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Klimawandel: Klimaforscher Georg Kaser im Interview
from ERKER 09 2020
by Der Erker
„Die Alpengletscher sind nicht zu retten“
Der Klimawandel ist in aller Munde. Die Welt weiß seit langem, worauf sie zusteuert. Können die schlimmsten Folgen, wie sie von der Forschung seit Jahrzehnten prognostiziert werden, noch abgewendet werden oder ist es bereits zu spät? Der Erker hat sich mit Georg Kaser, einem der einflussreichsten Klimaforscher weltweit, in Schnals zum Gespräch getroffen.
Erker: Herr Kaser, wie ist es um unsere Gletscher bestellt?
Georg Kaser: Diese Frage lässt sich sehr kurz beantworten: Die Gletscher in den Ostalpen haben Interview: Barbara Felizetti Sorg
Zur Person
Georg Kaser, Jahrgang 1953, aus Meran ist Glaziologe an der Uni versität Innsbruck und gilt als einer der einflussreichsten Klimaforscher weltweit. Seit 2010 ist er Profes sor für Klima- und Kryosphärenforschung am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften sowie Dekan der Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaf ten. 2017 wurde er in die Österreichische Akademie der Wissenschaften gewählt. Zurzeit arbeitet er zum dritten Mal als Leitautor und Editor am Intergovernmental Panel on Cli mate Change (IPCC), dem Weltklimarat der Vereinten Nationen, mit; diesem wurde 2007 der Friedens nobelpreis verliehen. 2018 wurde Kaser mit dem Österreichischen Eh renkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse ausgezeichnet. Georg Kaser lebt mit seiner Familie in Karthaus/Schnals. in unserem jetzigen Klima kei nen Platz. Die Klimaerwärmung in den letzten 20 Jahren hat den He bel bereits umgelegt. Auch wenn wir die Erwärmung heute auf Null stellen würden, wäre es für die Gletscher bereits zu spät. In den südlichen Zillertalern und in Ost tirol beispielsweise sind zahlenmäßig bereits 50 Prozent der Gletscher verschwunden. Es handelt sich dabei um kleinere Gletscher, deren Verschwinden in der Öf fentlichkeit keinen Aufschrei verursacht. Eine Ausnahme war der Weißbrunnferner in Ulten, den das Hydrographische Amt nach 46 Jahren Vermessungen im Sep tember 2018 mit einem Symposium – eine Begehung wäre zu gefährlich gewesen – endgültig „begraben“ hat. Der Prozess ist insgesamt nicht mehr aufzuhalten.
Wie lange werden die Glet scher in den Alpen noch bestehen?
Kleinere Gletscher verschwinden bereits jetzt jährlich. Die großen Gletscher werden in den nächsten 30 bis 50 Jahren ebenfalls nicht mehr existieren. Höchstens vom „End-der-Welt-Ferner“ am Ort ler und ähnlichen Lagen werden schuttbedeckt im Schatten noch Reste übrigbleiben, aber nicht mehr als Gletscher in unserer heu tigen Vorstellung.
Wie lange wird es beim Übeltalferner in Ridnaun dauern?
Nicht mehr lange! Vom Übeltal ferner ist eh schon nicht mehr viel da.
An welchem Gletscher führen
Sie Messungen durch?
Unser Hauptgletscher, den wir von der Universität Innsbruck aus be obachten, ist der Hintereisferner, der sich von der Weißkugel Rich tung Vent im Ötztal zieht. Obwohl wir heuer einen schneereichen Winter hatten, haben wir dort den Null-Wert an Massenbilanz Ende Juli erreicht. Seit diesem Tag geht die Bilanz ins Negative – und das stündlich! Man kann förmlich zu schauen, wie der Schnee zurückgeht und das Eis einsinkt.
Welche Auswirkungen wird das Verschwinden der Glet scher haben?
In den letzten 25 Jahren haben die Gletscher viel Wasser abgegeben. Würde es heute den Gletschern gutgehen oder würden sie sogar weiter vorstoßen, würde dieses Wasser genauso fehlen. Das Feh len der Gletscher wird sich also kaum bemerkbar machen – in un seren Breiten zumindest. Die Auswirkungen auf den Wasserhaushalt sind nicht dramatisch, solange es eine Winterschneedecke gibt. Wenn diese einmal fehlen wird, wird es allerdings problema tisch. In einigen Gebieten wird es auf grund der Gletscherschmelze zu Geschiebeproblemen kommen, weil lockeres Gestein zutage tre ten wird; das betrifft vor allem die Schweiz, wo die Hänge steiler sind und näher an die Gletscher hinge baut wurde. In Schwierigkeiten geraten werden bei uns am ehes ten technische und touristische Infrastrukturen in heutiger Glet schernähe, u. a. Kraftwerke, Seilbahnen und Schutzhütten. Die Landschaft wird sich sehr wohl verändern: Es wird in den Bergen grüner und es werden relativ viele Seen entstehen.
Das klingt jetzt eher danach, als ob das Verschwinden der
Gletscher eher eine Frage der
Nostalgie wäre ...
Ja, zum Teil sicher. In den Alpen zumindest.
In anderen Gebieten der Erde werden die Auswirkungen durchaus deutlicher zu spü ren sein.
Georg Kaser: „Wenn wir die Klimaziele nicht erreichen, fahren wir an die Wand.“
Auf jeden Fall! Es gibt Gegenden, in denen Gletscherwasser über Monate das einzige Wasser ist, das zur Verfügung steht. Und gerade diese Gebiete müssen sich auf große Veränderungen einstel len, u. a. in Zentralasien, wo vor allem die beiden Hauptzubringer zum Aralsee im Sommer über wiegend Gletscherwasser führen. Auch Peru wird mit Schwierigkei ten zu kämpfen haben. Die Menschen in diesen Gebieten werden sich umorganisieren bzw. um strukturieren müssen, um weiterhin Landwirtschaft betreiben und damit überleben zu können.
Klimaforscher weisen seit
Jahrzehnten auf den drohen den Klimawandel hin. Warum werden sie nicht gehört?
Fehlt ihnen die Lobby oder überwiegen andere Interes sen?
Salopp gesagt ist es wie beim Rau chen: Ich kann noch so oft hören, dass ich davon Lungenkrebs be komme – bevor ich nicht daran erkranke, höre ich nicht mit dem Rauchen auf. Doch zu diesem Zeitpunkt ist es bereits zu spät. So ist der Mensch. Und genauso ist es beim Klima wandel. Rein rechnerisch kennt man die Zahlen in Zusammen hang mit CO 2 seit 1900. Bereits damals – wenn auch nicht aus Klimaschutzgründen – wurde be rechnet, welche Erwärmung eine Verdoppelung des CO 2 -Ausstoßes bewirkt, und die Zahlen stimmen heute noch. Die CO 2 -Konzentration lag in der vorindustriellen Atmosphäre bei 270 Teilen pro Million Luftteilchen, derzeit sind es etwa 410; wir ha ben die Verdoppelung also noch nicht erreicht. Wir sind allerdings nicht mehr so weit davon ent fernt, auch die Geschwindigkeit, in der wir uns darauf zu bewe gen, war niemals zuvor so hoch. In den 1930er Jahren wurde die Koppelung zwischen Atmosphä re und Ozeanen verstanden. 1958 wurde schließlich auf dem Mauna Loa auf Hawaii, dem größten Vul kan der Erde, fernab der größten Emittenten die erste Messstation errichtet, wo seitdem kontinuier lich die CO 2 -Konzentration in der Atmosphäre gemessen wird. Die sogenannte Keeling-Kurve zeigt deutlich, dass die sommerliche Photosynthese der Vegetation der Nordhemisphäre die CO 2 -Konzentration in der Atmosphäre jeweils reduziert. Die resultierende Säge -
zahnkurve steigt aber stark und beschleunigt. Emissionsreduktio nen, wie etwa während der Ölkrisen 1973 und 1979/80 oder beim Zusammenbruch der Sowjetuni on 1991, schwächten den Anstieg der Keeling-Kurve kurzzeitig ab.
Wird sich der coronabedingte
Lock-down ebenfalls bemerk bar machen?
Kurzzeitig ja, aber nicht nachhal tig, nicht einmal wenn der Lockdown bis 2050 anhalten würde, würde das reichen, um die Pa ris-Ziele zu erreichen. Für den 7. April, also mitten im intensivsten Lock-down vieler Industrieländer, wurden im Vergleich zu den Vor jahren um 17 Prozent weniger Emissionen beobachtet. Bei einem fossilen Lock-in im Juli läge das Jahr 2020 rund vier Prozent unter den Vorjahren, bei einem Lock-in im Jänner sieben Prozent.
„Auch wenn wir die Erwär mung heute auf Null stellen würden, wäre es für die Gletscher bereits zu spät.“
„Klima geht uns alle an!“
Die Bildungsausschüsse von Ridnaun und Freienfeld laden am 30. September ein zum Info- und Diskussionsabend zum The ma „Klima geht uns alle an!“.
Dazu referiert in einem kurzen Impulsvortrag der weltweit anerkannte Glaziologe und Klima forscher Georg Kaser; er gibt einen Überblick über die heutige Situation des Klimawandels und zeigt, was zum Erreichen der Pariser Klima ziele zu tun ist. In einem weiteren Impulsreferat verweist Um weltaktivistin Magdalena Gschnitzer auf zahlreiche Möglichkeiten, wie jeder einzelne zur Verbesserung des Klimas beitragen kann. Im Anschluss daran findet eine von Matthias Oberhuber moderierte Podiumsdiskussion statt.
Der Diskussionsabend findet mit Beginn um 20.00 Uhr im Vereinshaus Ridnaun statt. Es gelten die aktuellen Co vid-19-Maßnahmen.
Sie haben dreimal als Mit-Au tor federführend am Weltklimabericht der UNO mitgeschrieben.
1990 wurde der erste Weltkli mabericht des sogenannten IPCC (Intergovernmental Panel on Cli mate Change, zu deutsch Weltklimarat) unter Schirmherrschaft der UN veröffentlicht, der drama tisch die Folgen des ungebremsten CO 2 -Ausstoßes aufgezeigt hat – wie wir sie heute eben erleben. Ich selbst habe am vierten und fünften IPCC Bericht mitgearbei tet und bin jetzt auch beim sechsten Bericht dabei. Diese Berichte werden im Abstand von sechs bis sieben Jahren im Auftrag der 196 nationalstaatlichen Regierungen der UN-Mitgliedsstaaten auf Basis der vorhandenen wissenschaftli chen Erkenntnisse erstellt und herausgegeben.
Wurde bzw. wird die Arbeit des IPCC zu wenig ernst ge nommen?
Als vor mittlerweile 30 Jahren der erste Bericht erschien, kam es ein Jahr später zum Ausbruch des Pi natubo auf den Philippinen, einer der gewaltigsten Ausbrüche des 20. Jahrhunderts. Der Aus bruch bewirkte die Freisetzung einer größeren Menge von Aerosolen in der Stratosphäre, was einen Temperaturabfall um 0,5° C und eine Ozonreduktion bewirkte. Es passierte dadurch kurzfristig ge nau das Gegenteil von dem, was im Bericht prognostiziert worden war. Das wurde weidlich ausge nutzt, um die Arbeit des IPCC in Frage zu stellen. Der zweite und der dritte Bericht waren dann sehr vorsichtig formu liert, während im vierten Bericht 2007 die Fakten wieder klar auf den Tisch gelegt wurden. 2013 befanden wir uns mittendrin im steilen Anstieg des Klimawandels, doch passiert ist politisch nichts. Den Rahmen für die politischen Umsetzungen bilden das UNFCCC und seine jährlichen Klimakonfe renzen. Das Kyoto-Protokoll legte 2005 erstmals verbindliche Zielwerte für den Treibhausgas-Ausstoß in den Industrieländern fest. 2015 wurde als Ersatz dafür das Übereinkommen von Paris formu liert, das erstmals das 1,5-GradZiel enthielt. Darin steht, dass bis zum Jahr 2100 die globale Erwär mung auf 1,5° C gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industria lisierung angestrebt wird, in keinem Fall aber darf sie über 2° C gehen. Der Vertrag enthielt auch die Zusatzklausel, dass die Wis senschaftler des Weltklimarates bis Oktober 2018 einen Bericht herausgeben sollten; dieser soll te mehrere Punkte berücksichtigen: Bei welcher Temperaturerhöhung stehen wir bereits? Welche Auswirkungen hat das 1,5-GradZiel? Welchen Unterschied ma chen +1,5 und +2° C aus? Gibt es Wege, das Ziel zu erreichen? Was bedeutet das für die Weltge meinschaft? Die Ergebnisse dieses 1,5-Grad-Berichtes haben Auf merksamkeit erlangt, vor allem auch in Europa, wo die extreme Dürresituation im Sommer 2018 gezeigt hat, worauf wir hinsteu ern. Es hat im reichen Europa keine materiellen Bedrohungen gegeben, aber die Menschen haben Betroffenheit gezeigt. Plötzlich war der Klimawandel öffentlich präsent. Dazu kamen Greta Thun berg und die „Fridays for Future“-Bewegung. Das hat dann die Politik unter Druck gesetzt.
„Rein rechnerisch kennt man die Zahlen in Zusammenhang mit CO 2 seit 1900.“
Zu welchen Ergebnissen kam dieser Sonderbericht von 2018?
Der Bericht zeigte, dass wir uns bei einer globalen Erwärmung von 1,0° C befinden. Die Schä -
Der Hangende Ferner, Übeltalferner und Grüblferner in Ridnaun im Jahr 1930 (Fotograf Richard Jöchler, Archiv Gianluigi Franchi) ...
den sind vorhersehbar: Die Gletschermasse (ohne Antarktis und Grönland) wird beim heutigen Kli ma weltweit um 40 Prozent abnehmen und mit rund 12 cm zum Meeresspiegelanstieg beitragen. Dazu kommen bereits starke Mas senverluste vor allem des grönländischen, aber zunehmend auch des antarktischen Eisschildes. Das Schmelzen geht langsamer als der Klimawandel, aber früher oder später müssen Bewohner flacher Inseln und tropischer Flussdel tas umgesiedelt werden. In einer +1,5°-C-Welt werden die Glet scher rund 50 Prozent der Masse verlieren, der Meeresspiegel wird stärker steigen, extreme Wetterereignisse werden an Anzahl und Stärke zunehmen, die Warmwas serkorallen fast zur Gänze ver
... und im Jahr 2018 (Fotograf Christoph Oberschmied, Archiv Agentur für Bevölkerungsschutz)
schwinden und vieles mehr. Hunderte Millionen Menschen werden ihre Lebensgrundlage verlieren. Bei einer Zunahme um 2° C wer den die Bedingungen extremer werden und weitere 250 Millio nen Menschen werden ihre Lebensgrundlage verlieren.
Die Weltklimaberichte legen die zu erreichenden Emissi onsreduktionen fest. Schrei
ben sie den Mitgliedsstaaten auch vor, auf welche Weise diese zu erreichen sind?
Der Weltklimarat darf und kann, wie eine Gutachtergruppe, den Regierungen keine Vorschriften machen. Er erarbeitet nur Szena rien als Entscheidungsgrundlage. Im +1,5°-C-Bericht werden meh rere Wege zum Erreichen der Paris-Ziele aufgezeigt. Ob und wel
che die einzelnen Mitgliedsstaaten diese begehen, ist ihnen selbst überlassen. Alle Pfade würden üb rigens für das globale Gemeinwohl von Vorteil sein.
Wie realistisch ist es, dass die vorgegebenen Ziele erreicht werden?
Es ist machbar. Die Chancen, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, stehen 50:50, wenn der globale CO 2 -Ausstoß bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2010 reduziert wird – gegenüber 2019 sind es 53 Prozent. Wir haben noch gut neun Jahre Zeit, das Ziel zu erreichen. Darü ber hinaus muss bis 2050 der Netto-Kohlendioxid-Ausstoß auf Null reduziert werden, d. h. der Aus stoß von CO 2 , Methangas und menschlich produziertem Lachgas darf nicht größer sein als das, was gebunden werden kann. Im Grunde ist es ganz einfach: Es muss möglich sein, die Klimaziele zu erreichen – wenn nicht, fahren wir an die Wand! Wir sind mittler weile aber schon so weit, dass Planungen schwierig und umständliche Überlegungen zu spät kommen werden. Wir können fast nur mehr „im Affekt“ handeln.
Warum reagieren Politik und
Wirtschaft nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße? Gibt es Konsequenzen, wenn die
Ziele nicht erreicht werden?
Nein, es gibt keine international rechtlichen Folgen. Wird nichts unternommen, werden jedoch in absehbarer Zeit Ökosysteme, die Wirtschaft und mit ihnen die Ge sellschaft kollabieren. Die soziale Kluft wird immer größer und wird mehr und mehr zu sozialen Unru hen führen. Wo sollen die Menschen hin, die ihre Lebensgrundlage verlieren? Auf die Weltgemeinschaft kommen immense Probleme zu. Die Gesellschaft muss radikal umgebaut werden – die Frage ist, ob und wie sie das schafft. Insgesamt gibt es heute jedoch bereits viele Schritte in die richti
-Konzentration (ppm) 2 CO
ge Richtung. Nur ein Beispiel von vielen: Frankreich saniert die Air france, aber nur unter der Bedingung, dass es keine Kurzstreckenflüge mehr gibt, dass Maschinen ausgetauscht werden, dass über all dort, wo es Zugverbindungen gibt, keine Flüge angeboten wer den ... Das ist ja auch wirtschaftlich interessant. Andere Industrieländer machen das leider nicht.
„Es muss möglich sein, die Klimaziele zu erreichen – wenn nicht, fahren wir an die Wand!“
Wer ist konkret gefordert?
Ausnahmslos alle! Wenn wir auf Null kommen wollen, muss jeder einzelne weltweit seinen Beitrag leisten. Niemand kann sagen „Da kann ich als einzelner eh nichts tun“. Jeder erwachsene Mensch hat ein Wahlrecht und trifft Ent scheidungen für sein Leben und das seiner Kinder, ganz davon ab gesehen, welchen Beitrag er tagtäglich durch seinen Lebensstil leisten kann.
Wie ist das Verhältnis zwi schen Klimaforschung und
Tourismus?
Unterschiedlich. Man muss be
Die Keeling-Kurve
stellt den mittleren globalen Konzentrations verlauf von Kohlenstoffdioxid (CO 2 ) in der Erdatmosphäre seit dem Jahr 1958 dar.
Jahr
denken, dass wir es in Tourismus und Wirtschaft vielfach immer noch mit der Gründergenerati on zu tun haben, die Wohlstand und Reichtum ins Land gebracht haben. Sie tut sich verständli cherweise nicht leicht zuzugeben, dass sie weit über das Ziel hinaus geschossen hat. Über Jahrzehnte galt ausschließlich die Devise, den Umsatz zu steigern. Mittlerweile werden viele Touristiker aufmerksam, weil ihre Gäste nachfragen. Wirklich begriffen haben es die meisten noch nicht. Wenn, dann werden lediglich wirt schaftliche Einbußen befürchtet. Bisher ließen sich alle Probleme technisch lösen, etwa durch Be schneiungsanlagen. Die Touristiker müssen hierzulande jedoch begrei fen, dass sie eines der Hauptprobleme sind. In Südtirol etwa kommen 44 Prozent der Emissionen aus dem Verkehr, der Rest entfällt etwa zu gleichen Teilen auf die Landwirt schaft und Infrastrukturen, vor allem Bauten aus den letzten Jahrzehnten, die Energieschleudern sind. Meiner Meinung nach muss vor allem der Wochenendtouris mus aufhören, der nichts anderes als Konsum für Großstädter ist, die auch am Wochenende nicht zur Ruhe kommen. Ein Südtirolurlaub muss jedoch für den Urlaubenden in einem Zugabteil im Heimatort beginnen – er darf gar nicht erst auf die Idee kommen, mit dem Auto anzureisen. Vor Ort braucht es neue mobile Lösungen, u. a. selbstfahrende Elektrobusse. Insgesamt braucht es neue Mobili tätslösungen, die Mobilität muss in ganz neue öffentliche Bahnen ge lenkt werden. Es ist vieles bereits jetzt gut, aber wenn ich bedenke, dass es in Südtirol über 6.000 km befahrbare Straßen gibt und nicht einmal 300 km Schienen, dann zeigt das das fossile Systemden ken. In Summe nehmen in Südtirol die Straßen die gleiche Fläche ein wie der Weinbau.
Sie sind ein international renommierter Wissenschaftler.
Haben Sie das Gefühl, dass
Ihre Stimme gehört wird?
Gehört wird die Stimme der Wis senschaft schon, die Reaktionen darauf sind sehr unterschiedlich.
Glauben Sie, dass die Ziele er reicht werden?
Ich weiß, was erreicht werden muss, und das sage ich laut und deutlich. Mehr aber auch nicht. Ich sehe mich nicht als Messias. E
Auf Exkursion im Wipptal
Im Rahmen des Seminars „Bauen im Bestand“, das von Wittfrieda Mitterer, Direktorin des Südtiroler Kuratoriums für Technische Kul turgüter, geleitet wird, befassen sich Studenten der Fakultät für Architektur der Universität Innsbruck mit der Kleinarchitektur entlang der Brennerbahnlinie. Anfang Juli besuchten rund 40 Studierende aus fünf Nationen das Wipptal. Verfall bedroht. Ein kleiner Teil wird Rundbogenportalbrücke, die südlich
Wie heißen die Pflanzen im Dialekt Ihres Heimatortes?
Das Naturmuseum Südtirol sucht mundartliche Pflanzennamen und bittet um Ihre Mithilfe. Wenn Sie für die abgebildeten Pflan zen eine eigene Bezeichnung in Ihrem Dialekt haben, teilen Sie diese bitte per E-Mail (pflanzennamen@naturmuseum.it) mit. Weitere Pflanzennamen finden Sie auch auf www.natura.muse
Bei einem ersten Treffen im Rathaus von Gossensaß hielt Mitterer eine Einführungsvorlesung über techni sche Kulturgüter in Südtirol, zu denen auch die Bahnwärterhäuschen zählen. Die rund 30 meist aus Gra nitquadern erbauten Häuschen entstanden wie die Eisenbahnlinie zwischen 1864 und 1867. Einige sind bereits abgebrochen, andere vom benutzt und bewohnt. Die Stre ckenwärterhäuschen wurden nach den Typenplänen des Bahnarchitek ten Wilhelm von Flattich errichtet, die Abstände waren der zu bewäl tigenden Gehentfernung der Bahnwärter angepasst.
Innovative Projekte
Heute verläuft der Radweg stre ckenweise entlang der Bahnlinie. Dies legt eine Neunutzung und neue Zweckbestimmung einiger dieser Technik-Kleinodien nahe. Beispielhaft für die gesamte Mei le und als Symbol der Erneuerung und Wertschätzung der Bahnarchi tektur sollte je ein Bahnwärterhaus bei Brennerbad, in Freienfeld und in der Sachsenklemme wieder in standgesetzt werden. Möglich wäre ein sogenannter „Albergo diffuso“ mit verschiedenen Funktionen im Kontext eines Rad- und Technikparcours oder die Vermietung für einen Kurzurlaub, eine Radwerkstatt, Serviceleistungen samt Gastrono mie oder Wasserstationen mit Trinkbrunnen. Auch das Umfeld der zu renovierenden Häuschen müsste in die Projekte miteinbezogen werden. Von der attraktiven Bepflanzung bis hin zur Anlage von Kleinbiotopen reichen die Vorstellungen.
Sehenswürdigkeiten im Wipptal
Bei der Exkursion wurde auch das Wasserkraftwerk in der Sach senklemme begutachtet, das bereits unter der Leitung von Mitterer sa niert und vor dem Verfall bewahrt worden ist, sowie die einzigartige um/de/pflanzennamen.
des Schlosses Welfenstein bei Mauls über den Eisack führt. Sie wieder herzustellen, ist ein dringendes Anliegen Mitterers. „Die Gemeinde Freienfeld wird das Projekt wohlwol lend unterstützen“, so der für Umwelt und Kultur zuständige Gemeindereferent Heinrich Aukenthaler, der die Studentengruppe bei den Bege hungen in Freienfeld begleitete. Dabei wurde u. a. auch die nur in Teilen fertiggestellte Militärstraße zwischen den Genauenhöfen und dem Eggertal besichtigt. Eine mögliche Instandsetzung als Radweg wurde dabei ins Auge gefasst. Besenheide (Calluna vulgaris)
Herbstzeitlose (Cholchicum autumnale)
Flüchtlinge verlassen Haus „Lea“
„Ein positives Zusammenleben ist möglich“ 3 Fragen an Alessia Fellin, Bereichsleiterin für die Flüchtlingseinrichtungen der Caritas
Sang- und klanglos wurde Ende Juni das Asylheim Haus „Lea“ in Wiesen geschlossen. Dabei verlief die Errichtung dieser Unterkunft in der ehemaligen Gnutti-Kaserne vor fünf Jahren nicht ohne Kontroversen. Von der Landes regierung mit dieser Maßnahme „zwangsbeglückt“, waren öffentliche Meinungen und vor allem jene, die hinter vorgehaltener Hand geäußert wurden, nicht immer frei von Vorurteilen und Rassismus. Die Aufregung hat sich inzwi schen gelegt, die meisten Flüchtlinge haben eine Arbeit und eine dauerhafte Bleibe gefunden. Die ersten Asylsuchenden – es handelte sich dabei um 24 Männer vor allem aus westafrikanischen Ländern – waren im August 2015 in das Haus „Lea“ einge zogen. Dort sollten sie auf den Asylbescheid warten. Wie Alessia Fellin, zuständige Bereichsleiterin der Caritas für die Flüchtlingseinrichtungen, dem Erker gegenüber erklärt, waren im Haus „Lea“ maximal 44 Flüchtlinge untergebracht. Seit 2019 wohnten dort noch 30 Personen. Nachdem die Zahl der Asylantrag steller – in Italien wie auch in Südtirol – seit 2017 stark zurückgegangen ist, hat die Caritas, wie auch alle anderen Organisationen, die Aufnahmezentren führen, bereits im Jahr 2019 mit der Planung der Reduktion von Betten begonnen. In der Folge wurden drei Häuser (Haus „Miriam“ in Brixen, Haus „Anna“ in Kastelruth, Josefsheim in Bruneck) geschlossen. Im Februar 2020 folgte die Schließung des Hauses „Rahel“ am Ritten und Ende Juli wurde auch das Projekt Haus „Lea“ be endet. Rückblickend ein erfolgreiches Projekt, so die Caritas-Mitarbeiterin. at
Ausländerzahlen steigen
Am 31. Dezember 2019 sind offiziell 51.509 ausländische Staatsbürger aus 138 verschiedenen Ländern in Südtirol ansässig; das entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 9,7 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr ist dieser Anteil um 2,3 Prozent gestiegen. Vergleichs weise waren es Ende 1994 rund 7.250 Menschen, womit sich die ausländische Wohnbevölkerung im letzten Vierteljahrhundert in etwa versiebenfacht hat, wie eine Erhebung des Landesinstitutes für Statistik (ASTAT) zeigt. Mehr als 30 Prozent gehören einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union an; weitere 30 Prozent entfallen auf die europäischen Staaten, die nicht zur EU zählen, während 20 Prozent der Ausländer aus Asien und 14 Prozent aus Afrika stammen. 1.926 Ausländer sind zum selben Stichtag im Wipptal ansässig, davon 1.002 Frauen und 924 Männer. Von diesen entfallen 387 Personen auf die Gemeinde Brenner, was einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 17,2 Prozent entspricht. 145 sind es in Freienfeld (5,4 %), 275 in Franzensfeste (27,1 %), 169 in Ratschings (3,7 %), 231 in Pfitsch (7,5 %) und 719 in Sterzing (10,2 %). In der Gemeinde Franzensfeste ist der Ausländeranteil südtirolweit am höchsten.
Erker: Frau Fellin, welche Aufgaben haben die Mitar beiter der Caritas bei der Betreuung der Flüchtlinge übernommen?
Alessia Fellin: Die Mitarbeiter der Flüchtlingshäuser sind zu ständig für die Aufnahme und allgemeine Begleitung der Bewohner. Die Asylbewerber werden in den verschiedenen Lebensbereichen begleitet und finden in den Mitar beitern wichtige Ansprechpersonen für verschiedene Anliegen: bürokra tische Angelegenheiten, Rechtsberatung vor allem beim Asylverfahren, Kontakte mit dem Gesundheitsbetrieb und anderen Diensten auf dem Territorium, Entwicklung individueller Projekte mit Sprach kursen, Weiterbildungskursen, Freiwilligenarbeit, Arbeitssuche und Wohnungssuche.
Wie gut sind die Flüchtlinge in die Südtiroler Gesell schaft integriert?
Die meisten Flüchtlinge haben eine Arbeit gefunden, viele haben Weiterbildungskurse oder Praktika absolviert. An dere haben als Freiwillige in den Gemeinden geholfen. Bewohner mit einer regelmäßigen Arbeit haben das Flüchtlingshaus verlassen und eine autonome Wohnungslösung auf dem Territorium gefunden. Sie haben italienisch ge lernt und manche auch deutsch. Viele haben sich sehr gut integriert und schaffen sich hier ein neues Zuhause.
Was sind rückblickend Ihre Erfahrungen?
Unsere Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass ein positi ves Zusammenleben möglich ist. 2015 war es etwas völlig Neues, Flüchtlingshäuser außerhalb der Städte Bozen und Meran zu eröffnen; in den Dörfern gab es Ängste und Sorgen seitens der Bevölkerung, aber die Zeit hat uns allen gezeigt, dass dieses Projekt möglich war. Die abschließende Bewertung sagt, dass die Offenheit, der
Dialog, die Bereitschaft, sich kennenzulernen und zu sammenzuarbeiten, die richtigen Instrumente und der richtige Weg sind.
Ein großer Dank geht nicht nur an alle Mitarbeiter, die jeden Tag diese Tätigkeit ausüben, sondern auch an die vielen Freiwilligen, die uns in Wiesen, aber auch in den anderen Flüchtlingshäusern helfen.
Sterzing Bezirksaltenheim wird umgesiedelt Lebensmittelgutscheine
Da das in die Jahre gekommene Bezirksaltenheim in Sterzing nicht mehr heutigen Sicherheits standards und Vorgaben entspricht, wurde bereits vor einiger Zeit ein Neubau ins Auge gefasst. Im Februar 2019 haben die Wipptaler Bürgermeis ter grünes Licht für das Großprojekt gegeben. Der neue Trakt soll in ei ner relativ neuartigen Modulbauweise errichtet werden, die eine kurze Bauzeit ermöglicht. Derzeit fehlt noch das Placet des Technischen Landeskomitees und der Techni schen Unterkommission. „Sobald das Land seine Zustimmung erteilt (voraussichtlich Anfang 2021), kann das Projekt ausgeschrieben werden“, so Bezirkspräsident Karl Polig. Die Kosten für den Neubau belaufen sich auf 15,4 Millionen, die vom Land und von den Ge meinden getragen werden. Auch die Sozialgenossenschaft zum hl. Vinzenz, die seit 2002 das Altenheim Schloss Moos in Wiesen führt, bemüht sich seit mehreren Jahren, hinter den 500 Jahre alten Mauern ein zeitge mäßes familiäres Seniorenwohnheim zu schaffen. Das Projekt für die Rundum-Sanierung und qua litative Erweiterung liegt bereits vor, Baubeginn ist im Frühjahr 2021. Richtung Flainer Straße ist ein Zubau mit drei Wohnberei chen mit Einzelzimmern, Aufenthaltsräumen und Terrassen vorgesehen. Der Altbau wird unter Berücksichtigung des Denkmal schutzes saniert und den heutigen Standards angepasst, alle Zimmer werden mit Bädern aus Ende September steht die Um siedlung des Altenheimes in das Hotel „Pulvererhof“ auf dem Pro gramm, wo derzeit Adaptierungsarbeiten durchgeführt werden.
Verläuft alles nach Plan, kann im Herbst 2021 mit den Bauarbeiten begonnen werden, die Eröffnung soll im Herbst 2022 erfolgen. „Mit dem Neubau können wir die Bettenkapazität von derzeit 77 auf 90 Betten erhöhen“, so Polig. Aufgrund der Modulbauweise sei in Zukunft auch eine Aufstockung des Gebäudes problemlos mög
Altenheim Schloss Moos: Umbau im Frühjahr
lich. bar gestattet. Die Hauskapelle im dritten Stock und der Speisesaal im ersten Stock bleiben erhalten. Im neuen Eingangsbereich des Hau ses entstehen der Verwaltungsbereich, großzügige Lichthöfe, eine Bar-Cafeteria sowie Aufenthalts räume. Im Verbindungsbereich zwischen Alt- und Neubau sind eine moderne Küche und eine neue Wäscherei geplant. Pflege bäder, Stützpunkte, Physiotherapieraum, Ambulatorium und Aufenthaltsräume für die Mitarbeiter werden über die einzelnen Stock werke verteilt. Ob bzw. in welche Struktur die Heimbewohner und Mitarbeiter während der Baupha se umsiedeln, steht noch nicht fest. Um die finanzielle Not der Menschen, die durch die Corona-Pandemie und den Lockdown verursacht wurde, zumindest etwas zu lindern, hat der Staat die soge nannten Covid-Gelder an die Gemeinden ausgeschüttet, die in erster Linie für den Ankauf von Lebensmitteln gedacht wa ren. Der Rat der Gemeinden hat im Sinne einer einheitli chen Handhabung Kriterien für die Umsetzung von Unterstützungsmaßnahmen genehmigt, die für ganz Südtirol einheitlich geregelt werden sollten. Ansuchen durften in der Gemeinde an sässige Personen, die sich aufgrund der Corona-Pan demie in einer ernsten finanziellen Situation befanden. In der Gemeinde Freienfeld haben vier Personen um Lebensmittelgutscheine angesucht, 300 Euro an Spendengeldern wurden für die Rückzahlung an die Geschäfte ge nutzt. In der Gemeinde Franzensfeste haben mehrere Bürger für die Einkaufsgutscheine angesucht. Nach Überprüfung der Vorausset zungen wurden diese zwei Bürgern gewährt. Insgesamt wurden dabei 900 Euro ausbezahlt. In der Gemeinde Ratschings wurden vom zur Verfügung stehenden Staats beitrag von rund 23.500 Euro seitens der Gemeinde 8.700 Euro an die Ansuchenden ausbezahlt. In der Gemeinde Pfitsch wurden (Stand Ende Juli) rund 40 Anträ ge um Lebensmittelgutscheine genehmigt und Gutscheine im Wert
von insgesamt 10.200 Euro aus gegeben. In der Gemeinde Sterzing wurden insgesamt 109 Ansuchen angenommen; der gesamte zur Verfügung gestellte Betrag in Höhe von 37.000 Euro wurde ausgeschüttet. In der Gemeinde Brenner wurden insgesamt 75 An suchen gestellt, davon waren 32 Personen anspruchsberechtigt und konnten die Gutscheine in Emp fang nehmen; 5.177 Euro wurden bis dato (Stand 20. August) ausge geben. at
„Der Weg führt durch die Angst hindurch“
Interview: Renate Breitenberger
Angst kann uns erdrücken, lähmen und krank machen. Angst kann uns aber auch weiterhelfen, endlich unser eigenes Leben zu führen. Dr. Martin Fronthaler, Psychologe, Psychotherapeut und Leiter des Therapiezentrums Bad Bachgart, über die Angst und das, was sie uns zu sagen versucht.
Erker: Herr Dr. Fronthaler, wie entstehen Ängste?
Dr. Martin Fronthaler: Meist ist es eine Kombination von ver schiedenen Faktoren. Dazu gehört eine bestimmte Veranlagung zur „Verletzlichkeit“, was bedeutet, dass manche Men schen häufiger und schneller als andere mit Angstgefühlen auf bestimmte Auslösesituationen reagieren. Oft haben Betroffene in ihrer Lebensgeschichte bereits sehr früh intensive angst machende Erfahrungen aushalten müssen und haben Phasen durch lebt, in denen sie kaum oder keine Kontrolle über die widrigen Gege benheiten und Verhältnisse hatten. Häufig braucht es dann nur noch ein aktuelles, auslösendes negatives Ereignis und Menschen reagieren mit Rückzug, Flucht und anschließendem Vermeidungsver halten.
Hat der moderne Mensch von heute andere Ängste als frü her?
Die Symptome sind wohl im mer dieselben: Schweißattacken, Zittern, Muskelverspannungen, Druck auf der Brust, Kopfschmerzen, Krämpfe in Bauch und Magen, Herzrasen, Atem 46
© Martin Fronthaler Dr. Martin Fronthaler: „Wenn die Angst den Alltag bestimmt, ist es Zeit, sich Hilfe zu holen.“
not, verzweifeltes Suchen nach einem Aus- bzw. Fluchtweg und das ausgeprägte Vermeiden von angstauslösenden Situationen, etwa große oder enge Räume, Menschenansammlungen, Ein samkeit oder Dunkelheit. Der dahinterliegende Inhalt der Ängste scheint großteils derselbe zu bleiben. Sehr häufig geht es um Situationen, die symbolisch für den Kontrollverlust stehen: Ver lustängste, die Angst vor dem Alleinsein, die Angst zu sterben, die Angst vor Erkrankung und Lei den, die Angst, andere zu verletzen oder anderen weh zu tun, also die Kontrolle über sich selbst, den eigenen Körper oder über be stimmte Sicherheit gebende Situationen zu verlieren. Meiner Erfahrung nach geht es in den meisten Fällen um problematische Beziehungsgestaltungen: die Beziehung zur Ursprungsfamilie, die Beziehung zum Partner, die Be ziehung zum Arbeitskollegen. Besonders oft geht es um die Beziehung zu sich selbst, eingebettet in die belasteten Themen Selbst wert und Selbstvertrauen. Im Verlauf der Jahrzehnte ändert sich lediglich der konkrete Auslöser der Angstspirale: die Sorge, an Aids zu erkranken, einem Terro rakt zum Opfer zu fallen oder, am einfachsten nachvollziehbar, die Angst, in einer Warteschlage an der Supermarktkassa ohnmäch tig zu werden – eine Situation, der man vor 50 Jahren kaum aus geliefert war. Eine weitere Angst greift um sich: die Angst, in Zei ten von mit zahllosen Bildbearbeitungsprogrammen und Filtern bearbeiteten Porträtfotos und Selfies
in der Alltagssituation dann nicht hübsch und ebenmäßig genug zu sein. Die Varianten der Ängs te sind also kulturell geformt und werden sozial vermittelt.
Unterscheiden sich die Ängs te der Frauen von denen der
Männer?
Frauen und Männer werden je nach Geschlechtszugehörigkeit sozialen Rollen, Lebensbereichen und Aufgaben zugeordnet – ob gerechtfertigt und passend, sei dahingestellt. Abhängig von die sen Rollen lassen sich Tendenzen erkennen. Frauen haben oft Angst, verlassen zu werden, ha ben Angst, dass den Kindern etwas passieren könnte, haben Sorgen vor Krankheiten in der Familie. Männer haben oft Angst, sexuell, gesellschaftlich oder beruflich zu versagen und keine augenscheinliche Leistung mehr zu erbringen.
„Es braucht Mut, um sich auf Veränderungen einzulassen, alte Muster zu hinterfragen und aufzulösen.“
Die meisten Menschen entwi ckeln recht kreative Methoden, um ihre Angst zu verbergen und sich „keine Blöße zu geben“. Hinter welchem Ver halten kann sich eine Angst verstecken?
Frauen tun sich leichter, von ih ren Ängsten und Sorgen zu berichten. Männer tendieren dahin, psychische Belastungen zuzude cken, und suchen eher den „Angriff nach vorne“. Insofern ist nar
BAD BACHGART UNTER NEUER FÜHRUNG
Nach der Pensionierung von Helmut Zingerle hat Martin Fronthaler im März die Führung von Bad Bachgart in Rodeneck übernommen. Im Therapiezentrum werden Patienten mit Suchtkrankheiten und psychosomatischen Erkrankungen behandelt und betreut. Psy chologe und Psychotherapeut Zingerle wird in Bad Bachgart weiterhin als Berater tätig sein.
zisstisches Auftreten oft ein Ver such, die eigenen Ängste zu bewältigen. Angststörungen sind bei Frauen noch häufiger diag nostiziert als Depressionen. Beim Mann liegen Angststörungen in der Häufigkeit hinter dem Alko holismus. Dass Alkoholmissbrauch häufig als „Selbstmedikation“ bei Ängsten passiert, ist sicherlich be
Volksbank mit neuem Niederlassungsleiter und noch mehr Nähe zu den Kunden
Die Niederlassung Brixen/Bruneck hat vor zwei Monaten mit Hannes Wieser einen neuen Leiter erhalten. Auch in der Hauptfiliale Sterzing und in der Filiale Ratschings hat es Umbesetzungen gegeben. Die neue Organisation zeichnet sich u. a. durch eine noch größere Nähe zu den Kunden aus.
Als Niederlassungsleiter für Brixen/Bruneck ist Han nes Wieser Ansprechpartner für Kunden und Mitarbeiter in diesem Einzugsgebiet. Der Niederlassung sind 26 Hauptfilialen bzw. Filialen unterstellt. Der ge bürtige Sterzinger hat zuvor die Niederlassung Bozen/ Meran geleitet und war in verschiedenen Funktionen in internen Abteilungen tätig. Neu ist: Sowohl für das Firmenkunden- als auch für das Privatkundengeschäft zeichnet der Niederlas sungsleiter vor Ort verantwortlich. Durch diese Dezentralisierung sind höhere Flexibilität, verstärkte Synergien und schnellere Entscheidungen gewährleistet. „Wir sind damit noch näher an unseren Kunden und können sie als ihr Finanzpartner noch umfassender und ganzheitlicher betreuen“, so Vizegeneral- und Vertriebsdirektor Stefan Schmidhammer, an den der erfahrene Volksbank-Manager Wieser direkt berichtet. Ilse Steurer, welche die Niederlassung Brixen/Brun eck zuvor geleitet hat, nimmt nun ein neues Aufgader Hauptfiliale ist er in der Rolle des Filialleiter-Stell bengebiet im Bozner Hauptsitz wahr. Sie steht dort als vertreters weiterhin als kompetenter Berater in wichLeiterin der Marktentwicklungseinheit für Privatkun tigen Finanzangelegenheiten im Einsatz. Sein Vorgänden und operatives Marketing vor. ger als Filialleiter-Stellvertreter der Hauptfiliale, Wilfried Casadei, ist zum Versicherungsexperten der Niederlassung Brixen/Bruneck ernannt worden. Die Filiale Ratschings bleibt eine wichtige Adresse innerhalb der Niederlassung. Ihre Leitung hat Marlene Hilpold übernommen, die als ehemalige Filialleiterin von Welsberg viel Erfahrung in der Fi lialführung mitbringt. Auch sie ist eine langjährige Mitarbeiterin der Volksbank und war nach ver Marlene Hilpold, neue Leiterin der Filiale Hannes Wieser, neuer Leiter schiedenen Einsätzen in Filialen Ratschings, mit Christian Wurzer, jetzt Filialleider Volksbank-Niederlassung im Eisack- und Pustertal zuletzt ter-Stellvertreter in der Hauptfiliale Sterzing Brixen/Bruneck als Firmenkundenberaterin in der Hauptfiliale Brixen tätig. Nach knapp 18 Jahren hat der aus Ridnaun stamDie neuen Leiter sowie die Teams in den jeweiligen Fimende Christian Wurzer von der Filiale Ratschings lialen bleiben auch in Zukunft verlässliche Partner, die in die Hauptfiliale Sterzing gewechselt. Seit mehr als ihre Kunden mit Erfahrung und Professionalität zu The 30 Jahren ist Wurzer Ansprechpartner und Vertrau men wie Finanzierung, die richtige Absicherung oder ensperson für zahlreiche Kunden in diesem Gebiet. In die maßgeschneiderte Geldanlage ausführlich beraten.
Unsere Ängste
Kinder leiden häufig an Ängsten vor Dunkelheit, monsterhaften Phanta siegestalten und Naturphänomenen wie Donner und Sturm, die sich in der kindlichen und beeindruckenden Kreativität zu überirdischen Wesen entwickeln. Eine typische Angstform bei Kindern ist der sogenannte Pavor nocturnus, das nächtliche Aufschre cken nach etwa ein bis vier Stunden Schlaf, ohne dass die Kinder von Alb träumen berichten und nach Abklingen der Aufregung wieder ruhig weiterschlafen. Anders die Ängste, die aus Albträumen stammen, welche die Kinder dann oft langwierig ver folgen und oft zu Einschlafproblemen in den folgenden Nächten führen. Gehäuft geht es bei Kindern und Ju gendlichen um Trennungsängste, um Versagensängste in der Schule oder im Freundeskreis und sehr oft um so ziale Ängste, ausgegrenzt zu werden, sich zu blamieren oder Opfer von ag gressivem Verhalten zu werden. Bei Erwachsenen beobachtet man neben ganz konkreten Ängsten vor Erkran kung, dem Verlassen-Werden, beruflichem Versagen und dem finanziellen und existenziellen Ruin sehr häufig diffuse und allgemein fluktuierende Ängste, in denen Betroffene oft gar nicht beschreiben können, was sie eigentlich konkret ängstigt. Die Angst ist hier nicht an konkrete Situationen oder Gegenstände gebunden, sondern ist geprägt von der Furcht vor körperlichen Begleiterscheinungen wie Schwindel, Atemnot und Herz rasen sowie einem generellen Engegefühl, vergleichbar mit dem Gefühl „in der Falle zu sitzen“. Meist entwi ckeln sie eine regelrechte „Angst vor der Angst“, also die Angst davor, dass die panikartigen Symptome der Angst unkontrollierbar auftreten könnten. Bei älteren Menschen kommt oft die Angst hinzu, körperlich wie geistig abzubauen und zu erkranken, nichts mehr beitragen zu können, die Angst vor Schlaflosigkeit oder die Angst vor dem Verlust eines nahestehenden Menschen. Oft führen auch degene rative Veränderungen und Erkrankungen des Gehirns oder Nebenwirkungen von Medikamenten, die zur Behandlung von anderen Grunderkrankungen eingesetzt werden, zu Angstsymptomen. kannt. Dies könnte darauf hinweisen, dass Männer weit mehr Ängste haben, als sie offenlegen. In sehr vielen Fällen stecken hinter Suchtverhalten De pressionen oder Angsterkrankungen. Eine latente Angst vor Nähe oder Angst vor Verantwortungs übernahme wird zu einem oberflächlichen und flüchtigen und schnellen Lebensstil führen.
Ab wann wird Angst im Leben zur Beein trächtigung?
Angst ist zunächst ein gesundes Grundgefühl, wie Freude, Wut oder Ekel. Insofern hat Angst eine wichtige Aufgabe in unserem Leben und in unserer Entwicklung. Sie schützt uns vor Bedrohungen und Gefahren, rettet uns immer wieder das Leben, in dem sie unsere Aufmerksamkeit oder unsere Reaktionsfähigkeit schärft. Angst ist Teil eines Notfallprogrammes, das in uns abläuft und enorme Kräfte in uns freisetzen kann, wodurch wir zu Höchstleistungen fähig sind und in einen Kampfmodus treten. Eine zweite Funktion der Angst ist es, uns gewissermaßen in einen Fluchtmodus zu verset zen, um uns gegenüber Gefahren in Sicherheit zu bringen. Eine Form der Flucht ist etwa auch das Erstarren. Wenn das Ausmaß einer Angstreaktion jedoch unangemessen stark und unangemessen lange andauert oder Betroffene sich ständig mit den Angstinhalten auseinandersetzen, andauernd darüber nachgrübeln müssen oder verschiedene
Formen des Vermeidungsverhaltens praktizieren, dann führt die Angst zu einem Leidensdruck, der das gesamte Leben umkrempelt. Wenn die Angst den Alltag bestimmt, über die Gestaltung von sozialen und beruflichen Kontakten entscheidet und sich generell negativ auf die Lebensqualität auswirkt, dann ist es Zeit, sich Hilfe zu holen.
„Narzisstisches Auftreten ist oft ein Versuch, die eigenen Ängste zu bewältigen.“
Ein Sprichwort sagt: Wo Angst ist, liegt dein größtes Potential. Oder: Mach die Angst zur Freundin und sie verliert ihre Macht. Was will uns die Angst sagen?
Oft scheint es, als ob sich die Angstdynamik sinn los verselbstständigt habe. Es ist, als ob ein automatisiertes Programm ablaufe, das nicht mehr zu kontrollieren ist, oft unabhängig und losge löst von konkreten, Angst machenden Situationen. Das zu erleben macht natürlich wiederum Angst. So bildet sich häufig ein verhängnisvol ler Kreislauf, in dem sich die Angst aufschaukelt und bizarre Formen und Ausprägungen annimmt. Welches die ursprünglichen Gründe für die Entstehung der Ängste sind, ist dann oft nur schwer zu erkennen und bedarf meist einer psy chotherapeutischen Herangehensweise. Bei dieser Arbeit, die sehr viel Mut und Bereitschaft, sich auf sich selbst und auf Neues einzulassen, bedarf, geht es häufig darum, dorthin zu gehen, wo die Angst sitzt. Der Weg führt durch die Angst hindurch und nicht um sie herum. Welche Botschaft die Angst für uns hat, ist dann meist sehr individuell. So ist es ne ben der Konfrontation mit der Angst eine zentrale Aufgabe der Therapie, ein für den Patienten schlüs siges Erklärungsmodell der Symptomatik zu finden, das stimmig eingebettet ist in seine Lebensgeschichte. Menschen erkennen durch die Angst oft, dass Veränderungen in ihrem Leben anstehen, dass sie sich eingeengt haben oder eingeengt wurden oder dass sie in dem einen oder anderen Lebensbe reich unglücklich sind. Sehr oft lautet die Botschaft der Angst, die eigene Autonomie wiederherzustel len, sich abzugrenzen oder Vertrauen in andere und sich selbst zu entwickeln. Sehr oft eben genau in je nem Bereich, wo die Angst sitzt.
„Oft lautet die Botschaft der Angst, die ei gene Autonomie wiederherzustellen, sich abzugrenzen oder Vertrauen in andere und sich selbst zu entwickeln. Sehr oft eben genau in jenem Bereich, wo die Angst sitzt.“
Was können Betroffene tun, um trotz Angst den Alltag zu meistern?
Wichtig ist, möglichst offen mit vertrauten Personen darüber zu reden und dann, wenn möglich, therapeutische Unterstützung zu suchen. Oft fällt es leichter, mit einer außenstehenden neutralen Per son zu reden. Frühzeitiges Reagieren ist hilfreicher als schambesetztes Zuwarten. Bestehende, offene oder auch verborgene Beziehungskonflikte sollten aufgearbeitet werden. Zentral ist sicher die Frage nach den eigenen Bedürfnissen: Sind diese Grund bedürfnisse erfüllt? Parallel zum offenen Umgang und zur Konfrontation mit der Angst ist es wichtig, Entspannungstechniken zu erlernen und anzuwen den. Achtsamkeit und ein wohlwollender Umgang mit sich selbst, Bewegung in der Natur und sportli che Aktivität unterstützen den Weg aus der Angst. Angstauslösende Situationen oder Themen sollten nicht vermieden werden. Auf jeden Fall braucht es Mut, sich den Themen, die hinter der Angst verbor gen sind, zu stellen. Am wichtigsten ist es, zwischenmenschliche Kontakte zu pflegen, Beziehungen zu pflegen und zu leben. Beruhigungsmedikamente können kurzfristig helfen, sollen aber stets unter ärztlicher Verschreibung und Betreuung und für ei nen kurzen Zeitraum eingenommen werden. E