Umwelt
„Die Alpengletscher sind nicht zu retten“ Interview: Barbara Felizetti Sorg
Der Klimawandel ist in aller Munde. Die Welt weiß seit langem, worauf sie zusteuert. Können die schlimmsten Folgen, wie sie von der Forschung seit Jahrzehnten prognostiziert werden, noch abgewendet werden oder ist es bereits zu spät? Der Erker hat sich mit Georg Kaser, einem der einflussreichsten Klimaforscher weltweit, in Schnals zum Gespräch getroffen.
Erker: Herr Kaser, wie ist es um unsere Gletscher bestellt? Georg Kaser: Diese Frage lässt sich sehr kurz beantworten: Die Gletscher in den Ostalpen haben
Zur Person Georg Kaser, Jahrgang 1953, aus Meran ist Glaziologe an der Universität Innsbruck und gilt als einer der einflussreichsten Klimaforscher weltweit. Seit 2010 ist er Professor für Klima- und Kryosphärenforschung am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften sowie Dekan der Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften. 2017 wurde er in die Österreichische Akademie der Wissenschaften gewählt. Zurzeit arbeitet er zum dritten Mal als Leitautor und Editor am Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), dem Weltklimarat der Vereinten Nationen, mit; diesem wurde 2007 der Friedensnobelpreis verliehen. 2018 wurde Kaser mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse ausgezeichnet. Georg Kaser lebt mit seiner Familie in Karthaus/Schnals.
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Erker 09/20
in unserem jetzigen Klima keinen Platz. Die Klimaerwärmung in den letzten 20 Jahren hat den Hebel bereits umgelegt. Auch wenn wir die Erwärmung heute auf Null stellen würden, wäre es für die Gletscher bereits zu spät. In den südlichen Zillertalern und in Osttirol beispielsweise sind zahlenmäßig bereits 50 Prozent der Gletscher verschwunden. Es handelt sich dabei um kleinere Gletscher, deren Verschwinden in der Öffentlichkeit keinen Aufschrei verursacht. Eine Ausnahme war der Weißbrunnferner in Ulten, den das Hydrographische Amt nach 46 Jahren Vermessungen im September 2018 mit einem Symposium – eine Begehung wäre zu gefährlich gewesen – endgültig „begraben“ hat. Der Prozess ist insgesamt nicht mehr aufzuhalten. Wie lange werden die Gletscher in den Alpen noch bestehen? Kleinere Gletscher verschwinden bereits jetzt jährlich. Die großen Gletscher werden in den nächsten 30 bis 50 Jahren ebenfalls nicht mehr existieren. Höchstens vom „End-der-Welt-Ferner“ am Ortler und ähnlichen Lagen werden schuttbedeckt im Schatten noch
Reste übrigbleiben, aber nicht mehr als Gletscher in unserer heutigen Vorstellung. Wie lange wird es beim Übeltalferner in Ridnaun dauern? Nicht mehr lange! Vom Übeltalferner ist eh schon nicht mehr viel da. An welchem Gletscher führen Sie Messungen durch? Unser Hauptgletscher, den wir von der Universität Innsbruck aus beobachten, ist der Hintereisferner, der sich von der Weißkugel Richtung Vent im Ötztal zieht. Obwohl wir heuer einen schneereichen Winter hatten, haben wir dort den Null-Wert an Massenbilanz Ende Juli erreicht. Seit diesem Tag geht die Bilanz ins Negative – und das stündlich! Man kann förmlich zuschauen, wie der Schnee zurückgeht und das Eis einsinkt. Welche Auswirkungen wird das Verschwinden der Gletscher haben? In den letzten 25 Jahren haben die Gletscher viel Wasser abgegeben. Würde es heute den Gletschern gutgehen oder würden sie sogar weiter vorstoßen, würde dieses Wasser genauso fehlen. Das Fehlen der Gletscher wird sich also kaum bemerkbar machen – in un-
seren Breiten zumindest. Die Auswirkungen auf den Wasserhaushalt sind nicht dramatisch, solange es eine Winterschneedecke gibt. Wenn diese einmal fehlen wird, wird es allerdings problematisch. In einigen Gebieten wird es aufgrund der Gletscherschmelze zu Geschiebeproblemen kommen, weil lockeres Gestein zutage treten wird; das betrifft vor allem die Schweiz, wo die Hänge steiler sind und näher an die Gletscher hingebaut wurde. In Schwierigkeiten geraten werden bei uns am ehesten technische und touristische Infrastrukturen in heutiger Gletschernähe, u. a. Kraftwerke, Seilbahnen und Schutzhütten. Die Landschaft wird sich sehr wohl verändern: Es wird in den Bergen grüner und es werden relativ viele Seen entstehen. Das klingt jetzt eher danach, als ob das Verschwinden der Gletscher eher eine Frage der Nostalgie wäre ... Ja, zum Teil sicher. In den Alpen zumindest. In anderen Gebieten der Erde werden die Auswirkungen durchaus deutlicher zu spüren sein.