ISSUE 01
PERSPEKT IVISMUS
ARGUS
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VORWORT Jede Perspektive unterscheidet sich ausgehend vom eigenen Standpunkt und der eigenen Meinung, aber auch von Mensch zu Mensch. Wir denken, funktionieren, fühlen, glauben, reagieren und verarbeiten alle verschieden und gehen beim Urteilen dennoch immer von uns selbst aus. Unsere Zeit ist geprägt von Widersprüchen: Wir leben im Überfluss, aber sind dennoch unglücklich. Immer mehr Menschen wohnen auf kleinerer Fläche und verlieren sich trotzdem in ihrer Einsamkeit. Und trotz technischem Vortschritt, haben wir kaum noch Zeit. Diese tiefe Unzufriedenheit und wachsende Entfremdung in der Gesellschaft liegt nicht an Regierung, Flüchtlingen oder „den Anderen“, sondern an Jedem von uns. Es wird Zeit Zusammenhänge zu erkennen, Verantwortung zu übernehmen, Empathie zu entwickeln und miteinander statt gegeneinander Dinge voran zu bringen.
The skin we ‘ re in
Gender Game
Kartoffelsalat
Unsere Fetische
Marie + Julie
Kommando Mensch
INHALT
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Zwillinge: Ein ehrliches Interview mit den beiden Schwestern
Auflistung: Sprache heisst mehr als Wort für Wort übersetzen
Homo Sapiens: Wieso gerade der Mensch sich wie keine andere Art ausbreiten konnte
Anderssein: Schubladen einen Namen geben
Gendergap: Wieso es sie überhaupt gibt
Schönheitsdeale: Aus welchem Grund anderswo noch die Haut weiß geblichen wird
Die Wahl haben
Zulpich
Ausnahme = Regel
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Gedanke: Körper und Seele als Mittel zum Zweck
Einordnung: Wie uns Kleidung beeinflusst
Un/wahr: Ein klassischesVorurteil wird beleuchtet
Das verflixte Privileg unserer Zeit, immer und überall die Wahl zu haben
Stadt-Portrait: Über den Frust der Gemeinde: Zülpich
Wieso wir uns immer als Letzte sehen
Nichts
Mannergrippe
Kleider machen Leute
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Wer will heute Kinder?
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Eine mögliche Erklärung für den Verlust eines verstorbenen Menschen
Erklärt: Der moderne unfreundliche Korb
Aphantasie: Eine andere Art des Denkens
Zwischen Endzeitstimmung und Kinderwunsch
Nachhilfe: im Umgang mit Mitmenschen
Empathie
vermissen.
01 Unmensch: Wie kann ein Mensch unmenschlich sein, wenn er doch ein Mensch ist?
Ghosting
Dosenfleisch
noch
Selbstreflexion
Laber Rhababer
Bob, Kirk & Chantal
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Wie uns Kunst widerspiegelt & was wir in der Schรถnheit finden
Auf Fake News reinfallen ist sowas von gestern
Namen: Wie sie die Fremdwahrnehmung beeinflussen
sinne
SCHU B LA DEN DE NKE N
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MARIE + JULIE
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Schubladendenken
ALS ZWILLING DURCHLEBST DU JEDE PHASE DEINES LEBENS ZUR SELBEN ZEIT UND HAST IMMER JEMANDEN AN DEINER SEITE, DER DIR SO SEHR ÄHNELT WIE KAUM EIN ANDERER MENSCH AUF DER WELT. ÜBER DAS LEBEN ALS ZWILLING HABE ICH MIT MARIE & JULIE GESPROCHEN. BEIDE LERNTE ICH MIT 5 JAHREN ALS NEUE NACHBARN KENNEN UND KONNTE SIE DMALS BLOSS AN IHREN SKATEBOARD DECKS VONEINANDER UNTERSCHEIDEN BIS ICH IM ALTER VON 10 JAHREN MIT IHNEN IN DIE SELBE MITTELSTUFE KAM, JULIE IN MEINE UND MARIE IN DIE PARALLELKLASSE. SCHON NACH DER ERSTEN WOCHE VERSTAND ICH NICHT, WIE ICH SIE JEMALS NICHT VONEINANDER UNTERSCHEIDEN KONNTE. WEITERE 12 JAHRE SPÄTER ERZÄHLEN MIR BEIDE VON IHREN ERFAHRUNGEN IM STÄNDIGEN ZWEIERPACK. Seid ihr eineiige oder zweieige Zwillinge und kamt ihr als ein solches Doppelpack überraschend für eure Eltern? Julie: Die Ärzte waren sich unsicher, deswegen wissen wir garnicht ob wir Ein- oder Zweieig sind und auf die frohe Botschaft der Ärzte hat unsere Mutter erstmal einen getrunken, wobei schon unser Uropa eine Zwillingsschwester hat und die Veranlagung meist auf die dritte Generation überspringt. Würdet ihr sagen, dass ihr euch ähnlicher seit als andere Geschwisterkinder? Julie: Ja, in der Art wie wir miteinander reden, weil wir eben so viel miteinander reden. Auch Heute noch haben wir täglich Kontakt. Marie: Wenn du miteinander im identischen Alter aufwächst, guckst du dir in dem ganzen Prozess immer irgendetwas ab. Julie: Aber auch wenn wir uns streiten, gehe ich richtig radikal gegen das, was mich bei Marie stört, wir verfallen direkt in ein bestimmtes Streitmuster. Aber wir wissen auch, egal was für schlimme Sachen wir uns gegenseitig an den Kopf werfen, spätestens am nächsten Tag ist wieder alles verziehen. Welche Vorteile hat es einen Zwilling zu haben? Marie: Neben den noch gleichen Hausaufgaben in der Grundschule, hat man immer jemanden zum Reden, der in der gleichen Lebensphase wie man selbst steckt. Wobei das vielleicht auch ein Nachteil ist, weil ich ungern alleine bin. Julie: Ja, du bist wirklich nicht gern alleine, aber das trifft auch auf mich zu. Dafür kann man die subjektive Wahrnehmung der Schwester eher nachvollziehen. Man ist auch stolz eine Zwillingsschwester zu haben, man weiß dass man immer einen Rückhalt hat, ich habe keine Angst Kontakte zu verlieren oder brauche keine beste Freundin, die eine große Bezugsperson habe ich schon.
Beide kamen als Frühchen durch den Kaiserschnitt fünf Wochen zu früh auf die Welt. Durch den Eingriff hat Marie zuerst das Licht der Welt erblickt, sonst wäre es Julie gewesen. In der Mittelstufe haben beide mal unbemerkt die Klassen getauscht. Nicht mal der jahrelangen Klassenlehrerin ist es aufgefallen. Je älter beide werden, desto mehr entwickeln sich ihr Aussehen in unterschiedliche Richtungen.
Welche Nachteile hat es einen Zwlling zu haben? Marie: Man steht einfach immer in einem direkten Vergleich. Julie: Vorallem früher wurden wir im Freundeskreis nicht getrennt gesehen, es gab entweder Julie und Marie oder man wusste garnicht genau wer wer ist. Die besten Freundinnen hatten wir gemeinsam. Verwechselt zu werden nervt besonders auf Stadtfesten, es kommen Fremde auf dich zu und sprechen dich mit dem Namen deiner Schwester an. Entweder sage ich direkt, dass ich nicht Marie bin und der Gegenüber macht ein riesen Ding draus, was eher nervig ist. Dann mache ich einfach lieber mit. Richtig gute Freunde verwechseln uns eigentlich eh nicht. Es hat aber auch seinen Wiedererkennungswert, weil nicht jeder Mensch einfach so verwechselt werden kann, nur wenn du eben einen Zwilling hast.
In was unterscheidet ihr euch denn am meisten? Julie: Ich war immer ein bisschen besser in der Schule, in
Wie findet ihr es gleich gekleidet zu sein? Marie: Um uns auseinander zu halten wurde Julie als Baby in Blau und ich in Rot gekleidet. Es kann also gut sein, dass wir mal ins falsche Bettchen gelegt wurden und vielleicht bin ich ja Julie und Julie die Marie. Wenn wir uns zusammen vor den Spiegel stellen, finden wir garnicht, dass wir so gleich aussehen. Julie: Zufällig hatten wir letztens das gleiche Oberteil und die selbe Hose an, das kommt zwar ab und zu vor, ist aber nicht so toll, denn mittlerweile will man nicht mehr verglichen werden und durch ein gleiches Outfit wird man das nur noch mehr. Mit 14 beginnt man sich sowieso mit Jedem zu vergleichen und sucht seine eigene Persönlichkeit. Zwar sieht man sich subjektiv komplett anders als seine Schweter, aber da sie rund um die Uhr die eheste Vergleichsperson ist, suchst du dir Bereiche, in denen du besser sein willst. Mit welchen Vorurteilen werdet ihr konfrontiert? Julie: Wenn ich mit Fremden spreche, erwarten sie, dass ich so bin wie meine Schwester und sind dann ganz irritiert, wenn sie feststellen, dass wir eben auch zwei ganz unterschiedliche Menschen sind. Oder ihnen ist egal mit wem sie reden, denn sie verstehen einfach nicht, das man ein eigenes Individuum ist. Marie: Auch in der Familie wurden wir am Verhalten des anderen festgemacht. Julie: Man sieht die Reaktion von der einen und denkt, die andere müsse doch genauso reagieren. Marie: Während Julie besser mit der Trennung unserer Eltern zurecht kam, entwickelte ich eine Abwehrhaltung und verschlechterte mich in der Schule. Durch Lehrer und Psychologen bekam ich dann auf die Fehldiagnose ADHS ein halbes Jahr lang Ritalin verschrieben. Davon wurde ich nur müde und unsere Eltern mussten sich eingestehen, dass wir eben doch anders reagieren.
der Grundschule hat Marie davon noch profitiert, als wir in der Mittelstufe in verschiedene Klasse kamen, kam Marie nicht so gut damit zurecht und wurde immer dünner. Sie wusste, dass es mich ärgern würde und ich begann aus Frust zu essen. Das war dann auch ein Vergleichspunkt, der den Leuten nach Außen hin mehr aufgefallen ist. Marie: Ich hab es dann ins Extreme gezogen, hatte mit 16 Bulimie und habe mich selbst verletzt. Nicht unbedingt wegen dem Geschwisterdasein, sondern eher wegen meinem mangelndem Selbstbewusstsein. Später auf der getrennten Oberstufen habe ich gute Noten geschrieben,
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hatte einen Freund und ein höheres Selbstbewusstsein. Obwohl es schwierig war als Julie vor mir einen Freund hatte. Julie: Bei unseren Zwillingsfreunden ist es genauso, es sind immer diese Hürden der ersten Male, du musst dich überwinden und lernen was du selbst überhaupt willst. Denn als Kind wollten wir aus Prinzip das was der Andere auch wollte, auch wenn es vielleicht garnicht das Richtige für einen selbst war. Dann musst du für dich feststellen: Nur weil meine Schwester es gut findet, will ich das vielleicht nicht auch. Wir suchen in unserem jeweiligem Freundeskreis auch garnicht einen ähnlichen Charakter wie den der Schwester. Marie: Würden wir uns als Bekannte kennenlernen, wären wir wahrscheinlich auch nicht miteinander befreundet, wir würden uns garnicht mögen. Julie: Ich finde Marie echt anstrengend… (lacht) Glaubt ihr, ihr kommt besser als Andere mit dem Konkurrenzkampf im Alltag klar? Julie: Du versuchst dich immer so krass von deiner Schwester abzuheben, dass es dir bei anderen Menschen, die dir eben nicht ähnlich sehen, dich abzuheben. Hat man irgendwann den Drang etwas ganz eigenes zu machen um gerade die Unterschiede voneinander zu verdeutlichen? Julie: Wir mochten ganz oft das Gleiche, denn wir haben uns stark an unserer Mama orietiert. Sie ist unheimlich hübsch, geht sogar mit höheren Schuhen aus dem Haus und kann darauf auch noch besser laufen. Durch diese starke Vorbildfunktion, haben wir eine starke Dreiecksbeziehung aufgebaut und hören sehr auf das Urteil der anderen beiden. Maire: In emotionalen Angelegenheiten merkt man aber, dass man eben anders funktioniert. Obwohl wir das gleiche durchmachten hat Julie unsere Mutter noch lange total verehrt, während ich sie ganz ander wahrgenommen habe. Das verdeutlicht nochmal, dass wir das selbe zwar in der Kindheit erlebt haben, wir aber eben doch unterschiedliche Perspektiven auf die Dinge haben. Tickt ihr im Kopf quasi „nach der gleichen Uhr“, also nehmt ihr Dinge ähnlich auf, verarbeitet und geht sie gleich an? Julie: Marie ist viel emotionaler und temperamentvoller, dafür bin ich voll provokant und treibe sie eben von 0 auf 100. Andere Geschwister sehen sich eher in diesem jünger-älter Verhältnis, zwischen Erziehen und Beschützen. Aber so haben wir uns im selben Alter mit den gleichen Sachen beschäftigt, man hat mehr Verständnis für den Anderen. Marie: Beim Therapeuten sollten wir einmal in die Rolle des anderen schlüpfen, das war ganz komisch.
Schubladendenken
Julie: Wir sollten uns gezielt in die Perspektive des Anderen versetzen und das ging ganricht, ich habe mich fremd gefühlt. Denn egal wie ich mich verhalten würde, ob Marie anschreien, wie sie mich sonst immer anschreit, das könnte ich garnicht. Egal was ich machen würde, es wäre nicht wie Marie und ich wollte das auch garnicht sein, vielleicht war das sowas wie unsere letzte emotionale Grenze. Reagiert ihr in Extremsituationen ähnlich? Julie: Wir reagieren eher ergänzend, wie Yin und Yang gleichen wir uns aus. Marie: Manchmal habe ich mir Verhaltensmuster aber auch abgeguckt, wenn ich nicht wusste, wie du dich verhalten sollst. Julie: Vielleicht entwickelt man auch bestimmte Rollen, die man von Außen zugeschrieben bekommt, wenn ich immer ruhiger war und Marie die temperamentvolle, ist es heute immer noch so, weil wir vielleicht dadurch auch in diesen Rollen geblieben sind. Als Einzelkind denkt man wahrscheinlich, ich habe ganz viel verschiedene Charakterzüge und bei Zwillingen hat man schon früh eine Rolle. Währet ihr getrennt/unwissend voneinander aufgewachsen, was denkt ihr, wäre anders an euch? Julie: Ein bisschen variierter, wir hätten uns nicht selbst in eine Schublade gesteckt, hätten uns garnicht verglichen und versucht von allem ein bisschen zu haben. Vielleicht wären wir uns sogar charakterlich ähnlicher gewesen.
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Kartoffelsalat
Nobody can reach you the
There you look stupid out of the laundry.
That’s one wall free.
That doesn’t interest me the bean.
My lovely Mister Singing Club
Über so manchen typisch deutschen Spruch denken wir garnicht mehr nach, er ist zwar fester Bestandteil unserer Sprache, aber existiert auf zwei Bedeutungsebenen, der wörtlichen und der metaphorischen. Wir eignen uns die deutsche Sprachbildlichkeit schon im Kindesalter an, so dass sie uns — ohne den eigentlichen Ursprung der Metapher zu kennen — mit der Vertrautheit unserer Mutter-Sprache über die Lippen geht. Übersetzt man diese aber in eine andere Sprache, ergeben sie plötzlich überhaupt keinen Sinn mehr.
Don’t play the offended liver- I think my pig is whistling. sausage. I have thrown an eye on you. Holla, the forest-fairy.
Do you have a What must that must. bird?
With me is not good cherry eating.
Don’t bring me on the palm.
You don’t have all cups in the cupboard.
You are very first cream.
You can me crosswise.
Sponge over.
I get foxdevilswild.
I wish you what.
water.
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KOMMANDO MENSCH
Wieso hat sich der Mensch wie keine andere Spezies entwickelt? Wir sind nicht außerordentlich stark, haben keine besonderen körperlichen Attribute und unsere Art bringt bei einem „Wurf“ keine sechs bis neun Welpen zur Welt. Während sich die Ameise mit ihren Artgenossen einen Bau teilt, steht die Einzelne nur mit gewissen anderen Ameisen in Kontakt und folgt immer festen Aufgaben. Und auch Affen, unsere Vorfahren, lebt zwar in Gruppen von zwölf bis 150 Artgenossen, aber er streift tagsüber nur in kleineren Gruppen mit zwei bis zwanzig Artgenossen umher, bis sich alle wieder zum Schlafen auf den Bäumen zusammenfinden. Der Mensch aber ist in der Lage auch mit wildfremden Mitmenschen zu interagieren, auch ohne direkte Beziehung miteinander zu arbeiten und ganze Kulturen auf einem neuen Ideen und Idealen aufzubauen. Das verdanken wir unter anderem unserer Sprache, mit welcher wir uns gemeinsam Kulturen und deren Mythen und Glauben erschaffen und weitergetragen haben, Werte und auch über die Landesgrenzen funktionierende Gesellschaften. Wir sind in der Lage Dinge zu erfinden, weiterzuerzählen und mithilfe unserer Willenskraft unsere „tierischen“ Instinkte zu unterdrücken. Das alles macht uns zu einem fähigen Mitglied einer funktionierenden Gesellschaft. Vom Primaten zum Menschen durchlebten wir in der Menschheitsgeschichte drei kognitive Revolutionen. Die erste ermöglichte uns mit dem Weitergeben von Informationen die Planung von Jagd und Schutz in der Wildnis. Die zweite verhalf uns durch das Austauschen vom noch heute allseits beliebten „Gossip“ - also dem gegenseitigen Informationsaustausch zu sozialen Beziehungen - zu einer stabilen Gruppengröße von 150 Angehörigen. Bis genau zu dieser Gruppengröße reicht rein das soziale Netz untereinander ohne Gesetzbücher und Rangbetitlungen, egal ob in Gemeinschaften, Unternehmen oder militärischen Einheiten. Aber erst die dritte kognitive Revolution befähigte uns dazu ganze Kulturen, Nationen, ja sogar Ak-
tiengesellschaften anhand eines kommunizierten Glaubens und damit verbundenen kollektiven Willen aufzubauen. Und auch wenn uns in zum Beispiel Deutschland nicht mehr nur der christliche Glaube eint, ist es inzwischen wohl vielmehr der Glaube in den Konsum. Solange alle konsumieren, wächst die Wirtschaft und das Warenangebot. Unsere Fähigkeiten zusammen zuarbeiten hat uns ermöglicht unvorstellbare Errungenschaften zu erfinden: Der Mensch konnte nicht nur auf den Mond fliegen sondern erfand auch Dinge, um den ganz normalen Alltag zu erleichtern: Waschmaschinen, Autos, Handys, Internet. Dinge ohne die wir - angekommen in der Heutigen Zeit - nicht mehr leben wollen und wie selbstverständlich in unserem Alltag nutzen. Aber die Zeit, die wir durch Maschinen „eingespart“ haben, füllen wir gekonnt mit weiteren Aktivitäten. Waren es damals ein bis zwei Briefe, die man sich arbeitsintensiv schrieb, sind es heute hunderte Mails die täglich unser Postfach sprengen. Der Wunsch nach einem vereinfachtem Leben, in dem wir alles besitzen können was wir nur wollen, heimste uns mehr Arbeit und größere Wünsche ein. Wir verfielen dem romantischen Konsumismus, welcher uns predigt, dass uns neue Erfahrungen mehr als alles andere erfüllen und ändern. Das bedeutet in einer Konsumgesellschaft, sich mit so vielen neuen Produkten, Dienstleistungen und fernen Reisen wie nur möglich zu verwirklichen. Dabei, wie uns wahrscheinlich allen unterbewusst schon bewusst ist, macht ein starker familiärerer Halt und ein stabiles soziales Netz glücklicher als Gesundheit oder vor allem Geld. Und auch wenn jetzt jeder Europäer unter sehr viel mehr Selbstbestimmung als vor noch ein paar Jahrzehnten lebt, stellt sich die Frage, ob wir wirklich durch vielen materiellen Güter unseres heutigen Lebensstandards glücklicher geworden sind, welche zugleich die festen Gemeinschaften zerrüttet. Zum einen durch die schiere Wahl an Möglichkeiten, welche uns überfordert Verpflichtungen einzugehen, jeder ist nach seinem Kapital
Was aus diesem Artikel mit zu nehmen ist: Klatsch gehört zu den Errungenschaften der Menschheit und ermöglicht verdammt nochmal ein soziales großes Miteinander (Attention: Vorurteile & verachtendes Lästern sind dennoch unerwünscht). Und schätzt was ihr habt, egal ob man jetzt den Teufel mit dem Klimawandel an die Wand malen will (er ist eh da), unser Konsum in dem Maße ist nicht für diese oder sonst eine Welt geschaffen, er ist überproportional und macht uns auch langfristig nicht glücklicher.
Schubladendenken
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fetisch fetisch fetisch fetisch fetisch fetisch
LI EBE FÄ LLT WA NN UND WOH I N S I E W I LL ... Der Mensch ist unendlich vielfältig. Fetische oder sexuelle Orientierungen sind nur ein kleiner Ausschnitt des mannigfaltigen Faccettenreichtums der Menschheit.
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Fetische
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UNSERE FETISCHE
Ein „Fetisch“ ist die Sexualisierung eines Gegenstandes oder Körperteils, der zur Stimulierung der sexuellen Erregung und Befriedigung dient. Es handelt sich um eine mit anderen Vorlieben gleichberechtigte sexuelle Präferenz , aber kann auch eine behandlungsdürftige Störung des Sexualverhaltens (Paraphilie) werden, in dem Fall ist der Fetisch ein Leidensdruck und dient als vollständiger Ersatz für die partnerschaftliche Sexualität.
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Der Mensch findet für alles einen Namen, sei es zur sexuellen Ausrichtung, der Genderzugehörigkeit oder einem besonderen Fetisch eines Menschen. Vor dem Kategorisieren, Abstempeln und Einsortieren in das uns vertraute gesellschaftliche Schemata ist wohl keiner mehr sicher. Passt die eigene Persönlichkeit nicht in eine der vorgeschriebenen und perfekt definierten Schubladen, verstehen einen nicht nur die Leute um einen herum nicht mehr, sondern es entstehen Selbstzweifel. Wer bin ich und warum bin ich so, bin ich nicht „normal“ und bin jetzt allein damit? Während andere einen also nicht mehr in ihrer Weltanschauung verorten können, verliert man selbst jeden Halt und Orientierung. Der Mensch braucht gewisse Anhaltspunkte, Schemata und Strukturen um den Wirrwarr des Lebens neben dem eigenen innerlichen Durcheinander zu verstehen und sich selbst in Relation zu seiner Umwelt einordnen zu können. Uns wurde aber fälschlicherweise beigebracht, dass „wenn man sich für eine Schublade entscheidet, sich nur für diese entscheidet“. Wir wollen zum Beispiel Schwulsein messen: Welcher der beiden Partner nimmt eher die Männer- und welcher die Frauenrolle an, ist man eher Geber oder Nehmer und kann er sich überhaupt sicher sein, wenn er es nie mit einer Frau versucht hat? Vielleicht sollten wir in Zukunft anhand eines Kreisdiagrammes veranschaulichen zu wie viel Prozent wir uns welcher menschlichen Kategorie einordnen würden. Die Gesellschaft und die damit über Jahrhunderte verbundene alte Vorstellung von Ehe und (ab dem 18. Jahrhundert erst) Liebe, konnte sich inzwischen schon aufraffen und den Unterschied verschiedener Gender akzeptieren. Das jeweilige Kind beim offiziellen Namen zu nennen wird dann doch wieder schwieriger. Keiner verbietet trotz steigender Trennungsrate die Ehe aus Liebe und besinnt sich auf die „Natur der Ehe“ zurück, welche ursprünglich arrangiert war und das Machtverhältnis sowie den Stammbaum der Familien aufrecht erhalten sollte. Romantische Liebe mit Liebesliedern und -poesie gab es zwar schon in den Jahrhunderten zuvor, aber die moderne romantische Liebe scheint das ultimative Lebensziel unserer Zeit geworden zu sein. Neben der geldorientierten Wirtschaft, modernen Wissenschaft und den öffentlichen Medien besinnen sich die Menschen zurück zu ihrer Privatheit und Intimität und versuchen in dieser neuen Komplexität die wahre Liebe zu finden.
Der Mensch br aucht gewisse Anhalt spunk te, Schem at a & Struk tur en um da s Wirr Warr des Lebens zu ordnen.
Die hier aufgezählten Fetische sollen als grobes Beispiel dazu dienen, dass der Mensch versucht die Menschheit in unzählige von ihm definierte Kategorien einzuordnen und darin die Ironie ein natßrliches vielfacettenreiches Wesen komplett in menschliche Begriffe zu zerlegen.
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1)
MECHANOPHILIA
11)
FLATOPHILIEE
Maschinen-Fetisch; laut der Definition fühlt man sich zu technischen Gebilden mit Antriebssystem hingezoge.
Erregung entstuht durch Furzen.
2)
eine Form der Zoophilie; Genuss kleine Insekten oder Käfer über sich kriechen zu lassen und eventuell gebissen zu werden.
12)
INFLATABLE-FETISCH
Gesteigertes Lustempfinden, wenn aufgeblasene Dinge wie etwa Ballons oder Schwimmreifen zum platzen bringen oder langsam aus ihnen Luft entlassen. 3)
HYBRISTOPHOLIE
Sich Körperlich zu Kriminellen hingezogen fühlen.
13)
7)
HEMOTIGOLAGNIE
FORMICOPHILIE
IANTRONUDIE
Lustempfinden beim Ausziehen vor seinem Arzt. 14)
KRYOPHILIE
Tampon-/Menstruation-Fe tisch; besonderes Lustemp- Sex bei extremer Kälte, zum 4) AGALMATOPHILIE finden bei Geruch, Konses- Beispiel im Schnee. tenz und ect. (Getragene Einen Fetisch für Statuen, Einlagen gibt es auch Online 15) BRENNESSEL-FETISCH Schaufenster oder/und Gum- anonym zu kaufen.) Das Verlangen danach, die mipuppen haben. 8) MENOPHILIE auf der Haut brennende Pflanze, Brennesel über ero5) OMORASHI Lust auf Frauen, welche ihre gene Körperstellen zu streichen. Lust durch eine volle Blase Monatsblutung haben. oder auch dem Einnässen des Partners (eher in Asien 9) AXILISMUS bekannt). Achselhöhlenfetischismus; 6) PLUSHOPHILIE mit „Reibung“ unter der Achselhöhle seines Partners, Kuscheltier-Teddy-Fetisch; wird Lust erzeugt. eine gesteigerte sexuelle Befriedigung durch die blo- 10) ZELOPHILIE ße Plüschtier-Anwesenheit, als Sexpuppe benutzt oder Den erhöhte Adrenalspiegel man verkleidet sich gleich verursacht durch Eifersucht selbst als eines. bringt Lust.
GENDER GAME Mein Chef, mein Vermieter, mein Zukünftiger, der sein Leben lang wahrscheinlich mehr verdienen wird als ich, die Hauptdarsteller der meisten Filme und Serien sowie deren Produzenten, sie alle sind Männer. Wieso sind gerade Männer in der Geschichte das starke unterdrückende Geschlecht? Sie erhielten Jahrhunderte weltweit ihre Machtpositionen trotz allgemein bekannten Problemen im Multitasking, schnell aufkochenden Aggressionen und rücksichtslosem Dominanzgehabe. Wieso soll der Uterus der Frau schuld für ihre Versklavung in Küche und dem Haushalt sein? Es war wohl eher was die Kultur aus der Biologie des Menschen gemacht hat, die uns in diese uns altbekannten Geschlechterrollen zwängte. „Die Biologie gibt Frauen die Möglichkeit, Kinder zu bekommen - und die Kultur zwingt Frauen dazu, diese Möglichkeit wahrzunehmen.“, schreibt Yuval Noah Harari in seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Genauso wie Homosexualität, sie wird als unnatürlich tituliert, wobei aus biologischer Sicht alles „mögliche“ definitionsgemäß auch „natürlich“ ist. Unsere einfältige Vorstellung vom Natürlichen stammt teilweise aus der christlichen Theologie, Gott hat jedes Körperteil mit einem bestimmten Nutzen erschaffen und nach diesen muss der Mensch „natürlicherweise“ nachgehen und funktionieren. Reden wir also von Geschlechterrollen, diese folgen nicht dem biologischen Geschlecht, objektiv und seit Anbeginn der Menschheit unverändert, sondern dem gesellschaftlichen Geschlecht. Dieses unterscheidet männliche von weiblichen Eigenschaften und ist verankert im subjektiven Bewusstsein der Menschen, welches unter dem ständigen Wandel der Kultur steht. So sind die Fähigkeiten der Frau in der Küche oder ihre bevorzugte zurückhaltende, dümmliche sowie unterwürfige Verhaltensweise über Jahrhunderte erlernt. Diese Art von Weiblichkeit wurde lange von der Gesellschaft verlangt und nicht nur Frauen mussten sich diesen beugen. Ein Mann hatte selbst immer männlich zu sein, früher setzten Männer für ihre Männlichkeit ihr Leben aufs
Spiel und heute noch schlagen sich manche verletzt in ihrer Männlichkeit die Köpfe ein. Wie er sich jetzt durchsetzen konnte? Klar, der Mann ist das „stärkere“ Geschlecht, der Frauenkörper dahingegen ist robuster bei Hunger, Krankheit und Erschöpfung. Aber Aggressionen und Rücksichtslosigkeit erfüllen ihren Zweck bei der Durchsetzung der eigenen Interessen, egal wie falsch man liegt. Vor nicht allzu langer Zeit waren Priester, Anwälte und Politikschaffende Männer, die höchstangesehenen im Land; Berufe und Aufstiegsmöglichkeiten, welche in dieser Form Frauen noch lange verwehrt blieb. Stattdessen war sie abhängig von ihrer Position und arbeitete weiter körperlich auf dem Land, in der Industrie oder dem Haushalt. Es ging also nicht direkt um Stärke und Ausdauer, sonst würden auch nicht von je her verwöhnte, alte Tattergreise über eine ganze Bevölkerung herrschen können. Geld, Macht und Einfluss genügten. Ein Kaiser schwingt zu seiner Machterhaltung nicht selbst die Fäuste und auch für Mafiabosse etwa machen sich andere die Hände dreckig, harte Arbeit war und ist den unteren Schichten vorbehalten. Würde sich alles nach Muskelkraft richten, stände der Mensch sicher auch an einer ganz anderen Stelle in der Nahrungskette. Er hat sich durch Intelligenz sowie Sozialkompetenz empor gekämpft und ist fähig sich in die verschiedensten Perspektiven hineinzuversetzen. (S. Gattung Mensch) Beide Geschlechter sind dazu fähig, aber wie hat gerade der Mann sich seinen Vorteil in der Gesellschaft ergattert? Es gibt die Theorie, dass ehrgeizige, aggressive und konkurrenzfähige Männer vor Jahrtausenden eher in der Lage waren ihr Erbgut weiterzugeben. Frauen dagegen hatten bei der
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Fortpflanzung die Wahl, mussten sich aber einen unterstützenden Partner für Schwangerschaft und Erziehung suchen um ihr Leben und das des Neugeborenen zu sichern. Diese klassische Rollenverteilung unter den beiden Geschlechtern führte zu einer gewissen Abhängigkeit, bei der die Frau wirtschaftlich und damit unmittelbar von der Leistung ihres Mannes abhängig war. Sie war damit auch an Erwartungen und Anforderungen ihres Mannes gebunden, einschliesslich sich fügsam und fürsorglich hinzugeben.
Schubladendenken
Früher war sicherlich Kraft und Ausdauer überlebenswichtig. Auch bis in die Anfänge des Industriezeitalters hatte man gute Chancen mit Fleiß und Muskelkraft sich einen gewissen Wohlstand zu erarbeiten. In der heutigen Dienstleistungsgesellschaft ist jedoch viel mehr Bildung, Verstand und Sozialkompetenz gefragt und die alten ums Überleben kämpfenden Geschlechterrollen sowie später von uns geformten gesellschaftlichen Geschlechtern sind noch heute unheimlich tief in unser Bewusstsein verankert, dass sich inzwischen nach und nach auflockert.
sinne
VOR UR TEIL E
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THE SKIN WE ‘ RE IN
THE SKIN WE ‘ RE IN
Vorurteile
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<wahn>
schönheits Viele hautbleichende Mittel sind auf Grund von ätzenden und schädlichen Inhaltsstoffen verboten, dennoch ist der Produktumsatz weltweit höher als bei Bräunungs- und Sonnenschutzprodukten. Ob Asien oder Afrika, die nicht von Natur aus blasse Welt scheint sich immer noch veralteten Schönheitsstandarts zu beugen, während in Europa, laut Professor Matthias Augustin (Leiter des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP)) die Zahl der Sonnenstudiobesucher von 11% auf 1,6% von 2001 bis 2015 sank. Dieser hohe Rückgang von 85% hing zusammen mit dem erstarkten Bewusstsein für das Risiko von Hautkrebs. Aber wie kann ein solcher Schönheitswahn entstehen und so lange bestehen? Bis ins 20. Jahrhunderts war jede Gesellschaft von sich selbst überzeugt die Wahre im Vergleich zu anderen zu sein. Ihre eigene Hierarchie musste die Richtige sein, denn andere waren im Vergleich „ungerecht“ aufgebaut und hatten eine unnatürliche Ordnung. Ironie, da nicht jede Nation die Richtige, Wahre und Gerechte sein kann, aber sie es von sich glauben. Das Konstrukt der Hierarchien ist das Ergebnis aus den irgendwann erfundenen Glauben und Mythen. Gesetze und Normen geschaffen durch die menschlichen Fantasie und bindend für alle Nachkommen der Gesellschaft. (gesteigert durch Konsumgesellschaft) Dem Weißheitswahn verfiel Europa selbst im viktorianisch geprägten Teil des 19. Jahrhunderts, die arme Landbevölkerung erbräunte bei ihrer harten körperlichen Arbeit auf dem Feld und Acker, nur der nicht-arbeitende Adel konnte es sich leisten die Sonne zu meiden. Daher auch die Bezeichnung „blaues Blut“, der Adel war so bleich, dass die blauen Venen
unter der dünnen Haut durchschienen. „Reinheit“, das unerfüllbare Ideal vieler Kulturen, ob im Zusammenhang mit Kleidung, Hygiene oder Aussehen. Der Mensch fürchtet und ekelt sich vor Unreinem, ursprünglich ein biologischer Überlebensinstikt zum Schutz vor Krankheiten und in der Geschichte viele Male bewusst benutzt um bestimmte Gruppen wie zum Beispiel Frauen, Juden, Farbige oder Homosexuelle als unrein zu etikettieren und von der restlichen Gesellschaft abzuschotten. Auch in der Westlichen Gesellschaft hat sich vor nicht allzu langer Zeit der neue Zwang zur Reinheit durch eine allumfassende Körperhaarentfernung entwickelt. Alles soll sich aalglatt wie ein Kinderkörper anfühlen, unablässig davon, dass auch unsere Intimhaare nicht ohne einen bestimmten Grund existieren. Nämlich gerade vor Unreinheit zu schützen und dass sich der Vergleich mit einem Kinderkörper pädophil anhört muss ja eigentlich nicht erklärt werden. Wird eine Gesellschaftsgruppe benachteiligt, dreht sich das Teufelsrad nur allzu gerne weiter und sorgt dafür, dass auch spätere Generationen weiterhin diskriminiert werden. Nehme man als Beispiel die Vereinigten Staaten von Amerika Mitte des 20. Jahrhunderts: Anfangs importierten die europäischen Eroberer Sklaven aus Afrika, da sie günstiger und einfacher zu beschaffen waren, zumal sie gegen dortige Krankheitserreger größtenteils immun waren. Mit pseudowissenschaftlichen und religiösen Mythen wurde das Bild der biologisch unterlegenen, - ob als dumm, moralisch unterentwickelt oder krankheitsverbreitend titulierten - Schwarzen gefestigt. So herrschten noch lange nach der Abschaffung der Sklaverei diskriminierende Gesetze, welche wiederum zu Armut und mangelnder Bildung der Gesell-
schaftsgruppe führte. Die hellhäutige Elite sah sich damit um so mehr in ihren kulturellen Vorurteilen bestätigt und das Rad der Rassendiskrimierung drehte sich von neu. Das amerikanische Schönheitsideal beruhte so, wie hätte es auch anders sein können, auf weißer Haut, glatten Haaren und einer schmalen Nase. Aber deswegen begannen etwa die Asiaten noch lange nicht mit ihrem We i ß h e i t s wahn genauso wenig wie die Ureinwohner Amerikas, die ersten Segler mit Weihrauch verhüllten, nicht weil sie glaubten, die Europäer wären Götter, sondern weil sie schlicht weg schlecht rochen. Im alten China ist der Weißheitswahn mit dem Glauben an die Entstehung des Menschen verbunden. Die Göttin Nü Wa habe die Menschen aus Erde geformt, den Bauern aus einfachem braunem Lehm und den Aristokraten aus feiner gelber Erde. Und auch wenn dieser Glaube ein alter ist, wird Blässe in China auch mit Weiblichkeit assoziiert. Grund dafür ist, dass der Teint der Frau im Schnitt etwa 15 Prozent heller ist als der der Männer. Von dieser Weiblichkeit wird sich Attraktivität versprochen und so, egal ob im Kino oder in Modezeitschriften, egal ob männlich oder weiblich haben inzwischen alle Schauspieler, Models und Prominente eine „makellos milchfarbene Haut“. Diese Stigmatisierung erstreckte sich bis in den modernen Heiratsmarkt Chinas. Denn laut einer China Youth Daily Umfrage im Mai 2013, wäre der Idealpartner, von 81,2 Prozent der jungen Chinesen eine „Bai Fu Mei“, also eine weiße, wohlhabende und schöne Frau oder ein „Gao Fu Shuai“ und somit ein großer, wohlhabender und schöner Mann. So änderte sich zwar das Ideal einer schwachen und gefügigen Frau zu einer finanziell unabhängigen und selbstbewussten Frau, aber
die Blässe als Abbild des sozialen Status und wichtiger sexueller Attribut blieb. Und auch in Indien hängt die Schönheit einer Frau mit ihrer Blässe zusammen. Während das indische Kastensystem jedem Inder von Geburt an bis zu seinem Tod eine soziale Stellung zuschreibt, war eine blasse Haut Merkmal eines höheren Kasten. Angefangen mit den Brahmanen (Priestern und Gelehrten (weiß)), Kshatriyas (Fürsten, Krieger und höhere Beamte(rot)), Vaishyas (Bauern und Kaufleute (gelb)) sowie den Shudras (Knechte und Diener (schwarz)). Als unrein werden die Dalits (die Unberührbaren) angesehen, auch Harijans oder Parias genannt und sind die Nachfahren der indischen Ureinwohner. Sie gehören nicht zu den Hauptkasten, dürfen nur „unreine“ Arbeiten verrichten, wie Wäscher, Friseur oder Müllbeseitiger und leben meist getrennt von den anderen Kasten, da es ihnen auch untersagt ist Tempel zu betreten oder Brunnen zu benutzen. Je ländlicher gelegen, desto mehr Diskrimierung erfährt die Randgruppe, welche 2011 rund 17 Prozent der Bevölkerung ausmachte. In Japan dagegen gehörte helle Haut zur ethnischen Sonderstellung der Japaner und sie grenzten sich so von den anderen ethnischen Fremdgruppen ab, welche eine dunklere Hautfarbe besaßen. So schminkten sich die Frauen schon in der Nara-Zeit (710 bis 794) mit Pudern aus Mineralien oder einem Puder aus Reis, Hirse und Gerste. Später in der Hofkultur Japans in der Heian-Zeit (794 bis 1185) wurde weiße Haut noch populärer durch die sich nur im Palast aufhaltenden Edelfrauen. So trennte nun auch der Teint in Japan den Adel vom Bauernvolk dazu kam, dass es zur Anstandsregel der hochangesehenen Männer gehörte, ihre Frau nur in manchen Nächten aufzusuchen. In der Dunkelheit des Kerzenscheins sollte das weiße Gesicht der Edelfrau mit ihrem tief schwarzen Haar
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Vorurteile
NICHT S Unsere Sinne machen uns aus. Wir existieren durch sie und mit ihnen, vergessen das aber allzu oft und müssen uns bei jeder kleinsten Erkältung daran erinnern, wie schön es doch ist und wie selbstverständlich es sich anfühlt eine offene Nase zu haben. Wir fordern unseren Körper, benutzen ihn um länger, härter, besser durch zu feiern oder machen zig verschiedene Diäten, aber keinen Sport um dann eh wieder mit Chips auf der Couch zu landen. Manchmal hassen wir unseren Körper und manchmal ist man sogar echt zufrieden. Aber was wir komplett vergessen: Er ist Ich; wir funktionieren nur mit ihm. Er macht uns zu dem wer wir sind, durch unsere Hormone und Mollkeüle gesteuert, eine Ansammlung von aber Millionen von Atomen. unseres Lebens. Rationale und Emotionale Beweggründe müssen miteinander verglichen und abgewogen werden. Unser seelischer Zustand färbt sich auf den körperlichen ab, durch eine Lebensbejahende Einstellung und das Lösen von eingefahrenen Denkweisen und Verhaltensmustern kann die Gesundheit verbessert werden. Schon fast so mystisch wie der Placebo-Effekt, nur eben beeinflusst durch die eigene Lebenseinstellung. Während also seit Jahren versucht wird das Leib-Seele-Problem zu ergründen, sollte doch klar sein, dass ohne den einen Teil, der andere kaum lebensfähig ist. Solange die künstliche Intelligenz nicht die emotionalen Fähigkeiten und Spontanität des Menschen besitzt, sollte die Trennung von Körper und Geist nicht möglich sein. Aber vielleicht täusche ich mich und wir haben schon bald die Köpfe der wichtigsten Staatsmänner ganz wie in Futurama in einem Glass stecken und sie könnten mit uns reden. Enwticklungen sollte man nicht ausschließen, aber die Wichtigkeit von Körper und Seele miteinander bestimmt auch unser Glück. Also ist Erkennen und Umsetzen der erste Schritt zu einem gesunden Körper-Geist-Haushalt. Also alle mal tief durchatmen und spüren wie unsere Nase ganz ohne Belastung die Luft einsaugt und in unsere Lungen strömt um dann unseren gesamten Körper mit Sauerstoff im Blut zu durchfließen. Blut in unser Hirn, um so zu funktinieren wie es eben der Mensch noch bis 2020 tat. Während wir noch in damaligen Zeiten in einem Stamm mit maximal 150 Artgenossen lebten und die Wahl aus einer Handvoll potentieller Partner hatten, haben wir jetzt Tinder. Je gestresster wir sind, desto überforderter sind wir überhaupt Entscheidungen zu treffen und haben letztendlich einen schlechteren Zugang zu unseren Gefühlen. Wir lassen uns Alles bis in die letzte Minute offen und würden am liebsten auf allen Partys gleichzeitig tanzen. Vielleicht eine Entwicklung durch Handy und Social Media, man kann noch eine Sekunde vor Beginn der Veranstaltung zu- oder absagen und hat zu jeder Zeit die Möglichkeit sich eine Alternative zu suchen. Und so mancher Partyhopper versucht alles in einer Nacht unter einen Hut zu bekommen, auf der einen Party zu früh, auf der nächsten gegangen wenn es am Besten ist und auf der letzten war schon
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Vorurteile
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ab hier auf grĂśĂ&#x;e nochmal achten
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KLEIDER MACHEN LEUTE Vom Schnitt, den Farben bis hin zu den Stoffen ist Kleidung ein Ausdrucksmittel und auch wenn heutzutage Trends durch Social Media und co. unheimlich schnell wechseln und damalige „No-Go’s“ zu Hinguckern werden. Werden alte Trends nach und nach wieder aufgegriffen und verpuffen so schnell wie sie aufgeploppt sind. In Zeiten der Fast Fashion Industrie und den großen Modeketten, eifern viele oftmals der Masse hinterher. Und dennoch kommuniziert Kleidung Stimmung und Szenenzugehörigkeit, denn auch dem Mainstream verfallen, kreiert jeder abhängig von seiner Laune und seinem Charakter seinen eigenen Kleidungsstil. In der Masse der Menschen ist Kleidung für uns mit der erste Indikator — ob bewusst oder unbewusst — über Menschen zu urteilen, sie einzuordnen und mit ihnen entsprechend umzugehen.
Auch bei Menschen, die einen jahrelang kennen, beeinflusst der Kleidungsstil den Umgang miteinander. Die altbekannte Kombination aus Jeanshose und T-Shirt verschafft uns zum Beispiel Sicherheit, es ist nicht nur simpel und gemütlich, sondern zeigt auch Angst vor Risiko und Verlust. Gewagtere Kleidung dagegen zeigt Selbstbewusstsein, Kreativität und macht neugierig, zeigt aber auch die Angst vor Festlegung und Abhängigkeit. Bestimmte Marken, Schnitte oder Kombinationen formen ein Aushängeschild der Persönlichkeit, ob unaufgeregt, ängstlich, verführerisch, bieder, feminin, zielstrebig, maskulin, sportlich, souverän, faul, streng, kompetent, treu, erfolgreich oder Naturfreund. Wir können uns zu der Person machen, die wir gerne wären oder auch nur den Nutzen in ihr sehen, dennoch macht Kleidung auch etwas mit uns. Auch wenn Männer weniger Modebewusst wirken, beeinflusst auch die Kleidung des Mannes stark sein Selbstbild und Selbstvertrauen. Sie kann uns im Bewerbungsgespräch oder der Partnersuche helfen. Sie gibt uns die Möglichkeit uns zu differenzieren und so seine augenscheinliche Kompetenz oder Attraktivität zu beeinflussen. Die Studie „Enclothed cognition“ von Adam Galinsky und Hajo Adam aus dem Jahr 2012, untersuchte den Einfluss beim Tragen eines weissen Arztkittels und tatsächlich erhöhter dieser die Aufmerksamkeit der Probanden. Kleidung setzt in uns bestimmte Assoziationen frei, ob wir jemanden beurteilen, einordnen oder sie selbst tragen.
07 Vorurteile
Ich bekomme nie eine Männergrippe. Ich bin Single, da ergibt sowas keinen Sinn. – Eine wahre braucht Publikum. Männergrippe
Wird Mann krank, folgen häufig übertriebene und überempfindliche Reaktion auf Husten und Schnupfen. Mann leidet, aber nicht ganz ohne Grund. Denn durch das vorwiegend im Frauenkörper zu findende Hormon Östrogen werden Viren in ihrer Vermehrung gehemmt. Während
Männer weniger Östrogen produzieren, produzieren sie stattdessen mehr Testosteron, welches die Anzahl der Antikörper wiederum senkt. Dazu kommt, dass Frauen regelmäßigen Schmerz dank Periode gewöhnt sind und prinzipiell vorsorglicher mit ihrem Körper umgehen.
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Vorurteile
Das verflixte Privileg unserer Zeit, immer und überall die Wahl zu haben.
HOW TO CHOOSE
Obwohl wir die Wahl haben, sind wir überfordert und stehen vor zu vollen Regalen mit einer Vielzahl an ähnlichen, kaum unterscheidbaren Produkten. Die Welt steht uns so offen wie nie zuvor und dennoch können wir uns kaum entscheiden in welche Richtung wir aufbrechen sollen. Ob vor den Regalen im Supermarkt, vor der Speisekarte im Restaurant oder beim Planen eines Partyabends, wir können uns nicht entscheiden. Wir wollen keinen Fehler machen und uns nicht zu früh festlegen. Bei dem Versuch es allen recht zu machen und gleichzeitig seinen eigenen Ansprüchen zu genügen, merkt man nicht, dass dieser Druck von außen, aber vor allem von innen, einen selbst hemmt und belastet. Auch wenn wir es heute so leicht haben mit all den Möglichkeiten, die sich uns darbieten, sind wir nicht glücklicher als noch vor ein paar Jahrzehnten.
Vorurteile
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Ein Vanillejoghurt ist nicht gleich ein Vanillejoghurt. Es gibt einen von der Billigmarke, einen anderen von einem Gourmetlabel, einen Biologischen und einen Fair Trade. Weitere sind aus Soja, Lupinen oder Milch mit zusätzlich Sahne, mit Schokostreuseln, oder Müsli. Und es gibt natürlich auch den, der extra nur für Kinder ist. Jeder hat die Wahl, jeder findet etwas passendes für sich, denn der Markt ist zugeschnitten auf alle erdenklichen Wünsche und Ansprüche. Während daran gearbeitet wird immer neue Produkte zu produzieren, um unsere unstillbare Neugierde zu befriedigen, wächsen die Profite und die Ressourcen der Erde schwinden. Es stellt sich die Frage, wem die Erde gehört und wer die Verantwortung für ihren Erhalt trägt. Wer hat die Macht der restlichen Menschheit zu vorzuschreiben: Bis hierhin und nicht weiter! Mutter Erde wurde zu unserem hilflosen Schützling:Verletzlich und überfordert mit uns Menschen. Sie hat keine Wahl, während wir minutenlang vor der Speisekarte im Restaurant sitzen um am Ende doch nur das abermals Gleiche zu bestellen. Wollen wir unseren Genüssen und Gelüsten, unseren Gewohnheiten oder doch unserem guten Gewissen folgen? Unser Luxusproblem des „Sichfestlegens“ überträgt sich auf jede Entscheidung unseres Lebens. Rationale und Emotionale Beweggründe müssen miteinander verglichen und abgewogen werden. Während wir noch zu Beginn unserer Existenz in einem Stamm mit maximal 150 Artgenossen lebten und die Wahl aus einer Handvoll potentieller Partner hatten, haben wir jetzt mit der Tinder oder anderen Dating-Apps weltweit die Wahl einen möglichen Partner zu finden. Alles ist überall möglich, man kann sich quasi nur selbst im Weg stehen. Noch mehr Stress! Je gestresster wir sind, desto überforderter sind wir überhaupt Entscheidungen zu treffen und haben letztendlich einen schlechteren Zugang zu unseren Gefühlen. Wir lassen uns alles bis zur letzten Sekunde offen und würden am liebsten auf allen Partys gleichzeitig tanzen. Vielleicht ist das auch eine Entwicklung durch das Smartphone und Social Media: Man kann noch eine Sekunde vor Beginn der Veranstaltung zu- oder absagen und hat zu jeder Zeit die Möglichkeit sich eine Alternative zu suchen. So mancher Partyhopper versucht alles in einer Nacht unter einen Hut zu bekommen und macht wenig befriedigende Erfahrungen: Die erste Party zu früh verlassen, auf der zweiten Party gegangen, als es am besten war und auf der dritten war schon tote Hose. Man vermittelt anderen, sie seien es nicht wert nur auf ihrer Party Gast zu sein und man stresst sich eben auch selbst. Setzt man sich aber mit seinem Stress auseinander, wird klar, je schwerer die Entscheidung wird, desto gleichwertiger sind die Optionen. Fällt es mir schwer eine Wahl zu treffen, bedeutet dies auch, dass ich nicht leichtfertig mit meinen Entscheidungen umgehe, ich stelle nicht nur meine Entscheidung in Frage sondern auch mich selbst. Das klingt absurd, weil bei den simplen Fragen des Lebens, ist der Zeitaufwand des ewig langen Grübelns nicht gerechtfertigt. Uns fehlt die Übung das „Hier und jetzt“ zu genießen und in uns hineinzuhorchen: Was ist wirklich wichtig für mich und wo liegt meine Priorität? Und keine Entscheidung zu treffen, ist eine Entscheidung ohne Entwicklung, konservativ und nicht standhaft. Also wählt eure Entscheidungen gewissenhaft, aber lasst euch nicht die Laune von einem Joghurt vermiesen.
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Eine typisch deutsche Kleinstadt mit 24 Ortschaften, die sich nicht groß von vielen anderen Kleinstädten in Deutschland unterscheidet. Karriere und Zukunft versprechen sich viele nun mehr in Großstädten und der
zunähmende Leerstand lässt die Unzufriedenheit der Einwohner wachsen. Jeder kennt jeden und die Einwohner lassen sich auch ausserhalb des Dorfs an ihrem unverkennbaren „angezülpichten“ Kölscher Dialekt der Stadt
Ein Stadt-Portrait Nordrhein-Westfalen
Kreis Euskirchen
zülpich
50°41‘39.0“N 6°39‘07.5“E
Zülpich, eine typisch deutsche Kleinstadt, damals noch Nordeifel zwischen Bonn und Aachen liegend, umgeben von unterscheidet sich eine sich nicht groß von vielen zwischen Bonn und Aachen liegend, umgeben von unterscheidet sich eine sich nicht groß von vielen Kleinstädten zwischen Bonn und Aachen liegend, umgeben.
Vorurteile
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zuordnen. Hier scheint seit meiner frühen Kindheit die Zeit stehen geblieben zu sein, hier und dort modernisiert sich die ein oder andere der vier Apotheken während gleichzeitig ein Geschäft nach dem anderen schließt. Schlecker steht noch heute leer und die einzigen Bahngleise in die nächst größere Stadt Euskirchen sind schon lange außer Betrieb. Mein Vater ist schon in jungen Jahren nach Köln geflohen und dann später weiter nach Frankfurt und die Oma- und Onkel-Besuche beschränkten sich irgendwann auf höchstens zwei-dreimal im Jahr. Mit weniger Kontakt verschoben sich die Welten zwischen Großstadt und Dorf immer mehr, Stadt hieß Stress und Prioritäten weg von der Familie, während im Dorf die Langweile stieg und das Gemeinschaftsgefühl sank. Die Stimmung der Einwohner verschlechterte sich nicht nur gegenüber der Regierung sondern auch gegenüber den zugewanderten Mitmenschen. Ein Opfer der Gentrifizierung wie so viele andere Dörfer und der Frust sowie die Enttäuschung über die leeren Versprechen der „Modernisierung“, geben den Menschen selbst das Gefühl das Pechlos im Leben gezogen zu haben. Der Mensch lässt sich ohnehin in der heutigen Zeit von den Medien zu stark zu neuen Erwartungen an sein Leben und Erleben beeinflussen. Diese neuen Ansprüche legen sich wie ein nicht zu erfüllendes dunkles Tuch über die Lebenseinstellung der Menschen. Eine Lebenseinstellung, die heute ein längeres Leben besteht wie noch vor ein paar Jahren. Alter wird älter und auch wenn es sich so anfühlt als hätte sich beim Anblick der alten Häuserfassaden über Jahrzehnte kaum etwas verändert, nimmt der Leerstand die Oberhand. Die Bevölkerungsdichte bleibt zwar die Selbe, aber
der Altersdurchschnitt verlagert sich immer weiter nach hinten, so dass die alten Ladenbesitzer nach und nach in Rente gehen und der Hotspot der Stadt sich in die Arztpraxen verlagert. Dort angelangt herrschen dennoch bestimmte Vorstellung von Gegenleistungen, ist der Termin um 15 Uhr, wird bereits um 15:07 Uhr genörgelt, selbst wenn zur gleichen Zeit ein Krankenwagen vorgefahren kam. Man sieht nur sich und seine Probleme und in der neuen Einsamkeit des Alters, nicht mehr eingebettet in das soziale Leben der Familie, zusammen unter einem Dach wohnend und mit dem gesamten Dorf auf jedem Fest anwesend, erreicht das „deutsche Nörgeltum“ seine Spitze. Zwischen den emotionalen Unwahrheiten „Asylanten, die uns alles wegnehmen, was uns eigentlich zusteht“, „Alles wird immer teurer!“ und „Früher war eh alles besser.“ schwindet die Sinnhaftigkeit des Lebens, man hat es ja eh immer schlechter. Mit der Sinnhaftigkeit schwindet das Glücksgefühl, erst wollen ältere Menschen nicht mehr Teil des großen Ganzen sein, sind vielleicht irgendwann ihr langes Leben satt und schotten sich ab um in eine Nutzlosigkeit und Unzufriedenheit aus Selbstmitleid zu verfallen. Das damalige starke Gerüst der Familie weicht der Einsamkeit. In der Stadt ist es jedoch nicht ganz anders, der Leerstand der Geschäfte wächst, nur auffallen tut es zwischen den herkömmlichen Ketten in mindestens dreifacher Ausführung und der Masse an Menschen nicht. Aber es gibt mehr Möglichkeiten seinen Interessen nach zu gehen und verschwindet in der Anonymität. Wenn ich zu Besuch bin, fühle ich mich hilflos, hilflos in der kurzen Zeit meines Besuches irgendetwas verändern zu können. Sie haben
ein Recht darauf unzufrieden zu sein, aber auch wenn Jeder jeden kennt, haben sich alle, wie auch in den Großstädten, immer weiter voneinander entfernt, so dass das „Ich“ inzwischen wichtiger ist als das „Kollektiv“. Aber in mir flammt eine kleine Flamme der Hoffnung, durch Home-Office und co kommen junge
Menschen mit Antrieb und Zielen zurück auf die Dörfer, dank der günstigen Mieten. Ein Trend der sich hoffentlich weiterentwickelt und der neuen „alten Generation“ auch ein Stück Hoffnung zurück gibt. Die Stadt hat wohl die selbige Hoffnung und die Bahngleise nach Euskirchen werden just behindertengerecht zurück gebaut.
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Leben woanders
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Leben woanders
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DIE AUSNAHME WIRD ZUR RE GEL UND DIE MI SERE DARUBER, DASS MAN SICH IM LEBEN IMMER FUR DIE LANG SAMSTE SCHLANGE ENT SCHEIDET.
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Vorurteile
Wie oft steigt in einem das Gefühl auf, nicht so viel Glück im Leben zu haben wie Andere, nie etwas zu gewinnen oder schlimmer noch, der ewige Verlierer zu sein? Ob im Stau oder an der Schlange vor der Supermarktkasse um 18 Uhr: Es ist Primetime und rappelvoll. Man überlegt, schätzt noch ab und entscheidet sich schließlich für eine Reihe und es ist garantiert immer die Falsche. Es stockt und in der anderen Reihe läuft es auf einmal wie am Schnürchen. Ob rechts oder links, wie verhext scheint mein Pechvogel-Schicksal besiegelt zu sein. Ich warte geduldig und habe alles im Blick - naja, alles was man wahrnehmen kann und will. Gerade im Auto ist unsere Perspektive eingeschränkt, alleine durch das nach vorne gewandte Sitzen folgt der Blick allen Fahrzeugen daneben und davor. Die Autos hinter einem, die vielleicht auch mal vor einem waren, sind ganz einfach „aus dem Blick und aus dem Sinn“. Der Drang selbst schneller und besser voran zu kommen als alle anderen, verzerrt die eigene Wahrnehmung. Meine fein zurecht gelegten Orientierungspunkte überholen mich oder verschwinden einfach von der Bildfläche und so auch aus meinem Kopf. Und das was da bleibt ist die pure Frustration über die Ungerechtigkeit dieser Welt. Oder doch die Eingebung, dass die Miseren meines Lebens wohl eher mit mir und meiner Perspektive in Verbindung stehen, als mit dem Teufel persönlich.
U • Unmensch P • Privileg L • Leben D • Dosenfleisch
Mensch Perspektive Leiden Entmenschlicht
<SOS>
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Vorurteile
DOsEnflei S ch Paradoxerweise kann der Mensch unmenschlich handeln, indem er andere absichtlich verletzt, foltert oder tรถtet. Doch wie kann ein Mensch unmenschlich sein?
Der Täter hat immer einen Grund, nehmlich seinen ganz eigenen, ob moralisch vertretbar oder nicht. Sei es eine Mutprobe, Diebstahl oder die einfache Annahme im Recht zu sein, der Unmesch hat seinen für sich ausreichenden Grund dafür gehabt. Er verstößt gegen die Werte, die sich die Gesellschaft Jahrhunderte lang aufgebaut hat, wobei die Bezeichnung Unmenschlich gefährlich ist. Blickt man in der Geschichte zurück, diente die Entmenschlichung einer Randgruppe zur eigentlichen Entmenschlichung der gegenüber stehenden Menschengruppe. Man sieht sich im Recht, wie etwa die Geschichte selbst gezeigt hat, Menschen mit Behinderungen oder Andersgläubige werden von vermehrt Einzelnen zunehmend entmenschlicht und die Hemmschwelle der Bevölkerung sinkt selbst menschlich mit ihnen umzugehen. Während sich im dritten Reich also die Nationalsozialistische Ideologie mit ihrer enormen Brutalität durchsetzen konnte, sind Scham und Schuldgefühle noch Jahrzehnte später in den längst nächsten Generationen Bestandteil des Nationalempfindens. In ähnlicher Weise gehen
wir mit unseren Nutztieren um, unmenschlich. Weil sie nicht sprechen können, können sie uns auch nicht ihre Perspektive der Dinge mitteilen und wir können nur mutmaßen, von welchem Leid ihr Leben in der Massenzucht bestimmt ist. Die wesentlichen Bedürfnisse der Tiere oder überhaupt eines Lebewesens werden vom Menschen ignoriert. Die Bewegungsfreiheit ist bis auf ein Minimum beschränkt, Verhaltensstörungen entwickeln sich irreversibel und die Tiere werden gewaltsam an die Haltungsformen angepasst (durch das Stutzen von Hörnern, Schnäbeln, Ringelschwänzen, Zähnen und Kastration ganz ohne jegliche Betäubung). Wobei bereits bekannt ist, dass Schweine mit ihrer neugierigen, loyalen und einfühlsamen Art intelligenter als der beste Freund des Menschen sind, der Hund. Sie haben die Intelligenz eines drei jährigen Kindes und auch Hühner werden in ihrem mentalen Vermögen unterschätzt. Sie besitzen ein Ich-Bewusstsein, ein gutes Erinnerungsvermögen sowie die Vorstellungskraft für bevorstehendes Geschehen und können so auch Belohnungen herauszögern. Im Vergleich beginnt das „ach so niedliche“ Kleinkind erst ab etwa seinem zweiten Lebensjahr sein eigenes Verhalten im Bezug zu seiner Umwelt zu reflektieren. Aus diesem Grund Tieren das menschliche Grundrecht zuzusprechen ist zu einfach gedacht. Tiere haben andere Bedürfnisse
In ähnlicher Weise gehen wir mit unser en Nut z tier en um: unmenschlich.
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und sind in ihrer Vielfalt so verschieden, dass ein vom Mensch errichtetes „Gesetz - wie miteinander umgegangen wird“ nicht auf Katz und Maus oder Stechmücke und Giraffe übertragen werden kann. Nur wie lange wird es dauern, bis der Mensch zu seiner Menschlichkeit zurückfindet und sein Bewusstsein für die als Nutztiere titulierten Lebewesen wieder findet? Aus dem besonderen Sonntagsbraten wurde ein täglich bis zu 4/5 mit tierischen Produkten gefüllter Supermarkt.
einsperren (sollten), sollte unserer menschlichen Rasse bewusst werden, dass Fleisch eben nicht ein Grundrecht ist, besonders nicht wenn man als bequemer Kunde der Letzte in der Produktionskette ist. Bevor man also andere Menschen als unmenschlich etikettiert, sollte man als erstes bei sich aufräumen und verstehen, dass, wenn wir schon Menschen sind, uns „menschlich“ zu Mensch und Tier verhalten sollten. Ein Mörder mag zum Beispiel aus seiner Perspektive einen Grund gehabt haben – ob richtig oder falsch zu bewerten – einen Menschen zu töten, er ist und bleibt eben eines, ein Mensch. Unsere Spezies hat klare Vorstellungen von Recht und Unrecht, Richtig und Falsch, obwohl Fehler machen menschlich, ja sogar natürlich ist. Nur ist eben der Mensch in der Lage daraus zu lernen, sein Wissen Generationen weiter zugeben und wirklich etwas zu verändern, jeder einzelne für sich und alle zusammen.
„Fleisch, s af tig , jet z t und immer...“
Fleisch, saftig, jetzt und immer ist eben nicht mein Grundrecht. Die Gesichter der Schlachter auf Massenschlachthöfen werden bei Aufnahmen verpixelt, obwohl sie das tun, was wir von ihnen verlangen. Erbarmungslos, schnell und „unmenschlich“ zerschlitzen sie die Körper im Sekundenakkord. Sie nehmen uns die Aufgabe ab, ein Leben für Geschmack und Genuss zu beenden und das Tier als ganzes Tier sehen zu müssen. Bis die Reise später hygienisch abgepackt und vorgeschnitten in einer anonymen 500gram Packungen endet. Wir entmenschlichen uns selbst, indem wir handeln als sei das Schnitzel vor dem Kalb da gewesen. Und genauso wie wir unsere Mitmenschen nicht foltern, missbrauchen oder
Der Schmerz beim Verlust eines geliebten Menschen, wie etwa eines Elternteils kann Jahre anhalten, aber wieso leidet man eigentlich so lange? Denn während manche ihre Eltern im Erwachsenenalter bloß ein bis zweimal im Jahr sehen, ist das Leid beim Verlust immens. Selbstverständlich ist es einschneidend einen so wichtigen Teil seines Lebens zu verlieren, einen Menschen der einen so viele Jahre begleitet hat und aus dessen Genpool man entstanden ist. Belastet es uns, dass dieser Mensch dann weg ist und unmöglich ihn in irgendeiner Weise zu erreichen oder doch eher wer wir mit ihm waren und wie dieser Mensch uns geformt hat? All die Menschen die wir in unserem Leben kennenlernen bereichern und formen uns. Stirbt ein wichtiger Mensch in meinem Leben, geht somit auch der Teil meiner Persönlichkeit verloren — der Mensch der ich mit ihm war. Stirbt also ein Elternteil, stirbt auch ein Teil unserer Kindheit und die Geborgenheit, die uns unsere Eltern auch im Erwachsenenalter noch geben. So ist es nicht verwunderlich, dass bei einer Nahtoderfahrung meist nicht das ganze Leben an einem vorbei zieht, sondern man sich nur nach seiner Mutter sehnt. Natürlich kann ich nur spekulieren, doch es klingt plausibel und es hilft zu verstehen, dass der Schmerz eines Verlustes, der Verlust an sich selbst ist. Es hört sich egoistisch an, weil wir doch immer diesen Menschen gedenken, nur ihnen und ihrer Willen. Doch der Mensch selbst ist nun mal in seiner eigenen Haut, seinen Gefühlen und Wünschen gefangen, den Verlust nicht akzeptierend.
Leben woanders
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SCHMERZ LEID VERLUST REUE TRAUER NOT KUMMER ELEND VERZWEIFLUNG
vermissen.
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14.04.2015
Wurdest du schon mal geghostet?
21:34
Ich weiss nicht genau, wie fällt mir das denn auf? oh ok....
21:36
22:45
HEUTE
Habâ&#x20AC;&#x2DC;s glaub ich, verstanden...?
13:28
Vorurteile
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GHOSTING, SEHR ASO•ZI•AL Ohne Abschied & ohne Erklärung.
Die originelle & bequeme Art einen Menschen loszuwerden, in dem man sich plötzlich auf allen Sozialen Netzwerken vor ihr aus dem Staub macht. Wie ein Geist werden alle weiteren Nachrichten ignoriert & das Ghosting-Opfer weiß nicht einmal woran er bei dem Anderen ist und warum er einen überhaupt ignoriert. Man macht sich Sorgen, ist selbst verunsichert bis man beginnt an sich selbst zu zweifeln. Ursachen für Ghosting sind: Angst vor Konfrontation; Feigheit mangelnde Empathie; Narzissmus Unfähigkeit, sich selbst und seine Interessen zu vertreten
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Unsere Vorstellungskraft ist schon etwas Tolles, wollen wir uns entspannen, stellen wir uns in Gedanken während einer Meditation etwas Beruhigendes vor wie einen Strand oder beim Einschlafen Schäfchen zum Zählen. Unser Kopf formt Bilder aus den von uns abgespeicherten Erinnerungen, so dass wir mühelos die Bilder in unserem Kopf beschreiben könnten. Aber was wäre, wenn man eben Nichts als Grau, Schwarz oder schleierhafte Bewegungen vor seinem inneren Auge sieht?
IMAGE NOT FOUND Bereits 1880 bemerkte der britische Naturforscher Sir Francis Galton die Unterschiede der kognitiven Vorstellungskraft seiner Mitarbeiter und auch wenn das Phänomen nach wie vor kaum erforscht ist, können sich zwar die meisten Menschen mit Hilfe ihrer kognitiven Visualisierung nach Wunsch Dinge wie einen kleinen rosa Elefanten oder schlichtweg die Gesichter geliebter Menschen vorstellen. Und doch soll etwa jeder Fünfzigste unfähig sein sich vor dem inneren Auge etwas vorstellen zu können. Dieses Phänomen nennt sich Aphantasie, abgeleitet von dem griechischen Wort Phantasie, welches Aristoteles für die Vorstellung unseres Geistes von visuellen Bildern nutzte. Erst 2010 widmete sich Adam Zeman, der Professor für Kognitionsund Verhaltensneurologie an der University of Exeter Medical School durch Zufall nach der Veröffentlichung eines Artikels im Discover Magazin erneut verstärkt dem Thema. In diesem berichtete ein 65-jähriger Mann von den Folgen seiner Herzoperation, durch welche er sein Vorstellungsvermögen verloren haben soll. Daraufhin meldeten sich Leser, welche ganz ohne Unfall, Operation, Gehirnschäden oder Gemütszustandsstörungen seit Geburt an ebenso diese für normal gehaltene Fähigkeit zu haben. Mir fiel schon in der dritten Klasse auf, dass mein Kopf wohl anders arbeiten musste, als der meiner Mitmenschen. In Mathe hieß es: „Stell dir die Rechnung doch einfach vor deinem inneren Auge vor.“, in Kunst: „Visualisiere einfach deine Idee, du musst doch eine genaue Vorstellung haben, wie dein Projekt später aussehen soll?“, und bei unangenehmen Elterngesprächen: „Du tagträumst viel zu oft! Das muss aufhören!“. Aber wie soll man denn tagsüber Träumen? Wie soll man sich bildlich vorstellen was noch garnicht da ist? Und wie konnten sich andere Kinder einen imaginären Freund vorstellen, wenn da doch nichts zu sehen war? Irgendwann stempelte ich das gesamte Thema als mein Laster an Unfähigkeit und Dummheit ab. Wie wäre es sonst möglich, sich nicht einmal bildlich das Gesicht seiner eigenen Mutter vorstellen zu können? Natürlich habe ich ein gewisses Vorstellungsvermögen für bevorstehende Ereignisse und kann mich an Menschen und Orte erinnern, sonst könnte ich mich kaum allein in der Welt zurecht finden. Aber es sind nur unterschiedliche Details, welche sich zu etwas greifbarem aus Beziehungen, Erfahrungen, Unterscheidungen, Kontrasten und Korrelation formen. Wie ein grauer Klumpen an Ahnung oder einer Idee flimmert die Vorstellungskraft durch meinen Kopf ähnlich wie bei einem Computer mit ausgeschaltetem Screen, er funktioniert,
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ERROR 404 man sieht bloß nichts. Aphantasien sind schwer zu diagnostizieren, da man noch nicht in der Lage ist den visuellen Verstand wissenschaftlich zu erklären. Es handelt sich um ein individuelles, subjektives Empfinden, welches oft erst bemerkt wird, wenn einem der Unterschied zu anderen bewusst wird. Und damit handelt es sich nicht um ein direktes Leiden oder eine Behinderung, auf welche die Gesellschaft in irgendeiner Weise Rücksicht nimmt oder nehmen könnte. Aber wenn man weiß, was einem fehlt, fehlt es einem. Ich habe schon lange akzeptiert, dass ich zwar Zeichnen kann, aber nicht aus dem Kopf, ich brauche eine Vorlage und dachte, es liegt nur an meinem Unvermögen nicht besser zeichnen zu können. Linie für Linie muss ich mich an die richtigen Formen und Proportionen herantasten und mir bleibt es schleierhaft, wie andere in der Lage sein können nach einer nur kurzen Begegnung mit einem möglichen Verdächtigen Stunden später ein Phantombild mit erstellen zu können. Ich kann Ideen nicht im Kopf vorab visualisieren, habe noch nie Halluzinationen gehabt und bezweifele auch, dass Drogen etwas daran ändern würden. Träume sind dagegen anders, lebendig, bunt, aufregend und fühlen sich so echt an. Wenn ich meine Augen bewusst schließe und mich mit aller Kraft konzentriere, verschwimmen die kleinen auf- und absteigenden Lichtpunkte genauso wie Wolken zu Formen und Figuren. Mit 14 Jahren habe ich begonnen mich zu fragen: Wie denken Tiere? Ich denke immer in Worten, aber wie ist das ohne ein vollständiges Vokabular, denkt man dann in Impulsen? Mir kam garnicht der Gedanke, dass es nicht Usus ist immer und ausschließlich Unmengen von Wörtern im Kopf rum schwirren zu haben. Fast zehn Jahre später erfuhr ich von Aphantasie und fand mich in ihr wieder. Kein Leiden, aber eine andere Denkweise, die zeigt, dass nicht nur unsere Bildung oder Erziehung unser Denken beeinflusst, sondern auch jeder Mensch von Kopf bis Fuß, Innen wie Außen sich individuell voneinander unterscheidet.
sinne
SE L BST RE FLE
X ION
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WER WILL HEUTE NOCH KINDER? Es ist ein lauer Spätsommerabend, ich sitze mit meinem Vater und seiner Frau Julia draußen und wir grillen. Die Stimmung ist ausgelassen und der Alltagsstress scheint fernab die falsche Abzweigung genommen zu haben bis mein Vater wie aus dem Nichts zu mir meint: „Denkst du es ist wirklich eine gute Idee in diese Welt noch ein Kind zu setzen?“ Julia und ich gucken uns baff an. „Willst du etwa kein Opa werden?“, antworte ich ganz perplex. Hat der gute Herr gerade Anfälle seiner Midlife-Crisis oder etwa schon zu viel Intus? Vielleicht beides, aber vielleicht ist er mit dem Gedanken auch garnicht so alleine. Bin ich etwa egoistisch, wenn ich in der heutigen Zeit selbst noch Mutter werden will? Es gibt zu genüge Dichter und Philosophen, ja sogar Politiker die den Antinatalismus verfechten. So wurde zum Beispiel zur Kontrolle des Bevölkerungswachstums bereits in China die Ein-Kind-Politik eingeführt. Durch den sogennanten bevölkerungspolitischen Antinatalismus werden Ressourcen der Erde vor ihrer Überlastung versucht zu schonen und so vor Hungersnöte und Umweltprobleme vorbeu-
gen. Es gibt auch religiöse Ansätze zum Antinatalismus, da in vielen Religionen der Glaube an ein kurzes und unbedeutendes Leben besteht mit dem Hoffen auf ein besseres Leben nach der Wiedergeburt oder Wiederauferstehung. Priester, Nonnen oder Mönche etwa haben sich selbst einem kinderlosen Leben und einer Ehe mit Gott verschrieben. Die Grundlagen des Buddhismus, die durch die „Vier edlen Wahrheiten“ Siddhartha Gautamas überliefert wurden, greifen diese Haltung ebenfalls auf. Die Erste edle Wahrheit Dukkha besagt, dass das Leben aus Leiden besteht. Die Zweite, Samudaya, beschreibt die Entstehung des Leidens durch die Gier, das Begehren, den Hass und die Unkenntnis des Menschen. Die Dritte und Vierte handelt von der Beendigung des Leidens durch die eigene Überwindung und Ausübung der Lebensregeln zwischen Armut und Reichtum bis zur eigenen Erleuchtung und damit der Erlösung aus dem Leid des Lebens. Zum einen entsteht eine solche Positionierung durch die Angst, die bestehende Existenz nicht in dieser Form
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Bin ich etwa egoistisch, wenn ich in der heutigen Zeit selbst noch Mutter werden will?
Selbstreflexion
erhalten zu können oder durch traditionelle und religiöse Vorstellungen vom Leben selbst. Der lokale Antinatalismus hat dagegen einen ganz anderen Ansatz und bezieht sich auf Kinder mit Behinderung, welche ihren eigenen Eltern vorwerfen, ihnen durch ihre Zeugung und Geburt ihr Lebenleiden nicht verhindert zu haben. Nicht nur, dass durch eine solche Schuldzuweisung nichts außer Geld für den Kläger heraus springt, es ist auch so gut wie unmöglich das Leid eines Lebens zu messen, denn Leid und Glück setzen sich aus rein individuell-subjektiven perspektivischen Größen zusammen. Vorallem Heutzutage bekommt die Ideologie des Antinatalismus immer mehr Aufschwung. In der Zeit des Individuums, unserer Konsumgesellschaft und der Klimahysterie, bewerten wir unsere Zukunftsperspektive, wie auch den Wunsch Kinder zu bekommen, nach einer abstrakten und Lebensfernen Nutzen-Kosten-Analyse. Viele erfolgreiche Frauen wollen entweder keine Kinder oder haben keine Zeit sich neben der Arbeit um ein weiteres zer-
brechliches Leben zu kümmern. Bis ihr eigener Körper einen Schlussstrich zieht und es für eine Schwangerschaft zu spät ist. Die Urteilsgrundlage im Buddhismus ist dahingegen eine Andere, sie beruht auf Verbundenheit, Mitgefühl und dem Nicht-Ich. Weg von seinen eigenen Befindlichkeiten, hin zum zusammen leben und sich gegenseitig bereichern. Jede Zeit hatte ihre Tücken für das Menschenleben ob Nahrungsknappheit, Krieg oder jegliche andere Unsicherheiten, vor welchen wir seit nun 50 Jahren verschont wurden. Meine Mutter hatte vor rund 24 Jahren selbst nicht die unbekümmertste Perspektive, die Welt war die selbe und auch zu dieser Zeit wurde sie das Selbige gefragt: „Bist du dir wirklich sicher, in diese Welt ein Kind setzen zu wollen?“ „Ja, weil wir ja auch teilhaben wollen an einer guten Zukunft, an der jeder einen Anteil hat und du auch das Beste bist, was mir je passiert ist.“, sagte sie zu mir. „Und das Beste was meinem Leben hätte passieren können…“, ergänzte ich in Gedanken.
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Selbstreflexion
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Selbstreflexion
Einfühlungsvermögen, Anteilnahme, Verständnis, Sensibilität und Mitgefühl fügen sich zu dem Wort Empathie zusammen. Es umschreibt das Können Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale eines Mitmenschens zu erkennen, zu verstehen und nachvollziehen zu können. Ebenso spielt es eine Rolle sich auf den Anderen einzulassen, angemessen auf dessen Gefühle zu reagieren und sie zu verstehen. So unterscheidet man allgemein zwischen drei Empathieformen. Der affektiven Form also dem instinkentsprechend gut tiven Mitfühlen um mit seinem Gegenüber in gefühlsgeladenen Situationen umgehen zu können sowie der kognitiven Empathie, also dem Erkennen und Verstehen von Gefühlen Anderer. Und schließlich der sozialen Empathie, mit welcher man sich unabhängig von Herkunft, Kultur, Alter und Charakter in Andere hineinversetzen kann. Am wichtigsten ist die eigene Selbstreflexion, je offner man zu seinen eigenen Emotionen steht, desto mehr versteht man Andere. Das kleine ABC der Empathie besteht aus der Wahrnehmung von Gestik, Mimik, Körpersprache, Stimme oder Emotion, dem Verständnis für Ursache, Motiv und Umstände sowie der eigenen Resonanz mit Rücksicht, Mitgefühl und Akzeptanz.
Selbstreflexion durch die eigene
Interpretation. Kunst von Pia Pascale Pommer Acryl auf Leinwand
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Kunst fesselt uns, kann in uns positive wie auch negative Empfindungen auslösen, uns beruhigen, uns abklenken, uns träumen lassen. Aber wieso? Kunst spricht unser Denken an, die damit verbundenen Erin-
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nerungen und Gefühle, was wir also in ein Bild hinein interpretieren, sagt mehr über den Einzelnen aus, als wir denken würden. Die einen sehen nur abstrakte Striche, die anderen nehmen ganze Landschaften wahr.
Schönes macht uns glücklich, wir empfinden Lust, Befriedigung und Freude und nicht anders ist es in der Tierwelt. Etwa bei einem männlichen Pfau mit seiner prachtvollen Federschleppe beeindruckt er die Weibchen und obwohl es ihn in seiner Flugfähigkeit hindert, spricht die Pracht beim Weibchen für Gesundheit und Lebensfähigkeit der Nachkommen. Doch in der Tierwelt lieben so gut wie alle Pfau Hennen die männliche Federschleppe, während der Mensch je nach Kultur verschiedene, aber auch überschneidende Schönheitsideale verfolgt. Denn er ist ein kulturelles Wesen und lässt sich stark von seinem sozialen Umfeld beeinflussen. Nur der goldene Schnitt eint das Schönheitsempfinden der Menschen, denn er spiegelt die selbe Perspekivität in der Kunst wie auch den mathematischen Diszplinen wider. Psychologische Entwicklungen, Stagnation und indiviuelle Innovationen formen so immer und immer neue Ästhetiken. In der Antike wäre Abstrakte Kunst noch nicht denkbar gewesen und auch die Farbe Rosa war ursprünglich eher für Jungs gedacht bis in den 80er Jahren
das Angebot und die Werbung für rosa farbene Mädchen-Produkte stieg und keine Farbe heutztage mehr nach „Weiblichkeit“ schreit als diese. Neben der Gesellschaft formen Erfahrungen und Bildung das individuelle ästhetische Empfinden. So bevorzugt jeder selbst Kunst und Schönheit, mit welcher er seine subjektiven Assoziationen und Gedanken verbinden kann. Seien es Interessen, Faszinationen, Sehnsüchte oder Erinnerungen aus dem Alltag oder fernab des davon. Was wir schön finden, spiegelt das wieder, was tief in unseren Gedanken verankert ist. So ist an dem Satz: „Zeige mir deine Kunst und ich sage dir, wer Du bist.“, was Wahres dran. Wir offenbaren unsere Neigungen sowie unser inneres Selbst und behalten auch bei Erkrankungen wie Demenz unser ästhetisches Empfinden bei (Brain & Cognition „Stability of aesthetic preference in alzheimer‘s patients“ 2008). Kunst ist sehr viel mehr als bloße Schönheit, sie dokumentiert die Zeit, schüttet in uns Glückshormone aus und reflektiert unser Inneres.
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Leben woanders
#1
IST DAS WAHR?
Es ist eigentlich nicht groß anders wie beim Analysieren eines Buchtextes damals im Deutschunterricht in der Schule: eine aufmerksame und doch skeptisch hinterfragende, aber vor allem objektive Sicht auf Inhalte und ihre Verfasser pflegen. Nicht anders sollte man im echten Leben bewusst Menschen und Medien vertrauen schenken oder eben nicht. Und dennoch geht dem ein oder anderen die kritische Urteilsfähigkeit hier und dort abhanden oder ist in die Falle der Werbewelt, Fake News oder eben auch nur dem Fake-Getue mancher Menschen getappt. #2
ERKENNEN
Ist das Problem der fehlenden letzten Auffrischung einer gekonnten kritisch objektiven Weltansicht erkannt oder du willst einfach weiterlesen um Zeit totzuschlagen, dann lausche deinen vorgelesenen Gedanken für die nächsten Zeilen. #3
QUELLE
Ordne zu aller erst die Quelle mit ihrem Autor in Ort und Zeit des Entstehungsdatums sowie der Veröffentlichung ein und beurteile den Anlass und die Intention ihres Entstehens. #4
CLICKBAITING
Eine reisserische Überschrift, die dem Leser gerade genügend Informationen mitteilt um ihn neugierig zu machen und dann nicht mit Inhalt prahlen kann, dann seit ihr auf den Klickköder reingefallen. #5
EINORDNUNG
Entscheide nun ob es sich um fundierte Fakten, selbst aufgestellte Thesen (also Behauptungen), Hypothesen (Vermutungen) oder doch nur selbst ausgedachtes Kauderwelsch handelt.
#6
EMOTIONEN
In der Zeit des Internets ist es nicht mehr so leicht Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, neben Clickbaitings werden vor allem gerne politische Ziele durch eine emotionale und nicht sachliche Berichterstattung an den Mann gebracht. Oder die Informationen sind erfolgversprechend aus dem Kontext gerissen. #7
BILDMATERIAL
Sind die dazugehörigen Bilder glaubwürdig und seriös oder handelt es sich doch um gekaufte Stockbilder bzw. Bildmanipulationen durch Bildbearbeitung oder fehlende Perpsektive auf das restliche Geschehen. #8
INHALT
Inhaltlicher Vergleich mit einer Hand voll vertrauenswürdiger Quellen, wenn die genannten Fakten nicht ausreichend belegt wurden oder etwas schlicht weg unglaubwürdig wirkt. #9
AKZEPTIEREN
Nachdem also der Text in seinen Entstehungskontext gesetzt und auf inhaltliche Richtigkeit geprüft wurde, schlucke im schlimmsten Fall die Wut über die Falschheit der Aussagen ersteinmal herrunter und beurteile den Text in Hinblick auf die Perspektive des Verfassers. Bis du seine Position nachvollziehen kannst, sie aber nicht teilen musst. #10
FUN FACT
Dank einem flaschen Tweet im Jahr 2013, laut dem bei einer Exlposion Barack Obama zu Schaden gekommen sein soll, machte die Börse einen Verlust von etwa 130 Milliarden US-Dollar.
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laber rhababer
fake news
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BOB, KIRK & CHANTAL
Schon 1929 entdeckte der Psychologe Wolfgang Köhler, dass bestimmte Wortklänge in uns bestimmte Assoziationen auslösen. Probanden sollten die bedeutungslosen Worte „Maluma“ und „Takete“ einer runden oder eckigen Figur zuordnen. Dabei wählten sie überwiegend die runde Form zum Wort Maluma und die eckige der Takete. 2001 wurde das Experiment mit den ebenfalls bedeutungslosen Worten „Bouba“ und „Kiki“ wiederholt, dieses mal aber
mit Amerikanern und indischen Tamilen als Probanden. Trotz der sprachlichen Unterschiede, wählten die meisten die kurvige Figur „Bouba“ zu und die eckige „Kiki“. Vor ein paar Jahren sah ein kanadisches Forschungsteam eine Verbindung zwischen der Assoziation dieser Laute und Vornamen. Sie testeten an den Namen „Bob“ oder „Kirk“ sowie „Molly“ oder „Kate“, wie Studenten diese zu eher runden oder kantigen Comicfiguren zuordnen würden. Dabei entschieden
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MOLLY WIEBKE PAMELA KEVIN GISELA JEREMIE THOMAS MANFRED MANDY sich 60 bis 75 Prozent für die klanglich passenden Namen, ganz wie in den vorigen Experimenten. Stimmhafte Laute wie m, l, b, n und g wirken eher sanft, „rund“ und angenehm. Stimmlose, harte Phone etwa wie p, k und t haben dagegen eine „kantige“, starke und einschüchternde Wirkung. Ähnlich der Einschätzung wurden so auch Persönlichkeitsmerkmale zugewiesen, lustig, sympathisch und gemütlich eher den runden und aggressiv, durchsetzungsstark sowie do-
minant den kantigen Namen. Wenn eine Person und sein Name gut zusammenpassen, haben wir auch ein positiveres Bild von ihr. Wer einen adelig klingenden Namen trägt, hat laut einer Studie der Universität Osnabrück, bessere Chancen bei Bewerbungen eingeladen oder eingestellt zu werden. Während englische Jungennamen und französische Mädchennamen gerade in der deutschen Unterschicht zu finden sind.
Toler anz & Gleichheit
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Herausgeberin: Anna Pommer Konzeption, Creative Director, Design & Text Anna Pommer Fotografie & Konzeption Anna Pommer mit Umsetzungshilfe von Lisa Post Philipp Schmidt Models Lisa Post, Hermon Menges, Philipp Schmidt, Winter Merate, Jakob Grünen, Lilly Hein, Louisa Reiners, Anna Pommer Druckerei Hochschule Düsseldorf Papier XXX XXX ©ANNA POMMER 2019 ALLE RECHTE VORBEHALTEN VERVIELFÄLTIGUNG NUR MIT ZUSTIMUNG DER HERAUSGEBERIN.
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Jede Perspektive unterscheidet sich ausgehend vom eigenen Standpunkt und der eigenen Meinung, aber auch von Mensch zu Mensch. Wir denken, funktionieren, fühlen, glauben, reagieren und verarbeiten alle verschieden und gehen beim Urteilen dennoch immer von uns selbst aus. Unsere Zeit ist geprägt von Widersprüchen: Wir leben im Überfluss, aber sind dennoch unglücklich. Immer mehr Menschen wohnen auf kleinerer Fläche und verlieren sich trotzdem in ihrer Einsamkeit. Und trotz technischem Vortschritt, haben wir kaum noch Zeit. Diese tiefe Unzufriedenheit und wachsende Entfremdung in der Gesellschaft liegt nicht an Regierung, Flüchtlingen oder „den Anderen“, sondern an jedem von uns. Es wird Zeit Zusammenhänge zu erkennen, Verantwortung zu übernehmen, Empathie zu entwickeln und miteinander statt gegeneinander Dinge voran zu bringen.