch nicht mal zu einem Viertel gefüllt. Immerhin ist der Steirer Träger des wichtigsten Kabarettpreises im deutschsprachigen Raum: Im vergangenen Jahr bekam er den Deutschen Kleinkunstpreis. Die wenigen, die der Einführung in den Zen-Buddhismus folgten, hatten ihren Spaß. Weil er halt so nett ist, der Alf Poier. A sou liab schou.
„… lasst es wie einen Unfall aussehen“
BAUMBURGER
Glänzend aufgelegter Urban Priol lästert über Merkel, Schröder und Konsorten Was hat der Papst mit der Spargelernte zu tun, was die niedrige Kriminalitätsrate der Schweiz mit der Vorstandsetage der Deutschen Bank? Besteht ein Zusammenhang zwischen gehäkelten Klorollen und deutschsprachiger Popmusik? Wie, wirres Zeug? Mitnichten! Da gibt’s überall Zusammenhänge, zu allem, zu jedem. Das hat zumindest Urban Priol im ausverkauften Postsaal knapp drei Stunden lang schlüssig vor Augen geführt. Auf seinem Parforceritt schießt Priol auf alles, was sich dem gesunden Menschenverstand – sofern es so etwas geben sollte – entgegenstellt. Gnadenlos überzieht der Aschaffenburger Kabarettist all das, was ihm die Haare sträubt, mit Pointenkaskaden. Und offensichtlich sträubt ihm vieles die Haare. Rasend schnell kommt er vom Hundertsten ins Tausendste. Dabei verzettelt er sich nie. Ohne Schwierigkeiten schafft er es vom Tausendsten heraus zurück zum Großen, Ganzen. Und das Publikum stellt fest: Jawohl, Zusammenhänge werden deutlich, wo keiner sie je vermutet hätte. Priol schärft den Blick auf die Weltpolitik, auf die öffentlichen und privaten Krisenherde und den ganzen Rest. Alles, was die Republik bewegt, arbeitet Priol ab im Programm „Täglich frisch“. Die „Marketing-Abteilung der Union“, die „Bild“, titelt „Wir sind Papst“, schon ist sie drin in „Täglich frisch“. Kaum hat sich Bayerns SPD-Vorturner Stiegler – der Fleisch gewordene rote Pullunder – zu einem historischen Vergleich verstiegen, schon ist er drin in „Täglich frisch“. Von seinen Rundumschlägen bleibt niemand verschont – egal, ob schwarz, rot, blau-gelb, gelb-weiß…
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Täglich frisch – Trostberg, Postsaal, im Juli 2005
Hoffnung setzt er auf den „Hosenanzug der CDU“: Kanzlerin Merkel wird Deutschland in Sekundenschnelle aus unserem notorischen Jammertal an die Weltspitze führen. Führungsqualitäten beweist das „Besatzerliebchen von George Dabbljuh“ ja seit langem fast täglich. Wäre es nach ihr gegangen, „wären wir noch vor den Amis in Bagdad einmarschiert“. Allerdings traut ihr Priol keine ganze Legislaturperiode zu – spätestens zur Halbzeit werden sich die „jungen Wilden“ der Union – Koch, Wulff und Merz – treffen und ihre Entsorgung auf Sizilianisch besprechen – „Lasst es wie einen Unfall aussehen.“
Westerwelles Rolle in einer künftigen schwarz-gelben Regierung? Auch Urban Priol weiß da keinen Rat. „Der Westerwelle hätte in frühen ShakespeareDramen die Rolle des Strauches bekommen. Steht die ganze Zeit rum, lässt sich bisweilen von einem Hund anpinkeln…“
K U L T U R
S O M M E R
„Kaum wird der Zuverdienst für Langzeitarbeitslose gekürzt, da kommt der Oskar aus dem Saarland rausgekrochen.“ Kommt Deutschlands Rettung wieder einmal von der Saar? Den beige-grau-grünen Anzug seines Vorreiters trägt Lafontaine offensichtlich ja schon. Fehlt nur noch Honeckers Strohhut. Ja, Deutschland ist im Umbruch. Der demografische Faktor – immer weniger Kinder, immer mehr Alte. Wer soll das bezahlen? Priol hat den Steuermann der Renten-Titanic, den Sozial-Bonsai Blüm, noch im Ohr, der nebelhornartig beim unbeirrten Zusteuern auf den Eisberg ruft: „Die Rennde is sischä!“ Das ist die Erblast der Regierung Kohl. Und um politisch Zusammenhänge noch authentischer vor Augen zu führen, lässt Priol die Damen und Herren Protagonisten selbst zu Wort kommen. Der Einfachheit halber spricht Priol sie selbst: Kohl, Blüm, Schröder, dem Gerd seine Frau, „Funkenmariechen“ Ulla Schmidt, den Bundeshorstel, Joschka Fischer, Münte, Strauß, Stoiber. Hat er alle drauf. Wem wir die Neuwahlen, sollte Bundeshorstel unterschreiben, eigentlich verdanken? Der Doris Schröder-Köpf, die ihrem Gatten seit Monaten in den Ohren liegt, er möge doch mehr Zeit mit ihr verbringen. Doris – „die Yoko Ono der Sozialdemokratie“. Schon sind wir bei der Musik: Was haben nun gehäkelte Klorollen mit Deutsch-Pop zu tun? Ein Blick ins Musikfernsehen schafft Aufklärung: Besagte Häkelarbeiten sind gar nicht verschwunden – Xavier Naidoo trägt sie jetzt auf. An der Musik macht Priol nebenbei auch gleich noch die Befindlichkeit des Deutschen fest: Dieser Depro-Pop, das Genöhle von Naidoo („… so sind Menschen eben…“) und Silbermond („… es ist besser wenn du gehst…“). Da kann gar kein Optimismus aufkommen. „Wir hatten damals Cindy und Bert, ,Spaniens Gitarren‘, das war Sommer, Wärme, Stimmung…“ In welcher Beziehung stehen Papst und Spargelernte? Ganz einfach: Eine Million Pilger aus Polen in Rom – „und wer sticht unseren Spargel?“ Priol Verhältnis zur Kirche scheint überhaupt angespannt: Joseph Ratzinger, den J.R. der katholischen Kirche, der jetzt Benedikt heißt und Papst ist, sieht Priol als Übergangslösung. „Das Konklave ging nur so schnell über die Bühne, weil die Kardinäle schnell heim wollten – zu Frau und Kind.“ Die Kriminalitätsrate in der Schweiz ist übrigens nur deshalb so niedrig, weil die Schweizer ihre Ackermänner in die Vorstände deutscher Firmen schicken. Urban Priol zeigte in Trostberg, warum er einer der besten Kabarettisten Deutschlands ist: Er schließt seine Synapsen kurz, dass die Funken sprühen, seinen Geistesblitzen fehlt nur noch Donnergrollen – man hätte ein Gewitter mit Orkanstärke im Saal. Mit seinem Sinn für Widersinniges bürstet er Brandaktuelles gegen den Strich und vermehrt so die Einsichten des Publikums. Gnadenlos schnell, gnadenlos gut. „Täglich frisch“ – eine Sternstunde des Kabaretts.
AKTUELLES PROGRAMM unter www.baumburgerkultursommer.de
MUSIK AUS VERSCHIEDENEN KULTUREN MUNDARTLICHES DRAMATISCHES
IRISCHES
BAIRISCHES
KOMISCHES
BLUESIGES
KELTISCHES
SPORTLICHES
FESTLICHES
ROCKIGES
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Dachlatten-Pädagogik an der Strapsmaus Andreas Rebers mit „Ich regel das“: Kabarett-Lichtblick für Satiregipfel-Sedierte – Den Zeitgeist seziert
Ich regel das – Trostberg, Postsaal, im Februar 2011
Macht Euch die Erde Untertan. Von Schützen war nie die Rede. Für Reverend Andreas Rebers ist die Sache klar: Naturschutz ist Gotteslästerung. Im Anfang war das Wort. Rebers ist ein Mann des Wortes, Rebers ist im Anfang, ist Religionsstifter, Reverend bei den von ihm gegründeten schlesischen Bitocken. Die Bitocken vereinen das Beste der Weltreligionen: Freitagsgebet, Schabbes und Sonntag, Fastenzeit und Ramadan, Ostern, Weihnachten, Jom Kippur und Laubhüttenfest. Und natürlich eine Art Dschihad, einen heiligen Krieg gegen Mindersinn und Biederkeit. Nur die buddhistische Gelassenheit, die fehlte dem Reverend im Postsaal. Dem übergeordneten Prinzip, wie immer es auch heißen möge, sei Dank. Der Reverend steht auf der richtigen Seite: Er ist links und reich, was deutlich angenehmer ist als links und arm. Von arm und rechts ganz zu schweigen – weil dann zwangsläufig auch noch Blödheit dazukommt. Die findet sich aber nicht nur rechts. Und auch nicht nur links. Sie ist, gemäß dem alten Unions-Slogan, mitten im Leben. Darauf knüppelt der Kabarettist mit Wonne ein. Und auf die weichgespülten politisch Korrekten. Auf die Gutmenschen, die Biodynamischen, die Freunde der authentischen Weltmusik, die Besitzer von Buckelwal- und Obertongesang-CDs. Als Religionsstifter, als Prophet zweiter Ordnung ist er gnadenlos, der Radikal-Rebers. Der Trottel-Terminator. Doch kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn ihm die Nachbarin missfällt. Diese allein erziehende Frau Hammer, geschiedene Sichel, mit ihrem Buben im Münchner Hinterhaus ist aber auch unangenehm. Antiautoritär-vegan. Das Hammerkind kennt weder BigMac noch Rambo. Noch nicht
mal die Panzerknacker. Aber dafür kann es wahrscheinlich seinen Namen tanzen. Den kennt der Reverend aber nicht und er interessiert ihn auch nicht. Weil er den Buben eh auf den Namen Konrad tauft, als er ihn in Kurzzeitpflege und -erziehung nimmt, weil die behelmte Hammer, geschiedene Sichel, nach einem Unfall mit ihrem Liegerad einen längeren Klinikaufenthalt buchen muss. Der Vorderhauspitbull macht einen Mann aus dem Hammerkind. Weg mit der Kuschel-, her mit der Dachlattenpädagogik: dem Kindlein mit der Dachlatte einen Scheitel ziehen, bis die Kopfhörer aus den Ohren fallen. Immer dieses betroffene Gewese um die Brut und ihre allein erziehenden Mütter. Ben Cartwright war auch allein erziehend. Hat er etwa gejammert, hat er besondere Rücksicht von der Gesellschaft eingefordert? Hat er die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie beklagt? Nein, hat er nicht. Er hat Little Joe und Adam großbekommen. Und Hoss sogar richtig groß. Und einen landwirtschaftlichen Betrieb geführt. Und einen illegalen Chinesen in der Küche beschäftigt. Frau Hammer ist übrigens grün. Die Sorte kennt man ja. Typ Turbo-Emanze, die aus dem Sohn ein Weichei macht und sich zum Ausgleich Morgenland-Machos anlacht. So eine ist das. Reverend Rebers weiß das. Weil er sie überwacht. Nicht in üblicher spießbürgerlicher Blockwart-Manier, mit Feldstecher vom Küchenfenster aus. Aber bitte! Wir sind doch im 21. Jahrhundert. Die Hammer wird abgehört und videoüberwacht. Selbstverständlich. Alles andere hieße ja, die segensreichen Errungenschaften der Stasi mit Füßen zu treten. Und wenn die Frau Hammer wieder ihre grässliche Kunst aufhängt, dann werden des Nachts die Bilder ausge-
tauscht. In einer Wohnung, in der ein Kind zum Manne reifen soll, haben in der Toskana gepinselte Gemälde nichts zu suchen. Zumal das Gemälde sind, die ohne Slip auf einem Spiegel sitzend gemalt wurden und das auch zeigen. Aber diese Perverse hatte ja ihren Liegeradunfall, das Hammerkind bekommt den Namen, den es verdient. Dreimal mit Verve in die Regentonne getaucht und Konrad heißt das Ding. Übe Mozart oder dein Kuscheltier brennt? Das ist doch was für Luschen wie Amy Chuan. Erziehung braucht Härte. Spiele Counterstrike oder dein Hamster wird geköpft. Drill allein bringt’s nicht. Körperliche Gewalt, mehr noch, Brutalität braucht das Menschlein. Sonst wird aus den lieben Kleinen doch nie was. Welche Sau Politik und willfährige Untertanen auch immer durchs Dorf treiben lassen – Rebers setzt ihr noch den Hund drauf. Zeitgeistiges mag noch so widersinnig sein – Rebers findet die Steigerung. Unnachgiebig seziert er Irrungen und Wirrungen, mit scharfem Wort, mal leise, mal aufbrausend, immer deutlich und schauspielerisch brillant. Den Tonfall des Gurus und des Motivationstrainers, des Menschenflüsterers und des Gröfaz hat er drauf, und mit traumwandlerischer Sicherheit setzt er ihn ein. Dazu seine moderne Interpretation des Arbeiterliedes an Strapsmaus (Akkordeon) und EPiano, irgendwo zwischen Brecht und Bohlen – das ist Satire in Vollendung. Für des ScheibenwischerDurchblicks Beraubte, die sediert sind durch einen Satiregipfel, den Richling und Nuhr von öffentlichrechtlichen Gnaden abzutragen haben, ist Rebers einer der Lichtblicke des Kabaretts. „Ich regel das“ heißt sein Programm. Damit hat er nicht zu viel versprochen.
Rebers moderne Interpretation des Arbeiterliedes – irgendwo zwischen Brecht und Bohlen – ist vollendete Satire.
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Im April hat der Ratzinger die Vorhölle abgeschafft. In den Psychiatrien sitzen Leute für weniger.
Und ein ganzes Volk spielt dazu Sudoku... Hagen Rether lässt im maroden Weltgebäude keinen Stein auf dem anderen
Liebe – Trostberg, Postsaal, im Oktober 2007
Bah, der traut sich was. Im Benedikt-Kerngebiet Südostoberbayern! Im Land, wo CSU und Kirche noch was gelten. Was sag ich? Wo CSU und Kirche alles gelten. Und der zieht los, schlägt alles kurz und klein, ein Berserker im Dienste des Humanismus, ein Husar gegen Scheinheiligkeit und Bigotterie. Er hat‘s aber auch leicht. Natürlich. Ich bitt‘ Sie! Im Kabarett darf man doch alles. Diejenigen, die drinsitzen, freuen sich, wenn der da vorn Gedanken formuliert, die sie selbst bisweilen beschleichen. Alle anderen, die‘s betrifft, gehen eh nicht hin. Deren Vorteil: Sie müssen auch weiter nicht nachdenken. Müssen sich nicht auseinandersetzen mit Innerer Sicherheit („Mich können die ruhig abhören, ich hab nix zu verbergen.“), sozialer Gerechtigkeit und Bildung. Können sich weiter von „Bild“, „Stern“ und „Spiegel“ in Watte packen lassen. Natürlich. Nadelstiche im D-Zugtempo. Im ICE-Tempo. Über Stunden. Die Nähmaschine rattert über den Stoff, unermüdlich. Stoff hat sie genug. Ratter, ratter, Zickzack-Stich, immer voll ins Ziel. Köhler, Merkel, Christentum. Stoiber, Schäuble, Vorhölle. Ach was – Nadelstiche! Hagen Rether näht nicht, er tätowiert die Gesellschaft, er setzt ihr das Arschgeweih auf, das ihr zusteht. Drei Stunden lang Dampfhammer, kurze Pause, Dampfhammer. Keine Gnade, das Kind, das tausend Gesicher hat, wird beim Namen genannt: Es heißt Dummheit, Ignoranz, Mindersinn. Das Programm, das Rether im Postsaal zeigt, heißt
„Liebe“. So lebensbejahend der Titel ist: Das Bild, das Rether zeichnet, kennt keine Schmetterlinge im Bauch. Es ist ihm egal, ob Liebe Eros oder Caritas ist. „Liebe“ zeigt das Dunkle im Zeitalter der medialen Strahlemänner. Aufgeklärt sind wir, Kant und Lessing haben wir längst vergessen – sofern wir sie je verstanden haben. Rether zerreißt die wabernden Nebel, die das Gehirn umwölken. Nicht mit Gewalt, trotz Dampfhammer, nein: Mit Eleganz – sowohl in Wortwahl, als auch in Erscheinung und Tonfall. Er plaudert. En passant zerlegt er Mentalgebäude paranoider Heimatschutzminister, selbstherrlicher Religionsführer. Rether ist ein Meister des beiläufigen Parlando. Nebenbei ein lieblich Liedlein auf dem nagelneuen Flügel gespielt – die Diskrepanz zwischen Schärfe des Inhalts und Ästhetik der Musikdarbietung steigert die Boshaftigkeit noch. Der Papst, der in seinem Panzerglastresor durch die Gemeinden fährt und Gottvertrauen predigt, hat‘s Rether besonders angetan: „Wenn der Hirte schon Angst hat vor den eigenen Schafen – was macht der, wenn der Wolf kommt?“ „Karikaturenstreit? Die sollen sich mal ein Beispiel an uns nehmen. Unsere Karikatur sitzt im Vatikan. Mit den ganzen anderen Karikaturen da. In der Männerpension.“ „Tausende Prozesse wegen Pädophilie haben die am Haken. Interessiert nicht. Dürfen alles. Halb Polen war bei der Stasi, die ganze Bischoferei da. Interessiert nicht.
Der Mixa macht auch einfach weiter. Der muss nicht den Hut nehmen. Nix. Einfach weitermachen. Lustig, ne? Die dürfen alles. Wir regen uns auf über die Kopftücher bei anderen Religionen – und klammheimlich sind unsere Frauen Gebärmaschinen. Weitermachen.“ „Im April hat der Ratzinger die Vorhölle abgeschafft. Ja, schön! Haben Sie‘s auch gelesen? Im April hat er die Vorhölle abgeschafft. In den Psychiatrien sitzen Leute für weniger.“ Im April die Vorhölle abgeschafft, im Mai eine Viagra-Fabrik gekauft und im Juni die Protestanten verprellt. „Machen uns die Welt, widewide wie sie uns gefällt.“ Und Stoiber hat drei Jahre Haft für Blasphemie gefordert. 80 Millionen Deutsche gibt’s. Wie kann‘s sein, dass dann immer dieselben dreieinhalb bestimmen? Zum Beispiel der Schäuble, dieser Innenminischder: „Der wär fast gestorben an diesem Attentat damals. Der Schäuble ist traumatisiert bis in die Knochen. Ja, wer macht so jemanden zum Sicherheitschef eines Landes? Dat is ne Schnapsidee. Wir haben ohnehin schon Wespen im Cockpit. Jetzt haben wir auch noch einen Piloten mit Flugangst. Glückwunsch!“ Und was machen wir? Ein ganzes Volk spielt Sudoku dazu. Ab und zu geht’s noch ins Kabarett. Auch wenn‘s weh tut. Oder gerade weil‘s weh tut. Von Hagen Rether lässt man sich doch gern weh tun. Immer wieder. Natürlich, ich bitt‘ Sie.
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Nur Lidschatten und Lippenstift sind geblieben. Die Plastikästhetik braucht Georg Ringsgwandl schon lange nicht mehr.
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Sympathisch-bösartig und derb-filigran
Untersendling – Trostberg, Postsaal, im Dezember 2009
Ein Programm voller Archetypen: Ringsgwandls Untersendling wie eine Bogner-Blaupause
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Geschichten aus einem Viertel, in dem die Mehrheit aus Minderheiten besteht, hat Georg Ringsgwandl mit seiner Band am Freitagabend im nahezu ausverkauften Postsaal erzählt. Geschichten über die Liebe, nachtaktive Tiere, Gewalt, Geld, Gewinner und Verlierer. „Untersendling“ heißt sein aktuelles Programm und die dazugehörige CD. Der gebürtige Reichenhaller beweist sich darin gewohnt spitzzüngig als ausgezeichneter Beobachter der Gesellschaft. Dabei sind nicht nur seine Texte bewährt analytisch-derb – auch musikalisch bewegt er sich in der kabarettistischen Spitzengruppe. Unterstützt wird er dabei vom überragenden Bluesrock-Gitarristen Nick Woodland, vom inspirierten Tobias Schwartz an seinem funky Fender Jazz-Bass und vom dynamischen Schlagzeuger und Keyboarder Manfred Mildenberger. Eine mehr als nur angemessene musikalische Verpackung für die genialen Miniaturen Ringsgwandls. Die Untersendlinger Episoden spielen in einem Viertel, das nicht so heruntergekommen ist wie Hasenbergl und nicht so schick wie Grünwald. Ziemlich durchschnittlich halt. Munter vermischen sich Südeuropäer, Asiaten, Afrikaner und Niederbayern. Der Mediziner Ringsgwandl vermutet, Untersendling sei ein einziges großes Genexperiment. Überlegungen, seine Gene in den Pool zu werfen – „nicht jeden Tag, aber ab und zu ging‘s schon noch“ – hat er sich von einem Bekannten ausreden lassen: Ringsgwandls markante Nase schlüge bei dominant-rezessiver Vererbung mit Sicherheit durch. Die Vaterschaftsprozesse würde er garantiert verlieren. Außerdem sollte man das Kindern nicht antun.
So beschränkt sich Ringsgwandl aufs Beobachten und aufs Überzeichnen. „Untersendling“ erscheint als so etwas wie die Urform einer neuen Kultserie Franz-Xaver Bogners. Eins zu eins wären die Charaktere für den Bildschirm umzusetzen: Es wimmelt nur so von Archetypen wie Paula von der „Münchner Freiheit“, Sir Quickly von „Irgendwie und Sowieso“ oder Amtsrichter Wunder vom „Café Meineid“. Typen, die in ihren durchschnittlichen Lebensumständen gar nicht durchschnittlich agieren. Da gibt’s eine schöne Bäckereiverkäuferin, die ihre Kunden dazu bringt, ihr Geld in Brezen statt in Benzin zu investieren. Und um aus dieser Masse herauszuragen, kauft der eine oder andere noch einen Vanillekringel – was seine Chancen bei der schönen Verkäuferin natürlich nicht erhöht.
der Lidschatten und der Lippenstift sind geblieben. Die Plastikästhetik braucht Ringsgwandl schon lange nicht mehr – er ist zur Marke geworden, er ist sein eigenes Gütesiegel. Mätzchen hat er nicht mehr nötig. Ein grau-silbern schimmernder Anzug, ein braunes Hütchen – das reicht, um seine Bühnenpräsenz zu unterstreichen.
Oder das Lied von der abgrundtief schiachen und dazu massiv massigen Politesse, die Ringsgwandl nicht nur gedanklich, sonder auch verbal als „Matz“ beschimpft – wobei dieses Wort noch die harmloseste Bezeichnung für die Repräsentantin der Staatsgewalt ist. Das kann der Kardiologe nur durch eine richterlich verfügte Geldstrafe von 6500 Euro wieder gutmachen. Oder er schreibt ein Liebeslied für den Dragoner. Auch wenn‘s schwer fällt oder eigentlich unmöglich ist. Überwindung wird’s wohl gekostet haben. Aber das Liebeslied ist natürlich gelungen.
Georg Ringsgwandl sticht, er beißt, er ätzt. Das an sich wäre wohl wenig sympathisch. Aber er verbindet das mit seiner Ausprägung des Humors, seiner Interpretation von Komik und einem überragenden Sound. Da stellt sich die Frage gar nicht mehr, ob das jetzt sympathisch oder bösartig, derb oder filigran ist. Das ist der Ringsgwandl, wie ihn seine Anhänger seit drei Jahrzehnten lieben. Dass sie das auch in Trostberg tun, stand bei seinem Gastspiel im Postsaal zu keiner Minute in Frage. Erst kurz vor 23 Uhr durften sich die Künstler verabschieden. Aber auch nur, weil sie mit „Gut Nacht, die Damen“ , einer Bearbeitung von Lou Reeds „Goodnight Ladies“ auf Ringsgwandls erster Scheibe „Das Letzte“ klargestellt haben, dass es jetzt reicht. Bei aller Liebe. Auch nachtaktive Tiere müssen schlafen.
Seine Auftritte sind heute optisch längst nicht mehr so provokant wie vor 30 Jahren. Da gibt’s keine grellbunten Badekappen mehr, keine Müllsäcke, die er sich um den immer noch schlanken Leib wirft. Nur
Wenn‘s um seine Angst vor Ausschreitungen in Münchner U-Bahn-Stationen und seine eigene latente Gewaltbereitschaft geht, dann unterstützt er das optisch mit einem Strickmützerl, das er bis über die Augenbrauen zieht, eine Pornobrille und einen bis auf Kniehöhe gezogenen Hosenzwickel. Weil er, seit er so im Münchner Untergrund hiphoppelt, nie mehr von der Seite angemacht worden ist.
Hobbyspitzenköche und Aldi-Roulette Richard Rogler arbeitet so souverän wie begeisternd 42 DIN-A4-Seiten Kabaretttext ab 42 DIN-A4-Seiten Kabaretttext hat Richard Rogler am Freitagabend im Postsaal abgearbeitet. Obwohl er in die Wassermühle von 1612 in Brunshagen bei Schossenheim im Rothaargebirge eingeladen gewesen wäre – zu den Mühlengesprächen bei seinen Freunden Manfred, Gabi, Professor Severin und Maike. Aber Rogler zog natürlich die Gesellschaft von etwas mehr als 100 Zuschauern im Postsaal vor. Dankenswerterweise. Der gebürtige Hochfranke und Wahlkölner versprach, jederzeit wiederzukommen, wenn das Publikum mal wieder zufällig in der Gegend sein sollte. Wenn dann jeder noch zwei, drei Leute mitbringt, dann könnte Rogler auch in Trostberg mal vor einer Zuschauerzahl auftreten, die er verdient.
Ewiges Leben – Trostberg, Postsaal, im Mai 2009
Eine Empfehlung bräuchte Rogler eigentlich nicht mehr – er wurde unter anderem mit dem Deutschen Kabarett-Preis, dem Grimme-Preis, mehrfach mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet, seit 2000 ist er Honorarprofessor an der Universität der Künste in Berlin – als erster Professor in Deutschland für das Fach „Kabarett“. Rogler ist wahrlich ein Großmeister des Kabaretts. Seine Akteure, denen er liebevoll und detailreich Eigenheiten andichtet, bringt er mit schier greifbarer Präsenz auf die Bühne. Er ist ein genauer Beobachter sowohl der Menschen, deren Schwächen, Schrullen und gesellschaftliche Verirrungen er treffsicher pointiert, als auch der Bundes- und Weltpolitik sowie ihrer Ge- und Verunstalter. Dabei gibt Rogler auf der Bühne auch praktische Lebenshilfe: Wer es beispielsweise leid ist, bestimmte Mitmenschen einzuladen, der sollte mit seinen Gästen Aldi-Roulette spielen: Bei Aldi 20 verschiedene Büchsen einkaufen, diese vor dem Fest in die Badewanne mit kaltem Wasser legen bis sich die Etiketten ablösen. Dann zieht jeder Gast mit verbundenen Augen eine Dose, deren Inhalt er dann kalt essen muss. Super-Spiel. Bombenstimmung. Von denen kommt keiner mehr zu einer Ihrer Feiern. Für solche Amüsements ist der Manfred aber nicht mehr zu haben. Früher war er mal Linksintellektueller, jetzt ist er Hobbyspitzenkoch mit Hang zum pneumatischen Espressohebel und zum achteinhalbstündigen Dekantieren. Aus der Küche, genauer: vom Kochfeld (Manfred hat keinen Herd, er hat ein Kochfeld), ziehen Rauchschwaden durchs Haus, ein Geruch wie aus dem Hotel Adlon – aber wie 1945, nach der Bombardierung. Das stützt zwei Thesen Roglers: Der größte Fortschritt in der Evolution war, als das Leben
vom Wasser an Land kam. Und der größte Rückschritt, als der Mann aus dem Wald in die Küche kam. Glauben Sie nicht? Wenn Sie Zeit haben, dann schauen Sie heute um 14.15 Uhr im ZDF die „Küchenschlacht“, um 18.30 Uhr auf Kabel 1 das „Fast-FoodDuell“ oder auf Vox den „Kochchampion“ und danach „Das perfekte Dinner“ und „Unter Volldampf“. Getoppt wird Manfreds Hobbyspitzenkochdasein nur noch von seinem Weinkennertum – wobei Rogler keine Sekunde einen Zweifel daran lässt, dass so genannte Weinkenner für die Stimmung ungefähr das darstellen, was lange Unterhosen für den Sex sind. Weil der Weinkenner den Wein und sein Wissen darum zelebriert. Da muss der Gast, bevor er ein Schlückchen aus dem Riesenglas nehmen darf, am Korken riechen. „Manfred! Warum soll ich denn am Korken riechen? Wenn ich tanke, dann riech‘ ich doch vorher auch nicht an der Zapfsäule.“ Natürlich spielt – neben all den liebens- und hassenswerten Charakteren in Roglers Programm „Ewiges Leben“ – Politik eine ganz wesentliche Rolle. Eine der Figuren ist der Günter von der SPD, der sieben Jahre lang Bundestagsabgeordneter war. Neuerdings hat er eine Schwellung am linken Handgelenk; dazu kommt ein heftiges Kopfnicken in unregelmäßigen Abständen aufgrund einer Hypertrophie des Musculus longus capitis – in Fachkreisen der „große Nicker“ genannt. Günter leidet an der Berufskrankheit der Politiker – vom ständigen Durchwinken und Abnicken von Parteitagsbeschlüssen, Grundsatzprogrammen und Gesetzesvorlagen aller Art. Das ist auch von der AOK als Berufskrankheit anerkannt. Der Günter ist in der SPD allerdings lediglich eine Randerscheinung. Dabei kommt ihm zugute, dass er kein bayerisches SPD-Mitglied ist. Da wäre er eine Randerscheinung einer Randerscheinung – an der äußersten Peripherie der Zivilisation. Rogler nimmt sich selbstredend auch Steinmeiers, Müntes, Strucks und Steinbrücks an. Wirklich leicht verständlich und umfassend erklärt er das Prinzip der Gegenfinanzierung und arbeitet so aktiv dem Prinzip der Politikverdrossenheit entgegen. Wie arbeitet beispielsweise der Bundesfinanzminister? Der Bildungsetat soll aufgestockt werden durch den Wegfall der Eigenheimzulage. Dem Steuerzahler bleibt die Entscheidung: Schulabschluss oder Eigenheim. Wer beides will, muss komplett auf die Pendlerpauschale verzichten. Aber das kann dann dazu führen, dass
Sie zwar ein Eigenheim haben aber nicht das Geld, um da hin zu fahren – oder Sie können es sich leisten, da hin zu fahren, da steht aber keins. Wer beides will, kann das gegenfinanzieren über die Erhöhung des Kindergeldes. Dann steht die Entscheidung an: entweder Auto fahren oder sich vermehren. „Es sei denn, Sie vermehren sich im Auto direkt.“ Das geht. Ja. Dann können Sie das über die Zigarette danach durch die erhöhte Tabaksteuer wieder gegenfinanzieren.“ Sprit wird erst mal billiger, aber die geringere Ökosteuer wird aufgefangen, indem der Bürger jedesmal beim Tanken eine ganze Schachtel Zigaretten raucht. Lkw-Fahrer sind ausgenommen. Die finanzieren das über die Maut gegen. „Der Gewinn fließt in die Krankenkasse; das heißt aber, Sie müssen jedesmal bei Betreten der Tankstelle zehn Euro Praxisgebühr bezahlen und kriegen dann von der Klofrau den Puls gemessen. Und das fließt dann wieder in den Bildungsetat.“ Mühelos spannt Rogler den Bogen von Einstein über Trotzki zu Müntefering – wobei der Sauerländer eindeutig am schlechtesten wegkommt. Zur Kanzlerin ist dann kein weiter Weg mehr. Und zwar über Schröder, der als Flüchtlingskind auch keine leichte Kindheit hatte. Aber bei dem stimmte zumindest die Fluchtrichtung – von Osten nach Westen, wie man eben so flüchtet. Dagegen Angela Merkel – geboren in Hamburg, vom Vater, einem evangelischen Pfarrer in den Osten nach Templin verschleppt. Da wuchs dann das arme Mädchen auf – im Pfarrhaus bei selbst gepflücktem Hagebuttentee und pantomimischem Töpfern, weil‘s damals in der DDR ja keinen Ton gab. So arbeitet sich Rogler auf 42 Seiten durch die Wahrheiten und Halbwahrheiten zu Gesellschaft, Politik und Krise durch den Abend. Und warum das ganze Brimborium? Weil der Mensch nach dem Sinn des Lebens suchen muss. Weil wir die einzigen Lebewesen sind, die wissen, dass sie sterben müssen. Da ist der Hamster klar im Vorteil. Der Mensch aber hätte am liebsten das ewige Leben. Geht aber nicht. Scheitert allein schon daran, dass wir zu wenig Parkplätze haben. Wir müssen Platz machen für die Jugend. Sterben ist gelebte Solidarität. Doch der Mensch wird immer älter. Das birgt Zukunftsängste: Viele junge Menschen fragen sich: „Was wird sein, wenn ich 80 bin? Können mich Mama und Papa dann noch versorgen?“ Das sind die Fragen, die die Menschheit bewegen. Diese Fragen wirft Rogler auf, um sie sofort zu beantworten. Das muss man erst mal in 42-DIN-A4-Seiten Kabaretttext abarbeiten. Respekt. © FalkingerPresse
„Was wird sein, wenn ich 80 bin? Können mich Mama und Papa dann noch versorgen?“ Das sind die Fragen, die die Menschheit und Richard Rogler bewegen. 59
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Ein Workshop für die Life-Life-Balance
Maxi Schafroth bringt Faszination Allgäu, bahnbrechende Tourismuskonzepte und Manager-Nasallacher nahe Warm muss sie sich anziehen, die Finanzindustrie im Landkreis Traunstein, ganz warm! Weil wir jetzt alles wissen, weil wir sie uns draufgeschafft haben, die schmutzigen Psychotricks des Bankenunwesens. Und wie wir den Chiemgau-Tourismus nach vorn bringen, das haben wir uns auch draufgeschafft, on top quasi. Ja, wir sind da jetzt ganz breit aufgestellt. Nach einem Workshop mit Maxi Schafroth und Markus Schalk ist man fit in Finance, in Teambuilding und in Ingwerschaumsüppchen. Mit Physalis oberdrauf, sieht gut aus, aber schmeckt nach nichts. Ein Workshop für die Life-Life-Balance samt Implementierung des ländlichen Wertesystems. Schafroth fährt mit seinem Kabarettprogramm „Faszination Allgäu“ eine klar performante Linie.
Faszination Allgäu – Traunreut, k1, im März 2014
Zwei Fremdsprachen haben wir im k1-Studio gelernt – Manager-Sprech und Allgäuerisch. Auf den ersten Blick haben beide Kommunikationsformen nichts miteinander zu tun. Auf den zweiten auch nicht. Besteht die eine ausschließlich aus Worthülsen, lässt die andere die Hülsen weg. Und oft auch die Worte. Allgäuerisch, wie es Schafroth erklärt, ist zuvorderst nonverbale Kommunikation. Manchmal lässt der gemeine Allgäuer sogar die weg. Dann schaut er halt irgendwie oder zieht eine Braue hoch. Die Eingeborenen wissen die Zeichen zu deuten und die k1-Gäste in Ansätzen jetzt auch. Mancher Allgäuer aber spricht. Sogar mit Fremden – einige aus Fremdenverkehrsgründen, andere, weil sie’s können. Zu der Spezies gehört Schafroth. Der kann’s. Verbales und nonverbales Allgäuerisch, weil er auf einem Bauernhof in einem 90-Seelen-Idyll nahe Ottobeuren aufgewachsen ist. Und ManagerSprech kann er, weil er in München eine Lehre zum Bankkaufmann samt wöchentlichen Jours fixes und Trainings absolviert hat. Beides vermittelt Schafroth den Zuschauern. Das eine, damit sie dem Vortrag problemlos folgen können – ‘s isch ganz oifach, das andere, um ihnen ein Tool an die Hand zu geben, wenn sich ihr Bankberater mit ihrem Geld wieder mal ein bisschen cream on top gönnen will. Damit sie beim nächsten Mal ganz locker sagen können: „Das Produkt ist scheiße, das kauf ich nicht. Knch.“ Unterschätzen Sie mir dieses „Knch“ nicht, das haben wir alle gemeinsam geübt. „Knch“ ist ein ganz wesentlicher nonverbaler Bestandteil des Bankerslangs, der Nasallacher der Chefs. Er verleiht dem Nutzer eine Aura der Überlegenheit, heißt jedoch tatsäch-
lich so viel wie „Ich hab’s zwar nicht verstanden, aber ich bin d’accord“. Der Nasallacher ist ein stoßartiger Impuls aus der Magengegend durch die Nase heraus und hat im Blick der reinen Erleuchtung zu enden – oder was man selbst dafür hält. Aber Achtung! Hat der Anwender Schnupfen, dreht die Wirkung des Nasallachers schnell ins Gegenteil. Da muss man seine Credibility zügig völlig neu aufgleisen und zeigen, dass man trotzdem ziemlich taff aufgehängt ist, so im Drei-Säulen-Prinzip. Um die Welt der Hochfinanz zu verstehen, sollte man sie auch ganz privat kennenlernen. Deshalb nehmen Schafroth und sein musikalischer Begleiter Schalk das Publikum mit zum After-Work-Clubbing, bei dem Kollege Jörn das Herz seiner Silke am Büffet beim gemeinsamen Griff zum Crevettenbrötchen gewinnt. Und später gibt’s einen Besuch beim Bankerpaar mit seinen Freunden Katja, René, Sören und Dörte. Molekularküche im Feng-Shui-Ambiente, dazu ein von Jörn feierlich dekantierter Biowein, den er persönlich und nachhaltig mit seinem Geländewagen beim Winzer abgeholt hat. Schafroth ist ein ausgezeichneter Beobachter und ein überragender Coach, B2C auf jeden Fall. Business to Consumer, Sie wissen schon. Wobei – konsumieren allein ist nicht. Die rund 90 Workshop-Teilnehmer dürfen mitarbeiten, schön nachsprechen, nasal lachen. Um Gemeinschaft zu erleben, kann dabei jeder, der will, seinen Nachbarn bei der Hand nehmen. Wobei das weniger eine Frage des Wollens als des Könnens ist: Die Auge-Hand-Koordination wird durch Lach-Eruptionen doch erheblich beeinträchtigt. Allen hat Schafroth aufs Maul geschaut – den Leitern für nachhaltiges Privatkundengeschäft, den Corporate-structured-Finance-Fuzzis, den Stammtischhockern, den Vereinsmeiern und den Fremdenverkehrsexperten. Von allen nimmt er das Feinste in sein Programm, „fein“ jetzt nicht im Sinne von edel und zart, grad bei den Stammtisch-Brriad’rrn nicht. Freunderlwirtschaft, Zengarten-Zeitgeist, Parteigeklüngel, Bauernschläue – das alles handelt er mit Maximal-Esprit ab. Grad Bauernschläue kann in einer eher strukturschwachen Region wie dem Unterallgäu nicht schaden. Schafroth springt in die Rolle des Tourismus-Pioniers, der in den 70er Jahren eine Delfintherapie für verhaltensoriginelle Stadtkinder in der stillgelegten Güllegrube installiert hat, schönen Gruß übrigens
an den damaligen Betriebswirtschaftsberater am Amt für Landwirtschaft in Memmingen und späteren Landwirtschaftsminister, d’r Mill’r Josef, habe die Ehre. Das hat den Tourismus im Unterallgäu ganz erheblich nach vorn gebracht. Gut, dass die Delfine das Güllebeckenbiotop nicht überleben würden, das war so nicht vorherzusehen. Deren Job im OdlgrubenSpa machen jetzt wasserresistente Rinder. Die passen auch besser ins Landschaftsbild. Und wenn zwei 700-Kilo-Kühe auf so ein Stadtkind zuschwimmen, dann ist kein Platz mehr für ADS und der Therapieerfolg schier unausweichlich. Überhaupt, das Rind. Wer das Rind versteht, der hat das ländliche Wertesystem verinnerlicht. Denn: Wenn Ihr nicht werdet wie die Rinder… Deshalb versetzt sich das Publikum kollektiv in die Kuh hinein, es brüllt ihn hinaus, den transzendenten Urklang, den mantrischen Urlaut „Mmmmmmuuh“. Und im Chor erschallt durchs k1-Studio: „Ich habe einen Pansen.“ Wem hier nicht klar wird, was Coaching aus einem machen kann, dem hilft nur noch eine Delfintherapie samt Schwimmkühen. Da der Chiemgau (noch) nicht über einen derartigen Therapieansatz verfügt, bietet sich eine Reise ins Allgäu an. Auch dafür gibt’s Handreichungen von Schafroth. Er will ja, dass man sich zurechtfindet in seiner Heimat, Mentalität und Urbevölkerung in ihrer Wortkargheit versteht und die besondere Allgäuer Romantik. Seine Eltern zum Beispiel, die haben auf wirklich romantische Weise zueinandergefunden. Der Antrag im Wortlaut: „Do, Madam, do isch mei Hof, do isch mei Wald. Jetz üb‘rlegsch da’s halt.“ Um die Triebfeder der Allgäuer Paarbildung vollends zu illustrieren, stimmt Schafroths Bühnenpartner Schalk – ein trefflicher Name im Übrigen – auf seiner Gitarre das Lied „Gemeinsam sparsam sein“ an. Eine Sparsamkeit, die der Allgäu-Tourist mit Vorsicht genießen sollte, grad in der Gaschtronomie. Die verkauft gern das Schwaben-Pfännle, das unter Einheimischen „Reschte-Pfännle“ genannt wird. Warum Vorsicht? Weil der Allgäuer gemeinhin Spezialist im Wiederaufbereiten eigentlich nicht mehr zum Verzehr geeigneter Lebensmittel ist. Die Reste werden bis zur Unkenntlichkeit atomisiert und in die Pfanne geworfen. Einzige Regel: Scharf a’brrate. So schmackhaft kann Straßenbelag sein. Ja, uns kann nichts mehr passieren, nicht im örtlichen Kreditinstitut und nicht im Allgäu. Schafroth hat uns vorbereitet, im Herbst 2015 folgt Teil 2 des Workshops im k1. Unser Tipp: D’r Bua, schau d‘r den aa.
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Ein Schwanz, der mit zwei Hunden wedelt
Helmut Schleich mit „Nicht mit mir“ im Postsaal: Starke schauspielerische Leistung, aber der rote Faden fehlt
Nicht mit mir! – Trostberg, Postsaal, im Juni 2013
Liebestammtischbrüderundstammtischschwestern. Ohne Punkt und Komma, wie man’s von Otti kennt. Gut, in dieser Anrede haben Kommata auch nichts verloren. Aber trotzdem. Man kennt ihn genau so, den Ottfried Fischer. Mehrfachkinn, den rechten Arm angewinkelt am Bauch angelegt, Trippelschritte. Dabei steht er gar nicht auf der Postsaalbühne, der Otti. Sondern der Franz Josef Strauß. Nein, der Heinrich von Horchen. Nein, Papst Benedikt. Johannes Paul II. Hans-Jochen Vogel. Und noch ein paar andere Vögel. Vor allem aber Helmut Schleich. „Mit mir nicht“ heißt das Programm, das der Kabarettist vor ausverkauftem Haus spielt. Man kann’s kaum glauben, dass so viele Leute Kultur und Satire dem Triple vorziehen. Ja – Leute, also auch Männer. Schleich liefert die Erklärung dafür selbst: „Einige sind bestimmt nicht freiwillig da. Da hieß es: ,Schatz, ich hab uns Karten besorgt.‘“ Da verzichtet man doch gern darauf, Zeuge des historischen Triples zu werden. Außerdem hat man seinen kulturellen Akku dann für mindestens vier Wochen aufgeladen. Vier Wochen, in denen man nicht ins Theater, zum Kabarett oder ins Bierzelt muss. Naja, ins Bierzelt vielleicht schon. Oder man macht’s wie der Schleichsche Stammtischbruder. Am Muttertag der lieben Frau den Hausputz abnehmen, dabei versehentlich eine viertel halbe Halbe Weißbier über den Receiver schütten und dann nur noch BR alpha reinkriegen. Da ist Bildungsfernsehen angesagt. Mit Bob Ross. „A little green.
Clean the brush. Then a little white.“ Spannend. Extrem spannend. Wem es schon mal gelungen ist, „The Joy of Painting“ bis zum Ende zu sehen, ohne vom Schlaf übermannt zu werden, der weiß, wie nervenzerfetzend Bob Ross malt. Schleich als Ross, Schleich als Strauß, Schleich als adliger Gesangslehrer von Willy Fritsch, Jopi Heesters und Marika Rökk – der Kabarettist springt praktisch nahtlos von Rolle zu Rolle. Das ist faszinierend. Er verändert seine Mimik und wechselt den Charakter. Perfekt. „Nicht mit mir“ gibt ihm reichlich Gelegenheit, sein schauspielerisches Können zu zeigen. Nicht zu schlagen ist er als FJS, seine kernige Großkotzigkeit, die markigen Sprüche, die tatsächlich alle von Strauß stammen könnten. Was haben diese Politpygmäen nur aus seiner CSU gemacht? Dieser Ramsauer zum Beispiel – „da ist doch allein der Name schon ein Auffahrunfall“. Oder dieser Marcel Huber – „ein Tierarzt als Umweltminister ist doch nur dann sinnvoll, wenn der Ministerpräsident ein Rindvieh ist“. Gut, dass die Opponenten auch nicht besser sind: „Irren ist menschlich, aber immer irren ist sozialdemokratisch.“ Das hat Strauß allerdings 1965 tatsächlich gesagt. Die Straußschen Momente sind die Glanzlichter des Programms – und die Szenen mit Benedikt. Krönung ist das Streigepräch zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Papst, wer denn der größere Bayer aller Zeiten sei. „Nicht mit mir“ strotzt aber nur so vor Charakteren. Die drohen Schleich feindlich zu übernehmen, sie brechen zu allen passenden und
unpassenden Gelegenheiten aus ihm heraus, geben ihren Senf dazu, drängen ihn in den Hintergrund. So ist das Programm konzipiert – drum „nicht mit mir“. Der Kabarettist zeigt, was er kann. Das allerdings ist als roter Faden etwas dünne. Eine wahnwitzige Jagd von Charakter zu Charakter um der wilden Jagd willen – und der Eindruck drängt sich auf –, das ist zu wenig, um als stringent durchgehen zu können. Schleich überfrachtet. Hier ein unvermittelt auftauchender sächsischer Eremit, dessen Pointen zwar sitzen, der aber weiters weder gebraucht wird noch irgendeinen Restbezug zu den anderen Gestalten hat. Dort ein Psychotherapeut, dessen Therapieansatz darin besteht, Schlagerweisheiten von sich zu geben. Ganz nett – aber programmatisch fährt da der Zug nach Nirgendwo. Hier der gefühlt 150-jährige Gesangslehrer von Horchen, der den Niedergang des blauen Bluts an Guttenberg illustriert – „der Kopierer, nicht der Drucker“: „Früher hat der Adel Universitäten gegründet und nicht beschissen.“ Dort der Leiter des historischen Stammtischs, der einen Altnazi mit einem RAF-Terroristen streiten lässt, wer den besseren Terror abgeliefert hat. Das passt alles, das ist top in Szene gesetzt, die Gags zünden – aber wo ist die große Klammer? Ideen für mindestens zwei Programme hat Schleich. Aber warum nur packt er sie alle in eines? So ist „Nicht mit mir“ nichts Halbes, aber leider auch nichts Ganzes. Schade eigentlich. Um mit Strauß zu sprechen: „Nicht mit mir“ ist ein Schwanz, der gleichzeitig mit zwei Hunden wedelt.
Die Straußschen Momente sind die Glanzlichter im Programm, den sächsischen Eremiten dagegen braucht‘s überhaupt nicht.
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Werner Schneyder will sich den Glauben an die Vernunft bewahren. Das fällt schwer.
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Und die Piraten entern ein sinkendes Schiff Werner Schneyder hat für sein Programm „Ich bin konservativ“ vor allem eins konserviert: seine Wut
Ich bin konservativ – Traunreut, k1, im Mai 2012
Altersmilde ist er nicht und auch nicht zahnlos. Im Gegenteil. Warum auch? Weil er im Januar seinen 75. gefeiert hat und ihn das alles gar nicht mehr tangieren muss? Von wegen. Wie eh und je steht Werner Schneyder auf der Kabarettbühne, holt die Faust aus der Tasche und beweist mit mathematischer Präzision: Die Schnittmenge zwischen Staatsräson und gesundem Menschenverstand, sofern es ihn denn geben sollte, ist übersichtlich. Sehr übersichtlich. Eine der Erkenntnisse, die die knapp 200 Zuschauer am Donnerstagabend aus dem k1 mit nach Hause nehmen konnten. Vermutlich hat das Publikum diese Erkenntnis auch schon ins k1 mitgebracht. Wer geht denn ins Kabarett? Doch selten die, denen die Meinung gegeigt wird. Wobei Schneyder nicht geigt. Er klaviert, beziehungsweise lässt klavieren. Von Christoph Pauli. Der ist beileibe mehr als klimperndes Beiwerk. Placido Domingo hat er begleitet, Giora Feidmann, Tom Jones, Harald Juhnke, Anna Maria Kaufmann, Ute Lemper, Bonnie Tyler, Montserrat Caballé und Dieter Hildebrandt. Und Otto Waalkes. Das lässt schon mal auf eine umfassende Bandbreite schließen, eine Bandbreite, die Schneyder zulässt. Ganz dem Chanson verbunden, lässt er Pauli durch die Gefilde der Klassik, des Jazz, Blues und Ragtime galoppieren. Pauli unterstützt, spielt sich nie in den Vordergrund und ist immer da, wenn er gebraucht wird. Schneyder lässt zum einen also musizieren. Er chansoniert dazu – und er spielt gleichzeitig Instrumente, auf denen er es während seiner jahrzehntelangen Bühnenpräsenz zur virtuosen Meisterschaft gebracht hat: Standpauke und Maulschellen. Die hält und verteilt er, eindreiviertel Stunden lang. Eine Gangart beherrscht der Öster-
reicher dabei perfekt: das Staccato. Staccatissimo, mal leise, mal laut. „Ich bin konservativ“ heißt sein Programm. Wer vermutet, das spiele denen in die Hände, die sich in Berlin, Brüssel oder Wien als konservativ ausgeben, der irrt. Schneyders konservativ hat nicht zu tun mit einer unionesken Interpretation des Begriffs. Ihm geht’s dem Wortsinn nach um das Bewahren. Nicht ums Bewahren der Macht, des Besitzes, der Pfründe, sondern ums Bewahren des Glaubens an die Vernunft. Schwierig genug, geben die Entscheider traditionell nicht allzu viel Anlass, begründet an etwas wie Vernunft zu glauben. Nein, mit den C-Parteien hat er’s auch als Konservativer nicht. Als Liberaler hat er’s auch nicht mit der FDP. Er will frei sein zu denken – nicht frei von Denken. „Allein diese Debatte um eine Finanztransaktionssteuer! Die Steuer hätte man zwingend einführen müssen am Tag, an dem die erste Börse eröffnet wurde!“ Klientelpolitik macht Schneyder rasend. Die freie Marktwirtschaft, die ungezügelten Märkte, die Heuschrecken, die sich wie die Schmeißfliegen aufführen, die Selbstbediener, die Blender, alle machen ihn rasend. Diese Wut hat er – ganz konservativ – konserviert. Er haut den Herrschaften das um die Ohren, was sie bewahren, ihr Machstreben, ihre Frechheit, Menschen ausbluten zu lassen und ihnen gleichzeitig zu erzählen, das sei nur zu ihrem Besten. Es hilft zwar nichts, aber keiner kann hinterher sagen: Der Schneyder hat sich aus allem rausgehalten. Nein, er hält sich nicht raus. „Ich bin konservativ“ ist sicher nicht taufrisch, historische Nummern hat Schneyder verarbeitet. Aber genau darin zeigt sich auch die Größe des „Urgesteins des deutschsprachi-
gen Kabaretts“: Zum einen sind die Texte – leider – zum Großteil immer noch aktuell, zum anderen ist es für ihn offenbar ein Leichtes, die angejahrten Tiraden mit brandneuen Belegen auszustaffieren. Und schon merkt keiner mehr, dass die Kernaussage vor 20 Jahren dieselbe war. Eines kann man Schneyder sicher nicht vorwerfen: Dass er auf dem linken Auge blind sei. Die Sozialdemokratie kommt nicht besser weg. Für die SPD, die sich den linken Flügel ausgerissen hat, bleibt nur sein zorniges Mitleid. „Wissen Sie’s noch, wie es war, als wir als Kinder Fliegen einen Flügel ausgerissen haben, und wie die sich dann mit nur noch einem Flügel um die eigene Achse drehten?“ Dieser Schröder-Kreisel werde in die Geschichte eingehen. In der Zwischenzeit kann sich der ausgerissene Flügel zwar seiner Wichtigkeit im Weltenlauf rühmen. Fliegen wird er trotzdem nicht mehr. Und während die Grünen ihre Patchworkpolitik vorantreiben, bereiten sich Piraten aufs Entern vor, ohne den Ansatz einer Ahnung, wie das funktioniert. Bei einem sinkenden Schiff. Eklatantes Unvermögen gepaart mit unbeirrbarem Wachstumsglauben – das bringt Schneyder auf die Palme. Er sah und sieht, wie sich die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter öffnet, wie sich die Bosse von Bewaffneten vor dem Prekariat, das sie täglich vermehren, beschützen lassen, wie sich die Geldeliten national und international absetzen, er sieht die Tendenz zur Nationalökonomie, die deutsche Anwartschaft auf das Amt des europäischen Zuchtmeisters in Geldangelegenheiten – und Schneyder warnt. Weil solche Entwicklungen immer Wachstum generieren. Am rechten Rand der Gesellschaft. Wehret den Anfängen? Das haben wir schon übersehen. Wehret dem Ende, muss es heißen.
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Schramm schießt scharf
Kabarett-Sternstunde: Dombrowski auf dem Weg zur bewaffneten Revolution
Thomas Bernhard hätte geschossen – Trostberg, Postsaal, im Februar 2007
Überlebt! Angeschossen, aber überlebt. Tunlichst habe ich es vermieden, an den falschen Stellen zu lachen. Half nichts. Gar nix. Trage ich das Kainszeichen auf der Stirn? Eine Zielscheibe auf der Brust? Zum Grübeln bleibt keine Zeit, ich sitze unter Dauerfeuer, ducken – wieder schlägt eine Pointe ein. Zwar kein Volltreffer, aber sie sitzt allemal. Abtauchen – aber wohin? Zur Seite hechten – aber was hülfe das? Heidewitzka, er schießt und schießt. Ich habe keine Chance. Das ist auch kein Wunder: Ich bin allein, der da vorn ist zu viert, zu fünft, zu sechst. Sein Arsenal sind Lothar Dombrowski, einhändiger Rentner mit Revolver, Oberstleutnant Sanftleben, Sozialdemokrat August, ein namenloser Referent von der Stiftungsinitiative „Leben – jetzt!“ – und nicht zuletzt die Person, die alle in sich vereint: Georg Schramm. Thema des Informationsabends im voll besetzten Postsaal: „Deutschland helfen – aber wie?“. Abgehängtes Prekariat, Gesundheitsreform, Hartz IV, der Niedergang der Kulturnation Deutschland – schwierige Themen, abstrakte Themen. Probleme, die sich personalisiert deutlicher und drängender darstellen lassen. Und weil sich kein anderer anbietet – bin ich‘s, der abgehängte Lohnschreiber, „22 Cent die Zeile“, der nicht aussieht wie er aussieht, weil er es so will, sondern weil ihm seine Finanzen, seine Gesundheitsversorgung, seine Regierung nichts anderes übrig lassen. Deutschlands Elend, illustriert anhand einer seiner kümmerlichsten Gestalten, nämlich der meinen. Danke, Herr Schramm – jetzt weiß ich, wo ich stehe. Im Heer der 900.000 jungen Arbeitslosen, die ihr
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Was beklage ich mich eigentlich? Das Programm des Kabarettisten heißt „Thomas Bernhard hätte geschossen“. In dessen Parabel „Der Stimmenimitator“ wird jeder Theaterbesucher, der an einer falschen Stelle lacht, vom Regisseur getötet. So gesehen – ich hatte unverschämtes Glück. Schramm springt nahtlos in seine Rollen, da gibt‘s kein Ruckeln, keine Unsicherheit im Tonfall, er wechselt ansatzlos vom rheinischen übers hessische ins berlinerischen Idiom, fällt sich selbst ins Wort. Wäre er nicht einer der wortgewaltigsten Kabarettisten des Landes – als Schauspieler dürfte er ob seiner Präsenz gar nicht mehr von der Bühne gehen. Als Sozialdemokrat August erzählt er von „Mutters“ körperlichem Niedergang, von der Erkrankung seiner Frau – woran er nicht unschuldig ist – und er hat tatsächlich Tränen in den Augen. Als querulierender Rentner Dombrowski redet er sich bis zum Geifern in Rage – und pegelt sich von einem Augenblick auf den anderen herunter, um den souveränen Moderator zu geben, der en passant den Schreibknecht malträtiert. Die Charaktere seiner Figuren sind bis ins letzte durchkomponiert. In ihrer Art argumentieren sie scheinbar schlüssig. Dombrowski geht nun mal davon aus, dass die Welt im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen ein Sauhaufen sind und die Politiker „verlogene Eierdiebe“. Dieses Denksystem verlässt er keinen Moment, höchst konsequent zerfasert er alles, was nach Fehlentscheidung der Politik riecht – und das Publikum kann immer folgen,
kann seine Ansichten teilen. Das tut es auch, wenn er als SPDler August die reichen Rotarier oder „Lioner“ beschimpft, die im Pelzmantel auf dem Wochenmarkt „Kartoffelsoup mit Lachsstreifen“ ausschenken und den Erlös in aller Selbstgefälligkeit „Negerkindern“ zukommen lassen. Er schimpft mit Leidenschaft, die oft gar nicht so sehr gespielt scheint. Die Drecks-Große-Koalition, die ihren Harmoniekleister überall drübergeschmiert hat, kommt gar nicht gut weg – allen voran Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die alle drei Jahre eine „Jahrhundertreform“ unters Volk bringt – schau an, wie die Zeit vergeht… Auch Angela Merkels hausgemachter Bundespräsident Horst Köhler gerät in die Schusslinie – wo der doch Roman Herzog und dessen „Ruckrede“ nacheifern wollte. Die Ruckrede, die er im vom deutschen Volke so frequentierten „Hotel Adlon“ in Berlin gehalten hatte, Sie erinnern sich? Köhlers erste Gürtel-engerschnallen-Rede wurde dann vor ähnlich erlauchtem Kreise gehalten – bei einer Arbeitgeber-Veranstaltung, auf der ihm Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, zusicherte, auch die Arbeitgeber würden ihr Scherflein beitragen. Dazu Dombrowski: „Genau! Ich hab nachgeschaut: ,Scherflein = kleinstmöglicher Geldbetrag‘.“ Deshalb sucht er Mitstreiter für die bewaffnete Revolution. Zuerst will er einen Pharmareferenten niederschießen – weil den Parasiten ja nun wirklich keiner braucht. Das hebt das Selbstwertgefühl des Redakteurs dann doch noch. Danke.
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Die Drecks-Große-Koalition, die ihren Harmoniekleister überall drübergeschmiert hat, kommt gar nicht gut weg.
Dasein fristen, ohne je ordentliche Rendite für ihr Volk abzuwerfen.
Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.
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Er hat’s in allen 35 Fingerspitzen
„Meister Yodas Ende“: August, Oberstleutnant Sanftleben und Dombrowki kultivieren berechtigten Zorn
Meister Yodas Ende – Trostberg, Postsaal, im Oktober 2012
„Vorsicht du walten lassen musst, wenn in die Zukunft du blickst. Die Furcht vor Verlust ein Pfad zur Dunklen Seite ist.“ Der Meister Yoda, die alte Runzelsocke. Groß wie ein Kragenfaultier, fast so alt wie Methusalem und Sinnsprüche eines tibetischen Lama plappernd. Der Inbegriff science-fiktionaler Intelligenz, für Sternenkriegsfreunde und Jedijünger ausreichende Weisheit. Dass der Zwerg keinen geraden Satz – Subjekt, Prädikat, Objekt – hinbekommt: geschenkt. Syntax wird überbewertet. Korrekter Satzbau ist nicht alternativlos. Yoda selbst auch nicht, ging er doch längst den Weg allen Fleisches. Meister Yodas Ende in den Lichtspielhäusern traurig stimmte. „Meister Yodas Ende“ im Postsaal dagegen war eine Offenbarung. Dank Georg Schramm. Der hat mit Syntax die geringsten Probleme. Es sind mehr die Inhalte, die Politiker mit mehr oder minder gelungenem Satzbau absondern. Ach was, Inhalte. Mogelpackungen sind das, außen hui, innen pfui. Aber wozu? Weil die Volksvertreter selbst nicht mehr durchblicken? Ist es pures Unvermögen – oder „Unvermögen pur“, um auch mal gängig grundfalscher Syntax zu frönen? Oder weil sie in der Tretmühle des eigenen Machterhalts und der Besitzstandswahrung Wahrheit gar nicht mehr unverstellt formulieren können und dürfen? Da sind sich der einhändige Lothar Dombrowski, SPDler August und Oberstleutnant Sanftleben selbst nicht ganz einig. Nur gut, dass der Geist, dem diese Seelen innewohnen, studierter Psychologe ist. Kann er diese Schizophrenie selbst behandeln, der Schramm.
gen den Strich geht. Der Sarrazin zum Beispiel, auch ein SPDler, auf den hat er 14 Tage lang geschossen. Aber aggressiv? Trotz Ballerei ist August für die leisen Töne zuständig – wenn er von „Mutt…, meiner verstorbenen Frau“ erzählt, wenn ihm die Tränen in die Augen steigen, spätestens dann hat Schramm sein Publikum gebannt. Und war’s grad noch so lustig – jetzt ist klar: Der Mann auf der Bühne spielt wahres Leben. Das ist keine Kleinkunst mehr.
Beckmann, Lanz & Co. an der emotionalen Pissrinne unters Volk mischen.“ Es sind Sätze wie diese, die „einen Hauch von Sportpalastatmosphäre“ in den Postsaal bringen. Aber Schramm weiß auch: „Solche Sätze werden irgendwann wie leere Worthülsen im Brackwasser der Beliebigkeit untergegangen sein.“ Ein Satz mit Futur II für die Oberstudienräte im Publikum. Man muss ja auch randständige Gruppen der Gesellschaft integrieren.
Was August im Kleinen seiner Szene, das ist das Zusammenspiel der drei Bühnencharaktere im Großen: Das kleinbürgerliche, melancholische Grummeln Augusts wächst über Dombrowskis mittelständische Unzufriedenheit und Sanftlebens militaristischen Zynismus an, bis Dombrowski das Ganze brausend im Orkan heiligen Zorns zum Ende bringt. Und was bleibt zum Schluss? Dass sich wieder nichts ändert, dass Kabarett letztlich nichts ist als ein Platzregen, ein Gewitter, das nicht reinigt und nach dem die vereinzelten Lachen der Erkenntnis an den Blendgranaten der Meinungsbildner verdampfen.
Während das Fußvolk, das bildungsferne Prekariat immer weiter von den Futtertrögen abgekoppelt wird, lässt Klofrau Jauch öffentlich-rechtlich seine Gäste die Tiefe des nationalsozialistischen Sumpfes mit Worten ausmessen statt mit Taten ausmisten. Und tags darauf darf Klofrau Plasberg Kubicki und einen „Bild“-Schreiber befragen, wie viel Geld die Politik verträgt, während der Arbeitnehmer daheim erahnt, wie wenig Geld er offensichtlich verträgt, wenn er die seit Jahren rückläufigen Reallöhne zum Maßstab nimmt. Und wenn dann am Dienstag auch noch Sandra Maischberger den unvermeidlichen 80-jährigen Arnulf Baring, der in den Talkshowkulissen der Nation längst festgewachsen ist, befragt, ob der, der älter wird, mehr vom Leben hat, dann ist klar: Einen Grundkurs Aussagenlogik braucht’s da nicht, um das Motto der Sendung zu pulverisieren. Soll sie doch mal ein Neugeborenes aus der Sahelzone zu diesem Thema interviewen. So erfüllt man öffentlich-rechtlich den gebührenfinanzierten Bildungsauftrag. Nein, die Munition für sein Luftgewehr wird Schramm so schnell nicht ausgehen.
Nein, pathologisch ist das nicht, was der Kabarettist mit „Meister Yodas Ende“ auf die Bühne bringt. Er gibt dem diffusen Unwohlsein, das den Bürger in Krisen- und Zwischenkrisenzeiten, also dauernd beschleicht, Form und Ausdruck. Schramm schafft das mit einem untrüglichen Gefühl für Dramaturgie, er hat’s in den Fingerspitzen, in seinen, in denen Augusts und Sanftlebens und in den fünfen Dombrowkis. Ein Mann, ein Programm, 35 Fingerspitzen. Unschlagbar.
Und doch bäumt sich Dombrowski auf, unbändig mit der ganzen Kraft der Sprache. Kein Geplapper – Sprachkraft. Er will sie entlarven, die Herrschaftssprecher mit ihren Übergabedividenden und ihrem posttraumatischen Belastungskäse, die keiner mehr versteht und denen freiwillig keiner mehr zuhört. Keiner? Nein er hört zu, der Dombrowski, der Sanftleben, der Schramm. Er seziert das alternativlose Geschwafel, weil er es muss und weil er es kann. Mit Wortklauberei hat das nichts zu tun, wenn er der Kanzlerin anhand ihrer Aussagen nachweist, dass der Truppenabzug aus Afghanistan weder geordnet noch frei von Eigenblutopfern noch vollständig sein wird. Wer den Menschen verstehen will, der muss ihm zuhören, seinen Sätzen, seiner Sprache, er muss das Gehörte deuten und verstehen. Das kann der Psychologe, das hat er gelernt. Nein, Wortklauberei ist das nicht. Man ist nicht ohne Grund versucht, dem Mann auf der Bühne zu glauben. Ihm alles zu glauben, auch seinen Zorn, den er Abend für Abend spielt.
Leise geht’s los, mit August, dem alten kleinen Mann, der nibelungentreu zu seiner SPD steht, auch wenn sie politische Heimat Andrea Nahles‘ ist, die da hingehört, wo sie herkommt, in die Eifel, wo sie am dunkelsten ist, damit sie keiner sieht und hört. Nein, aggressiv ist er nicht, der August. Gut, mit dem Luftgewehr schießt er auf die Titelseite der Bildzeitung, wenn einer drauf ist, der ihm ge-
Diesen Zorn zu kultivieren hat der Kabarettist Gelegenheiten genug. „Jeden Tag gehen die Politiker in die öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten, und da können sie dann bei den Klofrauen, egal wie sie heißen – Will, Illner, Plasberg – ihre undichten Sprechblasen entleeren. Und wenn beim Verrichten ihrer intellektuellen Notdurft noch was nachtröpfelt, dann können sie sich in der Woche drauf bei
Und doch, Meister Dombrowski neigt sich wie Yoda seinem Ende zu. Schramm schreibt auf seiner Homepage: „Ende 2013 werde ich 25 Jahre lang als Kabarettist auf der Bühne und vor der Kamera gestanden haben. 25 Jahre in denen ich (glücklicherweise) immer schon zwei Jahre im Voraus wusste, wann ich wo sein werde, was in diesem Fall bedeutet: zum 31.12.2013 werde ich aufhören, als SoloKabarettist auf Tour zu gehen.“ Bei wem soll dann das Publikum „bei jedem halbwegs gelungenen Satz in die Händchen patschen“? Unfassbar. Das darf der doch nicht. Da muss man doch mit heiligem Zorn intervenieren. Schramm hört auf. „Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht“, schrieb Papst Gregor der Große laut Schramm. Aufhören wäre da doch nicht vernünftig. Oder um mit Meister Yodas Dysgrammatismus zu sprechen: „Wenn da ein Wörtchen mitzureden ich habe, sicher nicht.“
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Der Schwachsinn, der uns heute als Politik verkauft wird, geht mir aber so was am Gesäß vorbei.
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Angstfreies Batiken
Peter Schreiner: Pointierter Überblick über die Irrungen und Wirrungen eines 60-jährigen Staates
Einmal Deutschland und zurück – Traunreut, Theaterfrabrik, im Juni 2009
Ein Staat feiert Geburtstag. Unser Staat. 60 Jahre Deutschland. Dieses Wiegenfest hat die „Theaterfabrik“ am Freitagabend würdig begangen: Mathias Mollner und seinem Team ist es gelungen, einen Laudator von Rang zu engagieren – Klaus Peter Schreiner. Kennen Sie nicht? Kennen Sie doch.
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Wer Programme der Münchner Lach- und Schießgesellschaft und Dieter Hildebrandts „Scheibenwischer“ gesehen hat, kennt Schreiner. Seit seiner Studienzeit nimmt er sich der Themen an, von denen sich die Gesellschaft bewegen lässt. Immer mit wachem Auge, immer mit gespitzter Zunge, immer mit Biss und immer geschliffen. Mit seinen Texten machte die Lach und Schieß Furore, mit seinen Texten brillierte Hildebrandt. Er prägte das deutsche Kabarett. In der „Theaterfabrik“ trug der 79-Jährige seine Gedanken selbst vor – zu Ehren des Jubilars: 60 Jahre Absurdistan. „Der Schwachsinn, der uns heute als Politik verkauft wird, geht mir aber so was am Gesäß vorbei.“ Deshalb verzichtet Schreiner auf Tagesaktualität. Die Essenz aus mehr als 50 Jahren Kabarett hat er dabei, „Best of“ würde man so etwas zeitgeistgemäß neudeutsch nennen. Wobei sich dieses Motto verbietet – der weißhaarige Herr, dessen Stimme das Spektrum vom Märchenonkelhaften bis zum Ätzend-Knarzigen alles abdeckt, beherrscht zwar Anglizismen, meisterlich ist jedoch sein virtuoser Umgang mit der deutschen Sprache. Nuanciert, mit sehr viel sprachlichem Feingefühl setzt er seine Pointen. Schreiner ist Moralist. Er darf das – weil er es kann. Nicht wegen seines Alters, sondern seines
Wissens, seiner Beobachtungsgabe, seiner Fähigkeiten wegen. Erstaunlich, nein, erschreckend eigentlich, dass Texte, die zwei, drei und mehr Jahrzehnte auf dem Buckel haben und satirisch die Unzulänglichkeiten bundesrepublikanischer Politik und Politiker beleuchten, immer noch aktuell sind. Schreiner kann es sich leisten, Tagespolitik auszublenden – wie er selbst sagt, liefe er nur noch Gefahr, sich selbst zu zitieren. „Zu dem, was gestern passiert ist, ist mir vorgestern schon etwas eingefallen.“ Geldgeile Manager und Politiker, die jenen nachlaufen, radikal Neoliberale – alle haben dermaleinst von Schreiner aufs Mützchen bekommen. Schreiners Programm „Einmal Deutschland und zurück“ beweist, wie wenig Kabarett bewirkt – und wie gut es dennoch tut, wenn jemand das formuliert, was der kleine Mann im stillen Kämmerlein fühlt und denkt. Meinungsfreiheit bis Pflegenotstand, Sozialismus bis Turbokapitalismus, Technik bis Gentechnik – zu beinahe jedem Gebiet hat Schreiner etwas zu sagen. 60 Jahre Grundgesetz. Natürlich würdigt Schreiner das Jubiläum besonders, auf seine Art. Um den Artikel 5 baut er einen Dialog zwischen einem Wessi und einem „Neufünfländer“, der mit dem Begriff „Meinungsfreiheit“ vorsichtig vertraut gemacht wird. Das allerdings scheitert: Aus „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“ wird „Jeder hat das Recht, ,Bild‘ zu verbreiten“. Was ja faktisch nicht unbedingt falsch ist, die Meinungsfreiheit aber womöglich nicht fördert. Bild dir deine Meinung.
Wie‘s um die unantastbare Menschenwürde bestellt ist – Artikel 1 GG –, beleuchtet Schreiner in seiner Rolle als „Alter Mann“. Die „neuen jungen Alten“, die „ Oldies“, die „50+ Generation“, die „Master Consumers“, die „Best Agers“, die „Happy Enders“ mit Kaufkraft, die dann doch in sozial unverträglichen Seniorenresidenzen vor sich hinfaulen, nachdem sie sich in hochtechnisierten Fitnessstudios den Verstand rausgestretcht, sich bei bioaktivem Ultraleichtkegeln für Höchstbetagte mit Styroporkugeln oder angstfreiem Batiken nach Hildegard von Bingen den letzten Euro aus der Tasche ziehen lassen haben – was dürfen sie noch erwarten? Schreiner zitiert aus einer Pflegeordnung eines Altenheims: „Ernährung: Die mundgerechte Zubereitung einer Hauptmahlzeit einschließlich des Bereitstellens eines Getränkes: Zwei bis drei Minuten. Essen von Hauptmahlzeiten einschließlich Trinken: 15 bis 20 Minuten... Darm- und Blasenentleerung, Wasserlassen, Intimhygiene, Reinigung der Toilette beziehungsweise des Umfeldes: zwei bis drei Minuten. Die Würde des Menschen...“ Schreiner erwartet den Erlass eines Gesetzes, das Über-75-Jährige dazu verpflichtet, bei Rot über die Kreuzung zu robben. Aus Kleinem entwickelt Schreiner das Große, aus alltäglichen Szenen Dialoge um die wichtigen Dinge im Leben. Das ist seine Methode, in fünf Jahrzehnten Kabarett verfeinert, auf die Spitze getrieben. „Einmal Deutschland und zurück“ – mit diesem Programm, mit diesem Kabarettisten hat die „Theaterfabrik“ den bundesrepublikanischen 60. auf das würdigste gefeiert.
Brotzeitteller Yin und Yang
Martina Schwarzmann: Entwaffnend gradlinig, bodenständig, sympathisch – Zeitgeist-Lifestyle-resistent
So schee kons Lebn sei – Trostberg, Postsaal, im Februar 2010
Sie macht kein „Gschieß“. Zumindest nicht auf der Bühne. Pfeilgrad verteilt sie liebenswerte Bösartigund Hinterfotzigkeiten und kommt dabei immens sympathisch rüber. Martina Schwarzmann ist eine, die dem Volk aufs Maul schaut, ohne ihm danach nach dem Maul zu sprechen. Das, was ihr aufstößt, wird in hintersinnigen Liedern abgearbeitet – sie lässt sich den Blick vom Zeitgeist nicht verstellen. Dieser entwaffnend geradlinigen Art hat sich am Donnerstagabend im ausverkauften Postsaal kaum jemand entziehen können – nach dem Schlussapplaus wird kaum einer griesgrämig nach Hause gegangen sein. Sie ist keine virtuose Gitarristin, hat keine strahlende Singstimme, ist keine blendende Lyrikerin – und trotzdem reißt Martina Schwarzmann mit ihrem Programm „So schee kons Lebn sei“ mit. Weil’s Zusammenspiel passt. Ihre Texte, ihr Gesang, ihr Spiel, ihr Vortrag – „authentisch“ heißt so etwas in Kritiken. „Die ist ja so authentisch.“ Das schreibt der Kritiker, wenn ein Künstler dem Klischee seiner Lebensgeschichte entspricht. Die Schwarzmann ist auf dem Bauernhof aufgewachsen, hat einen Hauptschulabschluss und ist gelernte Köchin. Wenn so eine auf die Bühne geht und singt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, dann ist das halt „authentisch“ – weil sich der Kritiker einbildet, dass eine Schwarzmann schlicht so zu sein hat. Das wird ihr aber nicht im Mindesten gerecht. Natürlich gründen sich ihre Texte und Lieder auf ihren Blickwinkel. Aber das, was sie daraus macht, mit vordergründiger Bauernschläue gleichzusetzen, ist zu kurz gesprungen. Sie schaut sich ihre Umwelt nicht weniger kritisch an wie das viele ihrer Kollegen des politischen Kabaretts machen. Aber im Gegensatz zu denen lässt sie bittere Untertöne weg. Damit schafft sie eine intensive positive Grundstimmung, die dem Zuschauer die Freiheit lässt, hinter die anscheinend vordergründig lustigen Geschichten zu blicken, weiterzudenken, wenn er das will.
Die hohe Kunst der Unterhaltung – die hat die Schwarzmann aber so was von drauf. Geschickt wechselt sie zwischen Nummern, die nur amüsant, und Liedern, die hintergründig sind. Da erfährt der Zuschauer etwas über Partys auf dem Lande – womit sie sofort beim Publikum angekommt, weil das die Partys kennt, genauso wie die zugehörigen vorgestanzten Sätze. „Stellt’s die Chips von mir weg, wenn ich da mal anfang, kann ich nicht mehr aufhörn“ zum Beispiel. Diese Beobachtung ist zwar harmlos, aber sie wird nett vorgetragen. Und dann schwenkt sie über zu den Profi-Wellnessern, die niederbayrische Dorfgastwirte mit angeschlossener Dorfmetzgerei dazu zwingen, aus ihren Dorfgasthöfen Wellnessoasen mit Sauna und Fango-Becken zu machen. Die Platte mit rotem und weißem Pressack heißt dann „Brotzeitteller Yin und Yang“. Zeitgeist und Lifestyle – die prallen an Schwarzmann offenbar ab. Im Zentrum ihres Programms stehen sie und ihre Sicht auf die Dinge. Das ist nur ehrlich. Sie schlüpft nicht in andere Rollen, um einen anderen Blickwinkel zu bekommen. Weil sie ihren eigenen Blickwinkel am besten kennt. Und daraus entwickelt sie Texte, die skurril und bizarr genug sind – und zugleich entwaffnend geradlinig und folgerichtig. Die Schwarzmann muss sich gerade Gedanken um den Namen ihres Kindes machen – hochschwanger steht sie auf der Postsaalbühne. Was liegt da näher, als sich mit den Kevins und Jennifers unserer Zeit zu beschäftigen? In überwiegend katholischen Gegenden kann nämlich die falsche Namenswahl das Menschlein bis zur Volljährigkeit um Geschenke im Wert eines Kleinwagens bringen. Wenn Eltern und vor allem Großeltern nicht klar ist, dass Jennifer von Genoveva kommt und am 3. Januar Namenstag hat. Schwarzmanns Blick aufs Leben ist glasklar – so schee kons Lebn sei. Den Ansatz lebt sie auf der Bühne. Natürlich könnte sie sich drüber ärgern, wenn der Mikrofon-
ständer nicht das macht, was sie von ihm erwartet. Sie aber bezieht das ins Programm mit ein. Der Ständer hat eine Schraube locker, das Mikrofon schwenkt langsam nach rechts weg. Immer wieder. Die Kabarettistin will eigentlich als allerletzte Zugabe ein nicht ganz so schönes Lied singen, damit die Trennung leichter fällt. Aber das Mikrofon – es schwenkt weg, langsam. „Da sollte man sich schon Gedanken um die Berufswahl machen, wenn sich sogar das Mikrofon von einem abwendet“, sagt sie – und hat die Lacher, wie schon den ganzen Abend, auf ihrer Seite. Bei so viel Albernheit im Publikum schmeißt sie kurzerhand den Ablauf um. Dann gibt’s halt kein unlustiges Abschiedslied, sondern eins aus dem nächsten Programm, ein lustiges natürlich. Und dem Publikum bleibt gar nichts anderes übrig als zu denken: „Der Schwarzmann hat’s getaugt bei uns.“ Ihr glangt, dass sie woaß, dass sie kannt, wenn sie wolln dat. Aber sie dua‘s ned, weil sie muaß ned, weil ihr glangt, dass sie woaß, dass sie kannt. Drum bleibt sie halt in der Früh mal liegen. Drum steht sie nicht stundenlang vorm Spiegel, um sich aufzubrezeln. Drum erzählt sie Geschichten über Wertstoffhof-Erlebnisse und Erdnussflips-Mikado. Geschichten aus einer kleinen, überschaubaren Welt. Aber aus einer Welt voller Fallstricke, aus einer Welt, die jeder kennt und in der sich jeder orientieren muss. Ob Martina Schwarzmann Orientierungshilfe geben kann, sei dahingestellt. Aber zumindest schafft sie es, die Option eines unverkrampften Blicks anzubieten. Das macht einen Abend mit ihr so wertvoll. Ach ja – Erdnussflips-Mikado ist ein Partyspiel. Halbwegs nüchterne Gäste setzen sich im Halbkreis um eine schlummernde Alkoholleiche und stecken ihr Flips ins Maurerdekolletee. Warum „Mikado“? Sobald sich der Betrunkene rührt, muss derjenige, der den letzten Flip versenkt hat, ein Rüscherl trinken. So schee kons Lebn sei.
Der Martina Schwarzmann glangt, dass sie woaß, dass sie kannt, wenn sie wolln dat. Aber sie dua‘s ned, weil sie muaß ned, weil ihr glangt, dass sie woaß, dass sie kannt.
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Hochgeschwindigkeitskabarett mit untrüglichem Timing
Die Baumeisterin des Merkelschen Erfolgs
Bei Merkels unterm Sofa – Trostberg, Postsaal, im April 2010
Kanzlerinnensouffleuse Simone Solga nimmt Polit-Darsteller unter verbales Schnellfeuer
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Als hätte man’s geahnt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine Souffleuse. Wie sonst könnte ein Spruch wie „Ich bin proaktiv auf diese Kritik eingegangen“ von einer Naturwissenschaftlerin kommen? Aber nicht nur die Kanzlerin hat eine Vorsagerin, auch die Kabinettskollegen nutzen die Dienste von Einbläsern. Simone Solga verriet den Postsaal-Besuchern nicht nur dieses Geheimnis, sie outete sich selbst als Kanzler-Souffleuse – in ihrem Programm „Bei Merkels unterm Sofa“. Harte Zeiten für Kabarettisten. Die Konkurrenz ist groß und wird immer größer. Da muss eine Solga vor einem zu drei Vierteln leeren Postsaal spielen – immerhin „die politische Kabarettistin Deutschlands“, wie Dieter Nuhr sie betitelte. Nicht die eigenen Kollegen machen derzeit den Kabarettisten den Broterwerb schwer – es sind die Karikierten, die die Branche überflüssig zu machen drohen. „Der Computer ist für mich eher so ein ganz einfaches Instrument. Wie ein Hammer oder ein Nagel“, erklärte Guido Westerwelle sein Verhältnis zur IT. „Ich freue mich sehr, dass Herr Schäuble und ich ganz dicht beieinanderstehen, auch wenn ich jetzt stehen muss und er sitzen kann“, sagte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem Finanzminister. „Alle Staaten sollten im Kampf gegen die Todesstrafe gemeinsam an einem
Strang ziehen“, verewigte sich Brigitte Zypries in den Bonmot-Hitlisten. Machen die ihr Kabarett jetzt selber. Keiner muss mehr in den Postsaal gehen. Einfach „Tagesschau“ einschalten und die tägliche Dosis Polit-Nonsens abholen. Ist zwar nicht wirklich lustig, aber die Zeit vergeht. Solange nur immer die den Kopf hinhalten, die die geringste Krisenschuld tragen, gibt’s kein Gegenmittel gegen Politikverdrossenheit. Macht nix, man kann sogar bei einer 20-prozentigen Wahlbeteiligung ganz locker regieren. Auch die Solga hat mit der Verdrossenheit zu kämpfen – sie steckt im Dilemma nicht zu wissen, was sie wählen soll: Vielleicht nur ein Kreuz, dafür ganz groß über den ganzen Stimmzettel? Aber die Idee, den Stimmzettel ungültig zu machen, habe Berlusconi ja schon 2006 pervertiert. „Da hatten die Leute lauter Schimpfwörter und Beleidigungen auf die Wahlzettel geschrieben - ,Du Sau!‘, ,Du Idiot!‘, ,Du Blödmann!‘ – und die hat der als Stimmen für sich ausgezählt.“ Wir haben da ganz andere Schwergewichte. Zum Beispiel den Kanzleramtsminister. Den kann man für voll nehmen, den fast ausgewachsenen Polit-Darsteller, weiß die Souffleuse zu berichten. „Neulich hat die Merkel Pofalla anerkennend auf die Schulter geklopft. Da hat Pofalla ein Bäuerchen gemacht.“
Solga ist die Baumeisterin des Merkelschen Erfolgs. Sie berät die Kanzlerin in Sachen Outfit – wobei die sich ein bisschen beratungsresistent erweist – und schreibt ihr die Reden. Sie lässt täglich Blumen aus Paris kommen, damit die Merkel sich über Sarkozys angebliche Aufmerksamkeit freuen kann. Und sie schaut drauf, dass Prof. Joachim Sauer nie vor einem leeren Kühlschrank steht. Sie ist Geheimnisund Merkelhandtaschenträgerin. Mehr kann einem das Leben nicht bieten. Simone Solga brennt auf der Bühne ein Feuerwerk ab – wobei nicht jede Rakete in allerhöchsten Höhen zündet. Muss aber auch nicht. Im Vorbeirauschen watscht sie Koalitionäre und Oppositionelle ab, nimmt sie unter verbales Schnellfeuer, ganz wie sie’s brauchen. Die Solga ist pure Energie, pures Temperament. Nebenbei beweist sie sich noch als Entertainerin, singt die Eröffnungslieder der beiden Blöcke, und das nicht schlecht. Als Draufgabe spielt sie die rauchende, hochbetagte Großmutter mit russischem Akzent und großem Überblick. Satirikerin, Sängerin, Schauspielerin – sie überzeugt in jeder Rolle. Hochgeschwindigkeitskabarett mit einem untrüglichen Timing. Sie lässt sich auf ausgedehnte Dialoge ein, sie fordert ihr Publikum. Feines politisches Kabarett, das beileibe viel, viel mehr Zuschauer verdient gehabt hätte.
Substanz einer Dokusoap in vier Sätzen „Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben“: Torsten Sträter bringt’s vollendet auf den Punkt
Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben – Traunreut, k1, im Februar 2014
Was für eine coole Socke. Nicht das Dingens auf seinem Kopf. Nee, das ist ein Mützchen, schon so ein Baumwollgewirk, aber eben keine Socke. Beanie nennt man das heute, und wer eine Beanie trägt, ist cool. Wenn er Boarder ist oder sonst irgendwie hip. Und unter 30. Ü30-Beanieträger haben’s meist noch nicht so richtig gerafft, dass sie nicht mehr U30 und somit aus dem Alter raus sind, in dem sie noch zwanghaft cool sein müssen. Dann ist die Beanie zwar cool, ihr Träger aber eher nur so mittel. Torsten Sträter ist 47 und, wie sich leicht errechnen lässt, demnach deutlich Ü30, trägt Beanie und erfüllt oberflächlich besehen das Kriterium, irgendwo zwischen spätjunger Uncooler und spätcooler Unjunger rumzuturnen. Tut er aber nicht. Coole Socke. Sozialisiert in den 80ern, mit all ihren Schrecken, falls sich jemand dran erinnert. Nur die Härtesten überlebten. Wobei, sozialisiert ist zu viel gesagt. Pubertiert hat Sträter in den frühen 80ern. „Pubertieren“ und „sozial“ schließt sich ja doch irgendwie fast aus. Jedenfalls ist der Mann ein Kind, ein Kind der 80er. Wir erinnern uns: Neue Deutsche Welle, Vokuhila und Atari, gebatikte Leintücher an der Wand und Karottenhosen, Schulterpolster, Lavalampen und Netzhemden. Boy George. Und F.R. David. Gruselt’s schon? „Words don’t come easy to me.“ Muss man dann wirklich singen oder hätt’s nicht doch auch ein Instrumental getan? Jedenfalls ist das Sträters psychosozial-kultureller Hintergrund. Das prägt. Wünscht man keinem. Er sich auch nicht. Kann man sich heutzutage auch kaum mehr vorstellen, bei all dem Fortschritt seither. Allein die Medizintechnik, so eine Darmspiegelung, zum Beispiel, die ist heute ein Klacks. In den 80ern schickten sie noch trainierte Frettchen mit Polaroidkameras unter Tage. Zu allem Überfluss, oder hier wohl treffender: Mangel, kommt Sträter aus Dortmund, aus der Stadt, in der der vielleicht zweitbeste Fußball der Republik gespielt wird, demnächst ohne Lewandowski vermutlich auch nur noch der nächstbeste. Aber egal. Die Zeit der kulturellen Diaspora mit all ihren pseudomusikalischen und modischen Irrwegen hat er
überlebt, Ruhrgebiet auch. Und Fußball interessiert ihn eh nicht. Verständlich, als Dortmunder. Kernkompetenzen liegen da eher bei Pommes Schranke und Taubenzüchten. Aber vermutlich verstehen selbst davon Tauben mehr. Kurz, man kann sich günstigere Umstände vorstellen ins Leben geworfen zu werden. Da musste durch, mit eisernem Willen und Selbstdisziplin. Hat er, der Sträter. Eherne, stählerne, titanene Willenskraft. Er kann sie nur nicht immer zeigen, vor allem bei Diäten. Folgerichtig heißt sein Programm „Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben“. Wenn ohne Selbstbeherrschung derart lustig ist, dann, guter Rat: In Zukunft nur noch ohne. Vorsichtshalber sollte er vielleicht nur in Kegelbahnen auftreten. Zum Rumkugeln brauchste Platz. Richtig ausleben, mit vollem Körpereinsatz, kann man sich in einem voll besetzten k1-Studio nämlich nicht. Aber ‘s ging grad so. Vielleicht würd’s auch schon helfen, wenn Sträter den Saal bespielen dürfte. Aber da war ja diese andere Humorveranstaltung, die mit den Bürgermeisterkandidaten. Was ist das eigentlich, was dieser Sträter macht? Kabarett, Komik, Comedy? Komplett Fleischwurst. Weil‘s krass ballert. Pause gönnt der keinem, immer feste drauf, und noch einen drauf. Und das trocken, staubtrocken, knochentrocken, todesplanetentrocken. Ein knochentrockenes Plaudertäschchen, dieser Sträter. Erzählt dies und das, hier was Familiäres, dort was Berufliches, dann streut er wieder etwas Gelesenes ein, zwischendurch ein lockeres Gespräch mit Zuschauern oder dem Studiotechniker. Man weiß nie: Ist das noch Programm, schon improvisiert oder schon wieder Programm? Der Typ spricht in einer Tour, aber er quasselt nicht, haspelt nicht, kaspert nicht. Das hat richtig Substanz, was der da verzapft. Nur eben lustig. Nicht gesellschaftskritischlustig, nicht bülentceylanlustig, gottlob, mehr so alltagslustig. Lustig lustig. Ohne Trallala. In vier Sätzen arbeitet der die komplette intellektuelle Substanz einer Dokusoap auf. Nicht dass die intellektuelle Substanz einer Dokusoap mehr als vier Sätze hergeben würde, zumal es sich um „Goodbye Deutschland. Die Auswanderer“ handelt.
Macht man sich ja keine Begriffe von. Oder haben Sie schon mal versucht? Die Substanz? In vier Sätzen? Na eben. Macht der Sträter, und kann er. Biste baff, Sträters Inhaltsangabe, voll der Klumpen: „Tätowiertes Ehepaar aus Bottrop überlegt sich: Wir machen im Dezember auf Ibiza einen Laden für Einlegesohlen auf, und wenn’s rappelt, nehmen wir noch Wäscheklammern mit rein. Ohne Spanischkenntnisse, aber dafür mit 200 Euro Startkapital und drei Dänischen Doggen. Yippie, die kriegen wir zurück.“ Prinzip verstanden? Super. Müssen Sie „Die Auswanderer“ nicht mehr gucken, haben wir Freiräume geschaffen, für „Rosins Restaurants“. Anderen beim schlecht Essen zuschauen, auch toll. Intime Dokusoapkenntnisse, exzessive Ego-Shooter-Trainingslager, Poetry-Slams und Lesereisen, hie und da ein Buch schreiben, Lebensgefährtin, ein zehnjähriger Sohn – das muss man erst mal unter einen Hut bringen. Gut, von der Freundin musste man sich trennen, nach einem Douglas-Besuch, Sie wissen schon: „Douglas macht das Leben schöner.“ Sträter nennt das „Frieden durch Distanz“. Er hat ein finanzielles Arrangement mit der Mutter seines Sohnes geschlossen. Ein einseitiges finanzielles Arrangement, kennt man ja. Davon und von anderen Absurditäten erfährt der Zuschauer, alles erfährt er. Sträter sagt, was Sache ist. In seinem abstrussonoren Parlando erzählt er, dass er grad „Shades of Beige“ schreibt. Wer „Shades of Grey“ kennt, weiß wie Sträter, dass das auch keiner braucht. So dringend wie „Die Rückkehr der Wanderhure“, die nur noch durch „Bonusmeilen für die Wanderhure“ zu toppen ist. Geh mir weg mit diesem historischen Romangedöns. In Zukunft nur noch, wenn es nicht in der Vergangenheit spielt. Aber von Sträter muss es sein, dann kann‘s was. Nicht dass der Eindruck entsteht, der Sträter würde nur Nonsens machen. Ja nie. Er hat ihn nicht nur erforscht, den Sinn des Lebens, er hat ihn dechiffriert. Und er lässt sein Publikum am Königswissen teilhaben: Der Sinn des Lebens ist – Trommelwirbel – Moment, Fanfarenstoß – ist „in Bewegung bleiben, regelmäßiger Stuhlgang, mach dich nützlich und tritt niemandem auf die Füße“. Na denn, macht mal.
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Der Sinn des Lebens? In Bewegung bleiben, regelmäßiger Stuhlgang, mach dich nützlich und tritt niemandem auf die Füße.
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Gattensuche mit singender Säge
Nessi Tausendschön – Sängerin, Kabarettistin, Musikerin, Ausdruckstänzerin und betrunkener Schutzengel
Seit über 20 Jahren steht Nessi Tausendschön auf deutschen Kabarettbühnen, sie ist Trägerin des Deutschen Kabarettpreises, des Salzburger Stiers und des Deutschen Kleinkunstpreises in der Sparte Chanson/Musik/Lied. Ihre CD „Hide and Speak“, die sie mit dem kanadischen Gitarristen und Komiker William Mackenzie aufgenommen hat, wurde auf Bayern 2 von den Fachredaktionen zum „Bayern 2 MusikFavorit der Woche“ erklärt. Und was in Zeitungskritiken schon alles über sie geschrieben wurde: Adelsdame der Unterhaltung, zarter Rauschgoldengel, emotionaler Wirbelsturm, koloraturstrahlende Stimme. Massenhaft hervorragende Referenzen für ein potenzielles Massenpublikum. Doch das war am Freitagabend abwesend. Der Postsaal blieb zu nahezu neun Zehnteln leer. Aber dafür war ja am vergangenen Dienstag, als Grünwald seine Uralt-Zoten riss, die Hütte rappelvoll. Qualität setzt sich nicht immer durch. Nessi Tausendschön ist Reisende in Sachen Frustschutz. Wobei ihr das beim Anblick der leeren Plätze selbst wohl am meisten geholfen hat. Und das Publikum bemühte sich mit Erfolg, die Abwesenheit des Restpublikums durch kräftigen Applaus zu kaschieren. Gelegenheiten für begeisterten Beifall gab’s reichlich – das Frustschutzmittel wirkte. Frauen und Kabarett – das ist nicht immer eine glückliche Liaison. Bei Nessi Tausendschön aber funktioniert’s prächtig. Wobei ihr Programm über ein landläufiges Kabarett weit hinausgeht: Sie singt, sie deklamiert, sie musiziert, sie tanzt – ganz groß
ist sie im Ausdruckstanz. 17 Ausdrücke kann sie schon: Sie tanzt Missgunst, Pixel und ein Löschblatt. Pina Bausch ist tot, es lebe Nessi Tausendschön. Als Instrumentalistin hat sie sich Instrumente erkoren, die in der Musikwelt zu Unrecht eine nachgeordnete Rolle spielen: die singende Säge und das Theremin, das durch den Abstand beider Hände zu zwei Antennen berührungsfrei gespielt wird, wobei eine Hand die Tonhöhe, die andere die Lautstärke verändert. Mit ihrer singenden Säge bildet Tausendschön einen stimmgewaltigen Frauenchor, der sich tonsicher durch die Koloraturen orgelt. Als Sängerin ist sie eine Mischung aus Kate Bush und Norah Jones – sagenhaft; als Kabarettistin nimmt sie den Zeitgeist – und sich selbst aufs Korn. Dabei verfällt sie nicht ins „Menstruationskabarett“, wie sie es selbst nennt, in dem sich beispielsweise zu weiten Strecken die Missfits gefielen. Diese Mischung ergibt das Bild, das Nessi Tausendschön „skurril-poetisches Musiktheaterkabarettvarieté mit akrobatischen Einlagen“ nennt. Sie erscheint als verhuschte Gabi Pawelka aus dem Osten, die das Motivationsseminar „Scheitern als Chance/ Selbstsicheres Auftreten bei totaler Unzulänglichkeit“ mitgemacht hat. Dieser Kurs hat Pawelka zu einer Kompetenz bei der Work-Life-Balance verholfen, die sie nun ans Publikum weitergibt. Nicht ganz uneigennützig. Weil sie im Saale einen Gatten, einen Lebensabschnittsgefährten zu finden hofft. Ihre Hobbys sind Kochen, Backen, Stricken, Makramee, Seidenmalerei und Ikebana – sie erstellt Trockengestecke in den Landesfarben, die sie dann in ihrer Frauengruppe raucht. Der gute Gatte, der womöglich schon in der Dunkelheit des Postsaals saß, muss nicht schön sein, denn Gegensätze ziehen sich ja an. Er sollte schon dunkelhaarig sein, zumindest sollte er noch Haare haben oder wenigstens wissen, welche Haarfarbe er mal hatte. Außerdem sollte er im Besitz aller Gliedmaßen und der deutschen Sprache mächtig sein. Er sollte in einem Beruf mit Zukunft arbeiten – in der Computertomographie oder in der Pelzzucht oder im Weinanbau. Und Kinder möchte die Gabi haben. Der letzte Wunsch Pawelkas an den zukünftigen guten Gatten betrifft dessen Mutter.
Die sollte schon tot sein. „Burschen, deren Mütter noch leben, sind oftmals sehr verwöhnt, und die erwarten dann zu viel von mir. Und das möschte isch nüscht.“ Der Andrang zeugungsfähiger Heiratskandidaten hielt sich im Postsaal in ganz engen Grenzen. Wahrscheinlich nur, weil so wenig Zuschauer da waren. Frau Tausendschön ist nicht nur Gabi Pawelka, sie ist auch ihr eigener Schutzengel. Mit blonder Perücke, im weißen Kleid mit Engelsflügeln und einer Flasche Wein stolpert sie auf die Bühne, irgendwo zwischen Ingrid Steger und Marilyn Monroe. Alle, bei denen es im Leben nicht ganz rund läuft, haben Schutzengel mit kleinen Fehlern oder gar Macken. Frau Tausendschön ist melancholisch – und ihr Schutzengel säuft. Ein Rauschgoldengel quasi, der muss nicht fröhlich sein, um zu trinken. Horst Seehofers Schutzengel übrigens – ist schwanger. Zum zweiten Mal. Der Schutzengel der SPD ist leider amputiert. Am linken Flügel. Schnipp schnapp, alles ab. Und der Schutzengel von Guido Westerwelle trägt ein Arschgeweih. Weil es Frau Tausendschön in ihrem armseligen depressiven Kabarettistinnenleben wohl niemals gelingen wird, ein positives Lied zu singen, übernimmt das ihr Schutzengel: „Ich seh Bienen und Lerchen – und Gummibärchen“ singt sie zur Meldodie von „What a wonderful world“. So positiv, wie ein Engelchen nur singen kann. Bis der Alkohol einschlägt. Dann haut der Weltschmerz lallend zu. Sie sieht das Wetter und den Islam – beides extrem. Und die lieben Kinder, die jetzt nicht mehr Kinder heißen, sondern Kids. Und die Jugend von heute, die überhaupt keine Kultur mehr hat. „Die wissen doch nicht einmal mehr, wer Fury war.“ Furios jagt Nessi Tausendschön durch ihr Programm, genial begleitet vom stoisch ruhigen Gitarristen Mackenzie. Der legt sein augenscheinliches Phlegma nur einmal ab – als sich Nessi Tausendschön hinter der Bühne das Kostüm wechselt. Da gibt der Kanadier den Musikclown – und zeigt, dass er nicht nur als Begleiter der Künstlerin glänzen kann. Allein gelassen, hat er den Schalk im Nacken und herzliche Lacher auf seiner Seite. Ein grandioses Duo, das beileibe ein großes Publikum verdient hat.
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Frustschutz – Trostberg, Postsaal, im April 2010
Das Tausendschön ist mit seinen dicht gefüllten Blütenbällchen eine Verwandte des Gänseblümchens und entsprechend anspruchslos. Nessie ist ein Sommerlochvieh, das im schottischen See Loch Ness in der Nähe der Stadt Inverness sein Unwesen treibt und neben Bigfoot und Yeti eines der bekanntesten Fabeltiere ist. Nessi Tausendschön ist nichts von Beiden – erstens schreibt sie ihr „Nessi“ nicht mit einem „e“ am Schluss, zum zweiten ist sie kein Fabeltier, sondern fabelhaft, und drittens hat sie mit der Anspruchslosigkeit des Gänseblümchens nichts am Hut.
Skurril-poetisches Musiktheaterkabarettvarieté mit akrobatischen Einlagen 70
Weiteren Lesestoff aus dem Leben eines Kulturschreiberlings gibt‘s unter issuu.com/AndreasFalkinger/docs/kultur?mode=window
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Bitterbös und selbstironisch geht anders Weber & Kreß mit „Radikal alt“: Wenig schlüssig, wenig überraschend – aber der Titel passt
Radikal alt – Trostberg, Postsaal, im Juni 2010
Überraschendes Konzept – zumindest für ein Kabarettprogramm. Der gemeine Kabarettist versucht doch in der Regel, im Titel seines Programms den Inhalt verklausuliert anzudeuten. Muss ja nicht jeder sofort durchschauen, worum sich’s dreht. Da gehen Manfred Weber und Tom Kreß aber ganz andere Wege. Mit „Radikal alt“ sind die beiden unterwegs. Völlig überraschend: Es handelt von radikal alten Radikalen. Und der Witz, den das Programm – naja – versprüht, ist von wenn nicht radikal alter so doch zumindest radikal hausbackener Art. Das Positive vorab: Zumindest verspricht der Titel nicht zu viel.
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„Radikal alt“ beweist: Ganz wichtig beim Kabarett ist der Text, mit dem fürs Programm geworben wird. „Das Duo Weber & Kreß stellt auf unnachgiebig bitterböse und selbstironische Weise das Altwerden des Menschen und des Mannes im Speziellen auf den Kopf.“ Könnte was werden. Aber nein. Vielleicht liegt’s dran, dass die beiden etwas radikal anderes unter „bitterböse“ und „selbstironisch“ verstehen. Wo ist die Selbstironie, wenn sich ein 42- und ein 52-Jähriger graue Perücken aufsetzen und einen 83-Jährigen im „Alt werden ist nichts für Feiglinge“T-Shirt beziehungsweise einen 93-Jährigen im AC/ DC-T-Shirt mimen? Selbstironie hat meist mit der Lebenswirklichkeit zu tun, in diesem Fall mit den Menschen hinter den Schauspielern. Sollte das hier zutreffen, wären beide frühzeitig gealtert. Oder ist
es etwa selbstironisch, wenn der 42-Jährige einen 42-Jährigen mit Potenzproblemen darstellt? Wenn ja: Wer wollte derart detaillierte Einblicke ins reale Intimleben des realen 42-Jährigen? Die Geschichte mit der Selbstironie ging jedenfalls, um im Bild zu bleiben, in die Hose. Ist „Radikal alt“ dann wenigstens bitterbös? Aber nein. Von Anfang an nicht. Kreß macht den Kaffeefahrt-Verkäufer. Schmierig, mit österreichischem Akzent, da hat man als Kabarettist in Oberbayern gleich gewonnen. Loswerden will er Windelhosen für Senioren. Und weil die Qualität der Windel zu demonstrieren ist, muss ein wahllos aus dem Publikum herausgegriffener Weber seine Hosen runterlassen – völlig unvorhersehbar natürlich. Diese Episode hat mit dem eigentlichen Programm nur marginal zu tun. Windelhosen für Senioren als Hinführung zu den alten Säcken, die sie danach – meistens – spielen. Wenig schlüssig. Zwischendurch wechseln sie kurz die Rollen – sie gehen zurück in ihr derzeitiges Mittelalter, sind eine blond perückte Prostituierte, eine tschetschenische Altenpflegerin und ein schmieriger Pfleger. Meistens sind sie aber alte Säcke. Inkontinent, impotent, dement bis grenzdebil. So prangern Weber und Kreß den Umgang der Gesellschaft mit den „nutzlosen Alten“ an. Auch wenig schlüssig. Genauso wenig wie der Regiekniff, dass während der Darstellung der Prostituierten der weibliche Part des Ge-
sprächs von Band eingespielt wird, vorgelesen von der Regisseurin Angelika Baier. Das erschließt sich zum einen nicht – und zum anderen stimmen auch die Einsätze nicht. Enorm gesellschaftskritisch bringen die beiden dann den Begriff der Seniorenabwrackprämie ins Spiel, was kaum leidlich komisch ist. Die Dramaturgie schreibt ihnen vor, dass sie sich zu radikalisieren haben, wobei das der Pfleger mit Valium unterbindet. Die als Greise verkleideten Männer verkleiden sich als Frauen, nehmen – und jetzt wird’s massiv politisch – Bayerns Sozialministerin und Polit-Schwergewicht Christine Haderthauer – deren Angelika-Baier-Stimme übrigens auch vom Band kommt und deren Einsätze auch nicht richtig funktionieren – als Geisel, kapern ein Space Shuttle und fliehen auf einen erdähnlichen Planeten oder Stern, so genau wissen die das nicht, um von dort ihre Forderungen an Seehofer & Co. zu richten: Unter anderem soll Schuhbeck für die Alten kochen und jeder soll fünf junge Pflegerinnen bekommen – also genau die Bedürfnisse, die alte Menschen am meisten plagen, sollen befriedigt werden. Ganz unvorhersehbar wachen die beiden aus ihrem Valium-Rausch auf – alles nur geträumt. Ein neuer Plan wird ausgeheckt – die debile HaderthauerOma soll auf die Fraueninsel entführt werden, um die Forderungen letztlich doch noch loszuwerden. Was ein Dreh. Und so bitterböse und selbstironisch.
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Zwei Schauspieler, die sich als alte Männer verkleidet haben, die sich als alte Frauen verkleidet haben, mit einer Teppichrolle, die sich als Christine Haderthauer verkleidet hat. Das Stück lebt von den täuschenden Verkleidungen. Vom Inhalt eher weniger.
Wenn der Lackierer subversiv bieselt „Das Leben ist eine Scheibe“, sagt der dreimalige Schützenkönig auf dem Klo im Chieminger Strandkurhaus, „teffen muaß ma‘s.“ Sagt er und trifft den Rand des Pissoirs, dass es nur so spritzt. Überhaupt die Biesler und Brunzer haben‘s dem Sigi Zimmerschied angetan. Der Lackierermeister Maurer aus Passau brunzt ein ganzes Straßeneck weg – 40 Jahre lang verrichtet er sein subversives Geschäft zwischen Mauer und Trafohäuschen und verewigt sich so in der Passauer Stadtgeschichte. Zimmerschied führt das fort.
Der desillusionierte Gottvater, die Maria, die schon wieder schwanger ist, der Heilige Geist, der sich nicht noch mal einen Schrazen anhängen lassen will, Freak ,,Tschises“, Arbeitgebervertreter und damit eigentlicher Machthaber Petrus, Arbeitnehmervertreter Paul – seinen Gestalten ordnet Zinmerschied charakteristische Körperhaltungen, Mienen zu. Das Gespräch der sechs wird immer schneller, bis zum Stakkato. Doch hundertprozentig hat Zimmerschied das richtige G‘schau zum richtigen Zeitpunkt. Da lebt Zimmerschied sein Programm.
Wortgewaltig wütet er gegen Stumpfsinn, Dummheit und Bequemlichkeit, gegen Menschen, die „political correctness“ zum Vorwand für blinde Parteigängerei, Denkverweigerung und hohles Nachbeten leerer Politparolen nehmen. Er ist kein Roter, kein Grüner, am allerwenigstens bekennt er sich zu Schwarz oder gar zum Klerus. Zimmerschied liegt das, was gemeinhin als gesunder Menschenverstand bezeichnet wird, am nächsten. Das allein würde einen guten Kabarettisten ausmachen. Zimmerschied kann mehr. Er kann schauspielern.
Noch stärker wird der Kabarettist nach der Pause. Ein Klassentreffen stellt er dar mit acht Hauptpersonen. S‘Annerl und der Franz, die beiden Organisatoren des Treffens – sie gefrustete Hausfrau, er am liebsten Bierdimpfl –, der Anton, der jetzt im Landtag sitzt, und sein persönlicher Speichellecker und Beamter „Bummerl“, der bornierte Arzt Elmar, die alternative Lehrerin Reni, Punk Anschi und der Herr Prälat. Alle Klischees werden bedient, die Akteure kehren ihre auseinanderstrebenden Lebensphilosophien um und richten sie auf einen Punkt. Selbst-
verständlich kommt es zur Explosion. Zimmerschied spuckt und schreit, springt auf, ist blasiertherablassend, lispelt schüchtern, volltrunken, dreht nicht vorhandene Locken, duckmäusert, ist herrisch-selbstgefällig, wutentbrannt lässt er seine Augen hervorquellen. Das Weltbild, das Zimmerschied da zeigt, ist kein positives, voller Erbärmlichkeiten, Neid und Wut. Aber es ist hinterkünftig, lustig. Selten hat ein Kabarettist sein Medium, die Sprache, so treffsicher parat wie Zimmerschied. Er schaut hinter die Wörter, entlarvt hohle Sprüche, zeigt die Mitläufer. So vermittelt er seine Wahrheiten. Wenn dann der dreimalige Schützenkönig, der im Chieminger Strandkurhaus seinen Titel feiert, dort den Zimmerschied auf dem Klo und beim Bieseln den Pissoirrand trifft, dass es spritzt, Zimmerschied nur noch einen Sturz vortäuschend abtauchen kann und doch vom zuvorkommenden Biesler aufgefangen wird, dann ist‘s schon zu verstehen, wenn der sagt: „Das Leben ist eine Scheibe. Treffen muaß ma‘s“. Der Auftritt war auf alle Fälle ein Treffer.
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Klassentreffen – Trostberg, Postsaal, im Februar 1999
Sigi Zimmerschied enttarnt beim „Klassentreffen“ brachialverbal erbärmliche Mitläufer
Das Leben ist eine Scheibe. Treffen muaß ma‘s. 73
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Was ist ein „Diddihasi“? Der Mensch, der sich kleiner macht, als er ist. Dieter wird zum Diddi, Harald zum Haddi, Ludwig zum Luddi. Beschäftigt sind sie mit Hosigaggi und Tittinucki.
Kampf gegen die Achse des Blöden
Diddihasi – Trostberg, Postsaal, im April 2003
Zwischen Kreuzworträtsel, Fitnessstudio und Comedy: Zimmerschied wütet gegen die Banalisierung
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Die Schleimer hat er im Visier, die Kleingeister, die Opportunisten, diejenigen, die erfolgreich jeden originären Gedanken umgehen und ihre Hirntätigkeit zu Tode amüsiert haben, die Massenkompatiblen, die Umfaller. Die machen’s ihm aber auch leicht, über sie herzuziehen. Sie gibt’s in Massen: die Kollegen von der Comedy-Fraktion, das Publikum – er ist umzingelt.
seinen Code preis: Wenn‘s Mundwinkerl zuckt, dann kommt was Witziges, also: Lachen! Das versteht der Comedy-Junkie, das kennt er von Johann Köhnich (Anmerkung: Der schreibt sich inzwischen Johann König). Aber wenn sich Zimmerschied dann selbst beobachtet, wie er hohle Phrasen drischt, die oberflächliche TV-Sprache benutzt, dann würgt‘s ihn, den wortgewaltigen Poeten des Bairischen.
So einfach allerdings zieht sich der Kabarettist Sigi Zimmerschied nicht aus der Affäre. Das wortgewaltige niederbayerische Kabarett-Schwergewicht beschränkt sich nicht auf die Publikumsbeschimpfung, obgleich es auch im Postsaal unter den 250 Zuschauern – rein statistisch gesehen – etliche Diddihasis vermuten muss. Zimmerschied zieht den Kampf gegen die „Achse des Blöden“ an seiner Person auf.
Zimmerschied versucht scheinbar sich zu zähmen, sich den Konsumenten zugänglich zu machen, ja anzubiedern. Selbstredend schlägt das fehl. Ein Zimmerschied lässt sich das Rückgrat nicht verbiegen. Es fliegt der Stuhl, er spuckt, er keift, die Wut scheint echt. Zimmerschied erklärt die Welt und nicht den Witz. Er wird auf der Bühne kein „Diddihasi“, und wenn er sich noch so sehr anzustrengen scheint.
Angreifbar, von Selbstzweifeln gequält zeigt sich Zimmerschied. Soll er dem Zeitgeist nachgeben, soll er platte Pointen produzieren und es so in den „Quatsch Comedy Club“ schaffen? Soll er Qualität gegen Quantität eintauschen? Soll er sich verkaufen? Soll er die Konsumenten dort erwischen, wo sich die meisten aufhalten – irgendwo zwischen Kreuzworträtsel, Fitnessstudio und Comedy, in der Achse des Blöden?
Was ist denn eigentlich dieses „Diddihasi“? Der Mensch, der sich kleiner macht, als er ist; der Mensch, der seine Umwelt reduziert, um sie überblicken und sich in diesem überschaubaren Umfeld besser positionieren zu können. Dieter wird zum Diddi, Harald zum Haddi, Ludwig zum Luddi. Sie sind beschäftigt mit Hosigaggi und Tittinucki, entdecken die Frauen, die sie fortan Hasi nennen und heiraten schließlich – das Hasi wird zur Mutti. Alles schön übersichtlich, klein, unterwürfig, keines weiteren Gedanken wert. Der kleine Mensch ist im Gleis.
Zimmerschied probiert‘s. Er will dem urtümlichen, dem derben, dem kracherten bairischen Wort abschwören und seinem Publikum Leichtverdauliches servieren. Und damit es das auch versteht, gibt er
Das Gleis aber genügt Zimmerschied nicht, das Kabarett genügt ihm nicht. Er macht es zum Kammer-
spiel. Sein Programm ist ein Ein-Mann-Theater. Sein Mienenspiel, sein Ausreizen jeder Nuance seines Tonfalls machen ihn zum Schauspieler, mehr noch, zum Charakterdarsteller. Er fesselt sein Publikum, fordert es, duldet keine Unaufmerksamkeit. Zimmerschied wettert nicht nur gegen Berieselung. Er hat die darstellerische Größe, die Bühnenpräsenz, um auf diese Diddihasisierung verzichten zu können. Natürlich fließt das politische Tagesgeschehen in sein Programm ein. Doch der Irakkrieg ist nur Nebenkriegsschauplatz in „Diddihasi“. Bush und Rumsfeld werden kurz und knapp gewürdigt – „Über Behinderte mach‘ ich keine Witze“. Im Vorbeigehen erklärt er den Unterschied zwischen „intelligenten“ und „dummen Bomben“: Eine dumme Bombe ist riesig und hat einen winzig kleinen Lenkkopf – „treffender ist Bush noch nie beschrieben worden“. Natürlich gibt‘s auch wieder Seitenhiebe auf CSU und Stoiber. Aber Politik bestimmt das Programm „Diddihasi“ nicht. Zimmerschied reflektiert die Gesellschaft anhand der Person, die er am besten kennt: sich selbst. Weil er weiß, dass auch er immer wieder Gefahr laufen wird, zum Siggibubi zu mutieren. Mit „Diddihasi“ liefert er nicht nur die Parodie seiner Umwelt ab – es gelingt ihm, sich selbst zu parodieren. Und als im Kampf gegen die Verdummung zu hohen Ehren Gekommener wird er weiter der Banalisierung seiner selbst entgegenstehen.
Mit dem Pissoir auf Augenhöhe
Scheißhaussepp erschließt sich die Welt aus der Perspektive eines Porzellanhohlkörpers
Scheißhaussepp – Trostberg, Postsaal, im April 2005
Ein Beamter allein – kein Problem. Ein ganzes Finanzamt – Furcht einflößend. Das ist fast so wie mit dem Trostberger: Einer allein – überlebensfähig. Ein ganzer Stammtisch voll – eine Weltmacht! Sigi Zimmerschied hat sich vorbereitet. Als Josef Lana lobt er die öffentliche Bedürfnisanstalt an der Bayernstraße. Und dieses Lindgrün! Ein Traum für alle, die noch Bedürfnisse haben. In schneller Folge rotzt er flache Witze über den Trostberger raus. Das Publikum johlt. Zimmerschied alias Lana zückt sein Notizbuch und notiert die Applauspunkte. Die Höchstpunktzahl gibt‘s nicht, erklärt Zimmerschied, dafür hätten die Gags doch zu wenig Tiefe gehabt. Aber das werde durch Geschwindigkeit einigermaßen wettgemacht. 120 Punkte braucht er insgesamt. Unbedingt. Ein weiter Weg. Josef Lana ist Facility Manager im Dienstleistungsbereich. Na ja, eigentlich besitzt er eine öffentliche Bedürfnisanstalt. Er ist halt der Scheißhaussepp. Von Kindesbeinen an ist der Sepp mit dem Pissoir auf Augenhöhe. Die Gesellschaft erschließt sich ihm via Porzellanschüssel. Der Wirtschaftswunderschiss ist ihm genauso geläufig wie das körnige HippieExkrement. Er kennt‘s am Klang. Er kann den CSUvom SPD-Stadtrat am Pressgeräusch unterscheiden. Die New-Economy-Blase ist für Lana ein Organ der Ausscheidung von Stoffwechselendprodukten. Ein halbes Jahrhundert lang hat Lana, der die Toiletten in fünfter Generation verwaltet, das Ohr am Rohr, in dem der Puls der Zeit schlägt. Das Geschäft mit dem Geschäft geht schlecht. Oben genannte Beamte machen dem Scheißhaussepp das Leben schwer: Umzusetzende Verordnungen, Rechnungen, Steuern, Abgaben – es ist nicht leicht, Kleinunternehmer zu sein. Der Scheißhaussepp steht vor dem Konkurs. Doch er will sein Unternehmen, seine Existenz retten, bevor sie vollends den Bach runter geht. Und macht den Fehler seines Lebens: Er betritt ein Amt. Der Griff ins Klo! Der verbeamtete Abluft-Beauftragte erkennt das Talent Lanas: Diese Mimik, diese Ausdruckskraft!
Fortan muss der Scheißhaussepp seine Stromrechnung als Amtskabarettist abarbeiten. 120 Punkte braucht er, dann hat er’s geschafft. Die ComedyOdyssee durch die Amtsstuben beginnt. Der Postsaal ist so eine Amtsstube. Sepp muss sein Publikum zum Lachen, Johlen, Klatschen, Trampeln bringen. Sonst gibt’s keine Punkte. Zimmerschied spannt den Bogen vom Tsunami bis zum Hirn von George W. Bush. Bush und Hirn in einem Satz? Selbstverständlich gibt das Punkte. Je opportuner ein bejubelter Witz, desto flinker zieht Zimmerschied sein Notizbüchlein. Der Zuschauer soll ruhig spüren, dass sein Lachen auch mal nicht ganz korrekt sein könnte. Zimmerschied entlarvt Gemeinplätze, macht sich zum Gaudi-Stricher, zum Comedy-Prostituierten und zeigt, dass der Kabarett-Konsument, der lacht, auch nur ein Freier ist. Der „Scheißhaussepp“ ist nicht zuletzt Publikumsbeschimpfung. Aber das ist schon in Ordnung so. Schleimer und Winsler gibt’s genug. Zimmerschieds „Scheißhaussepp“ geht weit über die Grenzen eines Kabarettprogramms hinaus. Zimmerschied auf der Bühne ist ein Schauspiel, ein Ereignis, er ist personifizierter Kampf gegen die gesellschaftliche Diarrhöe, gegen den Auswurf gesellschaftlich anerkannter, kranker Gehirne, er ist Sozialkritik auf allerhöchstem Niveau. Eingewoben in die beileibe nicht einfach gestrickte Erzählstruktur wird auf alles geschossen – in diesem Fall eher geschissen –, was sich im Siphon des Zeitgeistes sammelt: Auf den Schöpfungswitz Küblböck und auf die, die ihn zur medialen Größe gemacht haben; auf joviale Beamte, die sich bei allem Kleingeist in scheinbar generöser Größe zeigen; auf Manager und Politiker, auf den Klerus, die Unterhaltungsund Medienindustrie. Die Medien… Gegenwart erschließt sich Zimmerschied a.k.a. Scheißhaussepp über die Zeitungslektüre. Er liest allerdings anders. Er will den Überblick von unten behalten, er liest großräumig im Kleinen, stellt Zusammenhänge her, wo keine gewollt sind.
„Wir sind Papst“ heißt es auf der Titelseite der „Bild“-Zeitung. Und auf der anderen Seite steht geschrieben: „Teufel tritt zurück“. Hier kann doch ein innerer Zusammenhang nicht geleugnet werden. Überhaupt, dieser Benedikt: „Wer vier Tage vor seiner Wahl Toleranz und Weltoffenheit als Relativismus verdammt, der reißt keine Bretter weg von den Köpfen. Der streicht sie höchstens neu.“ Der Scheißhaussepp ist ein grober Lackl. Mit Inbrunst ahmt er Furzgeräusche nach und ordnet sie Generationen und Bevölkerungsschichten zu, er ergeht sich in Fäkalsprache – aber wer dürfte das sonst, wenn nicht der Scheißhaussepp? Der Niederbayer erschließt sich seine Sicht der Dinge konsequent von seinem Platz aus. Und der ist am Rande eines Porzellanhohlkörpers mit einer Wasserrinne am oberen, inneren Rand, einer Klobrille und einem Deckel. Aus dieser Perspektive wird selbstredend auch der Politiker wieder zum Menschen. Der Huber Erwin etwa, ein kleiner, niederbayerischer Mann. Der aber plötzlich immens wichtig wird, kaum baut man eine Staatskanzlei um ihn herum. Wieder ein Lacher. Und wieder ein paar Punkte näher am Erhalt der Bedürfnisanstalt. Scheißhaussepp erklärt uns nicht nur Menschen, er erklärt uns auch Phänomene. Wie erreicht man beispielsweise Vollbeschäftigung? Kein Problem: Man gründe eine Ich-AG, stelle sich selbst aus, gehe dagegen jeden Montag auf die Straße – und endlich ist man voll beschäftigt. Das reicht! 121 Punkte! Das Trostberger Publikum hat ihm sein Scheißhäusl souverän gerettet. Zugabe?! Wo ist der Ausgang? Es gibt keinen. Der Kabarettist steckt fest in der Leichenkühlkammer der Geschichte. Immer und immer wieder muss er durch, durch die Tretmühle in die Niederungen des Dünnschisses der Gesellschaft, rechts Herrenklo, links Damenklo, in der Mitte eine Sozialwohnung, am Mittwoch in Trostberg, gestern in Ebersberg, heute in Straubing. Bedürfnisse gibt’s eben überall.
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Wie erreicht man Vollbeschäftigung? Man gründe eine Ich-AG, stelle sich selbst aus, gehe dagegen jeden Montag auf die Straße – und endlich ist man voll beschäftigt.
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Dünne Brettlein gebohrt
Tsunamiwarnung: Sigi Zimmerschied spuckt sich durchs Programm „Geh leckt‘s mich doch am Arsch.“ Brillanter Einstieg. „Danke fürs Angebot, aber ich speib‘ dir heut noch nicht mal ins Gesicht“, möcht‘ man ihm antworten. Doch der dreht den Spieß postwendend um – er spuckt die Zuschauer an. Nicht bildlich, nein konkret. Pfui Deife eigentlich. Aber wenigstens kommt überhaupt was Konkretes von der Bühne. Was das betrifft, hat Sigi Zimmerschieds neues Programm ,,Hirnrisse“, das er im Trostberger Postsaal aufgeführt hat, recht wenig zu bieten.
,,Angela“ und ,,Edmund“ nennt, ist das noch lange kein befriedigendes politisches Kabarett. Zimmerschied macht sich über die Hohlheit von TV-Serien lustig. Neue Erkenntnis. Das haben wir ja noch nie gehört. Originell. Und warum die Kardinäle vor dem Papst buckeln, erfahren wir auch: Weil nach überliefertem Wissen das Sperma aus dem Rückenmark kommt und der Kardinal nach dem Onanieren wieder ein bisschen krummer geht. Spit-
zenwitz. Und so neu. Nach 35 Minuten ist Pause. Die ersten fünf Reihen gehen zum Abtrocknen. Danach geht‘s wenig heiter weiter. 40 Minuten lang. Weil ein gutes Kabarett laut Zimmerschied aber aus zweimal 45 Minuten besteht, streckt er es noch fünf Minuten lang – mit weiterer geistiger Nabelschau. Die zehn Minuten, die vor der Pause fehlten, erlässt er dem Publikum. Dankenswerterweise. Ab zum Abtrocknen ins Postsaal-WC. Bringt nichts, draußen schneit‘s. Trostlos. © FalkingerPresse
Dünn, sehr dünn, was das ,,Kabarett-Urgestein“ aus Passau da abliefert. So ist es wohl mit den Urgesteinen. Mattscheibenabstinenz war mal, jetzt gehört er bisweilen zum Satirekompetenzteam des ARD-,,Scheibenwischers“, der auch schon mal besser war. Viel besser. Und beim ,,Mit dem Zweiten sieht man besser“-Sender ließ er sich in ,,Neues aus der Anstalt“ – auch besser als der ,,Scheibenwischer“ – blicken. Bei aller Medienpräsenz, die der ehemalige TV-Verweigerer Zimmerschied offenbar zu genießen beginnt: ,,Mit den Dritten beißt man besser“ wird sein Slogan nicht.
Hirnrisse – Trostberg, Postsaal, im November 2007
,,Hirnrisse“ ist nur Nabelschau. Zimmerschied hat sein Universum gefunden – sich selbst. Und um dieses Selbst kreist – er selbst. Er inszeniert – sich selbst. Kein Scheißhaussepp, kein Diddihasi irrlichtert durchs Programm. Mit Zimmerschied selbst hat der Zuschauer vorlieb zu nehmen, via Mittelfinger seines Urologen – ein Zimmerschied-Fan, wie zu hören ist – im Hintern Zimmerschieds erhält das Publikum Einblick ins Innenleben eines Kleinkunstpreisträgers. Eine Perspektive so unappetitlich wie überflüssig. Ja, sicherlich, Unappetitlichkeit ist Zimmerschieds Markenzeichen immer gewesen, aber in ,,Hirnrisse“ ist der Passauer unappetitlich um der Unappetitlichkeit willen. Weil er ein Image pflegen muss. Zimmerschied als self-fulfilling prophecy sozusagen. Was gehört noch zu Zimmerschieds Selbstbild? Sein Nichtverhältnis zur Kirche, zur ,,Passauer Neuen Presse“ und zur CSU. Verlässliche Anker in den Programmen. Die braucht das ZimmerschiedPublikum zwingend. Scheint zumindest der Kabarettist zu glauben. Warum sonst sollte er ewig drauf rumreiten?
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Spannend ist es allemal. Nicht wegen der Inhalte. Der Zuschauer harrt der nächsten Bühnenflucht des Kabarettisten, die so sicher ist wie ‘s Amen in der Kirch, wenn dieser Vergleich im Zusammenhang mit Zimmerschied zulässig ist. Wenn er die Bühne verlässt, dann geht das Zittern los. Kommt er zu mir? Bezieht er mich diesmal bloß in seinen Monolog ein oder speichelt er mich ein? Jedenfalls: Er kommt. Tsunamiwarnung für die ersten fünf Reihen. Eines der letzten Abenteuer der Menschheit, Zimmerschied sei Dank. Aufhänger für ,,Hirnrisse“ ist die Geschichte vom Amerikaner, der sich neulich mit einer Nagelmaschine zwölf Stahlstifte ins Köpfchen geschossen schossen hat, ohne bleibende Schäden davonzutragen. Diese Geschichte ist der Aufhänger. Zimmerschied teilt die Gesellschaft in Vernagelte ein. Jeder ist vernagelt. Zwölf Nägel im Schädel bedeuten vollkommene Glückseligkeit. D‘accord. Aber reicht diese eine Erkenntnis aus, ein Kabarettprogramm drumrumzubauen? Wirklich nicht. In bester Kabarettistenmanier kommt er von diesem Ausgangspunkt aus zwar vom Hundertsten ins Tausendste, doch immer bleibt er oberflächlich. Nur weil einer den Beckstein gibt, nur weil jemand seine Schafe
Via Mittelfinger seines Urologen im Hintern Zimmerschieds erhält das Publikum Einblick ins Innenleben eines Kleinkunstpreisträgers.
Alle schwappen’s, alle wippen’s, alle schauen’s mit lockerster Eleganz und halten sich für Welt-Suppeneinlagen.
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Der Terrier blickt weit über den Napfrand „Zeitgeister“: Werkschau über 35 Jahre bissiges Bühnenschaffen – Beinah beängstigende Präsenz „Traditionell von unbeugsamem Mut und Hartnäckigkeit. Hochintelligent und liebevoll, ... tapfer, furchtlos und absolut zuverlässig.“ Der Schädel quadratisch, die Figur bullig-gedrungen. So sind sie, die Charaktereigenschaften und die Gestalt. Meinen die einen. Die anderen sagen, er sei aggressiv, ohne Beißhemmung, ein grober Klotz, ein Kampfhund. Wer sagt so was? Zum einen der Dachverband der Hundezüchter, zum anderen Kritiker. Und über wen wird so was behauptet? Da gibt’s wieder zwei: Zum einen den Staffordshire, zum anderen den Passauer Bullterrier. Beide bewegen sich auf vier Extremitäten, der eine dauerhaft, der andere partiell auf der Bühne. Der eine kläfft und bellt, der andere – nun, der andere ist Sigi Zimmerschied. Nein, ein Wadlbeißer ist der nicht. Wenn der sich mal in den Gegner verbissen hat, dann lässt er ihn nicht mehr los, tapfer, furchtlos und zuverlässig. Seit 35 Jahren. Gnadenlos. Und zu Recht.
Zeitgeister – Trostberg, Postsaal, im Oktober 2010
Seit 35 Jahren geht er auf sie los, auf die klerikalen Scheinheiligen, auf die engstirnigen Mandatsträger, auf die spießbürgerlichen Kleingeister, auf die Diddihasis, Betondeppen, Scheißhausseppen und Hirnrissigen. Gebracht hat’s ja nicht viel. Es gibt sie immer noch. Wenn mal einer weggebissen ist, dann wachsen zehn neue nach. Wahrscheinlich ein Naturgesetz: Dummheit darf nicht aussterben. Da kläfft der Passauer Bullterrier gegen Windmühlenflügel an. Seit 35 Jahren. Das Personal ist austauschbar, die Verhaltensmuster nicht. Früher war’s Strauß, dann Stoiber, Huber und Beckstein, jetzt sind’s Seehofer und Konsorten. Der Wille zur Macht wird nicht zwangsläufig von Talent, von Gestaltungskraft fürs Allgemeinwohl begleitet. Das Streben nach Machterhalt und Besitzstandswahrung dominiert, von ganz oben bis ganz unten, getragen von mehr oder minder diffusen Ängsten. Während sich die ganz oben drum bemühen, diese Ängste für die ganz unten zu generieren, um sie dann publikumswirksam bekämpfen können, lenken sich die ganz unten mit Feng Shui, Schuhbeckschen Ingwer-und-Knoblauch-san-die-bestenSpezln-Predigten, Constanze-Rick-Geschwafel über die Sorgen und Nöte der Prominenz und sonstigem geistlosen Zeitgeist ab, irrlichternd zwischen Vegetarismus und Komasaufen.
Seit 35 Jahren weidet er sie aus. Derb, geh leck mich doch. Die feine Klinge ist seine Sache nicht. Weil auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört. Seit 35 Jahren ist er drum bemüht, ein grober Klotz zu sein – und er hat’s geschafft. Das beweist Zimmerschied in seiner Werkschau „Zeitgeister“, mit der er im Postsaal gezeigt hat, dass auch jahrzehntealte Texte noch heute funktionieren.
schen dem Gusseisentopf von Le Creuset und dem beschichteten Aluguss von Schulte-Ufer verhungert. Nach drei Wochen haben sie ihn gefunden. Wie ein Steckerlfisch im Nudelbett an Blutschaum hat er dagelegen, vor Schwäche ausgerutscht auf den piemontesischen Hartweizennudeln und in den Kürbisrosettenstecher von Rösle gefallen. Gestorben an der eigenen Entscheidungsschwäche.
„Best of“ wird sowas gern zeitgeistig genannt. Wobei Zeitgeist und Geist nicht zwingend Hand in Hand gehen. Im Gegenteil, die leben noch nicht mal in wilder Ehe, da wurde die Trennung von Tisch und Bett schon bei der Zeugung vollzogen. Zimmerschieds „Zeitgeister“ fängt die Gestalten aus seinen Bühnenprogrammen zusammen, die damals wie heute charakteristisch waren und sind für die Irrungen und Wirrungen der Gesellschaft. Lustig ist das nicht, aber zum Lachen. So ein depressivhysterisches Lachen zwar, aber immerhin. Ob das ankommt? Bei dem Publikum, das den Postsaal zu einem Drittel füllte, größtenteils schon. Aber vielleicht sollte er tatsächlich mal was für die Jungen machen. Comedy statt Kabarett. „Was ohne Hirn“, wie er selber sagt.
Und natürlich ist auch die Würdigung des Kritikers Michael Skasa im Programm, der gefordert hatte, Satire müsse – anders wie bei Zimmerschied – mit lockerster Eleganz über den Tellerrand schauen. „Solche Leute stell ich mir immer als Suppeneinlage vor. So Provinz-Suppeneinlagen. Woaßt, so ganz fette Speckknödel, die in einer ganz fetten Brühe schwimmen und von tausend kleinen Fettaugen getragen werden, und alles ist so fett, dass es überhaupt nicht untergehen kann. Da schwappen’s dann umeinander da drin. Und dann schaun’s auf einmal mit ganz lockerer Eleganz übern Tellerrand. Ui, und dann sagen’s: ,Ja da schau hin! Da ist ja noch eine Suppe! Ja, da sind ja ganz andere Knödel drin. Mein Gott, san de greislich. Gott sei Dank bin ich in meiner Suppe.‘ Weil in der nächsten Suppe, da schwimmen ganz magere Dinkelspinatknödel in einer ganz mageren Tofubrühe. Und die Dinkelspinatknödel haben alle so viel Karma im Teig, dass sie auch nicht untergehen können. Auch die schwappen so vor sich hin, ein bisschen erleuchteter als die anderen.“
Nein. Wer seit 35 Jahren Programme mit Hirn macht, der kann und darf sich dem Zeitgeist nicht unterwerfen. Da wird Denken zum Reflex. Zimmerschied reflektiert nicht nur glänzend, er kann die Zeitgeistlosen auch gleißend widerspiegeln. Weil er die schauspielerischen Mittel dazu hat. Problemlos spielt er ein ganzes Klassentreffen, vom Punk bis zum Prälaten, vom Lokal- bis zum Stammtischpolitiker. Seine Bühnenpräsenz ist schon beinah beängstigend. Noch beängstigender ist er aber, wenn er die Bühne verlässt und den Zuschauerraum betritt, 30 Zentimeter von den Köpfen der ersten Reihe entfernt den Besoffenen mimt und die gar nicht diffuse, sondern die massiv stoffliche Angst erzeugt: „Hoffentlich bezieht er mich jetzt nicht in sein Programm ein.“ Er lässt sie alle aufmarschieren: Den Autolackierer Maurer, der sich jahrzehntelang konsequent inkontinent in Passauer Mauerwerk und Historie eingebrunzt hat, den Filbinger Martin, der trotz Hackfleisch vom Bio-Angus und Tomatenmesserkollektion von Lafer beim TV-Vergleichskochen zwi-
Im allerletzten Teller schwimmt er dann, der Kritikerknödel, der kasige Hirnpofese, in einer unglaublich verdichteten Consommé und begleitet von unglaublich kasigen Buchstaben in einer Feng-ShuiAnordnung. Noch nie wurde bei einer Suppeneinlage die formale Stringenz und die ästhetische Aura so treffend charakterisiert. „Und alle schwappen’s, alle wippen’s, alle schauen’s mit lockerster Eleganz und halten sich für Welt-Suppeneinlagen.“ Doch, doch, er kann schon auch anders, der derbe Zimmerschied kann ziselieren. Auch ein Bullterrier ist in der Lage, im feinen Strahl zu urinieren. „Brunzen“ tät er sagen, der Zimmerschied. Ätzend ist beides, also sei’s drum; soll er doch weiter klotzen, beißen und zerfleischen. Der Blick über den Napfrand beweist noch nicht zwangsläufig einen weiten Horizont. Das muss der Zimmerschied längst nicht mehr. Weil er eh Recht hat.
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Schuld war nur der Krokodilmann... Kurzweilig, witzig, schweißtreibend: Stephan Zinners Überlebenskampf im Kinderzimmer
Family Business – Trostberg, Postsaal, im Juli 2010
Stephan Zinner ist der lebende Beweis: Die Theorie vom Schmetterlingseffekt stimmt. Sie wissen schon, diese Theorie, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien in Texas einen Tornado auslösen kann. Zinners persönlicher brasilianischer Schmetterling ist allerdings weniger filigran – ein australisches Salzwasserkrokodil. Drunter macht er’s nicht. Wenn schon chaotisch, dann aber g’scheit. Und sehr zum Vergnügen des Publikums im fast ausverkauften Postsaal, wo Zinner am Donnerstagabend sein Kabarettprogramm „Family Business“ aufführte. Der Schmetterlingseffekt tritt bei komplexen Systemen auf, die deterministisches chaotisches Verhalten zeigen. Das ist die Grundvoraussetzung. Was gäb’s Chaotischeres als ein geregeltes Familienleben? Da ist Chaos die Regel. Wenn ein Salzwasserkrokodil die Rolle des Schmetterlings übernimmt, dann hat das nominale Familienoberhaupt zu tun, um nicht zwischen den Mahlsteinen des Alltags zerrieben zu werden. Wos is? In Elternzeit ist er, der Stephan Zinner. Ein kleines, erfolgreiches Familienunternehmen führt er, Manager der Keimzelle der Gesellschaft ist er. Ein Riesenjob. Unterschätzt, so lange ihn Frauen machen. Aber wenn der Mann, der Silberrücken der Familie, dafür sorgt, dass kontaminierte Windeln fachgerecht vier Tage lang im Küchenmülleimer zwischengelagert und danach ebenso fachgerecht endgelagert werden, Verpuffung inbegriffen, dann ist das schon eine große Sache. Groß genug jedenfalls, um ein kurzweiliges, witziges, schweißtreibendes Kabarettprogramm draus zu machen. Zinner ist – nicht nur wegen einer gewissen optischen Ähnlichkeit – der John McClane des Kinderzimmers. Doch nicht „Stirb langsam“ ist diesmal die Devise, „Überleb!“ heißt es. Er kämpft nicht gegen Terroristen, sondern gegen Rentnerinnen in Elektromobilen an der Supermarktkasse – kaum weniger gefährlich, wenn sie in der Schlange den Vordermann, also Zinner, mit dem Vorderrad auf Achillessehnenhöhe traktieren. Nahezu schmerzresistent
ist er es, der todesmutig nachts in den Gemächern der hoffnungsvollen Nachkommenschaft die Fenster schließt oder öffnet, bei absoluter Finsternis, barfuß, trotz messerscharfkantiger Legosteine, die sich tief in die Sohlen schlitzen. Das erträgt er ohne Mucks, ganz wie McClane, der im 32. Stock des Nakatomi Plaza barfuß über Myriaden von Scherben schleicht. Er hat es zu tun mit pädagogischen Turbo-Eltern, die am Sandkasten ihre Brut, die mit Nirosta-Bihänder-Schaufeln die Hosenmätze und deren Erziehungsberechtigte in Schach und Atem halten, nicht beaufsichtigen. Vor allem hat er es mit dem für das männliche Selbstbild destruktivsten Element zu tun: mit seiner Familie. Die hat Zuwachs bekommen. Wegen des besagten Schmetterlings. Seine erfolgreiche Frau, Ärztin, hat ihm ein drittes Kind geschenkt. Ein Geschenk, das viel Arbeit macht, zumal es voraussetzt, dass da vorher bereits zwei Kinder da waren, die sowieso viel Arbeit machen. Weil diese Arbeit gemacht werden muss und die Ehefrau erfolgreich ist und er nur Schauspieler, Musiker und Kabarettist, ist es sein Job, den Elterngeld-Antrag ohne Herzinfarkt oder Gehirnblutung zu überleben. Der Sachbearbeiterin am Zentrum Bayern Soziales und Familie in München, einer Amtsschimmelstute aus Pirna, hat er jedes Schriftstück, das er jemals besessen hat, in Kopie überlassen – inklusive der zu erwartenden Abi-Note des jüngsten Familiensprosses. Jedenfalls ist Zinner jetzt nicht nur nominal, sondern auch faktisch der Boss der Familie. Der Entscheider. Zumindest der, der die Pläne von Frau und Kindern zu realisieren hat. Wieso bekommt der Zinner Nachwuchs wegen eines Krokodils? Lange Geschichte. Norm Pethrick hat vor zwei Jahren seiner Frau Wendy das Leben gerettet. Weil die an einem australischen Süßwasserfluss im Litchfield Nationalpark von einem Salzwasserkrokodil, genannt Saltie, geschnappt wurde. Die Ausgangssituation ist schon mal paradox genug: Was hat Saltie im Süßwasser verloren? Jedenfalls bemerkte Norm, dass Wendy
den kleinen Hunger zwischendurch stillen sollte. Norm erstarrte nicht zur Salzsäule, sondern sprang dem Krokodil auf den Rücken und rammte ihm so lange die Finger in die Augen, bis das Vieh die vermeintliche Salzlette ausspie. Wendy war gerettet. Deswegen bekommt man in München doch keine Kinder?! Doch. Weil die Frau das nicht auf sich beruhen lassen kann: „Würdest Du mich auch retten?“ Eine zwangsläufige Frage. Falls der Herr im Haus nicht ohne zu überlegen antwortet: „Natürlich, mein Schatz!“, dann hängt der Segen schief. Der Hinweis, dass ein Salzwasserkrokodil in der Münchner Innenstadt noch unwahrscheinlicher ist als in einem australischen Salzwasserfluss, verhallt ungehört. Nach dem Streit kommt die Versöhnung, nach der Versöhnung das dritte Kind, nach dem dritten Kind die Elternzeit mit allen ihren freudvollen Details samt dem 112. Besuch im Tierpark Hellabrunn. Solche Familienausflüge logistisch einwandfrei zu gestalten ist eine nicht unwesentliche Aufgabe. Der zwei auf zwei Meter große Rucksack muss nicht nur gepackt, er muss auch getragen werden. Zinner ist die Reinkarnation Tenzing Norgays, er ist der Familien-Sherpa, die im Hintergrund stehende Person, die für den Erfolg eines Vorhabens von fundamentaler Bedeutung ist. Er ist sich dieser seiner fundamentalen Bedeutung selbstredend bewusst. Aber leider halt nur er. „Family Business“ ist eine durch und durch runde Sache. Die Geschichte, die er erzählt, ist trotz oder wegen ihrer Paradoxien und Zwangsläufigkeiten schlüssig. Zwischendurch schnappt er sich immer wieder die Gitarre, lockert die fatalistische Story durch ebenso fatalistische Lieder auf. Seine schauspielerischen Qualitäten lebt er auf der Bühne aus, vollen Körpereinsatz bringt er auch bei über 30 Grad. Nein, dass er es wegen seines Heimvorteils geruhsamer angehen lässt, kann man dem Trostberger keinesfalls vorwerfen. Der Schweiß fließt literweise. Und jeder Tropfen hat sich gelohnt; fürs Publikum allemal.
Stephan Zinner ist der John McClane des Kinderzimmers. Doch nicht „Stirb langsam“ ist diesmal die Devise, „Überleb!“ heißt es.
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© FalkingerPresse
Zinner sagt „Nein!“ zur Betroffenheitsscheiße, bei der einem immer die Neubauer und die Ferres im Weg rumstehen.
Ein Weißbier, g’schüttelt, nicht g’rührt!
Stephan Zinners „Der Fluch des Pharao“: Spielen kann er, singen kann er, klampfen kann er. Und wie. „Seasn. I bin da Bond James.“ Genau. Weißes Hemd, schwarzes Sakko, schmale schwarze Krawatte. Der Bond James. Wer, wenn nicht er? „Ich wär‘ der erste Bavarian speaking, plattert Bond ever.“ Ein Schauspieler muss sich weiterentwickeln. Nix mehr mit Bruce Willis alias John McClane 5.0. Nein, den Craig Daniel will er jetzt beerben. In Diensten ihrer Majestät – eine Trostberger Doppel-Null. Hätt was. Vor allem, wenn er seine 94 Kilo Lebendgewicht dezent um die Bar drapiert und mit Bondschem westlichen Chic und feiner Klinge ordert: „I hätt gern a Weißbier. G’schüttelt, nicht g‘rührt!“
Der Fluch des Pharao – Trostberg, Postsaal, im Mai 2012
© FalkingerPresse
Natürlich kann der Zinner Stephan Bond. Keine Frage! Und den Gerd Fröbe als Goldfinger auch gleich noch mit. Kann der alles. Koa Gred. Aber eins ist schon klar: Doppel-Null ist er keine. Gar keine Null. Gscheid guad is er, der Zinner Schdiev. Sein neues Kabarettprogramm „Der Fluch des Pharao“, das Zinner auf die Bühne legt, ist rund. Politik lässt der Nockherberg-Söder weitestgehend draußen, mehr so eine Ein-Mann-Komödie ist sein „Fluch“. Aber was für eine. Zinner spielt, Zinner singt, Zinner klampft. In höchster Vollendung. Vor ausverkauftem Haus. Trostberg, 30 Grad. Die Frisur sitzt, die Stimmung auch. Wie schon bei „Family Business“ schöpft der Schauspieler aus dem Vollen. Dem vollen Familienleben. Frau, drei Kinder, die bucklige Verwandtschaft. Gestalten sind da dabei, da ist ein gepflegter Herpes noch angenehmer. „Sie kennen meine Verwandtschaft nicht!“ Überall funktioniert dieser Satz als Überleitung zum nächsten Programmpunkt, auf jeder Bühne dieser Republik. Im Postsaal eher nicht. Kaum hat er’s gesagt, merkt er’s auch schon, am raumfüllenden Prusten: „Sie kennen meine Verwandtschaft nicht“ ist nicht so wirklich angebracht, wenn die halbe Verwandtschaft im Saal sitzt und der Hälfte des Publikums durchaus bekannt ist. Hat er wieder zugeschlagen, der Fluch des Pharao: im Bewusstsein der gmahden Wiesn eines Heimspiels nach Trostberg gefahren und im Vorbeigrätschen die komplette Blutsbande verprellt. Nein, natürlich kommt der Zinner aus der Nummer raus. Ist doch die Sippschaft aus Niederbayern und Rosenheim das Familienekzem und nicht der Trost-
berger Zweig. Logisch. Da hat er die Sippenklippen aber grad mal so umschifft. Erst verflucht und dann auch noch enterbt – das wär des Unguten zu viel. Geerbt hat er ja schon. Von dem verträglichen niederbayrischen Großonkel, den Zinner auf der Bühne dabei hat. Nicht die Leich, sondern die Asche. In einer Lavazza-Dose. Do host an Dreck im Schachterl. Am Nachmittag war nämlich die Beisetzung des Großonkels samt Familientreffen. Darum herum baut Zinner sein Programm, stellt die seltsame Spezies der niederbayrischen Zinners vor. Und spielt die seltsamsten Vertreter dieser Spezies auch gleich selber. Die Botox-Helga, die vom OP-Tisch aufgestanden ist, bevor der Schönheitschirurg fertig war, zum Beispiel. Oder Großcousin Frederick, Orthopäde und Halter des Zierfischerls Caro, das Grillen voll retro findet und den Halsgrat als wesentlichen aber kleingeschnittenen Bestandteil des vom Inder bedrohten Walfischs akzeptiert. Auch ein Fluch, wenn diese Meute zu Besuch kommt. Ja, der Fluch. Wie’s zu dem kam? Zinners Kinder haben sich durch vorbildliches Benehmen und glänzende Schulnoten eine Faschingsparty verdient. In der Vorweihnachtszeit. Ein Kinderfest, Härtetest für alle schicksalsgeplagen Eltern. Motto haben die Zinners diesmal keines ausgegeben. „Es gibt nix Schlimmeres wie ein Motto. Wenn du zehn, elf Jedi-Ritter in der Bude rumturnen hast, wo alle zwei Minuten einer sagt: ,Ich bin dein Vater‘, dann verlierst du den Glauben an die gute Seite der Macht, das sag ich dir.“ Und so hatte Zinner Cowboys, Prinzessinnen, eine Kleopatra, einen Indiana Jones mit der Anmutung eines Postboten und eine Schildkröte in der Bude rumturnen. Und einen Nachzügler. „Es klingelt, i mach die Tür auf, wer steht da? Eine Mumie. Ja mei. Ein Lehrerkind.“ Manchmal kann man sich’s nicht aussuchen. Sind ja auch Menschen. Zumindest die Kinder. Lehrerkinder können – zumal hausstauballergiegeplagt – auf die Senkel gehen. Siebengescheite Unruhestifter. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem Lehrerkind nicht gefällt. Dann schmeißt man es raus. Die Mumie wird zurück in den Sarkophag geschickt. Nicht ohne dass sie den genervten Zinner mit dem 1000-jährigen Fluch des Amun-Ra belegen würde. Und fortan läuft’s Zinnersche Leben eher unrund.
Ihn haut’s übers Radl, das Auto wird abgeschleppt. Die Gemahlin wünscht sich einen selbstgejagten Christbaum, der sich dann auf der Heimfahrt – wusch! – auf der Rückbank entfaltet. Die Bäckereifachverkäuferin erfüllt ihm jeden Wunsch nach fünf Brezen – mit vier Semmeln. Er lernt den Elektroschocker der Oma kennen, der er über die Straße helfen will. Und was für einen Schauspieler nicht ganz unwesentlich ist: Ein gscheiter bayrischer Actionkracher ist auch nicht in Sicht, wo man in Bondmanier glänzen und die ganzen Münchner Bausünden wegsprengen könnte. Was drehen die stattdessen dauernd? „Immer diese Betroffenheitsscheiße, wo einem die Neubauer und die Ferres im Weg rumstehen.“ Zwischendurch greift sich Zinner immer wieder mal die Gitarre und streut hier einen Blues und dort einen Reggae dazwischen. Singen kann er nämlich auch. Da macht er sich über den Isarpreußen lustig: „Wir trinken Latte. Macchiato. Bei Ricardo. Drüben am Eck. Essen Tramezzini, trinken Prosecci und reden Scheiß… Ja wir sind München.“ Oder er philosophiert auf Milows „You And Me (In My Pocket)“, das er elegant in Bob Dylans „Blowin‘ In The Wind“ münden lässt, übers Leben: „Man betet gern zum lieben Gott. Wenn man ihn nicht braucht, dann eher nicht. Wenn man ihn braucht, dann eher schon. Is er g’wohnt, der liebe Gott. Viele laufen gern nach Compostela, andere geh’n lieber zum Unternwirt. Eigentlich is‘ wurscht, Hauptsach, es funktioniert.“ Einmal wird’s dann doch politisch. Aber Zinner arbeitet das Thema im Handstreich ab, formuliert ein Naturgesetz. Damit ist‘s auch schon wieder gut mit Politik: „Ein Depp ist ein Depp. Da gibt’s Leute, die sagen Sätze wie: ,Es war ja nicht alles schlecht, was der Sarrazin gesagt hat.‘ Da bin ich richtig grantig. Weil: Ein Depp is ein Depp. Und auch ein Depp sagt mal einen richtigen Satz. Zum Beispiel der Saddam Hussein, der hat bestimmt auch mal am Frühstückstisch gesagt: Gib mir mal das Salz rüber. Hat der auch nicht bös gemeint. Aber er war ein Depp.“ So einfach kann die Welt sein, wenn sie der Bond James erklärt. Da kann Goldfinger schon kommen: „Überlegen Sie sich Ihre nächste geistreiche Bemerkung gut, Mr. Bond. Es wird vielleicht Ihre letzte sein.“ Wird’s gewiss nicht. Da kennt der den Zinner schlecht. Seasn.
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Heißt’s „das Versmaß“ oder „die Versmaß“? Riesengaudi: Dichterlesung mit Musik von Stephan Zinner und Marcus H. Rosenmüller
Lesung mit Musik – Trostberg, Postsaal, im Oktober 2013
Lesen Sie diesen Artikel nicht. Weil’s allein schon falsch war ihn zu schreiben. Kann gar nix werden, hat die Katze gesagt. Nein, nicht die von Anzing. Die Katze von Eglsee. Die mit der Sprungkraft einer Wohnwand Eiche massiv. Genau, der Stephan Zinner. Wenn Sie ihn von früher kennen, dann der Zinner Schdiev. Oder noch nicht so lang, dann vielleicht vom Nockherberg als Finanz- und Heimatdings Söder.
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Jedenfalls hat der Zinner, der vorgestern mit dem Marcus H. Rosenmüller im ausverkauften Postsaal eine Lesung mit Musik gegeben hat, dringend dazu geraten, mit der Kritik ein wenig zu warten. Fünf bis sieben Monate ungefähr. Zum einen, weil es durchaus so lange dauern kann, bis die beiden hoffnungsvollen Nachwuchspoeten ihre Gedichte und deren Pointen selbst verstehen. Wie muss es da erst dem Publikum im Allgemeinen und dem Kritiker im Besonderen gehen? Und zum anderen, weil der gemeine Redakteur in etwa so lange braucht, bis er fertig recherchiert hat. Er muss ja schauen, was die anderen Schreiberlinge zum selben Thema verzapft haben. Dann kann er das gemütlich abschreiben. Der Zinner hat’s drauf. So macht man sich die Journaille zum Freund. Ruckzuck.
löst von seiner persönlichen Geschichte betrachten. Die allerdings ist ähnlich erbarmungswürdig. Aufgewachsen ist der Kult-Regisseur des Kult-Films „Wer früher stirbt, ist länger tot“ im komplett unkultigen Hausham. Im Tegernseer Glasscherbenviertel quasi. Eine Kindheit voller Entbehrungen. So arm waren die Rosenmüllers, dass der Rosi bis zu seiner Volljährigkeit nicht einmal gewusst hat, dass sich seine Eltern doch einen Vornamen geleistet hatten. Marcus. Aber da war’s dann schon zu spät, weil ihn inzwischen eh alle „Rosi“ gerufen haben. Das wird man nicht mehr los. Vermutlich ist er deshalb Regisseur geworden. Da erscheint sein richtiger Name wenigstens in Vorund Abspann. Und dann war der Rosi auch noch im Haushamer Gemeinderat. Für die SPD. Wem die entbehrungsreiche Jugend nicht genügte, um die Rosenmüllersche Lyrik zu deuten, der müsste spätestens jetzt wissen: Der Mann leidet mit Inbrunst. In der oberbayrischen Provinz für die SPD im Gemeinderat. Man liegt wohl nicht ganz falsch, wenn man bei Rosenmüller masochistische Züge vermutet. Und wo der Maso herrscht, ist der Sado oft nicht weit. Denn Rosi dichtet da, wo’s weh tut.
Aber es stimmt schon, weniger Arbeit wär’s durchaus. Schalten wir doch gleich in den „Tagesschau“Modus: Wenn Sie mehr zum Thema erfahren wollen, dann schauen Sie doch bitte ins Internet. Gefälligst. Da haben die Kollegen Jasmin Kraus, Lehmann und Konsorten schon drüber geschrieben. So leicht macht sich’s Ihre Heimatzeitung selbstverständlich nicht, zumal sie ja auch noch Zinners Heimatzeitung ist. Der Sohn der Stadt will gewürdigt sein. Machen wir. Ohne abzuschreiben.
Rein formal sind seine Gedichte, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig. Die Verse reimen sich bisweilen nur, weil sie der Autor sonst gefressen hätte. Was das Versmaß betrifft – das ist vermutlich nur mit der einen oder anderen Versmaß zu erklären. Gut, Schiller hatte faule Äpfel in der Schreibtischschublade. Da erscheint die Maß doch zweckmäßiger. „Sie verließ mich nicht an einem Regentag. Der Regen fiel aufs Feld, weil kein Dach darüber war…“ Tag – war, ein eher schwacher Reim. Dafür passt die Anzahl der Silben – auch nicht.
Erbarmungswürdig wäre sie, des Rosenmüllers Poesie für sich allein genommen, würde man sie losge-
So viel zum Formalismus. Aber der ist völlig egal. Es kommt nicht auf die Hülle an, es kommt nicht drauf
an, ob die Jamben hinken. Wesentlich ist doch der Inhalt. Astreine Liebesgedichte hat der Rosenmüller da geschrieben. Sensibel, feingeistig, richtig metrosexuell kommt er rüber, der Rosi. Die Einzige, die Liebste wird besungen und wie gut sie ihm doch tut. Er kehrt sein Innerstes nach außen. Da müsste sie doch dahinschmelzen. Es ist so schön, dass sie da ist, „weil ich sonst selber kochen müsst, danke, ich glaub, ich liebe dich.“ Gut, um die Beziehung nachhaltig zu festigen, hätte er die Zeilen vielleicht weglassen sollen. So ist das mit den Rosenmüllergedichten. Am Schluss geht’s fast immer blöd aus. Wer da nicht lacht, braucht einen Keller. Und die Geschichten, die Zinner erzählt, die Gedichte, die er vorliest, sind nicht minder komisch. Endskomisch. Nicht immer dampfhammerlustig, aber schon auch. Aber das Schöne an dem Programm, das die beiden da ausgeheckt haben, ist, dass es gar kein Programm ist. Zumindest hat der Zuhörer nie das Gefühl, dass da nach Fahrplan vorgegangen wird. Der Regisseur unterhält sich mit dem Schauspieler, manchmal singen sie. Wie’s grad so kommt. Vom Hundertsten ins Tausendste, ganz privat, ganz spontan. Da findet der Lauschangriff auf die Kanzlerin statt, unversehens rezitiert der Rosi Rilke, dann wird über die trennende Kraft des Fußballs philosophiert. Wenn die Bayern die mühsam aufgebaute nachbarschaftliche Freundschaft mit Tschechien innerhalb von 90 Minuten und fünf Toren kaputtmachen. Ein zweites Mal wird’s das so nicht mehr geben. Anarchisch, chaotisch, saukomisch, zweieinhalb Stunden lang. Hier ein bisschen was von Gernhardt, dort ein Knaller von Eckenga, immer ein bisserl subversiv. Eine Riesen-Gaudi. Damit das klar ist: Der Valentin hätt seine Freud dran g‘habt. So, und jetzt können S‘ den Artikel fünf bis sieben Monate beiseitelegen, damit er wenigstens ansatzweise Recht bekommt, der Zinner.