Hans Kienesberger Subcutan Fotoarbeiten 1971 – 2002 DAS EWIGE ARCHIV
Hans Kienesberger Subcutan Fotoarbeiten 1971 – 2002
Das Ewige Archiv
Hans Kienesberger: Subcutan. Anmerkungen zu einem fotografischen Werk. Hans Kienesbergers fotografisches Werk ist wesentlich umfangreicher, als bisher angenommen. Lange Jahre vergessen, verborgen im Lager, wurde es erst vor kurzem von ihm selbst „wiederentdeckt“ und im Auftrag des Ewigen Archivs sorgfältig reproduziert. Die vorliegende Publikation ist ein erster Schritt dazu, diesem Werkblock eine seiner Bedeutung gemäße Beachtung zu schenken. In der relativen Abgeschiedenheit des Traunseegebietes entstand in den Jahren von 1971 bis 2002 ein Werkblock, der internationale Vergleiche nicht zu scheuen braucht. Hans Kienesberger hatte seit 1968 Collagen und Montagen produziert, diese waren auch der Beweggrund für seine intensive Beschäftigung mit dem Medium Fotografie. Ausschlaggebend dafür war sein Wunsch, das Bildmaterial für die Collagen selbst bestimmen und produzieren zu können, um der industriell vorkonfektionierten Bilderflut Eigenes entgegenstellen zu können. Folgend einige Schlaglichter auf eine Reihe von Arbeiten, die sich der herkömmlichen Auffassung von Fotografie weitgehend entziehen: Kienesbergers Arbeitsweise war und ist nach wie vor ein ausuferndes, ein wildes, ein gänzlich unakademisches Forschen, ein Ausloten der Grenzen, wie etwa beim Selbstporträt aus dem Jahr 1974, (Umschlagabbildung): Mit der Injektionsnadel unter die Oberfläche des Porträtfotos Farbe einspritzen, die Haut verletzen. Unikate, Montagen, Collagen, Materialsammlungen, Medienbilder, Medienmüll, verschnitten mit zutiefst persönlichen Lebensmomenten. Exakt in quadratische Felder unterteilte Bildwelten, Ausschnitte aus Magazinen, Zeitungen, Fotobüchern und Musterkatalogen von Bildagenturen – teils mit Schrift bzw. Textzeilen versehen. Schwarz-Weiss-Fotos aus Zeitungen: Gefangene und Wächter hinter Gittern, Politiker, Bohrinseln und Winterlandschaften – umrahmt von farbigen Fragmenten aus Comic-Heften. Ab 1972 setzte er sich verstärkt mit den Veränderungen der Landschaft durch Zersiedelung und Zweitwohnsitz-Architektur auseinander. Stichwort: Das neue Bauen mit Baumaxx. Es entstehen Fotografien der unmittelbaren Umgebung, kadriert, aufgeteilt und angeordnet in strengem Raster. Dokumente der Veränderung und Verweise auf Umbrüche. Waschbetonplatten, Stiegenaufgänge, neue Eingangstüren, Einfamilienhäuser, vielfach geklont. Dokumente der Architekturrealität der frühen 70er Jahre aus der Region – als Dokument weit über diese hinausreichend und gültig. Eine nüchterne Chronik und künstlerische Bestandsaufnahme. Nach dem Tod meiner Tante (Aloisia Promberger), 1979: Ein Mehrparteien-Wohnhaus (Meisterhaus) in einem kleinen oberösterreichischen Industrieort, das Stiegenhaus, leergeräumte Küchenkästen, der Küchenherd (Sparherd), der Küchentisch mit Resopaloberfläche. Ein Kleid auf einem Kleiderbügel, aufgehängt an einem Fenster. Leere Räume. Dokumente des Verlassens, des Verlustes, der Endlichkeit. Porträts bei Hans Kienesberger sind beispielsweise 17 quadratische Bilder eines Kleinkindes, zusammenmontiert mit dem Bild einer Frau (Greti Kienesberger), eines jungen bärtigen Mannes mit verschränkten Armen in Untersicht und, in der 3. Bildreihe, 2. Bild von links: der Aufnahme eines alten Mannes mit Brille, Lichtreflexe – Karl Kienesberger, der Vater. In der untersten Reihe der Fotograf selbst, als kaum wahrnehmbarer Reflex im verchromten Lampenschirm. Eine der eindrucksvollsten Serien stellt ohne Zweifel der Block Gefundene Bilder dar: In der örtlichen Müllhalde gefundene, ausgegrabene, sichergestellte Schwarz-Weiss-Negative. Dokumente eines Eroberungsfeldzuges. Soldaten, Fahrzeuge der Wehrmacht, ein Offizier vor angetretener Mannschaft. Kontaktkopien einiger Fotos, in einem Werk verschnitten, vermischt mit eigenen Fotografien: Ein Heiliger aus Blech, ein Weg mit Wasserlachen. Teils beschädigte, korrodierte Negative, Fehlstellen. Bilder, dem Vergessen gerade noch entrissen. Soldaten posieren vor Fahrzeugen, stehen Gewehr bei Fuß in einer dem zeitgenössischen Betrachter unbekannten Stadt. Beklemmende, beunruhigende Bilder – Geister der Vergangenheit mit langer Latenzzeit. Polaroidtableaus: SW-Polaroids, begleitet von den Deckblättern, welche vom Hersteller zur Vernichtung bestimmt waren, Reste, gleichsam verblichene Erinnerungen, latente Bilder – Nachbilder auf der Retina, vergleichbar den nur unter bestimmten Bedingungen sichtbaren Daguerreotypien. Polaroids, teils übermalt und überarbeitet, in großer Zahl an Freunde versandt und verschenkt (mail-art). Nur ganz wenige Exemplare noch im Bestand. Aufnahmen mit der SX-70: Eine Plastikklarinette, ein roter Stern, einige Federn im Zaun, ein grell angeblitzter Kasperlkopf. Überarbeitete, beklebte, zerkratzte, kolorierte, teils zerschnittene Fotos. Die ethnologische Aufnahme eines sitzenden Mannes übermalt, im Hintergrund mit dem Traunstein als Hintergrund ergänzt. Exotik und Vertrautes, Nähe und fernste Ferne. Hans Kienesberger versuchte und versucht immer noch, tief unter die Oberfläche des Dargestellten, des Darstellbaren zu gelangen, er öffnet Hautschicht um Hautschicht, er operiert mit scharfem Skalpell, er legt Muskelfasern frei, schneidet die Fettschicht und das Bindegewebe weg: Schmerzhaft und befreiend gleichermaßen.
Peter Putz Das Ewige Archiv 5
Collagen
Ohne Titel, 1974, Collage auf Karton, 56 x 67 cm Ohne Titel, 1975, Collage auf Karton, 84 x 54 cm 6
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Frühe Fotoarbeiten
Franzi, 1972, Unikatabzug mit Abschwächer und Toner, 18 x 12 cm Ohne Titel, 1972, Unikatabzug mit Toner, 18 x 12 cm 8
Ohne Titel, 1973, Unikatabzug mit Toner, 18 x 24 cm 9
Selbstporträt, 1974, Unikatabzug, verschiedene Tinten eingespritzt, 16 x 9 cm 10
Ohne Titel, 1973, Unikatabzug, verschiedene Tinten, 21 x 14 cm 11
Ohne Titel, 1976, Fotogramm, 18 x 28 cm 12
Ohne Titel, 1973, Unikatabzüge mit Abschwächer, je 16 x 11 cm 13
Landschaften. Architekturen. Veränderungen
Fremdenverkehrsentwicklungsgebiet I, 1975, Fotomontage, 9 Unikatabzüge mit Abschwächer, Tusche, je 9 x 6 cm Preis des Landes Vorarlberg beim Wettbewerb Geist und Form VIII 14
Fremdenverkehrsentwicklungsgebiet II, 1975, Fotomontage, 9 Unikatabzßge mit Abschwächer, Tusche, je 6 x 9 cm Preis des Landes Vorarlberg beim Wettbewerb Geist und Form VIII 15
Ohne Titel, 1976, Collage, Zeitungsausschnitte und UnikatabzĂźge, 25 x 25 cm 16
Vom Landleben, 1976, Collage, Zeitungsausschnitte und UnikatabzĂźge, 25 x 25 cm; Sammlung LENTOS Kunstmuseum Linz 17
Ohne Titel, 1976, Fotomontage, 25 x 25 cm 18
Ohne Titel, 1976, Collage, Zeitungsausschnitte und Unikatabzüge mit Abschwächer, 25 x 25 cm 19
Auf-/Eingang, 1977, Fotomontage, 23 x 15 cm 20
Bau-Land, 1977, Fotomontage, 15 x 24 cm 21
Auf-/Eingang, 1977, Fotomontage, 20 x 21 cm 22
Ohne Titel, 1977, Fotomontage, 23 x 15 cm 23
Zweitwohnsitz I, II, III, IV, 1976/77, Fotomontage, je 26 x 39 cm 24
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Gefundene Bilder
Gefundene Bilder I, Schöne Grüße, Dein . . . , 1978, Kontaktabzüge auf Transparent-Lith-Papier von gefundenen Negativen, 28 x 43 cm 26
Gefundene Bilder II, Schöne Grüße, Dein . . . , 1978, Kontaktabzüge auf Transparent-Lith-Papier von gefundenen Negativen, 27 x 34 cm 27
Gefundene Bilder III, Liebe Grüße, Dein . . . , 1978, Kontaktabzüge auf Transparent-Lith-Papier von gefundenen Negativen, 26 x 31 cm 28
Gefundene Bilder IV, Herzliche Grüße, Dein . . . , 1978, Kontaktabzüge auf Transparent-Lith-Papier von gefundenen Negativen, 26 x 31 cm 29
Gefundene / eigene Bilder, Rekonstruktionsversuch, 1978, KontaktabzĂźge auf Transparent-Lith-Papier, 28 x 35 cm 30
Gefundene / eigene Bilder, Ohne Titel, 1978, Kontaktabzüge mit Abschwächer auf Transparent-Lith-Papier, 21 x 21 cm 31
Private Bilder?
Ohne Titel, 1973, Fotomontage, 53 x 36 cm 32
Selbstporträt, 1979, 8 SW-Polaroids, 8 Polaroid-Negative, 30 x 30 cm 33
Picnic, 1986, Fotomontage, Unikatabzüge mit Abschwächer und Toner, 32 x 27 cm 34
Nach dem Tod meiner Tante (Aloisia Promberger), 1979, Fotomontage, Unikatabzßge mit Abschwächer, 29 x 45 cm 35
Polaroids
Ohne Titel, 1983, 2 Polaroids, je 10,7 x 8,7 cm T-Pol 7, 1983, Polaroid, Lackstift, 10,7 x 8,7 cm L P, 1983, Polaroid, Lackstift, 10,7 x 8,7 cm 36
Ohne Titel, 1989, 4 Polaroids, je 10,7 x 8,7 cm 37
Ohne Titel, 1989, 4 Polaroids, je 10,7 x 8,7 cm 38
Ohne Titel, 1989, 4 Polaroids, je 10,7 x 8,7 cm 39
Ethnografische Anklänge / Umwandlungen
Ohne Titel, 1984, Unikatabzug, Grafit, Farbstifte, gekratzt 22 x 15 cm 40
Ohne Titel, 1975, gefundenes Foto, Lackfarben, 27 x 22 cm 41
Bruststätte, 1984, Unikatabzug, Grafit, Farbstifte, gekratzt, 9 x 13 cm 42
Ohne Titel, 2002, 4 Farbfotos, Grafit, Pastellfarben, gekratzt, je 15 x 10 cm 43
Selbstporträt, 1973, Unikatabzug mit Abschwächer und Toner, Grafit, gekratzt, 26 x 21 cm 44
Hans Kienesberger 1948 * Gmunden, O.Ö. Seit 1966 künstlerische Arbeit in den Bereichen Malerei, Zeichnung, Fotografie, Multiple, Skulptur und kontextbezogene Rauminstallationen. 1978 Gemeinsam mit Walter Pilar und Peter Putz Gründung der Bildmanufaktur Traunsee und Herausgeber der Bild-Text-Sammlung DER TRAUNSEHER (1978 – 1981). Preise und Stpendien (Auswahl) 2000 Krumau-Stipendium des Landes Oberösterreich 1995 Krakau-Stipendium des BMfUK 1984 Österr. Grafikwettbewerb: Preis des Landes Salzburg 1982 Staatsstipendium des BMfUK 1981 Theodor-Körner-Förderpreis 1976 Geist und Form VII: Preis des Landes Vorarlberg
Einzelausstellungen (Auswahl) 2008 Retrospektive im Rahmen der OÖ. Landesausstellung: DER TRAUNSEHER 1978 – 1981 und die Bildmanufaktur- Traunsee. (Mit Walter Pilar und Peter Putz) Buchdokumentation (Bibliothek der Provinz) 2007 Galerie Schloß Puchheim, Attnang 2003 Galerie artefakt, Palais Ferstel, Wien 2001 Galerie Schloß Puchheim, Attnang Galerie Thiele, Linz 2000 Atelier d. Landes O.Ö., Krumau, Tschechien 1997 Atelierhaus Westbahnstraße d. BMfUK 1992 Galerie Lindner, Wien ATW Galerie, Wien 1989 Galerie Lindner, Wien Künstlerhaus Ringgalerie, Salzburg 1986 Galerie MAERZ, Linz 1983 Galerie der Wiener Secession 1982 Galerie Stubenbastei, Wien
Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl) 2006 Kammerhofgalerie Gmunden 2005 Kunstmuseum Mühlhausen , BRD 2004 Kulturwerkstatt Uferstöckl, Wallsee 2003 Galerie Gut Gasteil 2001 Kunst Wien, MAK 2000 Neue Galerie d. Stadt Linz, Photographie – die Sammlung 1999 Galerie 422, Gmunden 1998 Casa Strobele, Borgo, Italien 1997 Museum Jenny-Marx Haus, Salzwedel 1996 BWA Galeria, Bialystok, Polen 1995 Offenes Kulturhaus Linz Projektwerkstatt 1994 Galerie Museum Modern Art Hünfeld, BRD 1992 Kunsthalle Vilnius/Litauen Ausstellungshalle d. Russischen Kulturfonds, Moskau 1991 Buchmesse Frankfurt 1989 Inter-Art-Galerie, Paris 1987 Trakl-Haus, Salzburg 1984 Tiroler Landesmuseum 1982 Neue Galerie der Stadt Linz 1976 Galerie Hildebrand, Klagenfurt
Werke befinden sich u.a. im Besitz von: (Auswahl) Grafische Sammlung Albertina, Wien LENTOS Kunstmuseum, Linz OÖ. Landesgalerie Rupertinum Salzburg Schiele Art Centrum, Krumau/CZ
Veröffentlichungen und Texte: J. Kienesberger, W. Pilar, P. Putz: DER TRAUNSEHER 1978 – 1981, Buch zur Retrospektive, Bibliothek der Provinz, Weitra 2008 Fotografie – Die Sammlung 2008, LENTOS Kunstmuseum, Hrsg. Dr. Brigitte Reutner, Linz 2008 Photographie – Die Sammlung 2000/2001, LENTOS Kunstmuseum, Hrsg. Peter Baum, Linz 2001 Geschichte der Fotografie in Österreich, Bd. 2, Hrsg. Otto Hochreiter und Timm Starl, Bad Ischl 1983 Landstrich Nr. 3, Widerstand. Eine Reise in der Heimat. Fotoessay, 1982 FOTOGESCHICHTE, Heft 4, Hrsg. Timm Starl, Eine Flussregulierung, gem. m. Peter Baumgartner, Frankfurt/Main 1982 Katalog zum Wettbewerb „Geist und Form“ (Preis des Landes Vorarlberg), Wien 1976
Hans Kienesberger Traungasse 3 A-4810 Gmunden Tel.: 0699 105 93 465 hans.kienesberger@gmx.net www.hanskienesberger.com 45
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