Partizipation in der Architektur

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partizipation Beteiligungsstrategien im Bereich sozialer Wohnungsbau


Definition Partizipation: das Teilhaben, Teilnehmen, Beteiligtsein [Duden]

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Partizipation? Nur wenige Worte vermögen den Anspruch der Menschen so deutlich zu machen, Entscheidungen sowohl auf lokaler als auch globaler Ebene, die ihre Umwelt und ihr Leben bestimmen, mit zu beeinflussen, in Verbindung mit ihrer Hoffnung auf Gleichheit und ihrer Weigerung, eine Abseitsposition oder einen untergeordneten Status zu akzeptieren. Effektive Partizipation setzt das Streben des Menschen nach Integrität und Würde voraus sowie seine Bereitschaft, die Initiative zu ergreifen. Obwohl das Recht zu partizipieren garantiert werden kann, können weder die Partizipation selbst noch die damit verbundene Pflicht und Verantwortung gegeben oder weggegeben werden. Echte Partizipation vollzieht sich freiwillig. [Club of Rome 1979, S. 58 f.]

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einleitung Ein Schriftsteller lädt seine Leser ein zu einer Gesprächsrunde über sein Buch, an dem er gerade schreibt. Er lockt mit der Ankündigung, „mach‘ mit und kreiere damit deine eigene Romanfigur“. Der Newsletter einer politisch ausgerichteten Organisation informiert mich über ein neues EU-Gesetz, ich werde aufgefordert eine Onlinepetition zu unterschreiben und meine Meinung kund zu tun. In meinem Lieblingscafé finde ich einen Flyer mit dem Aufruf zur Demonstration gegen die Kürzungen der finanziellen Mittel des

abb.1 menschen fordern mitbestimmung

Landes Sachsen-Anhalt. Ich überlege, ob es sinnvoll ist hinzugehen. Meine Freundin, Mutter eines kleinen Jungen, schickt ihr Kind in einen Waldorfkindergarten. Ganz selbstverständlich muss sie einmal im Monat zum Arbeitseinsatz kommen. Sie ist Tischlerin und baut dann Regale, andere streichen eine Wand. Diese Beispiele zeigen, dass in den verschiedensten Bereichen des Lebens einerseits zunehmend die Forderung laut wird, partizipieren zu können, gleichzeitig entstehen mehr und mehr Angebote zur aktiven Teilnahme. Vor allem aus der Politik sind partizipatorische Meinungsfindungsund Entscheidungstechniken bekannt. Aber auch in der Architektur gibt es vermehrt Projekt, die Ihren Fokus darauf legen, die zukünftigen Nutzer in den Entstehungsprozess zu involvieren. Zuvor sei bemerkt, dass partizi-

abb.2 vor allem aus der politik ist partizipation gut bekannt

patorische Methoden selbstverständliche Bestandteile jeder klassischen 4

Kommunikationssituation in der Innenarchitektur / Architektur im direkten Dialog zwischen Architekt1 und Bauherren zu finden sind. Deshalb liegt mein Schwerpunkt auf dem sozialen Bauen, da es sich hier zumeist um eine allgemeinere und in diesem Sinne anonymere Nutzergruppe handelt, bei welcher die Planer von einer allgemein definierten Gruppe ausgehen, ohne Individualansprüche zu berücksichtigen. Partizipatorische Methoden bieten eine

abb.3 partizipation ruft auch skepsis hervor

geeignete Grundlage, um diese individuellen Bedürfnisse in die Planung zu integrieren. Ausgehend von einer vertiefenden Betrachtung allgemeiner Hintergründe, Motivationen und Methoden partizipatorischen Gestaltens, untersuche ich im Anschluss 11 Einzelbeispiele. Bei diesen Beispielen handelt es sich um unterschiedliche Projekte der letzten 20 Jahre aus dem Bereich des sozialen Bauens, die sich mit Wohnungsbau und Wohnen beschäftigen und Methoden der Teilhabe anwenden. Sie lassen sich in die Kategorien von Stadtplanung, Architektur, Innenarchitektur und Möbeldesign einordnen. Ich stelle die Einzelprojekte allgemein vor, untersuche ob und wie partizipiert wurde, welches Ergebnis dabei entstand und ob tatsächlich Zugang zur Mitbe1

Zur besseren Lesbarkeit verzichte ich auf eine gegenderte Form der Berufsbezeichnung. Die maskuline Form schließt deshalb immer auch die feminine ein.

abb.4 kreislaufschema der mitbestimmung


stimmung geschaffen wurde für Menschen, die von Gestaltung aufgrund mangelnder finanzieller Mittel ausgeschlossen sind. Bei den allgemeinen Erläuterungen des ersten Teiles werden die Einzelbeispiele des zweiten Teiles erklärend einbezogen. Beide Teile sind also parallel lesbar. Ausgehend von einer kurzen Analyse, warum im allgemeinen Partizipation entsteht, gehe ich in die konkrete Thematik der sozialen Architektur im Bereich Wohnen über und untersuche, wo der Bedarf zur Mitbestimmung genau liegt und wer ihn sieht, warum seitens der Architekten die Möglichkeit zur Teilhabe geschaffen wird, warum sie von den Bewohnern genutzt wird, nach welchen Prinzipien sie ablaufen kann und welche Folgen sie nach sich zieht. Am Ende gebe ich eine abschließende kritische Einschätzung.

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Der Gedanke der Partizipation wird von vornherein verfälscht, wenn seine Verwirklichung einer Gesellschaft aufgezwungen wird. Partizipation ist nur vorstellbar als permanenter Lernprozess möglichst vieler Menschen; sie lässt Zukunft offen und ermöglicht die freie Diskussion über Zukunftsalternativen. [http://www.kinderpolitik.de/beteiligungsbausteine/pdf/a/Baustein_A_1_1.pdf]


Partizipation beutet im humanistischen Sinn die Emanzipation des Individuums von bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen. Da diese Abhängigkeitsverhältnisse zu weitreichend sind, gilt es eine klare Eingrenzung des Bereichs zu finden, in welchem sich das Individuum emanzipiert. [Ingo Bohning, 1981 S.190]

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allgemeiner bedarf an partizipation In einer Zeit, in welcher Nachhaltigkeit, ökologischer Fußabdruck und soziale Verantwortlichkeit zunehmend Einzug in das öffentliche und private Leben erhalten, fühlt sich der Einzelne verstärkt aufgefordert, seinen Beitrag zu leisten, selbst aktiv zu handeln und Möglichkeiten für diese Teilhabe

abb.5 jeder kennt es – fast jeder nutzt es

einzufordern. Das Internet bietet zudem die Plattform für Austausch auf verschiedenen Ebenen, ohne durch nationale Grenzen eingeschränkt zu sein. Social Networks wie Facebook, Youtube, Myspace oder Flickr, sowie Onlinespiele erlangten weltweit Popularität und unterstützen die massive Beteiligung an der Schaffung und gemeinsamen Nutzung populärer, kultureller Materialien

abb.6 teile deine vorlieben über den like-botton

über lokale Gemeinschaften und Grenzen hinweg. Die User oder Spieler kreieren ihre virtuelle Identitäten, Lebensumwelten und Regeln. Soziale Medien geben jedem eine Stimme, bieten schnelle und einfache Methoden, Wissen und Ideen auszutauschen, weiterzuentwickeln und Interessengemeinschaften zu bilden. An dieser Stelle setzen ebenfalls die parallel dazu

abb.7 über youtube teilt man videos

entstandenen DIY - Communities (Do it yourself) an, die unter dem Begriff Open Source Selbstbauanleitungen für sämtliche Lebensbereiche, vom Miniroboter, über Selbstbraurezepte für Biere bis zum Fachwerkhaus und

abb.8 über myspace teilt man musik


vielem mehr, als Download bereit stellen. Die junge Generation bedient sich ganz selbstverständlich dieser Mechanismen der virtuellen Mit- und Selbstbestimmung. Auch die älteren Generationen gewöhnen sich zunehmend an die Vorteile virtueller Mitbestimmung, kennen sie aber auch schon außerhalb des Internets, schließlich gibt es eine Bewegung hin zu mehr Beteiligung und der Förderung von Aktivbürgertum seit mehreren Jahrzehnten. Die neuen Medien verbildlichen auf ihre Art einerseits die Entwicklung der letzten Jahrzehnte einer stärker werdenden Demokratisierungsforderung der Gesellschaft auf allen Ebenen, andererseits bieten sie, wie erläutert, eine wesentliche Grundlage dafür, dass diese Entwicklung global und unter allen Menschen verbreitet wird. Dass diese Forderung auch Einzug in die Architektur abb.9 plakat zur ausstellung

erhält ist evident. Zwei wichtige Ausstellungen in Deutschland2 widmeten sich allein im Jahr 2013 der Thematik des sozialen Bauens und bezeugen, dass in der Architektur die Zeit der Alleinherrschaft von Stararchitekten und Prestigeprojekten vorüber zu sein scheint und in den letzten Jahren ein verstärktes Engagement von Architekten zu beobachten ist, die sich durch eine Hinwendung zur sozialen Dimension des Bauens auszeichnen. Partizipation ist in dieser sozialen Dimension eine wesentliche Komponente.

kurzer geschichtlicher abriss der partizipativen architektur Voraussetzung für Partizipation ist die Achtung des Menschen in seiner Interessenlage und die Bereitschaft zu einem Dialog auf Augenhöhe. Die Ursprünge partizipatorischer Handlungen begründen sich auf einem humaniabb.10 plakat zum architektursymposium

stischen Weltbild, in dem ein Gesellschafts- und insbesondere Bildungsideal entworfen wird, dessen Verwirklichung jedem die bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung ermöglichen soll.3 Um eine umfassende Entwicklung partizipatorischer Architektur darzulegen, bedürfe es einer eigenen Theoriearbeit zu diesem Thema, was über meine eigentliche Intention hinaus geht. Deshalb werde ich für eine grobe Orientierung einen kurzen geschichtlichen Abriss geben: Architektur der Beteiligung ist eine Ausrichtung der Architektur seit

abb.11 vitra-design-museum von den stararchitekten herzog & de meuron Stararchitekten sind berühmte Architekten, die berühmte Einzelprojekte bauen und darin ihren oft extravaganten architektonsichen Stil zum Ausdruck bringen. Die entstehenden Gebäude werden in der Regel als Prestigegebäude bezeichnet.

Beginn der frühen Moderne, der sich einzelne Architekten im Laufe des letzten Jahrhunderts immer wieder mit unterschiedlicher Intensität widmeten. 2

Ausstellung Think global, buildt social vom 8. Juni bis 1. September 2013 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main; Ausstellung Soziale Projekte Fragen und Antwor-

ten vom 12.12.2013 bis zum 16.02.1014 in der Architekturgalerie am Weißenhof Stuttgart 3

Ingo Bohning, 1981 S.189

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Besonderes Augenmerk lag dabei auf der Flexibilisierung von Räumen und der Mobilisierung von Raumelementen. Walter Gropius entwickelte 1922 den Baukasten im Großen, ein System aus typisierten Bauteilen die sich in Kombination zu Einfamilienhäusern zusammenfügen lassen. Gerrit Rietveld erbaute 1924 das Rietveld-Schroeder-Haus, welches Nutzungsveränderungen des Gebäudes hinsichtlich Tages- und Jahreszeiten, sowie Vorlieben der Familienmitglieder durch Faltwände ermöglicht. Ludwig Mies van der Rohe unterließ es in seinem bekannten viergeschossigen Mietshaus für die Weissenhof Werkbundausstellung 1927 in Stuttgart, die Grundrisse der Wohnungen zu planen, die Bewohner sollten die Raumaufteilung selbst gestalten. Damit

abb.12 baukasten im großen von w. gropius 1922

seien nur einige wenige, aber prägnante Beispiele der Anfangszeit genannt. Wie in den nachfolgenden Kapiteln noch erläutert wird, ist das Spektrum partizipatorischer Architekturpraktiken weitreichend und hat demnach entsprechend der Methode unterschiedlich nachweisbare baugeschichtliche Linien. Grundsätzlich sei aber gesagt, dass vor allem in der Nachkriegszeit, in den 60er und 70er Jahren bis in die späten 80er Jahre, durch das politische Klima der Zeit inspiriert, verstärkt Bestrebungen in die Richtung partizipatorische Architektur stattfanden. So entwickelten sich im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Umbrüchen unterschiedliche Architekturkonzeptionen, 8

die radikaldemokratische, anarchische, alternative, techno- utopische und reformistische Ansätze4 verfolgten und von autonomer Selbsthilfe bis zu flexiblem Fertigteilbau reichten. Auch von staatlicher Seite wurde diese

abb.13 grundriss 1.og rietveld-schroeder-haus

Tendenz gefördert, beispielsweise mit den vom Bundesbauministerium der BRD in den frühen 1970ern ausgerufenen Wettbewerben flexible Wohngrundrisse. Damit sei die deutsche Entwicklung grob umrissen. Aber nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und den Ländern Südamerikas sind zu dieser Zeit ähnliche Architekturkonzepte zu finden. Eine bekanntes und erfoglreiches Projekt ist das Projekt PREVI (Abkürzung auf spanisch für experimentelles Siedlungsprojekt) in Peru, welches in den 70er Jahren entstand und von welchem sich die Architekten für den Bau der Siedlung Quinta Monroy in Chile inspi-

abb.14 mietshaus stuttgart weißenhofsiedlung

rierten. 4

Jesko Fezer / Mathias Heyden, 2004, S.21

abb.15 projekt previ in peru 1970er Jahre


notizen

top-down

9

Allgemein wird diese Richtung im Gegensatz zu den erwähnten Jet-Set- oder Star-Architekten5 als Bottom up, also von unten entstehend bezeichnen. Es bottom-up

handelt sich um ein Planen nicht nur für sondern mit den Nutzern. Bottom Up Systeme sind allgemein dadurch charakterisiert, dass sie aus mikroskopischen Elementen bestehen, für deren Wechselwirkungen untereinander zumeist sehr einfache und lokal wirkende Annahmen getroffen werden.6 Damit sollen nicht ausschließlich Dinge gemeint sein, die aus einem unteren sozialen Milieu kommen, sondern ebenso, dass eine Perspektive von unten angenommen und verstanden werden kann.

abb.16 schema der strategien top-down und bottom-up

5

wenn berühmte Architekten berühmte Einzelbauten schaffen

6

ARCH+ 121 S.69

9


wo liegt der bedarf und wer sieht den bedarf? Leider ist es, wenn man nicht isolierte Projekte, sondern die Planung der Umwelt insgesamt betrachtet, erfahrungsgemäß so, dass die Teilnahme an der Planung gemäß der Teilhabe an der Macht erfolgt. Es sind also die Unterprivilegierten, die bei der Planung am wenigsten berücksichtigt werden und sich am wenigsten vor den negativen Folgen der Planung schützen können. Partizipation schafft die Möglichkeit der Mitbestimmung aller Menschen unabhängig ihrer Herkunft und ihres Machtradius, die zum mitmachen bereit sind. Sie gibt, wie einleitend schon erwähnt, in diesem speziellen

abb.17 gestaltung der eigenen lebensumwelt

Fall der Partizipation im sozialen Bereich der Architektur, insbesondere dem Wohnungsbau, Menschen die Möglichkeit zur Mitbestimmung, die sonst davon ausgeschlossen sind, weil sie ihr fehlendes finanzielles Kapital unattraktiv für die Arbeit von Architekten macht. Eine erste Form der Initiative entsteht aus der Demokratisierungsforderung der betroffenen Menschen selbst. Aufgrund ihrer eingeschränkten Geldmittel können sie nicht ohne Hilfe einer größeren Institution in legitimierten Projekten aktiv werden und finden deshalb eigene Formen der Beteili-

abb.18 aufforderung zur selbstverwaltung

gung, beispielsweise in illegalen Hausbesetzungen. Eine Hausbesetzung ist die Inbesitznahme eines fremden, leerstehenden Gebäudes und seine 10

Verwendung als Wohnraum oder Veranstaltungsort. Hausbesetzungen funktionieren nach zwei prinzipiellen Arbeitsweisen: bei stillen Hausbesetzung werden Häuser möglichst unauffällig bezogen, in der Hoffnung, nicht den Argwohn der Anwohner auf sich zu ziehen und lange Zeit unbemerkt wohnen bleiben zu können. Bei offenen Hausbesetzungen wird die Öffentlichkeit und Nachbarschaft bewusst mit einbezogen. Diese Form entsteht nicht allein aus einer Notwenigkeit, sondern ist mit einer politischen Aussage, der lauten

abb.19 plakate an besetzten häusern

Forderung nach selbstbestimmtem, bezahlbarem Wohnraum, verbunden.7

hafenstraße hamburg

Kommt es durch den Zustand des Gebäudes zu prekären und sicherheitsgefährdenden Wohnsituationen, wird gegebenenfalls ein Architekt beratend herangezogen. Dieser spielt aber keine wesentliche Rolle im Partizipationsprozess. Von den wenigsten wird erkannt, welches Potential der Architekt in seiner Rolle als Agent oder Vermittler zwischen illegalen Besetzern und den Behörden einnehmen kann, indem er durch minimale Eingriffe, wie beispielsweise der Herstellung von Verkehrssicherheit, gesetzliche Vorgaben einbezieht oder generell als Mittler zwischen Nutzern, Eigentümern und 7

http://www.solidarische-oekonomie.de/index.php/formen-und-beispiele/projek-

te-hierzulande/wohnen-&-leben/113-hausbesetzung-in-den-ndl kraken-teiweise-squatting-su

abb.1 ein prägnanter schriftzug schmückt eines der häuser

Auftraggeber:

selbstorganisierte

Land:

Bewohnergruppe

Jahr:

Deutschland

seit 1981

Architekten:

Ort:

Bereich:

Hamburg

Stadtplanung / Architektur

beispiel hafenstraße hamburg


Kommune auftritt, besonders im Bezug auf genehmigungsrechtliche Fragen. Weiterer Ausdruck der Demokratisierungsforderung vom bedürftigen Menschen ausgehend, findet sich in der Form des Open Design und der Open Architectur. Darin sieht man eine Reaktion auf das schon beschriebene Potential, das durch die neuen Medien entsteht und von Einzelpersonen genutzt wird, die ihr Wissen und Können gern teilen möchten ganz unabhängig von jeglichen Institutionen. Das Internet funktioniert mit eigenen Organisations-

abb.20 open design mentalität

mechanismen, die ein Grundbedürfnis nach Mitbestimmung Aller auf einer ganz neuen Ebene ermöglicht. Die nächste Stufe, der aus sich selbst heraus entstehenden Beteiligung im Bereich des Wohnen ist das Instandbesetzen nach dem Motto Lieber instandbesetzen als kaputtbesitzen, mittlerweile auch als Wächterhausmethode bekannt, die weniger mit dem Gesetz in Konflikt steht. Dabei werden leerstehende Häuser besetzt, um ihren weiteren Verfall und den daher drohenden Abriss

abb.21 open architekture im internet

haus halten

zu verhindern. Die Forderungen entsprechen den oben erwähnten. Es geht darum, preiswerten Wohnraum zu erhalten, Ressourcen zu sparen und nur jene Baumaßnahmen (möglichst in Eigenarbeit) durchführen, die von den Bewohnern als tatsächlich notwendig erachtet werden. Bei diesen Projekten sind Architekten nur insofern involviert, wenn sie zufällig der Besetzergruppe angehören oder der Zustand des Hauses ihre tatsächliche Sachkenntnis erfordert. Wächterhausinitiativen zählen, wie auch besetzte Häuser, als Zwischennutzungen, für die besondere Kriterien bezüglich der Nachhaltig-

abb.1 das wächterhaus in der demmeringstraße 21

Auftraggeber:

selbstorganisierte

Land:

Jahr:

Bewohnerschaft

Deutschland

2006 (Bezug)

Architekten:

Ort:

Bereich:

Leipzig

Stadtplanung / Architektur

beispiel haus halten - wächterhaus

miss sargfabrik

keit gelten, da ein endgültiger Nutzungszeitraum nicht determiniert ist. Als völlig legale Form der Bewohner-Initiative zählen außerdem sogenannte Baugruppenprojekte, bei denen sich eine Gruppe von Bauinteressenten an einen Architekten wendet, um mit ihm in gemeinschaftlicher Arbeit ein, dem gemeinschaftlichen Wohnideal entsprechendes, Bauprojekt zu entwickeln. Eine zweite Form der Initiative liegt bei Architekten, oft in Kooperation mit Institutionen oder Behörden. Der Architekt sieht seinen Handlungs-

abb.1 die innere struktur schräger decken und böden zeichnet sich auf der fassade ab

Auftraggeber:

Land:

Jahr:

Verein für integrative Lebensgestaltung

Österreich

2000

Architekten:

Ort:

Bereich:

BKK-3 ZT GmbH

Wien

Architektur / Innenarchitektur

beispiel miss sargfabrik - baugruppenprojekt

bedarf in einem entsprechenden Umfeld, tritt als Initiator auf und baut unter Zuhilfenahme der Beteiligungsmethoden seine gesellschaftliche Vision.

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Selten ist es ausreichend, wenn Architekten allein als Initiatoren auftreten. Es ist immer hilfreich, dass entweder eine Gruppe (Beispiel Miss Sargfabrik) oder in größeren Projekten eine Institution dahinter steht, welche die Arbeit fördert und finanziell unterstützt. Sei es die Stadtverwaltung wie beim Siedlungsbau in Chile oder dem Projekt in Korea oder einzelne Bauherren wie der IBA in Hamburg oder der Diakonie in Augsburg.

abb.22 schema einer zwischennutzungsidee

In einer dritten Form der Initiative, werden Institutionen zu Initiatoren.

wohnheimareal ökopop

Sie definieren einen Handlungsbedarf und engagieren für ihr formuliertes Projekt einen Architekten. Diese Institution kann ein Bauträger sein (Beispiel Wohnareals Ökotop: das Studentenwerk Berlin engagiert für den Bau eine Architektengruppe, die mit partizipatorischen Mitteln arbeitete). Die Institution kann ebenso durch allgemeinere und größere Instanzen wie Land, Stadt oder Kommune definiert sein. Von ihr geplante Interventionen betreffen demzufolge Projekte im größeren Maßstab wie Stadtplanungen. Hier liegt unter anderem ein Bedarf darin, informell initiierte Nutzungen zu einem festen Bestandteil eines länger dauernden Entwicklungsprozess

abb. 1 terassen mit anschließenden kräutergärten und kleinen wohnzimmerleuchten im außenbereich

Auftraggeber:

Dipl.-Ing. Susanne Hofmann

Land:

Jahr:

Studentenwerk Berlin

Architekten BDA gemeinsam

Deutschland

2012

Architekten:

mit den Baupiloten der TU

Ort:

Bereich:

die Baupiloten

Berlin

Berlin

Innenarchitektur

beispiel wohnheimareal ökopop

werden zu lassen, sodass Synergie-Effekte aus Zwischennutzungen und

lehrerwohnhäuser

dauerhaften Nutzungen entstehen.8 12

Bei dieser Analyse des Bedarfs und der handelnden Initiatoren steht vor

allem

die

demokratiefördernde

Motivation

im

Hintergrund,

Menschen in Entscheidungsprozesse zu involvieren und ihnen damit mehr Recht auf Selbstbestimmung zu geben. Dabei kann es sich einerseits um Projekte handeln, die aus der Not entstanden sind. Es gibt also einen ganz akuten Handlungsbedarf, der mit einem partizipativen Verfahren am einfachsten beantwortet werden kann, so beispielsweise bei den Projekten

in

Entwicklungsländern.

Stellvertretend

dafür

steht

abb. 1 einzelgebäude beherbergen wohnhäuser für die lehrer

Auftraggeber:

Francis Kéré

Land:

Jahr:

Komune Gando

Burkina Faso, Westafrika

2004

Architekten:

Ort:

Bereich:

Kéré Architecture

Gando

Architektur

beispiel lehrerwohnhäuser

das

open house

Beispiel der Lehrerwohnhäuser in Gando und das Siedlungsprojekt in Chile. Andererseits kann es sich um spielerische Experimente im Sinne der Mitbestimmung handeln, deren Ausgang ungewiss ist. Ein erfolgreicher Projektverlauf fördert dabei die Steigerung der Lebensqualität der Betroffenen, ist aber ohne lebensnotwendige Relevanz, bei Misslingen besteht höchstens das Risiko auf Frustration der Beteiligten. Oft trifft das auf Zwischennutzungen

abb.1 installation im öffentlichen raum in form eines vertikalen dorfes

zu, deren experimenteller Charakter schon allein dadurch bedingt ist, dass man über das längere Fortbestehen des Projekts keine Gewissheit hat. So der 8

Jesko Fezer / Mathias Heyden, 2004, S.49

Auftraggeber:

Mitarbeiter von

Land:

Jahr:

APAP 2010

raumlaborberlin und

Südkorea

2010

Architekten:

raumlaborkorea

Ort:

Bereich:

Anyang

Stadtplanung

raumlabor berlin

beispiel open house


Fall bei dem Grandhotel oder der Installation im öffentlichen Raum in Korea, welches ich zwischen all den vielen Projekten im öffentlichen Raum wegen seiner Analogie zum Wohnen, durch die Form der Häuser ausgewählt habe. Weiterhin kann eine gesellschaftliche Notwenigkeit als grundlegender Bedarf gesehen werden, die darauf ausgerichtet ist, nicht maßgeblich mit partizipatorischen Mitteln zu bauen, sondern einen Bau zu schaffen, der Partizipation

und

darin

inbegriffen

Begegnung

ermöglicht.

Weitere

Erklärungen finden sich im nächsten Kapitel unter dem Punkt 5 inspirate to abb.23 raum für partizipation

participate.

warum bieten architekten die möglichkeit zur partizipation? Ganz klar steht als erster Motivationsgrund ein optimistischer Glaube an die Selbstbestimmung des Menschen, seinem Willen zur aktiven Mitbestimmung und Interaktion mit der eigenen Umwelt, dem Idealbild des ganzheitabb.24 menschen gestalten ihre umwelt

lichen, allsinnigen Menschen, dessen soziale Interaktionen ein spontanes Gemeinschaftsleben und schließlich eine Gesellschaft ohne Zwang hervor bringt im Kontext einer demokratischen und nachhaltigen Grundhaltung der Gesellschaft und deren Organisation.9 Partizipative Architektur beinhaltet ein hohes Maß an gesellschaftlichem Engagement und vor allem auch ein Glaube an dessen Bedeutung und Zweckmäßigkeit. Eine klare Vision davon ist Grundvoraussetzung für das Gelingen dieser Projekte. Jeder Architekt hat in der Regel eine eigene Vision, was er mit seinen Gebäuden erreichen will. Ein Hang zur Weltverbesserung durch die gesellschaftliche Dimension des Bauens lässt sich bei vielen finden. Hundertwasser äußerte beispielsweise

abb.25 wohnhaus von architekt hundertwasser

1952 in seinem Verschimmlungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur, dass „nur wenn Architekt, Mauere und Bewohner eine Einheit sind, man von Architektur sprechen könne.10 In der Partizipation findet sich eine sinnvolle Lösung, um diese Visionen mit allgemeiner Legitimierung umzusetzen. Ein zweiter Motivationsgrund geht aus dem ersten hervor: der Architekt glaubt an ein implizites, kontextgebundenes Wissen der Bürger, welches es adäquat nutzbar zu machen gilt. Er negiert seine Rolle als einziger Experte, der zwar die Hauptverantwortung trägt, aber das Wissen der Laien herausar-

abb.26 laien und experten beraten sich

beitet, sie als Experten konsultiert und mit ihrem Wissen im Wechselspiel von 9

Ingo Bohning, 1981 S.256

10

Ingo Bohning, 1981 S.220

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Professionalität und Deprofessionalisierung Projekte generiert. Partizipation bietet die Chance, Kenntnisse und Fähigkeiten im Gestaltungsprozess zu einer Ressource zu machen. Das Vorhaben, die zukünftigen Bewohner an der Planung zu beteiligen, ist also nichts Gönnerhaftes, sondern gründet in der Überzeugung, dass die Benutzer selbst am besten wissen, was für sie gut ist und daher nur sie die Programme ihrer Lebensumwelt festlegen können. Anders als in den sozialen Planungen der 20er Jahre, in denen mit wohlfahrtsstaatlicher Fürsorge jedem das, was man meinte, objektiv Richtige zugeteilt werden sollte, traut man nun dem einzelnen zu, dass er mündig ist.11

wer sind die nutzer? warum wird partizipation seitens der nutzer angenommen? Ebenso wie der Wunsch nach Selbstbestimmung der Menschen als Motivationsgrund für partizipatorisches Bauen seitens der Architekten herangezogen wird, gilt er als Handlungsgrundlage für diejenigen Menschen, die sich einbringen können und wollen. Der Mensch besitzt eine grundlegende Veranlagung zur Freiheit, die sich vielmehr in einem dynamischen Prozess 14

abb.27 individuelle orte gestalten

äußert, als sich in einem zu erreichende Zustand darstellt.12 Diese Veranlagung zeigt sich demnach auch in dem Bedürfnis zur individuellen Gestaltung des eigenen Wohnumfeldes. In der Regel wird in sozialen Bauprojekten, wie in der Einleitung schon erwähnt, seitens der Architekten rein hypothetisch angenommen, welche konkreten Anforderungen die zukünftigen Bewohner an das entstehende Gebäude haben. Methoden der Partizipation geben den Nutzern die Möglichkeit zur direkten Mitbestimmung ihres zukünftigen Lebensraums und ihrer Umwelt.

abb.28 kinder zeichnen ihre ideen

In Abhängigkeit der jeweiligen Methoden, die im nächsten Abschnitt erläutert werden, variiert das Potential der Mitbestimmung in verschiedenen Planungs- und Bauabschnitten. Das partizipatorische Mitwirken setzt eine prinzipielle Bereitschaft der Teilnehmer voraus, eine Bereitschaft zur Emanzipation. Dabei handelt es sich bei Wohnprojekten meist um alle zukünftigen Bewohner, also um eine klar definierten Nutzergruppe, bei welcher man von einer sehr großen Bereitschaft ausgehen kann, schließlich können sie ihr ganz konkretes Wohnen

12 11

Ingo Bohning, 1981 S.220 Ingo Bohning, 1981 S.196: laut Joseph Beuys, der großer Vertreter Partizipatorischer Kunst ist, für die ähnliche Kriterien gelten wie für Architektur

abb.29 auch kinder wollen ihre meinung sagen


mitbestimmen. Bei Projekten mit unüberschaubar vielen Beteiligten werden meistens Paten oder Stellvertreter gewählt, die am Entscheidungsprozess mitwirken und ihre Gruppe in einem demokratischen Verfahren vertreten. Trotzdem handelt es sich auch hier um klar identifizierbare Nutzergruppen. Bei Open Design Strategien ist die Endnutzergruppe offener gehalten, auch abb.30 kommunikation

wenn sie ebenfalls prinzipiell definiert ist, aber jedem Interessierten die Möglichkeit zur Teilhabe bieten.

wie kann partizipation allgemein und in der architektur funktionieren? Ausgehend von den zahlreichen Bereichen, in denen partizipatorisch gearbeitet wird, maßgeblich in der Politik, existieren viele verschiedene abb.31 transparenz

Modelle der Teilhabe. Allgemein kann folgende Vorgehensweise beschrieben werden: auf Basis vorher vereinbarter Rahmenbedingungen und Prozessstrukturen werden die Arbeitsschritte transparent gemacht. Betroffene können ihre Interessen einbringen. Der Prozess wird durch neutrale, allparteiliche Moderatoren begleitet. Die wichtigsten Faktoren sind somit Kommunikation unter allen Beteiligten, Transparenz der Prozesse und die 15

Ausbildung von Netzwerken. Partizipation lässt sich auf alle Entwicklungsund Entscheidungsthemen in Unternehmen, Nonprofit-Organisationen, Organisationen der öffentlichen Verwaltung und Gemeinden anwenden und abb.32 netzwerke

eben auch auf Projekte der Architektur.13 13

Quelle: http://partizipationswerkstatt.eu/partizipation/arbeitsweise.html 24.2.. 10:00

notizen


Klassifizierung nach Anwendungsprinzipien: Nach ausgiebiger Recherche und Untersuchung von Projekten dieser Art in der Architektur, habe ich den Versuch einer Klassifizierung nach fünf Partizipationsprinzipien vorgenommen. Je nach Einzelfall lassen sich die einzelnen Prinzipien nicht immer klar voneinander abgrenzen, aber sie folgen meiner Meinung nach jeweils einer groben Linie. 1. build social = soziales Bauen

stellvertreter architekt

16

schema partizipationsprinzip 1 build social

stellvertreter nutzer

Diese Methode der partizipatorischen Architektur ist die extremste Form,

Die Stellvertreter Architekt und Nutzer stehen in den Schemata für die jeweilige Partei. Sie stehen sich gegenüber. In der Mitte liegen die Phasen des Partizipationsprozess als einzelne Bausteine. Die Balken in der Farbe beider Nutzergruppen kennzeichnen die Weite der jeweiligen Einflussnahme. Die Stickworte in der entsprechenden Farbe betonen die wesentlichen Aktionen, die den beidseitigen Prozess gestalten.

da die Nutzer am kompletten Planungs- und Bauprozess beteiligt sind und darüber hinaus davon profitieren. Sie findet ausschließlich in Entwicklungsländern statt. Es ist anzunehmen, dass dort ganz andere gesetzliche Rahmenbedingungen als in den westlichen Nationen gelten, was die Beteiligungsmöglichkeit um ein Vielfaches erhöht. Zudem sind diese Regionen geprägt von Armut und infrastrukturellen Schwächen, sowie großem Entwicklungsbedarf. Jegliche, nachhaltig geplante Intervention bedeutet somit einen großen Fortschritt. Der Architekt sieht den Handlungsbedarf und erarbeitet mit der örtlichen Bevölkerung ein schlüssiges Konzept, welches den Anwohnern hilft und von ihnen von Anfang an akzeptiert wird. Die grundlegende Akzeptanz des Projekts fördert dessen anschließende Integration in das Leben der Menschen, ebenso wie eine hohe Beteiligungsbereitschaft während des Baus. Kollektives Wissen vor Ort wird mit der Einbindung lokaler Materialien und dem Fachwissen der Architekten kombiniert. Projekte dieser Art können,


aufgrund enger finanzieller Rahmenbedingungen oftmals nur durch die Mithilfe der Anwohner am Bauprozess entstehen. Sie werden somit gleichzeitig zu qualifizierten Handwerkern ausgebildet und funktionieren nach Abschluss des Projekts als Multiplikatoren dieses neuen Wissens. Da es sich um Pilotprojekte handelt, um technologische und kulturelle Experimente, die mit einer großen Verantwortung verbunden sind, ist auch die Aufgabe des Architekten nach Fertigstellung des Gebäudes nicht beendet. Er muss die weitergehende Nutzung beobachten, den Nutzern gegebenenfalls beratend zur Seite stehen und aus eventuell auftretenden Fehlern für zukünftige Vorhaben dieser Art lernen. Die Rolle des Architekten ist sehr umfassend und das Schema zeigt, dass die Zeit des gemeinsamen Arbeitens von Architekt und Nutzer eine sehr lange lehrerwohnhäuser

ist. In diese Kategorie zählt das Beispiel der Lehrerwohnhäuser in Gando. Es ist eines der wenigen Projekte, die Wohnen thematisieren und deshalb auch das einzige, welches ich aus dieser Kategorie untersuche. In Entwicklungsländern, sind Probleme wie Wohnungsmangel unwesentlich, weil es noch viel wichtigere Probleme gibt, wie unzureichende Bildungseinrichtungen. Deshalb

abb. 1 einzelgebäude beherbergen wohnhäuser für die lehrer

Auftraggeber:

Francis Kéré

Land:

Jahr:

Komune Gando

Burkina Faso, Westafrika

2004

Architekten:

Ort:

Bereich:

Kéré Architecture

Gando

Architektur

beispiel lehrerwohnhäuser

notizen

thematisieren Projekte in der Regel Schulen, Krankenhäuser, Freizeitanlagen, etc., die durch Spendengelder, NGOs und vereinzelte Strukturförderungsfonds finanziert werden.

17


2. plan social = soziales Planen

miss sargfabrik

schema partizipationsprinzip 2 plan social

Bei diesem Partizipationsprinzip handelt es sich um einen herkömmlichen Planungs- und Bauprozess mit dem Unterschied, dass die Planungs- und Entwurfsphase offener angelegt ist und ein starker Einbezug der Ideen und Wünsche der späteren Nutzer stattfindet. Durch Workshops mit den Nutzern 18

abb.1 die innere struktur schräger decken und böden zeichnet sich auf der fassade ab

Auftraggeber:

Land:

Jahr:

Verein für integrative Lebensgestaltung

Österreich

2000

Architekten:

Ort:

Bereich:

BKK-3 ZT GmbH

Wien

Architektur / Innenarchitektur

beispiel miss sargfabrik

selbst oder Vertretern der späteren Nutzergruppe finden die Nutzerideen

open house

Berücksichtigung und beeinflussen den Entwurfsverlauf. Diese Methode ist durch ihre Übersichtlichkeit am bekanntesten und am meisten verbreitet. Relativ simple Strategien, wie Fragebogenaktionen, Seminare und Workshops mit den zukünftigen Nutzern oder deren Stellvertretern führen zu übersichtlichen Ergebnissen. Wichtiger Erfolgsgarant dieser Partizipationsform ist wie bei allen dieser Projekte, eine gute Moderation, damit durch

abb.1 installation im öffentlichen raum in form eines vertikalen dorfes

Kommunikation Wissen generiert werden kann. Es handelt sich dabei erstens um die Moderation der Vorbereitung, also dem Definieren der späteren Nutzergruppe. Dann muss der Partizipationsprozess moderiert werden,

Auftraggeber:

Mitarbeiter von

Land:

Jahr:

APAP 2010

raumlaborberlin und

Südkorea

2010

Architekten:

raumlaborkorea

Ort:

Bereich:

Anyang

Stadtplanung

raumlabor berlin

beispiel open house

Formen der Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien gefunden werden.

wohnheimareal ökopop

Letztendlich muss dieses erarbeitete Wissen wiederum in den Entwurf eingearbeitete werden, es findet also ebenso eine Form der Wissensmoderation statt. Den Architekten steht es dabei frei diese Aufgabe selbst zu übernehmen oder sich weitere Fachleute auf diesem Gebiet zur Seite zu stellen. Das Architekturbüro Susanne Hofmann Architekten in Berlin gemeinsam mit den Baupiloten der TU Berlin entwickeln zahlreiche Projekte nach diesem Prinzip mit hohem Anklang in der Öffentlichkeit, ebenfalls die Architektengruppe raumlabor in Berlin.

abb. 1 terassen mit anschließenden kräutergärten und kleinen wohnzimmerleuchten im außenbereich

Auftraggeber:

Dipl.-Ing. Susanne Hofmann

Studentenwerk Berlin

Land:

Jahr:

Architekten BDA gemeinsam

Deutschland

2012

Architekten:

mit den Baupiloten der TU

Ort:

Bereich:

die Baupiloten

Berlin

Berlin

Innenarchitektur

beispiel wohnheimareal ökopop


3. build open = offenes bauen = offener Prozess

schema partizipationsprinzip 3 build open

Auch bei diesem Prinzip der Partizipation handelt es sich in erster Linie um einen herkömmlichen Entwurfs- und Bauprozess. Die Beteiligung setzt ein, nachdem die eigentliche Hauptaufgabe des Architekten beendet ist. Er ist nur bis zu einem bestimmten Punkt des Baus verantwortlich, dann siedlung quinta monroy

übergibt er diesen unfertig an die Bewohner, welche entsprechend ihrer eigenen finanziellen Mittel und ästhetischen Vorstellungen den Bau fortsetzen und beenden. Es geht dabei je nach Verortung um den strukturellen Ansatz prinzipiellen Wohnungsmangels, verbunden mit Individualisierungswünschen der Bewohner. Das Grundprinzip ist an informelles Bauen angelehnt.

abb. 1 die fertigen rohbauten stehen bereit für den einzug der bewohner

Auftraggeber:

na, Andrés Iacobelli,

Chile Barrio

Land:

Jahr:

Alfonso Montero,

Chile

2003-2004

Architekten:

Tomès Cortese,

Ort:

Bereich:

ELEMENTAL (Alejandro Arave-

Emilio de la Cerda)

Iquique

Architektur

Die Bewohner sind beim Weiterbau selten auf sich gestellt, sondern bekommen von den Architekten die nötigen planerischen und fachlichen Hilfestellungen, um ihre Wohnung oder ihr Haus fertig zu bauen.

beispiel siedlung quinta monroy

grundbau und siedler

Beispiele sind für diese Art ist sind Wohnsiedlung Quinta Monroy in Chile und das Grundbau und Siedler Gebäude in Hamburg. Im Vergleich zeigen diese beiden Projekte deutlich die Abhängigkeit des Aneignungswillens von den nationalen und kulturellen Ausgangsvoraussetzungen. In Südamerika entstehen Siedlungen dieser Art aus der Notwendigkeit schnell expandierender Städte durch den steigenden Zuwachs von Einwanderern.

abb.1 der grundbau steht bereit für den ausbau durch die siedler

Auftraggeber:

Anne-Julchen Bernhardt,

Land:

Jahr:

PRIMUS development

Jörg Leeser

Deutschland

2012 (Grundbau)-2013 (Siedler)

Architekten:

Ort:

Bereich:

BeL Sozietät für Architektur

Hamburg

Architektur

beispiel grundbau und siedler

19


4.Open Source Design und Architektur

schema partizipationsprinzip 4 bopen source

Im Unterschied zu den bisher vorgestellten Prinzipien, bei denen immer von einer definierten, gegebenen Nutzergruppe ausgegangen wird, handelt es sich bei Open Source Design um eine offene Community, die in offenen Prozessen gemeinsam an der Entwicklung verschiedener Projekte beteiligt 20

ist. Der englische Begriff Open Source steht einerseits für quelloffen (in dem

hartz iv wohnung

Sinne, dass der Quelltext eines Programms frei erhältlich ist), andererseits für offene Quelle (in dem Sinne, dass ein Werk frei zur Verfügung steht). Maßgeblich charakteristisch für Open Source Projekte sind drei Merkmale: sie liegen in einer für den Menschen lesbaren und verständlichen Form vor, sie dürfen beliebig kopiert, verbreitet und genutzt werden und sie dürfen verändert und in der veränderten Form weitergegeben werden.14 Für Open

abb. 1 architekt le van bo in seiner installation der hartz iv wohnung

Design gilt teilweise die Einschränkung, dass die Produkte nicht kommerziell vermarktet werden dürfen. Wie die Planungspraxis demnach für Designer oder Architekten aussehen

Auftraggeber:

Land:

Jahr:

Open Design City

Deutschland

2011

Architekt:

Ort:

Bereich:

Le Van Bo

Berlin

Innenarchitektur / Möbeldesign

beispiel hartz iv wohnung

kann, die im Sinne von Open Design arbeiten, ist sehr unterschiedlich. Sie

torre david

können die Community schon während des Entwurfs über den Status Quo informieren und auf Anregungen hoffen, die in den Entwurf einfließen. Genauso können sie sich, ähnlich dem dritten Prinzip build open, zu einem bestimmten Punkt aus der Planung herausnehmen und gespannt warten, was die Nutzer aus dem angefangenen Projekt entwickeln und selbst wieder aktiv werden, wenn die Selbstbauer im Anschluss ihre Ergebnisse teilen. Sie 14

Jesko Fezer / Mathias Heyden, 2004, S.76

abb.1 teilweise ausgebaute und bisher unausgebaute, obere stockwerke des hochhauses

Auftraggeber:

Alfred Brillembourg,

Land:

Jahr:

David Brillembourg

Hubert Klumpner

Venezuela

1990 (Bau) 2007 (Besetzung)

Architekten:

Ort:

Bereich:

Büro Urban Think-Tank

Caracas

Stadtplanung / Architektur

beispiel torre david


können einen solchen Prozess ebenso als Dienstleister betreuen, kommentieren und Ratschläge erteilen, ohne selbst noch einmal zu entwerfen. Am vorgestellten Beispiel der Hartz-IV Wohnung zeigt sich, dass es für Architekten durchaus möglich ist, so zu arbeiten. Hinzukommen hierbei die neuen Formen von Finanzierungsmöglichkeiten, z.B. crowdfunding. Auch der Architekt Le van Bo hat beispielsweise nach mehreren Jahren, in denen er Baupläne entwickelt hat, das Verlegen eines Buches, welches alle Anleitungen sammelt auf dieses Weise finanzieren können.

5. inspirate to participate

21

schema partizipationsprinzip 5 inpirate to participate

Wenn man die einzelnen Phasen eines Bauwerks betrachtet, seine Planung, seine Herstellung, seine Nutzung, so wird man ohne Zweifel feststellen, dass die Nutzungsphase nicht nur die längste, sondern auch die entscheidende Phase ist. Die Teilnahme der Benutzer an der Planung und der Herstellung des Bauwerks kann also kein Selbstzweck sein, sondern hat nur dann einen Sinn, wenn sie die Teilhabe an der Nutzung verbessert. So ist es der Fall in den bisher beschriebenen Prinzipien. Auch wenn die anschließende Nutzung von Relevanz während des Entstehungsprozesses der Gebäude oder Objekte ist, bezieht sich die Partizipation hauptsächlich auf selbigen. Daneben gibt es Projekte, deren Anliegen darin besteht, einen Raum zum Mitmachen zu


gestalten. Oft entsteht dieser Raum auch durch Beteiligung, aber die Partizipation am Entwerfen, Planen und Bauen ist nicht oberstes Kriterium, sondern welche Möglichkeiten zum partizipieren am Ende vorhanden sind. Es soll ein Raum entstehen, in dem kommuniziert, geredet, geteilt, entwickelt wird – in dem Teilhabe passiert. Teilhabe in diesem Sinn bedeutet laut Architekturtheoretiker Ingo Bohning, dass der Benutzer ein Bewusstsein für die Qualität der räumlichen und sozialen Umwelt entwickeln kann und die Dinge vorfindet, die er für seine persönliche Entfaltung und seine soziale Kreativität benötigt. Das heißt im weiteren, dass ein Teilhabe fördernder Raum nicht nur durch seine physische Beschaffenheit konstituiert ist,

grandhotel cosmopolis

sondern auch durch andere, die Lebensumstände beeinflussende Phänomene, wie zum Beispiel die Anwesenheit agierender, gleichfalls an der Umwelt teilhabender Mitmenschen. Ein solcher Raum bietet im Hinblick auf die Selbstverwirklichung des einzelnen Menschen besondere Möglichkeiten, da er auf die zwischenmenschliche Kommunikation ausgerichtet ist, welche identitätsstiftend ist. Da sich die Kommunikation im Raum ereignet und dieser das zwischenmenschliche Geschehen schon strukturiert, bevor die sprachliche Kommunikation einsetzt, liegt die Intention dabei einen Raum zu Gestalten, der die Kommunikationsbereitschaft fördert. Dabei geht es nicht nur um die 22

abb. 1 blick in eines der hotelzimmer, welches von künstlern gestaltet wurde

Auftraggeber:

viele freiwillige BürgerInnen

Land:

Jahr:

Diakonie Augsburg

der Stadt Augsburg

Deutschland

2011 - 2013 (Einzug)

Architekten:

Ort:

Bereich:

eine Künstlergruppe

Augsburg

Innenarchitektur

beispiel grandhotel cosmopolis

Quantität, sondern auch um die Qualität der zwischenmenschlichen Begeg-

miss sargfabrik

nungen. Diese Begegnungen können sprachlich, emotional oder gemeinsam aktiv interagierend stattfinden. Die anregende Wirkung, die das Gefühl des gemeinsamen Tuns haben kann, lässt sich allerdings nicht erzwingen. Nicht jeder will unentwegt Kontakt aufnehmen. Es ist daher wichtig, dass das situative Umfeld genügend Spielraum bietet und jederzeit auch ein distanziertes Verhalten möglich macht. Die Offenheit des situativen Umfelds ist nicht ausschließlich eine Sache der Organisation, auch der Raum sollte eine entsprechende Offenheit besitzen.15 Das große Potential dieser, auf partizipative Nutzung ausgerichteten Räume

abb.1 die innere struktur schräger decken und böden zeichnet sich auf der fassade ab

Auftraggeber:

Land:

Jahr:

Verein für integrative Lebensgestaltung

Österreich

2000

Architekten:

Ort:

Bereich:

BKK-3 ZT GmbH

Wien

Architektur / Innenarchitektur

beispiel miss sargfabrik

liegt desweiteren in der Durchmischung der Nutzergruppen. Sie können die In-

wohnheimareal ökopop

tegration von Menschen mit Migrationshintergrund, mit Behinderung, von sozial Schwachen, von Alten und Kindern maßgeblich fördern. Dabei kann die Nutzung allein auf Partizipation ausgerichtet sein oder mit Wohnen kombiniert werden. Wichtig ist dafür eine ausgewogene Mischung aus Individualwohnraum und Gemeinschaftswohnraum. Sargfabrik. 15

Ingo Bohning, 1981 S.237ff.

abb. 1 terassen mit anschließenden kräutergärten und kleinen wohnzimmerleuchten im außenbereich

Auftraggeber:

Dipl.-Ing. Susanne Hofmann

Studentenwerk Berlin

Land:

Jahr:

Architekten BDA gemeinsam

Deutschland

2012

Architekten:

mit den Baupiloten der TU

Ort:

Bereich:

die Baupiloten

Berlin

Berlin

Innenarchitektur

beispiel wohnheimareal ökopop


Reichweitendifferenzierung Unabhängig von diesen Prinzipien gibt es ein weiteres Klassifizierungsmerkmal, an welchem die genauen Methoden der Beteiligung ausgewählt werden objekt der partizipation

sollten. Entsprechend des Anwendungsbereiches, variiert die Zahl der

ein nutzer

Betroffenen und damit die Komplexität des Beteiligungsprozesses, also die

expertengruppe Im Mittelpunkt steht das Objekt der Partizipation. Der blaue Punkt steht stellvertretend für die Expertengruppe. Der orange Punkt steht jeweils für eine Einzelpersonen auf der Seite der Nutzer. Die Pfeile symbolisieren die Beziehungen / Einflüsse auf den Prozess.

Beteiligungsmöglichkeit des Einzelnen. Diese Komplexität nimmt dementsprechend zu, je mehr Menschen involviert sind. Je nach Prinzip und Einzelbeispiel handelt es sich um Einzelpersonen, klar definierte Nutzergruppen, die ohne größere Interessenskonflikte zu einer homogenen Gruppe zusammen kommen, bis hin zu unbekannten Nutzern mit größeren Interessenskonflikten, die ich im Folgenden beschreibe. 1. Kleinstgruppen / Individualpersonen Projekte im Bereich Open Source Design betreffen in der Regel Einzelpersonen oder sehr kleine Nutzergruppen ohne Interessenskonflikte, sind allerdings anonymer. Die Personen können sich über Strategien des Open Source angesprochen fühlen oder nicht oder so lange nach dem richtigen Projekt / Prozess suchen, bis sie etwas für sich geeignetes finden. (Beispiel Hartz IV Wohnung) 2. Überschaubare Gruppen Bei Planungen von größeren Wohnhäusern oder Wohngruppe ist die Anzahl der Beteiligten größer, trotzdem in Abhängigkeit von der Objektgröße, noch relativ überschaubar. Es gibt Projekte, bei denen seit Beginn der Planung sicher ist, welche Bewohner am Ende das Gebäude nutzen, bei anderen wird mit einer wechselnden, aber definierten Nutzergruppe geplant. Auch hier gibt es tendenziell geringe Interessenskonflikte (Beispiel Wohnareal Ökopop). 3. Unüberschaubare Gruppen Projekte im Bereich Stadtplanung betreffen eine sehr große und schwer einzugrenzende Menschengruppe, weshalb die partizipativen Methoden jeweils nur Ausschnitte aus dem Gesamtkomplex beinhalten können und nie stellvertretend für alle Bewohner gelten können, sondern nur für die, welche bereit sind, sich zu beteiligen. (Beispiele Open House, Torre David) In der Regel gehen die Vertreter des partizipatorischen Bauens davon aus, dass nicht jeder Benutzer persönlich an der Planung partizipieren muss, wenn gesichert ist, dass eine Gruppe von Leuten an der Planung beteiligt ist, die im sozialen Querschnitt der zukünftigen Benutzergruppe entspricht.

23


Methoden der Partizipation Um den Menschen zu ihrem kreativen Ausdruck zu verhelfen, brauchen sie geeignete Ausdrucksmittel und diejenigen Werkzeuge, die ihnen eine Teilhabe ermöglichen. Je nach Klassifizierung der Anwendungsprinzipien und Gruppengrößen, stehen jedem Projekt vielfältige Ansätze zur Verfügung, von denen einige genannt werden sollen: Anwaltsplanung (advocacy planning) Anwaltsplanungen gehen davon aus, dass unterprivilegierte Gruppen nicht nur keine Macht besitzen, sondern auch nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu artikulieren und zu vertreten. Den unterprivilegierten Gruppen soll daher eine sachverständige Person zugeordnet werden, die hilft, Vorstellungen zu formulieren und diese im Planungsprozess zu vertreten. Die Arbeit des Anwalts kann so weit gehen, dass er alternative Planungskonzepte zu

abb.33 anwaltsplanung

herkömmlichen Stadtplanungen ausarbeitet, um die entsprechenden Entscheidungsgremien zu einer detaillierten Stellungnahme zu veranlassen. Bürgerversammlung Bürgerversammlungen zielen darauf ab, eine öffentliche Diskussion und allgemein ein kritisches Bewusstsein herzustellen. Sie bauen auf das Entstehen 24

einer aktiven und informierten Bürgerschaft.

abb.34 abstimmung in einer bürgerversammlung

Fragebogenaktion Fragebogenaktionen sind Meinungsumfragen bei einer größeren Personenanzahl. Sie dienen dazu, eine Grundstimmung zu erfassen, sowie spezielle Wünsche herauszufinden. Fragebogenaktionen können anonym durchgeführt werden und damit allgemeine Tendenzen aufzeichnen. Sie können ebenso zu Evaluierungszwecken herangezogen werden. Interviews Einzelpersonen werden zu ihren ganz persönlichen Wünschen und Erfahrungen befragt. Diese Technik dient vor allem der Evaluierung des Partizipationsprozesses im Nachhinein.

abb.35 fragebogen der stadt hannover

Gespräch Gespräche gelten als Basis der Kommunikation und damit des Partizipationsprozesses. Sie können digital oder analog stattfinden. Sie passieren zwischen Laien und Experten, genauso wie zwischen den Laien untereinander oder den Experten untereinander. Es ist oft ratsam geschulte Moderatoren für

abb.36 interviews und gespräche


eine effektive Gesprächsleitung einzubinden. Design Games In Design Games spielen auf narrative Weise Experten und Laien in Form von Zeichnungen und Modellen miteinander, um die Wünsche und Bedürfnisse abb.37 design games

der Teilnehmer zu formulieren. Durch die spielerische Herangehensweise wird konkrete Absicht mit Spontanität verbunden, es kann ein Flow entstehen, der die weitere Beteiligung im Folgeprozess begünstigt. Simulationen Mit Hilfe digitaler Programme können Situationen im Stadtraum simuliert werden. Ein Mausklick kann die ganze Situation verändern und einen Perspektivwechsel antizipieren.

abb.38 simulationen

Zukunftswerkstätten In einem abgesteckten Zeitraum spielen Personen reale städtebauliche oder Wohnsituationen durch, wechseln dabei die Rollen und können so die unterschiedlichen Planungsfragen und deren Voraussetzungen diskutieren. Ziel ist einerseits eine Einbindung von unterschiedlichen, an der Planung beteiligten und davon betroffenen Personen und andererseits die Folge von Entscheidungen testen zu können.

abb.39 zukunftswerkstätten

Nachbarschaftsorganisationen Bei Nachbarschaftsorganisationen handelt es sich um Subkulturen eines größeren, städtischen Kontexts. Nachbarschaftsorganisationen können sich natürlich aus dem Zusammenleben entwickeln und spielen eine wichtige Rolle für ein gemeinschaftliches Leben, bei welchem sich die Bewohner mit ihrer Umwelt identifizieren. Für Beteiligungsprojekte werden diese Zusammenschlüsse schon im Vorfeld antizipiert, beispielsweise durch Simulationen. Auf diese Weise kommen die zukünftigen Nachbarn in einer

abb.40 nachbarschaftsorganisationen

virtuellen Umgebung zu einem frühzeitigen Punkt zusammen, entwickeln gemeinsame Projektideen und das Gefühl von Nachbarschaft schon im Vorfeld. Kommuniziert wird dabei häufig über das Internet. Die internationale Architektengruppe RAMTV forscht und entwickelt unter dem Motto Negotiate my Boundary die Bedeutung dieser Nachbarschaftsorganisationen für partizipatorische Projekte. Für Sie bildet das soziale Konzept gemeinsamer Räume einen Schwerpunkt der Nachbarschafts-

abb.41 nnegotiate my boundary von RAMTV

untersuchungen.

25


Leitgedanken Nach der Betrachtung der verschiedenen Einflussfaktoren auf die Methoden partizipatorischer Architektur, sollen noch einmal die allgemeinen Leitgedanken von Partizipation darauf bezogen übertragen werden: Leitgedanke Transparenz Das Prinzip des Open Design funktioniert maßgeblich über die Methodik, dass die gemachten Erfahrungen der Öffentlichkeit zurückgegeben, transparent gemacht werden. Sie lässt sich allerdings auch auf die anderen Partizipationsmodelle übertragen. Jedes Partizipationsprojekt ist auf seine Art Pilotprojekt und ähnliche Folgeprojekte können auf den gemachten Erfahrungen aufbauen, solange diese Erfahrungen zugänglich sind.

abb.42 transparenz

Leitgedanke Kommunikation Die Laien müssen von den Experten, also in der Regel den Architekten zunächst geschult werden, um überhaupt in der Lage zu sein, richtige Entscheidungen zu treffen. Dafür muss zu Beginn eine gemeinsame Sprache gefunden werden bzw. die Laien an die Kommunikationsformen der Architekten herangeführt werden. Schließlich sind Personen ohne Hintergrundwissen

abb.43 gemeinsame sprache finden

selten in der Lage, Grundrisse und Schnitte zu lesen. Christopher Alexander 26

entwickelte zu diesem Zweck 1967 die sogenannte Pattern Language (deutsch eine Muster-Sprache), welche die Sprache der Architekten in einfache Grundmuster rastet, die allen verständlich sein sollen. Eine ähnliche Sprache, die auf Skizzen basiert entwickelte Architekt Yona Friedman und fasste sie in dem Buch Meine Fibel zusammen. Er wollte damit die Grundlage dafür schaffen, dass alle Beteiligten mit verständlichen Informationen arbeiten . Er fand heraus, dass die intuitiv zu lesenden Skizzen selbst von Kindern richtig verstanden werden. Das auf offene Planungen im städtebaulichen Kontext spezialisierte Büro ifau - Institut definiert als unabdingbar Grundlage solcher Prozesse den freien Zugang zu Informationen, welcher über das Internet möglich sein sollte. Sie erlebten in ihren Projekten, dass sich die anfangs oft chaotische Kommunikationssituation irgendwann zwischen Chaos und Ordnung

abb.44 bucheinband eine muster-sprache

einpegelt und dann nach dem Prinzip funktionieren: Je mehr alle wissen, desto besser, desto einfacher, schneller, stellt sich im Laufe des Prozesses so etwas her wie eine Regel, eine Umgangsform, auf die sich alle geeignet haben. Nicht nur eine verständliche Sprache ist notwendig für eine gelungene Prozesskommunikation, sonder eine prinzipiell sinnvolle Kommunikations-

abb.45 bucheinband meine fibel


struktur, die gewährleistet, dass alle Beteiligten, alle nÜtigen Informationen erhalten. Architekten bringen durch ihre grundlegenden Kommunikationsbeziehungen beste Voraussetzungen fßr diese Rolle mit. Oft ist es trotzdem sinnvoll, geschulte Moderatoren in den Kommunikationsprozess einzubeziehen. (siehe Punkt 2 plan social)

27

abb.46 eine musterabwicklung aus dem buch eine muster-sprache

notizen


was bringt partizipation? was bedeutet es in der architekturrealität? Allgemein werden folgende Vorteile bei partizipatorischen Verfahren formuliert: Sie führen zu einer bestmöglichen Nutzung von Wissens- und Erfahrungspotential und dadurch zu besseren und nachhaltigeren Ergebnissen. Sie bedeuten eine Zeit- und Kostenersparnis, eine Verminderung von Konfliktpotential und garantieren eine starke Identifikation mit dem Projekt und damit eine Bindung daran.16 Vor allem der letzte Aspekt kann größtenteils auf partizipatorische Architekturverfahren übertragen werden. Durch die Beteiligung entsteht eine positive Beziehung zwischen Mensch und Umwelt, die sich günstig auf das Leben der Gemeinschaft auswirken kann. Eine Planungsbeteiligung hat zur Folge, dass die Bewohner, deren Verantwortungsbewusstsein im Planungsprozess geweckt wird, sich mit dem Projekt identifizieren und

abb.47 verantwortung für das projekt

spontaner soziale Aktivitäten entwickeln, die sonst, wenn überhaupt erst nach einer langen Zeit der Gewöhnung zu beobachten sind.17 Der kollektive

Schaffensprozess

kann

zudem

die

Gruppenidentität

und

Zusammengehörigkeit stärken. Im Selbstbau entstandene Gebäude fördern nicht nur die Identifikation, sondern erzeugen ein Gefühl von Stolz auf das selbst Geschaffene und damit ein positives Lebensgefühl. 28

Auch für den Architekten bedeuten Verfahren dieser Art wesentliche Unterschiede zur konventionellen Architekturpraxis. Er muss sich mit

abb.48 gruppenidentität entsteht

einem neuen Rollenverständnis als Initiator, Moderator und Inspirator sozialer Prozesse identifizieren. Die durch die Komplexität des Gesamtprozesses geforderte Kompetenzerweiterung ist gleichzeitig Herausforderung kann aber auch zu Überforderung führen. Dem Architekten fallen neue Rollen zu, bei denen er in eigenem Ermessen abschätzen muss, ob er ihnen gewachsen ist oder er sich Gleichgesinnte aus anderen Bereichen als Hilfe heran holt.

abb.49 freude und stolz über die eigene leistung

Die sich daraus bildende, dem Zeitgeist entsprechende Kompetenzmischung innerhalb einer Aktionsgruppe bietet großes Potential für kreative und neue Entwicklungen, ist somit selbst wiederum Prozessinitiator. Dem Architekt ist die Chance gegeben, sein Fachwissen Menschen zur Verfügung zu stellen, die normalerweise keinen direkten Zugang dazu haben und seine Visionen von Architektur zu realisieren. Allerdings muss er sich prinzipiell von der Idee seines ausschließlich eigenen Entwurfs verabschieden 16

Quelle:http://partizipationswerkstatt.eu/partizipation/arbeitsweise.html 24.2.. 10:00

17

Ingo Bohning, 1981 S.207

abb.50 kompetenzerweiterung


und dafür offen sein, dass andere Menschen den Entwurf verändern bzw. ihn zu großen Teilen mitgestalten. Je nach Partizipationsprinzip ist die Überformbarkeit des Ursprungsentwurfs geringer oder stärker ausgeprägt. Da die angebotene Möglichkeiten von den Nutzern auf völlig unvorhersehbare Weise verstanden, bewertet und angewandt werden können, besteht das Risiko, dass sich der Entwurf am Ende eventuell in eine Richtung entwickelt, die sich der Architekt anfangs so nicht vorgestellt hat. Vor allem bei Projekten des dritten Anwendungsprinzips sind die formalen Absichten der Architekten eingebettet in das partizipatorische Gesamtkonzept, welches das Planungsgeschehen kennzeichnet. Der Architekt muss deshalb einerseits offen sein für neue, unerwartete Impulse und andererseits einen klaren Entwurf einbringen, der prozessoffen gestaltet ist, aber gleichzeitig auf die unvorhersehbaren Überformungen durch die Nutzer angemessen reagiert und sie ästhetisch einbindet. Schließlich wäre das die Kunst guter partizipatorischer abb.51 ungeahnte überformung

Architektur, trotz der Überformbarkeit eine klare ästhetische Linie zu zeigen, wie es in dem Beispiel der Siedlung in Chile passiert. Ebenso könnte man hier argumentieren, dass sich ein wahrer partizipationsbestrebter Architekt völlig von der Vorstellung des Endergebnis, falls das jemals erreicht wird, lossagen sollte. Die Veränderbarkeit ist einerseits gewollt und kann wie bei Open Design Projekten zu Innovationen führen, andererseits aber auch zu Irritation und Zweifel an der ästhetischen Beurteilung. In einigen Fällen vermittelt das Ge-

abb.52 open design innovationspotential

bäude auch nur bedingt eine ästhetische Botschaft und appelliert dafür umso mehr an die ästhetische Aktivität und soziale Kreativität der Teilnehmer oder Nutzer. Das partizipatorische Bauen kann auch dazu inspirieren, eine allgemeine, auf das Leben gerichtete ästhetische Aktivität zu entfalten. Schließlich hat man an etwas Teil, was auch ohne eigene Initiative stattfindet, so aber vielleicht einfacher, befriedigender, schöner, billiger oder gerechter abläuft.

abb.53 soziale kreativität entsteht

Wichtig ist außerdem eine zeitliche Begrenzung der Projekte, da sich aus Erfahrung zeigt, dass die Bereitschaft zur Partizipation bei zu langwieriger Beteiligung ohne ersichtliche Erfolgsschritte nachlässt. Das kann unter anderem damit begründet werden, dass sich Laien beteiligen, die nebenbei anderen Beschäftigungen nachgehen müssen, um ihr Einkommen zu sichern. Menschen niedrigen Einkommens müssen umso härter für die Umsetzung ihres Wohnraums arbeiten, sodass ihnen am Ende die Kraft fehlt, sich wiederholt in ein Thema einzuarbeiten, das ihnen neu ist. Gleichzeitig

abb.54 was passiert, wenn die luft raus ist?

werden sie zunehmend zu Experten ausgebildet, je länger der Beteiligungs-

29


prozess andauert. Immer neue chaotische Wendungen rauben ihnen die Lust am Weitermachen in Eigeninitiative. Auch hier ist Kommunikation und Moderation wichtiger Erfolgsgarant. Bei partizipatorischen Projekten wird der gemeinschaftsfördernden Rolle, wie erläutert, besondere Bedeutung zugemessen. Entweder entstehen solche Projekte aus einem Wunsch nach gemeinsamen Wohnen oder die Gemeinschaftlichkeit entwickelt sich während des Bauprozesses. Darin erkennt man, wie diese Art des Bauens einen allgemeinen Wohntrend in Westeuropa

abb.55 gemeinsames wohnen mit nachbarn

aufnimmt: die traditionelle Funktion von Familie befindet sich zunehmend in der Auflösung und wird deshalb durch andere Gemeinschaftsformen ersetzt. Modernes Wohnen hat deshalb generell vermehrt die Aufgabe, dem Individuum sozialen Kontakt zu Nachbarn und Mitbewohnern zu erleichtern. Die Nachbarschaft wird zum Ersatz für die Großfamilie, welche früher für den Einzelnen viele soziale Funktionen erfüllte. Partizipatorische Wohnbauprojekte unterstützen diesen Wunsch und sind demnach äußerst zeitgemäß. Zudem sei angemerkt, dass die Hinwendung zu Bottom-Up-Architektur und damit verbunden Partizipationsverfahren nicht zwangsläufig bedeutet, dass Architekten auf Bekanntheit verzichten müssen. Schon 1978 merkte 30

der Historiker Colin Ward an, dass die sogenannte Heldenvereherung wie bei Jet-Set-Architektur auch im Fall der Partizipation nicht beendet sei. Die öffentliche Aufmerksamkeit für Einzelne verlagert sich lediglich von einer formalen Qualität ihrer fertigen Bauten zu der Art, wie sie Ihre Arbeit angehen.18 Einige Beispiele zeigen, dass diese Aussage auch heute noch zutrifft. So haben beispielsweise raumlabor Berlin nationale und internationale Bekanntheit erzielt und werden für partizipative Projekte engagiert. Allein in ihrer Bezeichnung als Raumlabor ohne Schwerpunkt auf Einzelpersonen zeigt sich ihre architektonische Haltung, die die experimentelle Prozesshaftigkeit der Projektbearbeitung in den Vordergrund und Einzelpersonen in den Hintergrund stellt. 18

notizen

Claudia Mareis, Matthias Held, Gesche Joost, 2013, S.36

abb.56 nachbarschaft kann familie ersetzen


was ist kritisch zu sehen? Zunächst sei genannt, dass eine Zeit- und Kostenersparnis, die partizipatorischen Projekten im Allgemeinen zugesprochen wird, bei Projekten in der Architektur nicht immer zutrifft. Wie im letzten Abschnitt erklärt, müssen die Laien zunächst geschult werden, um kompetent im Beteiligungsprozess mitwirken zu können, was mit großer Sicherheit mit einem größeren Zeitaufwand im Vergleich zu herkömmlichen Entwicklungsprozessen verbunden ist. Eine Kostenersparnis ist einigen Projekten sicherlich nachzuweisen, so beispielsweise den Lehrerhäusern in Gando, die durch die Arbeitskraft der Menschen vor Ort die Arbeitskraft von ausgebildeten Handwerkern ersetzen. Soll aber eine größtmögliche Flexibilität der Nutzung gewährleistet werden, ist dies oft nur mit einem Mehrkostenaufwand umzusetzen. Aus der Geschichte des partizipativen Bauens lassen sich da mehrere Beispiel heranziehen, wie das österreichische Hollabrunnenprojekt des Architekten Ottokar Uhl aus dem Jahr 1972. Auch in der Reihe meiner eigenen Beispiele ist dieses Phänomen zu finden, so unter anderem bei dem Grundbau und Siedler Projekt, welches einen Mehrkostenaufwand darlegt, der durch die vorzuweisende, hohe Flexibilität im Grundbau und dessen möglicher Ausgestaltung entsteht, die vom Architekten gewollt ist. Gleichzeitig handelt es sich um ein Pilotprojekt. Es musste zunächst ausgetestet werden, wie die Menschen in Deutschland überhaupt in der Lage sind, sich ein solches Gebäude anzueignen. Wird das Projekt in ähnlicher Weise wiederholt, können sicherlich schon Kosten eingespart werden, da sich gezeigt hat, an welchen Stellen derartige Optionen gar nicht notwendig sind. Die Beispiele aus den verschiedenen Ländern zeigen, dass die benötigte Flexibilität verschieden ist. Denn je nach kulturellen und regionalen Unterschieden variieren die prinzipielle Bereitschaft und das Vermögen der Menschen des Mitgestaltens in diesem Bereich. Erkennbar ist, dass in Ländern, in denen informelles Bauen aus der Notwenigkeit als selbstverständliche Baupraxis bekannt ist, beispielsweise in den Ländern Südamerikas, ein prinzipiell höherer Aneignungswille zu beobachten ist. In Deutschland verbieten gesetzliche Bestimmung informelles Bauen und Neubauten unterliegen durch die EnEV ( = Energieeinsparverordnung) strengen Auflagen hinsichtlich des Wärmeschutzes. Das erschwert den Eigenausbau, wie das Beispiel Grundbau und Siedler zeigt. Außerdem sind die Deutschen kaum an Selbstbau gewöhnt und zeigen deshalb weniger Aneignungswillen, wenn ihnen die Möglichkeit gegeben wird. Unterschiede finden sich allerdings in Deutschland zwischen der Land- und Stadtbevölkerung, da sich bei

31


Menschen auf dem Land eine starke Tendenz zur Selbstbauphilosophie entwickelt hat, sich ihnen in ländlichen Gebieten bessere Chancen auf die Verwirklichung einer eigenen Wohnung oder sogar eines Eigenheims bieten und sie demnach in geplanten, partizipatorischen Architekturprojekten weniger Berücksichtigung finden, da diese Projekte wiederum häufig den großstädtischen Wohnungsmangel thematisieren. Es sei folglich genannt, dass die ausschlaggebende Ausgangsvoraussetzung des partizipatorischen Bauens die Bereitschaft

und Fähigkeit für

Beteiligung ist. Demnach müsste darauf geschaut werden, inwieweit diese grundlegend ausgebildet wird. Die mediale Öffentlichkeit und Vernetzung durch die neuen Medien erzeugen wie eingangs beschrieben eine gewisse Mündigkeit der Partizipationsbereitschaft bei der heutigen Jugend, ist aber als generelle Schulung hinsichtlich des Beteiligungsvermögens unzureichend. Nur vereinzelt vertreten Bildungseinrichtungen in Deutschland ein Lehrkonzept, welches Selbsterfahrung durch Beteiligungsmethoden lehrt. Sie werden immer populärer, setzen aber meistens die Zahlungsfähigkeit der Eltern voraus, da diese Bildungsträger oft in privaten Händen sind. Kinder aus der Mittelschicht können demnach Schulen dieser Art 32

besuchen, Kinder aus unteren Einkommensschichten sind meist davon ausgeschlossen. Sie stehen wiederum selbst oder später als Erwachsene im Fokus der beschriebenen Beteiligungsverfahren, ohne entsprechend durch die Schulbildung darauf vorbereitet zu sein. Demnach ist oft eine intensivere Schulung während des Partizipationsprozesses notwendig, was diesen in seinem Zeitaufwand intensiviert. Umso wichtiger ist es, wie schon erläutert, eine geeignete Kommunikationsform für diesen Prozess zu finden. Kritik an Partizipationsprojekten setzt häufig an dem Punkt mangelnder oder unzulänglicher Kommunikation an. Vor allem unter den Laien, welche die architektonische Sprache erst lernen müssen, kann es zu Verständigungsschwierigkeiten und Missverständnissen kommen. Primär bei Baugruppenprojekten liegt hier die Gefahr der Frustration und des Scheiterns. Generell besteht die Gefahr von Frustration, wenn spezielle Wünsche der Nutzer am Ende unter Umständen nicht berücksichtigt werden können. Allerdings kann dagegen gehalten werden, dass jegliche Möglichkeit zur Teilhabe einem prinzipiellen Individualisierungswunsch gerecht wird. Demnach ist es immer noch besser, wenn die Wünsche erst einmal gehört werden, auch wenn sie am Ende nur bedingt einfließen, als wenn von vorn


herein eine Meinung von oben übergestülpt wird. Kritisch sei in dieser Stelle angemerkt, dass allein die Möglichkeit für Beteiligung nicht automatisch heißt, dass man sich beteiligen muss und erfolgreiche Partizipation nur auf freiwilliger Basis funktionieren kann. Das vierte Anwendungsprinzip des Open Design soll an dieser Stelle extra eingeschätzt werden, da die bisher formulierten Kritikpunkte nur bedingt anwendbar sind. In der Programmierbranche, in die das Open Source entwickelte Linux-Betriebssystem zählt, kann man die Arbeitsweisen von kontrolliert entwickelten Systemen durch private Entwickler und von offenen Systemen miteinander vergleichen. Der prozesshaft-diskursiven Technik der Mitbestimmung wird eine ökonomische Überlegenheit gegenüber statisch-hierarchischen Organisationsmodellen zugeschrieben, vor allem durch ihre Fehlerfreundlichkeit durch Selbstkorrektur.19 In gewisser Weise dient der Erfolg von Linux als Beleg dafür, wie größere Gemeinschaften in einem offenen Prozess an einer gemeinsamen Aufgabe entstehen und kooperieren können. In Open-Source Projekten arbeiten viele Leute an einem gemeinsamen Gegenstand. Es ist eine Produktionsweise, die einerseits offen ist, andererseits aber aufeinander bezogen sein muss. Dabei ist nicht nur ein Sammelsurium an Meinungen und Ansätzen herausgekommen, sondern ein kohärentes, funktionierendes Produkt. Ob sich das Prinzip 1:1 auf Open Design Strategien übertragen lässt, ist fraglich. Der große Vorteil der prozessoffenen Arbeit an Linux besteht unter anderem darin, dass über das digitale Medium Internet, ein digitales Produkt entwickelt wird. Die digitale Technik ist wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren von Open Source Abläufen. Allerdings gestaltet sich die Weiterentwicklung eines Produkts schwieriger, wenn es aus der digitalen Welt über Selbstbau in die analoge übertragen werden muss, um das Ergebnis anschließend wiederum digital zu dokumentieren. Sicherlich ist auch hier der Erfolg von Projekt zu Projekt verschieden und eine besondere Schwierigkeit besteht in der Anwendung von Open Source Strategien auf individuellen Wohnraum, der über die bloße dekorative Gestaltung der Räume hinaus gehen soll. Schwierig ist zudem, dass das Internet eine regelrechte Flut von Ratgeber, Selbstbauanleitungen, Hilfsforen, etc. anbietet und Quellen mit einem ästhetischen Anspruch nicht immer leicht zu finden sind. Hier zeigt sich die Problematik der Qual der Wahl, dem Wunsch nach Mitbestimmung einerseits und den unzähligen Wahl-

19

Jesko Fezer / Mathias Heyden, 2004, S.15

33


möglichkeiten in vielen Lebensbereichen andererseits. Sind die Menschen, die sich ständig zwischen all den vielen, sich bietenden Möglichkeiten entscheiden müssen, vielleicht auch erleichtert, wenn sie bestimmte Aufgaben ohne Skepsis den dafür ausgebildeten Experten überlassen können? Aber auch hier liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen den unterprivilegierten Schichten und den sozial höheren Schichten. Personen mit geringeren finanziellen Mitteln, haben in der Regel auch weniger Wahlmöglichkeiten und nehmen Mitbestimmungsmöglichkeiten, die ihnen sonst verwehrt bleiben, häufig dankbarer an. Handelt es sich tatsächlich um Selbstbauprojekte (Beispiel Hartz IV Wohnung, Grundbau und Siedler) sollte ein prinzipielles handwerkliches Können der Beteiligten vorausgesetzt sein. Nicht nur die Bereitschaft zur Beteiligung, sondern auch ein technisches Verständnis und handwerkliches Geschick sind Garanten für den Erfolg solcher Projekte. Vor allem die letzten beiden Punkte können für Überforderung sorgen, wie beispielsweise die Architekten des Grundbau und Siedler Projekts bezeugen können. Der technologische Fortschritt begünstigt die Standardisierung, so wurden für das Hamburger Projekt eigene Mauerziegel produziert, die den Anforderungen des Wärmeschutz gerecht werden und gleichzeitig genügend Flexibilität im Einsatz 34

lassen. Haben schon in den 70er Jahren Experimente mit industriell in Masse gefertigten Bauteilen stattgefunden, so hat die Vorfertigung mittlerweile eine neue Dimension erreicht. Ohne Kostensteigerung kann in industrieller Fertigung auf individuelle Kundenwünsche eingegangen werden, eine Fertigungsweise, die als „Mass Customization“ bezeichnet wird. Diese Fertigungsweise arbeitet mit den Vorteilen computergenerierter und -gestützter Planung. Bei Projekten, die in größerem Maßstab angelegt sind und nicht jede individuelle Meinung berücksichtigen, können je nach Methode partizipatorische Verfahren auch bedeuten, dass Minderheiten weniger berücksichtigt werden. Das passiert wenn Entscheidungen einer Gruppe getroffen werden und über eine Mehrheitsentscheidung statt über eine Konsensentscheidung entschieden werden. Wird im Mehrheitsverfahren entschieden bedeutet das oft, dass eine Minderheit mit anderer Meinung keine Berücksichtigung findet. Dieses Phänomen findet sich allerdings eher in politischen Partizipationsverfahren, als im untersuchten architektonischen Bereich, da in der Architektur in den untersuchten Beispielen die Integration von Minderheiten grundlegend fokussiert wird. (Beispiel Grandhotel) Viele Projekte zeigen, dass das Konzept


von Partizipationsprozessen, bei denen die Durchmischung von verschieden Personengruppen im Vordergrund steht, erfolgreich ist. Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Vision partizipatorischen Bauens der Architekten an der Realität scheitern kann. Sie ist allerdings eng mit einer prozesshaften, unmittelbaren, lebensnahen Handlungspraxis verbunden und kann deshalb in der Regel eingelöst werden. Die Antwort darauf, ob das herausfordernde Vorhaben humanistisch geprägter Selbstbestimmung des Menschen in seiner Umwelt durch Partizipation gelingt, kann nicht pauschal gegeben werden, denn sie richtet sich unter anderem nach der Stärke des kreativen Impulses, den ein bestimmtes Projekt auszulösen imstande ist. Maßgeblich dabei ist, ob die Selbstgestaltung der Beteiligten zu einem existentiellen Schönwerden führt oder ob sie sich im Schrebergartentum und Kitsch erschöpft. Aber wem steht die Beurteilung dessen schon zu? Gegner der partizipatorischen Architektur fragen an dieser Stelle kritisch, wie man die ästhetischen Werte klassischer Architektur zugunsten einer flüchtigen und zudem noch fragwürdigen ästhetischen Massenerziehung opfern kann. Geht es denn letztendlich oft doch nur um dekorative Aspekte des Mitbestimmens, die Problematik, ob eine Wand blau oder lieber rot gestrichen wird beispielsweise oder tatsächlich um eine strukturelle, gesellschaftsverändernde Mitbestimmung einhergehend mit dem Glauben an eine demokratische und freiheitliche Welt? Die Beantwortung dieser Fragen ist letzten Endes jedem selbst überlassen. Ganz im Sinne der Selbstbestimmung ist es demnach auch jedem Architekten freigestellt, sich für oder gegen partizipatorische Praktiken zu entscheiden. Für mich beinhaltet Partizipation im Bauprozess weitreichendes Potential, denn es setzt einen wichtigen Bewegungsimpuls, ein Aufforderung an den Menschen, aktiv sein Leben zu gestalten. Dabei sollten die Mitbestimmungsmöglichkeiten aus den erläuterten Gründen auf ein realistisches Maß beschränkt sein und aller Popularität dieser Verfahren zum Trotz, bei jedem Projekt sorgsam abgewogen werden, ob und welche partizipativen Methoden eingesetzt werden. Besonders interessant ist für die Bearbeitung des gestalterischen Teils meiner Masterarbeit das Anwendungsprinzip 5 inspirate to participate, mit welchem ich mich vertiefend beschäftigen werde.

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notizen

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Menschen mit neuen Ideen gelten solange als Spinner, bis sich die Sache durchgesetzt hat. [G. E. Lessing]



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