MAP - München Architektur Programm 01/2017

Page 1

München Architektur Programm | 01 2017

Im Archiv des Architekturmuseums der TU München Plansammlung in der temporären Unterbringung in der Marsstraße in München Foto: © Anton Heine, Architekturmuseum TUM

Sechs FRAGEN AN

stefan

Behnisch

Stefan Behnisch ist zu Gast am Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen (Thomas Auer) an der TU München. Er betreibt aktuell Büros in München, Stuttgart und Boston und beschäftigt 140 Mitarbeiter. Andres Lepik traf den Architekten zum Gespräch in München. Sie haben reichlich Erfahrungen in Amerika gesammelt und dort zwei Büros gegründet, in Los Angeles und in Boston. Wie wichtig ist es, frühzeitig Auslandserfahrung zu sammeln? Dass die TU München die Studenten verpflichtet ins Ausland zu gehen, halte ich für richtig. Auch das Angebot eines Austauschs der Lehrenden, nicht nur der Lernenden, ist etwas Besonderes. Denn: Wir können die Globalisierung mögen oder nicht mögen, aber an den Realitäten kommen wir nicht vorbei. Wir waren schon in den 1920er Jahren mit einer gesellschaftlichen Globalisierung konfrontiert, die aber nur einigen wenigen vorbehalten war. Heute greift sie in viele weitere Gesellschaftsschichten hinein und setzt früher ein. Von der Schule über die Lehre bis zum Studium lernen junge Menschen heute viel mehr in gegenseitigem Austausch und regen wieder andere an, es ihnen gleich zu tun. Über das fachspezifische Lernen hinaus dient das Wissen um fremde Kulturen als Schutz gegen Tendenzen in Richtung Populismus und Nationalismus. In meiner Generation war das fast muttersprachliche in einer zweiten Sprache noch rar. Sprachkenntnisse und damit Kommunikationsmög-

lichkeiten haben uns definitiv Vorteile im Ausland verschafft. Ein Auftrag in Istanbul und die damit verbundene englischsprachige Abwicklung waren damals der Grund, dass mich mein Vater Günter Behnisch ins Büro geholt hat. Als Professoren bilden wir die nächste Generation aus. Zum verantwortlichen Unterrichten zählt ja nicht die Vermittlung des eigenen Schaffens, sondern dessen, woran man glaubt, dass es den Studierenden helfen wird, in ihrer Generation bestmöglich arbeiten zu können... Für mich ist die größte Motivation in der Lehre, auch selbst Neues zu erfahren – ein bisschen den Puls der Zeit zu spüren. Und da sind die jungen Architekten besser als wir. Wenn ich auf meine Erfahrungen und mein Wissen angewiesen wäre, dann wäre unser Büro noch langweiliger als es schon ist! Dann wären wir wirklich zum Einschlafen. Wir Alten können nicht die treibende Kraft sein, wir können in der Lehre und der Arbeit motivieren, aber ich glaube nicht, dass wir die Themen setzen und besetzen können. Ich habe Lehre immer so verstanden, an vorhandene Ansätze anzuknüpfen, sie zu hinterfragen und dann Hilfestellung zu geben und zu schärfen. Wir sprechen hierbei nicht von der Grundausbildung, von Bauphysik oder Tragwerkslehre, sondern vom Entwerfen. Fritz Haller, mein Lehrer, sagte uns damals, das Architekturstudium sei weitgehend ein autodidaktisches Studium. An Themen interessiert mich derzeit der öffentliche Raum mehr als der Hochbau – das liegt zwangsläufig am aktuellen Wandel der Städte. Deutschland ist unweigerlich ein Einwanderungsland und muss sich diesem Druck der globalen Bewegung stellen – je früher man dies auch politisch anerkennt, desto besser. Wenn Prognosen für das Jahr 2050 davon ausgehen, dass 75 Prozent aller Menschen weltweit in Metropolen leben, sind das insgesamt mehr Stadtbewohner als heute auf der Erde leben. Der öffentliche Raum ist der Kitt unserer Städte, der ihre Qualität ausmacht und unsere Gesellschaft zusammenhält. Auch die Industrie, ihre Forschungsbereiche, Entwicklung und Produktion wird wieder

mehr in die Städte wachsen und von den Rändern oder der »grünen Wiese« in die Zentren verlagert werden. Nur so wird man weiterhin kreative Menschen für die Mitarbeit interessieren können. Weitere spannende Themen sind die energetische und funktionale Sanierung von Gebäuden. Vielleicht können wir mit dem existierenden Bestand intelligenter umgehen – als Alternative zum Neubau. Sehen Sie darin Perspektiven? Durchaus. Allerdings würde ich Bauen im Bestand anders betrachten als mein Kollege Andreas Hild, nämlich weniger als ein Umformulieren als vielmehr als ein Nachverdichten und Umnutzen. Nehmen wir das Beispiel der Arbeitswelten in den Büros der Unternehmen. Großraum und eigener Arbeitsplatz, Kombizone etc – das hat langsam einen Bart. Ich meine, dass die Zukunft der Büros in Kommunikationszentren mit einer relativ kleinen Abteilung von Nomadenarbeitsplätzen liegt oder in Gruppen, die sich irgendwo zur Zwischennutzung für spezielle Projekte einmieten. In Zukunft werden Büroanlagen eine neue Funktion bekommen: Eine große Aufgabe wird sein, Büroräume zu Wohnungen umzunutzen. Sehen Sie ebenfalls Tendenzen in einer der Kernfragen der Architektur, dem Wohnungsbau? Wie ist die Architektur auf die Veränderung der Gesellschaft vorbereitet und gibt es konzeptionelle bauliche Antworten? Man muss unterscheiden zwischen den verschiedenen Formen des Wohnens. Zum einen finden sich Organisationsformen wie Baugruppen oder Genossenschaften und solchen immer wiederkehrenden Initiativen. Zum anderen fordern viele nun andere Lebensformen des Wohnens. Dazu gehören das Nebeneinander von Arbeit und Privatem oder eine Konzentration auf die Förderung der Nachbarschaft. Und gut entwickelte Quartiere mit Kindergärten und Schulen ermöglichen auch ein Leben mit Verzicht auf eigene Autos. Solche Konzepte zielen auf die Aufhebung der schizophrenen Trennung zwischen Leben und Arbeiten. Das hat für Wohnquartiere und die Wohnorganisa-

tion natürlich weitreichende Konsequenzen. Ein weiteres Thema ist die Nachverdichtung. Diese Potenziale sind meistens mit Änderungen der Bauvorschriften gekoppelt. Man kann die Studierenden nur darauf vorbereiten, für Möglichkeiten offen zu sein und immer wieder darauf drängen, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Der Stararchitektenkult scheint gegenwärtig in der Krise. Hat sich auch das Berufsbild des Architekten verändert? Es gibt zwei Wege, die gerade im Widerstreit liegen: eine extreme Kommerzialisierung unseres Berufes und ein Verkommen unserer qualitativ doch interessanten Akquisemethode des Wettbewerbs – und auf der anderen Seite kleine, junge Büros. Sehr spannend. Junge Architekten fokussieren sich oft weniger auf ein Arbeiten in großen Büros und schnelle Selbstständigkeit. Es zeigt sich eine neue Generation, die eher in kleinen Strukturen funktioniert, ausschert aus den Erwartungen und sich gut im kleineren Team entwickelt – und nicht vom Pritzker-Preis träumt. Sie bewundert natürlich BIG, sie bewundert natürlich Hadid – bis Patrik Schumacher wieder eine Rede hält –, aber sie ist realistischer. Und da sind unglaublich gute Leute dabei, die leider aufgrund unseres staatlich organisierten Vergabesystems wenig Chancen haben. Tatsache ist: Wenn ich schon 50 Universitäten gebaut habe, bekomme ich auch die einundfünfzigste – aber das ist ein alter Hut und gleichzeitig ein riesiges kulturelles Problem. Sie glauben sehr stark an das Wettbewerbsprinzip in seinem Grundsatz – und gewinnen auch viele. Was muss man heutzutage tun, um Wettbewerbe zu gewinnen? Zunächst muss die inhaltlich richtige Lösung gefunden werden. In einem Wettbewerb kann man nicht alles richtig machen, er ist in erster Linie eine architektonische Absichtserklärung. Die Pflicht ist, den Anforderungen zu entsprechen, die Kür, darüber hinaus etwas zu versprechen. Je mehr man sich in Details verstrickt, desto mehr Fehler entstehen.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
MAP - München Architektur Programm 01/2017 by ArchitekturmuseumTUM - Issuu