Hans Kienesberger
You won't believe it! 1972 –‘78
Ohne Titel (Ausschnitt), 1974, Collage, 27 x 22 cm
Hans Kienesberger
You won't believe it! 1972 –‘78
DAS EWIGE ARCHIV
Anmerkungen zu den Collagen von Hans Kienesberger Hans Kienesberger hat seit 1968 Collagen und Montagen produziert, diese waren auch der Beweggrund für seine intensive Beschäftigung mit dem Medium Fotografie. Ausschlaggebend dafür war sein Wunsch, das Bildmaterial für die Collagen selbst bestimmen und produzieren zu können, um der industriell vorkonfektionierten Bilderflut Eigenes entgegenstellen zu können. Unikate, Montagen, Collagen, Materialsammlungen, Medienbilder, Medienmüll, verschnitten mit zutiefst persönlichen Lebensmomenten. Exakt in quadratische Felder unterteilte Bildwelten, Ausschnitte aus Magazinen, Zeitungen, Fotobüchern und Musterkatalogen von Bildagenturen – teils mit Schrift bzw. Textzeilen versehen. Schwarzweiß-Fotos aus Zeitungen: Gefangene und Wächter hinter Gittern, Politiker, Bohrinseln und Winterlandschaften – umrahmt von farbigen Fragmenten aus Comic-Heften. Kienesbergers Arbeitsweise war und ist ein ausuferndes, ein wildes, ein gänzlich unakademisches Forschen, ein Ausloten der Grenzen. Hans Kienesberger versuchte und versucht immer noch, tief unter die Oberfläche des Dargestellten, des Darstellbaren zu gelangen, er öffnet Hautschicht um Hautschicht, er operiert mit scharfem Skalpell, er legt Muskelfasern frei, schneidet die Fettschicht und das Bindegewebe weg: Schmerzhaft und befreiend gleichermaßen.
Peter Putz Das Ewige Archiv
Ohne Titel, 1975, Collage auf Karton, 84 x 54 cm 5
Blitz.Licht.Krieg Gleich nach den Russen sind wir Journalisten hier auf der Krim einmarschiert und trampeln jetzt in den Gängen dieses Hotels in Simferopol auf und ab, Le Monde, kanadisches Fernsehen, La Repubblica und so weiter, alle in der Hoffnung, endlich einmal aus eigener Augenzeugenschaft den Satz „Hier wird Geschichte geschrieben“ nach Hause durchgeben zu können. Wir spüren: Wir sind nahe dran. Ein Stockwerk unter meinem Zimmer hält sich der Parlamentspräsident der Tataren versteckt und fürchtet um sein Leben. Vor den Militärstützpunkten der ukrainischen Armee, haben drohend und wortkarg vermummte russische Elitesoldaten Position bezogen. Auf den Straßen pöbeln Trupps von sezessionistischen Schlägern. Vor ein paar Stunden hat mir einer von ihnen in Sewastopol die Fahne der russischen Schwarzmeerflotte ins Gesicht geschaufelt, um mich daran zu hindern, die weinende Frau eines in der Marinebasis eingekesselten ukrainischen Offiziers aufzunehmen: Eigentlich nicht der Rede wert, dergleichen passiert einem immer wieder, wenn man als Reporter inmitten aufgebrachter, gestresster oder geschockter Menschen mit einer Kamera hantiert. So wie vor gut 25 Jahren am Sonnstein-Anstieg, als mir ein Bergrettungsmann das zusammengerollte Bergeseil von hinten an den Kopf schnalzte, zur Strafe dafür, dass ich einen verunglückten Wanderer für die Salzkammergut-Zeitung fotografiert habe. Seltsam, hier – mitten in einer russischen Militärintervention im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts – ausgerechnet daran zu denken. Und gleich noch so eine Erinnerung: Der Pressefotografen F., schon ein alter Haudegen, als ich noch jung war. Man munkelte, er sei in der Waffen-SS gewesen, keine Ahnung ob das stimmt. Jedenfalls hatte F. damals, vor einem Vierteljahrhundert, den Polizeifunk, ein paar Nikons und einen Kombi, in dem er zur Not schnell ein Negativ entwickeln konnte: Eine mobile Dunkelkammer, und so sahen die Fotos auch aus. F. hat im Fall des Falles ein überbelichtetes Foto von einer Verbrechervisage schnell mit dem Bleistift korrigiert, Gesichtsfalten und so. Ein Bild, das er sich wahrscheinlich durch seinen Leitsatz ergaunert hatte. Fuaßin’dDiaundBlitzin’dGoschn. Fuß in den Türrahmen und Blitzlicht ins Gesicht. Blitzkrieg, sozusagen. Das war natürlich Scheiße. Es war die Zeit, in der die Namen von Verdächtigen noch ohne Unkenntlichmachung ausgeschrieben wurden, Buchstaben für Buchstaben, egal ob sie sich tatsächlich etwas zuschulden kommen hatten lassen oder nicht. Keine gute Zeit, rückblickend betrachtet. Irgendwann in dieser Zeit stand ich vor auf einer Wiese mit schönem Blick über den Traunsee, wo sich jemand in den Kopf geschossen hatte, und versuchte, Blutspritzer im Gras zu aufzunehmen. Danach fuhr ich zur Familie des Toten und keilte ein Foto. Das war damals ein Befähigungsnachweis für Reporter, von der Zeitung nicht eingefordert, aber durchaus erwartet. Vor allem jedoch in einer seltsamen Lust an der Verkommenheit selbst abverlangt. Das Bild von den Blutspritzern wurde nicht gedruckt, schon deshalb nicht, weil sie sich in Schwarzweiß nicht maßgeblich vom Gras abhoben. Das Passfoto des Toten, der Witwe abgeschmeichelt, erschien. Honorar, so weit ich mich erinnere: 130 Schilling, heute also keine zehn Euro. Einmal und nie wieder. Aber wenn mir hier, 25 Jahre später, all das in den Sinn kommt, erscheint es mir dennoch fast unschuldig im Vergleich zu jenem kalten, industriellen Prozess, der heute – auch in diesem Konflikt, über den ich gerade berichte – den unendlichen Strom von Bildern kanalisiert, die 24 Stunden, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr auf den Schlachtplätzen der Weltgeschichte entstehen, mit einem Klack geschossen, mit einem Klick versendet, unendlich reproduzier- und redigierbar, gefiltert und gesiebt von Agenturen und dann nochmals von Fotoredaktionen. Es ist eine neue Art von Brutalität, die der Ikonografie des Kriegsfilms mit ihren großen Posen nacheifert, bis echtes Sterben und Töten nicht mehr vom perfekt inszeniertem in einem Action-Blockbuster zu unterscheiden ist. Und die in einer seltsam aseptischen Ästhetik des Todes kulminiert, die auch noch den Wolken am Himmel über den Leichen eine angemessene Belichtung abverlangt, wenn es aus dramaturgischen Gründen angebracht scheint. My Little Photoshop of Horrors. Wir haben noch nie so schöne Bilder von Kämpfen gesehen: Afghanistan, Libyen, Syrien, jetzt die Ukraine – Schießereien, aufgenommen aus Perspektiven, als wären die besten Kameramänner der Filmbranche am Werk gewesen; Explosionen, so majestätisch, als hätten Pyrotechniker alle Register ihres Könnens gezogen. Das sind die Fotos, die zur Veröffentlichung gelangen, zur Befriedigung der beständig steigenden Schaulust, an der sie gleichzeitig mitschuldig sind. Dort jedoch, wo die Wahrheit des Grauens die Augenlust abtöten würde – gesplitterte Knochen, zerfetzte Gliedmaßen, aufgerissene Körper – blenden wir ab: Das, was der Satz „Hier wird Geschichte geschrieben“, mit seinen Opfern macht, scheint nämlich kaum jemandem zumutbar zu sein. Martin Staudinger Martin Staudinger, Leiter des Auslandsressorts von profil. Praktikant und freier Mitarbeiter der legendären Salzkammergut-Zeitung. Berichtete in profil u.a. aus Afghanistan, Libyen, Syrien, Tschad und dem Kongo. Beiträge für Die Zeit, Financial Times Deutschland und den Spiegel. 6
Ohne Titel, 1974, Collage auf Karton, 56 x 67 cm 7
Ohne Titel, Collage: Zeitungsausschnitte und UnikatabzĂźge, 25 x 25 cm, 2014, 8
Vom Landleben, 1976, Collage, Zeitungsausschnitte und UnikatabzĂźge, 25 x 25 cm; Sammlung LENTOS Kunstmuseum Linz 9
Ohne Titel, 1976, Fotomontage, 25 x 25 cm 10
Ohne Titel, 1976, Collage, Zeitungsausschnitte und Unikatabzüge mit Abschwächer, 25 x 25 cm 11
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Ohne Titel, 1975, Collage, Acryl, 45 x 30 cm 13
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Eine Reise nach Norwegen, 1976, Collage, Aquarell, Tusche, 31 x 41 cm 15
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Ohne Titel, 1974, Collage, Farbstifte, 52 x 40 cm 17
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Ohne Titel, 1977, Fotocollage, Tusche, 24 x 18 cm 19
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Ohne Titel, 1972, Collage, 16 x 23 cm 21
Black & White, 1972, Collage, 25 x 21 cm 22
Black & White, 1972, Collage, 25 x 21 cm 23
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Melker Micky Maus, 1974, Collage, 29,7 x 21 cm 25
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Ohne Titel, 1973, Collage, 28 x 20 cm 27
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Ohne Titel, 1972, Collage, 27 x 16 cm 29
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Rot - Händle!, 1972, Collage, 57 x 45 cm 31
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Ohne Titel, 1974, Collage, 27 x 22 cm 33
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Ohne Titel, 1972, Collage, 28 x 20 cm 35
Ohne Titel, 1972, Collage, 24 x 17 cm 36
Ohne Titel, 1972, Collage, 23 x 14 cm 37
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Ohne Titel, 2013, Collage, Acryl, Pastell, 23 x 15 cm 39
Hans Kienesberger 1948 * Gmunden, O.Ö. Seit 1966 künstlerische Arbeit in den Bereichen Malerei, Zeichnung, Fotografie, Multiple, Skulptur und kontextbezogene Rauminstallationen. 1978 Gemeinsam mit Walter Pilar und Peter Putz Gründung der Bildmanufaktur Traunsee und Herausgeber der Bild-Text-Sammlung DER TRAUNSEHER (1978 – 1981). Kunstsalon Schersing gemeinsam mit Petra Kodym, von Nov. 2012 – Nov. 2013. www.kunstsalonschersing.net Preise und Stipendien (Auswahl) 2000 Krumau-Stipendium des Landes Oberösterreich 1995 Krakau-Stipendium des BMfUK 1984 Österr. Grafikwettbewerb: Preis des Landes Salzburg 1982 Staatsstipendium des BMfUK 1981 Theodor-Körner-Förderpreis 1976 Geist und Form VII: Preis des Landes Vorarlberg Einzelausstellungen (Auswahl) 2014 Kammerhof Galerie, Gmunden ECK.SCHAU.RAUM, Gmunden 2010 Galerie Spectrum, Linz, Subcutan, Fotoarbeiten 1971 – ‘02 2008 Retrospektive im Rahmen der OÖ. Landesausstellung: DER TRAUNSEHER 1978 – 1981 und die Bildmanufaktur- Traunsee. (mit Walter Pilar und Peter Putz) Buchdokumentation (Bibliothek der Provinz) 2007 Galerie Schloß Puchheim, Attnang 2003 Galerie artefakt, Palais Ferstel, Wien 2001 Galerie Schloß Puchheim, Attnang; Galerie Thiele, Linz 2000 Atelier d. Landes O.Ö., Krumau, Tschechien 1997 Atelierhaus Westbahnstraße d. BMfUK 1992 Galerie Lindner, Wien; ATW Galerie, Wien 1989 Galerie Lindner, Wien; Künstlerhaus, Salzburg 1986 Galerie MAERZ, Linz 1983 Galerie der Wiener Secession 1982 Galerie Stubenbastei, Wien Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl) 2014 Galerie TACHELES, Gmunden, Alfa Steyrermühl 2013 Kunstmesse Linz, Landesmuseum Kunstforum Salzkammergut 2013 Galerie MAERZ, Linz 2012 Fotohof, Salzburg 2006 Kammerhofgalerie Gmunden 2005 Kunstmuseum Mühlhausen , BRD 2004 Kulturwerkstatt Uferstöckl, Wallsee 2003 Galerie Gut Gasteil 2001 Kunst Wien, MAK 2000 Neue Galerie d. Stadt Linz, Photographie – Die Sammlung 1999 Galerie 422, Gmunden 1998 Casa Strobele, Borgo, Italien 1997 Museum Jenny-Marx Haus, Salzwedel 1996 BWA Galeria, Bialystok, Polen 1995 Offenes Kulturhaus Linz Projektwerkstatt 1994 Galerie Museum Modern Art Hünfeld, BRD
1992 Kunsthalle Vilnius/Litauen Ausstellungshalle d. Russischen Kulturfonds, Moskau 1991 Buchmesse Frankfurt 1989 Inter-Art-Galerie, Paris 1987 Trakl-Haus, Salzburg 1984 Tiroler Landesmuseum 1982 Neue Galerie der Stadt Linz 1976 Galerie Hildebrand, Klagenfurt Werke befinden sich im Besitz von: (Auswahl) Grafische Sammlung Albertina, Wien LENTOS Kunstmuseum, Linz; OÖ. Landesgalerie Rupertinum Salzburg; Schiele Art Centrum, Krumau/CZ Veröffentlichungen und Texte: Hans Kienesberger, Dwarfs & Giants · 2012 – ‘14 Hans Kienesberger, You won‘t believe this · 1972 – ‘78 Hans Kienesberger, Malerei · 2010 – ‘13 Hans Kienesberger, Purpur · 2012 Hans Kienesberger, wild & tender, Temperamalerei 1985 – ‘89 Hans Kienesberger, Subcutan, Fotoarbeiten 1971 – 2002 alle: Hrsg. Peter Putz, Das Ewige Archiv, Wien 2009 – 2014 J. Kienesberger, W. Pilar, P. Putz: DER TRAUNSEHER 1978 – 1981, Buch zur Retrospektive, Bibliothek der Provinz, Weitra 2008 Fotografie – Die Sammlung 2008, LENTOS Kunstmuseum, Hrsg. Dr. Brigitte Reutner, Linz 2008 Photographie – Die Sammlung 2000/2001, LENTOS Kunstmuseum, Hrsg. Peter Baum, Linz 2001 Geschichte der Fotografie in Österreich, Bd. 2, Hrsg. Otto Hochreiter und Timm Starl, Bad Ischl 1983 Landstrich Nr. 3, Widerstand. Eine Reise in der Heimat. Fotoessay, 1982 FOTOGESCHICHTE, Heft 4, Hrsg. Timm Starl, Eine Flussregulierung, gem. m. Peter Baumgartner, Frankfurt/Main 1982 Katalog zum Wettbewerb „Geist und Form“ (Preis des Landes Vorarlberg), Wien 1976 Hans Kienesberger Traungasse 3 · A-4810 Gmunden Tel.: 0699 105 93 465 hans.kienesberger@gmx.net www.hanskienesberger.com 41
Herausgeber: DAS EWIGE ARCHIV A-1060 Wien · Mollardgasse 85a / 1 / 41 +43 (0)1 310 01 74 · +43 (0)664 111 98 12 putz@ewigesarchiv.at · www.ewigesarchiv.at Gestaltung: Studio Putz+ Medien · Grafik · Kunst Repros, Porträtfoto H. Kienesberger, digitale Bildbearbeitung: Peter Putz Texte: © Hans Kienesberger, Peter Putz, Martin Staudinger
Druck gefördert vom Amt der Oö. Landesregierung, Direktion Kultur
Abgebildete Werke: © Hans Kienesberger, Bildrecht, 2014 Alle Rechte vorbehalten
Wien, 2014 Cover und Backcover: Details aus den abgebildeten Werken alle: Hans Kienesberger
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